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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1287: Auch Selbständige haben kollektive Interessen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Auch Selbstständige haben kollektive Interessen
Wie sie ihre Interessen als Erwerbstätige verteidigen können

Von Veronika Mirschel


Die Gewerkschaft Ver.di versucht die kollektive Interessenvertretung der Selbstständigen


Leitgedanke der Arbeit mit den und für die 30.000 in Ver.di organisierten Solo-Selbstständigen ist, dass diese selbst, aber auch die Gesellschaft, den Wert dieser Erwerbsform anerkennen - und zwar durch entsprechende Bezahlung und nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Will heißen: Jeder und jede Erwerbstätige - der oder die dies will und kann - muss von der eigenen Arbeit leben können. Uns ist bewusst, dass dies unter kapitalistischen Vermarktungsbedingungen und ohne politisch flankierende Maßnahmen auch und gerade für Solo-Selbstständige nur bedingt erreichbar ist. Trotzdem versuchen wir, das Ziel "Stärke durch Solidarität" mit Leben zu füllen.

Es gibt in Deutschland rund 2,3 Millionen sogenannte Solo-Selbstständige: solche, die diese Erwerbsform freiwillig gewählt haben, und solche, die - durch Outsourcing oder auf Drängen der Arbeitsagentur - in der Selbstständigkeit die einzige Perspektive sehen, auf dem Arbeitsmarkt noch Fuß zu fassen. 6% aller Erwerbstätigen arbeiten als Solo-Selbstständige, Tendenz steigend; ebenso steigt die Anzahl derer, die sich in einer prekären ökonomischen Situation befinden. Darunter gibt es zahlreiche hoch Qualifizierte: prekäre Intellektuelle.

Ein Blick auf die Einkommensbedingungen der Selbstständigen zeigt: Die Schere geht hier verdammt weit auf.

In politischen Debatten - und in der Folge auch in der Gesetzgebung - werden immer wieder die enorm hohen Einkünfte der Selbstständigen im Vergleich zu abhängig Beschäftigten angeführt. Stimmt, wenn man alle Selbstständigen, gleich ob sie von der eigenen oder von anderer Menschen Arbeitskraft leben, in einen Topf wirft. Das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen der Selbstständigen lag laut einer Untersuchung von Prof. Dr. Joachim Merz für das Forschungsinstitut Freie Berufe im Jahr 2003 mit 38562 Euro um 43% über dem der abhängig Beschäftigten (26975 Euro). Allerdings: 50% der Selbstständigen haben jedoch ein Jahreseinkommen von 14252 Euro, und das liegt um ein Drittel unterhalb des mittleren Einkommens der abhängig Beschäftigten (22480 Euro). In diese Einkommenskategorie fallen überwiegend Solo-Selbstständige. Im September 2008 erklärte die Bundesregierung auf Anfrage der Linkspartei, 108000 Selbstständige seien - ob als "Aufstocker" oder vollständig - auf ALG II angewiesen - das stützt die Vermutung.

Auch unter Ver.di-Mitgliedern gibt es Selbstständige, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern. Ver.di bietet deshalb Plattformen, wie etwa auf unserem letzten Selbstständigentag, diese Option aus der Perspektive der Selbstständigen zu diskutieren. Aber das Ziel "Bedingungsloses Grundeinkommen" bestimmt nicht unsere Arbeit. Was dann?

Unser Kerngeschäft als Gewerkschaft ist die Regulierung von Erwerbsbeziehungen - in unserem Fall, dem der gewerkschaftlichen Selbstständigenarbeit, die Interessenvertretung einzeln arbeitender Selbstständiger gegenüber der Politik und mächtigen Auftraggebern. Wir können kollektive Interessen der Solo-Selbstständigen identifizieren und artikulieren. Ein Beispiel:

Warum eigentlich sollten Arbeitgeber, die sich durch Auslagerung von Unternehmen zunehmend der Sozialversicherungspflicht entziehen, gleichzeitig aber in einer marktmächtigen Position Honorare diktieren, nicht für die Sozialversicherungskosten der von ihnen Beauftragten mit herangezogen werden? Oder: Warum sollen einzeln arbeitende Selbstständige etwa bei der Belastung durch eine GEZ-Gebühr für internetfähige PCs ebenso viel zahlen wie ein gesamter Betriebsteil mit Tausenden Arbeitsplätzen - etwa die Hauptverwaltung des Allianz-Konzerns? An solchen Stellschrauben können wir versuchen, eine Umverteilung von unten (Solo-Selbstständige) nach oben (mächtige Auftraggeber/Konzerne) zu bekämpfen.

Für das gewerkschaftlich derzeit im Fokus stehende Instrument "gesetzliches Mindesteinkommen" sind die Tätigkeitsfelder unserer selbstständig erwerbstätigen Mitglieder zu heterogen, um hier modellhafte Forderungen zu entwickeln. Es könnte jedoch in einigen fest umrissenen Branchen greifen, in denen die formal selbstständige Beschäftigung der abhängigen vergleichbar ist - etwa in der Weiterbildung. Eine weitere Hürde: Das Kartellrecht setzt den nicht verkammerten (nicht einer Berufskammer angehörenden) Selbstständigen Grenzen, wenn sie Preisabsprachen zur Stabilisierung ihrer Vergütungen treffen wollen: Selbstständigen sind Preisabsprachen verboten - darin sind sie formal großen Konzernen gleichgestellt.

Unterhalb von "Absprachen" gibt es trotzdem Handlungsmöglichkeiten, die die Einkommensbedingungen auch für Selbstständige stabilisieren können: Markttransparenz und Vernetzung - und das Bewusstsein jedes bzw. jeder Einzelnen, dass das eigene (Ver-)Handeln Einfluss auf das Auf oder Ab von Preisspiralen hat. Hehre Ideale? Mag sein - aber die Erfahrung zeigt: Wer den Markt kennt, wer sich in Netzwerke begibt und damit nicht ständig in jedem Selbstständigen eine potenzielle Konkurrenz sieht, wer den Wert der eigenen Arbeit reflektiert, wer auch mal Nein sagt angesichts unanständiger Honorarangebote, hat in der Selbstständigkeit bessere Chancen.

Unsere konkrete, derzeit wichtigste Aufgabe als Gewerkschafter sehen wir darin, die Rahmenbedingungen für Solo-Selbstständige und ihnen selbst den Rücken zu stärken.


Die Autorin Veronika Mirschel ist bei der Ver.di-Hauptverwaltung verantwortlich für die Arbeit mit den "Freien".


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 24. Jg., Juni 2009, Seite 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009