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VORWÄRTS/798: Arbeit und Arbeitslosigkeit mit dem bGE


vorwärts - die sozialistische Zeitung, Nr.05/06 vom 10. Februar 2012

Arbeit und Arbeitslosigkeit mit dem bGE

Von Johannes Supe


In der kapitalistischen Gesellschaft existiert ein mal mehr, mal weniger stark ausgeprägter Widerspruch zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen. Jeder und jede kennt die Hetze vom "Sozialschmarotzer" - da erscheint ein repressionsfreies Grundeinkommen verlockend. Der vorwärts betrachtet dessen Auswirkungen auf das Verhältnis von Arbeitenden und Arbeitslosen.


Die Arbeit ist im Widerspruch zum Kapital wie auch zur Arbeitslosigkeit; der Arbeiter steht im Gegensatz zur Kapitalistin wie auch zum Arbeitslosen. Der Widerspruch von Arbeit und Kapital dürfte weithin bekannt sein, wie es auch bekannt ist, dass die Arbeiterklasse einen stetigen Kampf gegen die Bourgeoisie führt. Der Gegensatz von Arbeitslosigkeit und Arbeit dient hingegen weithin dem Kapital. Das Heer der Arbeitslosen wird von Marx als "industrielle Reservearmee" bezeichnet. Diese Reservearmee ist der Bourgeoisie durchaus nützlich: In ihr sieht der/die Bourgeois/e die Möglichkeit, seine/ihre Arbeitskapazität bei Bedarf aufzustocken und, wichtiger, die Löhne der Arbeiterinnen möglichst niedrig zu halten. Durch die Existenz von Arbeitslosen wird die Konkurrenz um Arbeitsplätze erhöht, denn es gibt mehr Arbeitskraft, als das Kapital tatsächlich benötigt. Durch dieses "Überangebot" an Arbeitskraft wird der Preis der "Ware Arbeitskraft" gesenkt - der Lohndruck steigt, der/die Kapitalistin muss tendentiell weniger Lohn zahlen. Der Widerspruch zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen liegt also vor allem darin, dass die Arbeitslosen die Kampfbedingungen der Arbeitenden verschlechtern. Es verwundert daher auch nicht, dass es der Bourgeoisie immer wieder gelingt, den tatsächlichen Klassenkampf (zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie) zu verschleiern und den Widerspruch von Arbeit und Arbeitslosigkeit als Hauptwiderspruch darzustellen. Ganz praktisch: Die SVP-Hetze vom "Sozialschmarotzer" hat hier ihren Kern, findet deshalb auch Anklang. Dass die Arbeitslosigkeit im Kapitalismus strukturell ist, dass sie der Kapitalistenklasse durchaus wünschenswert ist, das erwähnt die SVP - wie der gesamte Rest der Bourgeoisie - nicht. Die Arbeitslosigkeit ist eben auch deshalb nützlich, weil sie genutzt werden kann: um die Arbeitenden von ihren eigentlichen Gegnerinnen abzulenken.

Das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) von linker Seite (etwa das Modell der "Linken") will den Widerspruch zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen auflösen oder abmildern. Wie "erfolgreich" das bGE darin sein kann, muss analysiert werden.


bGE: Illusion und Wirklichkeit

Die Hoffnungen über die Lösung oder zumindest Milderung des widerspruchsvollen Verhältnisses von Arbeitenden und Arbeitslosen durch das bGE beruhen hauptsächlich auf dem Gedanken, dass das bGE "von der Arbeit unabhängig" macht, also den Konkurrenzdruck um Arbeitsplätze verringert. Wenn - so die Argumentation - auch den Nicht-Arbeitenden ein Leben ermöglicht wird, wird der Andrang um die bestehenden Arbeitsplätze geringer, also auch der Lohndruck schwächer. Die Möglichkeiten, Arbeitende gegen Arbeitslose auszuspielen, entfallen.

