Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/973: Mexikanische Tage des Ungehorsams


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.39/40 vom 8. November 2013

Mexikanische Tage des Ungehorsams

Von Michi Stegmaier



Mexiko blickt auf wochenlange soziale Unruhen zurück. Zwar sind die streikenden Lehrerinnen wieder in die Klassenräume zurückgekehrt, doch die Bildungsreform der Regierung Nieto bleibt umkämpft.


In Mexiko-Stadt vergingen mehrere Wochen mit sozialen Protesten und zivilem Ungehorsam. Kein Tag, wo es keine Demos, Aktionen oder Strassenblockaden gab. Alleine im September gab es gemäss der Abteilung "Öffentliche Sicherheit in Mexiko-Stadt" 696 angemeldete Demonstrationen, an denen sich 982.000 Menschen beteiligten. Vor allem die Proteste gegen die Bildungsreform sorgten landesweit für Aufregung. Mitte August begannen Tausende LehrerInnen aus ganz Mexiko ein Protestcamp auf dem berühmten Zocalo-Platz zu errichten. Auf dem Höhepunkt des Streiks gegen die Bildungsreform fanden sich fast täglich 20.000 Lehrende ein. Schliesslich sahen sich die mexikanischen Sicherheitskräfte gezwungen, den symbolträchtigen Zocalo am 13. September gewaltsam zu räumen. Daraufhin richteten die Streikenden auf dem "Platz der Revolution" ein neues Zeltlager ein.


Streik beendet, Proteste nicht

Die von Präsident Enrique Pena Nieto Mitte September unterzeichnete Bildungsreform schränkt den Einfluss der Gewerkschaften ein und fordert von den LehrerInnen eine regelmässige Leistungsprüfung. Die PädagogInnen beklagen, dass die landesweit einheitlichen Tests die Realität ignorieren. Statt einer qualitativen Verbesserung befürchten die Lehrerinnen Massenentlassungen, soziale Einschnitte und die schrittweise Privatisierung des Bildungssektors. Zudem wird kritisiert, dass die Reform wenig an den strukturellen Mängeln - wie etwa fehlendes Unterrichtsmaterial oder die allgegenwärtige Korruption - ändern wird. Nach drei Monaten Streik gegen die neue Bildungsreform haben mehr als 70.000 LehrerInnen Ende Oktober den Unterricht wieder aufgenommen. Bei einer Abstimmung der Lehrergewerkschaft CNTE, die die Proteste trug, hatten sich knapp zwei Drittel für eine Rückkehr in die Klassenräume ausgesprochen. Gleichzeitig hat die CNTE angekündigt, die Proteste fortzusetzen. So wurde das Protestcamp auf dem "Platz der Revolution" nicht aufgelöst und ein Teil der Streikenden hält in Mexiko-Stadt die Stellung.


Disziplinierung statt Reform

Zwar lässt sich Mexiko bei der Bildung nicht lumpen und mit rund 1,4 Millionen LehrerInnen existiert eine sehr hohe Dichte an Lehrkräften. Die Resultate bleiben trotzdem ernüchternd. So können 70 Prozent nach der obligatorischen Schulzeit nicht rechnen oder schreiben. Während die Streiks gegen die Bildungsreform von der CNTE getragen wurden, ist es um die SNTE - die grösste Einzelgewerkschaft Lateinamerikas - ruhig geworden. Dies nachdem im Februar die einflussreiche SNTE-Gewerkschaftsführerin Elba Esther Gordillo wegen Korruption verhaftet wurde. Gordillo, die immer noch inhaftiert ist, lebte ein Luxusleben, ging bei US-SchönheitschirurgInnen ein und aus und mischte auch kräftig in der Politik mit. Sie steht symptomatisch für ein krankes System und die überbordende Korruption in Mexiko. Vor allem die SNTE, die seit Jahrzehnten über die Anstellungen wacht, steht in einem schlechten Licht da. Oft ist die fachliche Qualifikation für eine Anstellung zweitrangig und Stellen werden bisweilen einfach vererbt. Und nicht wenige, die seit der eigenen Schulzeit keine Schule mehr von innen gesehen haben, beziehen ein Lehrersalär. Unter ihnen sollen sich BürgermeisterInnen, SenatorInnen und in einigen Fällen sogar Mafiabosse befinden.

Die mexikanische Politik will die LehrerInnen disziplinieren, das marode System jedoch bleibt unangetastet. Ob die Bildungsreform doch noch zu Fall gebracht werden kann, hängt nun davon ab, ob es der CNTE in den nächsten Wochen gelingt, die Zivilgesellschaft für ihr Anliegen zu mobilisieren.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40 - 69. Jahrgang - 8. November 2013, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2013