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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1832: Demokratieabbau im Namen der Haushaltssanierung


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Fiskalpakt & Co.
Demokratieabbau im Namen der Haushaltssanierung

Von Ingo Schmidt



Nach vier Jahren am Tropf der Troika kann die griechische Regierung sich jetzt wieder durch die Neuausgabe von Staatspapieren finanzieren.


Im Frühjahr 2010 sorgten sich Investoren um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands und anderer Länder der Euro-Peripherie. Hintergrund waren die Staatsschulden, die als Folge der Weltwirtschaftskrise überall auf der Welt gestiegen waren. In der Euro-Peripherie wurde dieser Schuldenanstieg zunächst von ausländischen Kreditgebern finanziert. Letztere spekulierten auf Unterstützung der Gläubigerstaaten der Eurozone, wenn Zahlungsausfälle an den Rändern die Währungsunion bedrohen würden. Als private Gläubiger konnten sie diese Drohung durch das Herunterfahren ihrer Anlagen selbst herbeiführen.

Die Rechnung ist aufgegangen. Als die Zinsen in Griechenland und anderen Peripherieländern explodierten und die Finanzreserven nahezu aufgebraucht waren, setzte eine hektische Wirtschaftsdiplomatie ein, die über Beistandskredite die Zahlungsfähigkeit gewährleistete. Die an diese Kredite geknüpften Auflagen führten allerdings zu einem Absturz der Wirtschaft, der weitaus tiefer war als die Weltwirtschaftskrise 2008/2009. Erst infolge dieser sog. Rettungsmaßnahmen schoss die Staatsverschuldung richtig in die Höhe.

Wäre der Schuldenstand für Investitionsentscheidungen ausschlaggebend, wäre die Nachfrage nach griechischen Staatspapieren heute noch viel niedriger als vor vier Jahren. Ist sie aber nicht. Die institutionelle Runderneuerung der Eurozone, die als Teil des Krisenmanagements der letzten vier Jahre stattgefunden hat, konnte die private Anlegerschaft davon überzeugen, dass Schäuble, Merkel und ihre Euro-Entourage stets alles zur Sicherung ihrer Vermögen Notwendige tun werden.

Das Vertrauen der Investoren in die Eurozone ist wieder hergestellt, das Vertrauen der Masse der Bevölkerung aber nachhaltig gestört. Solange sich die in Gläubiger- und Schuldnerstaaten gleichermaßen verbreitete Euroskepsis aber nicht in sozialer Gegenmacht und alternativen politischen Projekten bündelt, können die Oberen mit dem Misstrauen des gemeinen Volkes ganz gut leben.


Neue Institutionen

Das turbulente Management der Euro-Krise mit seinen endlosen Gipfeltreffen und seiner Kakophonie von Lösungsvorschlägen wurde mittlerweile durch eine institutionelle Apparatur ersetzt, die politische Entscheidungen überflüssig machen soll. Künftig braucht es nur eine Handvoll Technokraten, die bei Erreichen bestimmter Grenzwerte vertraglich vereinbarte Maßnahmen einleiten. Der Europäische Fiskalpakt verpflichtet die Mitgliedsländer der Währungsunion auf ausgeglichene Haushalte und Schuldenabbau. Die Unterzeichnerstaaten haben sich zudem darauf verpflichtet, diese Zielvorgaben in ihren nationalen Verfassungen zu verankern. Ist die Regierung eines Landes der Meinung, der Fiskalpakt werde in einem anderen nicht eingehalten, kann sie dieses vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.

Zur Einhaltung des Paktes gehören Sanktionen, die automatisch in Kraft treten, sobald das strukturelle Defizit eines Landes 0,5% oder der Schuldenstand 60% des Bruttoinlandsproduktes übersteigt. Ein Abweichen von dieser Regel ist nur unter nicht näher definierten außergewöhnlichen Umständen erlaubt. Sanktionen können ausgesetzt werden, wenn eine Mehrheit der Unterzeichnerstaaten dem zustimmt.

Sollte es trotz der stabilisierenden Wirkung, die der Fiskalpakt auf Finanzmärkte und Wirtschaftsentwicklung haben soll, zu schweren Krisen kommen, tritt der Europäische Stabilitätsmechanismus in Kraft. Dieser regelt die Bedingungen, unter denen Eurostaaten Kredite zur Aufrechterhaltung ihrer Zahlungsfähigkeit erhalten. Kernbestandteil sind Auflagen zur Privatisierung, Absenkung sozialer Standards und Kostensenkungen, wie sie von den Beistandskrediten für Irland, Griechenland, Spanien und Portugal und unzähligen IWF-Krediten bekannt sind.

Eine Bankenunion soll bei künftigen Krisen verhindern, dass die öffentliche Hand für private Kreditausfälle aufkommt, wie dies in der Eurokrise seit 2010 der Fall war. Mit der Ankündigung, private Verluste nicht wieder sozialisieren zu wollen, kommen Regierungen und EU-Institutionen, die die Bankenunion auf den Weg gebracht haben, der nicht nur von linken Aktivisten geäußerten Kritik entgegen, der Eurorettungsschirm schütze die Reichen und stelle dafür alle anderen in den Regen.

