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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2082: Stoppt Braunkohle - Der Hambacher Forst muss erhalten bleiben


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11. November 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Stoppt Braunkohle
Der Hambacher Forst muss erhalten bleiben

Von Angela Klein


Am 17. Oktober begann erneut die Rodungssaison für den Hambacher Forst. Dieser Wald, nahe der Bahnstrecke zwischen Kerpen und Düren, etwa 25 Kilometer vor den Toren von Köln gelegen, ist besonders schutzwürdig, weil er auf eine 12.000 Jahre alte Geschichte blickt und zu den wenigen naturnahen Wäldern in Deutschland gehört, deren Entwicklung seit der Wiederbewaldung nach dem Ende der letzten Eiszeit nie unterbrochen wurde.


Dem Hambacher Forst soll es nun an den Kragen gehen - bzw. dem Rest, der von ihm übriggeblieben ist. Denn er liegt in der Niederrheinischen Bucht, zwischen Rur und Erft, also genau dort, wo RWE noch bis 2040 Braunkohle im Tagebau abbaggern will. Da steht der Wald im Weg. Ohnehin ist nur ein magerer Rest von ihm übrig, einst bedeckte er eine Fläche von 4100 Hektar (= 41 km2), jetzt sind es nur noch 226 Hektar.

Begonnen wurde mit dem Aufschluss des Braunkohletagebaus Hambach im Jahr 1978. Seitdem fressen sich die Bagger durch Wald und Feld, 5.000 Hektar Landschaft wurden bis heute abgetragen, weitere 924 Hektar sollen noch folgen - und damit eben auch der Rest vom Hambacher Forst. Das Loch, das dadurch entsteht, misst dann 85 km2. Und das ist nur eines von drei Löchern im Rheinischen Revier: nordwestlich von Köln, südlich von Erkelenz, liegt der Tagebau Garzweiler mit 84 km2, in der Nähe von Jülich der Tagebau Inden mit 45 km2. Zusammengenommen passt das halbe Stadtgebiet von Köln in die Löcher. Der Tagebau Hambach ist zudem bis zu 550 Meter tief, das ist mehr als das Dreifache der Höhe des Kölner Doms.

Seit 2007 formiert sich der Widerstand gegen den Landschaftsfraß, das begann mit der Verlegung der Autobahn A4 an den Ortsrand von Buir, um Platz zu gewinnen für die Erweiterung des Tagebaus (siehe dazu das Interview mit Antje Grothus in dieser Ausgabe der SoZ, S.5)[*] In den letzten Jahren hat er stark zugenommen: ein Waldstück wurde dauerhaft besetzt, Baumhäuser gebaut, auf einem Wiesenstück ein Dorf errichtet.


Mondlandschaft

Doch es geht längst nicht nur um den Wald, obwohl daran eine Menge von seltenen Tieren hängen, die auf der Roten Liste des Artenschutzes stehen (vor allem Fledermäuse und Froschlurche wie die seltenen Unken). Er entspricht deshalb der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), die eine Zerstörung solcher Gebiete untersagt. Die Landesregierung hat das aber nie an die Europäische Kommission gemeldet, dass sie einen solchen Schatz beherbergt - und damit den Weg für seine Zerstörung freigemacht. Sie begründet das mit dem Bergrecht: Ein Braunkohleplan aus dem Jahr 1976 hat die Fortführung des Tagebaus bis zum Jahr 2040 genehmigt. Und Bergrecht bricht alles andere Recht. Allerdings fehlte dem Braunkohleplan - und fehlt bis heute - eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Der Bund Naturschutz (BUND) hat eine solche mehrfach gerichtlich erzwingen wollen, ist damit jedoch stets gescheitert.

Dem Widerstand geht es auch um die Schäden, die den Menschen durch den Tagebau zugefügt werden - durch die Verlegung zweier Autobahnen (die A4 und die A61), durch die Belastung mit Feinstaub und Quecksilber im Zuge des Abbaus über Tage selbst, durch den Verlust an fruchtbarer Ackerfläche, den die Landwirte erleiden, und durch die Umsiedlung zahlreicher Dörfer. Allein der geplanten Erweiterung des Tagebaus Hambach müssen wieder zwei Dörfer weichen, nämlich Morschenich (es hatte 2013 noch über 500 Einwohner) und Manheim (2013: 1.200 Einwohner). Die Flächen, auf denen die Dörfer neu errichtet werden sollen, werden wiederum den Landwirten weggenommen.

Und es geht um die Ewigkeitslasten. Die sind gigantisch und alles andere als berechenbar.

Um die Grube für den Tagebau freizulegen, werden seit 1976 jedes Jahr um die 560 Millionen Kubikmeter Grundwasser abgepumpt. Quasi die gesamte Niederrheinische Bucht ist damit hydrologisch tot, ausgewiesene Naturschutzgebiete an der Maas, der Schwalm, der Nette, der Erft können nur überleben, weil RWE Ausgleichswasser bereitstellt, es sind sozusagen Biotope am Tropf.


Blühende Landschaften?

Die Abraumhalden, die teilweise in den Tagebau verfüllt, teilweise in die freie Landschaft gesetzt wurden, enthalten große Mengen an Schwermetallen: Quecksilber, Kupfer, Cadmium, Chrom, Zink, Blei, Nickel, Thallium und Arsen. Wenn die Löcher wieder mit Wasser gefüllt werden, können die Schwermetalle ins Grundwasser gelangen.

RWE wirbt damit, dass nach Beendigung des Tagebaus hier einmal eine einmalige Seenlandschaft entstehen wird, die mit Sport- und Freizeitaktivitäten der Region eine neue wirtschaftliche Zukunft verspricht. Was heute eine Mondlandschaft ist, soll in 60, 70 Jahren einmal eine "blühende Landschaft" werden.

Um die Löcher wieder mit Wasser zu füllen, muss das Wasser über Pipelines vom Rhein und der Rur abgeleitet werden. Das dauert Jahrzehnte - in bezug auf Hambach ist von 40, 45 Jahren die Rede. Erfahrungen damit gibt es in dieser Größenordnung keine. In der Lausitz und auch in der Ville westlich von Brühl gibt es solche "Restseen", doch die sind viel kleiner. Schon von diesen sind einige richtige Säurebecken mit ph-Werten von 2,2, wegen des hohen Anteils an Sulfiden und Eisenoxiden im Abraum.

Seen in der geplanten Größenordnung von 40 km2, mit einer Tiefe von 250 Metern, gibt es noch nirgends; niemand weiß, ob es überhaupt gelingen kann, über Jahrzehnte die jährlich benötigten etwa 270 Millionen Kubikmeter aufbereitetes Rheinwasser zuzuführen, niemand weiß, ob die Giftstoffe im Abraum nicht freigesetzt werden und ob die Böschungen nicht rutschen werden.

Eine Ewigkeitslast stellen auch die Naturparks dar, die jetzt schon "am Tropf" hängen. Denn durch die Absenkung des Grundwassers während des Tagebaus haben sie sich gesetzt, nach Wiederanstieg des Grundwassers kämen sie unterhalb des Grundwasserspiegels zu liegen. Gebäude und Infrastruktur in solchen Gebieten müssten durch das Pumpen von Grundwasser geschützt werden. RWE bestreitet solche Ewigkeitslasten, gibt aber zu, dass in der Erftaue solche dauerhaften Abpumpmaßnahmen (im Fachjargon "Sümpfung" genannt) notwendig werden.

Auch die sehr aufwendige Infrastruktur, die für die künstliche Erhaltung der Feuchtgebiete notwendig ist, muss nach dem Ende des Tagebaus weiter unterhalten werden. Um den Naturpark Schwalm-Nette zu erhalten und ein Austrocknen des Feuchtgebiets zu verhindern, wurden bisher insgesamt 3 Wasserwerke, 160 Kilometer Rohrleitungssysteme, 13 Kilometer Sickergräben, 150 Sohlschwellen, 72 Direkteinleitungsstellen, 90 Sickerschlitze und 188 Sickerbrunnen gebaut.


Wer soll das bezahlen?

Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist das Bergrecht und das Handelsrecht. Im Bundesberggesetz ist das Verursacherprinzip verankert, d.h. die Betreiber der Braunkohletagebaue, in diesem Fall RWE, müssen für die Folgekosten aufkommen. Dafür müssen sie nach Handelsrecht Rücklagen bilden. Diese sind in Deutschland jedoch keine separat gesicherten Finanzmittel, sondern werden in den Geschäftsbilanzen als zukünftige Zahlungsverpflichtungen vermerkt. Sie stehen dem Unternehmen bis zur Fälligkeit der Zahlung also frei zur Verfügung. Bei Auflösung der Rückstellungen müssen diese Zahlungsverpflichtungen dann aus den laufenden Einnahmen oder durch die Liquidierung von Vermögen der Unternehmen geleistet werden. Vermögen wären etwa Kraftwerke, Maschinen, Unternehmensbeteiligungen, Wertpapiere usw.

Die Schätzung der Folgekosten und die Berechnung der erforderlichen Rückstellungen ist allerdings den Unternehmen selbst überlassen. Eine unabhängige öffentliche Stelle kann nicht überprüfen, wie die Berechnung der Folgekosten zustandekommt und ob die tatsächlich zu erwartenden Kosten alle darin eingehen. Vor allem die sehr langfristigen ökologischen Auswirkungen etwa im Bereich des Wasserhaushalts können in den kommenden Jahrzehnte Kosten verursachen, deren Dauer und Höhe schwer abzusehen ist und die deshalb in den Rückstellungen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Das Risiko, dass diese Kosten auf die Allgemeinheit, also die Steuerzahler abgewälzt werden, ist sehr hoch.

Von 2005 bis 2014 hat die RWE Power AG, eine Tochtergesellschaft der RWE AG, die die Tagebaue und die dazugehörigen Kraftwerke betreibt, kumulierte Rückstellungen in Höhe von 20 Mrd. Euro gebildet - für alle ihre Bergbauaktivitäten zusammengenommen. Sollte RWE Power AG Pleite gehen, muss theoretisch die Muttergesellschaft, also die RWE AG einspringen. Die geltenden Gesetze würden es der RWE AG jedoch erlauben, sich dieser Verantwortung zu entziehen, sie bräuchte dafür nur den Konzern umzustrukturieren.

Hinzu kommt, dass RWE nicht nur die Folgekosten für den Braunkohletagebau zu tragen hat, sondern auch noch für seine sieben Atomkraftwerke: Emsland, Gundremmingen B und C, Mülheim-Kärlich, Biblis A und B und Lingen.

Es lässt sich an drei Fingern abzählen, dass dieser Konzern, der heute schon hoch verschuldet ist, nicht in der Lage sein wird, die Nachfolgekosten zu schultern.


Ungesetzlich

Warum aber soll die Öffentlichkeit, allen voran die Menschen, die im Rheinischen Revier leben, eine Unternehmenstätigkeit dulden, die massiv ihre Existenz bedroht und einer ganzen Region ökologisch den Garaus macht mit auf Jahrzehnte unabsehbaren Folgen, wenn sie am Ende auf den Kosten sitzen bleibt? Warum soll sie eine Unternehmenstätigkeit dulden, die zudem geltendem Recht nicht entspricht, weil es bei der Genehmigung keine Umweltverträglichkeitsprüfung gab und RWE massiv gegen Artenschutzrichtlinien verstößt?

Die RWE Power AG hat im April 2012 bei der Bezirksregierung Arnsberg einen Sonderbetriebsplan nachgereicht. Sie will ihren massiven Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz dadurch wettmachen, dass sie derzeit landwirtschaftlich genutzte Flächen zu Ersatzlebensraum für die bedrohten Arten umgestaltet - eine völlig wirklichkeitsfremde Vorstellung. Der Sonderbetriebsplan ist bis heute nicht genehmigt. Die Genehmigung wäre aber erforderlich, wenn RWE die gesetzlichen Bestimmungen des Naturschutzes einhalten wollte.

Weitere Rodungen im Hambacher Forst sind deshalb ungesetzlich.

Stoppt Braunkohle!


QUELLEN: Der Artikel stützt sich vornehmlich auf zweiQuellen: die Arbeit von Dirk Jansen vom BUND,
www.bund-nrw.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvnrw/PDF_Dateien/Braunkohle/Materialien/BUNDhintergrund_Energiegewinnung_contra_Naturerbe_COP9.pdf
und das Gutachten der Institute FÖS und IASS zu den Rückstellungen,
www.boell.de/sites/default/files/2016-06_foes_iass_finanzielle_vorsorge_im_braunkohlebereich.pdf


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2083: In vier Jahren muss hier Schluss sein - Antje Grothus zum Hambacher Forst

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 31. Jg., November 2016, S. 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2016

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