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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2478: "Wir gehen jetzt in die Städte" - Gespräch mit David Dresen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 · März 2020
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wir gehen jetzt in die Städte"
Im Rheinischen Braunkohlerevier wehrt sich das Bündnis "Alle Dörfer bleiben" gegen die geplanten Abbaggerungen

SoZ-Gespräch mit David Dresen


Die Wut ist groß: Die Braunkohle soll im Boden bleiben, nicht einmal der Kohlekompromiss der Bundesregierung braucht eine Erweiterung des Tagebaus Garzweiler - und trotzdem sollen fünf Dörfer abgerissen werden. Ein Racheakt oder nur eine Machtdemonstration?
Die SoZ sprach darüber mit David Dresen, 28 Jahre. Er kommt aus Kuckum, einem Dorf am Rand des Garzweiler Tagebaus, das in den nächsten Jahren unnötig dem Braunkohleabbau geopfert werden soll. Dresen ist Pressesprecher des bundesweiten Bündnisses "Alle Dörfer bleiben", es setzt sich für den Erhalt von Dörfern ein, die von der Braunkohle bedroht sind.


SoZ: Die Bund-Länder-Einigung vom Januar dieses Jahres beinhaltet, dass die Dörfer rund um den Tagebau Garzweiler nun doch abgebaggert werden sollen. Dazu gehört Kuckum, wo Sie wohnen. Wie reagiert die Bevölkerung auf dieses Gesetz?

David Dresen: Wir haben nicht mit einem für uns guten Ergebnis gerechnet. Dennoch löste es bei den Menschen vor Ort etwas zwischen Schock und Entsetzen aus. Vor allem weil in dem Papier der Kohlekommission dazu nichts drinstand. Da wurden Abschaltpläne grob festgehalten, es ging immer um Gigawatt. Und jetzt gibt's aus irgendeinem merkwürdigen Grund in der Bund-Länder-Einigung plötzlich diesen Satz über den Tagebau Garzweiler, der aus unserer Perspektive und auch aus der von vielen WissenschaftlerInnen völlig ohne Notwendigkeit da drin steht.

Im Prinzip steht nicht einmal drin, dass der Tagebau Garzweiler 2 notwendig sei, sondern dass die Regierung einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit RWE abschließen soll, damit er das ist. Erst ein Vertrag zwischen RWE und der Bundesregierung soll also festlegen, dass Garzweiler 2 notwendig ist. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat im letzten Jahr durchgerechnet, was auf der Basis der Ergebnisse der Kohlekommission möglich ist, und kam zu dem Schluss, der Hambacher Wald und die Dörfer können erhalten werden. Mitte Februar kam ein Gutachten heraus, das besagt, dass die Kohlemengen außerhalb der Dörfer bis 2038 reichen. Bisher gibt es noch keine Gegenstudie, die besagt, der Abriss der Dörfer sei nötig, um die Ziele der Kohlekommission zu erreichen.

Aus meiner Sicht dient dieser Satz allein dazu, den Druck auf die Menschen vor Ort zu erhöhen, dass sie gehen, obwohl sie es gar nicht müssten.


SoZ: Greift diese Strategie?

David Dresen: Es gibt auf jeden Fall Menschen, die sich davon einschüchtern lassen, weil auch die Presse ganz stark den Eindruck vermittelt, als sei der Abriss der Dörfer beschlossene Sache. Die Menschen, die eh bleiben wollen, haben sich davon nicht verunsichern lassen, aber für die, die unsicher sind, ist das glaube ich ein Anreiz, jetzt zu gehen. Die Gruppe "Menschenrecht vor Bergrecht" will auf juristischem Weg die Frage klären lassen, ob man noch für die Abbaggerung von Braunkohle enteignet werden darf. Denn das würde dann ja passieren: Wer nicht freiwillig an RWE verkauft, der wird enteignet. Wir können aber erst ab dem Moment klagen, wo wir enteignet werden.


SoZ: Wie versucht RWE, die Bevölkerung in den Dörfern zu spalten?

