Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2433: Treuhand und die Folgen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 · Oktober 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Treuhand und die Folgen
Der größte Raubzug in Friedenszeiten zeigt Folgen bis heute

von Werner Rügemer(*)


Die Treuhand eröffnete die Übermacht der Unternehmer in der Ex-DDR. Dies setzte sich in ganz Deutschland fort, auch mit der politischen Rechtsentwicklung.


Die ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas wurden nach ihrem Zusammenbruch nicht, wie von den Akteuren des westlichen Kapitalismus versprochen, in rechtsstaatliche Demokratien und in wirtschaftlich "blühende Landschaften" verwandelt, sondern in eine vielgestaltige Landschaft verarmter Regionen, in denen Regierungen, vielfach oligarisch geführt, von westlichen Konzernen erpresst werden. Arbeitsmigranten verdingen sich als Niedriglöhner. Die Treuhand-Anstalt eröffnete dafür die Entwicklung in Deutschland, die auf die ganze EU-ausstrahlte und keineswegs beendet ist.


I. Die Treuhand-Anstalt

Die Treuhand-Anstalt, sobald sie nach der Gründung aktiv wurde, begann mit einem Rechtsbruch: Die "treue Hand" erwies sich als untreu, und dies blieb so bis zum Ende ihrer Tätigkeit 1994.

Die Volkskammer der DDR hatte das Treuhand-Gesetz verabschiedet. So wurde die Anstalt zum 1.7.1990 Eigentümerin des Vermögens der DDR-Volkswirtschaft, also aller Betriebe, ihrer Anlagen, Grundstücke usw. "Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren", hieß es in Paragraph 1 des Gesetzes. Dafür sollten dezentrale Aktiengesellschaften gegründet werden. Das hätte bedeutet, dass nach bundesdeutschem Recht die Mitbestimmung der Gewerkschaften und Belegschaften galt.

Beginn mit Gesetzesbruch

Die Mitbestimmung war zwar in der alten Bundesrepublik von den Gewerkschaften erkämpft bzw. ihnen zugestanden worden. Aber sie wurde und wird nur sehr halbherzig realisiert. Die Gesetze zur Betriebsverfassung (Wahl und Aufgaben von Betriebsräten) und zur Mitbestimmung (Vertretung der abhängig Beschäftigten in Vorstand und Aufsichtsrat) werden von den kapitalistischen Eigentümern weithin sanktionslos verletzt.(1)

Die westliche Umgestaltung des Arbeiter- und Bauernstaats DDR richtete sich, da es ein Systemwechsel sein sollte, mit besonderer Wucht gegen die Arbeiter und auch die Bauern: Sie wurden entmachtet, die Entscheidungen im Betrieb wurden noch mehr als in der alten Bundesrepublik in die Hände der privaten Eigentümer verlegt.

So wurde mit nachträglicher Genehmigung durch den Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und den zuständigen Finanzminister Theodor Waigel (CSU) die Gesetzesvorschrift zur Bildung mitbestimmter Aktiengesellschaft außer Kraft gesetzt - per Ordre de Mufti, ohne Parlament, ohne den Bundestag. Zugrunde lagen geheimgehaltene Gutachten der vom Kanzleramt beauftragten Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer McKinsey, Boston Consulting Group (BCG) und Roland Berger Consultants.

Wirtschaftskriminalität beschleunigt Systemwechsel

Die Anstalt wurde zentralisiert nach dem Vorbild eines Konzerns: Unter einer starken Zentrale mit Stabs- und Geschäftsbereichen standen 15 regionale Niederlassungen in den ehemaligen Bezirksstädten der DDR. Damit wurde nicht nur die Mitbestimmung der Beschäftigten ausgeschaltet, sondern auch die Mitsprache der neuen Bundesländer: Weder Landesregierungen noch Abgeordnete noch Kommunalvertreter hatten das Recht, beim Verkauf von Betrieben und Grundstücken Verträge einzusehen oder gar mitzuverhandeln.

Neben Vorstand und Aufsichtsrat wurde in der Treuhand - neben dem Gesetz - ein völlig neues Entscheidungsgremium installiert: der Leitungsausschuss. Er wurde besetzt mit etwa 100 Managern von McKinsey, Price Waterhouse Coopers, KPMG, Roland Berger und weiteren privaten Beraterfirmen. Sie erstellten im Schnellverfahren umfangreiche, aber standardisierte Gutachten über tausende Betriebe und bereiteten die Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat vor. Zusätzlich stellten die westdeutschen Konzerne, die an Aufkäufen interessiert waren, also Deutsche Bank, Siemens, RWE, VW, SAP usw., "Leihmanager" zur Verfügung: Sie wurden von ihren Unternehmen bezahlt und fädelten in der Treuhand die von ihren Unternehmen gewünschten Übernahmen ein.

