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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1646: Die Ablehnung, für die Schulden zu zahlen, wächst


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Sind wir Spielball oder Bürger?
Die Ablehnung, für die Schulden zu zahlen, wächst

Von Angela Klein



Immer mehr Europäer wollen für die Staatsverschuldung geradestehen. In immer mehr Ländern gibt es Initiativen und Kampagnen für die Schuldenstreichung und gegen den Fiskalpakt - so auch in Deutschland.


Schulden werden landläufig mit übermäßigen Ausgaben assoziiert, Schuldenabbau wird daher gleichgesetzt mit Ausgabenkürzungen.

Die Realität zeigt aber, dass sowohl private als auch öffentliche Schulden häufig wegen zu niedriger Einnahmen auflaufen. Im Falle der Staaten passiert das zumeist durch Verzicht auf Steuereinnahmen von den Vermögenden. Eine Politik der Ausgabenkürzungen setzt in diesen Fällen eine teuflische Spirale in Gang, die nicht etwa Schulden abbaut, sondern nur die Umverteilung von unten nach oben beschleunigt. Diese Schulden dienen ausschließlich als Knute der Gläubiger, um aus den Schuldnern jeden gewünschten Tribut und jedes Wohlverhalten zu erpressen. Da sie einge unerschöpfliche Quelle der Bereicherung darstellen sind sie bei Geldverleihern sehr beliebt. Eine Befreiung von diesen Schulden ist nicht durch Ausgabenkürzungen möglich, stattdessen muss das Joch der Gläubiger abgeschüttelt werden.

Der Gläubiger kann den einzelnen Schuldner leicht erpressen; der Schuldner kann den Gläubiger aber auch abschütteln, indem er es ablehnt, die Schulden weiter zu bedienen. Das ist nur eine Frage der Entschlossenheit und des Kräfteverhältnisses.


In den 80er und 90er Jahren waren die Länder des Südens in diese "Schuldenfalle" geraten; viele von ihnen befreiten sich entweder durch die Aushandlung eines Schuldenschnitts (diesen Weg gingen einige der ärmsten Länder der Welt nach dem G8-Gipfel 1999 in Köln) oder einseitig durch die Aufkündigung des Schuldendienstes (Mexiko, Argentinien, Ecuador).

In Ecuador begann die Regierung Correa nach ihrer Wahl 2008 die von der Vorgängerregierung benommenen öffentlichen Schulden zu evaluieren - zu 80% wurden sie als illegitim bewertet. Einen solchen Prozess nennt man Schuldenaudit, also Prüfung der Schulden. Die Prüfung dient der Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Schulden, also solchen die man zurückzahlt, und solchen, die man nicht zurückzahlt.

Als illegitim gelten Schulden dann, wenn sie auf korrupte Weise, zum Schaden für die Bevölkerung und die Umwelt, für nicht realisierte Projekte oder auch zu Wucherbedingungen aufgenommen wurden bzw. von den Gesetzen des Landes, das sie aufnahm, nicht gedeckt sind.

Neben der Frage der Legitimität gibt es allerdings noch ein weiteres Kriterium für die Bedienung des Schuldendienstes: das ist die Tragfähigkeit der Schulden. Wenn die Kosten für die Rückzahlung der Schulden unangemessen hoch sind, der Zwang, sie zurückzuzahlen, ein Land z.B. in die Armut stößt oder einer Regierung verunmöglicht, für die eigene Bevölkerung zu sorgen, dann gelten sie als "nicht tragbar". Völkerrecht...


Mit der Schuldenkrise, die seit der Übernahme der Schulden privater Banken durch die Staaten der Europäischen Union 2008-2009 (vor allem in der Eurozone) ausgebrochen ist und die viele Mitgliedsländer in die Insolvenz, jedenfalls aber in die Handlungsunfähigkeit treibt, ist die Diskussion um ein Schuldenaudit auch in den Ländern des Nordens angekommen.

