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VORWÄRTS/856: Spanien - Druck von unten aufbauen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 31. August 2012

Den Druck von unten aufbauen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik

von Peter Nowak



Die andalusische Arbeitergewerkschaft "Sindicato de Trabajadores" (SAT) in Sevilla bekennt sich in ihren Statuten zur "direkten Aktion". So hat sie in den letzten Wochen nicht zufällig mit Besetzungen von brachliegendem Land und der Aneignung von Lebensmitteln aus Supermärkten auf sich aufmerksam gemacht. Der vorwärts sprach mit Miguel Sanz Alcántara, dem Koordinator der SAT.


Frage: Miguel, Landbesetzungen und Aneignungsaktionen in Supermärkten gehören gemeinhin nicht zu den klassischen Gewerkschaftsaktivitäten. Warum greift die SAT zu solchen Mitteln?

Miguel: Beide Aktionen müssen getrennt diskutiert werden. Landbesetzungen gehören seit ihrer Gründung zu den Aktionsformen unserer Gewerkschaft. Die SAT wurde am 23. September 2007 gegründet. Eine ihrer Vorgänger war die andalusische Landarbeitergewerkschaft "Sindicato de Obreros de Campo" (SOC). Sie ist 1977 kurz nach dem Ende des Franco-Regimes entstanden. Dort waren neben einer maoistischen Strömung auch Sektoren der christlichen Linken aktiv. Schwerpunkt der SOG war die Organisierung der andalusischen Landarbeiter. Sie stützte sich dabei auf Erfahrungen, die während des Franco-Faschismus in den illegalen Kommissionen der TagelöhnerInnen "comisiones jornaleras" gemacht wurden. Dabei standen Landbesetzungen mit der Forderung nach einer Neuaufteilung des Bodens unter der bäuerlichen Bevölkerung im Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit.

Frage: Sind die Lebensmittelaneignungen eine neue Aktionsform?

Miguel: Wir haben uns die Lebensmittel aus den Supermärkten aneignet und unter den Erwerbslosen verteilt, um Druck auf die Regierung auszuüben. Sie muss die Grundbedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung sicherstellen. Es ist natürlich nicht möglich, mit 20 Einkaufswagen voller Lebensmittel die Folgen der Wirtschafskrise zu lindern. Aber wir wollten deutlich machen, dass in der Krise viele Menschen Not leiden. Sie müssen entscheiden, ob sie ihr geringes Einkommen für die Begleichung der Stromrechnung oder für Lebensmittel ausgeben, während die grossen Unternehmen mit Millionen subventioniert werden.

Frage: Hat die Umverteilungsaktion auch Zuspruch in autonomen und anarchistischen Kreisen gefunden?

Miguel: Es gab viel Zustimmung und auch Nachfolgeaktionen. Aber nicht alle waren im Sinne unserer Gewerkschaft. So hat eine Gruppe andalusischer Jugendlicher mit Bezug auf unsere Enteignung eine Aktion in einem Supermarkt durchgeführt, sich dabei aber vor allem auf alkoholische Getränke beschränkt. Davon hat sich die SAT distanziert.

Frage: Nach der Aktion gab es auch in Spanien eine heftige Debatte über die Legitimität der Aktion. Befürchten Sie eine weitere Repression gegen ihre Gewerkschaft?

Miguel: Die SAT wird von der Justiz seit Langem ökonomisch stranguliert. Wegen verschiedener Besetzungsaktionen musste unsere Gewerkschaft insgesamt 400.000 Euro Strafe zahlen. Weitere Repressalien gegen die SAT sind durchaus wahrscheinlich, aber wir fürchten uns nicht davor. Mittlerweile hat die SAT auch eine europaweite Spendenaktion initiiert. Die Kontodaten lauten: Sindicato Andaluz de trabajadores, IBAN: ES38 2106 0005 4121 2834 3229, BIC: CECAESMM 106.