Das die Aufsicht ausübende Finanzministerium unter Waigel stellte die Mitarbeiter und Berater der Anstalt von Haftung und Strafverfolgung frei: Bestechung, Bestechlichkeit, ausufernde Boni, Vorteilsnahme, Insidergeschäfte, Mandantenverrat, Dokumentenfälschung und Subventionsbetrug blieben straflos, nach dem Motto der Bankerin und Treuhandchefin Birgit Breuel: "Privatisieren geht vor Sanieren!" Bis heute herrscht Geheimhaltung. Legendenbildung etwa durch Frau Breuel wird leichtgemacht. Die Akten werden im Bundesarchiv verwahrt, 90 Prozent davon können bestenfalls ab 2031 eingesehen werden.

Der Fall Foron

Foron war der größte Kühlschrankhersteller der DDR, hatte schrittweise mehrere Produktionsstätten errichtet, produzierte im letzten DDR-Jahr über eine Million Kühlschränke und exportierte in 30 Länder - eine sozialistische Erfolgsgeschichte.

Doch schon 1991 entschied der Leitungsausschuss: Foron schließen! Das Unternehmen strengte sich an, wurde innovativ. 1993 hatte Foron den ersten FCKW-freien Kühlschrank der Welt entwickelt, zusammen mit Greenpeace und dem Dortmunder Hygieneinstitut unter Professor Harry Rosin. Als Kältemittel wurden Butan und Propan eingesetzt - im Unterschied zum traditionellen Kältemittel FCKW sind diese Gase unschädlich für die Atmosphäre (Ozon) und tragen auch nicht zur Klimaerwärmung bei. Binnen weniger Wochen liefen zehntausende Vorbestellungen ein.(2)

Doch die Entscheidung der Treuhand war gefallen, zugunsten westlicher Hersteller. Diese grabschten sich die Methode, die patentrechtlich noch nicht gesichert war. Konkurrenten und Investoren aus Italien, den Niederlanden und Deutschland zerfledderten Foron in seine Einzelteile. Gerade weil Foron als ostdeutsches Unternehmen hätte erfolgreich sein können, wurde es 1996 geschlossen.(3)

Robotron, Leuna, Bischofferode...

Ähnlich erging es Robotron, dem größten Technologie-Unternehmen der DDR: Hier arbeiteten zuletzt 68000 Menschen, stellten Mini-, Personal- und Bürocomputer her, Microchips, Betriebs- und Rechnersysteme, Schreibmaschinen, Drucker sowie ein breites Spektrum an Kommunikations- und Sicherheitstechnik. Aber Robotron durfte sich nicht weiterentwickeln: Die Treuhand organisierte, dass die westlichen Konkurrenten IBM und SAP sich die brauchbaren Teile herauskauften. Nur 5 Prozent der Arbeitsplätze blieben erhalten. Dem französischen Ölkonzern Elf Aquitaine schusterte die Treuhand die Leuna-Chemiewerke und das DDR-Tankstellennetz zu, mit einer Dreingabe von 80 Millionen D-Mark an Subventionen.

Den profitablen, modernen Kalibergbau in Bischofferode schlug der Treuhand-Leitungsausschuss dem westdeutschen Konzern BASF zu. Der Hungerstreik der Beschäftigten ging durch die Weltpresse - er nützte nichts.

Subventions-Orgie statt Marktwirtschaft

6.500 Unternehmen wurden weit unter Wert verkauft - Standardpreis: 1 symbolische D-Mark. 3700 Unternehmen wurden liquidiert. Ostdeutsche Eigentümer gab es nur bei kleineren Unternehmen. Die größeren, wenn sie nicht geschlossen wurden wie Foron, wurden zu Werkbänken der westlichen Eigentümer mit Niedriglöhnen degradiert. Als die Treuhand 1994 ihre Arbeit beendete, waren zwei Drittel der früheren Arbeitsplätze weg, drei Millionen Ostdeutsche waren arbeitslos.

