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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1527: Das deutsche Stiftungsunwesen und dessen Krönung, die Bertelsmann Stiftung


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!


Gemeinnützigkeit für Eigennutz?
Das deutsche Stiftungsunwesen und dessen Krönung, die Bertelsmann Stiftung

Von Peter Vollmer

In Deutschland sanken in den vergangenen 10 Jahren die Nettolöhne um 4%, während Einkommen aus Unternehmen und Vermögen um 30% zunahmen. Dieser Entwicklung zur Folge wuchs das Volksvermögen des obersten Zehntels von 58 auf 61%, während beim Rest der Anteil von 42 auf 39% sank; die untere Hälfte verfügt gar nur über 0%, höchstens über Schulden. Statt durch eine entsprechende Politik die Unterschiede zu verkleinern, geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Vor diesem Hintergrund muss wohl das Stiften betrachtet werden.


Stiftungsgründungen boomen

Zum Jahresende betrug die Zahl der rechtsfähigen Stiftungen 18.162. In den vergangenen 20 Jahren wurden mehr als 13.000 Stiftungen neu gegründet, während es in den 100 Jahren von 1850 bis 1950 lediglich 1.439 Neugründungen gab. Ein wahrlich rasantes Wachstum. Die Anzahl der kleineren, nicht rechtsfähigen Stiftungen wird auf 10.000-100.000 geschätzt.(1)

Wenn auch die ungleiche Vermögensverteilung jeglicher Rechtfertigung entbehrt, so ist doch die Bereitschaft einiger Reicher, etwas vom eigenen Vermögen abzugeben, zu spenden oder zu stiften durchaus begrüßenswert. Problematisch wird dieser Vorgang erst dann, wenn schon bei Gründung einer Stiftung alle Steuerzahler durch die überhaupt nicht zwingende Anerkennung der Gemeinnützigkeit mittelst Steuervergünstigungen unfreiwillig daran beteiligt werden. Derzeit betrifft das 94% der rechtsfähigen Stiftungen, also die überwiegende Mehrheit.


Steuerersparnisse durch Gemeinnützigkeit

Im Jahre 2007 trat das "Gesetz zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements" in Kraft. Damit wurden die Steuervergünstigungen noch einmal auf das derzeitige Niveau angehoben:

Innerhalb von 10 Jahren kann jeder Stifter insgesamt 1.000.000 Euro unversteuert in den Vermögensstock einer Stiftung einbringen. Grundsätzlich können jedes Jahr 20% des Einkommens von der Steuer abgesetzt werden.

Jedes Jahr kann der Stifter zusätzlich 20.000 Euro von der Einkommensteuer absetzen.

Da Stiftungen und Spenden später nicht verschenkt oder vererbt werden, entfallen die entsprechenden Erbschaftsteuern, die bei hohen Freibeträgen gestaffelt bis 50% betragen.

Renditen aus dem Stiftungsvermögen müssen nicht versteuert werden.

Da die Steuervergünstigungen kumulativ sind, verzichtet der Staat auf Steuereinnahmen, die weit mehr als 50% des gestifteten Vermögens betragen.


Mäzenatentum versus Demokratie

Der Stifter legt den Stiftungszweck alleine fest. Für die Anerkennung von Gemeinnützigkeit bestimmt der Staat allerdings in der Abgabenordnung, bei welchen Zielen Steuerbefreiung gewährt werden kann. Die Ziele reichen von Erziehung und Volksbildung über Völkerverständigung, religiöse Vereine, Volkssport bis hin zu Mildtätigkeit. 94% der rechtsfähigen Stiftungen bewegen sich in dieser Bandbreite. Die Steuerzahler und deren parlamentarische Vertreter sind aber von der konkreten Festlegung der Stiftungszwecke ausgeschlossen. Das so verankerte Mäzenatentum tritt demokratische Entscheidungsprozesse mit Füßen, eine derartige Gesetzgebung zementiert tatkräftig ein Zurück in die Zukunft.


Das Prinzip der Doppelstiftung

Noch viel problematischer werden die Steuervergünstigungen bei großen Firmenstiftungen. Immer mehr Konzerne wie zum Beispiel Bertelsmann, Bosch, Thyssen, Ikea, VW, um nur ein paar zu nennen, bedienen sich dieses Modells. Dabei erhält eine gemeinnützige Stiftung die meisten Kapitalanteile des Konzerns. Bei Bertelsmann sind das 77% der Bertelsmann AG, bei Bosch sogar 92%. Die restliche Beteiligung liegt dann bei einer zweiten, nicht gemeinnützigen Stiftung, einer Verwaltungs-GmbH oder einer anderen privaten Gesellschaft, die der Stifterfamilie gehört.

Bei einer derartigen Konstruktion (Doppelstiftung!) liegt also der größte Teil der Kapitalbeteiligung bei der gemeinnützigen Stiftung. Die gemeinnützige Stiftung erhält aber keine Stimmrechte. Diese werden in ihrer Mehrheit oder auch zur Gänze auf die kleinere private Gesellschaft übertragen. Damit entscheiden die Familien allein über Wohl und Wehe des Konzerns und beider Stiftungen. Die Rendite aus den Kapitalanteilen muss allerdings von der gemeinnützigen Stiftung für ihre Stiftungszwecke verwandt werden. Der kleinere Anteil der Rendite steht den Familien zur Verfügung. Dieser kleinere Anteil ist ab er wegen der Größe der Konzerne und deren Rendite mehr als ausreichend für einen luxuriösen Lebensstil.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Macht der reichen Stifterfamilien durch das Modell der Doppelstiftung schneller wächst als sonst, indem sie eben nicht nur alle drei Gesellschaften selbst beherrschen, sondern weil der Steuerzahler auch noch ungefragt seinen Teil dazu beiträgt.