David Dresen: Das ist ein bisschen komplex. Es gibt fünf Dörfer, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgebaggert werden sollen. Keyenberg wäre als erstes 2023 dran, das letzte Dorf, Berverath, nach aktuellen Plänen 2028. Die restlichen drei Dörfer, Kuckum, Unterwestrich und Oberwestrich, sollen zwischen 2023 und 2028 abgebaggert werden.

Eigentlich war es immer so, dass die Dörfer jeweils eigene Umsiedlungspläne hatten. Bei uns hat man das aber jetzt so gemacht, dass die fünf Dörfer, obwohl sie unterschiedliche Zerstörungszeiträume haben, zum gleichen Zeitpunkt an den gleichen Ort umsiedeln können. Das dürfen alle seit 2016. An den neuen Orten gibt es ein beschränktes Objektekontingent und auch nur eine gewisse Anzahl an großen und mittelgroßen Grundstücken. Das führt dazu, dass die Menschen, die in Berverath leben und die eigentlich noch gute neun Jahre dort leben könnten, zum gleichen Zeitpunkt verkaufen müssen, wenn sie den gleichen Grundstücksanspruch stellen wie die Leute aus Keyenberg. Das ist sehr problematisch, denn wenn ich noch acht Jahre irgendwo leben kann, hab ich vielleicht keine Lust, zehn Jahre vorher zu verkaufen.

Und es führt zu einer Art Marktwettbewerb um die besten Grundstücke. Wenn ich ein Einfamilienhaus mit einem kleinen Garten habe, kann ich relativ einfach umsiedeln, das kann man auch am neuen Ort gut aufbauen. Wenn ich aber einen Bauernhof samt Tieren und Landwirtschaft habe, oder ein Geschäft, wird das wesentlich schwerer, weil am neuen Ort dafür keine Fläche oder nur sehr wenig vorhanden ist; d.h. alle, die ihr Geschäft weiter betreiben wollen, müssen sich untereinander um die Flächen kloppen, ebenso alle, die eine Landwirtschaft betreiben wollen, denn es gibt nicht viel Ackerfläche. Das ist aber alles so intransparent, dass man gar nicht herausfinden kann, wer jetzt gerade welche Fläche haben will und was die kostet, weil RWE die Flächen allen anbietet und dann die Leute einzeln runterhandelt.

Dieses Vorgehen wiegelt die Menschen natürlich gegeneinander auf, wenn es um Geld und Grundstücke geht. Es erzeugt eine superstarke Konkurrenzsituation.

Dann führt RWE alle Verhandlungen geheim und sagt den Leuten, dass sie über ihre Abfindungen nicht öffentlich reden dürfen. Im Nachhinein hat sich aber herausgestellt, dass das juristisch falsch ist und auch überhaupt nicht in den Verträgen drinsteht. Die Leute haben es aber geglaubt und unterschiedlich groß gebaut, und man hatte das Gefühl, der eine und andere hat sich besser mit RWE gestellt als andere.

Dann gibt es Menschen, die in Gremien sitzen, die immer schon mit RWE zusammenarbeiten, etwa die Vorstände von Dorfvereinen oder Kirchenleute. Die haben bessere Abfindungen bekommen als die anderen, das hat auch wieder Unfrieden gestiftet.


SoZ: Habt ihr Gegenstrategien?

David Dresen: Wir versuchen das. Seit Ende 2018 gibt es unabhängig von "Alle Dörfer bleiben" eine Gruppe, die heißt "Koalition der Betroffenen", in der sich Umsiedler und Nichtumsiedler treffen, unabhängig von der eigenen politischen Meinung. Es gibt auf Dorfebene einen Raum dafür, wo Menschen Informationen über und gegen RWE austauschen können. Da sind natürlich nicht alle dran beteiligt, weil Menschen auch Angst haben, RWE könnte davon erfahren, und dann fällt die Abfindung schlechter aus. Aber es gibt welche, die das in Anspruch nehmen, und ich habe das Gefühl, es nimmt ihnen das Gefühl, verarscht zu werden und allein dazustehen. Aktuell sind das zwischen zehn und zwanzig Familien, die sich einmal alle zwei Monate treffen.


