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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1327: Karstadt ist tot - es lebe die Innenstadt


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Karstadt ist tot - es lebe die Innenstadt
Eine Kritik der Warenhäuser und was daraus folgen kann

Von Stefan Hochstadt und Thomas Hackenfort


Die Republik trauert. Sie trauert um ihre Innenstädte. Denn die Innenstädte starben mit den großen Kaufhäusern - allen voran den ruhmreichen Konsumtempeln von Karstadt und seinen Töchtern. Seit Monaten wird uns diese Botschaft von den Menschen vermittelt, denen der Verlust ihrer Jobs beim Handelsriesen Arcandor droht.

Es wird behauptet, "die" Innenstadt sei genuin mit dem warenförmigen Konsum verknüpft und anders nicht denkbar. Bevor wir dem nachgehen, sei hier kurz die krisenhafte Entwicklung der großen Kaufhäuser nachgezeichnet und auch ein Licht auf den offensichtlich potenten Nachfolger geworfen: die vollintegrierte Shopping Mall. So viel sei an dieser Stelle aber bereits verraten: Wir sind durchaus nicht der Meinung, dass "Innenstädte" nur als kapitalistische Konsumtionszone denkbar sind - vorausgesetzt, wir können uns auf ein gemeinsames Bild von ihnen verständigen. Vielmehr sind wir davon überzeugt, dass genau diese armselige Zuweisung überwunden werden muss, um eine im eigentlichen Sinne menschengerechte Zukunft unserer Zentren zu ermöglichen.


Der Niedergang der Kaufhaustradition

Die zu Karstadt-Quelle (seit 2007 Arcandor) gehörenden Unternehmen beschäftigten vor gar nicht allzu langer Zeit 100.000 Menschen in großenteils gar nicht so schlechten Jobs. Spätestens seit der Ära Middelhoff befindet sich das Unternehmen jedoch in forcierter Selbstauflösung - mit massivem Stellenabbau und dem Verlust von regulären Vollzeitarbeitsplätzen zu auskömmlichen Bedingungen; derzeit gibt es bei Karstadt noch Stellen im Umfang von 28.000 Vollzeitäquivalenten.

Nicht zuletzt auf Betreiben der Großaktionärin Schickedanz, die sich nach eigenen Angaben schon auf dem Weg in Hartz IV sieht, übernahm Middelhoff 2005 als Vorstandsvorsitzender den Laden, um ihn alsbald so richtig vor die Wand zu fahren; dafür hat er sich mit gelungenen Immobiliendeals eine goldene Nase verdient. Unter Middelhoff verkaufte Karstadt große Teile seiner Immobilienbestände an Goldman Sachs (und hier an den Immobilienfonds Whitehall), um selber gewissermaßen Mieter im eigenen Haus zu sein. Dafür (und für weitere angemietete Immobilien) müssen derzeit monatlich Mietzahlungen in Höhe von 23 Mio. Euro aufgebracht werden - nicht zuletzt zum Vorteil der Anteilseigner Middelhoff und Schickedanz.

Im Zweifelsfalle reicht das, um die Profitabilität eines Unternehmens - und damit seine Existenzberechtigung unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen - über den Haufen zu werfen. Das zeigt das Beispiel des ehemals selbständigen, dann von Karstadt aufgekauften und schließlich wieder in die Unabhängigkeit entlassenen Traditionsunternehmens Hertie: Es konnte die Mietzahlungen an seinen neuen Eigentümer Dawnay Day nicht mehr aufbringen und ist deshalb verschwunden, dabei 5000 Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassend. Über die Zukunft von Wehmeyer (1000 Beschäftigte) und SinnLeffers (über 4000 Beschäftigte), zwei weitere ehemalige Karstadt-Töchter, ist noch nicht abschließend entschieden, man muss aber schon sehr optimistisch sein, um etwas Besseres als eine geordnete Insolvenz zu erwarten.

Es wäre jedoch falsch, die Schuld an der Pleite einzelnen Personen wie Middelhoff oder Schickedanz anzulasten. Die Pleite hat sich schon längst vorher angekündigt, die vielen Umstrukturierungen, Käufe und Verkäufe waren nicht zuletzt der Versuch, den Moloch KarstadtQuelle in einem schwierigen Umfeld profitabel zu halten. Auch beim Hauptkonkurrenten Metro gibt es Probleme zuhauf, obwohl er sich momentan benimmt, als stünde dort alles zum Besten, und großzügig noch die Übernahme von Karstadt und die Fusion mit Kaufhof anbietet - nationalbewusst zur "Deutsche Warenhaus AG" umetikettiert, mit erahnbaren Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Die Tochter "real" war bis vor kurzem erheblich defizitär, selbst die Namen gebende Großmarktkette hat schon bessere Zeiten gesehen und steht gegenwärtig vor einem grundsätzlichen Umbau. Aber auch die hauseigene Kaufhauskette Kaufhof mit ihren Premium-Großkaufhäusern Galeria Kaufhof, einschließlich der vor einigen Jahren einverleibten Kette Horten, ist immer wieder für Schreckensmeldungen gut. Allein die beiden marktdominierenden Elektronikketten MediaMarkt und Saturn sind hochprofitabel - sehr zum Nachteil anderer Anbieter, die inzwischen nur noch Nischen besetzen.