Frage: Wie sieht es mit der Solidarität unter den anderen spanischen Gewerkschaften aus?

Miguel: Im Unterschied zu den grossen Gewerkschaften "Arbeiterunion" (UGT) und den "Arbeiterkommissionen" CCOO, die viel öffentliches Geld zur Verfügung haben, kann unsere Gewerkschaft ausschliesslich auf Eigenmittel zurückgreifen. Auf der Basisebene gibt es durchaus immer wieder eine Zusammenarbeit wie bei Streiks und sozialen Auseinandersetzungen. Aber die grossen Gewerkschaften sehen uns als Konkurrenten und haben natürlich kein Interesse daran, dass wir an Einfluss gewinnen. So wird SAT-Mitgliedern auf Demonstrationen das Rederecht verweigert. Wir sehen unsere Rolle vor allem darin, Druck von unten auch auf die grossen Gewerkschaften aufzubauen, damit sie eine kämpferische Politik machen und die Linie der Sozialpartnerschaft aufgeben.

Frage: Wie ist die Zusammenarbeit mit den in Spanien traditionell starken anarchosyndikalistischen Gewerkschaften?

Miguel: Wir haben gute Kontakte zu den anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaften in konkreten Auseinandersetzungen. Sie versuchen ebenso wie auch die CCOO verstärkt die Menschen mit prekären Jobs im wachsenden Dienstleistungssektor zu organisieren. Allerdings haben wir als SAT auf Grund unserer Geschichte eine Struktur, die es uns einfacher macht, diese Beschäftigten zu organisieren.

Frage: Hat die SAT damit die Konzentration auf die Organisierung der Landarbeiter aufgegeben?

Miguel: Für uns sind beide Sektoren wichtig. Wir haben natürlich auf die Veränderung der ökonomischen Strukturen reagiert. Während dort Ende der 70er Jahre überwiegend die Agrarstrukturen dominierten, ist in den letzten beiden Jahrzehnten der Dienstleistungssektor in den Städten kontinuierlich gewachsen. Die Beschäftigten sind oft junge Menschen, welche ihre Dörfer in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen verlassen. Doch sie finden in den Städten extrem prekäre Arbeitsplätze vor. Wir können unsere Erfahrung bei der Organisierung der Landarbeiter nutzen, wenn wir gewerkschaftliche Strukturen im prekären Dienstleistungsmilieu aufbauen.

Frage: Vor einigen Jahren entstand in Spanien die "Euromayday-Bewegung", die gezielt Prekäre aus dem Dienstleistungsbereich organisierte. Mittlerweile ist es ruhig darum geworden. War die SAT daran beteiligt?

Miguel: Ja, die SAT hat mit anderen ausserparlamentarischen Linken von Anfang an in der Euromayday-Bewegung zusammengearbeitet. Doch auch in Spanien hatte sie nur für einige Jahre eine grosse Zustimmung. Trotzdem sehen wir die Erfahrungen, die wir dort gesammelt haben, sehr positiv. Wir haben in der Mayday-Bewegung viel darüber gelernt, wie sich Prekäre im Dienstleistungssektor wehren und organisieren können. Dabei sehen wir die Mayday-Bewegung in einem grösseren Zusammenhang der Neuorientierung einer ausserparlamentarischen Linken, die weder in politischen Parteien noch in den bisherigen Gewerkschaften organisiert war und gleichzeitig auch eine Distanz zu der anarchosyndikalistischen Bewegung hat. In den 90er Jahren spielte in der Bewegung der Zapatismus eine grosse Rolle. Später kamen die theoretischen Schriften von Antoni Negri und Michael Hardt hinzu. Vor allem ihr Buch "Empire" hatte einen grossen Einfluss auf diese ausserparlamentarische Linke und die in Spanien starke globalisierungskritische Bewegung. Die zentrale These in "Empire" lautet, dass die Nationalstaaten und der klassische Imperialismus am Ende sind. Diese Vorstellungen gerieten 2003 mit dem Krieg gegen den Irak in eine Krise. Viele AktivistInnen sahen diese These durch den Krieg in Frage gestellt.