Die Grünen hatten 2006 einen Anlauf genommen, das Modell der Doppelstiftung zu unterbinden bzw. von der Gemeinnützigkeit auszunehmen. Sie konnten sich allerdings gegen die umfangreiche Lobbyarbeit der Konzernherren nicht durchsetzen. Übrig von dieser Initiative blieb das oben beschriebene "Gesetz zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements".


Die Bertelsmann Stiftung(2)

Die Rendite der Bertelsmann AG, die international 100.000 Mitarbeiter beschäftigt, betrug schon im Jahre 2002 928 Millionen Euro. Es kann demnach angenommen werden, dass heute eine jährliche Rendite von mehr als einer Milliarde Euro erwirtschaftet wird. Davon stünden der Bertelsmann Stiftung 770 Millionen Euro (77%) zu. Im Jahr 2008 hat sie 77 Millionen Euro ausgegeben, also lediglich ein Zehntel von dem, was sie nach Gesetz zeitnah ausgeben müsste.

Die Vorstandsgehälter der Bertelsmann AG können durchaus mit denen der Deutschen Bank konkurrieren. Schon 2001 erhielt der Vorstand insgesamt 64 Millionen Euro als Vergütung. Der Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff erhielt allein einen Bonus von 20 Millionen Euro.

Der Wert der Bertelsmann AG betrug 2009 ungefähr 2.000.000.000 Euro (20 Milliarden). Die Bertelsmann Stiftung hielt einen Kapitalanteil von 77%. Als Reinhard Mohn starb, fielen Erbschaftsteuern in Höhe von damals 30% (heute 50%) an. Die dem Staat durch die Stiftungskonstruktion entgangene Erbschaftsteuer betrug 4,62 Milliarden Euro.

Reinhard Mohn hat die Stiftungssatzung immer wieder zugunsten seiner Familie verändert und ergänzt. Heute räumt die Satzung der Witwe Liz Mohn alle Rechte ein. In der Hierarchie der Stiftung steht die Familie Mohn für immer und ewig an oberster Stelle. Es ist etwas entstanden, was es eigentlich. nicht geben dürfte: eine gemeinnützige, steuerbegünstigte Familienstiftung.


Bertelsmann Republik Deutschland

Inhaltlich ging es Reinhard Mohn immer um die Verwirklichung eines stringenten Neoliberalismus. Rationalisierung, Benchmarking, Outsourcing und schlanke Verwaltung waren Bezugsgrößen, deren Umsetzung er international vorangetrieben hat. Dabei hatte er Kommunikationsmedien, Unternehmensverfassungen, Institutionen des Sozial- und Gesundheitsbereichs, Bildung sowie überhaupt eine Vielzahl staatlicher Aufgabenbereiche im Auge. Infolgedessen erhielt Mohn massenhaft Aufträge aus der Politik für Analysen, Gutachten und Vorschläge, in denen er über die operative Tätigkeit der Bertelsmann Stiftung seine Vorstellungen "wissenschaftlich" untermauern und in die Tat umsetzen lassen konnte.

Das reichte und reicht von der Einführung von Vergleichsarbeiten in der Grundschule über die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld- und Sozialhilfeempfängern durch die Hartz-Gesetze bis hin zum Schreiben der "Ruckrede" von Bundespräsident Herzog. Man kann hier kaum noch von Lobbyarbeit sprechen, sondern muss die Bertelsmann Stiftung mit ihren 330 Mitarbeitern eher als festen Bestandteil des Staates betrachten. Bundespräsident Rau brachte es anlässlich des 25jährigen Bestehens der Stiftung Mohn gegenüber auf den Punkt: "Sie haben Vorschläge gemacht und wir haben sie angenommen. Auf diese Weise wären wir beide geehrt."


Gemeinnützigkeit - ja oder nein?

Durch die Anerkennung von Gemeinnützigkeit verzichtet der Staat auf erhebliche Steuereinnahmen, die er dringend benötigte. Er spekuliert darauf, dass Stiftungen Aufgaben der Daseinsfürsorge übernehmen, die er sonst selbst finanzieren müsste. Damit gibt er aber Gestaltung und demokratische Kontrolle aus der Hand. Und der oben beschriebene Missbrauch, der mit den Doppelstiftungen betrieben wird, lässt sich in keiner Weise rechtfertigen.

Wäre es nicht demokratischer, wenn der Staat die für seine Aufgaben benötigten Mittel über Steuern einnähme, und dann frei von Einflüssen Gegenwart und Zukunft gestalten könnte? Spielräume sind bei Einkommensteuer und Besitzsteuern in Deutschland reichlich vorhanden.

Spenden und Stiften wäre weiterhin möglich, der Steuerzahler müsste sich nicht unfreiwillig daran beteiligen. Bei Wegfall der Steuerbegünstigung blieben ja zwei Drittel durchaus erhalten, es fiele nur das zusätzliche Drittel weg, das die Steuerbegünstigung ausmacht.


ANMERKUNGEN

(1) Bei den kleineren nichtrechtsfähigen Stiftungen handelt es sich mehr oder weniger um eine treuhänderische Verwaltung eines Vermögens. In diesem Fall kann das Vermögen gänzlich ausgegeben werden, während es bei der rechtsfähigen Stiftung bis in alle Ewigkeit erhalten werden muss. Gemeinnützigkeit ist in beiden Fällen möglich.

(2) Daten und Fakten wurden dem 2010 im Campus Verlag erschienenen Buch von Thomas Schuler, Bertelsmann Republik Deutschland - eine Stiftung macht Politik entnommen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 26.Jg., April 2011, S. 9
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2011