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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1339: Das Netzwerk Auto diskutiert Wege aus der Krise


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Eine Allianz für Jobs und Klima
Das Netzwerk Auto diskutiert Wege aus der Krise

Von Angela Klein


Die Automobilindustrie, mit etwa 800.000 Beschäftigten das Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft, steckt in einer tiefen Strukturkrise; sie wird durch die Kilmakrise noch verschärft. Seit langem gibt es daher wieder die Möglichkeit, über grundsätzliche Alternativen nachzudenken.


"Weltweite Krise und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigten - Was sind unsere Perspektiven und Strategien?" Unter diesem sperrigen Titel trafen sich Automobilarbeiter mit Klimaschützern und Kritikern des Produkts Auto. Sie diskutierten Konzepte, wie Massenentlassungen abgewehrt werden können und was die Abkehr vom Auto als individuellem Massentransportmittel dazu leisten kann.

Das Seminar in Oer-Erkenschwick war von etwa 50 Personen besucht: Kollegen von Daimler Untertürkheim, Bremen, Hamburg, Südafrika; Ford Köln; BMW Berlin; VW Salzgitter; Toyota Köln; Volvo Schweden. Dazu Sam Gindin von der kanadischen Automobilarbeitergewerkschaft (CAW), der Verkehrsexperte Winfried Wolf, Wolfgang Pomrehn als Klimawissenschaftler, Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart und Lars Henriksson von Volvo. Auch ein Eisenbahner hatte sich in die Veranstaltung verirrt. Die Opelaner fehlten vollständig - das war das größte Defizit an diesem verlängerten Wochenende.

Betriebliche Kämpfe mit einer ökologischen Perspektive verbinden: das war der Grundtenor der Veranstaltung, der bereits in den beiden Einleitungen von Sam Gindin und Winfried Wolf zum Ausdruck kam. Gindin hatte in den 80er Jahren maßgeblich mit dafür gesorgt, dass die CAW sich von den Konzepten des Co-Managements verabschiedete und einen kämpferischen Kurs einschlug (den sie in den letzten Jahren allerdings wieder verlassen hat).

Gindin setzte sich mit der Frage auseinander, warum die Gewerkschaften durch die Krise so stark in die Defensive geraten sind, dass sie daraus keinen Ausweg finden. Er zog eine Parallele zu den 30er Jahren: "Damals erlebten wir die größte Weltwirtschaftskrise seit Bestehen des Kapitalismus, und die Arbeiterbewegung hat neue Organisationsformen geschaffen. Heute erleben wir das wieder, aber neue Organisationsformen sind nicht in Sicht." (In den 30er Jahren gab es in den USA eine massive Welle von Streiks und Betriebsbesetzungen, in deren Verlauf sich die American Federation of Labor [APL] spaltete und der Congress of Industrial Organizations gegründet wurde. Sie vereinigten sich 1955 zum AFL-CIO.)

Gindin beklagte, die Linke habe keine gemeinsame Erklärung für die Krise und ziehe deshalb auch unterschiedliche Schlussfolgerungen. Die Abhängigkeit von Finanzprodukten (Verschuldung) habe nicht nur dem Kapitalismus geholfen, sich auf dem globalen Weltmarkt zurechtzufinden, sondern auch den Arbeitern erlaubt, weiter zu konsumieren, obwohl ihre Löhne gesunken sind. Die Arbeiterbewegung habe sich von ihren schweren Niederlagen in der ersten Hälfte der 80er Jahre noch nicht erholt. Die Gewerkschaften repräsentierten einen immer kleineren Teil der Beschäftigten, zugleich gehe die Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe stetig zurück. Die Zahl der Streiks habe abgenommen, die Arbeiter hätten das Kämpfen verlernt. "Die größte Krise ist die in uns selbst, die, in der die Arbeiterbewegung steckt", resümierte er seinen Ansatz.


Der Hass wächst

Gindin sieht den Ausweg darin, neue Klassenstrukturen aufzubauen, die gewerkschaftlich Organisierte und Unorganisierte zusammenführen. Die Gewerkschaften müssen transformiert werden und die Lohnabhängigen wieder zusammenführen. Derzeit gehe nur das Kapital gestärkt aus der Krise hervor, weil es sich konzentriert; die Arbeiter dagegen würden schwächer, weil sie fragmentiert werden.

Das Selbstvertrauen, dass Arbeiter eine andere Gesellschaft erstreiten können, ist stark eingeknickt, das bestätigten alle Diskussionsredner, es muss erst wieder aufgebaut werden, die Passivität überwunden werden. Wie kann das gehen? Zum Beispiel mit autonomen Betriebsgruppen, die Organisierte wie auch Unorganisierte, Normalarbeiter wie auch Zeitarbeiter umfassen; mit "Arbeiterzentren", d.h. Hilfsstrukturen außerhalb der Betriebe, die gemeinsam von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Antiarmutsinitiativen, Migrantenorganisationen usw. aufgebaut werden - das waren einige der Vorschläge.

