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VORWÄRTS/1025: Wenn Linke Fussball spielen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 6. Juni 2014

Wenn Linke Fussball spielen

von Siro Torresan



Nicht alle schwimmen im WM-Proteststrom mit. Die Kommunistische Partei Brasiliens legt in einer Stellungnahme ihre Sicht der Dinge dar. Eine Position, die einige Fragen aufwirft und Widersprüche aufweist. So wird die Rolle der FIFA und ihre Macht- und Profitinteressen für wenige Grosskonzerne völlig ausgeblendet.


In Brasilien stehen Wahlen an und die WM wird für politische Zwecke und Machtkämpfe ausgeschlachtet. Dies mit einer Heftigkeit, die an die WM 1978 in Argentinien erinnert, als die damalige Militärjunta durch die WM alles daran setzte, ihre mörderische Politik zu vertuschen. Argentinien gewann die WM dank des gekauften Spiels gegen Peru und - so will es die Ironie der Geschichte - einem überzeugten Linken als Trainer auf der Bank. Der Fussballprofessor und Kettenraucher César Luis Menotti verweigerte dem damaligen Präsidenten der Militärregierung, General Jorge Rafael Videla, nach dem Titelgewinn demonstrativ den Handschlag. In einem TV-Interview sagte Menotti dann: "Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt."


Marx und Lenin würden es nicht so toll finden

Zurück nach Brasilien und damit es klar ist: Niemand vergleicht hier die demokratisch gewählte Regierung in Brasilien und die Parteien, die sie unterstützen oder bekämpfen, mit der Militärdiktatur in Argentinien. Es geht ausschliesslich um die politische Rolle und Funktion, die dieser Grossanlass mit dem Segen und der Führung des Weltfussballverbands FIFA einnimmt. Rolle und Funktion, die ein Spiegelbild des Kapitalismus sind. Und da sich die Linke bekanntlich den Kampf gegen den Kapitalismus auf die Fahne geschrieben hat, ist ein kritischer Blick zwingend notwendig.

Die Kommunistische Partei Brasiliens (PCdoB) schwimmt nicht mit dem Proteststrom mit und eine eigene Position zur WM erarbeitet. Mal abgesehen vom nationalistischen Tenor der Stellungnahme ("Das Volk zu mobilisieren, indem man sich auf die Hilfe der grossen patriotischen Welle stützt, welche die WM auslösen wird") wirft die Stellungnahme der brasilianischen GenossInnen einige Fragen auf. "Ein erster grosser Schwindel ist die Behauptung, die Regierung gebe Milliarden für die WM aus, und dies auf Kosten der Ausgaben für Gesundheit, Erziehung und Transporte. Man muss klar sagen: Die WM hat nicht einen einzigen Real von den Sozialbereichen weggenommen", schreibt die PCdoB. Mag sein, dass kein Cent, der für den Sozialbereich vorgesehen war, in die WM floss. Fakt ist aber, dass die Regierung 768 Millionen Franken für die Sicherheit der WM aufbringen muss. Millionen, die wohl ohne Wenn und Aber sinnvoller hätten eingesetzt werden können.

Ganz seltsam wird es, wenn die Rolle der FIFA völlig ausgeblendet wird: "Die gerechte Notwendigkeit von Investitionen in der Höhe von 10 Prozent des BIP in Erziehung und Gesundheit steht in keinem Widerspruch zur Durchführung der Spiele, aber im Widerspruch mit den Profit- und Spekulationsinteressen." Die FIFA ist eine gigantische Profit- und Spekulationsmaschinerie. Dies natürlich im eigenen und im Interesse von wenigen Grosskonzernen, die mir ihr ein milliardenschweres Werbeabkommen unterzeichnet haben. Die FIFA, die unter anderem aufgrund vergangener WM-Gewinne Reserven von rund 1,4 Milliarden Franken auf Schweizer Banken bunkert, und die wenigen Weltkonzerne (Adidas, Coca-Cola, Mc Donald's, um nur drei zu nennen) sind die wahren Nutzniesserinnen der WM. Dazu kommen die grossen Bauunternehmen, die sich die Grossaufträge rund um die WM unter den Nagel gerissen haben und vom Staat dafür mit Steuerbefreiungen und -Erleichterungen beschenkt wurden. Gut möglich ist, dass "24.500 Arbeitsplätze direkt oder indirekt allein durch den Bau der Stadien geschaffen wurden", so die PCdoB. Doch kein Wort darüber, unter welchen Umständen und Arbeitsbedingungen die Stadien gebaut wurden. Kein Wort darüber, dass der ganz grosse Teil dieser Arbeitsplätze sich nach dem Bau der Stadien wieder in Nichts aufgelöst hat, während die fetten Milliardengewinne in den Taschen der KapitalistInnen bleiben. Tatsachen, die wohl weder Marx noch Lenin so toll finden würden.


Um als Mensch zu wachsen

Ein anderes Fragezeichen entsteht bei den "Umsiedlungen" und Enteignungen, die wegen der WM stattfanden. "Die Zahl der Enteignungen beträgt 6652, also nichts im Vergleich zu den herumgebotenen Zahlen, die bis zur phantastischen Zahl von 150.000 enteigneten Familien geht", schreibt die PCdoB. Die Menschheit wird die genaue Zahl nie erfahren. Man weiss aber, dass keine KapitalistInnen und GrossgrundbesitzerInnen enteignet worden sind, und somit ist jede Enteignung eine zu viel, weil es die Falschen trifft. "Die betroffenen Familien werden durch das Programm 'Minha casa, minha vida' der Bundesregierung unterstützt", hält die PCdoB weiter fest. Zuverlässige und linke (!) Quellen, wozu etwa das Portal "amerika21.de" unbestritten gehört, berichten von einer ganz anderen Realität. So haben anfangs Mai rund 1000 Familien der Wohnungslosenbewegung "MTST" ein leerstehendes Gelände im Stadtteil "Itaquera" im Osten von São Paulo besetzt. Vier Kilometer davon entfernt findet am 12. Juni das WM-Eröffnungsspiel statt. Die BesetzerInnen stammen zum grössten Teil aus benachbarten Favelas und Gemeinden, in denen im Zuge der WM-Vorbereitungen die Mieten rasant gestiegen waren. "Die Bauarbeiten in 'Itaquera' verbessern in keiner Weise die Wohnungssituation der Region, sondern erhöhen die Immobilienspekulation nur noch weiter", sagte Guilherme Boulos, Sprecher der MTST.

Angesichts all dieser eklatanten Widersprüche klingen die Worte vom grossen Fussballlehrer César Luis Menotti wie wunderschöne Musik. Er sagte: "Beim Fussball der Linken spielen wir nicht einzig und allein, um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben, um als Menschen zu wachsen."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2014 - 70. Jahrgang - 6. Juni 2014, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2014