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STREIFZÜGE/032: Zeitschrift des Kritischen Kreises, Nr. 59, Herbst 2013


Streifzüge Nummer 59 / Herbst 2013

Zeitschrift des Kritischen Kreises - Verein für gesellschaftliche Transformationskunde




INHALTSVERZEICHNIS

Ricky Trang: Einlauf

Redaktion der Streifzüge: Wer uns will, muss uns ermöglichen!

Streifzüge-Redaktion: Repariert nicht, was euch kaputt macht!

Ricky Trang: Es ist ja nur ein Tier...
Das macht sie den Kindern lieb und ihre Betrachtung selig

Friederike Habermann: Vielleicht besser?

Matthias Rude: Tiere und Emanzipation

Susann Witt-Stahl: Hohe Menschen und niedrige Tiere.
Geht's um Naturverhältnisse, sinkt das Niveau linker Debatten schlagartig

Emmerich Nyikos: Geistiges Tierreich

Ilse Bindseil: Über Tiere kann man nicht nachdenken

Franz Schandl: Eat is murder

Peter Klein: "Im Innern des Wals".
Am Ursprung des demokratischen Konsenses

Lorenz Glatz: Demokratie macht auch nur Staat

Meinhard Creydt: Die sehr private Erziehung des Kindes

Mladen Savic: Der heilige Bund des Apparats

Erich Ribolits: Das Ende der Politik.
Die Hassliebe des Bildungsbürgers gegenüber der Politik

Kolumnen
Dead Men Working: Maria Wölflingseder
Immaterial World: Stefan Meretz
Rückkopplungen: Roger Behrens

Rubrik 2000 abwärts
Franz Schandl (F.S.): Stechmücken im Konjunktiv
Severin Heilmann (S.V.): Kleine Materialkunde
Lukas Hengl (L.H.): Mensch-Tier-Fluktuation

Rezensionen
Lorenz Glatz (L.G.) zu Friederike Habermann: Der unsichtbare Tropenhelm.
Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht

*

Einlauf

von Ricky Trang

Wir wissen es nicht, aber wir tun es. Ständig. Unaufhörlich und unaufhaltsam (re)produzieren wir die Verhältnisse, die uns um das Leben bringen. Und nicht nur uns.

Doch ist es nicht nur die Form unserer Vergesellschaftung, der wir in ihrer ganzen Irrealität permanent Wirklichkeit verleihen und sie zu jenem unentrinnbaren Käfig machen, der von sich längst in Anspruch nimmt, die beste aller möglichen Welten zu sein. Wir erschaffen damit auch uns als Menschen stets aufs Neue. Als Zerrbild dessen, was wir sein könnten und wollen. Unser mentaler Status, unser Verhalten und unsere Art zu interagieren sind nicht nur Resultat der spektakulären Ordnung, sie ermöglichen und perfektionieren sie im gleichen Atemzug - ein sich gegenseitig schaffendes, erhaltendes und verstärkendes Verhältnis, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.

Der Ballast der Geschichte lastet schwer auf dem kollektiven Unbewussten, zu tief tradiert sind unsere Verhaltensweisen, als dass andere auch nur vorstellbar wären. Was nicht zu rechtfertigen ist, bedarf längst keiner Rechtfertigung mehr. Was gut ist, erscheint und, was erscheint, ist gut.

Dass wir den Teufelskreis durchbrechen wollen und müssen, ist nichts Neues. Dass es lustvoll sein soll und wie immer an dieser Stelle magaziniert, ebenso. Das Positionspapier der Streifzüge "Repariert nicht, was Euch kaputt macht" will seinen Beitrag dazu leisten. Es findet sich nicht nur in dieser Ausgabe, sondern kann auch als Folder bei uns bestellt und unter die ungeduldig wartenden Massen gebracht werden.

Ebenso - und nicht zufällig - gilt alles bisher Gesagte auch für den Schwerpunkt dieser Nummer. Dass es zu diesem zentralen Thema keine einheitliche redaktionelle Sichtweise gibt, war im Voraus nicht nur klar, sondern auch ursächlich für das bisherige Ausblenden. Umso wichtiger, es endlich anzugehen, Althergebrachtes (und damit sich selbst) zu hinterfragen, in den Gesamtzusammenhang zu setzen und neue Denkprozesse anzustoßen. Nicht nur innerhalb der Redaktion.

*

Wer uns will, muss uns ermöglichen!

Alle unheiligen Zeiten ist es angebracht, über die eigene Situation zu schreiben und das Publikum damit zu belasten. Unsere Lage könnte besser sein, und sie muss sich bessern, sollen die Streifzüge sich die nächsten Jahre halten. Nicht nur, aber auch, geht es einmal mehr ums Geld: wir wollen es abschaffen, aber wir empfehlen, dies nicht unmittelbar an uns zu demonstrieren.

Die Abos sind jedenfalls rückläufig. Zum Jahreswechsel dürften wir bei gerade einmal 250 halten. Hier sind in Zeiten des Internets keine großen Ausbaupotenziale in Sicht, selbst wenn die Streifzüge wieder - ohnehin recht bescheidene - 300 erreichen sollten.

Bedeutendste Einnahmequelle waren schon bisher die Einlagen unseres Transformationsclubs, dessen Trafomitglieder bereit sind, monatlich mindestens 12 Euro oder jährlich 144 Euro für uns auszulegen. Ihnen sei hier herzlich gedankt, neue Mitglieder sind ausdrücklich willkommen. Auch dem Mäzenatentum verschließen wir uns in keiner Weise.

Fallen einerseits die Abos, so steigen andererseits die täglichen Zugriffe auf unsere Homepage markant. Das freut und betrübt dennoch. So sehr unser Auftritt und unsere Inhalte interessieren, die Grundlage unserer Existenz scheint egal. Das können wir so nicht akzeptieren. Setzt diese Entwicklung sich fort, ist irgendwann Schluss. Wir wollen das nicht, und wir möchten auch nicht, dass unser Umfeld das will. Wir stehen das nur durch, wenn ihr mitmacht.

Wir nehmen zur Zeit knapp über 12.000 Euro jährlich ein, das ist zu wenig und zehrt an unseren Reserven, die - sollte nichts passieren - spätestens im Frühjahr 2015 aufgebraucht sein dürften. Minimalziel muss sein, 1250 Euro im Monat, d.h. 15.000 Euro im Jahr zu lukrieren. Ganz solid könnten die Streifzüge übrigens mit 20.000 Euro im Jahr durchgefüttert werden, dann könnten wir sogar gelegentlich Artikel oder kleinere Projekte honorieren.

Um unseren Fortbestand zu sichern, möchten wir ein TRANSponsoring-System ins Leben rufen. Wir wollen vor allem die regelmäßigen Leserinnen und Leser unserer Website dazu bewegen, uns nicht nur zu nutzen, sondern uns auch zu nützen. Und die Abonnenten laden wir ein, auf dieses flexible System umzusteigen.

Dieses funktioniert ganz einfach: Eins überweise etwa 10 Euro im Monat, 10 Euro im Vierteljahr, 10 Euro im Jahr oder irgendeinen anderen Betrag, den eins sich leisten kann und will. (Nur bitte keine Zuschüsse unter 5 Euro, da fressen die Buchungsgebühren zu viel weg.) Optimal sind Daueraufträge, damit wir auch entsprechend kalkulieren können. Natürlich wissen wir, dass sich einige finanziell fast gar nichts leisten können. Aber die meisten können sich schon geringfügig was abknöpfen, damit alle an unseren Inhalten und Angeboten partizipieren können. Unser Projekt ist ein Denktank und eine Werkbank, beides bedarf infrastruktureller Ausstattung. Darum bitten wir, so viel Zuwendung erwarten wir.

Wer uns will, muss uns ermöglichen! Ohne euch geht gar nix.

Die Streifzüge stehen auf zwei Säulen: Zeitschrift und Homepage. Die Printausgabe ist ein sinnliches Produkt (optisch, haptisch, aromatisch), jeweils das Beste aus einem bestimmten Zeitraum, zu einem Teil konzentriert auf ein bestimmtes Thema. Die Streifzüge sind ein von der Redaktion zusammengestelltes Album mit langer Haltbarkeitsdauer. Ausgaben aus 2002 oder 2006 sind da nicht um vieles weniger aktuell als die vom eben vergangenen Sommer. Da hält - von Büchern abgesehen - kein anderes Medium mit. Kurzum: Die Zeitschrift muss bleiben! Fällt sie weg, streichen die Streifzüge aller Voraussicht nach die Segel.

Die Website erlaubt Flexibilität, nimmt auch regelmäßig zu Tagesereignissen Stellung. Alles, was aus unserem Stall kommt oder sonst dort Einlass findet, ist verfügbar und nach diversen Kriterien abrufbar. Sie ist sowohl eigenständiger Pfeiler als auch Ergänzung für die Zeitschrift. Auch sie braucht Pflege und Betreuung. Auf keinen Fall aber soll es eine Paywall geben, der kostenlose Zugang auf www.streifzuege.org bleibt.

Nicht zuletzt geht es schließlich um verstärkte Einbindung unseres Umfelds. Für erleichterten Zugang sollen künftig drei Trafoplena pro Jahr sorgen. Die Einladung zum allerersten, am 3. Dezember um 19:00 Uhr im FreiRaum (Wien 9, Wasagasse 28, neben Restaurant Dreiklang) ist hiermit ausgesprochen.

Zur besonderen Beachtung empfehlen wir unser komprimiertes "Orientierungspapier" mit dem Titel "Repariert nicht, was euch kaputt macht!" Es fasst zusammen, was die Streifzüge sind und was wir denn wollen. Es ist zur weiteren Verbreitung gedacht, auch gesondert als Flyer und ebenso als Download auf der Homepage. Wir zählen auf euch. Fürchtet Euch nicht!

*

Repariert nicht, was euch kaputt macht!

Gegen das bürgerliche Dasein - für das gute Leben!

die Streifzüge-Redaktion

1.

Durch die Politik können keine Alternativen geschaffen werden. Sie dient nicht der Entfaltung unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten, sondern in ihr nehmen wir bloß die Interessen unserer Rollen in der bestehenden Ordnung wahr. Politik ist ein bürgerliches Programm. Sie ist stets eine auf Staat und Markt bezogene Haltung und Handlung. Sie moderiert die Gesellschaft, ihr Medium ist das Geld. Sie folgt ähnlichen Regeln wie der Markt. Hier wie dort steht Werbung im Mittelpunkt, hier wie dort geht es um Verwertung und ihre Bedingungen.

Das moderne bürgerliche Exemplar hat die Zwänge von Wert und Geld völlig aufgesogen, kann sich selbst ohne diese gar nicht mehr vorstellen. Es beherrscht sich wahrlich selbst, Herr und Knecht treffen sich im selben Körper. Demokratie meint nicht mehr als die Selbstbeherrschung der sozialen Rollenträger. Da wir sowohl gegen die Herrschaft als auch gegen das Volk sind, warum sollen wir ausgerechnet für die Volksherrschaft sein?

Für die Demokratie zu sein, das ist der totalitäre Konsens, das kollektive Bekenntnis unserer Zeit. Sie ist Berufungsinstanz und Lösungsmittel in einem. Demokratie wird als ultimatives Resultat der Geschichte verstanden, das nur noch verbessert werden kann, hinter dem aber nichts mehr kommen soll. Die Demokratie ist Teil des Regimes von Geld und Wert, Staat und Nation, Kapital und Arbeit. Das Wort ist leer, alles kann in diesen Fetisch hineingegeistert werden.

Das politische System gerät selbst mehr und mehr aus den Fugen. Dabei handelt es sich nicht bloß um eine Krise von Parteien und Politikern, sondern um eine Erosion des Politischen in all seinen Aspekten. Muss Politik sein? Aber woher denn und vor allem wohin denn? Keine Politik ist möglich! Antipolitik heißt, dass Menschen sich gegen ihre sozialen Zwangsrollen aktivieren.



2.

Kapital und Arbeit bilden keinen antagonistischen Gegensatz, sie sind vielmehr der Verwertungsblock der Kapitalakkumulation. Wer gegen das Kapital ist, muss gegen die Arbeit sein. Die praktizierte Arbeitsreligion ist ein autoaggressives und autodestruktives Szenario, in dem wir gefangen und befangen sind. Abrichtung zur Arbeit war und ist eines der erklärten Ziele der abendländischen Modernisierung.

Während das Gefängnis der Arbeit zusammenstürzt, steigert sich die Befangenheit in den Fanatismus. Es ist die Arbeit, die uns dumm macht und krank noch dazu. Die Fabriken, die Büros, die Verkaufshallen, die Baustellen, die Schulen, sie sind legale Institutionen der Zerstörung. Die Spuren der Arbeit, wir sehen sie täglich an den Gesichtern und Körpern.

Arbeit ist das zentrale Gerücht der Konvention. Sie gilt als Naturnotwendigkeit und ist doch nichts als kapitalistische Zurichtung menschlicher Tätigkeit. Tätig sein ist etwas anderes, wenn es nicht für Geld und Markt geschieht, sondern als Geschenk, Gabe, Beitrag, Schöpfung für uns, für das individuelle und kollektive Leben frei verbundener Menschen.

Ein beträchtlicher Teil aller Produkte und Leistungen dient ausschließlich der Geldvermehrung, zwingt zu unnötiger Plage, vergeudet unsere Zeit und gefährdet die natürlichen Grundlagen des Lebens. Manche Technologien sind nur noch als apokalyptisch zu begreifen.



3.

Geld ist unser aller Fetisch. Niemand, der es nicht haben will. Wir haben das zwar nie beschlossen, aber es ist so. Geld ist ein gesellschaftlicher Imperativ und kein modellierbares Werkzeug. Als eine Kraft, die uns ständig zum Berechnen, zum Ausgeben, zum Eintreiben, zum Sparen, zum Verschulden, zum Kreditieren zwingt, demütigt und beherrscht sie uns Stunde für Stunde. Geld ist ein Schadstoff sondergleichen. Der Zwang zum Kaufen und Verkaufen steht jeder Befreiung und Selbstbestimmung im Weg. Geld macht uns zu Konkurrenten, ja Feinden. Geld frisst Leben. Tauschen ist eine barbarische Form des Teilens.

Nicht nur, dass eine Unzahl von Berufen sich ausschließlich damit beschäftigt, ist absurd, auch alle anderen Kopf- und Handarbeiter sind permanent am Kalkulieren und Spekulieren. Wir sind abgerichtete Rechenautomaten. Geld schneidet uns von unseren Möglichkeiten ab, erlaubt nur, was sich marktwirtschaftlich rechnet. Wir wollen das Geld nicht flott-, sondern wegkriegen.

Ware und Geld sind nicht zu enteignen, sondern zu überwinden. Menschen, Wohnungen, Produktionsmittel, Natur und Umwelt, kurzum: nichts soll eine Ware sein! Wir müssen aufhören, Verhältnisse zu reproduzieren, die uns unglücklich machen.

Befreiung heißt, dass die Menschen sich ihre Produkte und Dienste zukommen lassen. Dass sie sich direkt aufeinander beziehen und nicht wie jetzt sich in ihren gesellschaftlichen Rollen und Interessen (als Kapitalisten, Arbeiter, Käufer, Staatsbürger, Rechtssubjekte, Mieter, Eigentümer etc.) konfrontieren. Bereits heute erleben wir geldfreie Sequenzen in der Liebe, in der Freundschaft, in der Sympathie, in der Hilfe. Da schenken wir uns etwas, schöpfen gemeinsam aus unseren existenziellen und kulturellen Energien, ohne dass Rechnungen präsentiert werden. Da spüren wir in einigen Momenten, dass es ohne Matrix ginge.



4.

Kritik ist mehr als radikale Analyse, sie verlangt die Umwälzung der Verhältnisse. Perspektive versucht zu benennen, wie menschliche Verhältnisse zu gestalten sind, die dieser Kritik nicht mehr bedürfen; die Vorstellung einer Gesellschaft, in der das individuelle und kollektive Leben neu erfunden werden kann und muss. Perspektive ohne Kritik ist blind, Kritik ohne Perspektive ist hilflos. Transformation ist Experiment auf dem Fundament der Kritik mit dem Horizont der Perspektive. "Repariert, was euch kaputt macht!", ist unsere Formel nicht.

Es geht um nichts weniger als um die Abschaffung der Herrschaft, egal ob diese sich in persönlicher Abhängigkeit oder in Sachzwängen äußert. Es geht nicht an, dass Menschen anderen Menschen unterworfen bzw. ihren Geschicken und Strukturen hilflos ausgeliefert sind. Selbstherrschaft wie Selbstbeherrschung sind unsere Sache nicht. Herrschaft ist mehr als Kapitalismus, aber der Kapitalismus ist das bisher entwickelteste, komplexeste und destruktivste System von Herrschaft. Unser Alltag ist so konditioniert, dass wir den Kapitalismus täglich reproduzieren, uns verhalten, als gäbe es keine Alternativen.

Wir sind blockiert, Geld und Wert verkleben unsere Gehirne und verstopfen unsere Gefühle. Die Marktwirtschaft funktioniert wie eine große Matrix. Sie zu negieren und zu überwinden ist unser Ziel. Ein gutes und erfülltes Leben setzt den Bruch mit Kapital und Herrschaft voraus. Es gibt keine Transformation der gesellschaftlichen Strukturen ohne Änderung unserer mentalen Basis und keine Änderung der mentalen Basis ohne die Überwindung der Strukturen.



5.

Wir protestieren nicht, darüber sind wir hinaus. Wir möchten nicht Demokratie und Politik neu erfinden. Wir kämpfen nicht für Gleichheit und Gerechtigkeit und wir berufen uns auf keinen freien Willen. Auch auf den Sozialstaat und den Rechtsstaat wollen wir nicht setzen. Und schon gar nicht möchten wir mit irgendwelchen Werten hausieren gehen. Die Frage, welche Werte wir brauchen, ist einfach zu beantworten: Keine!

Wir stehen für die restlose Entwertung der Werte, für den Bruch mit dem Repertoire der Hörigen, die gemeinhin Bürger genannt werden. Dieser Status ist zu verwerfen. Ideell haben wir das Herrschaftsverhältnis schon gekündigt. Der Aufstand, der uns da vorschwebt, gleicht einem paradigmatischen Sprung.

Wir müssen raus aus dem Käfig der bürgerlichen Form. Politik und Staat, Demokratie und Recht, Nation und Volk sind immanente Gestalten der Herrschaft. Für die Transformation steht keine Partei und keine Klasse, kein Subjekt und keine Bewegung zur Verfügung.



6.

Es geht um die Befreiung unserer Lebenszeit. Nur sie ermöglicht mehr Muße, mehr Lust, mehr Zufriedenheit. Gutes Leben heißt Zeit haben. Was wir brauchen, ist mehr Zeit für Liebe und Freundschaften, für die Kinder, Zeit zu reflektieren oder um faul zu sein, aber auch, um sich intensiv und exzessiv mit dem zu beschäftigen, was einem gefällt. Wir stehen für die allseitige Entfaltung der Genüsse.

Befreites Leben heißt länger und besser schlafen und vor allem auch öfter und intensiver miteinander schlafen. Im einzigen Leben geht es um das gute Leben, das Dasein ist den Lüsten anzunähern, die Notwendigkeiten sind zurückzudrängen und die Annehmlichkeiten zu erweitern. Das Spiel in all seinen Varianten verlangt Raum und Zeit. Das Leben muss aufhören das große Versäumnis zu sein.

Wir wollen nicht die sein, die zu sein wir gezwungen werden.

*

Es ist ja nur ein Tier...

Das macht sie den Kindern lieb und ihre Betrachtung selig

von Ricky Trang

Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom. Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Mensch trifft. Der Trotz, mit dem er dieses Bild von sich schiebt - es ist ja bloß ein Tier - wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das 'nur ein Tier' immer wieder bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten.

Die früher vermeintlich so klare Grenze zwischen Mensch und "Tier" wird seit langem immer brüchiger und durchlässiger. Wissenschaftler entdecken bei immer mehr nichtmenschlichen Tieren Fähigkeiten, die früher ausschließlich dem Menschen zugeschrieben wurden. Geschehen ist es um das Monopol der Spezies Mensch auf Symbolisierungsfähigkeit und Erotik, Lachen, Lüge, Werkzeugverwendung oder die Selbsterkennung im Spiegel. Vorbei ist es mit der Mär vom Menschen als Krone der Schöpfung.

Doch auch wenn die Debatte um die (Nicht-)Differenz von Mensch und "Tier" theoretisch immer anspruchsvoller und die moralischen Ansprüche auch gegenüber anderen Tieren immer höher werden, so findet dies im kollektiven Verhalten nichtmenschlichen Tieren gegenüber praktisch keinen Niederschlag.

Die Alltagspraxis der Konsumption von tierlichen Körperteilen, ihre geschichtliche Permanenz und Totalität lassen eine kritische Reflexion kaum zu - zu habitualisiert ist das Bewusstsein, zu eingeschliffen das Verhalten gegenüber anderen Tieren als einer Verfügungsressource für menschliche Zwecke, zu immun die soziale Ordnung der Mensch-"Tier" Beziehung gegenüber Einwänden und Veränderungen.

Werfen wir also einen Blick auf den ideologischen Ballast, der auf dem kollektiven Unbewussten unserer "Zivilisation" lastet.



Das Tier-Konstrukt

Im Griechischen war das Tier noch zoon, das Lebewesen, und schloss den Menschen mit ein, und noch im Lateinischen war es animal, das Lebende, die anima, der Atem einte den Menschen und die anderen Tiere.

Das "Tier" ist eine fiktive Kategorie. Es existieren tausende höchst unterschiedliche Spezies, einer von denen nach biologischer Taxonomie unzweifelhaft auch die Menschen zuzurechnen sind. Die Idee, die Spezies Mensch als gleichberechtigtes Pendant den abertausenden voneinander grenzenlos verschiedenen Tierarten gegenüberzustellen und diese abertausenden so zu behandeln, als verkörperten sie einen einzigen Typenblock tierischen Daseins, ist einfach anthropozentrischer Größenwahn. Im gesellschaftlichen Allgemeinverständnis meinen Mensch und "Tier" gegen alle Empirie und Logik etwas Grundverschiedenes, teilweise sogar Gegensätzliches. "Das Tier" wird zum Konstrukt, zu einem diffusen Sammelbegriff, zu einer Negativ-Projektionsfläche und einem Repräsentanten für das Andere und Minderwertige.

Damit die ständigen Misshandlungen und Tötungen alltäglich werden können und die dafür erforderliche psychohygienische Entlastung zu gewährleisten ist, wird "das Tier" auf die Körperlichkeit, auf ein jede Subjekthaftigkeit entbehrendes Stück lebende Materie reduziert.

Was ein Mensch ist, lernen wir - unter anderem -, wenn wir an einem Tisch zum Essen sitzen. Wir sind rund um den Tisch und sie sind auf ihm.

Die Gewalt an Tieren wird semantisch in Produktion und Forschung umbenannt, die Gewalttat sprachlich neutralisiert und somit gerechtfertigt. Die soziale Konstruktion von Kategorien wie Haustiere, Versuchstiere, Pelztiere gemäß menschlichen Verwendungszwecken negiert Tiere als Individuen und reduziert sie auf die Rolle als beliebig verwendbare Konsumgüter.

Es beginnt bei der gezielten Verfremdung von Lebensaktivitäten und Handlungen, die menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen gemeinsam sind. Die anderen Tiere essen nicht, sondern fressen, gebären nicht, sondern werfen, sterben nicht, sondern verenden - Bezeichnungen für die Minderwertigkeit ihrer vitalen Vorgänge. Es wird signalisiert, dass es sich um niedere, vernunftlose Lebensformen handelt, um Exemplare und keine Individuen. Solange sie nicht zerlegt und zubereitet auf dem Teller liegen, gelten ihre toten Körper als Kadaver oder Aas und nicht als Leichen.

Die in der Alltagssprache für menschliche Handlungen oder zwischenmenschliche Auseinandersetzungen verwendeten "Tier"-Metaphern verdeutlichen die negative Färbung des "Tier"-Begriffs. Nicht nur Schimpfwörter ("Du Schwein!") zeigen, dass die Übertragung der "Tier"-Bezeichnung auf eine menschliche Handlung oder Person Missbilligung, Verachtung und Abscheu ausdrücken soll. Die Konnotation des Begriffs "Tier" beinhaltet darüber hinaus das moralisch Verwerfliche, Schmutzige, Abartige und Minderwertige. Sich "wie ein Tier" zu verhalten, heißt nach allgemeinem Sprachverständnis, ungezügelt, gewalttätig oder grausam zu sein.

Die Empörung, dass jemand "abgestochen wurde wie ein Schwein" ist keine Kritik am zitierten Umgang mit dem Schwein, der als gegeben und normal betrachtet wird, sondern daran, dass menschliche Individuen brutal und rücksichtslos behandelt werden, die Kritik gilt der durch die Gewalthandlung realisierten Gleichsetzung mit nichtmenschlichen Tieren.

Da die Festlegungen der Sprache die individuelle und kollektive Weltinterpretation bestimmen, wird so mittels der Sprache unser Blick eingegrenzt, andere Wahrnehmungsmöglichkeiten verdeckt und die Welt den menschlichen Herrschaftsinteressen entsprechend konstruiert.

Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden

Für die dominanten ideengeschichtlichen Konzepte seit der Antike blieb das "Tier"-Bild die Kontrastfolie zur eigenen Positionsbestimmung in der Weltordnung. Dabei standen nicht die Gemeinsamkeiten im Vordergrund, sondern oftmals akribisch gesuchte Differenzmerkmale. Auch wenn es für die antike Philosophie noch selbstverständlich war, dass der Mensch ein "Tier" ist und die klassischen Definitionen des Menschen etwa als animal rationale oder zoon politikon, als sprechendes, denkendes, religiöses oder produzierendes Tier um die Tierheit des Menschen wussten, so wollten sie doch etwas fassen, das den Menschen eindeutig von anderen Tieren trennt. Ausgesprochen populär war die biblische Genesis, die dem Menschen Gottähnlichkeit bescheinigte und ihn aufforderte, sich die Erde mit allem, was da kreucht und fleucht, untertan zu machen.

Dass sich demzufolge nicht die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten und Verwandtschaft, sondern die einer ontologischen Kluft durchsetzte, war der Herrschaft in vielerlei Hinsicht zuträglich. So wurde aus dem undifferenzierten Sammelbegriff "Tier" unter dem Einfluss religiöser Interpretation und ähnlicher ideengeschichtlicher Ansätze endgültig das Andere, das dem menschlichen Selbstbild entgegengesetzte Konstrukt, dem eine wesentliche gesellschaftspolitische Funktion als zentrale Grundlage für hierarchische Wirklichkeitskonstruktionen, Höher- und Minderwertigkeitszuordnungen und zugleich auch für Legitimationsschemata für Ausgrenzungs-, Unterdrückungs- und Gewaltformen im innerhumanen Bereich zukommt. Wenn sich das Wesen des Menschlichen so definiert, dass es aus bestimmten Eigenschaften wie Vernunft, Sprache, Kultur besteht, sind alle, die diese Eigenschaften nicht in vollem Umfang besitzen, Minderwertige, die entsprechend behandelt und benutzt werden können.

Die Griechen entwickelten den Gegensatz von Hellenen und Barbaren. So stand für Aristoteles fest, dass die Mitglieder nicht-hellenischer Völker aufgrund ihrer Andersartigkeit und "tierähnlichen" Natureigenschaften geborene Knechte im Sinne der natürlichen Herrschaftsordnung seien. Die Funktionen und Leistungen von Sklaven und Haustieren wollte er bestenfalls graduell unterscheiden.

Die Antithese "des Tieres" manifestierte sich über die Tradierung von Wahrnehmungs-, Klassifikations- und Handlungsmustern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Der für das europäische "Zivilisationsprogramm" charakteristische Prozess der an verschiedenen Leitideen orientierten und mit Hilfe immer subtilerer Herrschaftstechniken umgesetzten Verinnerlichung äußerer Kontrolle und ihrer Transformation in Selbstkontrolle führte zu einer neuen Betonung des Mensch-"Tier"-Dualismus und einer als natürlich ausgegebenen Klassifikation menschlicher Gruppen nach Geist- versus Naturnähe. Der resultierende Widerspruch, dass die Vorstellungskomplexe "Tier" und "Natur" einerseits im Erleben eigener Körperlichkeit und Affektivität als Teil der Eigenheit empfunden, andererseits aber kollektiv als das Nicht-Eigene, die Antithese des zivilisierten Menschen etikettiert werden, dass die Unterwerfung des "tierlichen" Anderen zwar im Außenraum, nicht aber im Selbst gelingt, führt zu potentiell gewaltförmigen Mechanismen der Identitätsbildung, die sich auch gegen das Andere im interhumanen Bereich richten. So wird der Kampf gegen die naturhaften Anteile des menschlichen Selbst stellvertretend am Anderen ausgetragen.

...barbarischer sind, als man es sich vorstellen kann, denn sie haben keine Kenntnis der Schrift, kennen den Gebrauch des Geldes nicht, gehen im allgemeinen nackt, selbst die Frauen, und tragen auf den Schultern und dem Rücken über lange Strecken Lasten so wie die Tiere.

Für hierarchisch geordnete Staatswesen mit den Leitwerten der Sittlichkeit und Selbstbeherrschung wird das "Tier"-Bild das ideale Erziehungsinstrument. In der zweckgerichteten Seinsordnung wurde das Unvernünftige zum Nutzen des Vernünftigen gemacht, um von diesem beherrscht zu werden - was am "Tier" als dem vermeintlich unvernünftigen, naturverhafteten Lebewesen vorexerziert und sanktioniert wird. Damit können auch alle Menschengruppen, denen Vernunftmangel, Sittlichkeitsdefizite und eine wesensmäßige Naturnähe zugeschrieben werden, als weitgehend rechtlose und zu beherrschende Wesen betrachtet werden.

Die Idee der Sonderstellung und Einzigartigkeit der eigenen Gruppe bringt immer Gegenbegriffe hervor, wobei die imaginierten Merkmale der eigenen Gruppe zur Etikettierung der Fremdgruppe ins Negative umgedeutet werden. Diese Begriffsoppositionen, die klassischen Elemente von Ausschließungs- und Diskriminierungsprozessen, beziehen sich alle direkt oder indirekt auf das Natur- oder "Tier"-Konstrukt: von Hellenen - Barbaren über Christen - Heiden zu Europäern - Wilden und Übermenschen - Untermenschen.

So werden entsprechend der kulturellen Vorstellung der natürlichen Ordnung, gestützt durch Vorwürfe der Schamlosigkeit, Unzüchtigkeit, Dummheit und Bösartigkeit und unter Aufwertung der eigenen Gruppe die jeweils Anderen den "Tieren" zugeordnet, denjenigen, die belebt, aber ohne Seele sind. Vom triebhaften, ungezügelten "Neger", einer Übergangsform zwischen Affen und Menschen, bis zur Metapher des Juden als Ratte, als das Böse und Zersetzende in der antisemitischen Propaganda.

Der Mann isst Fleisch, die Frau ist Fleisch.

Ebenso wie die Definitionsmacht des Menschen das nichtmenschliche Lebewesen und die Definitionsmacht des Weißen den farbigen Menschen als das Andere konstituiert, wird die Frau in der Geschichte des europäischen Denkens als das Andere des Mannes gedacht. Die Reduktion auf Naturhaftigkeit, Körper und Instinkt sowie die Unterstellung eines Mangels an Vernunft und Individualität, die im Falle der "Tiere" deren Versachlichung ermöglicht und die totale Herrschaft über ihre Körper sichert, gehört auch zum Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmuster gegenüber Frauen.

Von der Frühneuzeit bis ins 18. Jahrhundert wird die Frau neben dem als widerwärtig verfemten "Tier", das an Promiskuität gemahnt und daher die Zerstörungslust des Zivilisierten auf sich zieht, zur idealen Projektionsfläche für das Obszöne, Magische und Böse.

Im Zuge der Säkularisierung wandelt sich die Vorstellung der Gottesnähe des Mannes in die Idee einer prinzipiell unbegrenzten Freiheit des (männlichen) Menschen im Rahmen von Technikentwicklung und Naturbeherrschung. Während die Frau als unproduktives Gesellschaftsmitglied zur Hüterin der "Tiere" wird, kommt es dem Mann zu, die Natur zu beherrschen und den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln. In ein Jagdgebiet, in dem Frauen und "Tiere" als Beute und Opfer auftreten. Dabei stellt die Beschreibung von Frauen in Begriffen aus der Jägersprache (Schnalle, Luder, ...) nur einen wichtigen Aspekt des metaphorischen Gebrauchs des Wortes Fleisch dar. So ist das "Tier" nicht nur Symbol für die Unterwerfung des Affektiven, Schwächeren und damit "Minderwertigen", sondern auch Folie für vergleichbare Attribuierungen und Handlungen im intrahumanen Bereich.



Differenzialrechnungen

Nichtmenschliche Tiere werden als inferior angesehen, weil wir der Ansicht sind, dass unsere Spezies über superiore Qualitäten verfügt. Allerdings weist nichts darauf hin, dass die Evolution auf den Menschen und seine Eigenschaften hin ausgerichtet ist. Es gibt keine Stufen die zum Menschen "hinaufführen". Dementsprechend macht es auch keinen Sinn, die Fähigkeiten der anderen Tiere an denen des Menschen zu messen. Es kommt eben nicht darauf an, ob sie sprechen oder denken können wie wir. Dennoch werden sie implizit als defiziente Wesen beschrieben. Das "Tier" ist der Mensch minus xy.

Die anthropozentrische Geschichte des Denkens des Mensch-"Tier" Verhältnisses ist eine Geschichte des Fremd- und Selbstbildes. Es ist auffällig, dass es sich jeweils um Leitideen einer Epoche handelt - um die Gottesebenbildlichkeit im Mittelalter oder um die Fähigkeit zum logos in der antiken Philosophie -, auf die Bezug genommen wird, um die Differenz zwischen Menschen und anderen Tieren zu stabilisieren.

Es ist daher verständlich, wenn viele Tierbefreiung auf Basis eines "Sie sind wie wir"-Modells anstreben, aber dennoch unsinnig. Jedenfalls wollen wir nicht mitmachen beim ebenso beliebten wie widerwärtigen Vergleichen und Aufrechnen der Interessen und des moralischen Status von anderen Tieren mit denen von Kleinkindern, geistig Behinderten und anderen Menschen. Warum sollten nichtmenschliche Tiere, um nicht ausgebeutet zu werden, so sein wie Menschen? Warum sollte irgendwer bestimmte Normen erfüllen müssen, nur damit seine Interessen berücksichtigt werden?

