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VORWÄRTS/768: Schweizer Wahlen - And the winner is...


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 39/40/2011 vom 4. November 2011

And the winner is...

von Thomas Schwendener


Die Wahlen sind vorbei. Die Gewinnerinnen stehen fest. Es sind die neuen Mitteparteien: Die "Grünliberale Partei" (GLP) und die "Bürgerlich-Demokratische Partei" (BDP). Ein Blick ins Parteiprogramm und in die Geschichte.


Die nationalen Wahlen haben sich einmal mehr als Wahlen um die saubersten Gesichter und markigsten Sprüche auf den omnipräsenten Plakatwänden herausgestellt. Es wurde viel mit simplifizierenden Parolen und mit Personalisierungen gearbeitet. Es scheint nicht sehr erstaunlich, dass die 2007 als nationale Partei gegründete GLP in diesem Wettbewerb gut abschneiden konnte - gerade auch weil Fukushima noch nicht ganz vergessen sein dürfte. Die Partei passt ideal ins wenig sagende und gleichzeitig viel versprechende Wahlkampfgetöse der vergangenen Wochen. Sie gibt vor, vorher Unversöhnliches zu versöhnen, nämlich ökologische Anliegen mit einem liberalen Weltbild. So gelang es ihr nach aktuellen Umfragen vor allem Stimmen aus dem Umfeld von SP und FDP für sich zu gewinnen. Als WählerIn entscheidet man sich für eine "zukunftsorientierte" grüne Politik, macht sich aber nicht die Hände an sozialer oder gar sozialistischer Ausrichtung schmutzig. Die zweite Siegerin der Wahlen, die BDP, konnte sich vor allem auf Kosten der FDP stärken. Eine "neue Kraft" der Mitte scheint in Zeiten der Krise für viele Leute vielversprechend.


Die Stunde der Volksparteien

Auf der Frontseite ihrer Homepage erklärt die GLP, dass sie "Politik für die Allgemeinheit machen und nicht Partikularinteressen verfolgen" wolle. Auch die BDP gibt zu Protokoll, dass sie eine nüchterne "Sachpolitik> für die "Zukunft der Gesellschaft" machen will - gänzlich frei von anrüchigen Einzelinteressen. Das ist ein allgemeiner Trend, der einer historischen Entwicklung folgt Unsere Gesellschaft ist nach wie vor eine Gesellschaft, die von einem unversöhnlichen Widerspruch geprägt ist: Ein Grossteil der Menschen produziert Wert und Mehrwert und ein kleiner Teil besitzt die dazu erforderlichen Produktionsmittel und eignet sich den produzierten Mehrwert an. Im Kleinen wie im Grossen gibt es ihn eben immer noch: Den Klassenkampf. Ob bei Streiks, an Demonstrationen oder im täglichen Aufbegehren und dissidenten Verhalten jener, die wenig ausser ihrer Arbeitskraft haben. Aber vor allem gibt es den Klassenkampf von oben: in Form eines gross angelegten Angriffs auf die Lebensbedingungen der Proletarisierten. Vor diesem Hintergrund war es eine wichtige historische Pazifizierungsleistung der bürgerlichen Gesellschaft, den Klassenkampf zu grossen Teilen aus den Arbeitsstätten und von den Strassen ins Parlament zu verlagern und ihn so zu "verrechtlichen". In einem zweiten, später folgenden Schritt, transformierten sich dann die Interessensvertreter der Arbeiterklasse und des Kapitals in Vertreter des Allgemeininteresses. Es schlug die grosse Stunde der "Volksparteien". Und damit sind nicht nur jene Parteien gemeint, die das in ihrem Namen tragen: Heute versuchen fast sämtliche Parteien sich als Vertreter des Gemeinwohls darzustellen und die auseinanderstrebenden Interessen der Klassen auszugleichen. Damit hat man auch den Blick von den Produktionsverhältnissen abgewandt und widmet sich der blossen Verteilungsebene. Teilweise mit etwas mehr sozialer Verzierung, häufig aber - wie im Falle der GLP und der BDP - ziemlich offen und rücksichtslos. Der Wahlerfolg der beiden neuen Kräfte scheint darauf hinzuweisen, dass es den etablierten Volksparteien in Zeiten der Krise immer weniger gelingt, die verschiedenen und teilweise widersprüchlichen (Klassen-)Interessen ihres Klientels unter einen Hut zu bringen.


