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VORWÄRTS/845: Testarbeitsplätze als rot-grüne Schande


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.29/30 vom 20. Juli 2012

Testarbeitsplätze als rot-grüne Schande

Von Siro Torresan



Auf dem Höhepunkt der Hetzkampagne von Rechtsfreisinn und SVP gegen den so genannten "Sozial-Missbrauch" führte 2010 die Rot-Grün-Mitte-Regierung der Stadt Bern die so genannten Testarbeitsplätze ein. Diese faktische Zwangsarbeit für SozialhilfebezügerInnen machte Schule und ist heute Normalität in weiten Teilen des Kantons Bern - und wohl bald auch an anderen Orten.


"Mit der Einführung der Testarbeitsplätze sollte den Sozialhilfebeziehenden, die als potentielle Drückeberger und SchwarzarbeiterInnen abgestempelt werden, das Fürchten gelehrt werden", erklärt Rolf Zbinden, Stadtrat der PdA Bern, auf Anfrage des vorwärts. In der Tat: Wer als Sozialhilfebeziehender einen Testarbeitsplatz ablehnt, verliert seinen Anspruch auf Unterstützung. Bereits ins seiner Intervention an der Stadtratssitzung vom 8. April 2010 wies Zbinden auf Folgendes hin: "Ziel und Zweck der Testarbeitsplätze werden vom Gemeinderat unmissverständlich formuliert: Es geht darum, renitente BezügerInnen von Sozialhilfe nicht nur mit der gesetzlich festgelegten Reduzierung der Sozialhilfe zu bestrafen - sondern sie aus der Sozialhilfe hinauszudrängen".

Die PdA Bern hat sich von Anfang an gegen das Pilotprojekt der Testarbeitsplätze ausgesprochen. "Die Umsetzung dieser Zwangsmassnahme hat alle unsere Befürchtungen bestätigt", erklärte nun Genosse Zbinden in seiner Intervention an der Stadtratssitzung vom 21. Juni 2012. Konzipiert als Mittel der Erpressung gegenüber Armutsbetroffenen haben sich die Testarbeitsplätze nahtlos in die Reihe jener Massnahmen eingereiht, die "im Zug vorauseilenden Gehorsams gegenüber den bürgerlichen Scharfmachern umgesetzt worden sind", hält Zbinden fest. Und er fügt hinzu: "Wahrlich eine sehr stolze Legislaturbilanz in Sachen Sozialpolitik! Die Versenkung der Testarbeitsplätze ist dabei das Mindeste, was wir unternehmen können. Denn Testarbeitsplätze als Berner Vorzeigeprojekt der Rot-Grün-Mitte-Regierung sind und bleiben eine Schande".


Wetten, dass...

Die Einführung der zehn Testarbeitsplätze in der Stadt Bern ist ein Paradebeispiel, wie auf undemokratische Weise durch die Hintertür auf die Schwächsten der Gesellschaft eingeprügelt wird. Eingeführt wurden die Testarbeitsplätze als Pilotprojekt für die Dauer von einem Jahr. Das hat unter anderem den grossen Vorteil, dass man unbequeme Fragen nach der demokratischen Legitimation unter den Teppich fegen kann, denn es handelt sich ja "nur" um ein "Projekt" und nicht um ein Gesetz. Die PdA Bern schreibt dazu: "Die Umwandlung zum Definitivum ist dann nur noch eine Frage der Zeit und des schlechten parlamentarischen Gedächtnisses". Und das Parlament der Stadt Bern vergisst offensichtlich sehr schnell: Zwei Jahre später ist das Pilotprojekt zur Normalität geworden, als wäre es vom gleichen Naturgesetz getrieben, das aus einer Raupe einen Schmetterling schlüpfen lässt. Mehr noch: Andere Gemeinden und Städte im Kanton haben das "Projekt" übernommen. Aus zehn Testarbeitsplätzen eines "Pilotprojekts" wurden einige hundert. Sie gehören heute zur Normalität in breiten Teilen des ganzen Kantons. Einmal zur Normalität geworden, können die Massnahmen problemlos verschärft werden. In Bern sieht das Modell vor, dass "ein Arbeitseinsatz nur dann verfügt wird, wenn sich dies im Einzelfall wegen der unklaren Situation aufdrängt", wie es der Informationsdienst der Stadt Bern so schön schwammig formuliert. In der Stadt Winterthur hingegen werden grundsätzlich alle(!) Personen, welche Sozialhilfe beantragen, zuerst zu einem einmonatigen Arbeitseinsatz verpflichtet, was den Zugang zur Sozialhilfe gezielt erschwert. Wetten, dass es weniger als drei Jahre dauert, bis in Bern das gleiche Regime wie in Winterthur herrscht!


Vom Opfer zum Täter

Stellt man die Testarbeitsplätze in einen breiteren gesellschaftspolitischen Kontext, wird folgendes klar: Die Hetze und die Repression gegen Armutsbetroffene verfolgen auch Ziele, die ausserhalb des Kreises der Direktbetroffenen liegen. Jede repressive Massnahme gegen SozialhilfebezügerInnen ist auch eine bestechend einfache und zugleich unheimlich wirkungsvolle Botschaft an die ArbeiterInnen im unteren Lohnsegment: Seid ruhig und artig, ProletarierInnen dieser Eidgenossenschaft, gebt euch mit den Krümeln zufrieden, die ihr bekommt. Wenn nicht, droht euch zur Strafe der noch tiefere Fall in die Sozialhilfe und dort wird das Leben definitiv zur Hölle. Ihr seid jetzt gewarnt. Denkt daher zwei oder gar drei Mal drüber nach, ob ihr für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen wollt.

Projekte wie die Testarbeitsplätze bieten sich auch bestens dazu an, um vom eigentlichen Grundübel abzulenken. Dies geschieht auf eine perfide Weise: Die Projekte werden der breiten Bevölkerung nicht als Massnahmen, sondern als Chance und Hilfe für die Direktbetroffenen verkauft. Wer dann trotz der "Hilfe" die "Chance" nicht packt, ist ganz einfach selber schuld. Nicht die kapitalistische Barbarei sei die Ursache von Armut, sondern der Direktbetroffene selbst. Das Opfer wird so quasi zum Täter, der bekämpft werden muss. Mit Bezeichnungen wie "Sozialschmarotzer" und "Sozialbetrüger" wird diese Verdrehung der Tatsachen tagtäglich in den Köpfen der breiten Bevölkerung zementiert. Die Herrschenden lenken so gekonnt von der Absurdität ab, dass in einem der reichsten Länder der Welt Menschen in Armut leben müssen.


Wie schon Rosa Luxemburg sagte: Sozialismus oder Barbarei. Und genau darum geht es auch im Kampf gegen die Testarbeitsplätze in Bern - oder wo auch immer sie eingeführt werden sollen!

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 29/30/2012 - 68. Jahrgang - 20. Juli 2012, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2012