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VORWÄRTS/904: Niedriglöhne in der Schweiz - Unter 4000 Franken


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.09/10 vom 15. März 2013

Unter 4000 Franken

Von Thomas Schwendener



Eine neue Analyse, welche die Universität Genf im Auftrag des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes durchgeführt hat, fördert Erschreckendes zu Tage: In der Schweiz verdienen rund 12 Prozent der ArbeiterInnen Tieflöhne; etwa 437.000 Arbeitstätige erhalten bei einem 100-Prozent-Pensum weniger als 4000 Franken im Monat.


In der Schweiz leben anteilmässig mehr Millionäre als sonst irgendwo auf der Welt. Doch das Bild der reichen Schweiz ist trügerisch und für die Klasse der ArbeiterInnen stimmt es schlicht nicht: Rund 12 Prozent der hiesigen ArbeiterInnen müssen mit Löhnen ihren Unterhalt bestreiten, die kaum oder gar nicht zum Leben reichen. Sie verdienen auf eine Vollzeitstelle hochgerechnet weniger als 4000 Franken im Monat und sind darum oftmals neben ihrer Arbeit auf Sozialhilfe angewiesen. Darunter sind nicht nur ungelernte Arbeitskräfte. Rund ein Drittel der Betroffenen hat eine Berufslehre abgeschlossen.

Man findet die schlechten Löhne in verschiedensten Branchen: Im Detailhandel und Grosshandel sowie in den Industriebranchen. Daneben betrifft es - wenig erstaunlich - vor allem Bereiche, in denen besonders viele Frauen angestellt sind: Unternehmens-Dienstleistungen wie etwa Reinigung, persönliche Dienstleistungen wie etwa im Coiffeur- oder Kosmetik-Bereich, Arbeiten in Privathaushalten sowie das Gesundheits- und Sozialwesen. Die Zahlen sind skandalös, aber sie dürfen nicht überraschen: Das Kapital versucht in seinem Heisshunger nach Profit immer und überall Kosten einzusparen und drückt trotz aller Sozialpartnerschaftsrhetorik entsprechend die Löhne der ArbeiterInnen wo es kann.


Tieflohnmelder der Unia

Um etwas Transparenz in der unübersichtlichen Situation zu schaffen, hat die Unia im Rahmen ihrer Mindestlohnkampagne einen Online-Tiefstlohnmelder im Internet aufgeschaltet. In kurzer Zeit haben rund 140 ArbeiterInnen einen Lohn von unter 22 Franken auf die Stunde beziehungweise einen Monatslohn von unter 4000 Franken gemeldet. Dabei wurden empörende Fälle zu Tage gefördert, die man auf der Unia-Homepage nachlesen kann:

- In einem Aargauer Tankstellenshop - wo Arbeit in der Nacht und an Wochenenden zum Alltag gehört - verdient eine Verkäuferin bloss 20 Franken pro Stunde.

- Auch Kleider- und Schuhläden sind in der ganzen Schweiz Tieflohnzonen: In einer jurassischen Filiale der Discounter-Kette "Schuhparadies" verdient das Verkaufspersonal bloss 3500 Franken bei bis zu 45 Arbeitsstunden pro Woche. In einem Fall liegt der Stundenlohn für eine Angestellte sogar bei unter 17 Franken.

- Eine Berner Coiffeuse verdient mit ihrem 100 Prozent-Job nur 3500 Franken im Monat. Einen 13. Monatslohn bekommt sie nicht. Dafür, dass sie noch Lehrlinge ausbildet und betreut, erhält sie monatlich 100 Franken extra - ein Betrag, welcher der Verantwortung, die mit dieser Aufgabe verbunden ist, in keiner Weise gerecht wird.

- Eine Gärtnerin aus dem Kanton St. Gallen hat folgendes gemeldet: Für 45 Wochenarbeitsstunden und körperlich strenge Arbeit schauen Ende Monat lediglich 3350 Franken raus.

- "Weltweit anerkannte Qualität und höchste Präzision", das verspricht ein Ostschweizer Optik-Unternehmen seinen Kunden. Bei den eigenen Angestellten jedoch wird der Grundsatz, dass Qualität auch ihren Preis hat, mit Füssen getreten: Um die 3000 Franken monatlich bekommt nämlich ein Angestellter, der noch dazu in einem unbefristeten Verhältnis und auf Abruf beschäftigt wird.


Mindestlohnkampagne

Diese Einzelfälle illustrieren ein allgemeines Problem, das in der Öffentlichkeit viel zu wenig thematisiert wurde und wird. Das Ausmass erkennt man nicht, wenn man in Spartenzeitschriften bloss alle paar Monate mal wieder von den sogenannten "Workin Poor" hört. Um diesen unzumutbaren Umständen Abhilfe zu schaffen, hat ein linkes Komitee die Initiative "Für den Schutz fairer Löhne" initiiert. Diese sieht vor, dass künftig die Verfassung garantiert, dass jede arbeitstätige Person in der Schweiz mindestens 22 Franken in der Stunde verdienen soll. Dies entspricht einem Monatslohn von 4000 Franken. Zudem soll dieser obligate Mindestlohn regelmässig an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden. Es darf nicht erstaunen, dass der Bundesrat diese Initiative bereits ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfiehlt. Die direkten Interessen des nationalen Kapitals gehen nun mal vor. Es ist zu hoffen, dass vor der Abstimmung die Diskussion in die Öffentlichkeit getragen und dieses drängende Problem in breiteren Kreisen behandelt wird.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 09/10 - 69. Jahrgang - 15. März 2013, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2013