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VORWÄRTS/804: Grundeinkommen und die Gewerkschaften


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.07/08 vom 24. Februar 2012

Grundeinkommen und die Gewerkschaften

Von Johannes Supe


"Das bGE stärkt die Verhandlungsposition der Arbeitenden gegenüber den Arbeitgebern." - so tönt das häufigste Argument linker Verteidigerinnen des Grundeinkommens. Welche Auswirkungen das bGE tatsächlich auf die Gewerkschaften Und die Lohnentwicklung hat, betrachtet der vorwärts.


Wieder einmal geht es um die Arbeitskraft. Diese ist eine Ware. Sie lässt sich kaufen und verkaufen. Dem Arbeiter bleibt nichts anderes übrig, als seine Arbeitskraft gegen Lohn zur freien Verfügung der Bourgeoisie zu stellen. Wie viel die Arbeiterin für den Verkauf ihrer Arbeitskraft erhält, wie hoch ihr Lohn also ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von der Stärke und dem Organisationsgrad der Arbeiterklasse, von kulturellen Notwendigkeiten sowie der Qualifikation der Arbeitskräfte. Da die Arbeitskraft aber eine Ware ist, wird ihr Preis zusätzlich durch ihre Produktionskosten bestimmt - die Produktionskosten der "Ware Arbeit" sind aber vornehmlich die Reproduktionskosten der Arbeiterin/des Arbeiters. Diese Reproduktionskosten spiegeln das Geld wieder, dass die Arbeitenden mindestens brauchen, um sich am Leben zu erhalten und auch im nächsten Monat noch arbeiten zu können. Simpel gesagt müssen die Arbeitenden also mindestens so viel Gehalt erhalten, um Nahrung, Wohnung und Erholung ihrer Kräfte gewährleisten zu können. Dieser Faktor ist wesentlich, er bestimmt grossteils die Höhe des Lohns.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird die "Reproduktion des Lebens der Arbeitenden" in die Hände des Staates legen. Indem das bGE jedem und jeder ArbeiterIn ein Existenzminimum auszahlt, übernimmt der Staat jene Kosten, die jetzt von den Firmen getragen werden müssen. Die Arbeitenden erhalten vom Staat das zum Überleben notwendige Geld. Damit entfallen für die Unternehmer die Produktionskosten der "Ware Arbeit". Wenn aber die Produktionskosten sinken, so sinkt auch der Preis der Ware - die Löhne werden massiv fallen.

Die Vertreter der Bourgeoisie, die ein bGE propagieren, sind sich dessen durchaus bewusst. Der Milliardär Götz Werner: "Nehmen wir an, eine Krankenschwester verdient 2.500 Euro. Nach Abzug (!) des Bürgergeldes von 1.300 Euro müsste das Krankenhaus ihr noch 1.200 Euro bezahlen. Sie hätte danach gleich viel, aber ihre Arbeitsleistung wäre für das Krankenhaus viel leichter zu finanzieren." Auch Daniel Häni, Vertreter der "Initiative Grundeinkommen" in der Schweiz und Betreiber eines Cafés mit Millionenumsatz, spricht die Konsequenz des bGE an: "Die Menschen, die [in meinem Unternehmen] arbeiten, würden [mit dem Grundeinkommen] bereits ein Einkommen mit an den Arbeitsplatz bringen. Das heisst: Die direkten Arbeitskosten würden geringer, ich müsste weniger bezahlen, aber ohne, dass die Mitarbeiter dadurch weniger Geld zur Verfügung hätten."


