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VORWÄRTS/986: Italien - Angriffe auf Gewerkschafter


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 3/4 vom 31. Januar 2014

Italien: Angriffe auf Gewerkschafter

von Maurizio Coppola



Am 15. Januar 2014 kam es in Mailand zu einem Zwischenfall, der die ganze Gewerkschaftsbewegung in Aufruhr versetzte: Fabio Zerbini, ein Gewerkschafter der Basisgewerkschaft S.I. Cobas, wurde angegriffen und geschlagen. Die Angreifer drohten ihm: "Schluss mit den Arbeiterversammlungen. Dieser Zwischenfall weist auf den eskalierenden Klassenkonflikt in der Logistikbranche hin.


Der Gewerkschafter des S.I. Cobas (sindacato intercategoriale - lavoratori autoorganizzati) Fabio Zerbini ist seit fünf Jahren an den Mobilisierungen der vornehmlich migrantischen LogistikarbeiterInnen beteiligt. Diese arbeiten für kleine Kooperativen, welche Werkverträge von den grossen logistischen Dienstleistungsunternehmen wie TNT und UPS aber auch von DetailhändlerInnen wie Ikea, coop oder Carrefour erhalten. Die ArbeiterInnen haben in den letzten zwei Jahren die Mobilisierung intensiviert. Am 22. März 2013 wurde ein landesweiter Streiktag im Logistiksektor ausgerufen, um Druck auf die Verhandlungen zur Erneuerung des nationalen Tarifvertrages der Logistik auszuüben. Wie die LogistikarbeiterInnen selbst sagen, wird der Tarifvertrag allerdings von den Kooperativen kaum respektiert. So haben sie sich in den letzten Jahren vermehrt der Basisgewerkschaft S.I. Cobas angeschlossen, weil diese die einzige Gewerkschaft ist, welche das System der Kooperativen als Problem anerkennt und auf der Seite der LogistikarbeiterInnen gegen dieses spezifische Ausbeutungssystem kämpft (siehe vorwärts 2013 nr. 31/32).


Der Angriff

Die Dynamik des Angriffs ist filmreif. In der Nacht des 23. Dezembers 2013 wurde der Rückspiegel von Zerbinis Auto beschädigt. Der Gewerkschafter fand beim Auto einen Zettel: ((Es tut mir leid, ich war es, ich heisse Giuseppe, ich lass dir meine Nummer. Ruf mich an und wir treffen uns, damit ich dir den Sachschaden bezahlen kann." Just am 23. Dezember war Zerbini neben den LogistikarbeiterInnen des Unternehmens Kuehne&Nagel (der Firmensitz liegt im Kanton Schwyz) in Santa Cristina in der Provinz Pavia, das für den Detailhändler Carrefour die Waren verschiebt, in einen Streik involviert. Mitte Januar 2014 rief Zerbini Giuseppe an und sie vereinbarten einen Termin. Die zwei trafen sich und Giuseppe lud Zerbini ein zu seinem Lastwagen in eine Nebenstrasse zu kommen. Aber da war kein Lastwagen, sondern eine zweite Person. Darauf schlugen sie gemeinsam auf Zerbini ein und wiederholten ständig: "Schluss mit den Arbeiterversammlungen!"

Am Tag des Vorfalls schrieb Zerbini einen offenen Brief an die Bewegung: "Es ist schwierig, für die heute von mir erlittenen Angriffe eine direkte Verantwortung zu finden. Aber in letzter Instanz stellen die Angriffe eine klare politische Antwort der Bourgeoisie auf die landesweite Streikbewegung dar, in deren Zentrum die migrantischen LogistikarbeiterInnen stehen. Die grossen Bosse finden zurzeit keine andere Antwort auf die Aktionen der ArbeiterInnen, die sie unter Druck setzen."


Mafiöse Strukturen

Die Verbindung von mafiösen Strukturen und den Kooperativen ist keine Erfindung der Gewerkschaften. Praktisch wöchentlich beschlagnahmt die Polizei Waren, nimmt Leute fest, blockiert Bankkonti. Indem tiefe Löhne bezahlt, der landesweite Tarifvertrag nicht eingehalten und Steuern hinterzogen werden, bieten die Kooperativen der organisierten Kriminalität die Möglichkeit auf schnelles Geld. Gerade im Kontext der Krise der italienischen Staatsfinanzen ist die Politik immer weniger bereit, solche Praktiken zu tolerieren. Und so werden auch die Arbeitskämpfe im Logistiksektor zu einem Dämpfer von Ausbeutung und somit der Profite der Kooperativen. Zerbini präzisiert: "Wir stören mit unseren Kämpfen die Kooperativen, weil wir nicht nur ein ökonomisches Ziel anstreben, sondern das Kräfteverhältnis allgemein umstossen wollen. Die LogistikarbeiterInnen sprechen über Würde und über die Kontrolle der Arbeitsorganisation. Ihnen wird bewusst, dass die Kooperativen eigentlich nur unnötige ZwischenhändlerInnen sind, da sie weder Kapital noch Produktionsmittel besitzen. In der Folge wurde auch die Frage aufgeworfen, warum jemand wie ein Sklave arbeiten muss, um dieses System am Leben zu halten. Und durch die Streikbewegung wurde den ArbeiterInnen bewusst. dass die Kooperativen ohne sie absacken."


Intensivierung des Klassenkonflikts

Die Ereignisse von Mitte Januar in Mailand unterstreichen eine wichtige Tatsache: Je intensiver die politische Konfrontation zwischen den Klassen ist, desto wahrscheinlicher werden die Einschüchterungsversuche auf Seiten der KapitalistInnen, die auch nicht vor Gewalt und mafiösen Methoden zurückschrecken, um ihre Interessen zu verteidigen. Die Intensität des Klassenkampfes von Seiten der ArbeiterInnen bestimmt so die Reaktion der KapitalistInnen. Der Ausgang einer solchen Intensivierung des Klassenkonfliktes ist stets offen. In Kolumbien beispielsweise werden regelmässig Gewerkschafter ermordet. In Italien ist es noch nicht so weit gekommen, doch dies könnte sich bald ändern.

Die LogistikarbeiterInnen und Basisgewerkschaften sind davon überzeugt, dass die Angriffe auf Zerbini eine aktuelle Schwäche des Kooperativensystems in der Logistikbranche darstellen. So riefen Zerbini und der S.I. Cobas am 19. Januar 2014 in Mailand zu einer Versammlung auf, an der sich über 300 Personen beteiligten. Drei Viertel davon waren ArbeiterInnen der Logistikbranche. Im Aufruf hatten sie festgehalten: "In der jetzigen Lage haben wir nur einen Vorschlag: Der Aufruf zu einer öffentlichen Versammlung aller S.I. Cobas Strukturen und mit allen, die sich mit der Bewegung der LogistikerarbeiterInnen solidarisieren. Dadurch sollte die Gelegenheit ergriffen werden, den Kampf durch einen gut organisierten Generalstreik zu akzentuieren. Es geht darum, der Klassenauseinandersetzung wieder mehr Inhalt zu geben, und nicht einfach nur die alten Formen zu reproduzieren." Der Angriff auf Fabio Zerbini hat sich so zu einem Instrument der Klasseneinheit gewandelt. Derjenigen Einheit, die in den letzten fünf Jahren zu vielen Teilerfolgen der Bewegung geführt hat und die vor allem nun eine Möglichkeit darstellt, eine tiefe Bresche ins Ausbeutungssystem der Kooperativen des Logistiksektors zu schlagen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 3/4/2014 - 70. Jahrgang - 31. Januar 2014, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2014