Vor allem waren sich alle einig darin, dass über den Betrieb hinausgedacht werden muss: "Die Autokrise kann nicht allein im Autosektor gelöst werden." Und es wurde mehrfach betont: "Wir müssen bereit sein, die Machtfrage zu stellen." Wenn Betriebsräte sich das Ziel der Unternehmer zu eigen machen, "gestärkt aus der Krise hervorzugehen", dann lassen sie zu, dass die Kollegen aus schwächeren Betrieben zum Abschuss freigegeben werden. Deshalb müsse das Motto der IG Metall: "Die Macht der Gewerkschaft liegt in den Betrieben, nicht auf der Straße", zurückgenommen werden; die Macht der Gewerkschaft liegt sehr wohl auch auf der Straße.

Eine Informationsrunde über die Lage in den Betrieben ergab ein ziemlich gleich lautendes Bild: Die Belegschaften sind gespalten. Ein Teil sagt sich, es ist noch immer gut gegangen; ein anderer, vielleicht größerer Teil, schaut auf die Gewerkschaft; nur ein kleiner Teil ist bereit, das System in Frage zu stellen und aktiv zu werden. Die Gewerkschaft aber bewegt sich auf einer rein defensiven Linie: "keine betriebsbedingten Kündigungen". Dafür ist sie bereit, alle Maßnahmen "zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit" zu unterstützen, also alles, was den Druck auf die Arbeit und die Löhne erhöht. Diese Konzessionsbereitschaft stößt auf Unmut: "Der Hass wächst."


Wir haben einen Plan

Winfried Wolf analysierte die Krise der Automobilindustrie als eine von insgesamt sieben Krisen, die wir zeitgleich erleben. In der Autoindustrie sind von weltweit 8 Millionen Arbeitsplätzen 3 Millionen gefährdet. Das müsse Anlass sein, über eine Abkehr von der Autoindustrie nachzudenken. Denn diese ist nicht nur kein Jobmotor mehr, sie ist auch hochgradig klimagefährlich und verursacht zudem hohe externe Kosten durch Unfälle, Flächenverbrauch u. a. Investitionen in den Ausbau des Schienenverkehrs würden mehr Jobs schaffen, als in der Autoindustrie vernichtet würden. Ein breit ausgebauter öffentlicher Verkehr käme die Gesellschaft außerdem weit billiger.

Solche konkreten Szenarien machen deutlich, dass Umweltschutz und die Schaffung von Arbeitsplätzen durchaus Hand in Hand gehen können. Umgekehrt ist es für die Arbeit in den Betrieben wichtig, ein übergreifendes Ziel vor Augen zu haben, um nicht vom täglichen Kleinkrieg erdrückt zu werden.

Damit war die Konversionsdiskussion auf dem Tisch. Für ältere Metaller ist das nichts Neues; in den 8Oer Jahren hat die IG Metall schon einmal eine Konversionsdiskussion geführt, die dann aber wieder in den Schubladen verschwand.

Wolfgang Pomrehn unterstrich die Dringlichkeit der Aufgabe an Hand der Klimaprognosen für die nächsten 30-80 Jahre. Und Lars Henriksson von Volvo, der sich gleich zu Beginn der Krise in einem Flugblatt an seine Kollegen gewandt und für eine Konversion der Produktion plädiert hatte (vgl. SoZ 12/O8), plädierte dafür, die Produktionsanlagen in der Autoindustrie nicht einfach über den Haufen zu werfen, damit könne man noch viel anderes herstellen: z. B. in großem Stil Straßenbahnen für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Konversion sei wichtig, weil sie erlaube, die Arbeiterkollektive zusammenzuhalten. Sie erfordere aber, dass die Belegschaften die Kontrolle über die Produktion übernehmen, z. B. durch Betriebsbesetzung. Er plädierte für den Aufbau einer Allianz "Rettet das Klima und die Arbeitsplätze". "Man kann nicht abstrakt für Sozialismus mobilisieren, sehr wohl aber für eine Produktion, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und in Einklang mit der Natur zu bringen ist."

"Wir haben einen Plan", ergänzte Sam Gindin. "Mit einer Perspektive für einen ökologischen Umbau der Produktion können wir eine langfristige Kampagne führen, die die Arbeiterschaft wieder in eine Führungsposition bringt."

Die Zeit drängt. Das Netzwerk Auto hat verabredet, kleine Broschüren zum Thema Krise/Ursachen und Perspektiven für die Kollegen zu erstellen und in den Betrieben und in regionalen Gesprächskreisen die Diskussion darum anzufachen. Das Netzwerk will im April nächsten Jahres wieder zusammenkommen.


Netzwerk Auto ist ein Arbeitsforum von Vertrauensleuten und Betriebsräten aus der Automobilindustrie, das dem regelmäßigen Informationsaustausch dient. Der Konferenz lag die Broschüre von Winfried Wolf vor: Weltwirtschaftskrise und Krise der weltweiten Autoindustrie (Hg. Netzwerk Auto/Lunapark 21). Die Broschüre ist für 4,50 EUR zu beziehen über: extra@lp21.de.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2009