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VORWÄRTS/892: Die komplexe Situation in Mali


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04 vom 1. Februar 2013

Die komplexe Situation in Mali

von David Hunziker



Seit drei Wochen führen die Franzosen in Mali Krieg. Die vorgebrachten sicherheitspolitischen Gründe sind bestimmt nicht die ganze Wahrheit über die Gründe der Offensive. Es fragt sich allerdings, ob sich der Krieg auf das Motiv reduzieren lässt, in der Region Rohstoffe auszubeuten.


Die offizielle Geschichte zum Einmarsch der französischen Truppen in Mali lautet wie folgt: Aufgrund der zunehmenden Schwäche der malischen Armee gelingt es islamistischen Rebellen am 10. Januar, die Kleinstadt Konna einzunehmen und Richtung Mopti zu ziehen. Die strategische Bedeutung der Stadt Mopti ergibt sich daraus, dass sie den Zugang zur malischen Hauptstadt Bamako ermöglicht. Dioncounda Traoré, Präsident der Übergangsregierung, richtet darauf ein offizielles Gesuch um militärische Hilfe an die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, dem François Hollande umgehend nachkommt.

Bereits am 11. Januar attackieren französische Streitkräfte die Aufständischen mit Hubschraubern und Kampfjets. Mittlerweile sind gegen 2500 französische SoldatInnen im Einsatz, die von zahlreichen weiteren Staaten unterstützt werden. Dazu gehören unter anderem die USA, Grossbritannien, Deutschland, Italien, Russland sowie einige afrikanische Nachbarstaaten. Unter Leitung der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft haben sich über 4000 Soldaten aus acht afrikanischen Staaten für die Mission zusammengeschlossen.


UNO, NATO und EU für den Einmarsch

Neben der Breite dieser militärischen Allianz und dem offiziellen Hilfegesuch Traorés soll der Einmarsch auch durch die breite Zustimmung der malischen Bevölkerung und die Einwilligung internationaler politischer Organisationen legitimiert sein: Der UN-Sicherheitsrat unterstützt den Einsatz und erklärt ihn als mit dem Völkerrecht vereinbar, die NATO teilte ihre Unterstützung mit und die EU steuert gar einige hundert AusbilderInnen sowie finanzielle Unterstützung bei.

Das Problem dieser Geschichte ist nicht, dass sie entscheidende Faktenfehler aufweist, sondern dass sie die Ereignisse auf seltsame Weise verknüpft. Christoph Marischka von der deutschen Informationstelle Militarisierung weist in einem Radiointerview darauf hin, dass ein Militärschlag wie die "Opération Serval" - so nennt sich die Aktion der französischen Armee - unmöglich spontan durchgeführt werden könne. Die hochkomplexe Logistik erfordere eine lange Vorbereitung und Absprache unter den verschiedenen Landesfraktionen der eingesetzten Truppen. Vielmehr sei die Intervention ein Teil der Bemühungen Frankreichs, die Position als führende neokoloniale Macht in der Region zu behaupten. Ausserdem wird die Bedrohung durch wenige hundert islamistische Rebellen von vielen KommentatorInnen als minimal eingeschätzt.

Es leuchtet ein, dass Rohstoffe, vor allem Uran, dabei eine Rolle spielen. Frankreich bezieht beinahe 80 Prozent seines Stroms aus Atomkraft und weist dadurch nach den USA die zweitgrösste Nachfrage nach Uran auf. Allerdings spielt Mali selbst in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle, denn das französische Uran wird mehrheitlich durch den Areva-Konzern im Niger abgebaut. Auch wenn der unmittelbare Ursprung der Unruhen im Norden Malis, der in seiner Ausdehnung der Fläche Frankreichs entspricht, in den Blick genommen wird, sind weitere Teile der Region involviert.


Wer IslamistIn ist, darf auch getötet werden

Nachdem Gaddafi in Libyen mit französischer Hilfe gestürzt worden war, flüchteten tausende von Tuareg-Kämpfern, die nach dem gescheiterten Unabhängigkeitskampf in der Azawad-Region in der libyschen Armee gedient hatten, in den Norden Malis zurück. Ihre Organisation, die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (franz. Abkürzung MNLA), verfeindete sich im vergangenen Jahr aber zunehmend mit den zuvor noch verbündeten islamistischen Gruppierungen, die vom Ziel der Unabhängigkeit des Nordens abgekommen sind und stattdessen Versuche unternehmen, die Scharia einzuführen. Die MNLA wurde zurückgedrängt und mehrere Städte durch Gruppen wie die Ansar Dine oder den Al-Qaida-Ableger im Maghreb erobert.

Die Situation ist zu komplex, als dass der französische Eingriff auf die Eliminierung einzelner dieser Gruppen oder die Kontrolle einzelner Rohstoffquellen reduziert werden könnte. Klar ist, dass die französische Armee unter den gegenwärtigen Vorzeichen einer einheitlich organisierten islamistischen Bedrohung problemlos die Tode von zahlreichen Zivilisten mit dem Argument legitimieren kann, es habe sich dabei um islamistische Kämpfer gehandelt. Auch wenn es diese einheitliche Bedrohung nicht gibt und imperialistische Eingriffe gar mitverantwortlich sind für den Einfluss des radikalen Islam in der Region, ist die Kontrolle von weiten Teilen des Nordens durch Kräfte, die die Durchsetzung der Scharia in ganz Mali als erklärtes Ziel haben, ein Problem, das sich mit pazifistischen oder antiimperialistischen Floskeln nicht auflösen lässt. Dass der Krieg in der mehrheitlich muslimischen, aber religiös toleranten Zivilbevölkerung auf Zustimmung stösst, ist vor diesem Hintergrund verständlich.


Ein europäischer "Krieg gegen den Terror"

Oft wird die These geäussert, der Krieg in Mali sei der Beginn eines "Europäischen Kriegs gegen den Terror". Dazu führt etwa die Einschätzung, die Intervention Frankreichs, die auf der Ebene der EU über einen langen Zeitraum hinweg geplant wurde, ziele gerade auf das Gegenteil einer schnellen Lösung des Problems in Mali ab. Vielmehr verstricke sich Frankreich gerade wissentlich in einen Konflikt, der länger dauern könnte als zu Beginn vermutet und Mali eher destabilisieren als stabilisieren werde. Dazu passt auch, dass die Begründung für den Krieg derjenigen für den Afghanistan-Krieg, aus dem die französischen Truppen eben zurückgezogen wurden, auf's Haar gleicht.

Marischka weist im Hinblick auf dieses Szenario auf die innenpolitischen Folgen für Europa hin, die denen des "Kriegs gegen den Terror" in den USA ähnlich sein könnten: verstärkter Rassismus, die zunehmende Überwachung des Mittelmeerraums zur Kontrolle der Flüchtlingsrouten - die Kontrolle afrikanischer Gebiete kann als Aussenposten solcher Bemühungen gesehen werden - und Repression innerhalb der europäischen Staaten. Letzteres ist in Paris bereits zu beobachten: Weil die französische Regierung die Rache von IslamistInnen fürchtet, werden wichtige Plätze, Verkehrswege und Monumente derzeit durch die Armee geschützt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04/2013 - 69. Jahrgang - 1. Februar 2013 , S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2013