Toni Negri hingegen verlor in grossen Teilen der ausserparlamentarischen Bewegung an Sympathie, weil er sich hinter die EU in ihrer gegenwärtigen Form stelle. Viele AktivistInnen der ausserparlamentarischen Bewegungen der letzten Jahre sind jetzt bei der SAT aktiv.

Frage: Mit der Bewegung der "Empörten", die im letzten Jahr von Spanien in andere Länder ausstrahlten, scheint eine neue ausserparlamentarische Bewegung schon wieder Geschichte. Könnte die SAT davon profitieren?

Miguel: Die Bewegung der Empörten hat zu einer Stärkung der Basisgewerkschaften geführt. Viele AktivistInnen arbeiten jetzt bei der SAT mit. Dabei war in wenigen Monaten ein inhaltlicher Wandel zu beobachten. Die Empörten wandten sich in ihrer Gründungsphase pauschal gegen alle Organisationen. Deshalb durften auch SAT-Mitglieder dort nicht ihre Flugblätter verteilen. Doch nach einigen Monaten begannen die AktivistInnen zu unterscheiden zwischen Organisationen, die den Kapitalismus verteidigten oder reformieren wollten und solchen, die ihn bekämpften. Die Bewegung ist schwächer aber inhaltlich schärfer geworden. Die letzten grossen gewerkschaftlichen Mobilisierungen wären ohne sie nicht denkbar gewesen. Dabei ist vor allem der landesweite Generalstreik am 29. März dieses Jahres zu nennen.

Frage: War der Generalstreik eine einmalige Aktion oder sind weitere Aktionen geplant?

Miguel: Der Erfolg des 29. März bestand darin, dass die Auseinandersetzungen auf einem hohen Niveau geführt wurden und die Streikbeteiligung sehr gross war. Aber mit einen eintägigen Generalstreik, wie er von den grossen Gewerkschaften propagiert wird, ist es natürlich nicht getan. Auch nach dem 29. März gingen die Auseinandersetzungen in ganz Spanien weiter. Dazu gehören Landbesetzungen und Lebensmittelaneignungen aber auch der Bergarbeiterstreik in Andalusien, der durch den Marsch der Beschäftigten nach Madrid im ganzen Land ein grosses Echo fand. Zurzeit laufen die Vorbereitungen für einen Aktionstag am 15. September auf Hochtouren. Zudem gibt es Überlegungen, Mitte Oktober einen gemeinsamen, zeitgleichen Streik von Beschäftigten in Spanien, Italien und Griechenland zu organisieren. Wir wissen nicht, ob er zustande kommt. Er hätte aber für eine europaweite Organisierung gegen die Krisenfolgen eine grosse Bedeutung.


SAT

Seit ihrer Gründung 2007 hat die SAT ihre gewerkschaftlichen Tätigkeiten auf verschiedene Branchen der andalusischen Wirtschaft ausgedehnt. Vor allem im Dienstleistungssektor der öffentlichen Verwaltung und in kleinen Betrieben, wobei sie trotzdem nach wie vor Hauptbezugspunkt für die andalusischen Landarbeiterinnen ist. In der SAT sind mittlerweile über 10.000 Personen mit ganz unterschiedlichen Berufen organisiert wie UniversitätsprofessorInnen, Reinigungskräfte, KellnerInnen und Bauarbeiter. In ihren Statuten definiert sich die SAT als Klassengewerkschaft, antikapitalistisch, basisdemokratisch, internationalistisch, antipatriarchal, republikanisch und links, ausserdem bekennt sie sich zur direkten Aktion. Sie formt einen wichtigen Bestandteil der antikapitalistischen und radikalen Linken Andalusiens.

Homepage des Autors Peter Nowak:
http://peter-nowak-journalist.de/

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32/2012 - 68. Jahrgang - 31. August 2012, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2012