Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2337: Januar 1919 in Berlin - Der Mythos vom Spartakusaufstand


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 · Januar 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Januar 1919 in Berlin
Der Mythos vom Spartakusaufstand

von Reiner Tosstorff


Die Mär vom "Spartakusaufstand" geistert bis heute herum. Sie ist gleichsam zur offiziellen deutschen Ideologie geworden. Die SPD, die mit Regierungschef Friedrich Ebert und ihrem Kriegsminister Gustav Noske bewusst das fatale Bündnis mit den Freikorps eingegangen war, nutzte ihn weidlich. Skrupellose Rechtfertiger aus den Reihen der Täter (die zugleich versuchten, ihre Taten zu vertuschen) taten dies auch.


Nicht wenige seriöse Historikerinnen und Historiker haben das Märchen in den letzten Jahrzehnten aufgedeckt, dennoch wird es in den Medien immer noch weitergetragen. Unter der Überschrift "Spartakusaufstand" gibt es z.B. immer noch einen entsprechenden Artikel auf Wikipedia. Ähnlich überschrieb jüngst die Beilage der evangelischen Kirche, Chrismon (Nr.11/2018), einen Beitrag mit "Soldaten gegen Spartakus". Und der Literaturchef der FAZ, Andreas Platthaus, schreibt fast durchgängig vom "Spartakusaufstand" in seinem Buch zur Entwicklung nach der Novemberrevolution.

Dabei sind die Ereignisse bekannt. Die Absetzung des erst am 9. November vom Berliner Arbeiterrat eingesetzten Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, einem Mitglied der USPD, provozierte am 4. Januar breite Proteste. Zwar rief auch die gerade erst gegründete KPD dazu auf. Doch diese hatte in Berlin nur wenige tausend Mitglieder. Der übergroße Teil der Tausenden von Demonstranten gehörte zur USPD, vor allem zu ihrem linken Flügel um die "Revolutionären Obleute". Die schiere Zahl der Demonstrierenden erzeugte bei den Organisatoren das Gefühl, man könne und müsse jetzt auch weitergehen. Doch über einen eher vagen Aufruf zur Absetzung der Regierung Eberts kam man nicht hinaus. Es gab keine klaren Richtlinien. Der harte Kern der Demonstrierenden besetzte nicht das Regierungs-, sondern das Zeitungsviertel.

Verhandlungsversuche wurden von der Regierung Ebert/Noske abgelehnt. Sie hatte inzwischen die Freikorps mobilisiert. Parlamentäre wurden erschossen und alle Gebäude zurückerobert, wobei viele Gefangene ebenfalls erschossen wurden. Obwohl die Bewegung ganz wesentlich aus den Reihen der USPD kam, wurde sofort das viel "tauglichere" Feindbild des kommunistischen, von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Auftrag Moskaus unternommenen Aufstandsversuchs kreiert. Es galt, für die Ermordung der beiden am 15. Januar eine Rechtfertigung zu finden, und sei es auch nur nach dem Motto: Wer einen Aufstand versucht, muss damit rechnen, dabei umzukommen.


Schicksal eines Untersuchungsberichts

So sehr also der Mythos vom Spartakusaufstand verbreitet wurde, weil er nützlich war, so sehr wurde gleichsam amtlich, wenn auch öffentlich kaum wahrnehmbar, bis in die Einzelheiten geklärt, wie es wirklich war. Alles kann heute dank der Bemühungen von Jörn Schütrumpf, Historiker bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in einem Reprint nachgelesen werden.

Bereits im März 1919 setzte die verfassungsgebende preußische Landesversammlung einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Abläufe ein. Dieser bestand aus Vertretern der Parteien, darunter zunächst auch einem USPD-Mitglied, und beschäftigte sich in monatelangen Zeugenanhörungen und Auswertung von Dokumenten mit den Vorfällen. Das alles wurde in einer umfangreichen parlamentarischen Aktenpublikation veröffentlicht. Der Bericht des Untersuchungsausschusses erschien im Februar 1921.

Zunächst wurde die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts in die Zeit nach der Auflösung der Landesversammlung und vor der Wahl eines neuen Landesparlaments gelegt. Damit gab es kein Parlament, das den vorgelegten Bericht hätte diskutieren können. Für das neugewählte Parlament war er einfach erledigt, weil er eine Angelegenheit des vorhergehenden gewesen war.

