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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1315: Börsengang der DB AG legt Berliner S-Bahn lahm


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Alle Räder stehen still, weil Mehdorn an die Börse will"
Börsengang der DB AG legt Berliner S-Bahn lahm

Von Jochen Gester


Schweres Zugunglück, Zugentgleisung wegen einem gebrochenen Rad, Verwendung unzulässigen Materials beim Achsbau, Missachtung der Auflagen der Aufsichtsbehörden, Dauerstörungen im Betriebsablauf und jetzt noch die einstweilige Einstellung des Bahn-Verkehrs auf einer wichtigen Teilstrecke: Hier ist nicht die Rede vom ICE, sondern von der Berliner S-Bahn.


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Denn der Börsengang der DB AG geht ganz rabiat auch auf Kosten des öffentlichen Nahverkehrs. 150 Jahre lang war die Berliner S-Bahn der Inbegriff der Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Transportsystems einer Millionenstadt. Nicht einmal die deutsche Spaltung konnte sie außer Funktion setzen, auf dem inneren Ring, der nach der Wende 15 Jahre lang mit erheblichen Kosten wieder "geschlossen" worden ist. Das scheint nur dem Kapitalismus zu gelingen.

Die Bahnsteige sind voll, die Fahrgäste genervt: Sie warten auf die S-Bahn. Doch die kommt nicht mehr im 5- oder 10-Minuten-Takt sondern höchstens noch alle 20 Minuten. Einige Linien sind ganz eingestellt und man muss auf Busse ausweichen. Die Sache beherrscht die Schlagzeilen der Zeitungen und in die abendlichen Fernsehnachrichten. Und doch wird nicht gestreikt, eher demonstriert.

Der Vorstand der Deutschen Bahn AG demonstriert an der Berliner S-Bahn auf eindrucksvolle Weise, was es heißt, sich für den Börsengang zu schmücken, indem ein öffentliches Unternehmen zur Veräußerung an Private zurecht gemacht wird. Ein Leserbrief an den Tagesspiegel brachte es auf den Punkt: "Nur um an die Börse gehen zu können, wurden Werkstätten geschlossen, Fachleute entlassen, intakte Züge geschreddert, die Signaltechnik vernachlässigt, das Fahrpersonal reduziert. Kurz: Der Betrieb wurde auf Verschleiß gefahren."

Das Aufhübschen der Börsenbraut hat über 1000 S-Bahn-Beschäftigte den Arbeitsplatz gekostet. Diese Kollegen fehlen, um einen sicheren Betrieb aufrechtzuerhalten. Hieraus erwachsen nicht nur Gefahren, es ist bereits zu Unglücken gekommen.

Am 16. April gab es ein schweres Zugunglück im Bahnhof Berlin-Karow, ein Personenzug fuhr auf einen Güterzug auf, der mit 24 Waggons brennbarer Flüssigkeit beladen war; glücklicherweise gerieten sie nicht in Brand. Nach Aussagen von Lokführern haben Mängel in der Signal- und Sicherungstechnik das Unglück zumindest begünstigt.

Als am 1. Mai ein vollbesetzter Zug der S-Bahn-Linie 5 im Bahnhof Kaulsdorf wegen eines gebrochenen Rads entgleiste, griff das Eisenbahnbundesamt ein und verpflichtete die S-Bahn, die Räder alle 7 Tage zu überprüfen und grundsätzlich nach 1,2 Millionen Kilometern zu ersetzen.

Unabhängig davon fanden Eisenbahner durch eigene Recherchen heraus, dass der Stahl von S-Bahn-Achsen aus Stoffen bestand, die die Bundesanstalt für Materialforschung als für Eisenbahnachsen nicht sicher erklärt hatte. Beim Belastungstest erwies sich eine Achse bereits nach 45.000 km als schrottreif. Dabei ist die Vorgabe von 1,2 Millionen Kilometern schon ein fragwürdiges Entgegenkommen; internen Messungen des Bundesamts zufolge müssten die Räder eigentlich schon nach der Hälfte der Strecke, nach 650.000 Kilometern ausgetauscht werden.

Der Vorstand der Deutschen Bahn AG, die Eigentümerin der S-Bahn ist, war jedoch der Ansicht, er könne die Mahnungen der Behörde einfach ignorieren, er hielt sie wohl für "geschäftsschädigend". Er hielt sich nicht an die Auflagen und versuchte obendrein, das Ganze durch falsche Angaben zu vertuschen.