Spezies als bloße biologische Kategorie aufzufassen verbirgt, dass ihr ein System der sozialen Hierarchie zugrunde liegt. Die Grenze zwischen Menschen und anderen Tieren kennzeichnet in erster Linie ein Machtverhältnis und keineswegs eine biologische Differenzierung. Es ist unbedeutend, ob die Differenzierung akkurat ist. Unterschiede werden durch Macht definiert - als Differenz. Die Idee und Konzeption der Differenz (auch zwischen Mensch und "Tier") wurde vom Menschen erschaffen und geformt und dient als Rechtfertigung der Unterdrückung.

Anstatt über Fähigkeiten und Unterschiede zu reden, gilt es Ideologiekritik zu üben und Macht radikal in Frage zu stellen. Nicht die anderen Tiere in ihrer Ähnlichkeit zum Menschen sind in den Vordergrund zu rücken, sondern der ein- und ausgrenzende Mensch.

Ein Arbeiter, der nicht nur ein 'verhinderter Kapitalist' sein will, und dem es also Ernst ist mit dem Kampf gegen jede Ausbeutung, der beugt sich nicht der verächtlichen Gewohnheit, harmlose Tiere auszubeuten, der beteiligt sich nicht an dem täglichen millionenfachen Mord, der an Grausamkeit, Rohheit und Feigheit alle Schrecknisse des Weltkriegs in den Schatten stellt, - das sind Angelegenheiten, Genossen, die entziehen sich der Abstimmung.

Einer der Gründe für Unterdrückung ist der traditionell fest verankerte Glaube an natürliche Hierarchien, die sich meist schlicht auf faktische Macht und den Willen zur Herrschaftsabsicherung gründen. Tief sitzt die Überzeugung von der Notwendigkeit oder gar "natürlichen" Legitimität der Herrschaft im kollektiven System unserer Gesellschaftsauffassung. Zu tief scheint der Graben, der in unserer "Zivilisationsgeschichte" zu den Anderen aufgetan wurde, um die Beherrschung und Verwendung dieser überhaupt als Ausbeutung benennen und damit anerkennen zu können. Indes ist Herrschaft, nicht nur über andere Tiere, eine geschichtliche Realität, jedoch kein Naturgesetz. Ebenso wenig wie unser aller ökonomische Verfügbarmachung und Vernutzung als Bestandteile des warenproduzierenden Systems.

Unterdrückung und Ausbeutung wird zur Selbstverständlichkeit, wenn Lebewesen aufgrund fiktiver oder tatsächlicher Unterschiede als die Anderen konstruiert und kategorisch von den Dominierenden abgegrenzt werden. Damit einher geht die Macht, dadurch Profit zu machen. Diese Macht äußert sich in Kontrolle, Dominanz und Gewalt und ist in der Regel gesetzlich legitimiert.

Als Symbol für minderwertiges Leben und als Repräsentant des Unterlegenen ist das "Tier" der Prototyp des Anderen, den es zu beherrschen gilt, und dient damit gleichzeitig als Modell für hierauf bezogene Handlungsformen. Von der symbolischen Ebene über gesellschaftliche Normen und Wertesysteme bis hin zu kollektiven und individuellen Einstellungen und Handlungsmustern wird damit eine Grundhaltung gegenüber dem Anderen tradiert, die auf Distanzierung, Verdinglichung und Gewalt beruht und elementare Gemeinsamkeiten physischer (Schmerzempfinden) und psychischer (Leidensfähigkeit) sowie allgemein affektiver, kognitiver und sozialer Art ausblendet.

Diese Formen des Umgangs sind so tief in unserer Tradition und Kultur verwurzelt, dass der Forderung, die unter dem Begriff "Tier" subsumierten Individuen aus dem Zwang ihrer In-Wert-Nahme, ihrer Vernutzung für menschliche Zwecke zu befreien, nur mit Unverständnis begegnet werden kann.

Auf dieser Erde leben die Tiere in der Hölle. Und ihre Teufel sind die Menschen.

Kant beharrte darauf, dass der sich durch seine Vernunft als Person definierende Mensch, sich grundlegend vom vernunftlosen Tier unterscheidet, mit dem man nach Belieben schalten und walten kann. Seine Ablehnung der Tierquälerei resultiert nicht aus der Sorge um das Wohlergehen der "Tiere", sondern um die Sittlichkeit des Menschen, der durch Grausamkeit den anderen Tieren gegenüber zu verrohen droht. Eine Argumentationskette die in Himmlers Posener Rede gipfelte.

Erst Schopenhauers Mitleidsethik, die prinzipiell in der Fähigkeit des Menschen, das Leid der Anderen zur Motivation seines Handelns zu machen, die Grundlage der Moral sah, konnte das nichtmenschliche Tier in die Moral miteinbeziehen. Menschen, die sich ihr Mitleid bewahrt haben, werden anderen Tieren kein Leid zufügen, sehen sie doch die Ähnlichkeit zwischen sich und der Schmerz empfindenden Kreatur. Umgekehrt kann es doch auch gar nicht anders sein, als dass Menschen, die sich ihr Mitleid verbieten lassen, es auch im Umgang mit Menschen nicht mehr zur Verfügung haben.

Niemand kann das Leiden, die Angst oder die Panik, den Schrecken oder das Grauen leugnen, von denen andere Tiere ergriffen werden und von denen wir Zeugnis ablegen können. Kein Zweifel auch an der Möglichkeit - nun in uns -, von Mitleid(en) ergriffen zu werden, selbst wenn es anschließend verkannt, verdrängt oder verleugnet wird. Angesichts des Unleugbaren dieser Antwort (ja, sie leiden wie wir, die wir ihretwegen und mit ihnen leiden), die jeder weiteren Frage vorausgeht, ist zumindest auf individueller Ebene Mitgefühl unabdingbar für solidarisches Verhalten. Die Solidarisierung gründet im Nachvollziehen des Leidens und dem daraus entstehenden Interesse an Abhilfe. Im Mitleid mit allen quälbaren Körpern als einzig angemessener Antwort des selbstbewussten Subjekts auf den blinden Naturzusammenhang, in dem Tod und Leiden unvermeidlich sind.



Marcuse irrte,...

­...als er in einem Interview auf die Frage, was nach Errichtung der befreiten Gesellschaft zu tun bleibe, antwortete: "Die Tiere befreien natürlich!" Es mag vielleicht möglich sein, die anderen Tiere zu befreien, ohne die Verhältnisse grundlegend zu ändern, die uns Menschen zu einem elenden und geknechteten Wesen machen. Den Menschen zu befreien, ohne gleichzeitig auch die Warenförmigkeit der anderen Tiere zu negieren, sie nicht länger als erneuerbare Ressourcen, sondern als eigenständige Individuen zu betrachten und zu behandeln, erscheint hingegen als Unmöglichkeit.

Eine emanzipatorische Veränderung gesellschaftlicher und ökonomischer Machtstrukturen kann nicht gelingen, ohne die tiefer liegender Strukturen, welche unsere Wahrnehmung und das Denken auch in Bezug auf die Mensch-"Tier"-Beziehung prägen, grundlegend zu ändern. Gleichzeitig bedarf es der Neuerfindung von uns als Menschen, unserer Form, zu interagieren und unsere Beziehungen zu gestalten. Oder, wie es im "Orientierungspapier" der Streifzüge heißt: Es gibt keine Transformation der gesellschaftlichen Strukturen ohne Änderung unserer mentalen Basis und keine Änderung der mentalen Basis ohne die Überwindung der Strukturen.

Dass Gewalt und Unterdrückung beseitigt werden müssen, um alle Tiere vor Grausamkeit und Aggression zu schützen, ist Vorbedingung einer "humanen" Gesellschaft. Freilich wären auch in einer emanzipierten Gesellschaft nicht alle gleich. Aber eine emanzipierte Gesellschaft wäre eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können. In der nicht mehr verglichen wird, ob Xe denselben Wert haben wie Nicht-Xe. Eine Welt, in der Wert und Differenz nicht darüber entscheiden, wer leben darf und wer leiden und sterben muss, in der die Interessen nicht gewogen und gegebenenfalls für zu leicht befunden werden und wir weder Scharfrichter noch Opfer sind.

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2000 Zeichen abwärts

Hätte die Mücke Bewusstsein, was wäre dann? Nun, sie unterschiede kaum in Menschen und Menschenaffen, geschweige denn meinte sie, mit letzteren gehöre sie in die Kategorie Tier, während der Mensch eine gesonderte Spezies darstelle. In den Mückenakademien würde man auf solche abstruse Theorien nie kommen, stattdessen höbe man die eigene Einzigartigkeit hervor und betonte, dass Menschen und Affen und alle ihre nahen Verwandten vom Rind bis zum Zebra zum Stechen und Blutsaugen da wären. Professoren und Priester wären da ganz in ihrem Element. Man entwürfe Strategien des Angriffs, beurteilte die Qualität des Blutes und die Risiken, lobte die Tücke exemplarischer Exponenten und rechnete die zusammengesaugte Menge pro Schwarm hoch.

"Wir sind die Krone der Schöpfung, denn in uns vereinigt sich das Blut aller Rassen. Für dieses Blut lohnt es sich gar zu sterben", heißt es ganz pathetisch in den theomuckischen Herrschaftsphantasien. Vorausgesetzt freilich, einige Mücken fallen nicht geradewegs um und meinen, dass diese Wirbeltierfeindlichkeit zutiefst unerträglich und daher abzustellen sei. Das freilich würde die Mückenschwärme in eine tiefe existenzielle Depression stürzen. Als die Heillosen werden daher jene von der altgläubigen Mehrheit der Geziefer denunziert.

Schnitt. Bei unseren Klosterneuburger Sommersitzungen auf Sevis Terrasse killen wir unzählige Gelsen und Bremsen. Einen Dippel oder gar viele wollen wir uns nicht zuziehen. Sie stechen uns, wir schlagen sie. Gnadenlos. Aber ist damit gesagt, dass diese Banalität wie Brutalität der Weisheit letzter Schluss ist? Das mag verständlich sein, aber was ist daran selbstverständlich? Eine blöde Geschichte ist das, und Ruhm ist da keiner in Sicht. Und das noch dazu, während wir unsere TIER-Nummer besprechen.

F.S.

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Mensch und Tier

Anmerkungen zur Zivilisationstragik

von Moshe Zuckermann

Das berühmte Fragment "Mensch und Tier" von Horkheimer und Adorno, das ins Textkompendium aufgenommen worden ist, welches ihr epochales Werk "Dialektik der Aufklärung" beschließt, beginnt mit einem Paukenschlag von aphoristischer Prägnanz: "Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allen Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, dass er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört." (Horkheimer/Adorno, S. 277)

Zu korrigieren wäre daran lediglich, dass sich nicht nur die europäische Geschichte dieser rigorosen Unterscheidung verschrieben hat, sondern die gesamte westliche bzw. - wenn schon eine regionale Unterteilung vorgenommen werden soll - die gesamte Sphäre, die dem Einfluss der großen monotheistischen Religionen unterlag, Weltreligionen, deren Wirkmächtigkeit weit mehr als nur "den Westen" umfasste und wesentlich prägte.



Der biblische Mythos

Schon zu Beginn des biblischen Mythos werden alle am Sündenfall Beteiligten von Gott verflucht: Die Schlange, tierische Protagonistin der Verführung, verstößt er "aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde" und verurteilt sie, in alle Ewigkeit auf ihrem Bauche zu kriechen. Dem Weib verheißt er die leidvolle Mühsal der Schwangerschaft - "unter Mühen sollst du Kinder gebären" - und die Superiorität des Mannes ihr gegenüber. Bezeichnend ist dann die Verfluchung des Mannes; sie vollzieht sich über die Verfluchung des Ackers, den er von nun an wird bearbeiten müssen. Nur mit Mühsal soll er sich ein Leben lang von ihm ernähren - im Schweiße seines Angesichts soll er sein Brot essen. (Mose I, 3, 14-19) Aber vorher schon, vor dem Sündenfall und der durch ihn gezeitigten Vertreibung aus dem Paradies, segnet Gott den Menschen, nachdem er ihn erschaffen hat, mit den Worten: "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht." (Mose I, 1, 28)

Das Gebot der Beherrschung der Natur durch den Menschen ist also, dem biblischen Mythos zufolge, nicht nur das Resultat eines zivilisatorisch generierten Zwangs, nachdem der versündigte Mensch von Gott zum Tode und zu mühevoller Arbeit als Voraussetzung seiner (gesellschaftlichen) Reproduktion im Leben verflucht worden ist, sondern wird von Gott, noch vor dem schicksalsträchtigen Bestrafungsakt, als natürlich gesetzte, a priori hierarchisch verstandene Ordnung der Dinge postuliert. Die Ideologie der Naturbeherrschung, mithin die Beherrschung der Tiere durch den Menschen, ist also dem Monotheismus als gottgewollte von Anbeginn, und zwar bereits in den Anfangsversen seiner heiligen Gründungsschrift eingeschrieben. Der gläubige Mensch in den drei großen Weltreligionen braucht, so besehen, das zivilisatorische Verhältnis von Mensch und Tier gar nicht erst zu reflektieren; es ist ihm gleichsam göttlich vorgegeben, ja vorgeschrieben.



Naturbeherrschung als Zivilisationszwang

Freilich ist der religiöse Mythos die zwar äußerst wirkmächtige, in ihrer Funktion aber eben doch abstrakte Ideologie einer Praxis, die sich zivilisatorisch aus religiös indifferenter Notwendigkeit ergibt. Denn Zivilisation ohne Naturbeherrschung ist schlechterdings undenkbar. Um zu überleben, mithin sich gesellschaftlich zu reproduzieren, muss sich der Mensch der Natur bedienen; und je weiter sich seine gesellschaftliche Konstitution im Sinne einer arbeitsteiligen Kollektivordnung ausbildet, desto rigoroser schlägt die überlebensnotwendige Bearbeitung und Kultivierung der Natur in deren rücksichtslose Beherrschung um. Herrschaft erweist sich dabei als transhistorisches Antriebsmoment des Verhältnisses des Menschen zur Natur. Die Anfangszeilen der "Dialektik der Aufklärung" formulieren diesen Grundumstand in apodiktischer Weise: "Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils." (Horkheimer/Adorno, S. 25) Das dem "fortschreitenden Denken" verschwisterte Fortschrittsdenken wird also als Beherrschungsstrategie gedeutet, die die Überwindung der Furcht des Menschen vor der Natur, mithin seine Befreiung vom Naturzwang zum Zweck hat. Das Unheilvolle daran manifestiert sich für Horkheimer und Adorno im schieren Herrschaftsparadigma, das die Zivilisationsgeschichte durchzieht: Die Beherrschung der äußeren Natur geht zwangsläufig mit der Beherrschung der inneren einher, was wiederum die determinierende Grundlage für die soziale Herrschaft des Menschen über den Menschen generiert.

Diese dreiteilige Zentralthese der "Dialektik der Aufklärung" kann nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden. An ihr macht sich fest, was für den hier erörterten Zusammenhang von essentieller Bedeutung ist: Die Beherrschung der Natur durch den Menschen wird zivilisationsgeschichtlich für notwendig erachtet, weil der reale Verlauf der Zivilisationsgeschichte kein anderes Bild von der gesellschaftlichen Genese des Menschen als die nun mal so gewordene zulässt, mithin die Phylogenese als zwangsläufig an die Entfremdung von der Natur und deren Verdinglichung geknüpft gesehen wird. Die Hypothese, derzufolge die Menschheitsgeschichte hätte anders verlaufen können (oder gar sollen), spielt, gemessen daran, wie sie de facto verlaufen ist, eine nichtige Rolle. So besehen ist allein schon das dem Menschen exklusiv zugeschriebene Denkvermögen der Ausgangspunkt einer Dialektik der Individuation, die sich einerseits am zivilisatorisch fortschreitenden Anspruch des Menschen, sich eigenbestimmt selbst zu setzen, andererseits an der unumgehbaren Objektivierung der geistfernen Natur, mithin an der zunehmenden Entfremdung von ihr erweist. Das menschliche Individuum, Ideal aller fortschrittlichen Aufklärung, ist somit strukturell in die Repressionsgeschichte des Verhältnisses des Menschen zur Natur, zum Menschengeschlecht, letztlich auch zu sich selbst als eigenbestimmt sich dünkendes Subjekt eingezwängt.



Fundamentalmangel und Leiderfahrung

Diese verstörende Einsicht findet sich bereits im Denken bedeutender Gesellschafts- und Kulturtheoretiker des 18. und 19. Jahrhunderts, so grundlegend sich ihr emanzipatorisches Pathos und ihre historiosophisch geprägten Zukunftprognosen im übrigen unterscheiden mochten. Rousseau, Toqueville, Marx und Nietzsche (letztlich alle großen Denker jener Epoche) befassten sich in je eigener Art und Weise mit der immanenten Repressionsdialektik aller Emanzipation. Eines war ihnen gleichwohl allen gemeinsam: Sie waren noch vom Bewusstsein geleitet, dass die Grundversorgung des Menschen, die Befriedigung seiner elementaren materiellen Bedürfnisse den Bedingungen eines strukturell nicht überwundenen Fundamentalmangels unterworfen seien. Hunger galt ihnen zwar als ein prinzipiell lösbares Problem, sofern sie sich fortschrittsgläubigen Vorstellungen von der Menschenbefreiung verpflichtet sahen, zunächst noch aber mit keinem unmittelbar verwirklichbaren, real umsetzbaren Lösungsangebot verbunden. Selbst Marx formulierte seine Emanzipationsvision letztlich in konditionalen Kategorien. Der Mensch, gesellschaftlichen Strukturen des "Reichs der Notwendigkeit" ausgesetzt, hatte sich geschichtlich noch nicht dem Naturzwang entwunden; die realen historischen Möglichkeiten - allen voran der adäquate Entwicklungsstand der Produktionsmittel - standen ihm dafür noch nicht zur Verfügung.

Was hier aber als das allgemeine Verhältnis des Menschen zur Natur angeführt wird, gewinnt ein gesondertes Gewicht im spezifischen Kontext seines Verhältnisses zum Tier. Der biblische Mythos legt die hierarchische Ordnung auch zwischen Fauna und Flora fest: Alle Samen bringenden Pflanzen und Früchte tragenden Bäume werden von Gott bereits bei der Welterschaffung zur Speisung des Menschen, alles "grüne Kraut" als Nahrung der Tiere, der Vögel und des Gewürms bestimmt. (Mose I, 1, 29-30) Bezeichnend ist darüber hinaus, dass die gesamte Tierwelt nach ihrer Erschaffung von Gott dem Menschen vorgeführt wird, auf dass er, der Mensch, den Tieren ihren Namen gebe. (Mose I, 2, 19-20) Dem Menschen selbst gibt Gott seinen Namen. Zwar wird dies nicht ausdrücklich ausgesprochen, und doch kann man davon ausgehen, dass sich diese Hierarchie aus dem Begriff des Lebens, wie ihn der biblische Text im Falle des Menschen explizit hervorhebt, ableitet: "Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen." (Mose I, 2, 7) Fügt man der Kategorie des schieren Lebens die der Quälbarkeit des lebendigen Körpers bzw. die seiner Leidensfähigkeit hinzu, erweist sich die bereits biblisch festgelegte Ordnung als eine vom Menschen über die Fauna bis zur Flora verlaufende Hierarchie, wobei das Tier durch das Attribut des Lebens und der mit dieser einhergehenden Leidensfähigkeit kategorial in die Nähe des Menschen gerückt wird. Spätere Versuche des philosophischen Abendlandes, das Tier vom Menschen wieder diskursiv abzugrenzen, verweisen darauf, dass die Begründung einer solchen Absetzung gerade deshalb dringlicher erscheinen mochte, weil der dem Tier von Gott offenbar auch eingeblasene Odem es als lebendes Geschöpf in "bedrohliche" Nähe des Menschen rückte. Die Kategorien der Vernunft, der Seele und der Emotion als vermeintlich triftige Begründung der Unterscheidung vom Tiere, mithin der Rechtfertigung seiner Unterdrückung durch den Menschen, waren, so besehen, primär ideologischen Charakters. Nichts verleiht dem beredteren Ausdruck als Horkheimers und Adornos eingangs zitiertes Diktum: Um eine Idee des Menschen ging es eben - um eine Konstruktion also -, eine Idee, die sich in erster Linie ex negativo bildete, als Absetzung "des Menschen" vom Unmenschlichen des Tieres.



Zeitalter des Spätkapitalismus

Bemerkenswert war dabei, dass, insofern sich die Ideologie der gegen die Tiere verübten Gewalt (auch die religiös begründete) bis in die späte Moderne hinein aus der unabweisbaren Realität einer unter fundamentalem Versorgungsmangel leidenden Gesellschaft erklärte, dieses ökonomische Strukturmoment spätestens im Zeitalter des Spätkapitalismus, zumindest in der westlichen Welt, überwunden wurde, und doch zeitigte dies keinen wesentlichen Wandel im allgemeinen Mensch-Tier-Verhältnis. Im Gegenteil, gerade im Zeitalter, in dem der gewaltdurchwirkten Ausbeutung von Tieren die reale Grundlage ihrer historisch gewachsenen Notwendigkeitsideologie objektiv abhanden zu kommen begann, ging diese jahrtausendealte Ausbeutung durch fortschreitende Industrialisierung in die brutale Phase ihres rabiatesten, systematisch durchorganisierten Exzesses über. Horkheimers berühmt gewordene Metapher, in der er die Gesellschaft einem Wolkenkratzer verglich, dessen Dach einer Kathedrale, sein Keller aber einem Schlachthof gleichgesetzt wird (Horkheimer, S. 379f.), hat, so besehen, einen prononciert modernen Gegenstand zum Inhalt, nämlich den des monopolistischen Kapitalismus. Dass dabei die Ausbeutungskette zugunsten der Bewohner der oberen Stockwerke bis in die tiefsten Etagen des Gebäudes reicht, die private Aneignung gesellschaftlicher Arbeit also Not und Elend weltweit millionenweise krepierender Ausgebeuteten in den unsichtbaren Niederungen der Gesellschaft zur Voraussetzung hat, steht noch in bester Marxscher Tradition. Neu ist aber, dass Horkheimer mit dem Schlachthofmotiv die Tiere mit in die Kette der Ausgebeuteten einbezieht.

Was diesem Erkenntniszusatz zugrunde liegt, ist nicht nur humane Empathie für die geschundene Kreatur, nicht nur moralische Entrüstung über die ausbeutende Quälerei von Tieren, sondern etwas, das sich der Einsicht in die zivilisationskritische Logik der "Dialektik der Aufklärung" verdankt. Denn wenn die Herrschaft des Menschen über den Menschen der Beherrschung der inneren wie der äußeren Natur verschwistert ist, dann unterliegt die Ausbeutung des Menschen und des Tieres derselben Strukturlogik, wie die industrielle Verwertung der Tiere mit derselben Logik korrespondiert, die den alljährlichen Hungertod von Millionen Menschen in einer Welt ermöglicht, in der objektiv - gemessen am Entwicklungsstand der Produktionsmittel - kein einziger Mensch mehr Hungers zu sterben bräuchte. Dass dies für den Menschen "hinnehmbar" geworden ist, ist der Raison d'être des Kapitalismus immanent, der des globalisierten allemal. Als effizienter mentaler Helfershelfer dieser Strukturlogik mag das von Adorno so benannte "verdinglichte Bewusstsein" fungieren, dessen historischen Kulminationspunkt Adorno in Auschwitz ausmachte: Menschen, die sich selbst den Dingen gleichgemacht hatten, machten, wenn es ihnen möglich wurde, die anderen den Dingen gleich. (Adorno, S. 89) Das von den heteronomen Impulsen der instrumentellen Vernunft in den Exzess getriebene verdinglichte Bewusstsein ist aber welthistorisch noch lange nicht überwunden, sondern liegt vielmehr in der zivilisatorischen Gesamttendenz, die in Auschwitz zur industriell betriebenen, bürokratisch verwalteten Ausrottungspraxis gerann und im gegenwärtigen "Normalzustand" den alljährlichen millionenfachen Hungertod als hinnehmbares Epiphänomen, das das System nun mal mitproduziert, wie selbstverständlich verbucht. Und wenn dies für den Menschen "begründbar" werden konnte, bedurfte es schon gar keiner weiteren Anstrengung der Kritik für die fortwährende, industriell verrichtete, warenförmig betriebene Massenvernichtung von Nutztieren. Denn nicht nur hatte man die Apologie ihrer Verwertungsverdinglichung über Jahrtausende - durch den Fundamentalmangel gerechtfertigt und religiös abgesegnet - einzuüben gelernt, es bedurfte ihrer nicht einmal mehr: Zu unleugbar hat das 20. Jahrhundert erwiesen, dass sich selbst die Unterscheidung des Menschen vom Tier als konstitutives Moment der Idee des Menschen sich ihres Geltungsanspruches begeben hat.



Literatur

Max Horkheimer und Theodor Adorno: Dialektik der Aufklärung, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Band 5, Frankfurt/M 1987.

Max Horkheimer: Gesammelte Schriften, Band 2, Frankfurt/M 1987.

Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz, in: ders., Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt/M 1971.

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2000 Zeichen abwärts

Kleine Materialkunde

Im Grunde bleiben uns nur zwei Sichtweisen im Umgang mit dem, was wir "Tier" nennen: Die eine, die uns erlaubt, die Welt als tauben Gesteinsklumpen zu betrachten, aus dem sich kleinere Klümpchen gesondert haben, welche sich nach und nach immer komplexer ordneten und irgendwann begannen, Bewusstsein auszudünsten. Sodann bildeten sie die Kategorie "Lebewesen", für sich und ihresgleichen. Der Rest wandert in die Schublade "Tote Materie"; tot, trotzdem sie sich ihr verdanken.

Der andere Blick eröffnet ein Geflirre und Gewurl sondergleichen: Schon ein winziges Stück Materie, ein Kristall, ist voller Leben; Leben immerhin, wie die Wissenschaft es gelten lässt: Was sich bewegt, wächst, verstoffwechselt, sich entwickelt, auf Umweltreize reagiert, sich reproduziert und Energie verbraucht - lebt. Unter diesem Blickwinkel verliert die Rubrik "Tote Materie" ihren Inhalt: Was ist, erscheint mehr oder weniger lebendig.

So lässt sich einerseits der Mensch samt Geist und Sinn (und wie viel mehr das ganze Getier) als einigermaßen komplex angeordneter Materiehaufen erfassen (bleibt freilich die wissenschaftlich delikate Aufgabe, zwischen mehr, weniger und ganz toten Materiehaufen zu unterscheiden). Andererseits lässt sich die Fragestellung auch kurzerhand umdrehen: Wo ist nicht Leben? Noch nicht im Stein?

Beide Auffassungen sind argumentierbar, beide legitim, die eine nicht falscher als die andere. Warum, frag ich mich, sind wir also in jenem Blick auf uns und unsere Mitwelt derartig befangen? Wieso alles Seiende so runtermachen? Warum es schmähen? Vielleicht, dass der schicke Gestus der Verachtung und seine Abqualifizierung der Welt zu einem unwirtlichen, gefühllosen Materiallager die rücksichtslose und schonungslose, mithin effiziente Ausbeutung der für tot erklärten Materie doch erheblich erleichtert?

S.H.

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Vielleicht besser?

von Friederike Habermann

"Gegenseitig ausrotten" lautet das Betreff der Mail von meiner Freundin Edith. Ohne weiteren Kommentar schickt sie mir den Link zu einem Artikel mit der Überschrift "Jäger erschießt Jäger": Ersterer hatte ein Wildtier erlegt und Zweiterem bedeutet, er möge das Auto holen - dieser tat es, näherte sich anschließend wieder zu Fuß dem toten Tier, und wurde dabei von dem vermutlich noch Erregten für das nächste Großwild gehalten und ebenfalls erledigt.

Seit letztem Herbst bekomme ich immer wieder solche Geschichten - leider trifft es aber nicht immer Jäger: mal nur als Schreck, wie die Familie, die gerade an der gedeckten Kaffeetafel saß (Thüringer Allgemeine, 1.2.2013), mal als Kopfschuss bei der Gartenarbeit (nordbayern.de, 17.9.2012). Oder es sitzt wer im Wagen, freut sich womöglich gerade über die sinkende statistische Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, als sich ein tödlicher Querschläger durch den Kopf bohrt (thelocal.fr, 28.1.2013). Oder liegt im Bett - hier wahrscheinlich nicht mit Tötungsstatistiken beschäftigt; und tatsächlich ging in diesem konkreten Fall die Kugel um zehn Zentimeter daneben (Kleine Zeitung, 6.11.2012). Allerdings könnte wer in diesem Falle "zu achtzig Prozent" selbst schuld sein, so wie jener Schweizer mit einem Abfallsack, denn, so der Jäger, dieser machte ein Geräusch "wie ein nach Luft schnappendes Wildschwein" (BLICK, 6./7.10.2012). Ob vor oder nach dem tödlichen Treffer, ist nicht überliefert.

Doch offen gestanden ist es nicht die Frage, ob jemand durch sein Auto oder anderweitig umgebracht wird, weshalb Edith mir solches zukommen lässt. Grund sind jene Toten und Verletzten, die keine Meldung wert sind. Weil sie - so definiert es das Tier Mensch - als Tiere gelten. Trifft es dann die Mörder selbst, löst dies offensichtlich sowohl bei Edith als auch mir ein Gefühl aus, das schon mal als 'klammheimliche Freude' bezeichnet worden ist.

Denn im Herbst im Jahre zuvor hielt ich mich anlässlich eines Seminars zu "Gesellschaftlichen Naturverhältnissen" in einer zu einem Tagungshaus umgebauten Wassermühle in einem Wald unweit von Berlin auf. Noch auf Ankommende wartend machte ich vormittags einen Spaziergang - doch weit kam ich nicht. Keine 100 Meter hinterm Haus stieß ich auf ein Reh, das sich in einen neben dem Weg verlaufenden Bach gekauert hatte, während ein Dackel das Tier von hinten zu attackieren wollen schien; es gelang mir, diesen abzurufen und festzuhalten. Als das Reh nach einigen Minuten begriff, dass wir ihm nichts mehr tun würden, sprang es auf und davon.

Und ich sah, dass sein Oberschenkel nur noch Skelett war. Nur Knochen, nicht einmal Reste von Fleisch. Aber es funktionierte. Noch.

Was dieser Anblick bei mir auslöste, beschreibe ich besser nicht. Also weiter im Text: Inzwischen hörte ich links von mir Schüsse und rechts von mir Männerstimmen - offensichtlich eine Treibjagd, in deren Mitte ich geraten war. Den Dackel noch auf dem Arm haltend und selber 'Hallo' rufend, bewegte ich mich vorwärts. Hinter einem einzelnen Draht traf ich auf einen Mann in Warnweste; von ihm bekam ich als Reaktion auf meine Schilderung allerdings nur, dass er mich anfuhr, ich solle seinen Hund herunterlassen, das Reh werde eben "nachgejagt" und dies sei eine angemeldete Treibjagd!

Ja, es sei einem Jäger sogar verboten, in dieser Situation weiter nach dem Reh zu jagen, teilte mir die Jagdbehörde Barnim mit: Die "Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft" sei wichtiger als "das Anbringen eines sofortigen Fangschusses eines verletzten Tieres bzw. ein sofortiges Nachsuchen (während der Jagd) und Versorgen eines verletzten Tieres".

Die Treibjagd dauerte in diesem Fall noch viele Stunden an - das Reh kann dann kaum noch gelebt haben. Während sich die Deutschen also trefflich über die Unmenschlichkeit des Schächtens aufregen können, weil dabei Tiere langsam verbluten, ist es Jagdalltag, Tiere nicht nur zu erschießen, sondern mit derartigen Kalibern zu verletzen, dass das Fleisch weggeschossen wird, während die Knochen noch stehen bleiben. Auf der Werbeseite des Jagdmunition-Verkäufers RWS heißt das dann beispielsweise so: "zerlegt sich nach dem Auftreffen im Wildkörper sehr rasch unter starker Splitter- und Energieabgabe". Wieso hatte ich mir das eigentlich noch nie so vergegenwärtigt? Welche Art des Sterbens hatte ich mit Jagd verbunden? Nun, wohl so: Das Reh bekommt einen Herzschuss, ist nur noch zu einem letzten Seufzer fähig, und bricht dann mit einem herzzerreißenden Augenaufschlag tot zusammen.

Dabei ist doch bekannt, dass es selbst im Schlachthof nicht so zugeht: Viele Rinder erleben trotz Bolzenschuss bei Bewusstsein mit, wie sie aufgeschnitten und aufgehängt werden; alleine in Deutschland erleben jährlich eine halbe Million Schweine noch, wie sie ins kochende Wasser geworfen werden; und bei 430.000 Morden täglich in einem einzigen Geflügelschlachthof, wie er gerade im norddeutschen Wietze entsteht, mag wohl auch mal das ein oder andere Fehlerchen unterlaufen.

Am besten ist es aber wohl, nicht weiter darüber nachzudenken. Denn ist es nicht so, dass das Leid von Lebewesen auf der Erde abnehmen würde, wenn es die Menschheit nicht mehr gäbe? Klar, auch Löwen sind keine Veganer, aber industrielle Massentötungen sind halt ein Unterschied dazu. Und warum empfinde ich dann nicht auch bei anderen Gelegenheiten klammheimliche Freude? War mein Kampf in den 1980ern gegen den Atomkrieg verblendet? Ist es falsch, immer dagegen angehen zu wollen, dass sich die Menschen gegenseitig ausrotten?

Nun, ganz so weit bin ich noch nicht. Aber offen gestanden so weit schon: Früher war die Ausrottung der Menschheit für mich eine unvorstellbare Horrorvision. Heute liegt ein gewisser Trost für mich darin, dass es für andere Lebewesen dadurch vielleicht besser wird.

Naja, bis die nächste Spezies soweit ist - schließlich stammen auch wir von Ratten ab. Ich tippe übrigens auf Waschbären als unsere Nachfolger - den Ratten nicht unähnlich und so intelligent wie Affen. Nun, wir werden es nicht mehr erleben.

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Tiere und Emanzipation(*)

von Matthias Rude

Die Solidarität mit Tieren und der Gedanke, dass als Voraussetzung zur Verwirklichung einer wahrhaft emanzipierten Gesellschaft auch sie aus den Ausbeutungsverhältnissen zu befreien sind, in denen sie zu leben gezwungen werden, hat eine gewisse Tradition, die viel weiter zurückreicht als gemeinhin angenommen; allerdings handelt es sich bei dieser Geschichte der Tierbefreiung bislang um ein Stück "geheime" - vergessene, verdrängte - Geschichte.



