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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1385: Zum Tarifabschluß der IG Metall


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Schulterschluss mit den Bossen
Zum Tarifabschluss der IG Metall[*]

Von Thies Gleiss


Sie wollte es der Chemiegewerkschaft gleich tun, also vereinbarte die IG Metall zwei Monate vor Ablauf ihres Lohn- und Gehalttarifvertrages mit den Unternehmern sog. Sondierungsgespräche. Vorbei an der betrieblichen und innergewerkschaftlichen Vorbereitungsdebatte zur neuen Tarifrunde, trafen sich IG-Metall-Experten mit Vertretern des Arbeitgeberlagers. Das Ziel: eine "gemeinsame Antwort" auf die Krise der Metall- und Elektroindustrie und die Ausarbeitung von Vorschlägen für eine vorzeitige Beendigung der Tarifrunde 2010. Leider geben die "Pilotabschlüsse" aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg auf die Frage "Wie kämpfen in der Krise?" keine überzeugende Antwort.

Die wichtigsten Bereiche der Metallindustrie - Automobilsektor, Maschinen- und Anlagenbau - befinden sich in der tiefsten Absatzkrise seit Jahrzehnten. Dreiviertel der Betriebe haben sich der simplen Logik "Es gibt keine betriebliche Lösung der Krise" unterworfen und Lohnsubventionierung durch gesetzliche Kurzarbeitsregelungen in Anspruch genommen. Die Beitragszahler zur Sozialversicherung und die Steuerzahler haben also den privaten Unternehmern unter die Arme gegriffen. Die flächendeckende Ausdehnung der Kurzarbeit führte natürlich zu Einkommensverlusten der Beschäftigten, weil immer nur ein Teil der Lohnverluste abgedeckt wird. Es bleibt jedoch unbestritten, dass die überbetriebliche - wenn man so will, politische - Maßnahme "Kurzarbeit" Hunderttausende Arbeitsplätze gesichert hat.

Die IG Metall hätte diese Situation für eine neue Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung - bei kriselnden und florierenden Unternehmen - nutzen können und müssen, denn durch die Kurzarbeit war der Boden dafür bereitet. Allein die früheren Krisen des 19. und 20. Jahrhunderts zeigen, dass die Gewerkschaftsbewegung auf die aktuelle tiefe Strukturkrise des Kapitalismus mit einem massiven Kampf um Arbeitszeitverkürzung reagieren muss, wenn verhindert werden soll, dass die Kosten der Krise auf die Beschäftigten und Erwerbslosen abgewälzt werden.

Es gibt keine betriebliche Lösung der Krise - diese Erkenntnis machen zur Zeit Tausende von Betriebsräten und Vertrauensleuten. Sie werden zu betrieblichen Sondertarifverträgen gezwungen, die in der Summe nichts als Verzicht bedeuten und den Konkurrenzkampf um die schlechtesten Löhne und Arbeitsbedingungen vorantreiben.

In vielen IG-Metall-Strukturen wurden deshalb Forderungen erhoben und beschlossen, dass in der neuen Tarifrunde zwei Bedingungen erfüllt sein müssen: Es darf kein Abschluss erfolgen, der den Betriebsräten in den Einzelbetrieben wesentliche Teile der Umsetzung der Tarifvereinbarung aufbürdet. Und die Laufzeit des Vertrags sollte kurz sein, weil der weitere Verlauf der Krise, insbesondere der Anstieg der Inflation, nicht absehbar ist.

Die jetzt vereinbarten "Pilotabschlüsse" fallen dieser Stimmungslage komplett in den Rücken. Es wurde ein sog. Jobpaket vereinbart, das zunächst ein klassischer Vertrag zulasten Dritter ist. Durch Aufteilung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf alle zwölf Monate werden die Unternehmer von einem Teil der "Remanenzkosten" der Kurzarbeit befreit - das sind Lohnkostenbestandteile, die trotz Arbeitszeitverkürzung weiterlaufen. Das monatliche Kurzarbeitergeld vom Arbeitsamt steigt, gleicht die Verluste bei Weihnachts- und Urlaubsgeld aber natürlich nicht aus. Zahlen darf diesen Abschluss also die Agentur für Arbeit. IG Metall und Arbeitgeberverband "gehen fest davon aus", dass die entsprechenden gesetzlichen Regelungen in naher Zukunft erfolgen. Zusätzlich können die Betriebsparteien eine weitere "tarifliche Kurzarbeit" vereinbaren, bei der die Arbeitszeit noch einmal für sechs Monate auf bis zu 26 Wochenstunden gekürzt werden kann. Dafür gibt es lediglich einen minimalen Entgeltausgleich. Für all die Verluste der Beschäftigten gibt es dann ein Versprechen der Unternehmer, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.

