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VORWÄRTS/670: Jugendhäuser und Jugendtreffs - Gewalt kommt selten vor


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 26/27/2010 vom 9. Juli 2010

Gewalt kommt selten vor

Von Silvia Nyffenegger


Jugendhäuser und Jugendtreffs äussern sich in einer Umfrage zur Gewalt von Jugendlichen. Diese ist überwiegend verbal. Schlägereien kommen ausgesprochen selten vor. Fünf Jugendtreffs in Stadt und Land berichten über die Jugendarbeit.


Mit der vorliegenden Umfrage soll ein Bild über Jugendgewalt gezeigt werden, die nicht von der schweren Gewalt einer kleinen Minderheit (vorwärts vom 19. März 2010) herrührt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die Jugendgewalt in Jugendeinrichtungen erdrückend und mehrheitlich verbal ist. Die anwaltschaftliche Jugendarbeit, wie sie in den hier dargestellten Jugendeinrichtungen praktiziert wird, baut auf die intensive Beziehung zwischen Jugendarbeitenden und Jugendlichen auf.


Die alltägliche Gewalt

Die Medien vermitteln den Eindruck, dass alle Jugendlichen gewalttätig sind und Drogen konsumieren, erklärt Remo Anderegg, Leiter des Jugendtreffs Neuenegg im Kanton Bern. "Doch Jugendliche machen sich im Alltag verbal fertig oder beschimpfen andere als Idiot oder Schlampe."

Bei der Mobilen Jugendarbeit Basel findet der Leiter Michele Salvatore die typische Gewalt selten auf Strassen und Plätzen unter Secondos. Fliegt trotzdem eine Faust, intervenieren die Jugendarbeiter mit einer kommunikativen Konfliktlösung. Diese entlastet die Betroffenen im Gegensatz zu einer Strafanzeige dauerhaft. Im Baselbieter Jugendhaus Arlesheim stehen Junge unter grossem Druck, eine Lehrstelle zu finden. "Die Jugendlichen sind zudem in einem Alter, wo sie flegeln und MigrantInnen merken, dass sie geringere Chancen haben", erklärt die Leiterin Gaby Weber die eine oder andere verbale Grenzverletzung.

Markus Stutz, Stellenleiter der Offenen Jugendarbeit Obfelden-Ottenbach im Kanton Zürich sagt, dass der Konsum von Drogen, in erster Linie Alkohol, bei den eher auffälligen Jugendlichen unter anderem Grund für Gewalt sein kann. Aber auch das Selbstwertgefühl oder die Langeweile spielen oft eine Rolle.

Im Jugendhaus Winterthur kommt Gewalt ein bis zwei Mal im Jahr vor. "Fliegen Fäuste bei einem Fest, weil Alkohol im Spiel ist, so ist das für die Jugendlichen selber nicht schlimm", erklärt Co-Leiter Matthias Tobler. "Nationalistische, rassistische und familiäre Beleidigungen führen zur Gewalt," sagt Matthias Tobler. Werte wie Respekt, Toleranz und Verantwortung gehören im Jugendhaus zur gelebten Betriebskultur. Sie bieten eine konkrete Alternative zur Gewalt dar. Gaby Weber aus Arlesheim im Kanton Baselland erklärt, dass die Jungen dauernd hören "wenn du das und das nicht tust, dann hast du keine Chance". Das gelte besonders für MigrantInnen. "Schliesslich stellt sich Frustration ein, denn viele Probleme sind struktureller Art", wendet Gaby Weber ein.


Jugendarbeit wirkt präventiv

Remo Anderegg aus Neuenegg im Kanton Bern erklärt: "Wir sensibilisieren. Es gibt freundliche Wege zum Ziel." So wird im Bistro beispielsweise nur gegen ein "bitte" Cola ausgeschenkt.

Der Basler Michele Salvatore ist da, nimmt sich Zeit und hat ein offenes Ohr für die Jugendlichen, "weil die qualitative Beziehungsarbeit aus Erfahrung langfristig Erfolg bringt." Im Jugendhaus Arlesheim wird Prävention mit Bezug zur medialen Gewalt in Internet und TV gemacht. Werden Menschen im Medium getötet, stehen sie wieder auf. Verletzen Kinder oder Jugendliche jemanden hingegen real, sind sie geschockt und wollten das nicht tun, beobachtet Gaby Weber die Jungen.

"Die Offene Jugendarbeit bietet präventive Lernfelder an", sagt Markus Stutz aus Obfelden-Ottenbach im Kanton Zürich. Wenn Jugendliche und Leiter Partys und Discos ohne Alkohol und Rauchen gemeinsam organisieren, lernen die Jugendlichen, dass Komatrinken keinen Platz hat. "Die anwaltschaftliche Jugendarbeit investiert in die Zukunft der Jungen, weil sie es sind, die unsere Zukunft tragen", erläutert Stutz sein präventives Handeln.


Urbane und ländliche Gewalt

"In den Städten bilden sich zwar Cliquen. Doch ist massive, wiederkehrende Gewalt auch dort ein kleines Problem", versteht Remo Anderegg im ländlichen Neuenegg im Kanton Bern die Gewalt richtig. In einem ländlichen Gebiet wie im Oberbaselbiet gebe es hingegen eher günstige Bedingungen für rechtsorientierte Jugendliche da. "Diese grenzen sich im Kontrast zur Stadt Basel auch gegen Ausländer ab", erklärte Michele Salvatore von der Mobile Jugendarbeit Basel. Gaby Weber beschreibt das ländliche Arlesheim wie folgt: "Hier sprechen die Leute miteinander. In der Stadt eskaliert die Gewalt wegen der Anonymität". "Gibt es einen Unterschied zwischen Stadt und Land wenn es tätscht?", fragt Markus Stutz aus dem Zürcher Säuliamt und glaubt selber eher nicht daran.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 26/27/2010 - 66. Jahrgang - 9. Juli 2010, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2010