Die geheime Geschichte der Tierbefreiung

Die Stimmen jener Menschen, die innerhalb linker Bewegungen für die Sache der Tiere eingetreten sind, wurden in einem doppelten Sinne nicht gehört: Wie Marx und Engels in Die deutsche Ideologie (1845/46) treffend bemerkten, ist das, was als die herrschenden Gedanken einer Epoche erinnert wird, in erster Linie ein Widerschein der Gedanken der in ihr herrschenden Klasse, da diese mit den Mitteln zur materiellen auch über jene zur geistigen Produktion verfügt und also damit die spätere Erinnerungskultur bestimmt, sodass die Rekonstruktion widerständiger Geschichte sich ohnehin schon in weiten Teilen als schwierig erweist. Hinzu kommt, dass meist ein Großteil derjenigen, die in den verschiedenen emanzipatorischen Bewegungen an der Seite von Persönlichkeiten aktiv waren, welche auch für die gesellschaftliche Befreiung der Tiere eintraten, die Tiere in der menschlichen Gesellschaft nicht als Leidensgenossen an- oder auch nur erkannt haben. Nicht ohne Grund liegt in der von Max Horkheimer mit der Metapher eines Wolkenkratzers aphoristisch beschriebenen kapitalistischen Gesellschaftspyramide die "Tierhölle" im Keller - an anderer Stelle spricht er von den "Verliesen des Gesellschaftsbaus" - und befindet sich damit unterhalb des gesamtgesellschaftlichen Bewusstseins.

Dass die Solidarität mit Arbeitstieren als ebenfalls Ausgebeuteten, dass der Verzicht auf Lebensmittel und Rohstoffe, die durch sie oder aus ihren Körpern hergestellt werden, als bewusste Zurückweisung des Status von Tieren als Produktionsmitteln und Waren bereits seit den Anfängen der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaftsformen als integrales Element revolutionärer Theorie und Praxis fungieren konnte, ist noch immer weitgehend unbekannt. Ebenso unbekannt ist, dass zahlreiche Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen der ersten Tierrechtsbewegung im 19. und frühen 20. Jahrhundert und etwa der Arbeiter-, Frauen- und Friedensbewegung bestanden, sowie dass es zahlreiche Thematisierungen des Ausbeutungsverhältnisses gegenüber den Tieren im klassischen linken Literaturkanon gibt.



Befreiung hört nicht beim Menschen auf

Dabei liegt diese Verbindung eigentlich auf der Hand, sieht doch die Bewegung zur Befreiung der Tiere ihre Forderungen traditionell als logische Fortsetzung, Konsequenz und Erfüllung der großen emanzipatorischen Imperative. Die Geschichte zeigt, dass diejenigen Menschen, die sich organisierten, um eine Verbesserung der elenden Situation der Tiere in der menschlichen Gesellschaft zu bewirken, auch Teil anderer Befreiungskämpfe waren - sie stritten etwa gegen monarchische Willkürherrschaft, für Menschenrechte, gegen die Sklaverei, für die Emanzipation der Frauen, für die Belange der lohnabhängigen Massen oder waren im antifaschistischen Widerstand aktiv. Aber sie gingen weiter, für sie war klar: Befreiung hört nicht beim Menschen auf.

Angesichts der Erkenntnis, dass der Versuch unserer Kultur, eine unantastbare Autorität gegenüber der wilden Natur auszuüben, uns in eine Katastrophe geführt hat, welche die menschliche Gesellschaft an den Rand des Untergangs bringt, wird mehr und mehr Menschen bewusst, dass die Entwicklung eines anderen Verhältnisses zur Natur und zu den Tieren für die menschliche Gesellschaft dringend notwendig ist - allein schon, um unser eigenes Überleben zu sichern, und erst recht für die Verwirklichung des emanzipatorischen Projektes.

Herbert Marcuse sprach deshalb 1972 von der "Befreiung der Natur als Mittel der Befreiung des Menschen" und war überzeugt: "Was gegenwärtig geschieht, ist die Entdeckung (oder vielmehr die Wiederentdeckung) der Natur als einer Verbündeten im Kampf gegen die ausbeuterischen Gesellschaften, in denen die Vergewaltigung der Natur die Vergewaltigung des Menschen verschärft. Die Entdeckung der befreienden Kräfte der Natur und ihrer entscheidenden Rolle beim Aufbau einer freien Gesellschaft wird zu einer neuen Kraft gesellschaftlicher Veränderung."



Hat Solidarität unter Menschen Vorrang?

Mitunter wird allerdings die Frage aufgeworfen, ob man denn nicht hinsichtlich der Befreiung des Menschen und jener anderer Tiere dem Menschen absolute Priorität einräumen müsse. Obschon er sich keine freie Gesellschaft vorstellen konnte, "zu deren ,regulativen Ideen der Vernunft` nicht der gemeinsame Versuch gehörte, die Leiden, welche die Menschen den Tieren zufügen, folgerichtig zu verringern", meinte selbst Marcuse in Konterrevolution und Revolte (1972): "Angesichts des Leids, das Menschen von Menschen zugefügt wird, erscheint es unverantwortlich 'verfrüht', sich für universellen Vegetarismus oder synthetische Nahrungsmittel einzusetzen; angesichts der gegenwärtigen Welt hat menschliche Solidarität unter Menschen unbedingten Vorrang." Bereits 1965 schrieb er allerdings: "Dass die Gewalt beseitigt und die Unterdrückung so weit verringert wird, als erforderlich ist, um Mensch und Tier vor Grausamkeit und Aggression zu schützen, sind die Vorbedingungen einer humanen Gesellschaft."

Das Streben nach der Befreiung der Tiere und der Wunsch, die Menschheit zu emanzipieren, verfolgen gar keine unterschiedlichen Ziele oder Interessen; sie lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, im Gegenteil hängen sie eng miteinander zusammen. Vielen Freiheitskämpfern früherer Zeiten erschien das als vollkommen klar.



"Aber es hängt alles zusammen"

Die große Revolutionärin und Kämpferin in der Pariser Kommune Louise Michel etwa beschrieb als den wesentlichen Antrieb ihres politischen Aufbegehrens stets das Gefühl der Verbundenheit, der Solidarität - auch und gerade mit den Schwächsten und Wehrlosesten: "Im Kern meiner Empörung gegen die Starken finde ich, so weit ich zurückdenken kann, meinen Abscheu gegen die Tierquälerei wieder", heißt es in ihren Memoiren (1886) und weiter: "Von der Zeit, da ich auf dem Land die Grausamkeiten gegen die Tiere erlebte und das entsetzliche Bild ihrer Lebensbedingungen erfasste, stammt mein Mitleid für sie und dadurch mein Bewusstsein über die Verbrechen der Macht. So handeln die Führenden mit den Völkern! Ich konnte nicht umhin, diese Überlegung irgendwann anzustellen." Zu ihrem Klassenstandpunkt gelangte sie durch die unmittelbar erlebte Not der Bauern und die Qual der Tiere: "Was die Reichen betrifft, so hatte ich für sie wenig Achtung; und da kam mir der Kommunismus in den Sinn. Die harte Feldarbeit sah ich so, wie sie ist: sie beugt den Menschen wie den Ochsen über die Furchen; das Schlachthaus steht für das Tier bereit, wenn es verbraucht ist; der Bettelsack für den Menschen, wenn er nicht mehr arbeiten kann." Auch Michel hat man oft vorgeworfen, dass sie mehr Sorge für die Tiere als für die Menschen empfinde - ihre Antwort auf solche Anschuldigungen war: "Aber es hängt alles zusammen, von dem Vogel, dessen Nest man zertritt, bis zu den Nestern der Menschen, die der Krieg dezimiert. Das Tier krepiert vor Hunger in seinem Loch, der Mensch stirbt daran in fernen Gegenden. Und das Herz des Tieres ist wie das Menschenherz, sein Gehirn ist wie das des Menschen, nämlich fähig zu fühlen und zu begreifen. Man mag noch so sehr darauf treten, die Wärme und der Funke darin erwachen immer wieder. Bis zur Blutrinne des Laboratoriums vermag das Tier Liebkosungen oder Grausamkeiten zu empfinden."


Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein

Über lange Zeit handelte es sich bei solchen Positionen innerhalb der Linken eher um randständige. Marx und Engels bedachten die Ausbeutung der Natur durch den Kapitalismus zwar bereits in gewisser Weise mit, stellten sie aber keineswegs ins Zentrum ihrer Gesellschaftstheorie; erst ab den 1940er Jahren richteten bedeutende marxistische Theoretiker im Westen ihren Fokus darauf: Die Vertreter der Kritischen Theorie, vor allem Horkheimer, Adorno und Marcuse. Nimmt man ihre - historisch-materialistische - Perspektive ein, die von den großen zivilisatorischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts geprägt ist, so sieht man, dass die Geschichte der Anstrengungen des Menschen, über die Natur und die Tiere zu herrschen, auch die Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen ist, und dass die Befreiung von Mensch und Tier sich gegenseitig bedingen - oder, wie Max Horkheimer sich in Zur Kritik der instrumentellen Vernunft (1967) ausdrückte: "Der Mensch teilt im Prozess seiner Emanzipation das Schicksal seiner übrigen Welt. Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein. Jedes Subjekt hat nicht nur an der Unterjochung der äußeren Natur, der menschlichen und der nichtmenschlichen, teilzunehmen, sondern muss, um das zu leisten, die Natur in sich selbst unterjochen." Deshalb war für ihn der Kampf für das Tier auch ein Kampf für den Menschen. Moshe Zuckermann, einer der bedeutendsten lebenden Vertreter der Kritischen Theorie, fasst diese Perspektive folgendermaßen zusammen: "Die Beherrschung der äußeren Natur geht zwangsläufig mit der Beherrschung der inneren einher, was wiederum die determinierende Grundlage für die soziale Herrschaft des Menschen über den Menschen generiert."

Nicht nur gründet also, wie in der Wolkenkratzer-Metapher Horkheimers, der gesamte kapitalistische Gesellschaftsbau, den Adorno 1963 als eine große "Aktiengesellschaft zur Ausbeutung der Natur" bezeichnet, auf dem Leiden der Tiere, die Herrschaft über sie ist auch in vielfältiger Art und Weise mit der Herrschaft des Menschen über den Menschen verbunden, weshalb die auf die Befreiung des Menschen zielenden Emanzipationsbewegungen nicht zum Ziel führen können, solange sie diesen Aspekt ausblenden. Der italienische marxistische Philosoph Marco Maurizi schreibt hierzu, die ganze Geschichte der Zivilisation finde in der Sklaverei der Natur ihren Ursprung und in der menschlichen Sklaverei ihre logische Fortsetzung: "Die verwaltete Welt, die wir heute erleben, ist die Vollendung jener ursprünglichen Gewalt. Die Unterdrückung der Tiere ist nicht nur Teil der Geschichte der Freiheit, sondern auch unserer eigenen Sklaverei. Die Gewalt, die wir gegen Tiere übten, schlägt gegen uns um" - sie sollte also nicht nur zum Wohl der Tiere, sondern auch zu unserem eigenen überwunden werden.



Keine Argumente für Speziesismus

Als Speziesismus wird seit den 1970er Jahren jene Ideologie bezeichnet, welche diese institutionalisierte Gewalt, die tagtäglich gegen Tiere verübt wird, weiterhin legitimiert, obwohl die Entwicklung der Produktivkräfte inzwischen einen Stand erreicht hat, der es ohne Weiteres ermöglichen würde, auf die traditionell in der westlichen Kultur verankerte Tierausbeutung und das damit verbundene Leid zu verzichten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Ideologie längst unhaltbar geworden. Volker Sommer, Inhaber des Lehrstuhls für evolutionäre Anthropologie am University College in London und einer der renommiertesten Primatenforscher weltweit, fordert Grundrechte für unsere nächsten evolutionären Verwandten und spricht in Interviews davon, dass der historische Moment gekommen sei, um nach Nationalismus, Rassismus und Sexismus auch den Speziesismus zu überwinden.

Gerechtfertigte Argumente für die Aufrechterhaltung der Ausbeutung der Tiere gibt es nicht, so wie es in vergangenen Jahrhunderten keine gerechtfertigten Argumente gegen die Befreiung der Sklaven gab. Man kann davon ausgehen, dass jene Kräfte, die sich angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Tiere, die wir heute haben, noch gegen deren Befreiung stellen, von nachfolgenden Generationen so angesehen werden, wie wir heute auf die Verteidiger der Sklaverei zurückblicken. Wenn die Linke nicht auch auf diesem Feld den Kampf aufnimmt, wird sie hinter dort tätige bürgerliche Bewegungen zurückfallen und die Chance preisgeben, eine wahrhaft befreite Gesellschaft zu erreichen - denn wenn sie kein anderes Verhältnis zur unterdrückten Natur und zu den Tieren entwickelt, können die Emanzipationsbewegungen nicht zum Erfolg führen. Es gilt: Tierbefreiung ist Voraussetzung und Resultat der Emanzipation des Menschen.

* Vom Autor ist der Titel "Antispeziesismus" in der theorie.org-Reihe des Stuttgarter Schmetterling-Verlags erschienen.
www.facebook.com/Antispeziesismusbuch

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Hohe Menschen und niedrige Tiere

Geht's um Naturverhältnisse, sinkt das Niveau linker Debatten schlagartig

von Susann Witt-Stahl

Die linksneoliberale Partei Die Grünen versuchte im deutschen Bundestagswahlkampf mit der nicht neuen Idee der Einführung eines "Veggie-Days" pro Woche in öffentlichen Großküchen und Kantinen zu punkten. Dieses Vorhaben scheiterte kläglich. Gegen die drohende "Öko-Diktatur" übte ein wutschäumender Bürgermob den Schulterschluss mit Vertretern der Regierungsparteien. So bewegte sich ein von Jungen Liberalen und Mitgliedern der Jungen Union angeführter anachronistischer Zug mit Bier und Würsten vor die Berliner Zentrale der Grünen. "Grill-Protest! Sie fordern: 'Bürgerrechte stärken.'", lautete die Vollzugsmeldung der Bildzeitung.

Unverhoffte Schützenhilfe bekam die Bürgerwehr gegen Tier- und Klimaschutz von einem Sozialisten: Der Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, Matthias Höhn, warf sich sogleich in Aschermittwochsreden-Pose, bei dieser Gelegenheit auch gleich alle keynesianischen Grundsätze seiner Partei über Bord und war mit den Marktradikalen ganz einer Meinung: Der Staat hat "den Menschen nicht vorzuschreiben, was sie wann zu essen haben" - also das milliardenfache pulsierende Gemetzel in den Schlachtstraßen gefälligst nicht zu regulieren. Darüber hinaus ließ Höhn es sich nicht nehmen, die Forderung eines ohnehin nur symbolischen wöchentlichen Fleischgenuss-Interruptus als "antiemanzipatorisch" zu geißeln. Was im Umkehrschluss an der von ihm propagierten neandertalensischen (dazu sozioökonomisch und ökologisch untragbaren) Alltagspraxis "emanzipatorisch" sein soll, bleibt sein Geheimnis und hier getrost unerörtert.

Höhns Ausraster ist allerdings symptomatisch für den abrupten Niveauabfall in linken Debatten und die regressiven Bedürfnisse der Akteure, die sich nicht selten als Idealisten, Sozialdarwinisten und andere Reaktionäre entpuppen, sobald es um das im Mittelalter zur Bestie, im Frühkapitalismus zum Automaten, im Neoliberalismus vollständig zur Ware erniedrigte Tier geht.



Die Gewalt des identitätssetzenden Geistes

Von im fleischlinken Milieu kursierenden "Scherzen" über das Elend und Leiden der Tiere (sowie das Mitleiden von Menschen, die deren Qualen nicht ignorieren können), die ohnehin nichts anderes bezeugen als den Verlust jeglicher humanen Orientierung ihrer Urheber, einmal abgesehen: Wenn's um Tiere geht, ist der Mut vieler Marxisten, hinter die erkenntnistheoretischen Errungenschaften des Historischen Materialismus zurückzufallen, schier grenzenlos: "Im Gegensatz zu anderen Spezies hat die Menschheit eine Geschichte", heißt es in dem Diskussionspapier "Zur Kritik des Antispeziesismus" der Jungen Linken gegen Kapital und Nation. Dieser ist offenbar entgangen, dass der Mensch noch in der Hölle der Vorgeschichte schmort und von der bewussten Gestaltung der Geschichte weit entfernt ist. Entscheidend aber ist: Die der Leugnung einer nichtmenschlichen Naturgeschichte immanente Behauptung einer "Antithesis von Natur und Geschichte" ist "falsch, weil sie die Verdeckung der Naturwüchsigkeit der Geschichte durch diese selber vermöge ihrer begrifflichen Nachkonstruktion apologetisch wiederholt", wie Adorno solchen idealistischen Vorstellungen entgegenhält, "Abdruck jener Gewalt" sind, "welche der identitätssetzende Geist der Natur antut" (Fortschritt 102).

Die ins Metaphysische abgleitende Verwirrung der Jungen Linken ist ein charakteristisches Beispiel für die intellektuelle Misere der speziesistischen Linken. Wie viele von ihnen geht diese immerhin 8.000 Mitglieder zählende Organisation in ihren Publikationen fälschlicherweise davon aus, dass ihr vom Kantischen Idealismus und Krypto-Idealismus durchwirktes Naturverständnis in der Gesellschaftskritik der marxistischen Theoriebestände beheimatet ist. In Wirklichkeit denken die Jungen Linken dualistisch, nicht dialektisch. Sie reden von einer "Grenze" zwischen Mensch und Tier, von "grundsätzlichen", "qualitativen" Unterschieden und singen ein Hohelied auf die ihrer Ansicht nach erst vom Menschen auf die Welt gebrachte Vernunft, die sie partout nicht als bereits elementar in der "Tierseele" angelegte (Dialektik der Aufklärung 263f) verstehen können. Die Instinkte, Gefühle, das unbewusste zielgerichtete Handeln der Tiere bilden Vorformen, das Substrat menschlicher Vernunft.

Diese ist als in der Unfreiheit der zweiten Natur die innere und äußere Natur (noch) nicht begreifende, sondern nur beherrschende Vernunft mit Natur identisch und nichtidentisch. "Dass Vernunft ein anderes als Natur und doch ein Moment von dieser sei, ist ihre zu ihrer immanenten Bestimmung gewordene Vorgeschichte", so Adorno. "Naturhaft ist sie als die zu Zwecken der Selbsterhaltung abgezweigte psychische Kraft; einmal aber abgespalten und der Natur kontrastiert, wird sie auch zu deren Anderem." (Negative Dialektik 285) Das zwanghafte Bedürfnis des Menschen nach Abgrenzung von den Tieren spiegelt ideologisch das im Zuge blinder Naturbeherrschung gespaltene menschliche Bewusstsein, das nach wie vor Natur ist und sich einbildet Nicht-Natur zu sein.



"Es ist ja bloß ein Tier"

Wie so viele andere durch den Neoliberalismus konditionierte Linke steht auch die Junge Linke nicht nur auf Verballhornungen des Historischen Materialismus, sondern auch - und vor allem - auf "leckeres Essen und coole Klamotten". Das zur Geldmonade verkümmerte bürgerliche Subjekt findet es einfach geiler, wenn man dumpfen Konsumismus irgendwie mit Marx oder so begründen kann. Vorstellen kann es sich gesellschaftliche Naturverhältnisse nur - die Gesetzmäßigkeiten der zweiten Natur, der Klassengesellschaft, hat es artig internalisiert und trachtet vorbewusst danach, sie in der Herrschaft des Menschen über die Tiere zu verewigen - als Verhältnis von oben zu unten: "Wenn man das Tier nicht zum Menschen erhöhen kann, muss man den Menschen eben zum Tier erniedrigen", attackieren die Junge Linken die Tierbefreiungsbewegung und werfen ihr "Menschenfeindlichkeit" vor.

Sie wollen nicht wahrhaben, dass die "Niedrigkeit" der Tiere gesellschaftlich hergestellt und kein Naturgesetz ist - "Hierarchie war von je Zwangsorganisation zur Aneignung von fremder Arbeit" (Adorno), im Fall der Tiere, wie auch von menschlichen Sklaven, zum Zweck der Zurichtung zu Produktionsmitteln und Waren. "Wir beuten Tiere nicht aus, weil wir sie für niedriger halten, sondern wir halten Tiere für niedriger, weil wir sie ausbeuten", räumt der marxistische Philosoph Marco Maurizi mit einem verbreiteten Irrtum auf.

Dass das Tier aber auch gesellschaftlich zum Tier erniedrigt wird, um Menschen gesellschaftlich zum Tier erniedrigen zu können - dieses von Adorno mit allen erschütternden Konsequenzen dargelegte Problem haben die offenbar auf der vom Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts geprägten zoologischen Hierarchie der Brüll'schen Pyramide und sonstigem Jägerlatein beharrenden "Marxisten" noch gar nicht in Erwägung gezogen. "Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen", so Adorno in dem Aphorismus "Menschen sehen dich an", "enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom". Aber dessen Möglichkeit entsteht eben nicht erst angesichts der zu Tieren erniedrigten Menschen, sondern bereits "in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Menschen trifft" und dieser sagt: "Es ist ja bloß ein Tier" (Minima Moralia 133). Die von Idealisten stets in Stellung gebrachte Behauptung einer fundamentalen Differenz zwischen Mensch und Tier - die Missachtung der Tatsache, dass der Mensch ein "gesellschaftliches Tier" (Karl Marx) ist -, so Adorno, habe zur Folge, dass "Humanität unablässig droht, in Inhumanität umzuschlagen" (Beethoven 123).



Solidarität des Lebens

Wer den Menschen als Antithese oder als das ganz Andere zum Tier setzt, der leugnet auch den allen Menschen wie den Tieren innewohnenden mimetischen Impuls, der sich in entwickelter und vergesellschafteter Form als Mitleid äußert. Schopenhauer hatte eine "kategoriale Auftrennung der Kantischen Einheit von Vernunft und Moral" vorgenommen, eine "ursprüngliche Wesensgleichheit der intellektuellen Ausstattung von Tier und Mensch" vorausgesetzt und das Mitleid aus gutem Grund als einzig sinnvollen Ausgangspunkt für eine Ethik begriffen, die der vom blinden Selbsterhaltungstrieb motivierte bellum omnium contra omnes als ewig gültige höchste Ordnung der Dinge (Grundlage kapitalismuskonformer Anthropologie) nicht akzeptiert. Die von Schopenhauer ausgehende "Entzauberung des idealistischen Vernunftbegriffs" durchzieht die Kritische Theorie als Kritik der instrumentellen Vernunft (Schmid Noerr 157). Adorno und Horkheimer betrachteten das Mitleid, auf Basis einer Kritik an Schopenhauer, als zentrale Kategorie ihrer negativen Moralphilosophie, deren Keimzelle der Impuls der "nackten physischen Angst ist und das Gefühl der Solidarität mit den, nach Brechts Wort, quälbaren Körpern, der dem moralischen Verhalten immanent ist"(Negative Dialektik 281) und den das aus der Bewusstlosigkeit blinder Naturbeherrschung erwachte und zum Eingedenken der Natur fähige Subjekt in Form einer speziesübergreifenden "Solidarität des Lebens überhaupt" (Materialismus und Moral 136) exekutiert.

Entsprechend erheben die jungen linken Krypto-Idealisten heftig Einspruch, wenn das Mitleid "als eine Art Natureigenschaft", als "Naturinstinkt" erkannt wird, "welcher auch in die menschliche Natur hereinragt" und nur dadurch unterdrückt werden kann, dass der Mensch mittels seiner Vernunft etwas anderes als wichtiger setzt (Junge Linke: kritik-am-veganismus). Die Kantische Ethik mit "ihrem transzendentalen Anspruch, dass der Mensch der Natur die Gesetze vorschreibt", lässt "fürs Mitleid keinen Raum" (Adorno, Beethoven 123). Der Ökonom Friedrich Pollock, ebenfalls ein führender Vertreter der Kritischen Theorie, sieht das Problem der Unterdrückung der Wahrheit, dass der natürliche mimetische Impuls existiert und unverzichtbarer Treibstoff für einen gelungenen Zivilisationsprozess ist, in der "verkehrten Metaphysik" des Kapitalismus angelegt: "Diese setzt voraus, dass die bürgerliche Welt, in der jeder nur für sich sorgen kann, die natürliche ist", der "individuelle Selbsterhaltungstrieb das allein Entscheidende im Menschen ist, und dass man für das eigentlich Menschliche, das heißt, alles, was sich erst unter besseren Bedingungen entwickeln kann, noch einer Begründung bedarf" (Zum Problem der Moral).



Die "blinde Freiheit" der Natur

Fanatisch für Fleisch und dumm wie Brot? Wenn Linke, die sich im Lager der Historischen Materialisten verortet wähnen, nicht selten aggressiv für die Fortexistenz der Schlachthöfe inklusive der darin praktizierten Alltagsbarbarei streiten, dann ist weitaus mehr im Spiel als Ignoranz. Wer wie die junge Linke stolz verkündet, dass er sich "total diskriminierend" ausschließlich um Menschen kümmert (Junge Linke: ueber-uns - vor einigen Jahren hat sie eine Überarbeitung einiger ihrer Positionen angekündigt, die bis dato nicht erschienen ist), der ist emotional und intellektuell erstarrt in der eigenen bürgerlichen Kälte, die empfindungsfähige Lebewesen zum Exemplar verdinglicht. Er hat sich längst gemütlich arrangiert mit dem auf das Recht des Stärkeren pochenden neoliberalen Konsens und will vor allem das eine: dass die Welt so bleibt, wie sie ist.

Wahrhafte Marxisten hingegen empfinden wie Engels "eine schmähliche Verachtung gegen die idealistische Überhebung des Menschen über die anderen Bestien" (MEW 29, 338) - nicht zuletzt weil dieser Spezieschauvinismus die Selbsterkenntnis von uns als mit quälbaren Körpern ausgestattete menschliche Tiere, die im kapitalistischen Gesellschaftsbau gefangen sind, vereitelt und den Blick auf die Möglichkeit der Befreiung des Menschen verstellt. Der Historische Materialist wird daher nicht müde, an dem falschen Mensch-Tier-Dualismus zu rütteln, das in der Natur Vorhandene Potential "blinder Freiheit" aufzuspüren, jene, wie es Herbert Marcuse forderte, von ihrer Blindheit erlösen und ihr endlich helfen, die "Augen aufzuschlagen" (Konterrevolution und Revolte 80f.).



Literatur

Adorno, Theodor W: Fortschritt, in: Philosophie und Gesellschaft. Essays, Stuttgart 1984.

ders.: Negative Dialektik, Frankfurt a.M. 1975.

ders.: Minima Moralia, Frankfurt a.M. 1997.

ders.: Beethoven. Philosophie der Musik, Frankfurt a.M. 1999.

Engels, Friedrich: Briefe MEW29.

Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1992.

Horkheimer, Max: Materialismus und Moral, in: Gesammelte Schriften Bd. 3.

Junge Linke: www.jungelinke.de/zu-meine-freunde-ess-ich-nicht-kritik-am-veganismus-1
und bewegung.taz.de/organisationen/jimmyboyle/

Marcuse, Herbert: Konterrevolution und Revolte, Frankfurt a.M. 1973.

Maurizi, Marco: www.tierrechtsgruppe-zh.ch/wp-content/files/marco_maurizi_interview.pdf

Pollack, Friedrich: Zum Problem der Moral. Philosophische Notizen, Manuskript.

Schmid Noerr, Gunzelin: Gesten aus Begriffen, Frankfurt a.M. 1997.

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Dead Men Working

Fleisch oder Nicht-Fleisch?

von Maria Wölflingseder

Ich war nie eine große Fleischesserin. Am Großfamilientisch gab's eher wenig Fleisch und Wurst. Es schmeckte mir aber alles, was Muttern uns kredenzte. Ein Großteil der Nahrung bestand aus Roggenbrot und aus Weizengerichten: Nudeln, Nockerl, Knödel, Buchteln, Palatschinken, Kaiserschmarrn, Grießkoch, Grießsuppe und Grießnockerlsuppe. Auch Milch und Milchprodukte verzehrten wir, und viel selbst gemachte Marmelade und Fruchtsäfte. - In den 80er Jahren wurde auch ich von der Müsli-Welle mitgerissen. Man lebte gesund. Man aß Vollkornbrot, reichlich Milchprodukte, viel Obst und Gemüse - am besten roh. Und wenig oder gar kein Fleisch. Also im Großen und Ganzen gemäß den offiziellen Empfehlungen, die auf der viel beschworenen Ernährungspyramide der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung beruhen. Pumperlgesund müsste ich also gewesen sein. Fehlanzeige! Mit 30 Jahren merkte ich, dass das gesunde Essen meine Beschwerden sogar noch verschlimmerte. So alt musste ich werden, bis ich anfing, mich meiner Gesundheit zu widmen. Davor war ja alles andere viel wichtiger. Man ist jung und der Körper steckt vielerlei "Malträtierungen" locker weg. Man hat zwar viel gelernt und viel studiert, aber was Brauchbares über Gesundheit war mitnichten dabei.

Was folgte, war eine zwei Jahrzehnte lange (!) Odyssee in millimetergroßen Schritten. So langsam ging es mit den Erkenntnissen voran. Da meine Verdauung und mein ganzer Stoffwechsel nicht in Ordnung waren, vermutete ich eine Krankheit als Ursache. Aber niemand der zahlreichen konsultierten Ärzte und Ärztinnen konnte mir weiterhelfen. Die Probleme hatten natürlich schon in der Kindheit mit oftmaligem Sodbrennen, mit Karies und arg zerklüfteten eitrigen Mandeln angefangen. Es folgten unreine Haut, chronische Darmentzündung - ständig zwischen Verstopfung und Durchfall, und eine hohe Belastung mit Candida-Pilzen. Ich hatte ein schwaches Bindegewebe, "schwache Nerven", Gelenksprobleme, und die Lymphe staute sich im Gesicht. Nach dem Essen war ich stets müde. Große Aktivität und große Erschöpfung wechselten einander ab. In Händen und Füßen fror ich immerzu. Oft hatte ich starke Verkühlungen und manchmal gar die Grippe. Mit 43 bekam ich recht arge Neurodermitis. Außerdem war mein Blutbild überhaupt nicht mehr okay: großer Eisen- und Mineralstoffmangel, Anämie, stark erhöhte Thrombozyten, erhöhte Blutsenkung, sicher auch Vitaminmängel, die aber nie getestet wurden.

Mit 50 stieß ich auf das kurz zuvor erschienene Buch "Was den Einen nährt, macht den Anderen krank" der Wiener Ernährungsberaterinnen Karin Stalzer und Christina Schnitzler (überarbeitete Auflage 2013). Ihre Sicht ist so einfach wie einleuchtend: Menschen haben einen ganz unterschiedlichen Stoffwechsel und brauchen daher ganz unterschiedliche Nahrung. Die einen mehr Kohlenhydrate bzw. nur weißes Fleisch, die anderen viel rotes Fleisch, Fisch und (tierisches) Fett - Kohlenhydrate in großen Mengen bekommen ihnen nicht, und die dritten sind mit ausgewogener Ernährung am besten versorgt. Überdies vertragen auch in unseren Breiten wesentlich mehr Menschen genetisch bedingt Laktose nicht, als die Schulmedizin behauptet. Außerdem haben heute viele mit Gluten (Klebereiweiß des Getreides) und mit Fructose große Probleme. Laktose und Gluten schädigen auch mich stark.

Die Ursache meiner Beschwerden war also keine Krankheit, sondern "nur" die ungeeignete Nahrung! Leider haben - naturbedingt - nicht alle auf das für sie Bekömmliche Appetit. Ich könnte mich gut und gerne auch nur von Kohlenhydraten ernähren, obwohl ich ein Rotfleisch-und-Fett-Typ bin. Mir war es auch unmöglich, alle unverträglichen Lebensmittel selbst herauszufinden, weil diese in meinem Stoffwechselfall - quasi der extremste, der sich seit Urururzeiten kaum weiterentwickelt hat - sehr viele sind.

Nachdem die Ernährungsberaterin mich getestet und ich meine Ernährung umgestellt hatte, verschwanden meine Beschwerden, und mein Blutbild ist heute mit 55 so passabel wie noch nie. Nach 50 Jahren "Selbstbeschädigung" braucht es allerdings einiges an Geduld und Erholungszeit. Natürlich sind nicht bei allen die Auswirkungen unpassender Ernährung so spektakulär wie bei mir. Trotzdem sind viele ernährungsbedingt schlecht versorgt, was unter anderem ein Grund für die Entstehung von lebensbedrohlichen Krankheiten sein kann. - Auf Kaiserschmarrn und Co. muss ich aber nicht gänzlich verzichten. Wie immer macht die Dosis das Gift. Kostverächterin bin ich keine geworden. Aber meinem Alter entsprechend: man wird anspruchsvoller. In jeder Hinsicht.

Dass "richtige" Ernährung für die Gesundheit unabdingbar ist, hat auch die Schulmedizin erkannt. Allerdings propagiert sie eine Variante für alle - diese ist jedoch nur für einen von sechs Stoffwechseltypen bekömmlich. Für alle anderen sind die offiziellen Empfehlungen unzureichend oder gar eine regelrechte ernährungsphysiologische Misshandlung. (Wäre das nicht ein Fall für Schmerzensgeld?) - Heute verursachen mir "nur" noch all die falschen Gesundheitsregeln Bauchweh, die uns permanent vorgebetet werden. Wer sich nicht gründlich damit befasst hat, kann sich in diesem - oft widersprüchlichen - Dschungel kaum zurechtfinden. Was ist wesentlich und was schlichter Nonsens? Darüber habe ich auf meiner langen Entdeckungsreise viel erfahren - es würde bereits ein Buch füllen. Dass Fleisch ungesund und ein hoher Cholesterinspiegel bedrohlich ist, gehört zum größten Schwachsinn. Fleisch ist für die Gesundheit fast jedes Menschen notwendig. Es gibt auch keinerlei Bevölkerung (außer kleine Gruppen in Indien), die je ohne gelebt hätte. Während die einen mit geringen Mengen an weißem Fleisch gut versorgt sind (und von rotem Gicht bekommen können), ist für andere rotes Fleisch und Fett das Wichtigste (für diese hingegen kann Fructose zur Gicht-Gefahr werden). Gänzlich ohne Fleisch kommt gerade mal ein Stoffwechseltyp gut zurecht. Und die - wie so vieles von Pharma-Multis in die Welt gesetzte - "Cholesterin-Lüge" (vgl. das gleichnamige Buch) hat der Münchner Herzspezialist Walter Hartenbach längst entlarvt. Wichtig ist vielmehr ein hoher HDL-Cholesterin-Spiegel (genügend Omega?)-Fettsäure v.a. durch Fischgenuss) und ein niedriger Triglyceride-Spiegel.