Das Zeitalter der Shopping Malls

Nur einigen wenigen Nischenanbietern innerhalb der Handelssparte des Arcandor-Konzerns scheint es vorübergehend zu gelingen, profitabel zu arbeiten; dazu gehören z.B. Runners Point, Starbucks und die Luxuskaufhäuser KaDeWe, Alsterhaus, ggf. Wertheim und Oberpollinger. Das zeigt, wohin die Reise geht. Abgesehen von einzelnen "Metropolanbietern" in den größten Städten sind nicht mehr die großen Kaufhäuser die Magneten der Städte, sondern die bunten Malls, in denen einzelne Großkaufhäuser wohl noch die Aufgabe des Attraktors übernehmen, dabei aber umfangreich flankiert werden von einer Vielzahl von Klein- und Mittelflächenanbietern, die sehr viel direkter und flexibler auf sich ändernde Nachfragestrukturen eingehen können. Selbst innerhalb eines großen Kaufhauses setzt sich der Anbietermix durch: In der im regionalen Vergleich immer noch größten Shopping Mall "Rhein-Ruhr-Zentrum" in Mülheim/Ruhr hat Karstadt schon vor einem halben Jahrzehnt das Konzept des Boutique-Kaufhauses umgesetzt, in dem Karstadt zwar noch relativ die größte Fläche besetzt, aber von vielen kleinen Fachanbietern, die nicht selten zur Konzernfamilie gehören, kohärent gestützt wird. Für die neue, noch in Entwicklung befindliche Essener Shopping Mall "Limbecker Platz" in der Innenstadt wurde im Jahr 2006 das Traditionshaus der Vorgängergesellschaft "Althoff" aus dem Jahr 1911 nach beinahe 100 Jahren gesprengt. Die neue Shopping Mall funktioniert nach demselben Prinzip: Karstadt ist Hauptmieter, daneben fungieren viele Kleinanbieter als buntes Panoptikum zur Attraktivitätssteigerung, plus ein oder zwei Großanbieter - in diesem Fall mit Saturn sogar ein Zugpferd des Hauptkonkurrenten Metro, außerdem C&A sowie Karstadt Sports. Wurden bis in die 80er Jahre hinein neue Shopping-Malls - weniger anheimelnd auch Einkaufszentren genannt - in den allermeisten Fällen in nicht-integrierter Lage "auf der grünen Wiese" für den mit dem Auto anreisenden Konsumenten errichtet, hat sich dies in der jüngeren Zeit erkennbar geändert. In allen größeren Städten des Rhein-Ruhr-Raums - und selbstverständlich nicht nur da - werden in bester Innenstadtlage neue Konsumtempel errichtet, häufig mit einem der beiden Platzhirsche Karstadt oder Kaufhof als Hauptmieter. Diese neuen Großkaufhäuser in integrierter Lage erhalten ihre Attraktivität über ihre Angebotsbreite: Von einem oder zwei Großanbietern angeschoben, bieten etliche Filialisten ihre Produkte an, die sich meist auf Oberbekleidung und Schuhe konzentrieren. Ihren Thrill bekommen die Malls aber erst durch die Exoten, die auf sich allein gestellt nicht in der Lage wären, sich den Standort zu leisten. Erst über die Mischkalkulation des Mallbetreibers (z.B. die Hamburger Gruppe ECE oder die Essener mfi) rechnet sich ein Zooladen, ein Heimwerker-, Tiffany- oder Teddybärladen oder eine Fahrradreparaturwerkstatt. Hinzu kommen Angebote, die aus einem Einkaufszentrum ein Urban Entertainment Center machen: Restaurants unterschiedlicher Qualität, aber mit erkennbarem Schwerpunkt auf "familienfreundlichem" Fast Food, Multiplex-Kinos und anderen Freizeiteinrichtungen wie Bowling-Bahnen oder Karaoke-Bars. Alle zusammen verfolgen das Ziel, die Flächenproduktivität über die Ausdehnung der zeitlichen Nutzung hinaus zu erhöhen. Damit ist zugleich das Kernproblem des Einzelhandels in Deutschland benannt: die fortwährend sinkende Flächenproduktivität wegen der steigenden Verkaufsflächen bei stagnierender aggregierter Kaufkraft. Sie führt tendenziell zu einem Wettbewerbsvorteil der großen Ketten, die ihre Produkte in konfektionierten Filialen anbieten und aufgrund "günstigerer" Produktions- und Vertriebsbedingungen einen höheren Mehrwert realisieren und so in der Lage sind, die besten Lagen zu besetzen - und auch das Gesicht der Malls bestimmen.