Die Treuhand hatte in ihrer Abschlussbilanz 270 Milliarden DM Verlust, denn zu den niedrigen Verkaufspreisen hatte die Treuhand den westlichen Käufern zusätzliche Subventionen gezahlt: Sie wurden vielfach mithilfe strafloser krimineller Praktiken einkassiert. So wurden die mit den Subventionen verbundenen Auflagen, etwa zur Aufrechterhaltung einer bestimmten Zahl an Arbeitsplätzen, nicht eingehalten. Die Schulden wurden in den Bundeshaushalt übertragen und trugen zur weiteren Überschuldung des Staates bei. Statt Marktwirtschaft wurde die extreme staatliche Subventionierung der Kapitalisten etabliert.


II. Die Treuhand-Folgen: Steuerflucht, Betriebsaufspaltung, Beraterunwesen

Viele Verkäufe wurden rechtlich und steuerlich über Finanzoasen abgewickelt, vor allem über die Schweiz, aber auch über Luxemburg, Österreich und Israel. Die Treuhand gab damit auch den Anstoß für die seitdem standardmäßige Nutzung dieser und weiterer Steueroasen, auch in der Europäischen Union.(4) Ebenso wurde straflose Unternehmenskriminalität mehr noch als vorher zur Methode kapitalistischen Erfolgs.(5)

1991 ermöglichte der Bundestag per Gesetz, dass die Treuhand die zum Verkauf stehenden Betriebe in kleinere Einzel-GmbHs aufspalten kann. Die Verwertung der Betriebe sollte erleichtert werden, wenn für die Käufer nur Einzelteile interessant waren.(6) Dies führte zu einer bis heute anhaltenden Welle der immer weiteren Aufspaltung von Unternehmen in immer kleinere, rechtlich "selbständige" Betriebe. Unter anderem wird es dadurch erschwert, Betriebsräte zu gründen.

Für die US-beherrschte Branche der Unternehmensberater und Wirtschafts"prüfer" war, von der Kohl-Regierung gefördert, die Treuhand der große Einstieg in das weitere Geschäft mit dem Staat - in Deutschland wie in der EU. Seitdem beraten McKinsey, Price Waterhouse Coopers, Freshfields & Co dauerhaft die Bundesregierungen, die Landesregierungen und die Kommunen, etwa bei der Privatisierung der Autobahnen und Infrastruktur, bei der Rettung insolventer Banken, bei der militärischen Beschaffung und bei der schnellen Abschiebung von Flüchtlingen.(7)

Gewerkschaften, Arbeitsrechte, Mitbestimmung

Die Mitbestimmung der Gewerkschaften war in der Treuhand, gegen das Gesetz und mit Billigung der Bundesregierung, nachträglich ausgeschaltet worden. So wurden sowohl den Gewerkschaftern, die aus Westdeutschland kamen wie auch den verbliebenen Ost-Gewerkschaftern erstmal die neuen Verhältnisse vor die Füße geworfen: geschlossene, aufgespaltene und abgeschrumpfte Betriebe, Werkbänke mit Kommandozentralen im Westen. Bis heute ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Osten niedriger als im Westen.

Das Arbeitsrecht der DDR wurde "marktwirtschaftlich" um- und abgebaut. Es hatte das Recht auf Arbeit (Arbeitsgesetzbuch Art. 24) enthalten. Dieses Recht, obwohl in den universellen Menschenrechten (Art. 23), im UN-Sozialpakt (Art.6) und in der Europäischen Sozialcharta (Artik. 1) verankert, wurde ersatzlos gestrichen. Wie bei der ausufernden Unternehmenskriminalität gingen jedoch auch im Arbeitsrecht die Änderungen weit über das hinaus, was mit Marktwirtschaft durchaus verträglich gewesen wäre.

So wurde etwa die DDR-Bestimmung gestrichen, dass der Arbeitsvertrag wie auch die Kündigung der Schriftform bedürfen. Ebenfalls gestrichen: Versetzungen, die über vier Wochen hinausgehen, bedürfen der Zustimmung des Arbeitnehmers; der Sonderkündigungsschutz für Alleinerziehende; Anspruch auf 20 Wochen Urlaub für Frauen nach der Geburt eines Kindes; Mütter können auf Verlangen nach dem Wochenurlaub bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes von der Arbeit freigestellt werden.(8)

Die DDR hatte, im Unterschied zur Bundesrepublik, ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch. In der BRD war und ist das Arbeitsrecht auf zwei Dutzend verschiedene Gesetze aus verschiedenen Jahren und mit unterschiedlichen Wertungen verstreut - zu Betriebsverfassung, Mitbestimmung, Kündigungsschutz, Mindestlohn, Arbeitszeit, Teilzeit, Leiharbeit, Arbeitslosigkeit, Behinderung usw. Das trägt dazu bei, dass abhängig Beschäftigte sich schwer zurechtfinden.

