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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2282: Was die Klassenlage bestimmt - Produktive oder unproduktive Arbeit?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 · Juli/August 2018 Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Was die Klassenlage bestimmt
Produktive oder unproduktive Arbeit?

von Manuel Kellner


In der bürgerlichen Soziologie und Statistik gilt die Kategorie "Arbeiterinnen und Arbeiter" als Bezeichnung für eine Minderheit und dazu noch schwindende gesellschaftliche Größe. Rinnt uns also unser - potenziell - "revolutionäres Subjekt" durch die Finger? Bilden nicht auch nach Ansicht von Karl Marx nur die "produktiven Arbeiterinnen und Arbeiter" der Industrie das Proletariat?


Für Marx war "produktive Arbeit" Arbeit im kapitalistischen Unternehmen - Arbeit, die Mehrwert hervorbringt, der durch den Verkauf des Endprodukts realisiert wird. Die Beschäftigten übertragen den ganzen Arbeitstag über den Wert der Rohstoffe und der sich abnutzenden Maschinen auf das Endprodukt. Zugleich schaffen sie neuen Wert, einen Teil des Tages den Gegenwert ihrer eigenen Reproduktionskosten, des Arbeitslohns, und im weiteren Verlauf des Arbeitstags Wert darüber hinaus, den Mehrwert. Nur so kann das investierte Kapital sich vermehren, vorausgesetzt, auf allen Märkten herrscht gleicher Tausch vor.

Das Zitat am Ende dieses Artikels zeigt, dass die Teilnahme der Beschäftigten an der Mehrwertproduktion für Marx in keiner Weise mit der konkreten Art ihrer Tätigkeit zusammenhängt. Es ist dafür aus seiner Sicht gleichgültig, ob sie ungelernte Handarbeit verrichten oder hoch qualifizierte Arbeit. Entscheidend ist vielmehr, ob sie in irgendeiner Weise Teil des Gesamtarbeitsprozesses im kapitalistischen Unternehmen sind. Auch Funktionen der Koordination und der Aufsicht gehören dazu, Marx nennt sogar die "Manager". Umgekehrt sind Arbeiten im Sinne dieses Verständnisses nicht "produktiv" (so nützlich sie auch sein mögen), die nicht der kapitalistischen Mehrwertproduktion dienen.

Ein Gärtner kann als Beschäftigter eines Gartenbauunternehmens "produktiver Arbeiter" sein, wenn er aber auf eigene Rechnung für einen privaten Kunden arbeitet, dann ist seine Arbeit "unproduktiv". Eine Reinigungskraft kann als Beschäftigte eines Reinigungsunternehmens Mehrwertproduzentin und also "produktiv" sein, wenn sie aber dieselbe Arbeit als Dienstleistung für private Kunden macht, dann ist sie "unproduktive" Arbeiterin.


Was sagt Marx?

"Jeder produktive Arbeiter ist Lohnarbeiter, aber deswegen ist nicht jeder Lohnarbeiter produktiver Arbeiter. So oft die Arbeit gekauft wird, um als Gebrauchswert verzehrt zu werden, als Dienst, nicht um als lebendiger Faktor an die Stelle des Werts des variablen Kapitals zu treten und dem kapitalistischen Produktionsprozess einverleibt zu werden, ist die Arbeit keine produktive Arbeit und der Lohnarbeiter kein produktiver Arbeiter. Seine Arbeit wird dann ihres Gebrauchswerts wegen, nicht als Tauschwert setzend, sie wird unproduktiv, nicht produktiv konsumiert. Der Kapitalist steht ihr daher nicht als Kapitalist, als Repräsentant des Kapitals gegenüber. Er tauscht sein Geld gegen sie als Revenue, nicht als Kapital aus." (S. 148.)(1)

Ähnliches gilt für andere Dienstleistungen, einschließlich derer, die von Beschäftigten im öffentlichen Dienst erbracht werden:

"Sowenig die Waren, die der Kapitalist kauft zu seinem Privatkonsum, produktiv konsumiert werden, Faktoren des Kapitals werden, sowenig die Dienste, die er freiwillig oder gezwungen (beim Staat etc.) ihres Gebrauchswerts wegen, zu seiner Konsumtion kauft. Sie werden kein Faktor des Kapitals. Sie sind daher keine produktiven Arbeiten und ihre Träger keine produktiven Arbeiter." (Ebd.)

Es ergibt sich, dass für Marx die Unterscheidung von "produktiver" und "unproduktiver Arbeit" in der kapitalistischen Produktionsweise nichts mit der Klassenzugehörigkeit der Menschen zu tun hat. Es ging ihm dabei vielmehr um die Bedeutung der Mehrwertproduktion für die Verwertung von Kapital: "Der Unterschied von produktiver und unproduktiver Arbeit wichtig mit Bezug auf die Akkumulation, da nur der Austausch gegen produktive Arbeit eine der Bedingungen der Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital ist." (S.?157.)