Wer schädigt hier das Geschäft?

Das ging dem Eisenbahnbundesamt schließlich zu weit, es zog die Notbremse. Es verordnete die Stilllegung von 100, später insgesamt 252 Waggons, weil sie das Wartungsintervall überschritten hatten - das führte unmittelbar zu einem Verkehrschaos. Ein Notbetrieb wurde eingerichtet. Auch wurde nicht ausgeschlossen, dass die Aufsichtsbehörde den Betrieb vorübergehend komplett einstellen lässt.

Spätestens jetzt war klar, dass der Aufsichtsrat der S-Bahn schadensbegrenzend tätig werden musste. Er wechselte die vierköpfige Geschäftsleitung der S-Bahn aus, in der Hoffnung, durch ein solches Bauernopfer selber aus der Schusslinie zu kommen. Denn nicht die Geschäftsleitung der S-Bahn, sondern die Spitze der Bahn AG hat in den letzten Jahren ihrer Tochter Auflagen zur Gewinnabführung gemacht, die buchstäblich an die Substanz gehen mussten. Die Berliner S-Bahn musste jährlich 87 Millionen Euro Gewinn an die DB-Mutter abführen; im Jahr 2010 sollten es sogar 125 Millionen Euro werden.

Auch dieser Zusammenhang blieb nicht verborgen und wird öffentlich diskutiert. Der BR-Vorsitzende der S-Bahn, Heiner Wegener, sagt dazu: "Es ist einfach absurd, den Nahverkehr als Teil der DB AG an die Börse bringen zu wollen. Sie können keinen Profit mit dem öffentlichen Personennahverkehr erwirtschaften. Wir haben die Verpflichtung, die Mobilität der Bevölkerung zu gewährleisten. Wenn das nicht mehr oberster Grundsatz ist, sondern die Profitmaximierung, dann kann das nicht funktionieren. Die Börsenpläne der Bahn sind wirklich absoluter Schwachsinn. Die Politik hat sie beschlossen und ist damit dafür verantwortlich, dass unser Unternehmen an die Wand gefahren wurde."

Auch die verkehrspolitische Sprecherin der Partei DIE LINKE Berlin forderte das DB-Management auf, den "Kurs des Auspressens der Berliner S-Bahn zugunsten eines Börsengangs der Deutschen Bahn zu beenden".


Köpfe abschießen reicht nicht

Doch für die Aufgabe des Börsengangs bedarf es anderer Gewichte. Der Bund, der letztlich der Eigentümer und damit auch der letztlich Verantwortliche für das Desaster ist, hält an den Börsenplänen fest und stützt die Geschäftspolitik der Bahn AG. Die Berliner SPD-Senatorin Junge-Reyer hat der S-Bahn jetzt mit Kürzung der Senatszahlungen bis zu 12 Mio. Euro für nicht erbrachte Transportleistungen gedroht - das spricht Bände darüber, wie wenig sich die öffentliche Hand für ihr Eigentum und ihren Dienstleistungsauftrag verantwortlich fühlt. Besser würde sie der DB AG die Rechnung ausstellen. Der Berliner Senat will die S-Bahn in diesem Jahr mit 232 Mio. Euro bezuschussen.

Auf einer Mitarbeiterversammlung im Betriebswerk Schöneweide, das ebenfalls auf der Abschussliste steht, hat sich am 14. Juli die neue Geschäftsleitung vorgestellt. Sie hat sich auf keinerlei Zusagen in Richtung einer Revision des bisherigen Kurses festlegen lassen. So jedenfalls sahen es die meisten von der Abendschau befragten Eisenbahner. Sie hatten den S-Bahn-Aufsichtsratschef, Hermann Graf von der Schulenburg, mit einem Pfeifkonzert empfangen und ihn mehrfach zum Rücktritt gefordert.