Fleisch oder Nicht-Fleisch? Die Frage ist, welches und wie viel der Stoffwechsel verlangt.

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Geistiges Tierreich

von Emmerich Nyikos

"Derjenige, der nicht nachdenken will, verzichtet auf die Eigenschaft eines Menschen und soll wie ein entartetes Tier behandelt werden."
(D. Diderot)

"In der Bibel sagt Christus: 'Seid denn ihr nicht besser als die Sperlinge?' Wir sind es als Denkende - als Sinnliche so gut oder so schlecht wie Sperlinge."
(G. W. F. Hegel)

"Was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet, ist doch letztlich, dass er mehr tut, als für ihn selbst unbedingt notwendig ist. Wenn man schon von Humanismus reden will, so ist das die Grundlage."
(H. Müller)

1.

Wenn man nach einer Definition des Homo sapiens sucht, so wird man finden, dass für den Posten der differentia specifica unter allen Kandidaten der "Geist" von den Sachverständigen auf diesem Gebiet an erster Stelle in der Liste gereiht wird oder, alternativ, das Denken und in neuerer Zeit, nach dem linguistic oder, was auf dasselbe hinausläuft, cultural turn, vornehmlich die Sprache (post-modern ausgedrückt: der "Diskurs"), die aber, unter der Hand, als "Geist" gehandelt wird. Manchmal ist man sich sogar bewusst, dass der Mensch auch irgendwie "Tier" (also Teil der Natur) ist, aber dann wird dieses Tier sogleich mit dem Epitheton vernünftig oder werkzeugmachend versehen, also als animal rationale oder tool making animal apostrophiert (wobei das tool making natürlich bewusste Überlegung miteinschließt).

Nur scheinbar fallen aus diesem Schema die Humanethologen à la Konrad Lorenz heraus, für die der Mensch in seinem Verhalten sich kaum von der Graugans oder sonst einem Getier unterscheidet; oder die Soziobiologen im Fahrwasser Dawkins', die das selfish gene zu einem mastermind hochstilisieren, der das menschliche Verhalten steuert und lenkt. Aber eben nur scheinbar: Denn auch sie können im Grunde nicht leugnen, dass Roboter und Düsenjets nicht von Graugänsen konstruiert werden können und dass, wie sehr auch die Gene das Verhalten herumkommandieren, es doch auch Gene sind, die darin hochkant scheitern sollten, die Produktion der Divina Commedia, der Kunst der Fuge, des Taj Mahal und, last but not least, des Ángel exterminador zu Verhindern.

2.

Nun ist es allerdings keineswegs falsch, wenn man sagt, dass der Mensch ein animal rationale oder tool making animal ist: Denn die Überlegung, das Denken - das profane, das praktische Denken, nicht der "Diskurs" - charakterisiert jegliches Handeln, das über automatisierte Handlungsabläufe (wie das Lenken eines Automobils oder das simple Gehen) hinausgeht. Und genau das unterscheidet den Menschen vom Tier - sofern man ihn als Person, individuell, im Singular, nimmt -, wenn auch nicht derart absolut, wie manche das gerne glauben würden, sieht man sich das Verhalten der einen oder anderen Primatenart an. Dieser Umstand, den es schwer fallt zu leugnen, bedeutet freilich mitnichten, dass sich die Menschheit, die globale Gesellschaft, bereits aus dem Tierreich herausgelöst hätte: Als Kollektiv oder Art unterscheidet sie sich von den anderen Arten nicht im Geringsten. Denn das Denken, die Überlegung, das Räsonnement beschränkt sich auf das Leben im Alltag, die Praxis diesseits des Kirchturmhorizonts der eigenen lieben Person. Die Gesellschaft dagegen denkt nicht, sie stolpert bewusstlos dahin, als Konglomerat von Atomen, die, privat und jeder für sich, dennoch zusammenwirken, aber bewusstlos. Sie stolpert dahin, eben weil sie nicht plant, wie dies jedes Atom dieser Gesellschaft - seien dies nun Personen oder Kapitalentitäten - in seinem Alltagsleben gewohnt ist zu tun. Sie ist "geistiges Tierreich", wie sie Hegel zutreffend nannte.

3.

Solange deshalb das Privateigentum nicht durch das Gemeineigentum abgelöst worden sein wird (und das ist die conditio sine qua non) und solange die Gesellschaft (auf dieser Grundlage dann) nicht bewusst und planmäßig vorgeht, überlegt, bevor sie agiert - und dann epimetheisch erstaunt ist über die "weiteren Folgen des Handelns", die zwar im Handeln, aber nicht in der Absicht der Handelnden lagen -, wird die (Vor-)Geschichte der Menschheit nach wie vor als Naturgeschichte kategorisiert werden müssen. - Wir brauchen uns auf das Denken daher (auf die "Kulturen" mithin oder wie man das auch sonst nennen mag), so wie die Dinge jetzt liegen, jedenfalls nichts einzubilden. Der Schritt heraus aus dem Tierreich - der Bewusstlosigkeit - steht uns im Prinzip erst bevor.

Post scriptum: Die Bewusstlosigkeit mag kein Problem für Schildläuse, Graugänse oder Kängurus sein (und ist es auch nicht), sie ist es allerdings für die Menschheit, da diese ein Konglomerat an "Produktivkräften" hervorgebracht, hat, die zugleich das Potential von Destruktivkräften haben, was für irgendeine sonstige Art natürlich nicht gilt, sieht man einmal von dem (allerdings ganz anders gelagerten) Sachverhalt ab, dass Heuschrecken, indem sie im Nu ganze Landstriche kahlzufressen vermögen, sich dadurch selbst für eine gewisse Zeit der Lebensgrundlagen berauben. Im Gegensatz zum Homo sapiens können sie freilich nicht anders.

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Über Tiere kann man nicht nachdenken

von Ilse Bindseil

Ein Blick etwa in die Reihe "Tierrechte - Menschenpflichten" des Erlanger Verlags Harald Fischer, belehrt darüber, dass über Tiere, in einem zeitgenössischen, auch einem zeitgenössischen historischen Interesse, bereits intensiv nachgedacht wird. Wer sich dem Thema stellen will, kann hier etwas erfahren: wie groß die aufzuarbeitenden eigenen Defizite sind, zum Beispiel, aber gewiss auch, welche Fallstricke bei der Beschäftigung mit ihm lauern.

Dass das Thema für die Reflexion eine einzige Falle ist - und die Defizite daher vielleicht auch als ein Versuch betrachtet werden können, diese Falle zu umgehen -, dieser Verdacht verdichtet sich bei einer eher zufälligen Lektüre, die den formalen Raster stärker als die Inhalte in den Blick nimmt (letztere würden ihn vielleicht wieder zerstreuen). In einer "Sind klügere Tiere schützenswerter?" überschriebenen Kurzrezension des jüngsten, sechzehnten Bandes der oben genannten Reihe, Judith Benz-Schwarzburgs Untersuchung "Verwandte im Geiste - Fremde im Recht. Soziokognitive Fähigkeiten bei Tieren und ihre Relevanz für Tierethik und Tierschutz", wird lobend erwähnt, dass die mit einem Preis ausgezeichnete Autorin "die Untersuchungen zur Tierintelligenz und Debatten um die Tierethik" zusammenführt mit dem Ergebnis der Forderung nach "Persönlichkeitsrechten für Tiere mit soziokulturellen Fähigkeiten" (NZZ vom 22.8.2013). Wir sind hier in der Great-Ape-, in der Delphin-, der Papageiendebatte (ebd.). "Werkzeuge gebrauchen, Aktionen koordinieren, einander helfen und einander übers Ohr hauen, über eine komplexe Kommunikation verfügen und lokale Kulturen ausbilden" (ebd.) macht Tiere den Menschen ähnlich wie seit Jahrtausenden die Menschen Gott und - unähnlich allen anderen Tieren. Soll so beispielsweise auf die Kritik von Günter Anders eingegangen werden, auf die die Vorbemerkung Manuela Linnemanns zur 2000 als Bd. 3 der genannten Reihe erschienenen Anthologie "Brüder - Bestien - Automaten. Das Tier im abendländischen Denken" verweist: "... die Idee, die Einzelspezies 'Mensch' als gleichberechtigtes Pendant den abertausenden und voneinander grenzenlos verschiedenen Tiergattungen und -arten gegenüberzustellen und diese abertausenden so zu behandeln, als verkörperten sie einen einzigen Typenblock tierischen Daseins, ist einfach anthropozentrischer Größenwahn"? (G. Anders: Die Antiquiertheit des Menschen (1956), Bd. 1, München 1994, S. 327, Anm. 33, zitiert nach
www.walk-the-dog.eu/de/materialien/mensch_und_tier/bibliothek/tierrechte/) Ist das die Abkehr vom Unfug, den Menschen als "animal rationale" von allen andern Tieren "abzuheben", die sich "unter den gleichen Sammelbegriff subsumieren lassen: von der Amöbe über die Kellerassel zur Ringeltaube bis hin zum Menschenaffen" (ebd.): dass man, in bewährter Kriegsführung, den Gegner zerlegt?

Ich will diese Bücher nicht lesen!

Wenn, wie jüngst in der Zeitung berichtet, die Hähnchenmästereien, deren Größe und Verteilung allein auf der bundesrepublikanischen Landkarte bereits jetzt Angst einflößen können, um die Auslastung der zugeordneten Großschlachtereien zu gewährleisten, eine Ausdehnung um, im Spitzenfall Hessens, mehr als 200 Prozent planen (wobei der Absatz über Afrika gesichert wird), dann wird eine Nutzanwendung der oben angedeuteten Spaltung der Tiere deutlich: Hähnchen denken nicht, das ist geradezu ein Axiom für ihre industrielle Aufzucht und Großschlachtung. Über Industriehähnchen, jedenfalls, kann man wegen der in der Rezension ebenfalls genannten "zwei (anerkannten) Gründe [n] ..., Tiere zu schützen, nämlich Leidensfähigkeit und Gefährdung", nicht nachdenken: Wie könnte gefährdet sein, was man vervielfältigt, und wie käme die Emotion in den industriellen Prozess; wäre da ein Weg, er müsste ausgeschlossen werden (freilich kommt er als Ekel und Selbstekel zurück, und sei es über die pure Zahl, das schlichte Symbol in der Grafik).

Ist, um Von den "Brüdern im Geiste" zu den Industriehähnchen zu gelangen, was die Ableitung betrifft, ein Abgrund zu überwinden, so kann, wenn es um die Menschenaffen als die wahren Brüder geht, der notwendige Abstand derart unterschritten werden, dass ein Abgrund sich wahrlich auftut: Im Folio-Heft 5 (NZZ), 2012 erinnert Jad Abumrad an die Schimpansin Lucy, die 1962, "am Tag ihrer Geburt", von einem "Psychoanalytiker aus Oklahoma adoptiert" wurde: "Er wollte wissen, ob Schimpansen sich in der Gesellschaft von Menschen zurechtfinden, wollte herausfinden, wie menschlich Affen sein können." Die Einzelheiten dieses skandalösen Experiments rufen Abwehrreaktionen hervor, vergleichbar denen bei der puren Erwähnung von Hähnchenmästereien. Sie erfüllen den zwischen Missbrauch und Misshandlung oszillierenden Tatbestand in der gewohnten Weise, nur unter der ahnungsvollen Schrecken erregenden Verfremdung, dass die Beteiligten ein Affe und ein Psychoanalytiker sind und das Ganze als Experiment angelegt ist. "In Temerlins Buch heißt es: 'Wir ahnten nicht, was für ein Drama wir schufen, als wir Lucy zu uns holten.'" Die Ahnungslosigkeit könnte ebensogut als das eigentlich Schreckenerregende gewertet werden, so wie die Tatsache, dass der (naturwissenschaftliche) Experimentator ein (von der Sprache und nichts als der Sprache lebender) Psychoanalytiker ist. Sie ist ein Zeichen oder Beweis dafür, dass der unabdingbare Minimalabstand gegenüber dem eigenen Tun, dem anderen Objekt unterschritten und von nun an jede Kombination, der Kurzschluss schlechthin zwischen Psychoanalytiker und Schimpanse, Emotion und Experiment usw. möglich ist.

Haben Hähnchenmästereien mit der Debatte um "Persönlichkeitsrechte für Tiere" (NZZ-Rez.) nur in der höchst unangenehmen Weise zu tun, dass sie dabei herausfallen, so ist die Missbrauchsgeschichte der Schimpansin Lucy, obwohl sie bereits aus den sechziger Jahren datiert, dafür wie maßgeschneidert. So wäre es heute mit den "Persönlichkeitsrechten" von Schimpansen nicht vereinbar, dass man sie dazu verführt, vor menschlichen pornografischen Abbildungen zu onanieren. Darüber sollte freilich nicht vergessen werden, dass für einen solchen Tatbestand der steinzeitlich anmutende Begriff der Tierquälerei durchaus reichen würde. Im Gegensatz zu dem der Persönlichkeitsrechte - und deshalb muss er womöglich überwunden werden - zerstört er auch nicht den Zusammenhang zum industriell gefertigten Tier, das bei seiner Herstellung und Vernichtung ja ebenfalls nicht 'unnötig' gequält werden darf; wobei 'nötig' den gesamten industriellen Komplex enthält. In der Geschichte von Lucy spielt 'unnötig' die heimliche Hauptrolle, wobei das Urteil über das gesamte Experiment an sich, das - wie mir scheint, vom Autor durchaus gelenkt - die gesamte Lektüre begleitet, ungleich leichter als im Fall der Fleischproduktion fallt. Im ersteren Fall muss man nur auf die berühmte innere Stimme hören, im letzteren kann man sich in der gewohnten Weise zerlegen, in Tierfreund und Fleischesser zum Beispiel.

Kann man über Tiere überhaupt nachdenken? Denken kann man nur in der Form des logisch-grammatischen 'über', nachdenken kann man nur über sich selbst. Wo der wesentliche Bezug, ob zum Partner, ob zum Gegenstand, oszilliert (s. O.), ergibt sich eine allgemeine Undeutlichkeit, ein allgemeines Unbehagen, das Gefühl einer fortdauernden Dringlichkeit bei fortdauernder Unlösbarkeit.

Wenn beim Tier nicht sowohl unverzichtbar wäre, dass es ein Partner wie dass es ein Gegenstand ist, könnte man über es nachdenken. Da es aber gleichzeitig einen Objektstatus und eine Spiegelfunktion hat, ist die elementarste Voraussetzung, die Trennung zwischen Subjekt und Objekt, nicht gegeben. Ein Oszillieren zwischen beiden scheint nicht nur die Folge, sondern geradezu die Grundlage des Verhältnisses zu sein. Nicht einmal in der zurückgenommenen Form des eigenen Verhältnisses zum Tier kann man nachdenken, ohne sofort in die Falle zu tappen. Man oszilliert, mit andern Worten, man denkt nicht.

Normalerweise würde man kritisch von Rationalisierung sprechen. Aber für die erhitzten Debatten ums Tier scheint mir dieser Begriff zu verständig.

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2000 Zeichen abwärts

Mensch-Tier-Fluktuation

Wilde Tiere leiden hinter Gittern. Könnte das der Grund sein, warum wir sie einfangen und einsperren? Um so unsere Andersartigkeit bestaunen zu können? Denn wilde Tiere springen gegen die Zäune ihrer Gefängnisse, laufen mit ihren Schädeln gegen die Glasscheiben der Terrarien, und so sie nicht anders entfliehen können, sterben sie an einer Krankheit, um zu flüchten. Menschen und zahme Tiere jedoch leiden keineswegs hinter Gittern; ihre Zähmung wurde möglich, da sie sich einreden ließen, dass die Stäbe ihrem Schutze dienen.

Nietzsche besingt jene Tugenden, die wie aus sich selbst rollende Räder alle Gebote umwerfen; die Taoisten solche, die, jenseits von Urteil und Bestimmung, diese nicht einmal wahrnehmen, geschweige denn ernst nehmen. Sie pochen auf die spontane Überschreitung von Normen und Wissensbegriffen, auf den erlösenden Lacher, der alle Ängste, die das Wilde in uns hemmten, als Ausbund einer Schimäre bloßlegt. Vielleicht liegt darin unsere einzige Möglichkeit; denn der Intellekt ist aus seiner Umgebung konstituiert und unfähig, das Schiff, welches ihn über Wasser hält, anzubohren. Nur der spontane, aus der Lust geborene Sprung ins Nass lässt uns erkennen, dass wir immer Fische waren.

Sie, die wilden Tiere, all die reinen Wesen, die wir ausstopften und zu Schmuck verarbeiteten, sind sie uns nicht stets Mahnmale unserer verspiegelten Verirrung gewesen? Doch wir errieten nicht die Bedeutung unserer Mordlust; den Eltern gleich, die ihre Kinder liebevoll zu allem zwingen, was sie selbst versäumten.

Wohin aber kommen wir, wenn. wir aus uns selbst herausrollen? Werden wir brüllen wie Löwen oder grunzen wie Schweine? Doch wen kümmert das. Allemal besser als wie Menschen zu jammern!

So lasst uns vom Ozean singen!

L.H.

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Eat is murder

Erkundungen im Reich der Tierkörperverwertung

von Franz Schandl

Tierschützer sind mir immer kräftig auf den Zeiger gegangen. Vor allem, wenn sie sich penetrant vor mir aufpflanzten und sinngemäß die Frage stellten, ob ich Tiere mag. Da pflegte ich dann leicht genervt zu antworten: Ja, ich esse sie gerne! Damit war die Sache erledigt.

Heute antworte ich nicht mehr so. Hier war eine unzulässige Überheblichkeit und Unbedachtheit am Werk, die sich gerade in einer elementaren Frage der sonst eingeforderten Reflexion entschlug. Es war ein schlichtes Bekenntnis zur Herrschaft einer Spezies, die davon ausging, sich alles untertan machen zu dürfen. Herrschaft erscheint darin als vorausgesetztes Modell, mochte man auch über die Auskleidung derselben streiten.

Soll ich mich um die Viecher auch noch kümmern? Tja. Inzwischen bin ich nicht unbedingt zum Tierschützer, aber doch zum Tierschätzer geworden, was meint, dass ich mir ein rein instrumentelles Verhältnis einfach nicht mehr gestatte. Es hat sich zusehends ein fragender Respekt eingeschlichen, der weiter verfolgt werden möchte. Die selbstverständliche Verfügung über alles, das Zum-Material-Machen, ist anthropozentrischer Größenwahn. Nicht nur weil er ökologische Katastrophen bedingt, sondern er bereits in seiner Konstruktion angelegt ist.

Ein Tier zu sein, ist immer noch das Letzte: "In den Märchen der Nationen kehrt die Verwandlung von Menschen in Tiere als Strafe wieder. In einen Tierleib gebannt zu sein, gilt als Verdammnis", schreiben Horkheimer und Adorno in ihrer "Dialektik der Aufklärung" (Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften 3. S. 285). Tiere müssen stets herhalten, Menschen zu beleidigen. Menschen sollen degradiert und disqualifiziert werden, indem man ihnen Tierisches unterstellt. "Wie die Tiere", hieß eines der jüngsten Stücke der Elfriede Jelinek, das im Titel genau diesen Raster reproduziert. Doch die Männer, die Jelinek da in gekonnter Weise in ihren Textsequenzen vorführt und seziert, verhalten sich gegenüber den zu Fleisch abgewerteten Frauen unmenschlich, keineswegs tierisch.

Hasen und Hühner

Als mein Großvater Hansi schlachtete, ihn im Schuppen aufhängte, ihm das Fell abzog und ganz unschuldig meinte, das sei unser Hase, wurde mir unmittelbar schlecht. Für den fünfjährigen Knaben hing Hansi blutig an der Wand, und ich hatte ihn doch so lieb. Nun sollte ich Hansi auch noch essen. Ich brachte keine zwei Bissen runter und streikte. Ihn zu füttern war toll, ihn zu futtern war jenseits. Seither will ich keine Haushasen mehr essen, auch Feldhasen nicht. Interessant ist allerdings, dass unmittelbar in meiner Nähe geköpfte Hendl nicht denselben Schauer auslösten. Hasen gehen mir also über Hühner.

Meine Eltern und Großeltern hingegen wunderten sich über dieses absonderliche Gebaren. Solch Sentimentalitäten waren ihnen völlig fremd. Was will das dumme Kind? Die Hasen im Verschlag und die Hühner im Hof waren nach dem Krieg insbesondere für Kleinhäusler und Arbeiter oft die einzige Möglichkeit, überhaupt zu Fleisch zu kommen. Selbst Dachhasen, also Katzen, mussten da dran glauben.

In meiner Kindheit hieß Wohlstand Fleischkonsum. In den Sechzigerjahren wurde regelrecht zelebriert, was man hatte. Bei meinen bäuerlichen Großeltern mütterlicherseits gab es nun fast täglich Schweinernes. Das kam aus dem eigenen Stall, aus der eigenen Verarbeitung und aus dem eigenen Rohr. Das Geselchte und die Blunzen, die Grammeln und das Schmalz, insbesondere aber der Schweinsbraten ernährten die Leute. Die Qualität von alledem war hoch, die Plackerei aber ebenfalls nicht ohne. Es schmeckte vorzüglich. Wenngleich man nichts übrig lassen durfte - das galt als Versündigung -, war Essen doch mit einiger Lust verbunden. Keinesfalls aber das Sau-Abstechen, da suchte ich das Weite. Wenn sie gar jämmerlich quiekte, hielt ich mir die Ohren zu. Jene, die dabei Freude empfanden und unbedingt dabei sein wollten, habe ich nie verstanden.

Nur nicht hinschauen! Uns interessiert das Fleisch in der Pfanne, aber nicht die Tötung des Tieres. Sofern wir was spüren, spüren wir, dass dort Ungeheuerliches passiert. Natürlich halte ich jene, die nicht hinsehen können für feinfühliger, andererseits aber auch für verlogener als die, die sich dazu bekennen und es sogar genießen, auch wenn es nichts anderes ist als Mordsgaudi geheißene Mordlust.

Wird der bewusstlose Fleischkonsum bewusst gemacht, gerät eins in eine prekäre Lage. Dürfen Tiere getötet werden? Theoretisch bin ich mir da nicht so sicher, praktisch allerdings muss ich mir sicher sein, denn wenn ich welche verspeise, dann ist das wohl die Conditio sine qua non. Zu Martini gibt´s ein Gansl. Und natürlich trage ich (wenn geht) Lederschuhe und keine Gummiböck, und, ehrlich gestanden, finde ich Pelzmantel richtig geil.

Mensch und Tier

"Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus", schreiben Horkheimer und Adorno. "Die Welt des Tieres ist begriffslos. Es ist kein Wort da, um im Fluss des Erscheinenden das Identische festzuhalten, im Wechsel der Exemplare dieselbe Gattung, in den veränderten Situationen dasselbe Ding. Wenngleich die Möglichkeit von Wiedererkennen nicht mangelt, ist Identifizierung aufs vital Vorgezeichnete beschränkt. Im Fluß findet sich nichts, das als bleibend bestimmt wäre, und doch bleibt alles ein und dasselbe, weil es kein festes Wissen ums Vergangene und keinen hellen Vorblick in die Zukunft gibt. Das Tier hört auf den Namen und hat kein Selbst, es ist in sich eingeschlossen und doch preisgegeben, immer kommt ein neuer Zwang, keine Idee reicht über ihn hinaus." (Dialektik der Aufklärung, Adorno, Gesammelte Schriften 3, S. 283f.)

Tiere verfügen über Witterung und Ahnung, aber was ihnen fehlt, ist ein reflektiertes Zeitbewusstsein, das etwa "schon" oder "bald" unterscheiden könnte. Für Tiere ist permanent jetzt, sie haben keine Vorschläge für morgen und kein Wissen von gestern, selbst wenn etwas hängen geblieben ist. Erfahrung kennen sie wohl, aber nicht in der Form von Erinnerung und Gedanken. Ihre Reflexion ist auf den Reflex zurückgeworfen, auch wenn es hier unterschiedliche Grade geben kann und so manche Tiere näher bei den Menschen sind als andere.

Das Tier verkörpert die reine Immanenz. Es kann nichts wollen außer müssen. Diese Aussage hat aber nichts "Wertendes" an sich, nicht nur weil wir Werte in unserer Beurteilung sowieso nicht verwenden. Jene sagt also nicht, dass das Tier "minder" und der Mensch "mehr" ist, sie sagt lediglich, dass der Mensch etwas ist, was das Tier nicht ist, weil sein kann. Der Mensch ist also kein "höheres Tier", sondern er ist ein spezifisches Tier und auch etwas anderes als ein Tier. Durch die Gesellschaft ist der Mensch auch aus der Natur herausgetreten. Nie vollständig, aber doch ständig.

Marx und Engels hielten diesbezüglich fest: "Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst." (Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 21) Via Geist kann der Mensch aus seinem Körper heraus, das Tier kann das nicht, es bleibt in sich gefangen. Sein Leben reduziert sich auf das Existenzielle. Substanz geht über Existenz nicht hinaus. Die Bestimmung findet in der Beschaffenheit ihre Grenze. Auch wenn wir diesen qualitativen Unterschied nicht als Rangordnung betrachten sollten, ist er nicht einfach zu eskamotieren.

Die Frage hingegen, ob Tiere eine Seele haben, führt in die Irre, weil sie die falsche Ansicht voraussetzt, dass Menschen über eine solche Verfügen. Doch Seele ist religiös aufgeblasene Sinnlichkeit wie Geistlichkeit aufgeladener Geist. Wir sind Ausdruck sinnlicher Möglichkeiten, nicht beseelter Tatsachen. Dort, wo wir höhere Weihen am Werk sehen, Götter erfinden oder eine Aura entdecken, offenbaren wir die Befangenheit im Fetischismus.

Natur und Nicht-Natur

Mensch ist das, was über den biologischen Organismus und. dessen Funktionen hinausreicht. Diese sind zwar Bedingung des Lebens, aber nicht Bestimmung. Nur bei Menschen fallen Verwirklichung und Beschaffenheit in ihrer Grundkonstitution auseinander. Nur Menschen repräsentieren etwas, das auch Nicht-Natur ist. Selbstverständlich kann man sich auf den Standpunkt der Künstlichkeit gegen die Natürlichkeit stellen. Was wir zumeist gerne tun. Indes, jede Künstlichkeit ist transformierte Natur. Wie wir es auch drehen und wenden, auch wir, die Künstlichen, sind Insassen der Natur.

Der Mensch ist Tier und Mensch, das Tier hingegen ist nur Tier. Wir sind als Körper Teil ihrer spezifischen Welt, doch sie sind nicht Teil unserer spezifischen Welt, auch wenn sie deren Modus unterworfen sind. So sind sie von uns mehr geschieden als wir von ihnen. Sie entkommen uns nicht. Wir erklären uns für zuständig. Darin unterscheiden sich Tiernützer und Tierschützer nicht.

Wenn Tiere andere Tiere bei lebendigem Leib fressen, dann können wir das mit unseren Begriffen eigentlich nicht beschreiben. Es mag uns grausam erscheinen, aber dem tierischen Dasein entsprechend, ist es keine Grausamkeit, sondern eine Notwendigkeit. Wenn der Löwe die Antilope erbeutet, ist das keine Absicht, sondern Ergebnis. Wenn die Mücke uns sticht und Blut saugt, geht dem kein Entschluss voran. Sie folgen ihren Trieben. Sie tun weder Gutes noch Böses, sie verwirklichen nur ihre existenzielle Besonderheit. Die Welt geschieht den Tieren, sie sind selbst in ihren Äußerungen keine Handelnden. "Wo ein Verhältnis existiert, da existiert es für mich, das Tier 'verhält' sich zu Nichts und überhaupt nicht. Für das Tier existiert sein Verhältnis zu andern nicht als Verhältnis." (MEW 3, S. 30)

Tiere töten, aber sie führen keine Kriege, sie bauen keine Schlachthöfe und sie entwickeln keine Vernichtungsprogramme. Sie wollen auch keine andere Spezies ausrotten. Nur Menschen haben Massenschlachtung als auch Massenvernichtung systematisiert. Tiere sind zu derlei gar nicht fähig, es liegt außerhalb ihrer Welt. Das tierische Dasein ist somit wie ein Brocken Natur, der jedoch ebenso den menschlichen Kulturen und ihren Anstalten ausgeliefert ist. Über letzteres sollte diskutiert werden. Denn dieses spezifische "Müssen" der Tiere ist alles andere als unabänderlich.

Anthropozentrisches Provisorium

"Ich finde, es ist eine furchtbare Anmaßung zu glauben, dass ausgerechnet wir, die wir nun einmal Menschen sind, eine andere metaphysische Valenz haben als die Millionen anderen creata, die anderen Geschöpfe und geschaffenen Dinge, die es in der Welt gibt." (Günther Anders antwortet. Interviews & Erklärungen, Berlin (West) 1987, S. 99) Das stimmt, und doch gibt es eine Diskrepanz. Gemeint ist die Selbstschöpfungsfähigkeit der Menschen, die sowohl konstruktiv wie destruktiv weit über die natürlichen Anlagen hinausgeht. Sobald wir denken und sobald wir handeln, greift ein impliziter Anthropozentrismus. Da muss man sich gar nicht explizit dazu bekennen. Wir haben unsere Irrelevanz zu konstatieren und unsere Relevanz zu zelebrieren.

Die zweite Natur verurteilt die Menschen geradewegs dazu, und sie vermögen dies nicht einmal aufzuheben, wenn sie es aufheben möchten. Denn jede Setzung - sei sie so oder so - ist a priori anthropozentrisch. Es geht gar nicht anders. Der objektiven Begrenzungen sind viele. Damit sind die Menschen aber nicht entlastet, im Gegenteil, sie sind damit extrem belastet. Zweifellos, Menschen können etwas, das andere Wesen nicht können. Dieses Vermögen ist ein zufälliges Geschenk der Evolution und keine Legitimation zur Herrschaft, sondern ein Auftrag zur Sorge. Leid erfordert zumindest Mitleid.

Das anthropozentrische Provisorium, dieses fragile Konstrukt, ist nicht einfach abzureißen. Diese Schranke ist weder seriös zu affirmieren noch ernsthaft zu negieren. Das ist ein Paradoxon, für das ich plädiere, ohne mich endgültig festlegen zu wollen. Die etwas niederschmetternde These ist nun die, dass der Anthropozentrismus nur relativiert, aber auf absehbare Zeit nicht überwunden werden kann.

Tierrecht ohne Tierpflicht

Können Menschen über Tiere sprechen, ohne in irgendeiner Weise speziesistisch, rassistisch oder patriarchal aufzufallen? Ich fürchte, nein. Und das ist weniger ein Problem der Abwertung (die man sich zweifelsfrei abgewöhnen könnte) als eines der Behandlung, weil eben die Einseitigkeit des Mensch-Tierverhältnisses nicht schlicht für obsolet erklärt werden kann. Emanzipation hat Grenzen, über die zu diskutieren wäre. So gibt es auch - denken wir nicht in Erdzeitaltern - keine Selbstbefreiung der Tiere.

Die dispositive Anordnung scheint unüberwindbar. Alle Erörterungen setzen voraus, dass Menschen weiterhin über Tiere verfügen können, nur die Inhalte der Verfügung andere sein sollten. Tiere, ja auch die Wildtiere, stehen unter unserer Kuratel. Egal, was debattiert wird, die Kuratel verhandelt unter sich. Schon wenn der Mensch zum Tier jovial sagt: "Du bist jetzt auch ein Rechtssubjekt", dann wirkt das aufgrund der Konstruktion irgendwie lächerlich. Von Menschen kann man verlangen, Vertreter ihrer selbst zu sein, von Tieren kann man das nie verlangen. Sie sind im leersten Sinne des Wortes verantwortungslos. Die Libelle vertritt den Stier vor Gericht, das könnte gerade mal Dietmar Dath einfallen.

Weder können sich Menschen ins Tierreich zurückversetzen, noch können wir Tiere im Menschenreich aufnehmen. Wenn Tiere Rechte haben, dann haben nicht Tiere Rechte, sondern Menschen für Tiere. Tiere bleiben ihren Advokaten ausgeliefert. So oder so. Natürlich ist es ein Unterschied, ob Kühe die meiste Zeit auf der Weide grasen oder ob sie, in wenigen Monaten hochgezüchtet, in unendlichen Transporten auf engstem Raum durch Europa zum Schlachthof gekarrt werden. Das soll nicht abgestritten werden. Alle Maßnahmen, die das Los der Tiere erleichtern, sind in ganz tierfreundlicher und wirtschaftsfeindlicher Weise zu unterstützen.

Tiere zu schützen wie zu schätzen ist eine menschliche Angelegenheit. Tieren kann derlei gar nicht aufgetragen werden. Tierschutz, Tierrecht und Tierbefreiung würden Tieren nie einfallen, weil sie ihnen gar nicht einfallen könnten. Oder will man tatsächlich den Tiger bestrafen, weil er die Antilope reißt oder den Storch, weil er den Frosch frisst, der die Mücke verschluckt, die an uns gesaugt hat? Würde man der Menschen Recht ins Tierreich einführen, bliebe nur eine übergeschnappte Gattung übrig. Wie man es auch betrachtet, die Instanz der Tiere sind die Menschen und nicht die Tiere. Und dies ist hier nicht als selbstgewisses Postulat vorgetragen, sondern als trauriges Resultat unserer Überlegungen.

Abgesehen davon, ist das Rechtskonzept überhaupt fragwürdig. Recht heißt immer auch Pflicht und Gewaltmonopol. Pflichten allerdings können die Tiere nicht wahrnehmen, und ein Gewaltmonopol - man mag es drehen und wenden - ist nur als Herrschaft, die von Menschen vollzogen wird, möglich. Jede Emanzipation, auch der Tiere, ist jenseits von Gleichheit und Hierarchie zu suchen, nicht in einer Analogisierung der Spezies. Auch legen all diese Forderungen nahe, dass der Wert nicht abgeschafft werden soll, sondern dass Tiere und Pflanzen akkurat einen (höheren) Wert erhalten sollen.