Das Programm der GLP

Wenn man einen Blick ins Parteiprogramm der Parteien wirft, dann wird meist recht schnell deutlich, was mit dem Allgemeininteresse eigentlich gemeint ist: Das Interesse der Wirtschaft, die Sicherung des Kapitals als gesellschaftlichem Verhältnis. So wimmelt es in den Veröffentlichungen der ursprünglich von den Grünen abgespaltenen GLP nur gerade so von "wirtschaftsfreundlichen" Formulierungen. Da wird von einer "Offenheit gegenüber Gesellschaft und Forschung" gesprochen, aber klargestellt, dass das vor allem im Dienste der überall so hoch geschätzten KMUs geschehen müsse. Im Klartext heisst das, dass die Forschung und gesellschaftspolitischen Eingriffe zugunsten des "Rückgrats" der Schweizer Wirtschaft erfolgen müssen. Da wird davon gesprochen, dass das "Konkurrenzprinzip in seiner heutigen Ausprägung umweltzerstörerisch wirke", aber als Gegenmittel nur "marktwirtschaftliche Steuerinstrumente" zulässig seien. Das bedeutet, dass grundsätzlich nichts am wirtschaftsliberalen Modus geändert werden soll und so kulminiert die GLP-Argumentation dann auch im frommen Appell an die Verantwortlichen der Wirtschaft - man solle doch verantwortlich handeln. Die GLP spricht auch davon, dass die "Sozialleistungssystem" so ausgestaltet werden müsse, "dass es im Interesse der Menschen liegt, einer Arbeit nachzugehen". Die "Hilfe zur Selbsthilfe" solle im Zentrum stehen. Das bedeutet nichts anderes, als dass man die Sozialversicherungen soweit zusammenstreichen soll, dass es die Armen in ihrer "Hängematte" nicht mehr aushalten. Der Staat solle letztlich "wie ein modernes Dienstleistungsunternehmen funktionieren" und so müsse man auch berücksichtigen, dass der Service Public von privaten Anbietern im Wettbewerb oftmals effizienter übernommen werden könne. Die Freiheit, auf die die GLP so viel hält und die sie immer wieder erwähnt, ist auf der einen Seite die Freiheit des Kapitals und auf der anderen Seite die bekannte doppelte Freiheit der ArbeiterInnen: Diese haben die Freiheit, Lohnarbeit leisten zu können, sind aber auch frei von Produktionsmitteln.

Ansonsten sind die parteipolitischen Verlautbarungen der "jungen und dynamischen" GLP vor allem eine Ansammlung von wenig sagenden Allgemeinplätzen mit populistischem Anstrich: Nachhaltigkeit, Pragmatismus, Freiheit, Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft. Für einmal brachte es ein Journalist des "Tagesanzeiger" ganz gut auf den Punkt, als er schrieb: "Das Leitbild der Partei ist ein Wohlfühlprogramm für gut verdienende Gutmenschen". Und für das Kapital möchte man anfügen.


Die BDP

Bei der zweiten Siegerin der Wahlen, der BDP, liegt die Sache auch für jene offener zu Tage, die sich nicht mit ihrem Parteiprogramm auseinandergesetzt haben. Die Partei ist eine klassische Mittepartei, die nach neueren Untersuchungen im Rechts-Links-Schema nahe an der CVP politisiert. Auch sie weiss mit populistischen Allerweltsphrasen aufzutrumpfen. Die "Neue Kraft" teilt natürlich mit fast allen Parteien, dass sie vor allem das Wohlergehen der Wirtschaft im Auge hat und entsprechend immer den Abgleich mit den Anforderungen des Kapitals macht. Das bedeutet dann auch, dass man die Sozialversicherungen "für künftige Generationen" stabilisieren will. Was im Klartext bedeutet, dass man das Defizit verringern will indem man einen "wohlüberlegten" Abbau betreibt. Von der SVP, von welcher sich die BDP abgespaltet hat, unterscheidet sich die Partei aber mittlerweile in einigen Punkten deutlich: So gibt sie sich in Fragen der Aussenpolitik deutlich liberaler und auch mit rassistischen Ausfällen hat man bei der neuen Mittepartei selten zu rechnen. Bemerkenswert ist zudem, dass sie sich für "grüne" Themen erwärmt und erklärt, dass man "der Umwelt die volle Aufmerksamkeit" schenken müsse. Eines ist klar: Die Mitte ist grüner geworden. Linker aber - auch im Sinne einer etatistischen Ausprägung - auf keinen Fall. Beide Gewinnerinnen der Wahlen verkörpern mustergültig, was noch immer der Trumpf der Stunde ist: Eine "Volkspartei" die sich im Endeffekt klar für die freie Entfaltung des Kapitals einsetzt - bei gleichzeitigem Ausgleich antagonistischer gesellschaftlicher Interessen.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40/2011 - 67. Jahrgang - 4. November 2011, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2011