Innenstädte verlieren ihr Gesicht

Was wir hier haben, ist nicht weniger als die Inszenierung dessen, was die meisten Menschen unter "Innenstadt" verstehen, bzw. wie sich die Mehrheit der Nutzer diese wünschen: klimatisch geschützt, im Modalmix bestens erreichbar, bunt und kontrolliert, d.h. frei von unerwünschten Eindrücken und Personen. Tatsächlich haben viele Städte längst begonnen, für ihre Innenstädte (hier: die nicht überdachten und nicht integrierten Einkaufsmeilen) Sondernutzungserlasse zu verabschieden, die es möglich machen, Platzverbote auszusprechen. Menschen, die das Einkaufsvergnügen konsumwilliger und vor allem konsumfähiger Geldbörsen stören könnten, dürfen "des Platzes verwiesen" werden - gerne auch von sog. Ordnungspartnerschaften, also privat bestellten Wachdiensten. Die Ausrichtung der Innenstädte allein auf den privatwirtschaftlich organisierten Handel führt zunehmend zur Kommerzialisierung und damit Privatisierung öffentlicher Räume, und auch zu deren Konfektionierung.

Unsere ehemals Identität stiftenden Innenstädte verlieren weitgehend ihr Gesicht; es ist heute grundsätzlich egal, in welcher Innenstadt ich mich befinde, überall finde ich die immergleichen Anbieter immergleicher Waren. Es verwundert daher auch nicht, wenn Städte versuchen, ihrer selbst hergestellten Austauschbarkeit durch eine nicht enden wollende "Politik der Festivalisierung" zu entgehen und den Innenstädten doch wieder so etwas wie ein genuines Leben einzuhauchen - vergeblich.


Plädoyer für eine befreite Innenstadt

Menschen, die in Innenstädten ihr Geld ausgeben sollen, entscheiden sich - vor die Wahl gestellt, Innenstädte oder Shopping Malls aufzusuchen - mehr und mehr für das Original. Das nimmt nicht wunder. Feuilletonistisch vorgebrachte Kulturkritik ereifert sich zwar über die Niveaulosigkeit der Malls. Aber es muss doch gesagt werden, dass der "lebensstiladäquate Einkauf"("Du bist, was und wie du konsumierst") seine Heimstatt in der Shopping Mall, im Urban Entertainment Center, hat. Dort gibt es die "urbane" (in Wirklichkeit: urbane Motive bemühende) Bühne, die offensichtlich profitabel ist.

Darüber ließe sich klagen. In einer warenproduzierenden Gesellschaft aber ist die Klage gegenstandslos. Deshalb möchten wir mit einem Plädoyer schließen: Gebt den Menschen ihre Shopping Mall. Und gebt den Innenstädten wieder die Chance, zu sich selbst zu kommen. Befreit sie vom ökonomischen Druck, höchste Profitraten zu erzielen. Baut hoch verdichtete geschlossene Malls mit allen korrespondierenden Einrichtungen, schließt sie ans öffentliche Verkehrsnetz an, baut sie also auf brach fallendem innerstädtischem Gebiet. Aber erhöht die Nutzungskomplexität der restlichen Innenstadt. In den oberen Geschossen der Häuser an den Fußgängerzonen lassen sich nämlich nicht nur Waren lagern, es lässt sich dort auch gut wohnen und leben. Menschen, die momentan in den Innenstädten lediglich ihrer Konsumlust nachkommen, könnten dann dort auch wieder wohnen, was sie momentan nicht tun, weil es schlechterdings angesichts der "Unwirtlichkeit unserer Innenstädte" nicht möglich ist. Reißt solche Häuser ab, die nur der Profitorientierung wegen noch stehen und den modernen Anforderungen nicht mehr genügen. Baut attraktive Wohnungen und kleidet sie in grüne Parks, die für alle da sind. Das ist das Gebot einer schrumpfenden Gesellschaft. Stadtentwicklung hat früher einmal bedeutet: Berücksichtigung der unterschiedlichen Wohn-, Arbeits- und Lebenswünsche einer zunehmend heterogenen Bevölkerung. Im Grundsatz tut es dies noch immer, wenn auch auf zunehmend prekärem Grund. Es geht um die Gestaltung unterschiedlicher Milieuräume sowie um die Schaffung von Möglichkeitsräumen. Innenstädte, die dem profitorientierten Warenumschlag vorbehalten sind, können dazu nichts beitragen; von diesem Zwang befreit aber haben sie das historisch unter Beweis gestellte Potenzial; wir müssen es reklamieren.


Stefan Hochstadt lehrt an der FH Dortmund im Fachbereich Architektur "Planen und Bauen im Strukturwandel"


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 24.Jg., Oktober 2009, Seite 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2009