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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1446: Wie die Ölkonzerne die US-Regierung an der Nase herumführen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Macht der Lobbyisten
Wie die Ölkonzerne die US-Regierung an der Nase herumführen

Von Tomas Konicz


Wie es aussieht, muss BP zwar zahlen, darf aber weiter bohren, auch in großen Tiefen. Die neuen Richtlinien sind in wichtigen Punkten zahnlos.


Umweltschützer in den USA schlagen Alarm: Die neuen Richtlinien zu Tiefseebohrungen, die am 16. August von der US-Regierung erlassen wurden, sollten eigentlich eine umfassende Verschärfung der Sicherheitsstandards und deren strickte Überwachung einführen. Stattdessen seien wieder "Schlupflöcher" in die neuen Regelungen zur Ölförderung auf hoher See eingebaut worden, klagten die Aktivisten gegenüber der US-amerikanischen Tageszeitung Christian Science Monitor. Wenn in ein paar Monaten das derzeitige Moratorium für Tiefseebohrungen im Golf von Mexiko aufgehoben sei, könnten neue Bohrlizenzen auf der Grundlage einfacher "Umwelteinschätzungen" erteilt werden, warnt Richard Charter von der Umweltschutzorganisation Defenders of Wildlife.

Bei diesen "Umwelteinschätzungen" handelt es sich Charter zufolge um "oberflächliche Dokumente von wenigen Seiten Umfang", deren Anfertigung leicht zu einer bloßen Formalität verkommen kann. Bei der Vergabe künftiger Bohrgenehmigungen seien hingegen umfangreiche Umweltstudien notwendig. Obwohl US-Innenminister Ken Salazar Mitte August abermals beteuerte, die künftigen Bohrgenehmigungen würden auf der Grundlage "vollständiger Informationen" über ihre "potenziellen Konsequenzen für die Umwelt" erteilt werden, sind gerade diese als "Environmental Impact Statement" bezeichneten, umfangreichen Umweltstudien in den neuen Regelungen nicht ausdrücklich vorgesehen.


Gekauft...

Die neuen Richtlinien, die als Konsequenz aus der größten Ölkatastrophe in der US-Geschichte eine Verschärfung der Sicherheitsstandards versprechen, bleiben also in einem wichtigen Punkt vage und zahnlos. Die Investitionen in zusätzliche Lobbyarbeit, die die einflussreiche amerikanische Öllobby nach dem Ausbruch der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko getätigt hat, scheinen sich ausgezahlt zu haben. Wie die Los Angeles Times am 21. Juli meldete, hat allein die wichtigste Lobbygruppe der Ölindustrie, das American Petroleum Institute, seine Ausgaben für Lobbytätigkeit nahezu verdoppelt. Nach der verhängnisvollen Explosion auf der Ölplattform Deepwater Horizon am 20.April habe das Institut innerhalb von drei Monaten an die 2,3 Millionen US-Dollar zur Beeinflussung der politischen Willensbildung in Washington ausgegeben.

Der Verursacher der gigantischen Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, der Ölmulti BP, verfügt seit Jahren über beste Kontakte zu höchsten US-Regierungskreisen. Nach dem 20. April verstärkte der Energiekonzern seine Präsenz in Washington noch, indem er weitere Lobbyfirmen, Anwaltskanzleien und Public-Relations-Experten unter Vertrag nahm. Dabei verlässt sich BP zumeist auf Politveteranen, die über beste Kontakte zur derzeitigen Administration verfügen.

So vertritt bspw. die Anwaltskanzlei WilmerHale den Konzern vor den anstehenden Untersuchungsausschüssen der Regierung und des Kongresses. WilmerHale befindet sich im Besitz von Jamie Gorelick, die in der Clinton-Administration den Posten der stellvertretenden Generalstaatsanwältin bekleidete.

Ähnlich verhält es sich mit der für BP tätigen Lobbyfirma Duberstein Group, die von Ken Duberstein geleitet wird, einem engen Berater von Präsident Ronald Reagan. Die von BP angeheuerte Lobbykanzlei Podesta Group befindet sich hingegen im Besitz von Tony Podesta, dem Bruder von John Podesta, dem ehemaligen Stabschef des Weißen Hauses unter Bill Clinton. John Podesta spielte auch eine wichtige Rolle bei der Zusammenstellung des Wahlkampfteams des derzeitigen US-Präsidenten Barack Obama.

Im 2. Quartal 2010 stiegen BPs direkte Ausgaben für Lobbytätigkeit - die nach amerikanischem Gesetz veröffentlicht werden müssen - beim Kongress um 6,3% gegenüber dem Vorquartal auf 1,7 Mio. US-Dollar; ein Schwerpunkt der Lobbytätigkeit sei die Einflussnahme auf die neuen Richtlinien zu Tiefseebohrungen gewesen. Das Wall Street Journal meldete am 27. Mai, der Ölmulti fürchte vor allem "eine dramatische und teure Verschärfung der Regeln" bei der Ölförderung auf hoher See: "Das Unternehmen will Einschränkungen bei neuen Bohrungen vermeiden", zitierte es Lobbyisten.