Im Einigungsvertrag 1990 zwischen der DDR und der BRD heißt es deshalb: Der Gesetzgeber beschließt ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch (Art. 30 Arbeit und Soziales). Doch auch nach 29 Jahren gibt es das Gesetzbuch nicht. Die Einigung wird gelobt, aber das Einigungsgesetz wird dauerhaft verletzt, jedenfalls bei den Arbeitsrechten. Die regierenden Parteien und die Unternehmerlobby fürchten Konflikte, die sie lieber unter dem schöngefärbten Teppich halten - Rechtsbruch hin oder her.(9)


III. Treuhand-Fortsetzungen

Treuhand-Praktiken wurden auch von ostdeutschen Landesregierungen fortgesetzt. Insbesondere das neue Bundesland Sachsen wurde unter dem CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf zu einem El Dorado westlicher Investoren. Biedenkopf, Mitglied der Trilateralen Kommission, suchte sie vor allem in den USA. Er wollte Sachsen nach dem Vorbild von Silicon Valley zum Saxon Valley ausbauen.

Silicon Saxony

Mit 800 Millionen DM Subventionen der EU, des Bundes und des Landes Sachsen holte Biedenkopf American Micro Devices (AMD) zum Bau einer neuen Chipfabrik nach Dresden. Damit wurde auch eine Alternative zum liqudierten DDR-Chiphersteller Robotron neu aufgebaut. 2002 war der Geschäftsführer von AMD Saxony von seinem Unternehmen beurlaubt und zu Sachsens Wirtschaftsminister gemacht worden.(10) Als die Subventionen ausliefen, wurde AMD Saxony 2012 geschlossen.(11)

Unter der CDU-Alleinregierung wurde Sachsen zu "Europas modernstem Autostandort" ausgebaut. VW baute in Dresden die "gläserne Manufaktur" als Center of Future Mobility. Im Automobilcluster Leipzig siedelten BMW und Porsche neue Produktionsstätten an. Doch diese Art strahlender Modernität ist begleitet von dunklen Arbeitsverhältnissen. Der Prozentsatz der finanziell und rechtlich schlecht gestellten Werkvertrags- und Leiharbeiter betrug von Anfang an weitaus mehr als in Westdeutschland. Am Standort Leipzig gehören nur 8300 der 18000 Beschäftigten zur Stammbelegschaft. Vier Fünftel der 95000 Arbeitsplätze sind zudem in 780 Zulieferfirmen angesiedelt. Die werden ständig im Werklohn gedrückt, damit die Endmontage bei VW, BMW und Porsche für deren Aktionäre noch profitabler ausfällt als im Westen. 8 Prozent der Werkvertragler und Leiharbeiter müssen sich ihren Lohn aus Hartz IV "aufstocken". Sie klagen über Mehrarbeit und mangelnden Gesundheitsschutz.(12)

Landgrabbing

Schon in der Treuhand-Anstalt wurde die Abteilung Landwirtschaft und Forsten eingerichtet, geleitet vom Berliner Finanzsenator und nachmaligen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP). Sie übernahm die Agrarflächen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sowie Wälder und Seen - insgesamt 770000 Hektar. Sofort wurden alle bäuerlichen Beschäftigten entlassen - die volkseigenen Güter hatten oft 300-400 Mitarbeiter. Käufer konnten frei entscheiden, wieviele und wen sie einstellen wollten. Die Treuhand-Nachfolgerin Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH (BVVG) soll bis 2025 den Rest verkaufen.