Die IG Metall ist bekanntlich nicht die IG BCE. Sie ist auf Tausende von Klein- und Mittel- und auf wenige Großbetriebe verteilt. Es ist absehbar, dass die Mehrheit der Betriebsräte nicht in der Lage sein wird, in ihrem Betrieb so etwas umzusetzen, zumal es ja auch nicht um attraktive Dinge geht, sondern immer nur um die Regelung von Verzicht.

Die Hauptprobleme in den Betrieben sind heute der Umgang mit Leiharbeitern und Befristeten sowie die Übernahme der Auszubildenden. Zu den ersten beiden wurde nichts vereinbart, bei den Azubis soll immerhin geprüft werden, ob sie irgendwie verbilligt untergebracht werden können.

Was das Geld betrifft, ist der Tarifabschluss ein Versprechen, die Reallöhne zu sichern, das höchstwahrscheinlich nicht gehalten werden kann. Neben einer Einmalzahlung von 320 Euro für die Monate bis März 2011 wurden 2,7% Tabellenerhöhung bis April 2012 vereinbart - auch hier schon wieder und ohne Not mit betrieblichen Verzögerungsmöglichkeiten. Die Krisenexperten von Bundes- und Eurobank propagieren offen die Abkehr von einer inflationshemmenden Politik und wünschen geradezu eine Preissteigungsrate von 4%. Da sehen die IG Metaller im nächsten Jahr ziemlich alt aus.

So bleibt als Fazit: Die IG Metall rühmt sich, neue Pfade der Tarifpolitik beschritten zu haben. Neu sind die Pfade leider nicht. Es geht um die reibungslose Organisierung von Verzicht, die freiwillige Preisgabe solcher Mittel wie Warnstreik und Streik und um die Vertrieblichung der Gewerkschaftsarbeit in einer Zeit, wo all dies gerade nicht gemacht werden sollte, wenn die IG Metall noch eine Zukunft haben möchte.


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Anfang März ging die diesjährige Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie zu Ende. Sie stand im Zeichen der Krise. Erstmals in ihrer Geschichte ging die IG Metall ohne Lohnforderungen in die Verhandlungen. Der IG-Metall-Vorstand erklärte, er wolle ein möglichst rasches Ergebnis in zentraler Verhandlung, noch vor Ablauf des gültigen Tarifvertrags. Das übliche Prozedere - die Vertrauenskörper machen Forderungsvorschläge, der Vorstand gibt eine Lohnempfehlung, dann gibt es Warnstreiks und am Schluss einigt man sich - war suspendiert.

Im Pilotbezirk NRW kam es Mitte Februar zu einem Ergebnis. Dessen wichtigste Bestandteile sind: eine Einmalzahlung von 320 Euro für April bis Dezember 2010, eine weitere Tariferhöhung von 2,7% ab dem 1.4.2011. Gesamtlaufzeit 23 Monate. Weitere Punkte sind eine tarifliche Vereinbarung über die Verlängerung von Kurzarbeit und die Möglichkeit der Arbeitszeitverkürzung mit einem begrenzten Lohnausgleich, der auch darauf beruht, dass die Regierung bereit ist, diese Zeiten beitragsfrei zu stellen.

Größere Proteste aus den Betrieben über das Ergebnis sind nicht bekannt. Doch führten der Ablauf der Tarifrunde und das Ergebnis zu Kontroversen innerhalb der Gewerkschaftslinken. Die Beiträge von THIES GLEISS und UDO BONN beleuchten die verschiedenen Argumente. Über weitere Debattenbeiträge in dieser Kontroverse würden wir uns freuen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 25. Jg., April 2010, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2010