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VORWÄRTS/647: Rückblick 1. Mai - Vereint auf die Straßen der USA!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 18/19/2010 vom 14. Mai 10

Rückblick 1. Mai
Vereint auf die Strassen der USA!

Von Jan Meier


Lange war der Tag der Arbeit in seinem Ursprungsland verdrängt. Doch dank der Migrationsbewegung feiert der 1. Mai in den USA eine beeindruckende Wiedergeburt. Tod Geglaubte leben eben länger, und so zogen auch dieses Jahr Hunderttausende von Menschen durch die Strassen von über 70 US-Städten.


Der Ursprung des 1. Mai geht bekanntlich auf eine Reihe von Ereignissen im Jahr 1886 in den USA zurück: Als ArbeiterInnen den Generalstreik beschlossen, um den Achtstundentag zu erkämpfen, erschoss die Polizei mehrere streikenden ArbeiterInnen und verhaftete führende Aktivisten, welche später hingerichtet wurden. Paradoxerweise wird der Tag der Arbeit in seinem Ursprungsland eher weniger beachtet. Bürgerliche und reaktionäre Kräfte haben es relativ erfolgreich geschafft, den 1. Mai durch einen anderen so genannten "Labour Day" zu ersetzen, um die Arbeiterbewegung von jeglichem revolutionären Charakter zu trennen. Seit der Novemberrevolution 1917, als die bürgerliche Angst vor den immer grösser werdenden, weltweiten kommunistischen Bewegungen wuchs, erklärten reaktionäre Kräfte den 1. Mai zum "Amerikanisationstag", später "Loyalitätstag" genannt. 1958 erklärte der damalige Präsident Eisenhower den 1. Mai zudem zum "Law Day" ("Gesetztag"). Weltweit gab es kaum einen so starken Angriff auf den 1. Mai.


"Legale" und "illegale" zusammen

Doch seit 2006, genau 120 Jahre nach dem Ursprung des 1. Mai, entschied die Migrantenbewegung den 1. Mai nicht nur als Tag der Arbeit wieder zu beleben, sondern auch als Kampftag für die Rechte der MigrantInnen zu nützen. Seither gehen in den USA wieder Hunderttausende auf die Strasse. Die Demonstrationen für den diesjährigen 1. Mai wurden von Bürgerrechtsorganisationen, Migrantenorganisationen, Gewerkschaften, sowie weitere linke Organisationen und Bewegungen, darunter auch kommunistische Organisationen, organisiert und durchgeführt. Auch zahlreiche "Prominente" engagierten sich. Alleine in Los Angeles gingen rund 100.000 Menschen unterschiedlicher Herkunft auf die Strasse! Viele trugen amerikanische Fahnen mit sich, aber nicht wenige auch rote Fahnen. Es war das erste Mal nach der Bush-Regierung, dass so viele Leute mobilisiert wurden. Eine Aktivistin erklärte: "Wir müssen zeigen, dass wir als Gruppe engagiert sind", und betont damit die Stärke der kollektiven Aktion und die wichtigste Waffe der Arbeiterklasse: die Organisation.

Die Zeit um den diesjährigen 1. Mai wurde in den USA von einem weiteren repressiven Ereignis geprägt. Das neulich beschlossene und umstrittene Anti-Immigrationsgesetz des Bundesstaats Arizona führt zur direkten Kriminalisierung von Tausenden von Immigranten: es ist zu einem Verbrechen geworden, sich ohne Bewilligung im Staat aufzuhalten. Dies führt unter anderem zur Etablierung einer rassistischen Praxis der Polizei, die nun per Gesetz Personen anhalten muss, welche eines illegalen Aufenthalts verdächtigt werden. Besonders betroffen sind vor allem Personen, die nach einer lateinamerikanischen Herkunft aussehen. Aus diesem Grund war der diesjährige 1. Mai in den gesamten USA von einer besonderen Bedeutung geprägt. Aber auch vor und nach dem 1. Mai bleibt der Kampf gegen die neuen Repressionsmassnahmen präsent: von Kundgebungen und Boykotte bis hin zu Autoaufklebern. Zudem haben mehrere Städte, vor allem in Kalifornien, einen ökonomischen Boykott des Staats Arizona beschlossen. Sogar einige Polizisten haben öffentlich erklärt, dass sie sich weigern werden, das Gesetz durchzusetzen. Trotzdem ziehen weitere Bundesstaaten ein ähnliches Gesetz für ihren Staat in Betracht.


Teil eines grösseren Kampfes

Was einer der wichtigsten Aspekte der 1. Mai-Demonstrationen in den USA ist und auch etwas Hoffnung in düsteren Zeiten ermöglicht, ist nicht nur dass Hunderttausende in über 70 Städten der USA zusammen demonstrierten und ihr Wut über die neuen Anti-Immigrationsgesetze zeigten, sondern dass die Spaltung der Arbeitenden in "Einheimische" und "Immigranten/Illegale" an diesem Tag überwunden werden könnte und ein grosser Teil der Arbeiterklasse vereint auf die Strasse ging. Gleichzeitig sollten wir jedoch nicht vergessen, dass, obwohl der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung hier und jetzt unerlässlich ist, diese hässlichen Eigenschaften ihren Ursprung in unserer Gesellschaft selber haben. Der Kampf gegen diese muss somit Teil eines grösseren Kampfes sein: der Kampf für eine solidarische Gesellschaft, in der es für rassistische und diskriminierende Tendenzen kein Platz mehr gibt.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung
Nr. 18/19/2010 - 66. Jahrgang - 14. Mai 2010, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2010