SoZ: Wieviel Rückhalt habt ihr in der örtlichen Bevölkerung?

David Dresen: Die ist stark gespalten. Ich vermute mal, 5-10 Prozent derer, die da mal lebten, lehnen ab, was "Alle Dörfer bleiben" tut. Die große Mitte ist eher unentschlossen und hält sich raus. Die sagen: Wer bleiben will, soll halt bleiben, wer gehen will, soll halt gehen, alle sollen das selber entscheiden - das sind ca. 50-60 Prozent. Der Rest der Leute, etwa 20-30 Prozent, finden "Alle Dörfer bleiben" gut oder sind da selbst organisiert, von denen bekommen wir den Rückhalt. Verlässliche Zahlen gibt es dazu nicht.


SoZ: Welchen Rückhalt habt ihr von Kirchengemeinden oder Gewerkschaften?

David Dresen: Das ist unterschiedlich, auch weil wir ein deutschlandweites Bündnis sind. In Ostdeutschland, wo ja auch Dörfer bedroht sind, bekommen wir sehr großen Rückhalt von der Evangelischen Kirche. In Pödelwitz, das jetzt sehr wahrscheinlich erhalten bleibt, hat die Evangelische Kirche mit für den Erhalt des Ortes gekämpft, Räume zur Verfügung gestellt und einen Gottesdienst zum Erhalt der Dörfer gefeiert.

In NRW ist das anders. Am Tagebau Garzweiler dominiert die katholische Kirche, die arbeitet eher gegen uns, verwehrt uns und anderen kohlewiderständigen Gruppen die Kirchenräume für Veranstaltungen - und andere gibt's halt bei uns auf dem Dorf nicht. Das ist vor allem die Haltung der lokalen Pfarrei und des Bistums Aachen.

Bei der Gewerkschaft ist das ähnlich. Die IG BCE findet uns nicht gut, verständlicherweise. Ver.di und DGB sind tendenziell für Klimaschutz, haben aber auch das Kohleausstiegsgesetz begrüßt und sagen, wir sollen uns daran halten, obwohl es beinhaltet, dass die Dörfer abgerissen werden sollen.

Das ist für uns ziemlich katastrophal. Ich weiß, dass der DGB, und so weit ich weiß auch Ver.di, intern Beschlüsse haben, die für den Erhalt aller Dörfer sind, was die Vorstände aber anscheinend anders sehen. Die uns unterstützen, haben halt in den Gewerkschaften nicht das Sagen.

Unterstützt werden wir von allen Nichtregierungsorganisationen, die sich irgendwie für Klima und Umweltschutz engagieren. Die Grünen haben einen Bundesbeschluss, dass sie sich für den Erhalt aller Dörfer einsetzen wollen. Bei der LINKEN weiß ich es nicht so genau, da ist mir nur bekannt, dass es auch dort eine Gruppe für Klimaschutz gibt.


SoZ: Was sind eure nächsten Schritte?

David Dresen: Wir haben am 8. März den nächsten Dorfspaziergang in Keyenberg, der wird wesentlich größer werden als sonst. In der Regel kommen immer so zwischen 200 und 500 Menschen, wir hoffen, dass es diesmal über 1000 werden. Bei "Alle Dörfer bleiben" haben wir jetzt entschieden, dass wir mindestens einmal im Monat eine Aktion machen wollen, das ist erstmal dieser Dorfspaziergang, es kann aber auch eine Demonstration in einer Stadt sein oder eine kreative Aktion in Städten oder an Bahnhöfen, etwa Mahnwachen oder Sitzblockaden.

In der zweiten Jahreshälfte wollen wir auf jeden Fall eine sehr große Demonstration auch mit anderen Akteuren organisieren - zeitlich irgendwo zwischen Klimacamp und Ende Gelände.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 35. Jg., März 2020, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2020

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