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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1451: Fragen an Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Eine bündnisfähige Forderung
Fragen an Guido Grüner (ALSO, Oldenburg)

Von Peter Nowak


Die zentrale Herbstdemonstration gegen das Sparpaket organisiert ein Bündnis von Erwerbslosenorganisationen in Oldenburg. Peter Nowak befragte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO) Oldenburg.


SOZ: Nach den Anti-Hartz-Protesten gab es kaum noch Widerstand unter Erwerbslosen. Beginnt sich das zu ändern?

GUIDO GRÜNER: Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System. Das war so seit der Einführung 2005, das ist es heute umso mehr, als der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder: Die Leistungen für Kinder wurden in Hartz IV gegenüber der alten Sozialhilfe direkt gekürzt. Hiergegen regt sich schon lange Widerstand. 2009 brachte er erste Erfolge: eine Schulbeihilfe von 100 Euro jährlich zum 1.8.2009 und ein monatlicher Zuschlag für Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren um rund 35 Euro seit dem 1.7.2009. Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben.

Andere Erwerbslose klagten gegen Hartz IV und gingen bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort wurde dem Gesetzgeber die Verletzung der Menschenwürde durch Hartz IV und dessen unzureichende Leistungen vorgehalten. Demnach müssen die Leistungen bis zum 1.1.2011 "realitätsgerecht und nachvollziehbar" neu festgesetzt werden.

Damit wurde den Regierungsparteien ein Gesetzgebungsverfahren aufgezwungen, das Erwerbslosennetzwerke nutzen wollen. Wir greifen einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens heraus, um deutlich zu machen, dass die Hartz-IV-Leistungen spürbar angehoben werden müssen.

SOZ: Ist die Forderung nach 80 Euro mehr nicht sehr bescheiden?

GUIDO GRÜNER: Viele kritisieren uns deswegen. Vermutlich haben sie unsere Forderung noch nicht verstanden und sind über das politische Umfeld unserer Forderung im Unklaren.

Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, und sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen die Arbeitnehmer unter Druck.

Wir wollen diese Entwicklung durch eine Forderung nach höherem Einkommen stoppen - was wir anhand der heutigen Unterversorgung im Bereich der Ernährung konkret erklären können. Wenn wir diese Forderung durchsetzen, stellen wir mehr in Frage, denn wir gehen damit über die bloße Forderung "mehr Sozialhilfe" hinaus. Wir legen den Finger in die Wunde gesellschaftlich untragbarer Zustände wie die Mangelernährung in Hartz IV, die schikanösen Arbeitsverhältnisse bei Discountern oder die ärmlichen Erzeugerpreise für die Milchbauern...

Wir ordnen unsere Forderung ein in den Streit für ein menschenwürdiges Leben, existenzsichernde Leistungen und Mindestlöhne oberhalb der Armut. 80 Euro mehr für gesunde Ernährung steht der Forderung nach einer deutlich höheren Regelleistung oder einer repressionsfreien Grundsicherung überhaupt nicht entgegen. Wir setzen einen thematischen Schwerpunkt und wollen für unsere Forderung gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen, uns Bündnismöglichkeiten eröffnen.

Die Auswertung der EVS-Stichprobe durch das Statistische Bundesamt für die Festsetzung der Höhe des Eckregelsatzes soll bis Ende September vorliegen. Wir gehen Anfang Oktober auf die Straße, weil dann der Gesetzgebungsprozess anlaufen wird. Wir wollen, dass die Parlamentarier ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen.

SOZ: Hat sich die Zusammenarbeit zwischen den gewerkschaftlichen und den unabhängigen Erwerbslosengruppen verbessert?

GUIDO GRÜNER: Die Forderung und die Ausrichtung unserer Kampagne sind das Ergebnis regelmäßiger Treffen von fünf Erwerbslosennetzwerken und zwei Erwerbsloseninitiativen mit überregionaler Bedeutung in der ersten Jahreshälfte 2010. Dort haben wir zum einen an die Zusammenarbeit bei der Kinderkampagne oder bei der Initiative "Keiner muss allein zum Amt" angeknüpft, die spektrenübergreifend Erfolge brachten. Zu diesem Erfolg hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen erheblich beigetragen.

Zum anderen wurde eine Brücke zur sog. "Triade" geschlagen, also der Forderung: 500 Euro Eckregelsatz, 10 Euro Mindestlohn, 30-Stunden-Woche. Denn die Forderung "80 Euro mehr für Ernährung" greift ein zentrales Moment der Triadenargumentation auf.

Dabei spielte - das sei aus Sicht der ALSO betont - keine Rolle, ob die Erwerbslosen den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen oder neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind. So könnte es weiter gehen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 25.Jg., Oktober 2010, S. 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2010