Nachdem sich zunächst vor allem Alteigentümer, darunter viele adlige Familien wie etwa der in Thüringen jahrhundertelang dominierende Reuß-Clan um den Rückkauf bemühten (auch Schlösser und Kunstschätze gehörten dazu), wurden die Böden zum internationalen Spekulationsobjekt. Die schnell steigenden Preise für das Landgrabbing konnten bald nicht mehr von Einheimischen, schon gar nicht von Bauern aufgebracht werden. Agrarkonzerne aus Westdeutschland, Italien, den Niederlanden und aus anderen EU-Staaten sind nun die neuen Eigentümer.(13)


IV. Bilanz: Degradierung und Rechtsextremismus

Die von der Treuhand angestoßene Politik führte zur Auswanderung von 4 Millionen Ostdeutschen (bei einer Einwohnerzahl von 17 Millionen). Etwa 1,5 Millionen, vor allem Alte, sind inzwischen zurückgekehrt oder pendeln. Die Infrastruktur verkümmert, viele Schulen und Ämter auf dem Lande sind geschlossen. Die Abwassergebühren sind wegen der meist überdimensionierten Anlagen ungleich höher als in Westdeutschland. Im Sonderarbeitsmarkt Ost herrschen längere Arbeitszeiten, niedrigere Löhne, weniger Urlaubsgeld. Die in der DDR sehr viel weiter gediehene Emanzipation der Frauen in der Arbeit wurde gestoppt.(14) Die Gewerkschaften sind hier noch mehr geschwächt als im Westen. Die allermeisten ostdeutschen Mieter - Privathaushalte wie Geschäftsinhaber - zahlen ihre Miete an westdeutsche Eigentümer.(15) Durch die Abwanderung fehlen nun, wie in anderen neuen EU-Staaten Osteuropas, die Fachkräfte.(16)

Der rassistische Rechtsextremismus, der die Furcht vor den Flüchtlingen schürt, war zunächst vor allem in der von Biedenkopf in Sachsen geführten CDU zu Hause.(17) In dem Maße, wie die hochfliegenden Versprechungen auf blühende Landschaften ihre gegenteilige "marktwirtschaftliche" Realität zeigten, machte sich der Rechtsextremismus in der AfD selbständig - Fleisch vom Fleische der CDU, der Treuhand und ihrer Nachfolgepraktiken. Und was in Ostdeutschland angestoßen wurde, wurde seit Ende der 90er Jahre auch in Westdeutschland durchgezogen - zunächst mit der SPD-Grünen-Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder, fortgesetzt bis heute unter den von der CDU-Kanzlerin Angela Merkel geführten Regierungen.


(*) Werner Rügemer ist Publizist und Vorsitzender der "aktion gegen arbeitsunrecht". Letzte Buchveröffentlichung: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Aufriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. Köln 2018. 356 S., 19,90 Euro.


Anmerkungen:

(1) Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz. Von der Treuhand zu Public Private Partnership. 4. Aufl. Münster 2008. S. 38 ff.

(2) Öko-Revolution in Ostdeutschland. Wie Foron den ersten FCKW-freien Kühlschrank der Welt erfand. In: Spiegel online, 13.3.2013.

(3) Wie die Privatisierung der DDR-Wirtschaft wirklich lief, ARD plusminus 28.8.2019.

(4) Michael Jürgs: Die Treuhändler. Wie Helden und Halunken die DDR verkauften. München, Leipzig 1997. S. 102 ff.

(5) Treuhand nahm Straftaten hin. In: Berliner Zeitung, 15.10.2010.

(6) Gesetz über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen (SpTrUG) vom 5.4.1991.

(7) Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Köln 2018. S. 216 ff.

(8) Wolfgang Däubler: Bundesdeutsches Arbeitsrecht in der ehemaligen DDR. In: Kritische Justiz, Nr. 3, 1992, S. 261 f.

(9) Werner Rügemer: Arbeitsverhältnisse. Unternehmer als ungestrafte Rechtsbrecher. In: Klaus-Jürgen Bruder u.a. (Hrsg.): Gesellschaftliche Spaltungen. Gießen 2018. S.207ff.

(10) Der Tagesspiegel, 3.5.2002.

(11) AMD schließt Forschungszentrum in Dresden, Heise online, 8.11.2012.

(12) So schuften Billigarbeiter für Leipzigs Autobau-Boom, tag24.de/nachrichten, 12.9.2015.

(13) Günther Kienitz: Die Verheerungen der Treuhandanstalt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.5.2018.

(14) Ostfrauen, Phoenix 14.3.2019, 20.15-21.00 Uhr.

(15) Leid der Ostdeutschen. In: FAZ, 30.8.2018.

(16) Arbeitskräftemangel bremst Wachstum im Osten. In: FAZ, 22.6.2019.

(17) Werner Rügemer: Des sächsisch-christlichen Ministerpräsidenten Angst vor den Fremdvölkern. www.nachdenkseiten.de, 30.8.2018.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 34. Jg., Oktober 2019, S. 14+15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang