Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/1028: Wahl in Ägypten - Der gedemütigte Löwe


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 6. Juni 2014

Der gedemütigte Löwe

von Michi Stegmaier



Der frühere Armeechef Abdel Fatah Al-Sisi hat mit über 96 Prozent einen Erdrutschsieg erzielt. Trotzdem geht er geschwächt aus der Wahl hervor. Und während die Zahl der ungültigen Stimmen höher war als derjenigen für Herausforderer Sabbahi, gibt in Ägypten vor allem die tiefe Wahlbeteiligung zu reden.


Noch bevor der neue Pharao seinen Thron bestiegen hat, erlitt Abdel Fatah Al-Sisi eine erste demütigende Demontage seines Glorienscheins. War die Sisimanie, die Ägypten in den vergangenen Monaten in ihren Bann gezogen hat, nichts anderes als eine grosse Lüge? Die hysterische Reaktion der Wahlbehörden auf die schwache Wahlbeteiligung schon am ersten Wahltag hinterlässt durchaus Zweifel an Sisis Popularität und zeigt, wie tief heute die Gräben und wie weitreichend die Polarisierung in Ägypten sind. Erste unabhängige BeobachterInnen prophezeien Sisi schon jetzt einen neuen Grad des Misserfolgs, der sogar den gescheiterten Ex-Präsidenten Mursi in den Schatten stellen werde, da Sisi seine hochgesteckten Ziele trotz massiver Unterstützung des Militärs, des Staatsapparats, der Medien, der Wirtschaft, den alten politischen Eliten, den Milliarden aus den Golfstaaten und der gewaltsamen Unterdrückung und Verfolgung politischer Gegner so kläglich verfehlte.

Selbst das beschönigte Wahlresultat kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das angestrebte Ziel einer Wahlbeteiligung von über 80 Prozent und 40 Millionen Stimmen bei weitem verfehlt wurde. Während offizielle Quellen die Wahlbeteiligung über Nacht von 37 Prozent kurzerhand auf 46 Prozent erhöhten, spricht die der Muslimbruderschaft nahestehende "Nationale Allianz der Legitimität" gar von einer Wahlbeteiligung von unter 12 Prozent und sieht sich damit in ihrem Widerstand bestätigt. Nur wenige Stunden nach Schliessung der Wahllokale rufen sie deshalb zu einer dritten Welle der Revolution auf.


"Erschiesst die Nichtwähler!"

Tatsächlich haben die Wahlbehörden sowie die Seilschaften, die hinter Sisi stehen, nichts unversucht gelassen, um seine Wahl mit einer möglichst hohen Anzahl Stimmen zu legitimieren: Doch dieser Schuss ging gründlich in die Hosen. Selbst Anreize, wie dass der 25. und 26. Mai zu arbeitsfreien Tagen erklärt und die Benutzung der Eisenbahn und der öffentlichen Verkehrsmittel gratis waren, konnten den Trend nicht umkehren. Auch Drohungen, Strafen und Beschimpfungen der NichtwählerInnen als VaterlandsverräterInnen waren ebenso wenig mit Erfolg gekrönt. Fernsehmoderatoren, die die öffentliche Erschiessung von allen NichtwählerInnen forderten, verfehlten ihr Ziel genauso wie die Androhung, dass jedeR, die/der nicht wählen geht, eine saftige Busse von rund 70 Franken - für Ägypten eine astronomische Summe - zu bezahlen hätte. Schliesslich herrsche gemäss Gesetz ja eine Wahlpflicht.

Als dies alles nichts nützte und die Warteschlagen vor den Wahllokalen immer noch äusserst überschaubar blieben, hängten die Wahlbehörden kurzerhand einen weiteren Wahltag an und schon vor Sonnenaufgang kurvten Lautsprecherwagen durch die staubigen Viertel, um die Menschen mit Nachdruck an ihre patriotische Pflicht zu erinnern. Selbst der eine oder andere Wahlhelfer von Sisi schien über diesen Schritt der ägyptischen Wahlbehörden irritiert. Und es hagelte von allen Seiten Kritik und Häme. Aus einer Farce hätten die Behörden ganz ohne äusseres Zutun ein Debakel gemacht, war in vielen ägyptischen Zeitungen am nächsten Tag zu lesen. Wahrlich, als Meilenstein der Emanzipation der arabischen Welt wird diese Wahl nicht in die Annalen eingehen.


Hoher Anteil leerer Wahlzettel

Die erhoffte Begeisterung und staatlich verordnete Euphorie für Sisis Politik der harten Hand blieb jedenfalls aus. Tatsächlich wirkte der nun gewählte Präsident selbst bei seinen wenigen Fernsehinterviews farblos. Zwar betonte auch Sisi, dass sein grosses Vorbild Nasser sei, der Begründer des ägyptischen Sozialismus, doch neben Ruhe und Ordnung sowie "Kampf dem Terrorismus", hatte er nicht wirklich ein Wahlprogramm vorzuweisen. Ganz anders Sabbahi von der nasseristischen "Partei der Würde" und dem Komitee "Die Strassen gehören uns". Zwar war seine Kandidatur nicht unumstritten, viele Revolutionsgruppen kritisierten, dass er sich als Feigenblatt hergab. Trotzdem führte Sabbahi einen leidenschaftlichen Wahlkampf und seine Themen wie Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit fanden durchaus Anklang bei der Bevölkerung.

Am beachtlichsten bleibt aber der hohe Anteil von Proteststimmen. Zwar wurden weder bei den im Ausland lebenden ÄgypterInnen noch in den 8 der 27 Gouvernements die leeren Stimmzettel mitgezählt, doch dort, wo sie registriert wurden, erreichte ihr Anteil teilweise über 10 Prozent.


Zeit für Wunder

Die Realität zeigt, dass die Generäle und Sisi trotz ihrer gewaltigen Propagandamaschinerie, medialer Gleichschaltung und massiver Repressionswellen bloss einen Drittel der Bevölkerung hinter sich scharen konnten. Die ägyptischen Eliten sitzen alles andere als sicher in ihren Sätteln, wie es die martialische Dauerpropaganda der letzten Monate den Menschen glauben machen wollte.

Währenddessen steigt die Zahl der politischen Gefangenen tagtäglich. Während Justizminister Nayer Osman am 25. Mai behauptet, dass es in Ägypten keinen einzigen politischen Gefangenen gäbe, registrierte die Plattform Wiki Thawra Mitte Mai 41163 Personen, die aus politisch motivierten Gründen eingeknastet sind. Die Restaurierung des autoritären Staates mag derzeit zwar vielen ÄgypterInnen im Kampf gegen den politischen Islam als berechtigt erscheinen, doch alleine mit Unterdrückung, Angst und Verfolgung von politischen GegnerInnen lassen sich keine hungernden Mäuler stopfen. Auf den alten und neuen starken Mann kommen schwere Zeiten zu, gerade weil er nun in der Pflicht ist. Denn von Abdel Fatah Al-Sisi werden nichts weniger als wahre Wunder erwartet. Und so wenig in Ägypten an der Wahl von Sisi zum neuen Präsidenten gezweifelt wurde, so wenig wird daran gezweifelt, dass er seine erste Amtszeit nicht überstehen wird.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2014 - 70. Jahrgang - 6. Juni 2014, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2014