...und korrupt

Generell gilt BP als einer der lobbyfreudigsten Ölkonzerne, laut Wall Street Journal hat er seit 2004 etwa 625 Mio. US-Dollar zur Durchsetzung seiner Interessen in Washington eingesetzt. Die gesamte Öl- und Gasindustrie spendete nach Angaben der NGO Centers for Responsive Politics allein 2008 fast 132 Mio. Dollar an Politiker. Entsprechend löchrig sind alle Richtlinien und Gesetze, die das Geschäftsfeld der mächtigen amerikanischen Energiemultis auch nur im entferntesten berühren.

Die persönliche Verfilzung von Politik und Kapital war bei der für die Energiebranche zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Mineral Management Service (MMS), so weit fortgeschritten, dass diese umstrukturiert und am 21. Juni in das Bureau of Ocean Energy Management, Regulation and Enforcement umbenannt werden musste. Die Korruption im MMS wurde durch seine weitverzweigten Zuständigkeiten befördert, weil die Behörde für Sicherheitsstands und Umweltauflagen bei der Ölförderung genauso zuständig war, wie für Lizenzeinnahmen aus der Förderung von Energieträgern. Der Interessenkonflikt war vorprogrammiert: Niedrigere Umweltstandards und Sicherheitsvorkehrungen bedeuteten im Umkehrschluss höhere Einnahmen - zuletzt waren es circa 13,7 Milliarden US-Dollar jährlich.

Die größte Handlungsfreiheit konnte die amerikanische Ölindustrie während der Regentschaft des konservativen US-Präsidenten George W. Bush erringen. In dieser Zeit konnten Ölkonzerne oftmals ohne Anfertigung jedweder Umweltstudie mit neuen Bohrungen beginnen. Im Rahmen von Ausnahmegenehmigungen (sog. categorical exclusions) durften neue Gas- und Ölbohrungen auf öffentlichem Gelände im Schnellverfahren aufgenommen werden, sofern in derselben Region bereits Energieträger gefördert wurden. Dieser Gummiparagraf kam bei Tausenden von Genehmigungsverfahren zur Anwendung.


Kontrolle ist besser als Selbstüberwachung

Doch auch unter Präsident Barack Obama blieb die vom MMS auszuübende Aufsicht über die Ölbranche rein symbolisch. Die Behörde verließ sich auf die Selbstüberwachung und Selbstregulierung durch die Energiekonzerne, obwohl die Störfälle bei der Energiegewinnung in den USA sich zuletzt häuften. So kam die New York Times in einem Artikel Anfang Mai auf 1433 schwere Zwischenfälle im Zeitraum von 2001 bis 2007, bei denen 41 Menschen zu Tode kamen und 302 verletzt wurden. In 356 Fällen trat hierbei Rohöl in größeren Mengen aus. "Dennoch fährt die US-Agentur fort, der Industrie zu erlauben, sich größtenteils selbst zu überwachen", konstatierte die New York Times. Zur Begründung habe der MMS erklärt, "dass die besten technischen Experten für die Industrie arbeiten, und nicht für die Regierung".

Eine erfolgreiche Lobbykampagne der Ölindustrie 2009, an der BP führend beteiligt war, verhinderte sogar die Einführung von Sicherheitsmaßnahmen, mit deren Hilfe die Katastrophe im Golf von Mexiko wahrscheinlich hätte abgewendet werden können. Die Ölkonzerne waren laut New York Times gemeinsam gegen "striktere Sicherheits- und Umweltstandards und häufigere Inspektionen" der Unterwasser-Förderanlagen vorgegangen. Damals habe die Ölbranche argumentiert, dass "zusätzliche Regulierungen für Tiefseebohrungen nicht notwendig" seien. BP habe zudem "den MMS gedrängt, den Unternehmen zu erlauben, Sicherheitsschritte in Eigenregie einzuleiten".

In den Jahren 2004 und 2009 hatte der Mineral Management Service alle an Tiefseebohrungen beteiligten Unternehmen - also auch BP - sogar ausdrücklich aufgefordert, zusätzliche Sicherheitssysteme bei ihren Ölplattformen einzubauen, die einen eventuellen Austritt von Rohöl bei Havarien verhindern können. Doch der MMS verzichtete darauf, diese Sicherheitsstandards auch durchzusetzen. Stattdessen gab sich die Regulierungsbehörde wieder einmal mit Beteuerungen der Industrie zufrieden, sie habe das Problem "unter Kontrolle".


Tomas Konicz lebt nahe Poznan und arbeitet als freier Journalist.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 25.Jg., September 2010, S. 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010