Das lohnabhängige Kleinbürgertum

Müssen wir ein "lohnabhängiges Kleinbürgertum"(2) als Bündnispartner hinzunehmen, wenn wir gesellschaftliche Mehrheiten für den Sturz der Macht des Kapitals finden wollen? Hier geht es nicht um die Diskussion dieser strategischen Frage insgesamt, sondern nur um die Kriterien für die Zugehörigkeit zu diesem "lohnabhängigen Kleinbürgertum". Sie sind nicht wirklich stimmig.

Kommen wir zunächst auf die Rolle der verschiedenen "Funktionäre" des "Gesamtarbeitsprozesses" im kapitalistischen Unternehmen zurück. Marx schließt da sogar die "Manager" als Produzenten des Mehrwerts mit ein. Aber natürlich gehören sie nicht zur "Arbeiterklasse" in irgendeinem sinnvollen Gebrauch dieses Worts. Sie sind mehr oder weniger drastisch "adoptierte" Mitglieder des Bürgertums. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe besteht keineswegs mehr der "Zwang, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen" (das ist das klassische Kriterium für die Zugehörigkeit zum "Proletariat"), weil die betreffenden Leute durchaus von ihrem Geldkapital leben könnten, und das ziemlich gut. Gerade die heutigen Ingenieure und Techniker aber sind durchaus Angehörige der lohnabhängig arbeitenden Klasse.

Andererseits ist es offenkundiger Unsinn, Menschen nicht zu dieser arbeitenden Klasse zu rechnen, bloß weil sie (wenn sie als prekäre Scheinselbständige für Unternehmen arbeiten, sogar nur der reinen Form nach) "unproduktiv" Dienstleistungen erbringen, ohne an der Mehrwertproduktion eines kapitalistischen Unternehmens unmittelbar teilzunehmen. Wenn man auch Lehrerinnen und Lehrer zum "lohnabhängigen Kleinbürgertum" rechnet(2), ergibt sich folgendes paradoxe Ergebnis: Die Lehrkräfte an einer staatlichen Schule und die an einer Privatschule müssten aus dieser Sicht zwei verschiedenen Klassen zugerechnet werden, erstere dem lohnabhängigen Kleinbürgertum, letztere dem mehrwertproduzierenden Proletariat.

Alles in allem halte ich es für sinnvoller alle, die ihr Arbeitsvermögen verkaufen müssen, zur lohnabhängig arbeitenden Klasse zu rechnen - und dann gehört auch in Deutschland die große Mehrheit der Bevölkerung dazu.


ANMERKUNGEN

(1) Zitate aus Karl Marx: Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses. (Sechstes Kapitel des ersten Bandes des "Kapitals". Entwurf 1863/1864.) Berlin 1988.

(2) Siehe Thomas Goes: "Was ist das Volk?", SoZ 6/2018.


Karl Marx: Kombiniertes Arbeitsvermögen ist produktiv

"Da mit der Entwicklung der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital oder der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise nicht der einzelne Arbeiter, sondern mehr und mehr ein sozial kombiniertes Arbeitsvermögen der wirkliche Funktionär des Gesamtarbeitsprozesses wird und die verschiednen Arbeitsvermögen, die konkurrieren und die gesamte produktive Maschine bilden, in sehr verschiedner Weise an dem unmittelbaren Prozess der Ware- oder besser hier Produktbildung teilnehmen, der eine mehr mit der Hand, der andre mehr mit dem Kopf arbeitet, der eine als manager, engineer, Technolog etc., der andre als overlooker, der dritte als direkter Handarbeiter oder gar bloß Handlanger, so werden mehr und mehr Funktionen von Arbeitsvermögen unter den unmittelbaren Begriff der produktiven Arbeit und ihre Träger unter den Begriff der produktiven Arbeiter, direkt vom Kapital ausgebeuteter und seinem Verwertungs- und Produktionsprozess überhaupt untergeordneter Arbeiter einrangiert. Betrachtet man den Gesamtarbeiter, aus dem das Atelier besteht, so verwirklicht sich materialiter seine kombinierte Tätigkeit unmittelbar in einem Gesamtprodukt, das zugleich eine Gesamtmasse von Waren ist, wobei es ganz gleichgiltig, ob die Funktion des einzelnen Arbeiters, der nur ein Glied dieses Gesamtarbeiters, ferner oder näher der unmittelbaren Handarbeit steht."

Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses. Berlin 1988. S.146/147.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 33. Jg., Juli/August 2018, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2018

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