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VORWÄRTS/1121: Bürde oder Befreiung?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 27/28 vom 17. Juli 2015

Bürde oder Befreiung?

Von Sabine Hunziker


Die Malerin Marlene Dumas aus Südafrika arbeitet mit politischen Motiven. Die umfassendste Retrospektive ist nun in der Schweiz zu sehen.


1976 wurden die Apartheid-Gesetze verschärft, noch mehr Menschen interniert und die Homeland-Politik weiter vorangetrieben. Die 1953 in Kapstadt geborene Künstlerin Marlene Dumas verliess zur gleichen Zeit das Land, um in den Niederlanden zu arbeiten. Es war Sommer in Europa, während die Townships in Südafrika brannten. "Ich fühlte mich völlig unfähig und ungeeignet, das politische System der Apartheid in meinem Werk zu behandeln", schrieb Dumas. Südafrika bedeutete zu dieser Zeit vor allem Apartheid, wo Menschen künstlich mit Hilfe von Ideologie und repressiven Mitteln voneinander getrennt wurden. So traf Marlene in einer Schulklasse erst mit 19 Jahren auf einen schwarzen Mitschüler. Obwohl mitten in einer getrennten Gesellschaft aufgewachsen, war Marlene Dumas fern vom eigentlichen Geschehen: "Die Tatsache, dass ich aus Südafrika bin, hat mir nicht wirklich geholfen, andere Kulturen in Afrika zu verstehen." Weisse in Südafrika - zu denen auch Dumas gehört - haben sich nur für Amerika oder Europa interessiert. Jetzt zeigt die Ausstellung "The Image as Burden" in der Fondation Beyeler in Riehen (Basel) das Werk der Künstlerin Marlene Dumas. Was in der Ausstellung kaum ins Zentrum gerückt wird, sind ihre politischen Bilder, respektive deren politische Hintergründe. In Südafrika aufgewachsen und ausgebildet konnte die Künstlerin erst im Ausland Erfolge feiern. 1979 fand in einer Pariser Galerie ihre erste Einzelausstellung statt, es folgten Beiträge an der Documenta IX in Kassel oder an der Biennale Venedig.


Nicht nur Apartheid

Auseinandersetzungen mit politischen Themen prägen seit jeher das Werk Marlene Dumas'. "Sie hat sich in dem Sinn aber nie direkt zu politischen Themen geäussert. Ein politisches oder auch ein anderes 'Thema' ist der Anlass oder gibt den Impuls für ein Werk" - so Theodora Vischer von der Fondation Beyeler. Dumas' Aufarbeitung ist nicht klassisch - es werden dadurch leicht bestimmte Aspekte übersehen. "Erst kommt die Körpersprache, dann die Geschichte", meinte sie 2010. Viele ihrer Motive sind politisch und fast immer stellt sie Gesichter oder Körper von Menschen dar - Menschen mit dunkler Hautfarbe. Dumas hat sich immer daran gestört, dass ihr künstlerisches Schaffen aus Sicht anderer "nur" um die Apartheid gehen soll. Sie thematisiert Schwarz auch als positive Eigenschaft und Schönheit. Ihr Werk ist nicht ein Ringen mit der Apartheid, sondern gerade umgekehrt: "Es war eine Befreiung." Nach Bilder mit dunklen leblosen Körpern auf dem "Altar des Antihumanismus" in der Ausstellung "Defining in the Negative" 1988 kamen Anfang der Neunzigerjahre 112 Kleinportraits von Menschen aus Afrika in "Black Drawings". Es sind Arbeiten mit Tusche, wo auch Schwarztöne von hell bis dunkel ausprobiert wurden. Inspiration waren Postkarten mit afrikanischen Motiven, wie sie in der sogenannten Kolonialzeit verwendet wurden. "Diese Fotos zeigen, wie die europäischen Kolonialherren Afrikaner wahrgenommen haben", so Marlene Dumas.


Deutliche Aussagen

"Du änderst die Farbe von etwas und alles ändert sich" - die Künstlerin nahm auch Bezug auf den Kunsttheoretiker Ad Reinhardt. Auf den Werken "Reinhardt's Daughter" und "Cupid" von 1994 ist erst ein weisses Kleinkind als Cupid und dann ein ähnlicher dunkelhäutiger Säugling zu sehen. "Gleichzeitig ist bei Dumas mit der Darstellung eines schlafenden weissen und eines schwarzen Kindes auch die Realität ihrer Erfahrung mit Menschen in Südafrika präsent", meint Theodora Vischer. Expliziter wird die Sprache in "The Widow" von 2013, das Pauline Lumumba mit entblösster Brust beim Trauermarsch um ihren 1961 ermordeten Ehemann und kongolesischen Ex-Premierminister Patrice Lumumba zeigt. In "Drei Frauen und ich" von 1982 sind Winnie Mandela, Betty Shabazz (die Ehefrau von Malcolm X) und Pauline Lumumba neben einem Umriss eines Selbstportraits der Künstlerin zu sehen. "In Wahrheit ging es dabei in erster Linie um amerikanische Geschichte und erst dann um afrikanische Vergangenheit", beschreibt Marlene Dumas.

Nicht nur die Apartheid hat Marlene Dumas geprägt, es finden sich neben feministischen Werken auch andere politische Inhalte, zu denen sie deutliche Aussagen macht. "Woman of Algier" (2001) ist eine verarbeitete Fotografie aus den Sechzigerjahren von einem Mädchen, das nackt zwischen zwei französischen Soldaten als Trophäe posieren muss. Portraits von Ulrike Meinhof von der RAF oder von einer palästinensischen Kämpferin der Volksfront zur Befreiung Palästinas - gestorben bei der Flugzeugentführung der "Landshut" 1977 - finden sich in der Sammlung. Auch der Nahostkonflikt wird thematisiert mit Gemälden wie "The Wall" von 2009, in dem die Klagemauer in Jerusalem zu einer sogenannten "Security Wall" wird.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 27/28 - 71. Jahrgang - 17. Juli 2015, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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