Gewerkschaftsschwund

Die Kürzung von Löhnen bleibt nicht ohne Folgen. Selbst dann nicht, wenn die Arbeitenden scheinbar weiterhin den gleichen Betrag verdienen. Wenn der Staat mittels des bGE die Reproduktionskosten des Lebens trägt, stellt sich die Frage, woher der Staat das dazu nötige Geld nimmt. An dieser Stelle greifen wir auf eine der nächsten Nummern des vorwärts voraus und sagen: Es werden die Arbeitenden selbst zahlen müssen - sie werden also doch drastische Einkommenseinbussen hinnehmen. Interessant ist jedoch auch, was dies für die Gewerkschaften bedeutet. Die Lohnverhandlungen im Rahmen eines GAV sind noch immer ihre dringendste und eigentliche Aufgabe. Durch das bGE wird ihre Position in Lohnverhandlungen allerdings massiv geschwächt. Der Organisationsgrad der Arbeitenden in Gewerkschaften in der Schweiz ist niedrig. Nur etwa jeder vierte Arbeitende ist Gewerkschaftsmitglied. Deshalb fällt es vielen Gewerkschaften bereits unter den jetzigen Voraussetzungen schwer, gute Lohnabschlüsse zu erzielen. Zudem unterliegen nur etwa 50 Prozent aller Arbeitenden überhaupt einem GAV. In dieser prekären Situation würde das bGE einen entscheidenden Schlag gegen Gewerkschaften bedeuten. Mit dem bGE als "Zusatzeinkommen" der Arbeitenden im Rücken, werden die Arbeitgeber sich Lohnforderungen noch erfolgreicher erwehren können. Zugeständnisse für die Arbeitenden werden durch die Gewerkschaften noch schwerer zu erreichen sein. Die Konsequenzen sind offensichtlich: Austritte aus den Gewerkschaften, noch niedrigere Mitgliederzahlen derselben und entsprechend eine immer weiter verschlechterte Verhandlungsposition.


Niedriglohnsektor

Erschwerend kommt noch hinzu, dass das bGE einen Bereich der Niedriglohnarbeit aufbauen und erweitern wird. Thomas Straubhaar, Leiter des Weltwirtschaftsinstitutes in Hamburg, formuliert es so: "Wir müssen [mit dem bedingungslosen Grundeinkommen] aber auch akzeptieren, dass es extrem niedrige Löhne geben kann." Dahinter stehen die Erkenntnisse, die man aus dem deutschen Verarmungsprogramm "Hartz IV" gewonnen hat. Wo die Menschen nur knapp über dem Existenzminimum leben - wohlgemerkt jenem, dass das bGE garantieren will! -, sind sie bereit, auch die am schlechtesten bezahlten Arbeiten auszuführen, um sich etwas "dazuzuverdienen". In Deutschland sind das Arbeiten für 1,50 Euro oder 2 Euro die Stunde. Sie werden massenhaft angenommen. Mit der Einführung des Grundeinkommens wird dieser Bereich der Niedriglohnarbeit explodieren. Das bGE wird ein gewaltiges Heer an billigen und billigsten Arbeitskräften schaffen. Dies wäre schon an und für sich problematisch, doch zeigt die Erfahrung aus dem Nachbarland, dass die Konsequenzen für die Gewerkschaften wiederum besonders bedrohlich sind: Gerade in diesem Niedriglohnbereich ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad extrem niedrig. Der wachsende Druck in diesem Sektor, die Anspannung und die Austauschbarkeit der Arbeitskräfte erschweren die gewerkschaftliche Arbeit enorm.


Zerstörung der organisierten Arbeiterklasse

Die Wirkung des bGE auf die Gewerkschaften ist also enorm. Es bedeutet in ihrem Kampf keinerlei Erleichterung, es bringt für sie keine stärkere Verhandlungsposition. An dieser Stelle sei auf die Bedeutung der Gewerkschaften (trotz aller berechtigter Kritik) hingewiesen. Die Gewerkschaften sind defensive Einrichtungen der ArbeiterInnen. Sie sind nur in den wenigsten Fällen revolutionär und momentan stehen sie unter der Leitung von Grünen und SozialdemokratInnen. Sie sind aber gleichzeitig der einzig ernstzunehmende Verbund der Arbeiterklasse in der Schweiz. Eine Partei, die diese Aufgabe übernimmt, gibt es nicht - die SP verlor diese Rolle 1918; die PdA ist noch nicht stark genug - und die Gruppen der radikalen Linken werden von der Arbeiterklasse weithin ignoriert. Entsprechend ist auch die Bedeutung des Grundeinkommens nicht zu unterschätzen: Es stellt nicht nur einen Angriff auf die Gewerkschaften, sondern einen Angriff auf die organisierte Arbeiterklasse insgesamt dar.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08/2012 - 68. Jahrgang - 24. Februar 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2012