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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2314: Die Wende weg von den fossilen Energien muss viel schneller kommen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 · November 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der Bericht des Weltklimarats sagt:
Die Wende weg von den fossilen Energien muss viel schneller kommen

von Wolfgang Pomrehn


Während die IG BCE noch die Kohlekommission bestürmt, die Energiewende ja nicht zu überstürzen, mahnt der UN-Klimarat an, dass die globalen Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zurückgefahren sein müssen.

Im Vorfeld der im Dezember im polnischen Katowice tagenden UN-Klimakonferenz hatte diese Unterorganisation der Vereinten Nationen die Frage zu erläutern, ob die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden sollte und was das im Lichte der Armutsbekämpfung und der UN-Entwicklungsziele bedeutet. "(D)er Anstieg der globalen Mitteltemperatur (soll) deutlich unter 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau (gehalten) und Anstrengungen unternommen (werden), den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen", heißt es in der 2015 auf einer UN-Klimakonferenz verabschiedeten Pariser Übereinkunft, dem derzeit geltenden, wenn auch sehr schwachbrüstigen Klimavertrag.

Der IPCC-Bericht hat nun dargelegt, wie wichtig die genannten Anstrengungen sind und wie äußerst drastisch die Maßnahmen sein müssten, soll das Ziel noch erreicht werden. Das werden bei den Verhandlungen in Polen die am stärksten bedrohten Ländern - wieder einmal - energisch den anderen Staaten vorhalten. Auf dem Programm steht in Katowice nämlich für die 181 Mitglieder des Pariser Abkommens die Überprüfung der bisher abgegebenen Selbstverpflichtungen, d.h. die Frage, ob diese ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

Das ist mit Sicherheit nicht der Fall, so die klare Botschaft des IPCC-Berichts. Um die Erwärmung auf unter 2 Grad zu beschränken, müssten die globalen Emissionen bis 2030 um etwa 20 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 gesunken sein und bis 2075 bei Null landen. Soll die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden - gemeint ist hier immer die über den ganzen Globus und das ganze Jahr gemittelte Temperatur -, dann müssten die Emissionen 2030 sogar um 45 Prozent zurückgefahren und etwa 2050 bei Null angekommen sein.

Tatsächlich laufen die bisher von den Ländern abgegebenen Selbstverpflichtungen darauf hinaus, dass die Emissionen von derzeit jährlich 42 Milliarden Tonnen CO₂ auf 52 bis 58 Milliarden Tonnen weiter steigen. In dem Fall, so der Bericht, würden nicht einmal mehr besonders ehrgeizige Maßnahmen ausreichen, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken.

Gemeint ist übrigens immer die Erwärmung relativ zur vorindustriellen Zeit. Für gewöhnlich werden dafür die Temperaturen um die Mitte des 19. Jahrhunderts angenommen, obwohl durchaus in Frage zu stellen ist, ob dies als vorindustrielle Zeit gelten kann. Aus dieser Zeit liegen jedoch halbwegs verlässliche Daten vor, mit denen eine globale Durchschnittstemperatur abgeschätzt werden kann, in den Jahrzehnten davor waren die Temperaturmessungen noch viel zu lückenhaft.

Die verschiedenen Proxidaten, mit denen die Temperatur früherer Jahrhunderte und Jahrtausende bestimmt wird - Isotopenverhältnisse in Eiskernen, Pollenzusammensetzungen, Baumringe und ähnliches -, sind in ihrer Genauigkeit mit instrumentellen Messungen nicht vergleichbar.


Die Landwirtschaft

Die Dringlichkeit des Ganzen wird vielleicht etwas anschaulicher, wenn man sich vergegenwärtigt, wo wir heute stehen. Menschliche Aktivität, so der Bericht, hat die globale Temperatur bereits um 0,8 bis 1,2 Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau gehoben. Die Jahre 2006-2015 waren 0,75 bis 0,99 Grad Celsius wärmer als die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Beim gegenwärtigen Tempo wird die globale Temperatur bereits irgendwann zwischen 2030 und 2052 die 1,5-Grad-Celsius-Marke überschreiten.