Gemessen an den Abschreibungen, die während der Euro-Krise fällig wurden bzw. durch öffentliche Geldspritzen verhindert wurden, dürfte die Bankenunion allerdings deutlich unterfinanziert sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis gewiefte Anlagestrategen gegen einzelne Banken spekulieren, um der Einlagen der Bankenunion habhaft zu werden.


Zementierte Machtverhältnisse

Die institutionelle Aufrüstung der Eurozone ist auch als Bedrohung der Demokratie kritisiert worden. Im Namen der Bekämpfung defizitärer Staatshaushalte wird das seit langem beklagte Demokratiedefizit der EU nun in neue Höhen getrieben. Als Alternativen werden wahlweise die Ergänzung der Wirtschafts- und Währungsunion um eine Sozialunion und eine Euro-Demokratie oder eine Stärkung der Nationalstaaten gegenüber den EU-Institutionen vorgeschlagen.

In der Hoffnung auf eine Sozialunion und Euro-Demokratie haben die Sozialdemokraten die europäische Integration seit den Römischen Verträgen 1957 bis zu den institutionalisierten Rettungsschirmen unserer Tage unterstützt. Mit wenig Erfolg. Vielmehr sind sie selbst zu Repräsentanten eines neoliberalen Europa geworden. Auch ihre Zustimmung zum Fiskalpakt, Stabilitätsmechanismus und zur Bankenunion wurde nicht belohnt. Es ist deshalb kein Wunder, dass die Kritik am unsozialen und undemokratischen Charakter der EU immer mehr eine Rückkehr zur Stärkung des Nationalstaats gegenüber der EU anstrebt. Aber auch eine Renationalisierung zur Verteidigung sozialer und demokratischer Rechte hat ihre Tücken.

Es ist ja nicht so, dass eine Bande von neoliberalen Außerirdischen die EU geschaffen hätte, um soziale und demokratisch verfasste Nationalstaaten zu belagern und schließlich zur Unterwerfung unter die Regeln des Weltmarktes zu zwingen. Vielmehr haben die um den Neoliberalismus gruppierten Fraktionen des Kapitals und die sie unterstützenden Mittelklassen in einer Reihe von Ländern seit den späten 70er Jahren entscheidende Durchbrüche erzielt, die sie über die EU, aber auch über die Welthandelsorganisation und Freihandelsabkommen institutionell absichern konnten. Die Arbeiterbewegung und andere soziale Bewegungen haben diesen Prozess bestenfalls verlangsamen, aber nicht aufhalten oder gar umkehren können.

Wer an der gegenwärtigen sozialen und politischen Verfasstheit der EU bzw. ihrer Mitgliedsländer etwas ändern will, sollte nicht die abstrakte Frage "EU oder Nationalstaat?" stellen, sondern sich mit den konkreten Machtverhältnissen innerhalb und zwischen den EU-Mitgliedern befassen, um die Schwachstellen in den neoliberalen Linien auszumachen. Vorläufig ist es den neoliberalen Kräften gelungen, die bestehenden Machtverhältnisse durch den Aufbau neuer Institutionen zu zementieren, während sich die Ablehnung von Rettungsschirmen und Sparpaketen in einer Vielzahl einzelner Widerstandsaktionen verschlissen hat.


Idealisierter Nationalstaat

Die mittlerweile eingetretene Erschöpfung sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass das Misstrauen gegenüber dem Neoliberalismus geblieben ist. Es richtet sich gegen die EU und real existierende Nationalstaaten gleichermaßen. Dass der ungeliebten Realität oftmals ein idealisierter Nationalstaat gegenübergestellt wird, der wahlweise als Repräsentant der sozialen Demokratie oder als Verteidiger nationaler Eigenheiten vorgestellt werden kann, ist wenig verwunderlich. Zu sehr wurde die dunkelrote Fahne des proletarischen Internationalismus im vergangenen Jahrhundert in den stalinistischen Dreck getreten. Zu fadenscheinig war die hellrote Fahne des sozialdemokratischen Euro-Internationalismus, um die Kräfte des Neoliberalismus zu verdecken. Zu sehr wurden die Verbrechen und Verwüstungen, die im Namen der Nation begangen wurden, verdrängt und zur massenmedialen Unterhaltung bagatellisiert, um nationale Optionen dauerhaft zu diskreditieren.

Andererseits wurden in den vergangenen Kämpfen gegen die Sparpolitik Erfahrungen gemacht und Verbindungen, auch über Ländergrenzen hinweg, hergestellt, an die sich in Zukunft anknüpfen lässt. Die Entwarnung, die derzeit in Sachen Euro-Krise gegeben wird, hat ja auch mit dem Wunsch zu tun, die Europawahlen ohne allzu viele euroskeptische Wählerstimmen zu überstehen. Konflikte um die Einhaltung des Fiskalpakts sind aber schon vorprogrammiert, weil die Schuldenquoten quer durch die Eurozone weiterhin steigen - nicht zuletzt wegen des Zwangs zu Sparmaßnahmen, um die Haushalte zu sanieren.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 29. Jg., Mai 2014, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014