Es gibt auch Zonen, wo Tiere gegenüber Menschen bevorzugt sind, man denke nur an bestimmte Varianten des Sterbens. Kein Tier wird in eine aufwendige Chemotherapie geschickt, man geht davon aus, dass Tiere nicht unnötig leiden sollen, und vergönnt ihnen den Gnadentod. "Für Tiere gibt es in Österreich diese friedliche Art des Weggehens, für Menschen nicht", beklagt sich etwa Bärbel Danneberg (Eiswege, Wien 2012, S. 85) nach dem Suizid ihres Mannes Julius Mende. Julius hat sich nach der Diagnose Lymphom in Mödling vor den Zug gelegt. Viele Menschen sterben schlechter als manche Tiere.

Aber würde tatsächlich niemand dem Tier eine Chemotherapie antun? Schon beim Niederschreiben beschleichen mich Zweifel. Vielleicht stimmt das gar nicht mehr, und die stationäre Tieronkologie ist in zwanzig Jahren bereits Realität. Und in fünfzig Jahren Norm. Zumindest für die privilegierten Tiere wie Hunde und Katzen in den reichen Ländern, sofern es solche dann noch gibt. Die Tieronkologie lässt mich folgendes Szenario beschwören: eine Fraktion, die meint, Tiere würden dort nur gequält; eine Fraktion, die davon ausgeht, Tiere seien nach wie vor einzuschläfern; eine Fraktion, die behauptet, auch Tiere hätten den Anspruch auf den höchsten medizinischen Standard. Die Palette möglicher Konflikte ist damit nicht ausgereizt. T.C. Boyles "Wenn das Schlachten vorbei ist" lässt grüßen.

Meat is murder

Banal wie tragisch: Wer nichts isst, wird sterben. Und zwar nicht irgendwann, sondern bald. Verdauen heißt, dass wir uns verwirklichen, indem wir anderes entwirklichen. Die Ideologie einer intransigenten Gleichberechtigung aller Lebewesen oder gar Lebensformen kann nur in der Selbstabschaffung enden. Übergriffe sind also nicht abzuschaffen, sondern zu reflektieren und zu regeln.

Die Kehrseite allen Speisens ist die Entwesung von Materie. Insbesondere ihre Überführung vom Leben ins Nichtleben. Kochen bedingt ein Schlachten und ein Schneiden, ein Zerlegen, ein Verfügen, ein Kombinieren. "Meat is murder" singen die Smiths oder auch die Shout out Louds. Das ist richtig, aber tatsächlich ist es wohl noch viel schlimmer: Eat is murder! Denn ist nur das Tier eine Leiche? Was sind tote Pflanzen? Was unterscheidet Ernten von Schlachten? Nicht, dass es keine Differenzen gäbe, aber die Gemeinsamkeiten erscheinen größer als die Unterschiede. Philosophisch sowieso, aber nicht nur. Allein dass wir dem Stoffwechsel unterworfen sind und uns täglich transformieren müssen, um leben zu können, erlegt uns Zwänge auf, aus denen wir nicht einfach aussteigen können.

Die deutschen Liedermacher von Joint Venture besingen das Verspeisen der Artischocke wie folgt:

Der Mensch schneidet ihr schnippschnapp
Die grünen Blätter ab
Dann wird ihr jäh das Herz herausgerissen
Dann wird sie in was Heißes reingeschmissen
Und dann wird sie zerkaut
Und dann wird sie verdaut
Hör zu du Pflanzenfresser
Du bist ja auch nicht besser.

(Text und Musik: Martin Simon und Götz Widmann, Die zarte Artischocke (1996)
www.maxilyrics.com/joint-venture-die-zarte-artischocke-lyrics-0a92.html)

Dieser Vergleich mag hinken, aber er hinkt nur etwas, er hinkt nicht sehr. Außerdem ist jedes Hinken ein Bewegen und Gehen. Die Diskrepanz mag noch so groß sein, eine elementare Differenz zwischen Mensch resp. Tier und Pflanze ist nicht zwingend, auch sie wird implizit dekretiert, um fortan als obligat zu erscheinen. Zweifellos wird man was essen müssen, so man leben will. Wir ernähren uns stets von Anderem und Anderen. Irgendetwas wird dran glauben müssen.

Nahrung selbst ist ein fundamentales Problem, nicht nur Menge und Qualität, sondern ebenso Wer? Was? Wie? Warum? Wo? Wann? Vor allem auch, wenn die Frage dem Leben gilt und nicht bloß dem Überleben. Allerdings ist die Existenz Bedingung jedweder Essenz. "Meat is murder" kapriziert sich alleine auf das Mensch-Tier-Verhältnis und definiert dieses (richtig, aber doch verkürzt) als eines der Unterdrückung und Ausbeutung. Nicht Bezug genommen wird auf das gesamte Weltverhältnis von Mensch-Tier-Pflanze-unbelebte Natur und gesellschaftlicher Umwelt.

Den Fressimperativ verlagern etwa Pflanzenesser nur auf eine andere Spezies. Sie erweitern das Wir, ziehen ein größeres Tabu, aber aufheben können sie es schließlich nicht. Denn der Stoffwechsel ist lebensnotwendig, ohne ihn könnte nichts und niemand gedeihen. So Verschieben sich zwar die Klassifizierungsmerkmale, aber die Klassifizierung selbst bleibt unberührt. Es gibt nichts Unbedenkliches.

Schwein und Linse

Warum soll die Ribisel nicht friedlich verenden, indem sie Mitte August vom Strauch fällt? Wir hingegen essen sie roh oder pflücken sie, um sie anschließend zu zerstampfen, zermalmen, zergatschen und zuletzt erhitzen wir sie noch, um etwa köstliche Marmelade aus Johannisbeeren zu machen. Warum maßen wir uns das an? Indes, diese Frage muss erlaubt sein, bei jedem einzelnen Lebensmittel, das wir anrühren und uns zuführen. Warum sollen wir mit Pflanzen machen dürfen, was wir mit Tieren nicht machen sollen? Das zu Ende überlegt, ist freilich das Ende. Aber heißt dann nicht Leben Töten? - Ja, wir werden nicht darum herumkommen, geschweige denn darüber hinwegkommen.

Menschen sind zweifellos Tiere, aber sind Menschen und Tiere auch Pflanzen? Die Schranke zur Pflanze ist letztlich ebenso willkürlich wie die zum Tier. Wenn wir etwa die Zelle als gemeinsamen Baustein des Lebens akzeptieren, dann wird es eng. Kriterien der Exklusion wie Inklusion lassen sich allemal finden. Natürlich kann man sagen, Tiere sind uns viel anverwandter als Pflanzen, Schweine schauen uns viel ähnlicher als Linsen. Das Tier ist anders, aber doch nicht ganz anders, vor allem aber gibt es Tiere, die sind gar nicht viel anders. Gattungskategorial gedacht sind dann Säugetiere höher als etwa Hülsenfrüchte. Nur wie kommen wir eigentlich dazu, Pflanzen so niedrig einzustufen? Warum sollen wir sie akkurat essen resp. an Tiere verfüttern dürfen? Warum maßen wir uns das an? Ganz einfach: Wir stellen uns da gar keine Fragen, wir nutzen sie, indem wir Pflanzen an Tiere verfüttern resp. sie selbst essen. Vegetarier und Veganer noch mehr als Fleischesser.

Doch selbst wenn Menschen keine Pflanzen sind, dürfen jene dann zweckmäßig gegen diese vorgehen, sie als bloßes Mittel betrachten? Man kann das nicht positiv begründen. Der Hunger ist ja kein analytisches Argument, sondern eine empirische Tatsache, die wir freilich weder negieren noch verharmlosen wollen. Je länger wir darüber nachdenken, desto irrer wird es. Zweifellos, die Verwandtschaft zwischen Menschen und Pflanzen ist eine sehr weite. Aber warum sollte gerade ein Verwandtschaftsgrad entscheidend sein? "Liebe deinen Nächsten und töte den Übernächsten" kann ja auch nicht der Weisheit letzte Frohbotschaft sein. Je genauer wir schauen, desto mehr beginnt zu wanken.

Aber sind das nicht Luxusgedanken von Luxusgeschöpfen in ihrer Luxuswelt? Auch das ist nicht falsch und wohl der Hauptgrund, warum überhaupt solche Überlegungen an Position gewinnen. Es ist aber ein Luxus, den wir uns leisten und hinter den wir nicht zurückfallen sollten. Unsere Betrachtungen laufen auch nicht zwangsweise auf Verbote hinaus, aber stets auf die Pointe zu, dass wir angehalten sind zu begreifen, was wir tun, wer wir sind und was wir essen.

In aller Rigorosität ist die Frage zu stellen: Wer ist eins schon, dass es partout nicht gleich verrecken soll, andere und anderes aber schon? Hier regiert ja immer noch die Gewalt des Zugriffs, der Stärkere frisst die Schwächeren, der Schnellere die Langsameren, der Vifere die Dümmeren, der Bewaffnete die Unbewaffneten, der Mächtige die Ohnmächtigen. Was nicht unbedingt ein sehr anregendes Modell ist, aber eine derart brutale Erfolgsspur hinterlassen hat, dass dessen Vertreter immer noch und immer wieder unermüdlich behaupten: Der Mensch, der ist so und der isst so. Basta.

Aporetik und Dilemma

Fragen über Fragen türmen sich auf. Ist jedes Ungeziefer Geziefer? Was tun mit Kartoffelkäfern, Salatschnecken und anderen "Schädlingen"? Und mit bissigen Hunden auf der Straße? Und mit BSE? Wie ist das mit der Kammerjägerei? Was dürfen wir und was dürfen sie? Und was geschieht, wenn getan wird, was Verboten oder nicht zulässig ist? Oder denken wir an die vielen "hochgezüchteten" Hausschweine, die es in dieser Form nur gibt, weil wir so viel Schinken verzehren. Welche Perspektive haben sie? Selbst wenn man sie nicht mehr künstlich multipliziert, sondern frei laufen und machen lässt, ist nachzufragen: Was passiert, wenn sie nun ungeschlachtet massenhaft nach einigen Jahren an bösartigen Tumoren erkranken? Pflegen wir sie? Lassen wir sie krepieren? - Also ich will mir beides nicht vorstellen! Die Debatte über diverse Praktikabilitäten ist nicht einfach vom Tisch zu wischen.

Je mehr wir durch die Innereien spazieren, desto mannigfaltiger werden die Aporien. Das unendliche Problemfeld scheint direkt geschaffen zu sein für eine Aporetik, wo kaum lösbare Angelegenheiten zur Sprache kommen, was auch bedeutet, dass es leichter und angenehmer ist, in diversen Inkonsequenzen zu verharren als Konsequenzen zu ziehen. Nicht vor der Frage zu kapitulieren, heißt sich ins Nichts zu katapultieren. Das nennt man Dilemma. Und der Dilemmata sind viele. Wobei diese Einsicht nicht als weinerliche Flucht oder gar fatalistische Ergebenheit interpretiert werden darf. Es ist schon einiges dezidiert zu wollen: Weg mit den Tierfabriken, Abschaffung von Tierquälerei und Tierversuchen, radikale Minimierung der Tiertransporte, keine Legebatterien, letztlich Befreiung von Pflanze, Tier und Mensch aus der Verwertung. Solange wir uns jedoch keinem bestimmten Dogma verschreiben, werden wir um gewisse Widersprüche nicht herumkommen.

Es ist dies nun kein Bekenntnis zu Fressen und Gefressenwerden, sondern ein humanistisches Plädoyer für eine sensible Bedachtnahme, die zwar unsere natürlichen Zwänge (und das Essen ist einer, wenn nicht der grundlegende Zwang) ernst nimmt, aber nicht als Freibrief versteht, alles, was uns unterkommt, zu jagen und zu sammeln, zu schlachten und zu fressen. Essen ist so einerseits eine existenzielle Notwendigkeit, andererseits aber ein essenzielles Problem. Allerdings ist das Nichtessen, also das Hungern und das Verhungern, ein noch größeres Problem. Hungernde, ja noch mehr Verhungernde wären ja geradezu der Idealtypus eines sowohl umweltpolitisch als auch tierrechtlich korrekten Menschen. Dessen ökologischer Fußabdruck, er wäre vorbildlich. Diese Logik ist bestechend, aber sie ist durch und durch menschenfeindlich und inakzeptabel, trotz Logik. Was also tun? Was denken? Gar nichts denken und einfach tun, geht ja auch nicht.

Die Setzung "Ich will essen" ist nicht nur eine Allgemeinheit, sondern eine Gemeinheit sondergleichen. Das Einzige, was wir essen können, sind nämlich Leichen. Das Fressen, das ist stets ein Leichenschmaus. Gute Küche und gepflegtes Speisen, das ist nichts anderes als die kulinarische Ästhetisierung von Leichen. Rezepte sind Anleitungen zur Leichenverarbeitung. Indes ist die Leiche auch kein heiliges Gut. Das Problem ist auch nicht das tote Tier, sondern das zu tötende. Nicht das Tiere-Essen, sondern das Tiere-Schlachten. Dem Toten wird ja auch nichts angetan, nur dem zu Tötenden, also dem Lebenden. Dieser Akt der Hinrichtung stellt uns vor massive ethische Probleme, die nur Ignoranten leugnen können. Das Abendmahl ist allemal freundlicher als der Schlachthof; das Steak, der Tafelspitz, die Rindsuppe sind anheimelnder als die Kuh vor dem Schlachtbolzen. Nur wenn wir das verdrängen, kann es uns schmecken. So verdrängen wir und wünschen uns "Guten Appetit!".

Kein Schluss

Es geht darum, Menschen und Tieren und Pflanzen ein gutes Leben zu bieten. Eine schöne Frist auf Erden, das hätte schon was. Nahrung gehört da dazu. Leider. Doch unter dem Vorzeichen der Verwertung können Tod und Tötung nicht friktionsfrei diskutiert werden. So muss man vor allem letztere entweder weiterhin tabuisieren und Verdrängen, was die Menschen betrifft, resp. bagatellisieren, was die Tiere angeht. Wir stecken ganz schön tief in der Scheiße. Auf festem Grund, da sind wir nie gestanden, das behaupten nur die unzähligen Märchen der Ideologie.

Eine Aufgabe bestünde darin, Valenz in Ambivalenz zu überführen. Wichtig wäre es, allen Lebewesen nicht Gleichgültigkeit oder Wertung, sondern Sorge und Schätzung entgegenzubringen. Das ist nun keine Subordination unter deren Sosein, aber doch eine Betrachtung, die diese nicht bloß als Mittel und Zweck instrumentalisiert, sondern vorerst als Eigenes anerkennt, selbst wenn dieses verändert und aufgelöst, zerstört und verkocht wird. Nicht als Herren der Welt, sondern als Hüter des Daseins wären wir gefragt. Alles nicht so einfach.

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"Im Innern des Wals"

Am Ursprung des demokratischen Konsenses

von Peter Klein

Der Konsens, der für das reibungslose Funktionieren des kapitalistischen Systems erforderlich ist, stellt sich bekanntlich hinter dem Rücken der Beteiligten her. Indem sie die vormodernen Bindungen an die Religion, den Stand, das lokale Brauchtum und Herkommen, schließlich auch die Geschlechterrolle eine nach der anderen abstreifen und das Selbstverständnis von vereinzelten Individuen entwickeln, vergesellschaften sich die Menschen der Moderne in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Vergesellschaftung ohne einen sei es auch unausgesprochenen oder unbewussten Konsens geht aber nicht. "Sie wissen es nicht, aber sie tun es", so lautet der häufig zitierte Satz, mit dem Marx auf die kapitalistische Vergesellschaftung als auf einen blind wuchernden Prozess hinweist.

Die Blindheit des Prozesses hindert die Beteiligten aber natürlich nicht am Denken und Planen. Das Nicht-Wissen gibt sich keineswegs in einem betretenen Schweigen zu erkennen. Im Gegenteil. Der intellektuelle Pol der Gesellschaft, zuständig für die Erzeugung der konsensstiftenden Begriffe und Schlagworte, hat den Vergesellschaftungsprozess seit jeher mit seinen Kommentaren begleitet. Wenn man die Wortmeldungen der Literaten und Philosophen nicht am Anspruch ewiger Wahrheit misst, sondern als Zeitdokumente betrachtet, liefern sie uns bisweilen Hinweise und Informationen, die über die verschiedenen Etappen der kapitalistischen Vergesellschaftung mehr aussagen als etwa die statistischen Daten, zum Beispiel über die jährliche Stahlproduktion, mit denen uns die Ökonomen und Soziologen über den sogenannten Fortschritt in Kenntnis setzen.



Ein nonkonformistisches "Ja zum Leben"

Als hervorragendes Beispiel für ein solches Dokument betrachte ich einen Essay von George Orwell zur englischsprachigen Literatur seiner Zeit. Der Essay mit dem Titel "Im Innern des Wals" ist 1940 erschienen, also in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs, und er berichtet von einer literarischen Entdeckung, die Orwell gemacht hat: von Henry Miller, einem Autor, der Orwells Einschätzung zufolge in krassem Gegensatz zu den Zeitläuften steht. Die beiden Bücher, auf die sich Orwell bezieht, Wendekreis des Krebses von 1935 und Schwarzer Frühling aus dem Jahre 1936, gehören, so Orwell, zu denen, "die einen Nachhall hinterlassen" (S. 90 - Alle Seitenangaben nach: George Orwell, Im Innern des Wals - Ausgewählte Essays I, S. 87 ff.). Wendekreis des Krebses bezeichnet er sogar als "ein vollkommenes Werk. ... Selbst wenn einzelne Stellen einen anwidern, es bleibt einem im Gedächtnis haften." (S. 136) Bei dem Versuch, sich diese nachhaltige Wirkung zu erklären, kommt Orwell immer wieder auf die Atmosphäre der Alltäglichkeit zu sprechen, die Millers Figuren ausstrahlen. "Seine Figuren sind nicht nur glaubhaft, sie sind vertraut, man hat das Gefühl, dass man alle ihre Abenteuer selbst erlebt hat." (S. 91) Obwohl das Milieu, in dem sich diese Figuren bewegen, keineswegs das der normalen Bürger ist - es ist eine schräge Szene von amerikanischen Bohemiens und Möchte-Gern-Künstlern, die sich im Paris der Weltwirtschaftskrise mit Gelegenheitsjobs und kleinen Gaunereien durchs Leben schlagen -, kommt Orwell zu dem Schluss, dass es Miller gelingt, dem einfachen "Mann auf der Straße" eine Stimme zu geben. Es gelinge ihm weit besser "als den meisten engagierten Schreibern" jener Zeit (S. 98).

Das liegt zum einen an der Sprache: "Die Wahrheit ist nämlich, dass viele durchschnittliche Menschen, vielleicht sogar die Mehrheit, genauso sprechen und sich in derselben Weise benehmen", wie es hier aufgezeichnet ist (S. 92). Zum andern aber an der von Miller durchgängig eingenommenen Haltung, die Orwell als eine Haltung des Bejahens bezeichnet: "Nach Jahren eines Lebens als Lumpen-Proletarier, Jahren des Hungers, des Herumtreibens, des Schmutzes, der Misserfolge, der Nächte im Freien, der Streitigkeiten mit Einwanderungsbehörden, endloser Kämpfe um ein bisschen Geld findet Miller, dass er mit sich glücklich ist." (S. 95)

Und diese "Feier des Lebens" ist, so könnte man sagen, die eigentliche Obszönität, die Orwell hinter der sexuellen Freizügigkeit Millers ausfindig macht. Denn sie funktioniert nur, indem Miller sich keinen Deut um die großen Zeitereignisse schert. Zur Zeit Walt Whitmans, eines Geistesverwandten Millers in der Mitte des 19. Jahrhunderts, befand sich die bürgerliche Gesellschaft in ihrer aufsteigenden, expansiven Phase. Whitmans optimistische Sicht auf das "Leben" befand sich, so Orwell, im Einklang mit den Zeitläuften, seine Gedichte waren ein angemessener Ausdruck des Zeitgeistes. Wenn einer aber in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts 'Ja' zum Leben sagt, "was bejaht er (dann) eigentlich?" Nicht jene von Walt Whitman besungene Zeit des Aufbruchs und der Freiheit, in der die kleinen Leute der amerikanischen Nordstaaten gegen die aristokratischen Sklavenhalter der Südstaaten beherzt in den Krieg zogen, "sondern die Ära der Furcht, der Tyrannei und der Verordnung. Wenn ich in einer Zeit wie der unseren zum Leben 'Ja' sage, ist dies ein 'Ja' zu Konzentrationslagern, Gummiknüppeln, zu Hitler und Stalin, Bomben, Flugzeugen, Konserven, Maschinengewehren, Putschen, Säuberungen, Slogans, geheimen Gefängnissen, Aspirin, Hollywood-Filmen und politischen Morden" (S. 97).

Mit dieser Passage, so könnte man meinen, ist Miller bereits gerichtet. Wer das klassische Links-Rechts-Schema im Kopf hat, weiß sofort, was er von jemandem zu halten hat, der politisch keine Stellung bezieht und sich bloß um seine eigene höchstpersönliche Befindlichkeit kümmert. So einfach aber kann es sich Orwell, ein früher Vertreter der Totalitarismus-These, nicht machen. Für ihn funktioniert das Links-Rechts-Schema, wie schon die Erwähnung Stalins in einem Atemzug mit Hitler zeigt, nicht mehr. Nach seiner Beobachtung besitzt die kommunistische Bewegung in Westeuropa keine eigene Substanz in der Stimmungslage der Massen, sie ist vielmehr zum Instrument der russischen Außenpolitik verkommen. Um dies zu kaschieren, müssen die Parteiblätter bei jedem Schwenk dieser Außenpolitik groteske Verrenkungen vollführen, um daraus eine schöpferische Anwendung des Marxismus zu machen. Winston Churchill, zuvor ein verhasster Imperialist, war von 1935 ab, als der Anti-Faschismus und die Volksfront zur "richtigen Linie" erklärt wurden, der "blauäugige Knabe des Daily Worker" (S. 118). Die kommunistische Linke ist für Orwell zu einem Synonym für ideologische Verklemmtheit und Unaufrichtigkeit verkommen. Vom neuerlichen Schwenk zum Hitler-Stalin-Pakt (August 1939), der wiederum den Anti-Faschismus von einem Tag zum andern von der Bildfläche verschwinden ließ, konnte er sich in dieser Einschätzung nur bestätigt fühlen. "Fortschritt und Reaktion", so resümiert er die politischen Strömungen seiner Zeit, "haben sich beide als Schwindel herausgestellt" (S. 135).

Auf diesen "Schwindel" aber hatten sich die jungen Literaten, die seit Anfang der 30er Jahre in England tonangebend geworden waren (Orwell nennt unter anderem die Namen von Auden, Spender, MacNeice), eingelassen. Nachdem die Vorgängergeneration der Eliot und Joyce sich in erster Linie durch ihr Künstlertum definiert hatte und zur modernen Gesellschaft mit ihrer vulgären Geschäftigkeit insgesamt auf Distanz gegangen war, legten die Jungen Wert darauf, in dieser Gesellschaft Stellung zu beziehen. "Mit anderen Worten, es gibt wieder ein Ziel, die jüngeren Schriftsteller sind 'in die Politik' gegangen." (S. 113) Insbesondere der Marxismus als Universalerklärungsschlüssel für alle Lebensbereiche war zur intellektuellen Mode geworden. Das politische Besserwissertum indes, wie es sich etwa in den Büchern zum Spanischen Bürgerkrieg aufspreizte, ebnete den linken Schriftstellern keineswegs den Weg zu den Massen, dafür schadete es der literarischen Qualität ihrer Produkte (S. 98). "Die Atmosphäre einer Ideologie ist für die Prosa immer verderblich. ... Gute Romane stammen nicht aus der Feder von Gesinnungsschnüfflern oder Leuten, die fortwährend in der Angst leben, nicht linientreu zu sein." (S. 124 f.)

Vor diesem Hintergrund wirkt Millers Alltäglichkeit, "unbefleckt von jeder Sorge um das Gemeinwohl" (S. 134), auf Orwell geradezu erfrischend. "Es ist, als hörte man eine Stimme, die zu einem spricht, eine freundliche, amerikanische Stimme, ohne zu faseln, ohne zu moralisieren, in der Annahme, dass wir alle gleich sind. Einen Augenblick ist man allen Lügen und Versimpelungen ... entronnen und hat mit vertrauten Erlebnissen menschlicher Wesen zu tun." (S. 91) Die öffentliche Sphäre ist erfüllt vom Dröhnen der politischen Parolen, aber nichts davon dringt durch zum Alltag der Millerschen Figuren. Er lässt das Weltgeschehen Weltgeschehen sein und geht ins Bistro nebenan, weil es dort eine warme Mahlzeit gibt, die er sich leisten kann. Wie der biblische Jonas befindet sich Miller gleichsam "im Innern des Wals", wo er, umgeben von "einer dicken Speckschicht", von den politischen Stürmen der Zeit "kaum ein Säuseln" vernimmt (S. 128). Es ist dieser absichtsvoll eingenommene Jonas-Standpunkt, "ein Zustand endgültiger, unüberbietbarer Verantwortungslosigkeit", auf den Millers "Ja" zum Leben hinausläuft. Orwell hält diese Abkehr vom geltenden literarischen Verhaltenskodex, wonach "Bücher immer eine positive Aussage enthalten, ernstgemeint und 'konstruktiv' sein müssen" (S. 129), für berechtigt, weil sie mit einer "Aufrichtigkeit des Gefühls" vorgetragen wird, "mit einem Feingefühl für Charaktere und einer technischen Meisterschaft" (S. 91), die er bei den weltanschaulich "anspruchsvollen" Romanen jener Zeit vermisst. Gerade mit seiner "Abkehr vom zoon politikon", mit der Hinwendung "zum Standpunkt eines Mannes, der davon überzeugt ist, dass sich die globale Entwicklung seiner Kontrolle entzieht, und der auch kaum den Wunsch hat, sie zu kontrollieren" (S. 99), gibt er dem "einfachen, nichtpolitischen, nicht-moralischen, passiven Menschen" eine Stimme.



Schwatzen und Koitieren

Wenn es stimmt, dass Miller sich mit dieser politisch passiven Haltung an der Seite der Mehrheit befindet, dass er ein realistisches Bild von der im Alltagsleben verbreiteten Stimmung malt, dann kann man in ihm auch den Repräsentanten eines gesellschaftlichen Konsenses sehen. Eines Konsenses, muss man sagen, denn er propagiert seine Haltung ja nicht, ebensowenig wie es der Alltagsmensch tut, er praktiziert sie einfach. Die großen historischen Perspektiven und Konzepte gehen ihn schlicht nichts an, sie kommen in seinen Texten nicht vor. Er kümmert sich beim "Sich-Betrinken, Schwatzen, Nachdenken und Koitieren" (S. 91) nicht um die Weltgeschichte, er kehrt den politischen Glaubensbekenntnissen den Rücken - und er tut dies durchaus bewusst, wie Orwell, der ihn 1936 persönlich kennenlernte, betont.

Wenige Jahre und einige zig Millionen Tote später war diese Abkehr, wie allgemein bekannt, auch in Deutschland angekommen und überhaupt in allen europäischen Ländern, die sich in den dreißiger Jahren noch im Zustand der ideologischen Erregung befunden hatten. Ein mentaler Umschwung, der von den Nachkriegs-Soziologen und -Politologen gleichsam offiziell beglaubigt wurde, indem sie Bücher schrieben über die "skeptische Generation" und das "Zeitalter der Ideologien", das jetzt zu Ende gegangen sei. Zieht man des Weiteren in Betracht, dass Henry Miller erst in den sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wirklich populär und zum fleißig übersetzten Bestsellerautor wurde, dann liegt der Gedanke nicht fern, dass er, der von geschichtlicher Sendung und Verantwortung nichts wissen wollte, eben mit dieser Haltung selbst so etwas markiert wie eine historische Wende, eine Änderung der historischen Groß-Wetterlage. Dass sich mit ihm gleichsam das erste Zwitschern einer "neuen Zeit" Vernehmen lässt. Schon Orwell empfand dieses Neue. Auch er meint, dass mit Miller eine "neue literarische 'Schule'" beginnen könnte (S. 125), dass er eine "symptomatische Bedeutung" besitzt (S. 137). Freilich ist er sich - im Jahre 1940 - nicht sicher, worin diese besteht.

Heute, wo die Demokratie allerorten auf Sympathie stößt, die Wahlbeteiligung gleichwohl sinkt, politische Passivität also Trumpf ist, sollte es uns leichter fallen, Miller in den großen historischen Trend einzuordnen. Offensichtlich geht mit ihm jenes mit der Französischen Revolution beginnende Zeitalter zu Ende, in dem die politische Sphäre den Menschen noch innige Glaubenserlebnisse verschaffen konnte, in dem es einen politischen Sinn gab, für den zu leben und zu sterben sich lohnte. Damit war die Politik aber natürlich nicht an ihrem Ende angelangt. Sie war vielmehr dabei, allgegenwärtig und zum gesellschaftlichen Normalzustand zu werden. Der moderne Alltagsmensch ist gleichsam auf allen Seiten von Politik umgeben, in allen Lebensbereichen trifft er auf die Gesetze und Verordnungen des Staates, sein ganzes Leben wird davon bestimmt. Die Falle ist zugeschnappt, scheint uns Miller zu sagen, es hat keinen Sinn mehr zu zappeln, sehen wir zu, wieviel Bewegungsspielraum uns bleibt. Auch diese Bedeutung wird mit dem Bild vom "Innern des Wals" transportiert. Und die Beschränkung Millers auf Ereignisse, die sich im engen Umkreis der primären Körperfunktionen abspielen, tut ein Übriges, um dieses Bild stimmig erscheinen zu lassen. Der Raum, der abseits der vorgefertigten Laufbahnen und Verhaltensmuster für das sogenannte authentische Erleben zur Verfügung steht, wird immer enger.

Orwell hat sicher Recht, wenn er mit Miller eine "individualistische Einstellung" zurückkehren sieht (S. 125). Aber der Individualismus, der sich hier zurückmeldet, ist auf einem weitaus höheren Vergesellschaftungsniveau angesiedelt, als derjenige, der im 19. Jahrhundert die großen psychologischen Romane hervorbrachte. Der "Kapitalismus" war seinerzeit eine gesellschaftliche Gruppe unter anderen. Die verschiedenen Mentalitäten, Lebensperspektiven und politischen Konzepte, die sich dem gesellschaftlichen Sein von Adel, Bourgeoisie und Proletariat zurechnen ließen, besaßen eine je eigene Substanz, sie waren durch Abgründe voneinander getrennt, und die nächste Zukunft sah bis etwa in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein eher nach Bürgerkrieg als nach Weltkrieg aus. Orwells "einfacher Mensch" ist das Produkt einer späteren Zeit - einer Zeit, in der sich der Kapitalismus, angewachsen zu großen industriellen Aggregaten, über die ganze Welt verbreitet hatte. Die verschiedenen Stände und Klassen der Gesellschaft verloren den Schein, selbständig für sich etwas zu sein. Sie wurden zu bloßen Funktionskategorien, deren Koordinierung und Abstimmung aufeinander eine einheitliche gesellschaftliche Struktur erforderlich machte. Einheit des Rechts, Einheit der moralischen Wertvorstellungen, Einheit der Mentalität: Der demokratische "Staat des ganzen Volkes" trat auf den Plan - und mit ihm jene Vereinheitlichungsideologien, die zunächst noch an den Grenzen der jeweiligen Nation haltmachten. Nach zwei Weltkriegen waren auch diese Grenzen überschritten, und die Menschen sind heute frei, sich an der Konkurrenz um die Ausübung jeder beliebigen der ökonomischen oder administrativen Funktionen zu beteiligen. Bei aller Beweglichkeit und Durchlässigkeit der modernen Gesellschaft bleiben sie aber doch immer innen: im Rahmen jener vom Kapitalismus vorgegebenen Logik, die ihre Nützlichkeit daran misst, ob das Geld, mit dem sie bezahlt werden, in irgendeiner Weise dem Wachstum der weltweit zirkulierenden Geldsummen zugute kommt. Ohne Geld, das auf mehr Geld abzielt, läuft gar nichts.


Der Totalitarismus der "individualistischen Einstellung"

In dieser Allgegenwart der Verwertungslogik scheint mir der eigentliche Totalitarismus unserer Zeit zu bestehen, und Miller dürfte einer der ersten Autoren sein, der diesen Vergesellschaftungszustand literarisch gleichsam ratifiziert. Für ihn, den Amerikaner, stellt er bereits in den dreißiger Jahren eine Selbstverständlichkeit dar. Er muss davon kein Aufheben mehr machen. Die ideologischen Blüten, die der Übergang von der ständischen Gesellschaft zur Massengesellschaft in Europa hervortrieb, besitzen jedenfalls keinerlei Reiz für ihn. So pervers es auf der einen (Stalinschen) Seite des politischen Spektrums ist, ausgerechnet die Implementierung der Lohnarbeit als antikapitalistische Tat zu preisen, so absurd ist es auf der anderen (Hitlerschen), die banale Tatsache eines gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs zum Fetisch einer hysterisch beschworenen "Volksgemeinschaft" aufzublasen, die um ihr nacktes biologisches Überleben kämpft. Hier gibt es nichts zu wählen. Hitler und Stalin bereiten den Konsens, der später einmal "westliche Demokratie" heißen sollte, negativ vor. Das System, nachdem es uns einmal verschluckt hat, bereitet uns weniger Beschwerden ohne diese ideologischen Verrenkungen. Das etwa ist die Einsicht, von der Millers Figuren erleuchtet sind. Sie haben von dieser Einsicht keine Ahnung, aber sie praktizieren sie.

Orwells Schwierigkeit bei der Einschätzung Millers rührt daher, dass er das Zeitalter des Totalitarismus, das er heraufziehen sieht, nicht mit Millers "individualistischer Einstellung" zusammendenken kann. Die "totalitären Diktaturen", die er 1940 vor Augen hat, machen es schwer vorstellbar, dass ausgerechnet Autoren wie Miller die literarische Zukunft gehören sollte. Daher die Frage, ob es sich bei ihm nicht lediglich um den versprengten Nachzügler einer vergangenen Epoche handelt, der Epoche "des laissez-faire-Kapitalismus und der liberal-christlichen Kultur" (S. 134) - kurz bevor die "Literatur des Totalitarismus" die Bühne betritt. Heute dagegen, fast achtzig Jahre später, darf man wohl mit einiger Berechtigung sagen, dass es gerade der Totalitarismus ist, der sich mit Miller literarisch bemerkbar macht. Und zwar handelt es sich hier um den eigentlichen oder wirklichen Totalitarismus, der es, anders als seine unentwickelten Vorgänger, nicht mehr nötig hat, politische Bekenntnisse einzufordern. Vom totalen Herrschen eines bestimmten gesellschaftlichen Systems kann man ja im Ernst erst sprechen, wenn der Streit für oder gegen aufgehört hat, wenn es, allseits als objektive Gegebenheit akzeptiert, automatisch funktioniert, sodass es auf das jeweils regierende Personal nicht mehr ankommt. Orwell schreibt, dass "die Literatur des Totalitarismus ... noch nicht in Erscheinung getreten und kaum vorstellbar" sei (S. 135). Aber ein solches ausdrückliches "In-Erscheinung-Treten" darf man vom modernen Totalitarismus eben nicht erwarten. Wenn es nur noch einen einzigen politischen Glauben gibt, wie es bei der modernen Demokratie der Fall ist, kann er als solcher keine Rolle mehr spielen. Wenn alle Menschen, entblößt von den sozialen Attributen der Vormoderne, sich in der gleichen gesellschaftlichen Form des freien Marktteilnehmers befinden, wird diese Form zum bloßen Hintergrundrauschen, das als solches keine Beachtung mehr findet.