In der Belegschaft wächst anscheinend die Erkenntnis, dass auch die Beschäftigten verstärkte Anstrengungen unternehmen müssen, die Öffentlichkeit für sich und den Erhalt der Berliner S-Bahn zu gewinnen. Mitarbeiter der S-Bahn haben ein "Kommuniqué" an die Fahrgäste verteilt. Darin schreiben sie u.a.:

"Wir, die Mitarbeiter der Berliner S-Bahn, bitten unsere Fahrgäste, angesichts des eingeschränkten Bahnverkehrs zu unterscheiden zwischen uns Mitarbeitern und dem nur an einer Gewinnmaximierung ausgerichteten Management der S-Bahn Berlin GmbH. Wir haben in den letzten Jahren mit dem Verlust Hunderter Arbeitsplätzen, mit zunehmender Flexibilisierung unserer Arbeitszeiten, sowie mit ständigen Produktivitätserhöhungen bereits einen hohen Preis für den Privatisierungskurs des Bahnkonzerns gezahlt. Wir fordern die Deutsche Bahn AG als Gesellschafter der S-Bahn Berlin GmbH auf, für das skrupellose und fahrlässige Verhalten der von ihr bestellten Geschäftsführer die Verantwortung zu übernehmen. Das Auswechseln von Führungskräften reicht nicht aus. Der Kurs der DB AG muss sich ändern. Wir erwarten vom Senat von Berlin und von der Bundesregierung als Eigentümer der DB AG, den Privatisierungskurs der Bahn zu stoppen. Ein Börsengang, sowie die Ausschreibung von Verkehrsleistungen an andere Konzerne, dient weder den Interessen der Bahnkunden an einem sicheren und pünktlichen Zugverkehr, noch unseren Interessen am Erhalt der Arbeitsplätze und unserer sozialen Standards." (Kontakt: S-Bahn-Mitarbeiter.web.de.)


Aus der Leichenstarre herauskommen

Aus der Belegschaft gibt es aber auch Kritik an der bisherigen Politik des Betriebsrats. Mitarbeiter werfen ihm vor, er habe die Restrukturierung der S-Bahn im Sinne der Konzernvorgaben zu lange mitgestaltet. Ein S-Bahner formulierte die Kritik im Mitarbeiterforum so:

"Die Ausgliederung aller Fachbereiche bei der S-Bahn wurden über Jahre hinweg vorbereitet. So ist es nun ein Leichtes, die Bahnsteigpersonale zu DB-Station-Service, die Fahrdienstleiter zu DB-Netz, die Werkstattpersonale zur DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH und die Fahrpersonale in das inzwischen neu gegründete Gemeinschaftsunternehmen von DB-Regio und DB-Schenker für Triebfahrzeugführer auszugliedern. Wird diese Ausgliederung in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten vorbereitet, dann können wir uns nicht nur auf einen weiteren Einbruch im S-Bahn Verkehr einstellen, sondern auch auf den Zusammenbruch der S-Bahn als Unternehmen. Solange nicht alle Zahlen auf dem Tisch liegen und uns alle geheimen Gespräche des Betriebsrats mit der Geschäfts- und Gesellschafterführung bekannt sind, werden wir weder Vertrauen, noch ein Engagement aufkommen lassen können. Verharren wir weiter in der Untätigkeit, werden wir als Mitarbeiter früher oder später vor vollende Tatsachen gestellt werden, die wir dann zu (er)tragen haben. Es sei denn, wir schaffen es als Mitarbeiter, aus unserer Leichenstarre zu erwachen und unsere Ziele zu definieren. Durch unsere Jahrzehnte langen Erfahrungen im Eisenbahnbetrieb wissen wir, wie eine S-Bahn funktionieren kann und sollte. Jeder ist ein Fachexperte an seinem Arbeitsplatz. Unsere Berufserfahrung und unser Fachwissen ist der Grundstein für einen Neuanfang. Wollen wir die Erfahrungen der Rechenexperten oder unser Fachwissen für einen Neuanfang nutzen? Wir haben die Antwort durch unsere tägliche Arbeit in der Hand. Nutzen wir sie lieber im Interesse der Fahrgäste und in unserem Interesse, bevor wir wieder für die Gewinnerwartungen des DB-Konzern benutzt werden."

Das Eisenbahnbundesamt hat die Stilllegung in der Zwischenzeit verschärft. Die S-Bahn-Linien im inneren Ring sind eingestellt. Nur durch massive Aushilfe durch die BVG und die Anmietung von Regionalzügen aus der ganzen Republik kann der völlige Zusammenbruch des S-Bahn-Verkehrs verhindert werden.

Mittlerweile gehen die Verantwortlichen davon aus, dass ein Normalbetrieb vor Dezember nicht möglich sein wird. Ein Zeitungskommentator spottete: "Alle Räder stehen still, weil Mehdorn an die Börse will." Es wird Zeit, dass der Geisterzug in Richtung Börse von der Schiene kommt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 24.Jg., September 2009, Seite 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2009