Die Isländer haben den Anfang gemacht: Ihre Regierung weigerte sich, für die Schulden privater Banken aufzukommen (Icesave). Dafür wurde ihr Premierminister, Geir Haarde, vor Gericht gestellt, jedoch von den meisten Anklagepunkten freigesprochen.

Am 3. März 2011 forderten 115 Ökonomen, Akademiker, Parlamentarier und politisch Aktive aus der ganzen Welt ein öffentliches Schuldenaudit für Griechenland.

In Irland fordert ein im Januar 2012 gegründetes Kampagnennetzwerk aus Gewerkschaften, Gemeinden, kirchlichen Verbänden, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen die Einstellung der staatlichen Zahlungen an Gläubiger der pleite gegangenen Anglo-Irish-Bank. Ein Großteil der Schulden geht auf die staatliche Garantie für Privatbankenschulden aus dem Jahr 2008 zurück. Es stehen Schuldscheine - also Versprechen auf zukünftige Geldzahlungen an die Anglo-Bank - im Wert von 30 Milliarden Euro aus. Das Bündnis schätzt, dass in den nächsten zwanzig Jahren Kosten von bis zu 80 Mrd. Euro auf den irischen Staat zukommen werden.

Im Oktober 2011 gründete sich in Frankreich ein breites Bündnis für einen Schuldenaudit; inzwischen gibt es über 120 örtliche und regionale Komitees gegen die Schulden. Hier Auszüge eines Aufrufs des Bündnisses:


"Wir wollen nicht nur Zuschauer sein, wenn alles in Frage gestellt wird, was unsere Gesellschaften, in Frankreich ebenso wie in Europa, noch lebenswert machte.

Haben wir etwa zu viel für Bildung und Gesundheit ausgegeben - oder trocknen seit 20 Jahren Steuergeschenke die Staatshaushalte aus?

Wurden alle diese Schulden im Interesse des Gemeinwohls gemacht, oder ist ein Teil davon illegitim?

Wer besitzt die Schuldtitel und wer profitiert von den Kürzungen bei den staatlichen Ausgaben?...

Sind wir nur Spielball in den Händen der Aktionäre, der Spekulanten und der Gläubiger? Oder sind wir noch Bürger, die gemeinsam über unsere Zukunft entscheiden wollen?

Wir wollen unsere Anliegen selber in die Hand nehmen, damit die Demokratie wieder auflebt."

Die Webseite der Initiative, www.audit-citoyen.org, hat drei Schwerpunkte: toxische Anleihen; Kampf gegen Sozialkürzungen; die Politik der Troika und der Widerstand dagegen.


In Deutschland hat sich ein erster Ansatz für ein Komitee gegen die Schulden am Rande der europäischen Aktionskonferenz Ende Februar in Frankfurt/M gebildet, bislang vor allem von Attac und Erlassjahr getragen. Das Komitee, das sich bei den Krisenaktionstagen in Frankfurt/M Mitte Mai öffentlich präsentieren wird, will Fachkompetenz zum Thema Verschuldung versammeln, die es Bewegungen vor Ort zur Verfügung stellen kann. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Verschuldung der Kommunen, vor allem im Ruhrgebiet.

Am Wochenende vom 7./8. April gründeten etwa 60 Aktivisten aus zwölf europäischen und arabischen Ländern in Brüssel auf Einladung des Netzwerks CADTM ein internationales Netzwerk zum Thema Schulden. Aus Deutschland waren Attac und die Rosa-Luxemburg-Stiftung dabei. Sie vereinbarten einen europaweiten Aktionstag im Oktober gegen den Fiskalpakt sowie die Austeritätspolitik und für Solidarität mit den Menschen in Griechenland. Das nächste Vernetzungstreffen findet in Frankfurt am Main am Rande der Krisenaktionstage vom 16. bis 19. Mai statt (siehe sozonline.de).

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 27.Jg., Mai 2012, Seite 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012