Die weitgehend gelungene Gleichschaltung der Menschen, für die politische Kontroversen keine Rolle mehr spielen, macht sicher einen Großteil des Erfolges aus, den man dem "westlichen Gesellschaftsmodell" attestiert hat. Aber der gigantische Vernichtungsfeldzug gegen die natürlichen Grundlagen unseres Lebens, als welcher sich dieser Erfolg inzwischen entpuppt hat, geht ebenso auf das Konto der gleichgeschalteten Gesellschaft. Das Achselzucken, mit dem sich Miller von den politischen Glaubenskämpfen der dreißiger Jahre abkehrte, mochte seinerzeit imposant, kühn und hoch berechtigt erscheinen; die Sache selbst, der Vergesellschaftungsprozess, der im Windschatten dieser Kämpfe vonstatten ging, verdient dieses Achselzucken keineswegs.

Die modernen Produktivkräfte werden heute in einem gesellschaftlichen Zusammenhang betrieben, der die ganze Welt umfasst - aber von Menschen, die rechtlich und mental eingebannt sind in die Form des vereinzelten, autonomen, selbstverantwortlichen etc. Individuums. Eine katastrophenträchtige Situation, die der "individualistischen Einstellung" Millers den Charme des Nonkonformismus genommen hat. Sie ist der Konformismus unserer Zeit: die nächste ideologische Klippe, die wir auf dem Weg in die Wirklichkeit zu überwinden haben.

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Immaterial World

Ursachen, Gründe und Interessen

von Stefan Meretz

Geschieht etwas, so wurde das Geschehene durch etwas bewirkt, angestoßen, ausgelöst. Der Aufstieg des Kapitalismus und mit ihm der von Natur- und Ingenieurwissenschaften hat den göttlichen Beweger entmachtet und Wirkungen fortan auf Ursachen zurückgeführt. Auf Ursachen, die fortan gezielt herbeigeführt - verursacht - wurden, um beabsichtigte Wirkungen zu erzielen, die wiederum als neue Ursachen weitere Wirkungen zeigen: Wasser erhitzen - Dampf erzeugen - Volumenexpansion in Schubbewegung umsetzen - Schubbewegung in Drehbewegung verwandeln usw. usf. Der Ursache-Wirkungszusammenhang ist seither eine der zentralen Denkfiguren der Moderne.

Verstehen bedeutet nun umgekehrt, beobachtete Wirkungen auf Ursachen zurückzuführen, möglichst zergliedert in kleinste Einzelursachen. Das erkenntnistheoretische Gegenstück zu dieser Herangehensweise ist die formale Logik. Hier erzielen logische Ursachen zwangsläufige Wirkungen, und logische Wirkungen lassen sich in basale Elemente und Operationen auflösen. Inhalte und Formen sind hierbei streng getrennt. Nur so können formal logische Operationen auf beliebige Inhalte angewendet werden.

Es verwundert nicht, dass das Ursache-Wirkungs-Denken schließlich auch auf den Menschen ausgeweitet wurde. Allein die Metaphern wandelten sich historisch, das Ursache-Wirkungs-Schema blieb. War es anfangs das Räderwerk der mechanischen Uhr, so später der Computer und heute die genetisch-kognitive Biomaschine. Wer sich im Ursache-Wirkungs-Diskurs bewegt und forscht, kann schließlich nur entdecken, dass es einen freien Willen nicht geben kann. Freiheit lässt sich nicht formal-logisch operationalisieren.

In der bürgerlichen Psychologie heißen Ursache und Wirkung Reiz und Reaktion oder Input und Output oder allgemeiner: Bedingung und Verhalten. Die Kritische Psychologie nennt diese Denk- und Redeform den Bedingtheitsdiskurs. Von außen wird hier gefragt, welche Bedingungen welches Verhalten erzeugen, und es liegt auf der Hand, dass ihre kontrollwissenschaftliche Funktion darin besteht, jene Bedingungen zu benennen, die herrschaftskonformes Verhalten "erzeugen". Der Mensch soll schließlich funktionieren - es ist nur zu seinem Besten.

Kritisch hält jene sich so nennende marxistisch fundierte Psychologie dagegen, dass der genuine Freiheitsaspekt, die Möglichkeitsbeziehung zur Wirklichkeit, die Möglichkeit, angesichts von Bedingungen so oder auch anders zu handeln, verfehlt, ja ignoriert werde. Statt vom Außenstandpunkt könne Handeln nur vom Standpunkt des Individuums verstanden werden, denn schließlich reagiert das Individuum nicht mechanisch auf Bedingungen, sondern verhält sich zu diesen, und für dieses Verhalten hat es Gründe. Gründe sind immer erster Person, sie lassen sich nicht deduktiv auf Bedingungen zurückführen, denn zwischen Bedingungen und Gründen gibt es keinen determinierenden Zusammenhang.

Statt im Modus von Bedingungen ist ein Zugang nur im Modus der Gründe vom jeweiligen Individualstandpunkt möglich. Dieser Begründungsdiskurs kann intersubjektiv als soziale Selbstverständigung organisiert werden. Damit ist gleichwohl das übliche Arrangement von Forschendem und Beforschtem - wie im Bedingtheitsdiskurs - hinfällig. Stattdessen geht es um das gemeinsame Erforschen und Begreifen der je eigenen Lebenslage und -ziele.

Der Perspektiven- und Diskurswechsel ist auch für Menschen mit (selbst-)kritischen Ansprüchen schwer vorstell- und durchhaltbar. Zu sehr legt das Alltagsdenken das Abgleiten in den Bedingtheitsdiskurs nahe. Fataler ist es jedoch, wenn emanzipatorische Strategien gleich komplett im Bedingtheitsdiskurs gedacht und konzipiert werden. Eine Brücke baut hierbei der allgegenwärtige Begriff der Interessen. Steht die Interessiertheit noch für das individuelle Wünschen und Wollen, so wird daraus schnell eine "objektive Kategorie", wenn sie als "Interesse" in "objektiven Bedingungen" verankert wird. Lange galten gar die "Interessen der Arbeiterklasse" als Ausweis für das objektivierte historische Emanzipationsstreben schlechthin. Umständlich waren dann die theoretischen Verrenkungen, wenn es darum ging, das tatsächliche Auseinanderfallen von individuellem Handeln und vorgeblich historischer Mission der Handelnden zu erklären.

Aber wird aus individuellem Begehren nicht automatisch überindividuelles Interesse, sobald die gesellschaftliche und historische Größenordnung erreicht wird? So sieht es aus. Dies jedoch ist nicht zwangsläufig, sondern Verhältnissen geschuldet, in denen Interessen stets anderen Interessen gegenüberstehen, in denen sich die einen notwendig auf Kosten von anderen durchsetzen. Gegen die strukturellen Nahelegungen muss schon sehr explizit Anstrengung aufgebracht werden, um partiell andere Verhältnisse zu etablieren. Solidarität ist der Begriff dafür, und wir wissen, wie schnell sie bröckelt, wenn Interessen, die immer partielle sind, Raum greifen.

Die unbequeme Konsequenz lautet: Emanzipation kann nicht in Interessen gründen. Im Kollektivinteresse verschwindet das individuelle Begehren. Je größer das Kollektiv, desto inhaltsärmer die gemeinsame Basis. Auch das früher oft angerufene mythologische "Allgemeininteresse" der Arbeitsklasse kann ihren tatsächlich partiellen und damit bornierten Charakter nicht kaschieren.

Emanzipation kann nur in Bedürfnissen gründen - und damit in den Gründen der Handelnden. Wenn sich eine freie Gesellschaft dadurch konstituiert, dass "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist", so Marx und Engels, dann kann auch nur dies für ihren Prozess, die Emanzipation, gelten. Das Medium, in dem aus je individuellen Gründen für die Befreiung ein kollektiver Prozess der Emanzipation wird, ist die soziale Selbstverständigung in den Projekten unserer alltäglichen Lebenspraxis.

Dass wir uns auf dem Weg der Befreiung in der Notwehr auch interessenförmig organisieren müssen, ist das eine, dies jedoch als den Weg zur Emanzipation zu mystifizieren ein anderes.

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Demokratie macht auch nur Staat

von Lorenz Glatz

1.

Demokratie - Das Volk herrscht. Im Staat. Was wir heute unter den Namen Staat und Volk kennen, ist aber so alt gar nicht. Dieses Amalgam wurde in die Welt gesetzt und wuchs heran als Kampfmaschine der Fürsten in der Zeit der frühen Feuerwaffen. Kanonenrüstung und Festungsbau sowie Geldwirtschaft, Manufaktur und Markt zu deren Finanzierung und Bürokratie und Militär als Mittel, um sich durchzusetzen - so formierten sich die modernen Staaten, und diese ihr Volk, es musste sich so ziemlich alles ändern, damit es beim Alten bleibt, der alten Macht in neuen Formen. Auch in demokratischen eben.

Dieser moderne Staat ist einer und entwickelt sich, weil es mehr gibt als einen. In Japan und auch in China führte das von der neuen Kanonentechnik angeheizte Gemetzel zum Sieg einer zentralen Übermacht. Dann wurden (in gewissem Maß) "Schwerter zu Pflugscharen". Auf Befehl der Macht, und nicht auf immer. In Europa nämlich blühte und gedieh die neue Form, Menschen zu beherrschen, in unermüdlichen, unentschiedenen Kriegen. Dort wuchsen in einem jahrhundertelangen Wettlauf militärischer und ökonomischer Modernisierung die Sorte Herren, Soldaten, Bauern, Arbeiter und Bürger heran, die diesen Machtkampf schließlich auf die Eroberung und Kolonisierung fast der ganzen Welt ausgeweitet haben.

Auch als Knecht, der seine Haut zu Markte tragen muss, lernt das Volk, worum es geht in solchen Zuständen - bei den Siegern zu sein, seinen kleinen Teil zu haben von der Beute. Der Lernprozess dauert in immer wieder aktualisierter Form schon seit mehr als einem Dutzend Generationen. Er hat dabei noch jeden Gedanken an Befreiung infiziert mit Wünschen nach und dem Gewöhntsein an Kommando, und jedes Aufstehen für ein gutes Leben krankte zuletzt an der Vorstellung, das sei das Leben derer, denen man es nehmen müsse. Vor allem aber kam von dort eine ungeheuerliche Dosis von Rassismus und Sexismus, die den "weißen Mann", ob oben oder unten, als den legitimen Herrn der Welt fabulierte und wissenschaftlich begründete.

Der Gang der Entwicklung von absoluten Monarchien und Diktaturen zu Demokratien war, als man am Ziel stand, nicht der Aufbruch in ein freies Leben aller Menschen. Die Demokratie war und ist vor allem die Einbeziehung des ganzen Volks als eines von Politik und Ökonomie durchorganisierten Haufens in Organisation, Betrieb und Leitung der Staaten und der Wirtschaft. Demokratie ist Mobilisierung der Massen für die Logik der politischen und wirtschaftlichen Konkurrenz der einzelnen und der von ihnen gebildeten mehr oder minder ehrenwerten Banden auf dem Boden der Kapital-Verwertung. Demokratie gelingt dort, wo Staaten in der Konkurrenz erfolgreich sind, wo es etwas zu verteilen gibt, das man den Verlierern der "Entwicklung" aus der (meist "farbigen") Hand schlagen konnte.

Die Resultate jedes politischen Prozesses und jeder Runde der Verwertung sind prekär, da Kompromisse unlösbarer Konflikte, Ergebnisse, die nicht befriedigen, sondern bloß Waffenstillstand sind, dessen Bruch alle Seiten gleich ab Abschluss vorbereiten. Die Stärke der Demokratie ist, dass sie in diese alles mitreißende Dynamik das ganze Volk, die Herren und die Leute, einbezieht, dass die Identifizierung mit dem auf der Höhe der "Entwicklung" stehenden demokratischen Nationalstaat stärker, seine "thought control" daher umfassender und das menschliche Potential größer ist, auf das er Zugriff hat. Demokratie zeigt den erreichbaren Höchststand an Affirmation herrschaftlicher Lebensweise, sie ist die sieg- und erfolgreichste Form, Staat und Politik zu machen.

2.

Das demokratische Staatsvolk ist eins nur gegen die anderen Völker. In sich ist es bis auf die Individuen zerspalten - one man one vote, seit einiger Zeit schon ist wo man hier eingeschlossen. Individuen sind souverän, mit anderen verbindet und trennt sie zugleich von ihnen, dass sie vor einander Vorteil haben wollen. So geht das Spiel: "Eher sich an jene halten, aus deren Verbindung man selber eher als andere materiellen und gesellschaftlichen Vorteil davonträgt." (Hobbes) Was ich erreiche, fehlt anderen und umgekehrt. Das hält uns alle in Bewegung, lässt keins zur Ruhe kommen.

Jedes Wir, erst recht die Volksgemeinschaft, lässt sich unter solchen Bedingungen nur gegen Feinde konstituieren. Wir sind nur wir, weil und solange wir uns dieselben Feinde machen. Volk/Nation und Staat gibt es also nur in der Mehrzahl und zugleich nur als vom Gewaltmonopol regulierte Kampfarenen im Innern und als mit Gewalt gesicherte, drohende und zupackende Haufen nach außen. Als Gewalt-Kollektiv von Konkurrenzsubjekten. Die Gewalt bleibt Potenz oder aktualisiert sich, je nach dem Vorteil, der sich davon erwarten lässt. Konstitutiv ist sie auf jeden Fall. Und wenn eine Konkurrenz entschieden ist, hat sich die Hälfte aller Gegner verspekuliert. Vorläufig oder endgültig.

"Homo homini lupus", "homo oeconomicus", "survival of the fittest", "das unternehmerische Selbst" usw. sind prägnante Schlagworte aus den über die letzten Jahrhunderte entwickelten Beiträgen zu einer Anthropologie des bürgerlichen Individuums. Derlei Vorstellungen prägen - ihres eventuellen kritischen Potentials entkleidet, affirmiert und zur Norm erklärt - bis heute die verbreitetsten Auffassungen von menschlicher "Natur" und geben der bürgerlichen Gesellschaft und allen ihren Strukturen und Erscheinungen eine theoretische Grundlage und Rechtfertigung. Vor allem aber recken und strecken sie das Subjekt in seinem Doppelsinn als Rollenträger und unterworfene Kreatur mit aller Kraft danach, diesen Vorgaben zu entsprechen.

Die Menschheit ist über die Ordnung der Kapitalverwertung schon bei einfachsten Bedürfnissen und Verrichtungen in Produktion und Diensten zusammengekettet. Im Zugang zu Arbeit und Konsum stehen - die Kontinente übergreifend - alle gegeneinander. Am Maßstab des Gelds und des Konsums und an den Stolpersteinen des Rassismus und Sexismus hat eine jede jeden und vor allem auch sich selbst wertzuschätzen oder zu verachten. Je mehr diese globale Lebensweise der Jagd nach Job und Geld allgegenwärtig, quasi-natürlich wird, desto umfassender wird auf allen Ebenen, von den Staaten(bünden) und Wirtschaftskonglomeraten abwärts bis zu den Monaden an der Basis der Kampf aller gegen alle. Je schwieriger und aussichtsloser die Ziele in der multiplen Krise der Verwertung und aller Herrschaft überhaupt zu erreichen sind, desto schriller und brutaler werden die Worte und die Taten.

3.

Eine bedrohte Staatsform schlägt um sich. So auch die Demokratie. Die um sich greifende Mentalität des "Für uns reicht's schon noch" biegt selbst noch die christliche Nächstenliebe zu einem Konzept des Ausschlusses aller derer zurecht, die z.B. nicht zu "unseren Österreichern" zählen. Und auch unter denen haben selbstverständlich die "linkslinken Gutmenschen" und erst recht die verschiedenen Minderleister und an den wachsenden Hürden vor einem Leben mit Arbeit und Geld Scheiternden von den "Tüchtigen und Fleißigen" nichts Gutes zu erwarten. Und die menschliche Erschütterung der Repräsentanten der EU über die Tragödie der in großer Zahl im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge führt dazu, dass solche nunmehr von der Marine daran gehindert werden sollen, erst in den europäischen Gewässern Schiffbruch zu erleiden und den Tod zu finden.

Die den Menschen über ihre Empathie zuströmende Motivation zum freundlichen Umgang mit ihresgleichen und anderen Lebewesen ist für ihr Zusammenleben unabdingbar. Nicht einmal eine Verbrechergang lässt sich zusammenhalten ohne positive, auch emotionale Beziehungen, ohne den Brauch gegenseitiger Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Die Geselligkeit des Menschen ist auf Dauer nicht unter einem Mindestmaß Zuneigung und Anerkennung zu haben. Derlei wird vom Staat in allen seinen Formen einschließlich der Demokratie freilich in rechtliche Grundsätze und Paragraphen gegossen und je nach Lage und Interessen adaptiert, notfalls mit Orwellschem Neusprech wie in den angeführten Beispielen. Allerdings vertrugen sich auch schon die diversen Erklärungen der Menschenrechte in den letzten Jahrhunderten durchaus mit dem Ausschluss der Sklaven und der Frauen oder heute mit den empfindlichsten Einschränkungen der Bürgerrechte im "Kampf gegen den Terror".

Die Wurzel jedes, auch des demokratischsten Staates ist nun einmal nicht das freundliche Zusammenleben der Leute - darin hatte die Menschheit schon lange davor eine gewisse Übung -, sondern vielmehr die Kontrolle der Bürger und Fremden zur Aufrechterhaltung, Adaption und Ausdehnung der herrschenden Ordnung, die von Linien der Unterdrückung, Ein- und Ausschlüssen und miteinander prozessierenden Herrschaftsformen wie der kapitalistischen Verwertung, des Nationalismus und Rassismus oder des Sexismus geprägt ist.

Die von dieser Ordnung dominierte Lebensweise stellt sich in allen ihren Kategorien nach einigen Jahrhunderten Entwicklung als destruktiv und unhaltbar heraus. Selbst Apokalypseblinde sehen zuweilen Schatten. Die Leute und die Eliten, Staat und Politik genau so wie die Wirtschaft tun nur, was sie können: sie arbeiten oder suchen Arbeit, sie wählen und revoltieren, sie kontrollieren, ordnen, unterdrücken, sie jonglieren mit dem kargen Lohn oder mit Milliarden, sie probieren es auf alte wie auf neue Weisen, fleißig und mit List, treugläubig oder auch brutal - im Ganzen geht es bergab.

Und bei allem Wahnsinn und aller Gefahr - da tut sich (vielleicht?) ein Fenster auf. Solange Erfolg mit Geld und Arbeit das akzeptierte globale Maß für ein gutes Leben ist, ist trotz aller Krisen und Katastrophen die herrschende Ordnung nicht zu überwinden. Wer an der alten Ordnung nicht verzweifelt, sie für sich (was ist mit den Andern, wenigstens mit denen, die eins kennt?) "noch" für lebbar hält, der mag mit Neuem kokettieren, wirklich offen ist er/sie dafür nicht. Es geht um Einsicht, doch beileibe nicht allein. Das, worauf wir hoffen und was wir für erreichbar halten, bringt uns voran, treibt uns dazu es zu versuchen. Das hilft übrigens auch der Einsicht erst so wirklich auf die Sprünge. Und den Experimenten, anders zu werden, besser zu leben. Demokratie befreit nicht. "Was auf dem Spiel steht, ist die Idee einer neuen Anthropologie, nicht nur als Theorie, sondern auch als Existenzweise, die Entstehung und Entwicklung eines vitalen Bedürfnisses nach Freiheit, und von vitalen Bedürfnissen der Freiheit", sagte Herbert Marcuse 1968. Es ist Zeit, den Faden wieder aufzunehmen.

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Rezens

Friederike Habermann: Der unsichtbare Tropenhelm.
Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht.
Think-Oya 2013, 111 S., ca. 10 Euro

Von der "Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein" handelt schon ein Buch aus dem Jahr 1986. Sonst hätte es durchaus auch der Titel dieses Bändchens sein können. Habermann hat dem Thema schon einen Teil ihrer Dissertation gewidmet (siehe "What we do matters" in: Streifzüge 47/2009). Sie ist kundig, und diese jetzt unakademische, aber in der Kürze ungemein inhaltsreiche Schrift, die übrigens statt unter Copyright unter copyleft zur freien Verwendung und Verbreitung erschienen ist, hat Sog, von der kolonialen Geschichte des Habermannschen Großvaters im Probis zu seinem Auftritt im Epilog. Sie dient auch der Bescheidenheit des Lesers, der sich hier und dort persönlich ertappt fühlen wird, wenn ihm die Tiefe kolonialen Denkens im eigenen Bewusstsein greifbar wird. Die recht flapsige letzte Überschrift "Privilegien verlernen! Und das Überlegenheitsgefühl in den Mülleimer" bezeichnet eine gar nicht mehr so leichte Aufgabe, wenn man mit dem Lesen dort angelangt ist. Von Kant, Schiller, Hegel bis zu alltäglichen Reden auf political correctness verpflichteter hoher Politiker verläuft die Spur und geht tief hinein in die Sprechgewohnheiten des progressiven Alltags.

Darüber hinaus fehlt aber keineswegs die nötige historische und theoretische Vertiefung der Behandlung der "kolonialen Zeiten" und der "postkolonialen Zustände", z.B. vom Konzept der "Great Chain of Being" von der einfachsten Pflanze bis zum weißen Mann knapp unter dem lieben Gott. Lehrreich und beschämend auch die weiße Ignoranz der Weltgeschichte, von der eins sich anhand Von ein paar Seiten über Afrika leicht am eigenen Beispiel überzeugen mag.

L.G.

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Die sehr private Erziehung des Kindes

von Meinhard Creydt

Die Kindererziehung findet im modernen Kapitalismus unter besonderen äußeren Bedingungen statt. In Städten verschwinden unspezifische Freiflächen als für Kinder und Jugendliche attraktive Orte. Der Autoverkehr macht das Spielen von Kindern in der Umgebung der Wohnung oft problematisch. Die Verkleinerung der Familien und der Zwang zur Individualisierung als Anbieter von Arbeitskraft sowie die gestiegene räumliche Mobilität verringern die Zahl von Menschen, die unmittelbar im früher größeren Familiengefüge vor Ort präsent sind und am Wohl des Kindes tätig-praktisch Anteil haben: als ältere Geschwister, als unverheiratete Tanten oder Onkel, als Großeltern usw. "Jeder Haushalt ist auf die bloßen Hauptpersonen reduziert - auf weniger Hauptpersonen. ... Da gibt es nur die Hände einer einzigen Frau, um das Baby zu füttern, das Telefon abzunehmen, das Gas unter dem Topf, der überkochen will, abzudrehen, das ältere Kind zu trösten, das ein Spielzeug kaputtgemacht hat, und beide Türen gleichzeitig zu öffnen", so Margaret Mead (zitiert nach Szszesny-Friedmann 1994, 159, 169). Ein soziales Vakuum für die Kinder und ihre höhere Verletzlichkeit durch Trennungs- und Verlusterlebnisse sind die Folgen.

In modernen kapitalistischen Gesellschaften steigt der Bedarf nach zwischenmenschlicher Gegenwart und Resonanz. Die "Qualifikationen" der Einfühlung, Rücksicht und Verantwortung für andere werden in steigendem Maße nachgefragt, bilden zugleich bei steigender Spezialisierung, Intensivierung der Arbeit, wachsendem Leistungsdruck und Konkurrenz einen nicht ausreichend nachwachsenden Rohstoff. Die Überforderung der Individuen als "Arbeitskraftunternehmer" oder als "Planungsbüro" ihrer eigenen Existenz geht mit einer Belastung mit Entscheidungen, Verantwortungen und Selbstsorge einher. Das Individuum ist von der Moderation der nicht nur verschiedenen, sondern widersprüchlichen Anforderungen absorbiert. Die Fokussierung des Individuums auf sich selbst fördert Narzissmus. Das eigene Handeln aus den Augen anderer zu betrachten, dafür werden bei den Innenarchitekten der eigenen "Identität" und des eigenen "Lebensstils" die Energie und der Sinn knapp.

Auch die wachsende Trennung zwischen den Generationen bildet eine Ursache für den mitmenschlichen Kontaktverlust und die gestiegenen Schwierigkeiten, für andere verantwortlich zu handeln. Sicher wird niemand das Mitarbeiten von Kindern und Jugendlichen im agrarisch geprägten Arbeitsleben früherer Jahrhunderte idealisieren. Allerdings hat sich mit der Trennung von Arbeits- und Wohnplatz und mit der Spezialisierung der Arbeiten bei den Kindern und Jugendlichen eine Ahnungs- und Vorstellungslosigkeit davon verbreitet, was ihre Eltern in ihrem Arbeitsleben eigentlich tun, außer dass sie "arbeiten gehen". Die verschiedenen Generationen haben im emphatischen und im praktischen Sinne wenig miteinander zu tun.



Zwei zentrale Widersprüche der Erziehung

Die Kindererziehung verwickelt die Eltern in einen Widerspruch: Aus Liebe zu ihren Kindern stellen Eltern diese auf eine Welt ein, die in ihrer kapitalistischen Verfasstheit vielen menschlichen Belangen entgegensteht. Es gehe für die Kinder darum, ihre Chancen zu wahren oder zu verbessern. Das Bewusstsein des Gegensatzes ist durch die Liebe verstellt und die Liebe ist durch den Gegensatz doppelbödig. Kinder wachsen in die Welt hinein im persönlich-zwischenmenschlichen Verhältnis. Eltern haben im Verhältnis zum Kind oder Jugendlichen wenig Möglichkeit, praktisch einen wesentlichen Unterschied zwischen der Welt, so wie sie ist, und eigenen humanen Kriterien für das In-der-Welt-Sein zu machen. Die Eltern erziehen in der notwendigen und unausweichlichen Fiktion, es sei eine menschliche Welt. Natürlich entsteht im Fortgang der Erziehung die Differenzierung zwischen Außenwelt und Innenwelt. Dies ändert aber nichts an der für Bürger lebensdienlichen Fiktion, die Außenwelt als Mittel, als Bedingung zur Entfaltung der Innenwelt usw. oder gar selbst als Tummelplatz zur Verwirklichung von Subjektivität wahrzunehmen.

Eltern verwischen unvermeidlich die Differenz zwischen den Einschränkungen und Zumutungen, die das erziehende Individuum dem zu erziehenden Individuum immer aufzulegen hat, und dem Schaden, den das Individuum von der Erziehung zur Einpassung in Strukturen einer von Imperativen der Kapitalakkumulation geprägten Welt nimmt. Unabhängig von der kapitalistischen Gesellschaftsform existiert ein Bezugsproblem von Erziehung. Von ihm sehen jene ab, die der Vorstellung einer letztlich segensreichen Spontanautonomie des Kindes folgen, das schon seine Interessen kenne, aus Erfahrungen lerne und schon selbst zu wissen vermöge, wie es sich positiv entwickele und wie nicht. Viele erlernenswerten Fähigkeiten und Fertigkeiten benötigen allerdings erst lange Übung. Bei der allmählichem Bemeisterung bleiben "Durststrecken" nicht aus. All dies schwächt anfängliche Motive dafür, z.B. eine Sprache oder ein Instrument usw. zu lernen. Erst im Nachhinein, nach Bewältigung der Lernaktivität, lässt sich vergegenwärtigen, was diese Fertigkeiten und Fähigkeiten positiv eröffnen. Vorher handelt es sich um ein abstraktes Bedürfnis, dem keine Fähigkeit und kein tätiges Vermögen entspricht. Alles in den Selbstlauf kindlicher Entwicklung oder des Spiels und der Knabberpädagogik zu überführen, überträgt den Standpunkt des Konsums auf das Lernen. Allerdings ermöglicht die Beanspruchung des wohlverstandenen Wohls des Kindes gegen seine vorfindliche Zufriedenheit allerhand Ideologisierungen, die noch jede Erziehungsmaßnahme zu legitimieren verstehen. Der Erziehende bedauert sich dann selbst, wie er sich habe überwinden müssen, um hart zu sein. Diese Härte sei nötig und für den Zögling am besten gewesen. Der Erziehende hofft, dass später die Strenge aus Liebe verstanden werde.

Der innerhalb jeder Erziehung relevante Gegensatz wird gern und oft an jener Stelle geltend gemacht, an der es um eine Erziehung nicht überhaupt oder abstrakt geht, sondern um eine bestimmte Erziehung, die zur Ein- und Anpassung in die modernen kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse. Sie tut auch dem Verhältnis zwischen Kind und Eltern nicht gut: "Zwischen Eltern und Kindern ist das Misslingen wahrscheinlicher als das Gelingen. Denn Eltern sind im Wortsinne Vor-Gesetzte; in der Art, wie sie reden oder schweigen, stecken immer schon, bewusst oder vorbewusst, Machtansprüche ebenso wie Rechtfertigungen: Die Kinder ihrerseits müssen sich losreißen und eigene Erfahrungen sammeln, um aus ihnen ihr Selbstbewusstsein zu entwickeln. Anders die Großeltern. Für sie geht es nicht mehr um Macht und um Rechtfertigung. Darum können die Enkel ihnen zuhören, ohne sich gegängelt oder gar gefährdet zu fühlen." (Krockow 1991, 72)


Die Verklärung mütterlicher Tätigkeit und Aufmerksamkeit

Im Unterschied zum eigennützigen Bürger, der seine Privatinteressen gleichgültig gegenüber dem Wohlergehen anderer verfolgt, wertet Jessica Benjamin (1982, 447) mütterliche Aufmerksamkeit für das Kind als "Liebe und gegenseitige Anerkennung", als "Sorge, Pflege und Aufrechterhaltung des Wachstums Anderer" in einer "Subjekt-Subjekt-Relation" zum Kind. Carol Gilligan (1984) profiliert eine (ihr als menschlicher geltende) weibliche Moral der Fürsorge und Anteilnahme, der Verantwortung und Bindung - im Unterschied zum "männlichen" instrumentellem Aktivismus. Komplementär zur gesellschaftlichen Unterbewertung der Leistungen, die viele Mütter erbringen, grassiert eine Idealisierung von mütterlicher Tätigkeit und Aufmerksamkeit. Der Mütter-Kitsch wusste es schon lange: "Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein."

Der Schwierigkeit, das Kind zu verstehen, wird von Müttern, die faktisch durchschnittlich immer noch am meisten mit kleinen Kindern befasst sind, oft überkompensatorisch begegnet. An den kindlichen Regungen kleben dann "Muttiurteile, selbsthaftend, weil bestrichen mit dem dickflüssigen Leim liebender Muttifürsorge" (Dieckmann 1995, 139). Spätere Therapien zeigen, wie "die geheimen Zeichen (oder wenigstens die Rätsel, ob sie überhaupt existieren) ewiger Vergessenheit" überantwortet wurden (ebd., 80f.). Die permanente Kommentierung und Interpretation der kindlichen Gefühle durch die Mutter "spaltet die Empfindung jeweils gleich bei ihrem Auftreten vom Kind ab, reißt so Lücken ins Gefühlsleben des Kindes, besetzt die Situation jeweils aufs Angemessenste in Muttis Sinne und trägt so auf Dauer zu der gewünschten Bindung des Kindes an die Mutti bei, das ohne Mutti bald nicht mehr weiß, was es fühlen soll" (ebd., 55). Ohne Mutter ist alles nichts im familiären Reich. Wem so eine zentrale Bedeutsamkeit zuwächst, wer wollte sie nicht für eigene Bedürfnisse nutzen? "Meist ist die Mutterliebe eine seltsame Mischung aus Narzissmus, Altruismus, Traum, Aufrichtigkeit, Unaufrichtigkeit, Hingabe und Zynismus." (Beauvoir 1968, 497) Zwar isolieren Kinder die mit ihnen hauptsächlich befassten Frauen gesellschaftlich, zugleich erweitern Mütter durch ihre Existenz als hauptsächliche "Bezugsperson" ihre Ich-Grenzen um die Person des Kindes.

Gegenfixiert auf Mütter-Kitsch fokussiert sich Dieckmann mit bösem Blick auf das Misslingen der Mutter-Kind-Beziehung. Eine Vergegenwärtigung der mütterlichen Leistungen und Aufmerksamkeit in der besonderen Beziehung zum Kind sieht anders aus. Dieckmann stellt sich nicht der Frage, warum die Beziehung zwischen Mutter und Kind durchschnittlich nicht so dramatisch misslingt, wie es nach dem von ihr genüsslich ausgebreiteten Negativklischee zu erwarten wäre. Würden nur "Mutti-Deutungen" aufs Kind geklebt und keine Regungen des Kindes angemessen wahrgenommen und beantwortet, käme es noch nicht mal zum Neurotiker. Der Psychotiker wäre der Normalfall.

Gegen die Idealisierung von Mütterlichkeit spricht auch der mit ihr in der bürgerlichen Gesellschaft verknüpfte Schuldzusammenhang: "Die Fesseln, die Müttern so gut stehen, weil sie als hingebungsvolle Verpflichtung anerkannt sind, verdecken nur den Willen zur Macht. Als Putzlappen, Krankenschwester, Seelenmülleimer, als Sozial- und Intensivstation für psychische und physische Gebrechen hat sich die Mutti eine Position der Schwäche und Abhängigkeit erwählt, in der sie Tugenden wie Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Selbstbeschränkung, Treue und Verlässlichkeit, kurz: eine vorbehaltlose Hingabe ausspielt als einen Akt der Vergeltung. Sie erzeugt ein Soll bei den durch ihre Opfer Beschenkten, das diese nie und nimmer abbauen, geschweige denn ihr heimzahlen können; und sie wacht darüber, dass das Defizit erhalten bleibt. Zu ihrer äußeren Unentbehrlichkeit kommt also für die Kinder der unauflösliche Klebstoff des schlechten Gewissens." (Dieckmann 1995, 58) Hier fehlt die Frage, wie es dazu kommt, dass eigenes Tun (der Mutter) von Subjekt wie "Objekt" dieses Tuns als Opfer für jemanden anderen (das Kind) wahrgenommen werden kann. Selbstverständlich ist es schließlich nicht, den am eigenen Leben wahrgenommenen tiefen Mangel mit dem Beklagen des Undanks anderer für die eigenen Taten zu verknüpfen. Dieckmann nimmt daran allein den "Krankheitsgewinn" wahr. Nach dem zugrundeliegenden Problem wird ebenso wenig gefragt wie danach, warum Erfahrungen so verarbeitet werden. Stattdessen firmiert bei Dieckmann der "Wille zur Macht" als voraussetzungsloser und substanzialistisch seinen Grund in sich selbst findender Vorsatz und als Prinzip individueller Existenz. Mutterschaft gilt dann als eine Teilmenge davon. Die individuelle Lebensführung avanciert so zum Resultat von Willen und Vorstellung. Ihnen gemäß leben die Menschen ihr Leben nicht in Verarbeitung ihres Seins in der Welt, sondern von innen nach außen nach Maßgabe ihrer autonom "erwählten" Bedeutungen (z.B. einer Präferenz für "Macht"). Das Begreifen des individuellen In-der-Welt-Seins muss die Subjektform infrage stellen. Letztere verformt und verstellt die Vergegenwärtigung der eigenen Existenz. Die Subjektform als ein wesentlicher Modus der Fremd- und Selbstinterpretation von Individuen im modernen Kapitalismus ist selbst Teil der Misere - und alles andere als der selbstverständliche Horizont, innerhalb dessen die Individuen ihre Existenz begreifen können.

Zur Idealisierung der Elternschaft gehört auch der Egoismus-Verdacht gegen Kinderlose. Er sieht von den (heute eher immateriellen) Diensten des eigenen Kindes für Mutter und/oder Vater ab.

• Ein Kind ist die populärste Methode, dem eigenen Leben einen Sinn zu verleihen. Wer sich zu einem Kind entschließt, braucht sich zumindest während der nächsten zwanzig Jahre nicht mehr zu fragen, wofür er am Leben ist: Er hat für ein Kind zu sorgen, basta. ...

• Ein Kind ist für nichtreligiöse Menschen ein Garant für ein Weiterleben auf Erden. Falls die Menschheit durchhält, ist noch in hundert Jahren anhand vergilbter Fotos festzustellen, dass ein bestimmtes Neugeborenes sein Muttermal vom Urgroßvater hat. Zumindest von Zeit zu Zeit wird also jemand an uns denken.

• Ein Kind bedeutet Macht. Welcher Mensch wird je wieder so andächtig unseren Worten lauschen und auf so totale Weise auf uns angewiesen sein? ...

• Ein Kind ist eine diskrete Möglichkeit, auf unsere Unwiderstehlichkeit hinzuweisen. Jeder kann sehen, dass wir zumindest irgendwann einmal von einem anderen Menschen bis zum Wahnsinn geliebt worden sind. Hätte er sonst ein Kind von uns gewollt?

• Ein Kind ist die Geisel, mit deren Hilfe wir einen geliebten Menschen auch nach Abklingen seiner Leidenschaft bei uns halten können. Wenn er dann eines Tages nicht mehr mag, mag er vielleicht noch das Kleine? (Vilar 1994, 86ff.)

Und häufig "sind Kinder nur ein vorgeschobener Grund, um bereits die Flinte ins Korn zu werfen, bevor man es überhaupt probiert hat. ... Von Eltern, die zum Wohl ihrer Kinder selbst ein verhunztes Leben haben, hört man immer wieder den einen Satz: 'Ich kann es nicht ändern, ich muss ja meine Kinder großziehen.' Ich kann die Arbeit, die ich langweilig finde, nicht kündigen, weil ich Kinder habe: eine schöne Ausrede." (Maier 2008, 99) Maier ist übrigens wie Dieckmann Mutter zweier Kinder.



Erziehung und Zwischenmenschlichkeit

Eltern-Kind-Verhältnisse sind eine Teilmenge der durch die Trennung zwischen Arbeit und Wohnen und durch den Fortfall von Produktionsaufgaben für die Familie zustandegekommenen herrschenden Zwischenmenschlichkeit im modernen Kapitalismus. Sie geht mit romantischer Partnerwahl sowie Emotionalisierung und Privatisierung des familialen Lebens einher. In dieser Zwischenmenschlichkeit geschieht die Selbstverortung, Bestätigung und Selbstvergewisserung der isolierten und getrennten vereinzelten Einzelnen in deren privaten Beziehung zueinander. Sie ist das Medium, in dem Menschen ihren persönlichen Wert und Lebenssinn usw. bewähren, beweisen und sich diese Wahrheit zusprechen, beglaubigen oder entziehen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird im Kapitalismus nicht daraufhin durchgearbeitet, dass sie der Ort der Entfaltung menschlicher Sinne und Fähigkeiten im sozialen Bezug der Menschen aufeinander und in ihrer Gestaltung der Gesellschaft ist. Von dieser Weltlosigkeit haben die Bürger kein klares Bewusstsein. Vielmehr erscheint allein die zwischenmenschliche Verarbeitungsform, die aber die Not, auf die sie antwortet, nicht mehr erkennen lässt, sondern allein eine Antwort ohne Frage, also fraglos präsentiert. Alle Not soll dann tendenziell durch die zentralen Mitmenschen gewendet werden.

In der Familie steht das Bestreben im Mittelpunkt, die Zumutungen der Außenwelt im zwischenmenschlichen Binnenraum subjektiv zu verwinden und auszugleichen. Die Familienmitglieder übernehmen praktisch dafür Verantwortung, etwas Von ihnen nicht zu Bewältigendes zu bewältigen und etwas nicht zu Verdauendes zu verdauen. Objektives und Subjektives lässt sich dann nur noch schwer unterscheiden. Das von den Individuen abstrahierende Geschehen des kapitalistischen Reichtums hat Folgen für das Individuum. Subjektive Sinnzusammenhänge sollen diese Folgen imaginär übergreifen. Der Zwischenmenschlichkeit und Familiarität wird in der modernen kapitalistischen Gesellschaft zugetraut, dass sie als "das Organische das Unorganische unmittelbar in seine organische Materie" (Hegel 9, 485) ziehen. "Der nach außen gehende Prozess wird so in den ... der einfachen Reproduktion aus sich selbst, in das Zusammenschließen mit sich, verwandelt." (Ebd., 480f.) Das Sich-geltend-Machen des Unorganischen im Organischen als dessen Störung und Verkehrung bleibt nicht aus. Gelitten wird dann an Objektivem, das nicht als solches auftritt, sondern in der Gestalt des Subjektiven. Enttäuscht sehen sich Erwartungen an die nächsten Mitmenschen und an die eigene Person.

Zudem müssen Kinder für Selbstheilungsversuche der Eltern herhalten. Das Kind dient als Ersatz für eine andere Person (für einen Elternteil, für den Gatten oder für ein Geschwister) oder für einen Aspekt des eigenen Selbst der jeweiligen Elternfigur oder wird zum Abbild schlechthin oder zum Substitut des idealen Selbst oder der negativen Identität (Richter 1969, 81). Ein Gegensatz entsteht zwischen dem, was das Kind für sich sein muss, und dem, was es für einen Elternteil sein soll. Dem Kind werden so eigene Gegensätze in seinem Empfinden und Erleben mit- und aufgegeben. Diese Gegensätze verringern ihrerseits das eigene Handlungsfeld über das bereits durch die objektiven gesellschaftlichen Widersprüche (in der erwachsenen Lebensweise) eingeschränkte Maß hinaus. Kinder kommen physisch auf die Welt, psychisch aber in eine bestimmte Familie. In ihr herrscht eine partikulare Innenwelt vor. Sie ist in ihrer besonderen Färbung und Materialität, in ihrer Privatheit und Eigentümlichkeit nur schwer in die allgemeine Verkehrssprache übersetzbar und für sie zugänglich.

Die von vielfältigen gesellschaftlichen Widersprüchen überforderten Individuen verarbeiten die individuell nicht zu verarbeitenden Widersprüche mit ihren beschränkten Bordmitteln. Fragile Identitäten, brüchige Biographien und massive Ausblendungen bleiben nicht aus. Kinder haben es mit solchen "Vorbildern" zu tun. "Die unaufgelösten Dissonanzen im Verhältnis von Charakter und Gesinnung der Eltern klingen in dem Wesen des Kindes fort und machen seine innere Leidensgeschichte aus." (Nietzsche 1886, 379)

Das Eltern-Kind-Verhältnis ist unter solchen Voraussetzungen auch der Ort massiver Manipulationen und Mystifizierungen. Was dem Kind unstimmig erscheint, lässt sich von der Wahrnehmung in die Einbildung transformieren ("Das bildest Du Dir nur ein!") oder von der Erinnerung einer Wahrnehmung in die Erinnerung eines Traumes ("Das musst Du geträumt haben!") verwandeln. Eltern können auch den Erlebnisinhalt des Kindes bestreiten und ihm statt dessen eigene Erlebnisqualitäten unterschieben ("Du bist schon sehr müde und musst nun ins Bett.") und bei Protest betonen, selbst besser zu wissen, wie der andere sich fühlt, als er selbst. Dem Kind kann eingeredet werden, die Eltern oder ein Elternteil sage oder tue zwar etwas Verletzendes, meine es aber nicht wirklich so. Insgesamt können Eltern das Kind "glauben machen, seine emotionalen Bedürfnisse würden befriedigt, während sie eindeutig unbefriedigt bleiben; indem man solche Bedürfnisse als unvernünftig, hemmungslos oder egoistisch hinstellt, weil die Eltern nicht in der Lage oder nicht bereit sind, sie zu erfüllen; oder indem man dem Andern einzureden versucht, dass er sich nur einbildet, Bedürfnisse zu haben, sie 'in Wirklichkeit' aber nicht hat, usw." (Laing 1970, 286, s. auch 284). Das Empfinden des Kindes oder Jugendlichen lässt sich als Undank verstehen: "Wie kannst du bloß unglücklich sein. Haben wir dir nicht alles gegeben, was du willst? Wie kannst du nur so undankbar sein, dass du sagst, du bist unglücklich, nach allem, was wir für dich getan haben, nach all den Opfern, die für dich gebracht worden sind?" (Ebd., 278)

Die Schuld, die das Kind den Eltern gegenüber spürt, hat zu tun mit den Belastungen der Elternschaft unter materialiter kinderfeindlichen Bedingungen und mit dem Verfehlen jener Erwartungen, die Kinder nicht erfüllen können, die die Eltern aber an sie adressieren. All dies überformt und steigert gesellschaftsspezifisch eine in der Eltern-Kind-Beziehung ohnehin existierende Asymmetrie. "Die Eltern (haben) ein tieferes Bewusstsein von dem Zusammenhang mit ihren Kindern als umgekehrt die Kinder von dem Zusammenhang mit ihren Eltern. Und stärker ist das Band der Zugehörigkeit zwischen Verursachendem und Erzeugtem als zwischen dem Gewordenen und seiner Ursache." (Aristoteles) Asymmetrisch ist, "dass im Ganzen die Kinder die Eltern weniger lieben als die Eltern die Kinder; denn sie gehen der Selbständigkeit entgegen und erstarken, haben also die Eltern hinter sich, während die Eltern in ihnen die objektive Gegenständlichkeit ihrer Verbindung besitzen" (Hegel 7, 329). In der gegenwärtigen Gesellschaft wird im Schuldgefühl gegenüber den Eltern nicht mehr zwischen jenen Belastungen unterschieden, die mit Elternschaft immer verbunden sind, und jenen, die sich aus objektiv kinderfeindlichen Gesellschaftsstrukturen ergeben. Ausgeblendet bleiben auch Verunstaltungen des Eltern-Kind-Verhältnisses, die aus gesellschaftlich konstituierten Subjektivitätsformen resultieren. Eine wesentliche Folge des problematischen Eltern-Kind-Verhältnisses in der bürgerlichen Gesellschaft ist das Schuldgefühl. Sozialisiert werden so "Menschen, welche von vornherein den Fehler bei sich selbst suchen. ­... Das in der Familie ausgebildete schlechte Gewissen fangt unendlich viele Energien auf, die sich sonst gegen die beim eigenen Versagen mitsprechenden gesellschaftlichen Zustände richten könnten. ­... In der Gegenwart vereitelt das zwangsmäßige Schuldgefühl als andauernde Opferbereitschaft die Kritik an der Wirklichkeit..." (Horkheimer 1970, 215) Reaktiv entsteht eine überverallgemeinerte Abwehr gegen latente Schuldgefühle. Sie fördert Abgrenzung und Selbstbezogenheit. Beide beantworten und steigern die zwischenmenschliche Misere. Andere wiederum suchen die Schuld gegenüber ihren Erzeugern bei den eigenen Kindern abzuzahlen. So oder so: Für Fortsetzung ist gesorgt.



Literatur

Beauvoir, Simone de 1968: Das andere Geschlecht, Reinbek bei Hamburg.

Benjamin, Jessica 1982: Die Antinomien des patriarchalischen Denkens. Kritische Theorie und Psychoanalyse, in: Bonß, W.; Honneth, Axel (Hg): Sozialforschung als Kritik, Frankfurt/Main.

Dieckmann, Dorothea 1995: Unter Müttern - Eine Schmähschrift, Reinbek bei Hamburg.

Gilligan, Carol 1984: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau, München.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1970: Theorie Werk-Ausgabe, Frankfurt/Main.

Horkheimer, Max 1970: Autorität und Familie, in: Ders.: Traditionelle und kritische Theorie, Frankfurt/Main.

Krockow, Christian Graf von 1991: Die Heimkehr zum Luxus, München.

Laing, Ronald D. 1970: Mystifizierung, Konfusion und Konflikt, in: Gregory Bateson; Don D. Jackson, Jay Haley u.a.: Schizophrenie und Familie, Frankfurt/Main.

Nietzsche, Friedrich 1886: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, 1. Bd., Leibzig.

Maier, Corinne 2008: No kid. 40 Gründe, keine Kinder zu haben, Reinbek bei Hamburg.

Richter, Horst Eberhard 1969: Eltern, Kind und Neurose, Reinbek bei Hamburg.

Szczecsny-Friedmann, Claudia 1994: Die kühle Gesellschaft, München.

Vilar, Esther 1994: Heiraten ist unmoralisch, Bergisch Gladbach.

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Der heilige Bund des Apparats

Es ist doch wirklich auffällig, dass bei besonderen Anlässen die kirchlichen Würdenträger, die staatlichen Repräsentanten und die Heeresspitzen stets gemeinsam abgebildet sind. Und es scheint kein Zufall zu sein, dass sich Kleriker, Politiker und Militärs da recht friedlich und freundschaftlich in amtlichen Verbindlichkeiten üben. Sie gehören gewissermaßen zusammen. Es handelt sich ja auch um einen Apparat, einen gesellschaftlichen, der Werte vermittelt und sie dadurch immer wieder neu erschafft. Diese Werte seien nun das Seelenheil, das Gemeinwohl und die Kriegskunst. Die Kirche kümmert sich um die Seele, der Staat um den Volkskörper und die Soldateska um alles Übrige. Kutten, Anzüge und Uniformen schmücken diesen zweifelhaften Anblick. Die Liebe aller drei geht während der Tagesnachrichten auf den Bildschirmen hausieren, wenn sie, wie gesagt, Hände schütteln, lächelnd nicken und in der Gruppe zum insgeheimen Treueschwur anstoßen. Natürlich nennen sie es nicht so. Das wäre auch sehr töricht. Aber sie bilden dennoch eine geläufige Einheit, traditionell also einen Bund, eine Art Zusammenschluss für Recht und Ordnung, wie im Himmel, so auf Erden, als Hüter von sowohl dem Leben wie auch dem Tod. Wenn Politiker einen Krieg mittragen, segnet jeder Kardinal seine Generäle und Soldaten. Der reiche, weiße Mann im Hintergrund ist schlauer, denn er lässt höchstens die Moneten dafür fließen und hält sich ansonsten fern vom ganzen Trubel. Er kassiert sozusagen unsichtbar. Das hält man anschließend für eine mangelnde Verortung der Macht. Aber er selbst ist ebenfalls ein Teil des Apparats, wo er doch jene Fernsehsender, Radiofrequenzen und Boulevardblätter besitzt, die all die Kleriker, Politiker und Militärs belichten und filmen und überhaupt erst in Szene setzen. Das unheilige Triumvirat hat eine treibende Kraft. Manche heißen sie Geld, manchen andere Macht, viele glauben, es sei das Ego, viele andere, es sei die Kaste oder Klasse, die meisten hingegen wissen, dass man im Notfall nicht zählen darf auf das Wort dieser Möchtegernehrlichen. Nichts ist kapitalistischer als die Gier, nichts pfäffischer als die Heuchelei, nichts beamteter als das Postenschachern, nichts militärischer als das Diktat. Vom Leben mit ihnen und nach ihren Vorstellungen bleibt oft nur der Tod. Zuerst stirbt die seelische Feinfühligkeit ab. Das kommt von der Kanzel und dem Beten. Bald danach lebt jede politische Hoffnung und Phantasie ab. Das kommt vom Fernsehen und dem Parlament. Im äußersten Fall endet man mit Leichenbergen und Schützengräben. Das kommt von einem Heer im Einsatz. Gut gemacht, Herr General, habe die Ehre, Herr Präsident, Gott segne Sie, heiliger Vater. Der Apparat hat schon zugeschlagen, weil er der Herzschrittmacher eines solchen Systems ist. Die Einheit beweist epochenübergreifend, wie gut sie auf sich selbst eingespielt sind. Der Bund formiert sich nämlich jedes Jahrhundert neu. Abermals mischen Gott, der Staat, seine Truppen und das Gold kräftig mit. Man weiß, was das verheißt: herrschaftliche, herrliche Probleme.

Mladen Savic

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Das Ende der Politik

Die Hassliebe des Bildungsbürgers gegenüber der Politik

von Erich Ribolits

Die Haltung des Bildungsbürgers - also des prototypischen etablierten Vertreters der Industriegesellschaft - gegenüber Politik ist von einer eigentümlichen Ambivalenz gekennzeichnet. Politik erscheint ihm als "notwendiges Übel" - er glaubt zwar emphatisch an Politik als Prinzip, verachtet sie jedoch zugleich in ihrer realen Erscheinungsform. Ähnlich erscheint ihm die parlamentarische Demokratie zwar als die optimale Form der Regelung gesellschaftlichen Zusammenlebens, zugleich ist er allerdings der Meinung, dass Demokratie nicht wirklich funktionieren kann, da die Menschen (noch) nicht gelernt haben, sich konsequent ihrer Vernunft zu bedienen. Politik und Demokratie sind für den Bildungsbürger nur gemeinsam vorstellbar, er erwartet sich von diesem Doppelgespann zwar die Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens, allerdings nur über den Zwischenschritt der "Veredelung" der Menschen durch die Hervorbringung ihrer Vernunft. Nur qua Wissen und rationaler Auseinandersetzung erscheinen ihm die hochgehaltenen Ziele einer wahrlich humanen Gesellschaft erreichbar. Dementsprechend prioritär erscheint dem Bildungsbürger die Förderung von Bildung im Sinne des Hervorbringens der Selbststeuerungspotenziale des Menschen. Politik bedeutet für ihn dagegen bloß Kampf egoistischer Interessen und das Streben nach Macht. Das heißt allerdings nicht, dass er sich ihrer nicht dennoch bedient - von sich selbst ist der typische Bildungsbürger in der Regel ja durchaus überzeugt, über entsprechende Klarheit der Vernunft zu verfügen und politisch "abgeklärt" zu agieren.

Was den Bildungsbürger richtig schmerzt, ist ein "Einmengen" der Politik ins Bildungsgeschehen. Indem er Bildung als das Hervorbringen der vorgeblich objektiven Vernunft idealisiert, ist ihm jeder Einfluss der Politik - von der er ja der Meinung ist, dass bei ihr die Vernunft nur eine untergeordnete Rolle spielt - auf den Bildungsbereich zutiefst zuwider. Aktuell "erzwingt" die immer deutlicher zutage tretende Verwertungskrise, die mit Einschränkungen des finanziellen Spielraums von Staaten und dem Druck verbunden ist, das Bildungswesen verstärkt (nur noch) unter den Aspekt der Produktion von Humankapital in den Fokus zu nehmen, allerdings eine politisch gesteuerte Neuordnung des Bildungsgeschehens. Der Bildungsbereich wird dabei - dem Auslöser entsprechend - logischerweise vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten fokussiert: Die Bildungsausgaben sollen sich rentieren, für den Einzelnen in Form von (erhöhten) Arbeitsplatzchancen und "für die Wirtschaft" in Form eines bedarfsgerecht zugerichteten Arbeitskräftepools und entsprechend optimierter Verwertungsbedingungen. Dieses Zur-Kenntlichkeit-Kommen des bisher ideologisch vielfach verbrämten letztendlichen Zwecks von Schule, Universität und Erwachsenenbildung ruft im Sinne der obigen Argumentation bildungsbürgerliche Irritationen und Widerstand auf den Plan. Mit allen (demokratisch verfügbaren) Mitteln wird deshalb an die Politik appelliert: Bildung darf nicht der Ökonomie geopfert werden. Im Bildungsbereich soll nämlich partout nicht gelten, was die Gesellschaft ansonsten grundsätzlich bestimmt und den Bildungsbürger in der Regel auch gar nicht stört: Dass eben "alles seinen Preis hat", "was nichts kostet, auch nichts wert ist", sich "Ausgaben rentieren müssen" und "man nur so viel ausgeben kann, als man eingenommen hat".

Generell gilt: Die Kritik, dass ökonomische Prinzipien auf Bereiche angewendet werden, die "früher" als gemeinwohlorientiert gegolten haben - neben dem Bildungswesen gilt das zum Beispiel auch für das Gesundheits- und Sozialwesen -, geht in der Regel mit dem Vorwurf an die Politik einher, dass sie sich heute allzu bereitwillig der Ökonomie unterwirft und nur unzureichende Bemühungen setzt, diese in die ihr zukommenden Grenzen zu verweisen. Eine solche Argumentation impliziert die Vorstellung, dass Politik und Ökonomie zwei voneinander klar abgegrenzte und gewissermaßen um die Vormachtstellung kämpfende autonome Sphären repräsentieren sowie dass der Staat souveräne Einwirkungsmöglichkeiten auf das (kapitalistische) Wirtschaftsgeschehen hätte. Argumentiert wird, dass es in der Gesellschaft durchaus marktgesteuerte Bereiche geben soll, aber eben auch andere, in denen es gilt, den Markt außen vor zu halten. Als Konsequenz dieses Postulats wird häufig ein "Primat der Politik" gefordert - Politik soll Rahmenbedingungen vorgeben, die es der Wirtschaft verunmöglichen, politisch definierte Interessen zu unterlaufen; vor allem soll Politik sich nicht von ihren Gemeinwohlaufgaben zurückziehen und die entsprechenden gesellschaftlichen Aufgabenfelder nicht ökonomischen Mechanismen überantworten. Eine etwas modifizierte Fassung der Vorstellung der kontradiktorisch gegenüberstehenden Sphären Politik und Ökonomie äußert sich im nostalgische Bedauern darüber, dass jene Zeiten vorbei wären, in denen Ökonomie und Politik einander noch "auf derselben Augenhöhe", nämlich im selben nationalen Kontext begegnet seien, weil zwischenzeitlich zwar die Ökonomie die vordem gegebenen nationalen Begrenzungen weitgehend überwunden hat, die Politik dagegen weiterhin im nationalen Korsett festgehalten sei. Je nach weltanschaulicher Ausrichtung wird als Konsequenz dann entweder der Ausbau transnationaler politischer Ansätze (Stichwort: Bundesstaat Europa) oder eine Renationalisierung der Ökonomie (Stichwort: Raus aus der EU) gefordert.


Warenform - die abstrakte Allgemeinheit moderner Gesellschaften

Der vorgebliche kontradiktorische Gegensatz der verschiedenen, sich als Gegenspieler präsentierenden Polaritäten der Warengesellschaft - Citoyen-Bourgeois, Privatheit-Öffentlichkeit, Arbeit-Freizeit, etc. und eben auch Politik-Ökonomie - hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Wie bei allen anderen Gegensatzpaaren gilt auch für Politik und Ökonomie, dass sie nur scheinbar "unterschiedlichen Welten" angehören, tatsächlich allerdings nur Ausformungen derselben "abstrakten Allgemeinheit" sind, die in modernen Gesellschaften durch die Warenform bestimmt ist und die durch die Inszenierung der verschiedenen einander angeblich unversöhnlich gegenüberstehender Kontrahenten bloß kaschiert wird. Die für die vermeintlichen Gegenspieler gleichermaßen gegebene Unterordnung unter das durch Ware und Geld artikulierte "Glaubenssystem Kapitalismus" ist allerdings erst durchschaubar, wenn von der Vorstellung Abschied genommen wird, dass Politik und Ökonomie überhistorische Größen darstellen würden und es die Phänomene, die wir heute mit diesen Begriffen ansprechen, grundsätzlich immer schon gegeben hätte. Tatsächlich sind Politik und Ökonomie als solche, genauso wie ihre Wahrnehmung als Gegensätzlichkeiten jedoch bestimmende Elemente der kapitalistischen Moderne und haben mit dem, was bei der Interpretation vormoderner Gesellschaften häufig mit denselben Begriffen apostrophiert wird, herzlich wenig zu tun.

Wie der deutsche gesellschaftskritische Publizist Robert Kurz formuliert, hatten "die vormodernen Gesellschaften [...] zwar einen 'Stoffwechselprozess mit der Natur', aber keine 'Ökonomie'; und sie hatten zwar innere wie äußere Konflikte, aber keine 'Politik'. Selbst in der eigenen westlichen Tradition und Geschichte, aus der diese Begriffe stammen, bedeuteten sie ursprünglich etwas grundsätzlich anderes als heute [...]. Es gab keine gesellschaftlich ausdifferenzierte 'ökonomische Sphäre', schon gar nicht als dominierende, und demzufolge auch keine 'ökonomischen' Kriterien: diese analytisch herauszudifferenzieren und als bestimmend anzunehmen, ist eine Leistung des modernen Bewusstseins ex post und verstellt schon den Blick auf das Wesen der untersuchten geschichtlichen Formationen. Logischerweise gab es auch keine ausdifferenzierte 'politische' Sphäre, schon gar nicht als eine zur 'Ökonomie' komplementäre, und also auch keine eigenen 'politischen' Kriterien. Die gemeinschaftlichen Angelegenheiten folgten ganz anderen Motiven. [...] Die 'abstrakte Allgemeinheit' der vormodernen Gesellschaften, d.h. der agrarischen Hochkulturen, war wesentlich durch ein Fetischsystem bestimmt, dessen Reste heute als 'Religion' bezeichnet werden. Aber im modernen Sinn meint dieser Begriff bereits eine ausdifferenzierte Sphäre (marginal komplementär zu den Sphären von 'Ökonomie' und 'Politik'), während das religiöse Moment in den vormodernen Gesellschaften die Reproduktion des Lebens selbst erfasste. Auch wenn es sich für ein modernes Bewusstsein als reine Paradoxie anhört, müsste man sagen, dass die Religion 'Ökonomie' und 'Politik' in sich einschloss, also keine 'Religion' im modernen (ausdifferenzierten) Sinne sein konnte. Die Religion war kein 'ideologischer Überbau', sondern basale Vermittlungs- und Reproduktionsform, in der Naturbeziehung ebenso wie in der gesellschaftlichen Verkehrsform." (Kurz 1994: 1)

Als Pendant der vormodernen gesellschaftlichen abstrakten Allgemeinheit "Religion" hat sich in der Moderne die "Warenform" etabliert. Das heißt, dass in modernen Gesellschaften Güter und Dienstleistungen nahezu ausschließlich nur als "Waren", das heißt nur im Tausch - in der Regel gegen Geld -, zugänglich sind. Der Begriff "Ware" weist darauf hin, dass es dabei um Dinge geht, die zwar Eigenschaften besitzen, die von Menschen als "nützlich" geschätzt werden - die also einen "Gebrauchswert" verkörpern - und dementsprechend begehrt sind, die aber nicht aus diesem Grund in die Welt gesetzt werden, sondern wegen ihres (Tausch-)Werts, der sich durch den am Markt realisierten Preis ausdrückt. Der Gebrauchswert von Waren stellt gewissermaßen nur das Mittel zum tatsächlichen Zweck ihrer Verwirklichung, dem Realisieren von Wert, dar - der letztendliche Zweck aller Produktion, Distribution und des Bereitstellens von Dienstleistungen ist das "Verwandeln von Geld in mehr Geld". Moderne Gesellschaften sind dadurch charakterisiert, dass das Prinzip der Verwertung, also das Generieren von Wert qua Tausch, nahezu uneingeschränkt herrscht, somit tendenziell alle Dinge und Dienstleistungen nur mehr in "Warenform" in Erscheinung treten. Die sich in ihrer sinnlich vermittelten Nützlichkeit ausdrückende "Naturbeziehung" des Menschen zu Dingen und Dienstleistungen tritt weitgehend in den Hintergrund, die Bedeutung derselben leitet sich (nur noch) aus ihrer "gesellschaftlichen Verkehrsform" - dem Wert - ab.

Während in vormodernen Gesellschaften Ware und Geld ein untergeordnetes Phänomen innerhalb der religiös bestimmten gesellschaftlichen Verfasstheit dargestellt hatten, haben sich die Verhältnisse in der Moderne umgekehrt. Nun definiert die Orientierung an Ware und Geld das gesellschaftlich Allgemeine - und Religion stellt innerhalb der Gesellschaft nun bloß noch ein marginales Moment dar. Mit anderen Worten: Die in der Vormoderne herrschende Unterordnung der Menschen unter die Macht der religiös konstituierten "Wahrheiten" und ihrer irdischen "Vertreter" wurde abgelöst durch die Unterordnung unter die Macht der der Warenform entsprechenden "Wahrheiten". Von der neuen gesellschaftlichen Orientierungsperspektive unbeeinflusst, blieb das menschliche Dasein dabei allerdings selbstverständlich seiner (ersten) Natur verhaftet. Der Mensch blieb weiterhin auf den sinnlichen Austauschprozess mit der Natur angewiesen - er braucht ungebrochen ihm dienliche materielle Dinge, wie Nahrung, Bekleidung oder Behausung ..., und er bedarf weiterhin der "Unterstützung" durch andere Menschen. Die gewandelte abstrakte Allgemeinheit zwingt ihm nun allerdings eine gesellschaftliche (zweite) Natur im Sinne der Warenform auf. Außer in kleinen (und immer kleiner werdenden) Bereichen, in denen (Nächsten-)Liebe und Freundschaft die zwischenmenschliche Beziehung bestimmen, ist dem Menschen alles, was er zur Befriedigung seiner selbst als "naturverhaftetes Wesen" braucht, nur mehr als Ware, im Tausch gegen Geld, zugänglich - allen Dingen und Dienstleistungen haftet, dem gemeinen Bewusstsein wie eine "natürliche Eigenschaft" erscheinend, ein "Wert" an. Das Leben des Menschen ist somit bestimmt durch das Ausgespannt-Sein zwischen der von ihm unmittelbar sinnlich erlebten "ersten Natur" und der gesellschaftlich bedingten, ihm nur über sein Bewusstsein zugänglichen "zweiten Natur". Diese "Zerrissenheit" gab die Grundlage ab für die Aufspaltung der abstrakten Allgemeinheit "Warenform" in ein System getrennter, einander scheinbar kontradiktorisch gegenüberstehender gesellschaftlicher Sphären, in denen sich die totale Warenform quasi mit sich selbst vermittelt. "Das nunmehr institutionalisierte strukturelle Spaltungsirresein lässt die getrennten Sphären in der Gestalt von logischen und institutionellen Gegensatzpaaren erscheinen, in denen der Vermittlungszusammenhang an der Oberfläche sich darstellt, ohne die Spur seiner Genesis zu zeigen. Wie die warenförmige Totalität dabei in den strukturellen Gegensatz von 'Individuum' und 'Gesellschaft', der gesellschaftliche Raum in den Gegensatz von 'Privatheit' und 'Öffentlichkeit' und die Lebenswelt des einzelnen in den Gegensatz von 'Arbeit' und 'Freizeit' zerfällt, so spaltet sich der Funktionszusammenhang dieser Totalität in den Gegensatz von 'Ökonomie' und 'Politik' auf. [...] Der institutionelle Raum der Funktionssphäre 'Ökonomie' ist der Markt; der institutionelle Raum der Funktionssphäre 'Politik' ist der Staat." (Ebd.: 3)


Politik und Ökonomie - weder Gegenspieler noch souverän

Politik und Ökonomie präsentieren sich in diesem Sinn zwar als gesellschaftliche Gegenspieler und waren in der (Durchsetzungs-)Geschichte der Moderne demgemäß auch eine ganz wesentliche Grundlage ideologischer Gegensätze und Kämpfe zwischen wirtschaftsliberalen und etatistischen Positionen. Tatsächlich sind die vorgeblichen Gegenspieler aber gleichermaßen der abstrakten Allgemeinheit des kapitalistischen Systems unterworfen und auch im Zur-Geltung-Bringen ihrer vorgeblichen Gegnerschaft entsprechend eingeschränkt. Beide Sphären sind weder autonom noch ist es ihnen möglich, ihre Relationen souverän zu gestalten; sie sind durch die Kodierung der Warenform gebrandet und deren sogenannten Gesetzmäßigkeiten unerbittlich unterworfen. Während kapitalistische Ökonomie unmittelbar der Realisierung des Verwertungsprinzips dient, stellt Politik nichts anderes als die Über- und Umsetzung der zur Verwertung erforderlichen Rahmenbedingungen auf staatliche Pragmatik dar. Letztendlich bedeutet Politik somit ebenfalls nur Vollstreckung der aus den gesellschaftlichen Prämissen Ware und Wert abgeleiteten Notwendigkeiten. Die innerhalb dieser Vorgabe verbleibenden Gestaltungsspielräume sind begrenzt dadurch, dass Politik in einer am Tropf der Verwertung hängenden Gesellschaft zuallererst selbst "Spielgeld" benötigt und dieses einzig über den Weg einer im Sinne des Systems "erfolgreiche Ökonomie" lukrieren kann. Den somit eigentlich als politische Re-Akteure zu bezeichnenden Politikern bleibt gar nichts anderes übrig, als sich um "das Wohl der Wirtschaft" zu sorgen - nur wenn es dieser "gut geht", kann der Staat überhaupt Steuern, Gebühren und Abgaben einnehmen, und es wird kein übermäßig großer Teil des Budgets durch die Notwendigkeit aufgezehrt, nicht in den Verwertungsprozess integrierte Arbeitskräfte "durchfüttern" und verwertungsmäßig (wieder) "auf Vordermann bringen" zu müssen. Nur über den Weg gelingender Verwertung kann sich die Politik einen Rest an Handlungsfähigkeit sichern, der somit aber logischerweise niemals dafür genützt werden kann, die Prämissen der Verwertung selbst zu unterlaufen. Auch wenn es dem demokratisch formierten Subjekt zutiefst zuwider ist, gilt: "Politik ist Umsetzung gesellschaftlicher Notwendigkeiten, [...] in die Sprache des Geldes (Budget) und des Rechts (Gesetzgebung)" (Schandl 1995: 17). Innerhalb dieser Notwendigkeiten lotet Politik selbstverständlich Möglichkeiten aus und schöpft (noch vorhandene) Gestaltungsspielräume im Sinne ihrer jeweiligen "weltanschaulichen Orientierung" aus, "diese Möglichkeiten verlassen jedoch nie den Rahmen der Notwendigkeiten, können ihn nicht sprengen" (ebd.).

Politik und Ökonomie sind wie zwei Lastochsen, Seite an Seite im selben Joch eingespannt, und stehen beide unter derselben Knute "Verwertung". Politik ist kein Prinzip, das über die Ökonomie hinausgeht oder hinausgehen kann. Sie ist Element der durch Ware und Wert bestimmten gesellschaftlichen Strukturen - ein Zur-Disposition-Stellen derselben steht nicht in ihrer Macht. Dementsprechend absurd ist es, wenn im Zuge der Verschärfung der Verwertungsbedingungen heute verschiedentlich gefordert wird, dass sich die Politik der sogenannten Ökonomisierung entgegenstellen möge. Zwar ist derzeit tatsächlich kaum mehr zu übersehen, dass sich Politik immer vordergründiger und eindimensionaler als Wirtschaftspolitik geriert - ähnlich wie in vormodernen Gesellschaften alles und jedes religiös begründet werden musste, muss heute alles und jedes ökonomisch begründet werden. Damit verwirklicht sich allerdings kein neues, bisherige Politik konterkarierendes Prinzip, es wird bloß kenntlich, was immer schon gegolten hat: "Politik ist das Ein- und Auspendeln gesellschaftlicher Möglichkeiten auf der Ebene der aktuellen kapitalistischen Verwertungsbedingungen. Die Entideologisierung verdeutlicht nur, dass diese sich immer direkter und nackter durchsetzen, den Schein der Weltanschauung ganz einfach nicht mehr zulassen können" (ebd.: 18). Die aktuelle, der abnehmenden Potenz des Kapitalismus zur Verwertung menschlicher Arbeitskraft geschuldete "Verwertungskrise" und die sich damit massiv verschärfende Konkurrenz zwischen den Verwertungsräumen hebelt die für die Politik bis vor wenigen Jahren gegebenen Gestaltungsspielräume zum Setzen ideologisch begründeter Schwerpunkte weitgehend aus. "Die relative Autonomie der Politik wird noch weiter relativiert." (Ebd.)

Dementsprechend absurd ist es, wenn aus der bildungstheoretischen Ecke, aus der ansonsten kaum je Kritik am Verwertungssystem zu vernehmen ist, derzeit an die Politik appelliert wird, den Bildungsbereich doch bitte nicht (auch) den Maßgaben der Ökonomie zu unterwerfen, da es dort doch um die Entfaltung des Menschlichen am Menschen, seine Mündigkeit und die Fähigkeit zur Kritik ginge. Indem im Zuge der aktuellen Verwertungskrise sich einerseits die budgetären Spielräume von Staaten verringern und ein betriebswirtschaftliches Herangehen (auch) bei Schul- und Ausbildungsfragen somit der Not der Stunde geschuldet ist sowie andererseits die verschärfte Standortkonkurrenz erzwingt, dass (auch) Bildungspolitik rückhaltlos den Verwertungsaspekt fokussiert, findet gegenwärtig tatsächlich ein Entsorgen bürgerlicher Bildungsideologien statt. Während das Geschehen in Bildungseinrichtungen noch bis Ende des vorigen Jahrhunderts regelmäßig damit verbrämt wurde, dass es dort ja um wesentlich mehr als um die Zurichtung Heranwachsender zu angepassten Staatsbürgern und brauchbaren Arbeitskräften ginge, wird heute offen bildungsökonomisch argumentiert. Ganz unverblümt geht es um Input-Output-Relationen: Wie viel Geld wird hierzulande und anderswo für öffentlich organisiertes Lernen ausgegeben und welchen Rankingplatz erreichen hiesige Schüler oder Studenten bei Vergleichstests hinsichtlich wirtschaftlich relevanter Kompetenzen. Auch wenn in den entsprechenden Argumentationen manchmal noch das eine oder andere der diversen bildungsbürgerlichen Plastikwörter (Pörksen) benützt wird, ist klar, dass es bei den (Länder-)Vergleichen ganz sicher nicht um eine Mündigkeit geht, die Menschen in die Lage versetzt, sich der in den Prämissen der Warengesellschaft eingeschriebenen Macht entziehen und Strategien für ein Leben entwickeln zu können, das diesen nicht (völlig) unterworfen ist. Grundsätzlich hat das Bildungssystem bei den ihm Unterworfenen immer die Bereitschaft zur und die Potenziale der Verwertung gefördert und tut das letztendlich sogar, wenn es sich die Förderung von Mündigkeit und Kritik auf die Fahnen heftet. Der Bildungsbegriff ist Ausfluss des bürgerlichen Systems und ist Seite an Seite mit dem aufsteigenden Kapital bedeutsam geworden. Dass nun von bildungstheoretischer Seite appelliert wird, den Bildungsbereich nicht zu "verbetriebswirtschaften", ohne zugleich eine grundsätzliche Kritik der Warengesellschaft vorzunehmen, zeugt davon, dass die Theoretiker menschlichen Lernvermögens zum einen offenbar ungebrochen daran glauben, dass sie dafür bezahlt bekommen, die Heranbildung von Outcasts zu fördern - von Menschen, die unbrauchbar für das von ihnen ansonsten befürwortete System sind -, und dass sie zum anderen glauben, dass Politik es sich aussuchen könne, wieweit sie den Prämissen der Verwertung zuarbeitet.



Der Glaube an die Politik erodiert

Der sich rasch verringernde Gestaltungsraum der Politik macht es zunehmend immer unbedeutender, Politiker welcher Couleur als Exekutionsorgane der sich qua Verwertungsprämisse artikulierenden Macht tätig sind. Der massiv verschärfte Konkurrenzkampf zwischen Staaten um die kapitalfreundlichsten Verwertungsbedingungen sowie die Hand in Hand damit vor sich gehende Reduzierung budgetärer Spielräume und die gegebene Not, politische "Entscheidungen" immer eindimensionaler am Ziel ausrichten zu müssen, "Kapital ins Land zu locken", zwingt Politikern völlig unterschiedlicher "weltanschaulicher Positionierungen" - sobald sie sich in der zunehmend durchaus als "peinlich" zu bezeichnenden Situation wiederfinden, ihre "politische" Ausrichtung praktisch werden lassen zu müssen - heute ein weitgehend identes (Re-)Agieren ab. Auf diese Art findet zum einen eine zunehmende "Entschlackung" der Politik von weltanschaulichen Beigaben und Resten, letztlich quasi eine "Entpolitisierung von Politik" statt; zum anderen gilt es für Politiker immer mehr, sich (zumindest) durch eine medienwirksame Inszenierung von der Konkurrenz abzuheben. Unterschiede zwischen Politikern zeigen sich in diesem Sinn zunehmend nur noch in ihrem Auftreten, ihrem mehr oder weniger virtuos-populistischen Verwenden politischer Schlagwörter und Generalrezepte oder auch darin, ob sie dem zunehmenden Sichtbarwerden der für Politik und Ökonomie gleichermaßen gegebenen Unterordnung unter Verwertungsvorgaben durch den Verweis auf eine Karriere als (ehemals) erfolgreicher Wirtschaftstreibender begegnen können.

Als Folge des zunehmenden Offensichtlich-Werdens der Ohnmacht der Politik gegenüber dem sich immer unerbittlicher Durchsetzen der Diktatur der Warenform zeigt sich eine rasant um sich greifende "Politikmüdigkeit" beziehungsweise "Skepsis" gegenüber Politik und Politikern. Von Wahl zu Wahl steigt die Zahl derer, die gar nicht mehr zur Wahl gehen, und jene, die noch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, werden in ihrem Wahlverhalten immer sprunghafter und weniger einschätzbar. Vielfach wissen sie bis in die Wahlzelle hinein nicht, wen sie wählen sollen, und geben ihre Stimme dann offenbar ziemlich "wahllos" einmal der einen und beim nächsten Mal einer ganz anders ausgerichteten Gruppierung. Eine ideologische Bindung an eine Partei ist zwischenzeitlich generell weitgehend passé - kein Wunder, da ja auch die Parteien sich immer weniger auf ein nachhaltiges ideologisches Konzept berufen, sondern sich (letztendlich mit gutem Grund) bloß noch als die besseren Manager der sich krisenhaft entwickelnden Verwertungszwänge präsentieren. Zur meist unreflektierten Skepsis gegenüber der Politik als solcher gesellt sich ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Politikern. Sie verkörpern zwischenzeitlich ähnlich wie Bankmanager eine Gesellschaftsgruppe, die unter Generalverdacht steht. Da ihnen noch immer Macht zugeschrieben wird, sich im Laufe ihrer jeweiligen Amtsperioden aber regelmäßig herausstellt, dass sich die Dinge für die Majorität der Bevölkerung nicht zum Besseren wenden, wird ihnen im besten Fall Unfähigkeit, in der Regel jedoch Korruptheit vorgeworfen. Taucht eine neue politische Gruppierung mit neuen, möglicherweise auch noch recht forsch auftretenden Exponenten auf, projizieren in diesem Sinn oftmals große Wählergruppen ihre Hoffnungen auf die Neuen, deren Westen logischerweise noch weitgehend unbefleckt erscheinen. Gibt es keine neue Gruppe, auf die die alten Hoffnungen projiziert werden können, werden bei der nächsten Wahl oft genau jene gewählt, die man bei der vorigen per Stimmabgabe "abzustrafen" versucht hat.

Dass Politiker beim Wahlvolk permanent Enttäuschungen produzieren, ist darin begründet, dass man ihnen (noch immer) Lösungskapazität in Bereichen zuschreibt und sie auch selbst eine solche suggerieren (müssen), wo ihre Macht längst beschnitten ist beziehungsweise nie hingereicht hat. Dadurch, dass sie als Moderatoren der - tatsächlich in den Systemprämissen eingeschriebenen - Machtverhältnisse auftreten, wird ihnen zugeschrieben, wirklich Macht über das System zu haben. Real nimmt aber sogar der Spielraum, den Politik innerhalb der Systemprämissen hat, in allen demokratischen Staaten rapid ab; die Systemzwänge, die letztlich nichts anderes sind als die der Verwertungskrise geschuldeten Notwendigkeiten, beschneiden ihren Möglichkeitsraum noch einmal gewaltig. Dennoch muss Politik - will sie nicht vollends unglaubwürdig werden und sich quasi selbst aufgeben - ständig behaupten, die weit außerhalb ihrer Einflusssphäre liegenden, den Prämissen und Grenzen des Systems geschuldeten Probleme lösen zu können. Einerseits muss sie alles tun, um dem Verwertungssystem zuzuarbeiten, indem sie den Standort, für den sie "verwaltungsmäßig" zuständig ist, optimal für das Kapital aufbereitet, andererseits soll sie die sozialen, ökologischen oder gesundheitlichen Folgen genau ihres dem Verwertungssystem Zuarbeitens verhindern oder zumindest abfedern. Sie soll gewissermaßen gleichzeitig Gas geben und bremsen, ein ziemlich hoffnungs- und letztendlich - sieht man von der Gefahr ab, dabei ziemlich ins Schleudern zu kommen - auch wirkungsloses Unterfangen.


Politikverweigerung - das Tor zur Überwindung der Warengesellschaft?

Politik lebt von der Vorstellung, dass das auf der Verwertung von allem und jedem beruhende System prinzipiell schon in Ordnung wäre und nur im Sinne des Gemeinwohls "vernünftig" gemanagt werden muss, dass also ein per se unvernünftiges System qua Politik zur Vernunft gebracht werden kann. Kritiker vorgeblich "schwacher" Politik und Politikverdrossenheit gehen konsequent davon aus, dass Politik die Macht hätte, das aktuell Amok laufende betriebswirtschaftliche Kalkül in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen "produktiv zu nützen" und in anderen "in Schranken zu weisen". Selbst der Warengesellschaft durchaus kritisch Gegenüberstehende sind kaum je in der Lage, gesellschaftliche Vorstellungen zu entwickeln, die jenseits von Staat, Markt und korrelierender Politik angesiedelt sind. Gesellschaftsveränderung wird qua bürgerlich-demokratischer Politik phantasiert - so als ob Politik eine außerhalb des Systems befindliche Größe wäre. In diesem Sinn schwärmt beispielsweise auch der allgemein als "gesellschaftskritisch" eingestufte Sozialwissenschaftler Oskar Negt in seinem Buch "Der politische Mensch" davon, den "Kapitalismus auf das kontrollierte Normalmaß begrenzten wirtschaftlichen Handelns zurückzudrehen" (Negt 2010: 543). Die Hoffnung auf die Politik als Gegenkraft zur Diktatur der Warenform wird jedoch nicht aufgehen, da Politik selbst bloß eine Funktion der Verwertung ist. Politik ist ein "bürgerliches Formprinzip", das allerdings aktuell "an seinen Instrumenten verfault" (Schandl 1995: 20). Schon allein die Tatsache, dass Politik ohne das ökonomische Medium Geld, somit ohne gelingende Kapitalakkumulation und die Möglichkeiten, aus dieser Geld in die eigenen Kassen zu spülen, nichts kann, zeigt, dass sie bloß eine Funktion der Gesellschaftsprämisse "Verwertung" darstellt und nicht ihr kritisches Korrektiv sein kann. Weder kann die Hoffnung aufgehen, mit Hilfe "richtiger Politik" ungeschoren die Krise des Verwertungssystems überstehen zu können, noch kann es funktionieren, jenes System Politik, das sich im Gleichklang mit der Moderne herausgebildet hat, dafür zu nützen, um die Irrationalität der modernen warenproduzierenden Gesellschaft insgesamt zu überwinden. Politik ist gemeinsam mit Demokratie und Staat als Instrument des bürgerlichen Kapitalismus groß geworden - und ist dementsprechend fest mit diesem verbunden.

In diesem Sinn gehen auch Bildungsbemühungen, die sich der Aufgabe verschreiben, Heranwachsenden die Politik (wieder) schmackhaft zu machen, ihnen den Wert und die Wichtigkeit von Demokratie, politischem System sowie der Beteiligung an diesem als Wähler nahezubringen, weil damit vorgeblich auch Kritik an den gegebenen Machtverhältnissen und Emanzipation von denselben Platz greifen kann, an der Realität vorbei. Politik als solche - und nicht die einer bestimmten Ausformung derselben - ist integrales Moment der Machtverhältnisse und als Mittel zu deren Schwächung nicht bloß ungeeignet, sondern letztendlich kontraproduktiv. Dagegen wäre es angebracht - ähnlich den seit einiger Zeit in zarten Ansätzen vorgenommenen Überlegungen, inwieweit "Bildungsverweigerung als kritisches Potenzial" (Holzer 2010: 39) begriffen werden muss -, das hinter der Verweigerung einer anwachsenden Zahl von Menschen, sich vom "Politikspiel" vereinnahmen zu lassen, steckende kritische Potenzial zu reflektieren. Politikverdrossenheit kann gewissermaßen als ein Transzendieren der das Subjekt immer wieder an das System rückbindenden konstruktiven Kritik bezeichnet werden. Politikverweigerung ist alles andere als konstruktiv - sie ist keine politische und auch keine antipolitische, sondern schlichtweg eine unpolitische Reaktion. Allerdings stellt auch nur eine derartige "unpolitische Reaktion" eine adäquate Antwort auf die Erkenntnis der letztendlichen Ohnmacht der Politik dar, das verändern zu können, was tatsächlich die Grundlage des unbefriedigenden Lebens von Menschen darstellt.

Im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Arbeitsfetisch moderner Gesellschaften habe ich an anderer Stelle (Ribolits 2000: 128) Faulheit als "das Tor zur Muße" bezeichnet und dabei ausgeführt, dass Faulheit nicht mit Muße, als einer bewussten Entscheidung zur Selbstbefreiung vom allumfassenden Verwertungszwang moderner Gesellschaften, gleichgesetzt werden kann. Faulheit stellt nur eine "blinde", quasi "bewusstlose" Verweigerung des Arbeitszwangs dar und weist noch keinen Millimeter über die Grenzen des Systems hinaus. In ähnlicher Form kann möglicherweise auch Politikverweigerung als das Einfallstor für eine gesellschaftliche Verfasstheit wahrgenommen werden, die erst jenseits der kapitalistischen Warengesellschaft möglich wird. So wie Faulheit ist auch Politikverweigerung ein individualistischer, durchaus als a- (jedoch nicht anti-)sozial zu bezeichnender Ansatz und entspringt in der Regel "nur" einem unreflektierten Widerstand gegen ein oktroyiertes Unterwerfungsritual der Verwertungsgesellschaft. Sie ist bloßer Reflex, um dem Ghetto der Entfremdung zu entfliehen, und stellt nur einen "Totstellreflex" hinsichtlich des Zwangs zur Loyalität mit dem System und keine an einer besseren Zukunft ausgerichtete Lösung dar. Allerdings gilt es bei einer derartigen Einschätzung zu berücksichtigen, dass etwas als Lösung immer nur begreifbar ist, wenn es sich innerhalb der Prämissen des herrschenden Gesellschaftssystems bewegt, also vor der systemimmanenten "Wahrheit" Bestand hat. Zu einem gewissen Grad erinnert die Situation an die biblische Geschichte von Lot, dem durch göttliche Hilfe samt seiner Familie zur Flucht aus der dem Untergang geweihten Stadt Sodom verholfen wird. Die Sache geht so lange gut, bis Lots Frau das Verbot, nicht zurückzublicken, bricht und augenblicklich "nachhaltig" in ihrer Flucht gebremst wird, indem sie zur Salzsäule erstarrt. Wahlen können ja durchaus als ein essentielles Element des "Gottesdienstes" zu Ehren des "Werts" begriffen werden; wer sich ihnen verweigert, ist zwar noch weit von einer Perspektive entfernt, die über die Warenform hinausweist, er hat aber zumindest aufgehört, seinen Fokus auf das dem Untergang geweihte System zu richten.



Literatur

Holzer, Daniela (2010): Bildungsverweigerung als kritisches Potenzial, Vortragsskizze, in Dokumentation: The dark side of LLL, Vol. 2, Räume für Markt- und Machtkritik. Workshop in der Reihe: Dialog Lebenslanges Lernen.
www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2010_The_dark_side_02_2010.pdf (August 2013).

Kurz, Robert (1994): Das Ende der Politik. Thesen zur Krise des warenförmigen Regulationssystems, in: Krisis. Nr. 14, Berlin: Horlemann Verlag, hier zitiert nach:
www.exit-online.org/druck.php?tabelle=schwerpunkte&posnr=34 (August 2013).

Negt, Oskar (2010): Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform, Göttingen: Steidl Verlag.

Pörksen, Uwe (1988): Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart: Klett-Cotta.

Ribolits, Erich (2000): Arbeit macht nicht frei, in: Trube, A. / Wittig-Koppe, H. (Hg.): Effekthascherei oder: Wie effektiv ist die Arbeitsmarktpolitik? Beiträge einer DPWV-Fachtagung, Münster: Lit-Verlag, 118-130.

Schandl, Franz (1995): Politik - Zur Kritik eines bürgerlichen Formprinzips, in: Weg und Ziel 2/1095, Wien, 17-24.

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Rückkoppelungen

Kapitulation 2

von Roger Behrens

Die Popmusik in ihren profitablen Segmenten der Kulturindustrie: in den Vereinigten Staaten waren das Soul und Rock'n'Roll, in Großbritannien der Beat und in Deutschland der Schlager. Wie das englische "Beat" oder "Hit" verweist das Wort Schlager auf die Konvergenz von musikalischer Eingängigkeit und kommerziellem Erfolg: Die künstlerischen Merkmale des Schlagers - die eingängige Melodie oder die gefälligen melodischen Floskeln ("Hit") und der durchgehend "schlagende" Rhythmus im treibenden Takt ("Beat") - sind mit den ökonomischen Eigenschaften solcher Musikproduktionen weitgehend gleichbedeutend: Was beliebt ist, wird verkauft; was verkauft wird, ist beliebt. Freilich lässt sich jede Musik, auch der Schlager, nach Kriterien des ästhetischen Urteils rezipieren; tatsächlich verlangt diese Musik nur die unmittelbare Reaktion, das Gehörte eben als Schlager zu identifizieren. Komposition und Arrangement des Schlagers sind Verfahrensweisen, ein musikalisches Schema mit zwar wenigen, aber effektvollen Variationen. Diese auszuschöpfen obliegt dem "Interpreten", wobei es nicht um eine musikalische Interpretation geht, sondern um die Stilisierung des Interpreten selbst - als Persönlichkeit, die ihm überdies in der Funktion des Stars die nötige Nahbarkeit verleiht und ihn mit dem Schlagerpublikum gemein macht: Anders als die originären und originellen Rock- und Popstars repräsentiert der Schlagerstar stets den gesellschaftlichen Durchschnitt des Allgemeinen, das sich mit dem Besonderen verwechselt. Mehr als in anderen Sparten sammeln die Fans Autogramme; typisch ist auch die öffentliche Inszenierung der Schlager-Persönlichkeit mit deren Privatleben.

Zum Beispiel: Heino, geboren am 13. Dezember 1938 als Heinz Georg Kramm in Düsseldorf. In Frank und Ingrid Laufenbergs Rock- und Pop-Lexikon, Band I, München 1998, hat Heino - ebenso wie, ihm gleich danach folgend, Heintje - einen Eintrag (denn, ebd., S. 2: "Dieses Lexikon beinhaltet Informationen über die kommerziell erfolgreichen Persönlichkeiten der Rock- und Popmusik von A bis Z seit dem Beginn der 40er Jahre."). Dort heißt es S. 677f.: "Nachdem er eine Bäckerlehre beendet hatte, betätigte er sich ab 1957 als Versicherungsvertreter. Schon während seiner Lehrzeit war er mit zwei Freunden als Düsselperten aufgetreten. Danach trat er bei Betriebsfeiern und zum Karneval als Alleinunterhalter auf und gründete schließlich das Trio OK Singers. Er sang vorwiegend Lieder von Freddy Quinn und René Carol nach, die seiner Stimmlage entgegenkamen. 1965 trat Heino bei einer Modenschau in Quakenbrück an der Hase auf und beeindruckte den dort als Stargast anwesenden Ralf Bendix. Der wurde Heinos Produzent und verschrieb ihm Lieder aus der Volkslied-, Seefahrts- und Kameradschaftsecke ... 'Wir lieben die Stürme' war seine erste Platte in der deutschen Hitparade."

Bereits die erste Single von 1965 ist mit über 100.000 verkauften Exemplaren ein großer Erfolg, das erste Album 1967 der endgültige Durchbruch: "Kein schöner Land in dieser Zeit". Musik aus den Untiefen der politischen Reaktion, massentauglich aufpolierter Kulturkonservatismus, Volksgemeinschaft als Amüsement; der Stoff ist aus der trüben Vergangenheit deutscher Romantik hervorgeholt, zehrt zugleich von der ungebrochenen Beliebtheit solcher so genannten Tradition. Anton Wilhelm von Zuccalmaglio veröffentlicht 1840 "Kein schöner Land in dieser Zeit" in der Sammlung "Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen" unter dem Titel "Abendlied": Männer sitzen beisammen, es ist spät, die Nacht bricht an, Linden und Eichen, Gottes Segen schützt die Heimat - die Wandervogelbewegung um neunzehnhundert machte das Lied bekannt, abgewandelte, auch sozialistische Varianten gibt es; aber erst Heinos markante Stimme mit der energischen Artikulation und dem rollenden "R" macht dieses und andere derart interpretierte Volkslieder in der Schlagerversion zu dem, was der Schlager ansonsten beharrlich ableugnet, nämlich dezidiert politische Musik.

Für die Rolle Heino wird die Stimme zur Masche und bildet zusammen mit der blonden Perücke, der dunklen Sonnenbrille und dem fahlen Teint seine Markenzeichen. Dazu gehört: Gerade in den 1970ern, wo die Postmoderne sich ankündigt und die deutsche Schlagerkultur nachgerade hysterisch zum Soundtrack der längst verblassenden Wirtschaftswundergesellschaft überdreht wird, sind die großen Erfolge Heinos - Lieder wie "Blau blüht der Enzian", "Die schwarze Barbara" und "Komm in meinen Wigwam" - immer auch schon von einem Schimmer anscheinender Selbstironie begleitet; Otto Waalkes' damalige Heino-Persiflage ("Schwarz-braun ist die Haselnuss schwarz-braun bin auch ich") monierte als Witz, was Heino selbst im Deckmantel der Unterhaltung mit einem fröhlichen Lächeln ernst meinte; deutsche Weihnacht, deutsche Lieder, das "Deutschlandlied" stellen das Repertoire.

Heino ist der deutsche Exzentrikclown, oder besser: das ins exzentrisch Clowneske übertriebene Deutsche, weißer als weiß; seine Erkrankung - er leidet an Morbus Basedow - verwandelt er zum Klischee, die individuelle Schwäche wird als Stärke der Marke Heino verkauft. Seine Rolle ist bis in die Groteske übertrieben, die Markenzeichen perfekt und einfach - ohne Weiteres zu kopieren, aber gerade deshalb kopiergeschützt. Eine Unterlassungsklage gegen einen Doppelgänger - unter dem Namen Der wahre Heino als Spaßmacher bei Punk-Konzerten - hatte 1985 Erfolg. Nach Alben wie "Glocken der Heimat" (1991) oder "Deutschland, meine Heimat" (2006) landet Heino 2013 den großen Coup: das Album "Mit freundlichen Grüßen" präsentiert zwölf Coverversionen von Die Ärzte über Clueso und Nena bis Keimzeit, Sportfreunde Stiller, Rammstein u.ä. - und wurde in den ersten drei Tagen ab Veröffentlichung öfter als jedes andere Album eines deutschsprachigen Künstlers legal heruntergeladen. Zugleich ist es das erste Nummer-eins-Album in Heinos Karriere. Beim Metal-Festival Wacken Open Air singt Heino zusammen mit Rammstein vor 80.000 Leuten das Lied Sonne. Auf der im Oktober 2013 erschienenen Deluxe-Edition des Albums sind sechs weitere Titel gecovert, darunter auch "Kapitulation" von Tocotronic.

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Auslauf

Keine Option

von Petra Ziegler

Immer noch hat unsereins viel zu verlieren. Zudem den Luxus vielgestalter Zerstreuungen. Freuden für zwischendurch. Immerhin. Auch wenn die Stimmungen schwanken. Himmelhoch wirkt sowieso trügerisch, gedämpfte Melancholie vertrauter. Schaumgebremste Lebendigkeit. Genug um zu überleben. Und genügsam sind wir geworden. Noch können wir uns einrichten, irgendwie durchgfretten, uns widerwillig arrangieren. Um funktionstüchtig zu bleiben blenden wir aus, was die Grenzen des Zumutbaren überschritten hat. Beschäftigt sind wir ohnehin, damit es sich am Monatsende ausgeht, die einen, um den erreichten Standard zu halten, die anderen. Bedrängt vom endlos Unerledigten, ergeben wir uns in unsere geschäftige Untätigkeit. Darüber vergehen die Tage. Jahrelang.

Nicht wenige versenken sich in ihre Arbeit, durchaus nicht die Dümmsten. Das macht Sinn für sie, sagen sie, und eins hat wenig Grund, sie dafür zu belächeln. Neid will da freilich auch nicht aufkommen, eher schon bleibt eins ratlos (zurück). Individueller Rückzug als Variante - die Beteiligung gering halten - stößt rasch an Grenzen, äußere wie eigene. Und mitunter hat derlei mehr Kasteiendes denn Befreiendes. Einzelne, auch solche in Gruppen, werden von ihren je eigenen Ansprüchen recht umfassend beansprucht.

Anderswo ist die Not längst existenziell. Anderswo kommt näher. Was sich von Europas Peripherie heranfrisst, Griechenland, Portugal, Spanien und Teile Italiens erreicht hat, hätten wir Wohlstandsgewöhnten vor nicht allzulanger Zeit noch in ein vergangenes Jahrhundert datiert oder, streng entwicklungsgläubig, in irgendeiner "dritten" Welt verortet.

Rundum wird hingenommen. Die massenmediale Dauererregung um diverse Affären nervt und rangiert beinahe unterschiedslos neben dem jüngsten IPCC-Bericht zum Klimawandel (der wie seine Vorgänger nach drei Tagen kaum mehr jemanden zu kratzen scheint, jedes "Länderspieldebakel sorgt für längere Debatten). Die Bildschirme führen uns unbeschreibliche Szenen aus den Textilfabriken, Tantalminen, Kakaoplantagen, Slums, Dürregebieten, Schlachthöfen und anderen Ausgeburten dieser Welt direkt vor Augen. Dazwischen Millionen auf der Flucht, Zehntausende, die ersaufen, eine unüberschaubare Anzahl in aussichtslosem Elend und immer wieder Krieg.

Das Unerhörte / ist alltäglich geworden. Und schlägt doch auf den Magen. Unwohlsein wird hierzulande - und damit befindet sich Österreich allenfalls im guten Mittelfeld - Richtung rechts kanalisiert. Mittelständische Abstiegsängste münden verstärkt in Ressentiments, gegen sozial Deklassierte insgesamt und solche mit augenfälligem Hintergrund im Besonderen. Die lebenden Verfallserscheinungen der krisenkapitalistischen Gegenwart stören die Fassade, machen unschöne Flecken, verderben am Ende noch die Konsumlaune. Die Obrigkeit reagiert denn auch entsprechend: Mit exorbitanten Geldstrafen fürs Betteln etwa, für unangemeldete Straßenkunst oder mit der Kriminalisierung von Wohnungslosen. Sanktionen für unerlaubtes Kampieren im öffentlichen Raum häufen sich, nicht nur in Ungarn droht Obdachlosen neuerdings verpflichtender Arbeitsdienst oder Gefängnis. Arm ist gleich delinquent, zumindest schwer verdächtig, lautet immer unverhohlener die Botschaft. Weg damit! als Konsequenz behördlich exekutierter Verdrängung.

Ohne unsere Scheuklappen wäre das Eingespanntsein in die kapitalistische Selbstzweckmaschinerie nicht zu ertragen. Eins braucht die kleinen, feinen Momente. Vielleicht - wenn wir uns weiter bescheiden? Reduziert auf wunschloses Überleben festzuklammern versuchen an dem, was wir haben? Wie lange wären der immer irrwitzigere Verwertungsdruck und die verschärfte Repression durchzustehen? Was wären wir noch bereit zu opfern? Und wen?

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AutorInnen

Roger Behrens, u.a. Streifzüge-Kolumnist.

Ilse Bindseil, 1945. Bis 2008 Lehrerin für Deutsch, Französisch und Philosophie in Berlin. Redakteurin von Ästhetik & Kommunikation, ilsebindseil.de

Meinhard Creydt, 1957. Soziologe und Psychologe, lebt in Berlin. Autor von Theorie gesellschaftlicher Müdigkeit (2000).
www.meinhard-creydt.de

Lorenz Glatz, Streifzüge.

Friederike Habermann, hat Ökonomie, Geschichte und Politikwissenschaft studiert. Seit dreißig Jahren in sozialen Bewegungen aktiv. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt erschienen: Der unsichtbare Tropenhelm. Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht (2013).

Severin Heilmann, Streifzüge.

Lukas Hengl, betreibt seit 31 Jahren ein Selbst. Lebt in Klosterneuburg und Wien und ist als Barkeeper, Yogalehrer, Künstler und Kunstvermittler tätig.

Peter Klein, 1947. Lebt in Nürnberg; seit 1970 politisch aktiv. Autor von "Die Illusion von 1917". Verheiratet, eine Tochter, Brotberuf Arzt. "Traforat" der Streifzüge.

Stefan Meretz, u.a. Streifzüge-Kolumnist.

Emmerich Nyikos, 1958. Historiker, lebt als freier Autor in Mexiko-City. Zuletzt erschienen: Das Kapital als Prozess. Zur geschichtlichen Tendenz des Kapitalsystems (2010). "Traforat" der Streifzüge.

Erich Ribolits, 1947. Lebt in Wien. Forscht zum Verhältnis von Arbeit, Bildung und Gesellschaft. Zuletzt: Bildung - Kampfbegriff oder Pathosformel (2011). "Traforat" der Streifzüge.

Matthias Rude, 1983. Studium der Philosophie und Religionswissenschaft in Tübingen, aktiv in der Tierbefreiungsbewegung und in der Linken; div. Publikationen, zuletzt erschienen: Antispeziesismus in der theorie.org-Reihe des Schmetterling-Verlags (2013).

Mladen Savic, 1979 in Zagreb, damals Jugoslawien, studierte Germanistik und Philosophie in Lennoxville, Québec, später in Wien, Eigenbrötler.

Franz Schandl, Streifzüge.

Ricky Trang, Streifzüge.

Maria Wölflingseder, Streifzüge.

Susann Witt-Stahl, 1961. Lebt in Hamburg, Studium Musikwissenschaften und Philosophie, Journalistin und Autorin, Herausgeberin von Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen. Beitrage zu einer kritischen Theorie flür die Befreiung der Tiere.

Petra Ziegler, Streifzüge.

Moshe Zuckermann, 1949 geb. in Tel Aviv, Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender, wanderte mit seinen Eltern 1960 nach Deutschland aus, emigrierte mit 21 endgültig nach Israel; Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie am Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas der Universität in Tel Aviv.

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Quelle:
Streifzüge Nr. 59, Herbst 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2013