Was von dem Anspruch des bGE auf die "Emanzipation der Menschen von der Arbeit" zu halten ist, wurde bereits im letzten vorwärts dargelegt. Vergessen wird insbesondere, dass durch die Arbeitslosenversicherung bereits jetzt ein (Über-)Leben ohne Arbeit möglich ist. Trotzdem ist das Konkurrenzverhältnis nicht aufgelöst worden. Im Gegenteil nimmt die Gehässigkeit gegenüber Sozialhilfe- und ArbeitslosengeldbezügerInnen stetig zu. Weiterhin ist jeden Tag ersichtlich, dass gegen die Umstände, unter denen auf Sozialhilfe und Arbeitslosengeld zurückgegriffen wird, nichts getan wird. Zumal: Erstens kann die Arbeitslosigkeit als strukturelles Phänomen des Kapitalismus nur schwerlich unter Beibehaltung der Profitlogik bekämpft werden, zweitens will die Bourgeoisie es nicht - lieber eine Armee in Reserve als eine einige Arbeiterklasse. Illusorisch also, wenn angenommen wird, dass ein bGE im kapitalistischen Staat den Arbeitslosen ein gutes Leben ermöglicht.

Die BefürworterInnen des bGE ziehen sich deshalb auf eine zweite Argumentationslinie zurück. Da das bedingungslose Grundeinkommen "bedingungslos" ist, entfallen zumindest amtliche Repressalien und schikanöse Bedarfsabklärungen für jetzige Bezügerinnen von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. Dieser Punkt ist durchaus valid - und für viele Bezügerinnen dürfte die Aussicht auf Freiheit von endlosen staatlichen Kontrollen einen sehr berechtigten Reiz ausüben.


Gegenläufige Interessen

Allerdings verschwindet dieser positive Effekt des bGE vor seinen weiteren Auswirkungen. Wenn ein bGE einmal eingeführt ist, wird es auch finanziert werden müssen. [Über die Finanzierung des bGE wird der vorwärts noch ausführlicher berichten. Vorab begnügen wir uns mit den einfachsten Darstellungen.] Da das bGE ein Projekt ist, welches mit mehreren Hundert Milliarden (!) zu Buche schlägt, darf davon ausgegangen werden, dass die Steuerbelastung steigen wird. Je höher der Betrag des bGE ist, desto höher wird auch die Belastung für die werden, die es erwirtschaften - die Arbeitenden. Genau hier liegt aber die Crux der Sache: Im Interesse der Arbeitslosen ist ein möglichst hohes bGE. Da es ihre einzige Einkommensquelle ist, muss es der Schicht der Arbeitslosen daran gelegen sein, ein bGE in seinem bescheidenen Rahmen so weit wie möglich, also in einem so hohen Betrag wie es irgend geht, auszugestalten. Das Interesse der Arbeitslosen wird das bGE in grösstmöglichem Umfang sein.

Die Tendenz der Arbeitenden ist die gegenläufige. Da die Belastungen eines bGE aller Wahrscheinlichkeit nach auf sie abgewälzt werden, liegt den Arbeitenden wenig an einem Umfänglichen Grundeinkommen. Je höher das bGE, desto höher die Steuerlast. Wenn aber die Steuerlast steigt, so wird das Einkommen der Arbeitenden, welches über das bGE hinausgeht, immer geringer. Und sogar wenn - was kaum denkbar ist - die Steuerlast nicht auf den Arbeitenden liegt, haben schon jetzt Prominente Vertreter des bGE (etwa Götz Werner oder Daniel Häni) angekündigt, dass die Löhne wohl um den gleichen Betrag sinken werden, die das bGE beinhaltet. Was folgt ist klar: Das Interesse der Arbeitenden ist ein bGE im möglichst niedrigen Umfang.


Generalisierter Widerspruch

Die Situation zwischen den Arbeitenden und den Arbeitslosen mit einem Grundeinkommen ist also widerspruchsvoller denn je: Das bGE erzeugt direkt widerstrebende Interessen in Arbeiterklasse und der Schicht der Arbeitslosen. Vom Standpunkt der "linken" BefürworterInnen des bGE muss die Sozialutopie, die es darstellt, also scheitern. Eben: Es ist eine asoziale Utopie, bar jeden materialistischen Gehalts. In seiner Konsequenz löst das bGE die Widersprüche nicht auf - das bedingungslose Grundeinkommen bringt den Widerspruch auf eine neue Ebene und generalisiert ihn zudem noch. Zwangsläufig, denn die wirkliche Ursache vom Spalt zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen bleibt mit dem bGE bestehen: das Privateigentum an Produktionsmitteln mit all den Konkurrenzverhältnissen, die es erzeugt, ist weiter intakt. Ergo: Der Widerspruch von Arbeitenden und Arbeitslosen bleibt solange bestehen, wie der Kapitalismus besteht.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische Zeitung.
Nr. 05/06/2012 - 68. Jahrgang - 10. Februar 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012