Schon jetzt sind, daran lässt der Bericht ebenfalls keinen Zweifel, viele Veränderungen in vollem Gange. Der Anstieg des Meeresspiegels hat sich gegenüber dem letzten Jahrhundert beschleunigt und beträgt derzeit etwas mehr als 3 Zentimeter pro Jahrzehnt. Viele Formen von Extremereignissen nehmen zu und lassen sich eindeutig in einen Zusammenhang mit dem Klimawandel bringen. Hitzewellen werden häufiger und ausgedehnter, Dürren ebenso, Niederschläge intensiver. Und schon jetzt schädigt Ozon weltweit Kulturpflanzen so sehr, dass dadurch die Erträge von Weizen, Mais, Reis und Sojabohnen um 3 bis 16 Prozent zurückgehen. Das aggressive Sauerstoffmolekül (O₃) ist zwar kurzlebig, aber dennoch erstens ein sehr effektives Treibhausgas und zweitens greift es Pflanzen sowie die Atemwege der Menschen an. Es entsteht aus fotochemischen Reaktionen zwischen Abgasen aus Kraftwerken und Verbrennungsmotoren und der Sonneneinstrahlung. Eine drastische Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe hätte also direkt positive Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Erträge.

Überhaupt ist neben dem Meeresspiegel die Welternährung der wesentlicher Grund, weshalb der IPCC zur Einhaltung der 1,5-Grad-Celsius-Marke rät. Wird die Erwärmung soweit beschränkt, ließen sich z.B. noch einige tropische Korallenriffe retten. Die sind schon jetzt stark geschädigt, aber bei 2 Grad Erwärmung gehen sie mit Sicherheit verloren. Mit den entsprechenden Folgen für die Fischerei. Außerdem nimmt die Versauerung der Meere mit steigender Treibhausgaskonzentration erheblich zu und gefährdet die Versorgung mit Fischeiweiß.

Auch die Landwirtschaft wird unter der Erwärmung um so mehr leiden, je wärmer es wird. Da sind zum einen die vermehrten Dürren und stärkeren Unwetter, die beide gleichermaßen zerstörerisch für die Ernten sind. Außerdem bekommt Hitzestress vielen Kulturpflanzen schlecht. Einige Getreidearten wachsen zwar merklich besser bei höheren CO₂-Konzentrationen in der Luft, sind aber zugleich weniger reich an Proteinen. Reis bildet zudem weniger Vitamine.


Das Meer

Besonderen Anlass zur Sorge aber bereitet der Meeresspiegel. Dieser wird auch bei sofortigem Stopp aller Treibhausgasemissionen über viele Jahrhunderte weiter steigen, denn das Klimasystem braucht sehr lange, bis es sich auf ein neues Gleichgewicht mit der atmosphärischen Treibhausgaskonzentration eingestellt hat. Besonders die großen Eismassen auf Grönland und in der Antarktis reagieren sehr träge. Auch der tiefe Ozean benötigt viele Jahrhunderte, bis sich dort eine höhere Temperatur den Verhältnissen an der Oberfläche entsprechend eingestellt hat.

Der Bericht hebt jedoch hervor, dass wahrscheinlich schon eine Erwärmung zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau (also 0,5 bis 1 Grad von heute aus) reichen wird, um die großen Eismassen nachhaltig zu destabilisieren. Das aber, so zeigen Untersuchungen früherer Erdzeitalter, würde reichen, den mittleren globalen Meeresspiegel um über sechs Meter steigen zu lassen. Für viele Inselstaaten, die Städte Westafrikas, Alexandria in Ägypten, für Shanghai, New York, das Mekongdelta in Vietnam, die Küste von Bangladesh, weite Teile der Niederlande oder der deutschen Nordseeküste würde das Land unter bedeuten.

Um das zu verhindern, muss das Ruder heftig herumgerissen werden. Nicht irgendwann, sondern sofort. Ab 2020 müssen die globalen Emissionen drastisch sinken. Das wäre möglich, aber der Bericht macht auch klar, dass es nur bei verstärkter internationaler Kooperation und bei Einbeziehung der Menschen gelingen kann. Nur ökonomische Ansätze, die zugleich die Ungleichheit und Armut verringern, seien erfolgversprechend. Seien wir also realistisch: Fordern wir das unmöglich Scheinende.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 33. Jg., November 2018, S. 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2018

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