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VORWÄRTS/816: Die Namen berichtigen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.15/16 vom 6. April 2012

Die Namen berichtigen

Von Taki Idri



Die linke Bewegung steckt in einer schwierigen Lage: Soll sie die Gewalt in Syrien verurteilen oder mit allen Mitteln eine mögliche Intervention verhindern? Die Veranstaltung der Kommunistischen Jugend Zürich beschäftigte sich mit dieser Problematik, um mehr Klarheit zu schaffen.


Zwanzig politisch interessierte Menschen fanden sich am 16. März im kleinen Zürcher Lokal an der Langstrasse, im "Punto d'incontro", zusammen. Zwanzig erwartungsvolle Augenpaare waren auf den älteren Herrn in ihrer Mitte gerichtet. Man lauschte einem Vortrag, der an Brisanz nicht zu überbieten ist - in einer Zeit, in der die Kriegstrommeln des Imperialismus alles zu überschallen versuchen. Der Referent Klaus von Raussendorf sollte uns "die Namen berichtigen". Denn der Einfluss der kapitalistischen Ideologie ist gewaltig: Da wir hauptsächlich von unserer Gesellschaft geprägt werden und diese Gesellschaft eine kapitalistische ist, muss sich ihre Ideologie unweigerlich tief in unser Denken einnisten. Eine Klärung der Begriffe, die wir benutzen, ist also dringend notwendig. Zeit, uns die Begriffe, welche uns das System genommen und entfremdet hat, wieder anzueignen.


Völkerrecht und Volkssouveränität

Im Wesentlichen drehte sich der Vortrag um den Begriffskomplex von Völker- und Menschenrecht im Verhältnis zur Volkssouveränität. Das Völkerrecht ist bekanntlich das zu Grunde liegende Recht aller internationalen Beziehungen. Also: Fundament der Uno, juristische Grundlage von Verträgen und Interaktionen der Staaten. Dabei ist das Völkerrecht aber selbst nicht grundlagenfrei. Der feste Boden, auf dem es steht, ist die Souveränität der Völker, also das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Das gesamte Völkerrecht beruht auf der Annahme von souveränen Staaten. Verträge abschliessen, handeln, Diplomatie betreiben kann nur, wer souverän, wer eigenmächtig ist. Ein Vertrag mit einem fremdbestimmten Staat ist kein gültiger Vertrag. Das Völkerrecht ist Recht, weil es alle Staaten, die ihm unterstehen, als souveräne Staaten ansieht. Hier liegt denn auch der Hund begraben: Die Souveränität der Nationen ist nicht nur Teil des Völkerrechts, sie geht dem Völkerrecht voraus, sie ist dessen Grundlage. Wer also diese Souveränität angreift, der greift das Völkerrecht insgesamt an. Aber mit eben diesem Generalangriff auf das Völkerrecht haben wir es mittlerweile zu tun. Krieg und Intervention, also die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, bedeuten die Auflösung seiner Souveränität. Ein solcher Eingriff kann nur dann legitim sein, wenn ein Staat selbst die Souveränität anderer Staaten einschränkt - wenn er also einen Krieg führt, selbst interveniert. Innert des letzten Jahrzehnts wurden jedoch Kriege geführt - Afghanistan, Irak, Libyen - die offen und völlig die Souveränität der jeweiligen Nationen missachten. Es gibt also die Tendenz zur Auflösung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.


Menschenrecht als Kriegstrommel

Die Rechtfertigung der westlichen, imperialistischen Staaten für ihre Kriege ist weitgehend dieselbe: die Einrichtung der Menschenrechte. Kein Krieg, wo nicht zuvor auf die gravierende Missachtung der Menschenrechte in dem Staat hingewiesen wird, der dann bombardiert werden soll. So vor dem Krieg gegen Afghanistan, so vor dem Krieg gegen den Irak, so vor dem Krieg gegen Libyen - so momentan gegenüber Syrien. Diese Argumentation ist zunächst einseitig. Sie bezieht sich auf die bürgerlichen, die individuellen Menschenrechte der Person, die angeblich oder tatsächlich nicht verwirklicht sind. Ignoriert wird hingegen, dass es einen weiteren Menschenrechtskatalog gibt: den der sozialen Menschenrechte. Diese waren etwa in Libyen grösstenteils verwirklicht. Ein Land, in dem das "Recht auf Arbeit" bestand. In der Argumentation mit den Menschenrechten sind die imperialistischen Staaten also willkürlich. Gleichwohl sind sie auch verlogen. Beiden Menschenrechtskatalogen geht das Selbstbestimmungsrecht der Völker voraus. Den Menschenrechtskatalogen wird explizit die Erklärung vorausgeschickt, dass die Grundlage der Menschenrechte die Volkssouveränität sei. Es ist aber genau diese Volkssouveränität, die mit jedem Krieg, jeder Intervention gebrochen wird. Wer also die Menschenrechte ins Feld führt, um Kriege zu beginnen, der wird am Ende den Krieg haben und die Menschenrechte zerstören. Entsprechend überrascht es nicht, dass die sozialen Errungenschaften Libyens den Nato-Bombenkrieg nicht überlebt haben. Es zeigt sich hier eine Tendenz des modernen Bürgertums: Es muss sein eigenes Recht (Völkerrecht ist bürgerliches Recht) brechen, um seine Interessen durchzusetzen. Entsprechend ist es eine legitime Taktik der kommunistischen Bewegung, sogar eine momentane Notwendigkeit, das Völkerrecht hochzuhalten. Es geht darum, zu zeigen, dass Recht gebrochen und der imperialistische Krieg vorbereitet wird. In der Konsequenz heisst das, dass unsere Solidarität gegenwärtig all jenen Staaten gelten muss, die auf diese Weise angegriffen werden. Syrien und Iran. Solidarität, das ist: Verhindern, dass Krieg geführt wird; verhindern, dass man sich einmischt - aufzeigen, dass die starre Fokussierung auf die Menschenrechte das Schlagen der Kriegstrommel weiter anheizen wird.


Die Position der Herrschenden ablehnen

Darauf lief auch die anschliessende Diskussion hinaus: Die anwesende Vertreterin der GSoA betonte zwar, dass die GSoA eine Militärintervention unter allen Umständen ablehnen würde. Nun legt die GsoA aber ihr Augenmerk einseitig auf die Gewalt des syrischen Regimes gegen seine Oppositionellen. Sie setzt der unüberhörbaren Kriegs- und Interventionshetze des Westens nichts entgegen. Damit öffnet sie den imperialistischen Aggressoren letztendlich Tür und Tor nach Syrien. Dass der "Regime Change", in welcher Form auch immer, dass erklärte Ziel der westlichen Staatengemeinschaft ist, wird schlichtweg übersehen. Verständlich, dass sich die GSoA-Position an jenem Abend nicht durchsetzen konnte. Hingegen klingt der Rat von Klaus von Raussendorf nach: bei unseren jeweiligen Regierungen geschlossen auf eine Verurteilung jeglicher Interventionen und auf die Aufhebung von völkerrechtswidrigen Sanktionen bestehen! Die Veranstaltung der Kommunistischen Jugend Zürich hat gezeigt, dass man die Propaganda der Herrschenden weder widerspruchslos hinnehmen muss, noch darf. Auch dann nicht, wenn sie schon zur Position von Teilen der Linken geworden ist.

Taki Idri ist im Vorstand der Kommunistischen Jugend Zürichs.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16/2012 - 68. Jahrgang - 6. April 2012, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2012