Dabei hatten sich die Vertreter der bürgerlichen Parteien und der SPD - der USPD-Vertreter war nach kurzer Zeit ausgeschieden - alle Mühe gegeben, die Verantwortung auf die Linke abzuwälzen. Und so strotzt der Bericht auch von fragwürdigen Behauptungen - z.B. wenn er über das Vorgehen der Freikorps, etwa die Gefangenenerschießungen, einfach mit der Behauptung hinweggeht: "lässt sich nicht aufklären". Andererseits musste er, wenn auch in sehr gewundenen Worten, feststellen, dass zu Beginn der Kämpfe die Meinungen gespalten waren: "Richtig ist, dass sowohl Unabhängige wie Kommunisten dabei eine führende Rolle gespielt haben, und dass auf der anderen Seite sowohl Unabhängige wie Kommunisten davor gewarnt haben." Zwar werden einige "geistige Leiter der Bewegung" wie Karl Liebknecht (KPD) und Georg Ledebour (USPD) genannt, doch hätten sie andererseits die Bewegung nicht schon lange vorbereitet und waren dann auch nicht die, die "am eifrigsten zum Losschlagen drängten". Missgünstig wurde aber hinzugefügt, sie seien schon lange der Meinung gewesen, dass die SPD die Regierungsgewalt zu Unrecht innehabe und man auf die Bewaffnung des Proletariats hinarbeiten müsse.


Neuauflage

Ein systematisch geplanter, bewaffneter Aufstand sieht jedenfalls anders aus. Erst recht, wenn man von einer - in diesem Bericht natürlich nirgendwo konkret benannten - Moskauer Hand reden will, die das ganze dirigiert haben soll. Und so endete der Bericht passenderweise mit "Schlussfolgerungen", in denen wieder vom "Putsch" die Rede war. Zudem lässt er vor allem in den vielen abgedruckten Zeugenbefragungen erahnen, wie systematisch die verschiedenen Gruppierungen der Linken - durchaus auch in provokatorischer Absicht - mit Spitzeln infiltriert waren. Unterschlagen wurde, dass die dafür nötigen Finanzen von Kräften aus dem Bürgertum kamen, die reichlich den verschiedenen, von der SPD geleiteten Institutionen unter die Arme griffen.

Der Bericht wurde als Anlage zu den preußischen Parlamentsprotokollen veröffentlicht. Doch die waren nur in einigen größeren Bibliotheken zu finden. Seine Ergebnisse wurden wenn, dann höchst selektiv verwendet. Dazu hat der Herausgeber Schütrumpf zahlreiche Beispiele aufgeführt, angefangen mit Eduard Bernstein und seiner wenige Monate später erschienenen Geschichte der Revolution. Ähnlich wurde Jahrzehnte lang weiter verfahren.

Nun allerdings liegt dieser fünfhundertseitige und großformatige Bericht in einem schwergewichtigen Nachdruck vor, mit einer ausführlichen Einleitung des Herausgebers und einem detaillierten Sach- und Personenregister. Das Werk ist mit seiner umfangreichen Materialsammlung sperrig und nicht leicht lesbar. Wer eine Überblicksdarstellung sucht, sollte zu Klaus Gietinger greifen (November 1918. Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts) oder zur klassischen Darstellung von Richard Müller (siehe SoZ 11/2018). Das Verdienst der von Schütrumpf herausgegebenen Ausgabe ist, dass es keine Ausrede mehr gibt, das Material nicht zu kennen.


Der Mord

Drei Tage nach dem Ende der Kämpfe wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als angebliche Rädelsführer von den Freikorps verhaftet und ermordet. Die Spuren der Täter waren schnell verwischt, nicht zuletzt dank der guten Verbindungen in Teile der SPD-Führung, vor allem zu Gustav Noske. Ein Militärgericht führte eine Justizfarce auf, die Institutionen der Weimarer Republik machten sich dabei zu Komplizen.

Über diese Tragödie mit tiefgreifenden Folgen für die Geschichte der deutschen und internationalen Linken ist schon oft geschrieben worden. In Grundzügen konnten die Vorgänge bereits im Laufe der Weimarer Republik rekonstruiert werden, wurden aber nur zu einem Teil vor Gericht verhandelt, bis das Jahr 1933 weitere Aufklärung unterband und die Mörder gar rehabilitiert wurden. Aber auch nach 1945 gab es in der Bundesrepublik wenig Interesse an Aufklärung, war dieses Verbrechen doch kompatibel mit dem antikommunistischen Konsens der Adenauer-Zeit. Erst nach 1968 wurde intensiver nachgeforscht.

Das größte Verdienst hat dabei Klaus Gietinger, der das Verbrechen zum ersten Mal 1995 rekonstruierte und dann 2009 den Hauptmann Pabst als Schlüsselfigur für den Mord, aber auch die Folgegeschichte für die Herausbildung des Faschismus in Deutschland in den Blick nahm. Seine spannend zu lesende, umfassende Darstellung von 1995 liegt jetzt in einer im wesentlichen unveränderten Ausgabe erneut vor. Soweit wie das heute noch möglich ist, ist der ganze Ablauf darin rekonstruiert.

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 34. Jg., Januar 2019, S. 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang