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ROTFUCHS/163: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 209 - Juni 2015


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 209, Juni 2015



Inhalt

  • Vietnam - Wie David über Goliath triumphierte
  • Massenmord im Mittelmeer
  • Der 8. Mai in Österreich
  • Wladimir Putin als "Inkarnation des Bösen"
  • Polens Ultra-Reaktionäre: Mit Hitler gegen Moskau
  • Oder-Neiße-Friedensgrenze - Vor 65 Jahren wurde das Görlitzer Abkommen signiert
  • Nazis und der BND: Schutzpatrone in Pullach
  • NVA als Traditionsspender für die Bundeswehr?
    Gegen die Vermischung von Feuer und Wasser!
  • N. K. Krupskaja, Lenins Kampf- u. Lebensgefährtin
  • John Reed - Chronist der Revolution
  • Leniniana - Denkmäler, die überdauerten
  • Als 40.000 Athleten Ernst Thälmann empfingen
  • Zum Internationalen Kindertag: Ein unvergessener "Frösi"-Holzschnitt
  • Dr. A. Werner: Der erste Berliner Nachkriegs-OB
  • Transformation des Kapitalismus oder der PDL?
  • Bombenlügen - Bombengeschäfte - Bombenwerfer
  • Kein Teufelszeug auf deutschem Boden!
  • RF-Extra - Die Steigbügelhalter der Maidan-Putschisten
  • RF-Extra - Nach dem Kriegsende zahlten SBZ und DDR die Zeche allein
  • António Dias Lourenço - Ein proletarischer Held zum Anfassen
  • Kuba - USA: Fortschritte und Hemmnisse
  • Gerardo Hernandez Nordelo: Neue Herausforderungen und Gefahren erkennen!
  • Trauer um Henri Martin
  • Marine Le Pen ante portas?
  • Um was geht es in Jemen?
  • Venezuela - Obama pfeift aufs Völkerrecht
  • Prof. Dr. G. Oberkofler: Linker Aufbruch in Wien?
  • Beherzte Antwort in Treptow-Köpenick
  • Wer hat in Suhl Angst vorm Roten Fuchs?
  • Herluf Bidstrup: Bilder einer Ausstellung
  • Als mich die DDR nach Guinea entsandte (Teil 2)
  • Emmely ist tot
  • Christa Kozik: Brief an meinen Vater (Teil 2)
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Der gemeinsame Nenner

In mehr als 66jähriger Zugehörigkeit zur kommunistischen Bewegung habe ich gelernt: Wer Prinzipienfestigkeit mit sektiererischer Enge und Einigelung im eigenen Bau verwechselt und unfähig ist, das weitgespannte politische Spektrum in all seinen Nuancen zu erfassen, isoliert sich selbst. Vor allem muß man lernen, Dinge, die völlig unterschiedlicher Natur sind, nicht in ein und denselben Topf zu werfen. Bundesgenossen, mit denen man in wichtigen, aber keineswegs allen Fragen übereinstimmt, sollte man weder überfordern noch für sich vereinnahmen wollen. Es gibt entschlossene Kämpfer, die den ganzen Weg mit uns zu gehen bereit sind, aber auch ehrenhafte Menschen, die nur ein Teilstück gemeinsam zurücklegen wollen. Schließlich begegnen wir redlichen Andersdenkenden, die keineswegs dem Lager unserer Feinde zuzuordnen sind.

Die Marxisten unter uns haben im Sinne des Dreigestirns der Klassiker das Ziel eindeutig definiert: Ihnen geht es um die revolutionäre Überwindung des auf kapitalistischer Ausbeutung beruhenden "Wertesystems" der Bourgeoisie, wobei sie sich von den gesellschaftlichen Realitäten, nicht aber von Wunschträumen leiten lassen.

In der DDR wurden nicht selten recht kleine Brötchen gebacken, aber eines vermag ihr niemand abzusprechen: daß sie dem Kapital und dessen Erfüllungsgehilfen vier Jahrzehnte lang in einem Drittel Deutschlands die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum auf revolutionärem Wege entzogen hat. Das war der Kern aller ihrer Errungenschaften.

Zugleich aber stand dieses kleine, großartige Land für den Frieden in Europa und der Welt. Das war sein Markenzeichen Nr. 1. Nach dem Wegfall des Warschauer Vertragssystems sehen wir uns der latenten Gefahr eines dritten Weltkrieges gegenüber. Dabei gibt es zwei Gegenpole: den NATO-Kriegspakt mit den USA im Zentrum und das wieder zur Weltmacht aufgestiegene, zwar nicht mehr sozialistische, aber dem Imperialismus die Zähne zeigende Rußland, das heute so bedeutende Staatsmänner wie Putin und Lawrow würdig repräsentieren. Die Tatsache, daß nüchterne Planer in Washington die neue Weltmacht China mit ihrer Milliardenbevölkerung als Gegenkraft und möglichen Verbündeten Rußlands im Falle eines militärischen Konflikts in ihre strategischen Kalkulationen einbeziehen müssen, könnte zur Abkühlung überhitzter Gemüter beitragen. Die Anwesenheit des chinesischen Partei- und Staatschefs Xi Jinping und die demonstrative Teilnahme eines Kontingents der Volksbefreiungsarmee des Riesenlandes an der Freunde wie Feinde frappierenden Militärparade in Moskau zum Tag des Sieges waren ein Akt von höchster Bedeutung.

Heute brennt die Welt an allen Ecken und Enden. Besonders die Region des Nahen und Mittleren Ostens wird von einem Blutbad in das nächste gestürzt und ohne Unterlaß destabilisiert. Der Imperialismus hat in Gestalt des pseudoreligiösen Fanatismus von der Art des dem Zauberlehrling gleichenden IS einen neuen Faktor extremer Friedensgefährdung hervorgebracht. Teile Zentralasiens und Afrikas, aber auch Regionen Europas erleben Orgien brutalster Gewalt.

Unter diesen Bedingungen ist die Wiederherstellung oder Behauptung des Friedens die wichtigste aller Fragen. Die Stärkung der weitgefächerten Bewegung zu seiner Verteidigung besitzt dabei Bedeutung. Es handelt sich keineswegs, wie einige offenbar voraussetzen, um eine Allianz ausschließlich linker Kräfte. Kommunisten und Sozialisten sind deshalb die konsequentesten Kämpfer in ihren Reihen, weil sie hinter die Kulissen der Kriegemacher zu blicken und die Verursacher des Blutvergießens beim Namen zu nennen vermögen. Wer aber die Friedensbewegung - die breiteste und vielschichtigste Kraft zur Rettung der Menschheit - für sich vereinnahmen oder auf Ziele orientieren will, die weit über deren selbstgewählten Rahmen hinausgehen, verprellt nicht nur potentielle Verbündete, sondern sägt auch am eigenen Ast. Um es offen zu sagen: Wir müssen bereit sein, in der Allianz gegen den Krieg Menschen und Strömungen neben uns zu akzeptieren, die - wie beispielsweise "Friedenswinter", den manche zu undifferenziert betrachten -, nicht aus der traditionellen Antikriegsbewegung hervorgegangen sind. Daß wir dabei nicht auf Leute wie Jürgen Elsässer abheben, versteht sich von selbst. Übrigens liegt es auf der Hand, daß professionelle "Fischer" ihre Netze auch unter Friedensfreunden ausgeworfen haben dürften.

Jene aber, welche glauben, sie könnten die Spannweite der Friedenstaube dadurch ausdehnen, daß sie ihr rote Flügel verleihen, erreichen das Gegenteil des von ihnen Angestrebten und landen im politischen Ghetto. Man darf die Bewegung gegen den Krieg, um deren maximale Einheit gerungen werden muß, weil mehrere parallele Strömungen mit gleicher oder ähnlicher Zielsetzung stets weniger als eine sind, nicht mit der revolutionären Arbeiterbewegung oder der politischen Linken verwechseln, wobei Faschisten der Kampf angesagt werden muß.

Nach dem frühen Tod der Mutter bin ich bei meinem Vater aufgewachsen. Er gehörte von 1950 bis zu seinem Lebensende im Mai 1980 dem zunächst von Fréderic Joliot-Curie und später durch Romesh Chandra geleiteten Weltfriedensrat an. Von ihm weiß ich, daß Marxisten immer ein weites Herz für Menschen besitzen sollten, mit denen sie in erstrangigen Fragen übereinstimmen.

Klaus Steiniger

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Auf Frankreichs Schlappe in Diên Biên Phu folgte das USA-Debakel in Saigon

Wie David über Goliath triumphierte

Am 30. April 1975 - vor vierzig Jahren - errangen nordvietnamesische Kämpfer gemeinsam mit ihren Waffengefährten aus der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams einen welthistorischen Sieg: An jenem Tag fiel die letzte US-Bastion - die südliche Hauptstadt Saigon.

Die Bilder von der überstürzten Hubschrauberflucht des Botschaftspersonals und einiger Kollaborateure der Aggressoren vom Dach der diplomatischen Vertretung der Vereinigten Staaten gingen um die Welt.

An der Spitze des heroischen Kampfes der Vietnamesen für nationale und soziale Befreiung stand ein außergewöhnlicher Mann - eine Persönlichkeit von Format, wie es sie nur selten gibt und die nicht an allen geschichtlichen Wendepunkten, ob Vormarsch oder Rückzug, verfügbar sind: Hô Chi Minh. Der 1890 Geborene schuf mit Gleichgesinnten wie seinem militärischen rechten Arm General Giáp - dem späteren Oberbefehlshaber der Volksstreitkräfte - schon 1944 die Linksfront für die Befreiung Vietnams - Vietminh. Sie sagte zuerst den japanischen Okkupanten und dann den französischen Kolonialherren den Kampf an.

Doch anfangs fehlte es an Waffen und Massenunterstützung. Als einige Vietminh-Führer das subjektive Anheizen der Revolution propagierten, zog Hô Chi Minh die Bremse und warnte vor übereilten Entschlüssen. In den Jahrzehnten des Befreiungskampfes, die folgten, bestand er stets auf der Schaffung einer entscheidenden Voraussetzung: "Wir müssen zuerst das Volk überzeugen und es hinter gerechten und legitimen Forderungen versammeln." Das gehe militärischen Lösungen voraus.

Während des Zweiten Weltkrieges war ganz Indochina von den Japanern besetzt. Frankreich konnte sich nicht um seine Kolonien Vietnam, Laos und Kambodscha kümmern. Nach der Niederlage der Achsenmächte Deutschland-Italien-Japan suchte Paris aufs neue die Völker dieser Region zu unterdrücken und auszuplündern. Das löste 1945 die bewaffnete Erhebung gegen die Kolonialtruppen der Grande Nation aus. Sie begann in Nordvietnam, wo eine Provinz nach der anderen erobert wurde. Im August 1945 rief Hô zum landesweiten Widerstand auf. Nur 14 Tage später war ganz Vietnam befreit: Am 2. September proklamierte er die Demokratische Republik Vietnam.

Mit massiver Unterstützung der USA und Großbritanniens eroberten die französischen Kolonialtruppen den Landessüden zurück. Am 18. Dezember 1946 nahmen sie auch die nördliche Hauptstadt Hanoi. Zugleich forderte die Kolonialmacht von den vietnamesischen Kämpfern deren totale Selbstentwaffnung.

Doch Hô kapitulierte nicht: Erneut rief er zur allgemeinen Volkserhebung in ganz Vietnam auf. Die Kämpfer der Vietminh blieben Paris nichts schuldig, so daß sich Frankreich gezwungen sah, zusätzlich 20.000 Angehörige seiner Elitetruppen, darunter auch Fremdenlegionäre, nach Vietnam zu werfen. Davon versprach sich sein Generalstab einen schnellen Sieg. Er unterschätzte indes die taktische Klugheit seiner Gegner. Bei eigenen Verlusten von 8000 Mann befreiten ihre Kämpfer 13 Bezirkshauptstädte.

1953 entschied Frankreichs Regierung, alles auf eine Karte zu setzen. In der Basis Diên Biên Phu an der Grenze zu Laos wurden Tausende Fallschirmjäger konzentriert. Doch die Vietminh-Führer ließen sich dadurch nicht in Panik versetzen: Gegen Jahresende leitete General Giáp schrittweise die Einkesselung der von Frankreich für uneinnehmbar gehaltenen Festung ein.

Am 7. Mai stürmten sie seine Kämpfer und nahmen 16.000 französische Soldaten gefangen. Nach seiner größten Niederlage im Kolonialkrieg wurde Paris an den Verhandlungstisch gezwungen und mußte in Genf der Unabhängigkeit von Vietnam, Laos und Kambodscha zustimmen. Vietnam wurde zunächst zweigeteilt. Demokratische Wahlen sollten über das weitere Schicksal des Landes entscheiden. Die USA suchten diese um jeden Preis zu verhindern und installierten im Süden ein prowestliches Satellitenregime mit Ngô Dinh Diêm an der Spitze.

Hô und seine Genossen konzentrierten sich fortan auf die politische und ökonomische Stärkung des Nordens. 1959 ging Hanoi davon aus, daß günstige Bedingungen für den Guerillakampf zur Rückeroberung des Südens bestünden. Inzwischen hatte Washington für die Formierung einer Söldnerarmee des Diem-Regimes gesorgt, während das Pentagon immer mehr eigene Kontingente nach Südvietnam verlegte. Mehr als die Hälfte der US-Streitkräfte wurde mobilisiert, darunter etliche Spezialeinheiten und Bomberverbände sowie ein Drittel der Kriegsflotte mit ihren Flugzeugträgern. 1969, auf dem Höhepunkt der Aggression, befanden sich 550.000 GIs im Kampfgebiet, die von 70.000 südvietnamesischen Söldnern unterstützt wurden.

1964 begann der Luftkrieg gegen die DRV. Die U.S. Air Force warf in einem einzigen Monat mehr Bomben über Nordvietnam ab, als ihre Maschinen in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges über Deutschland ausgeklinkt hatten. Doch sie brachen weder den Widerstand im Süden noch die politisch-militärische Stabilität des Nordens. Trotz des Luftterrors gelang es den Aggressoren nicht, die Nachschublinien der Befreiungskräfte im Süden zu zerschlagen.

Über den in die Geschichte eingegangenen Hô-Chi-Minh-Pfad, den Laos und Kambodscha mit absicherten, wofür auch sie sich massiven Bombardements ausgesetzt sahen, wurden die Kämpfer mit allem Notwendigen versorgt. Nun griff die U.S. Air Force zu der berüchtigten "Entlaubungs-Chemikalie" Agent Orange, die nicht nur die Ernten im Süden vernichtete, sondern auch unzählige Kinder nachfolgender Generationen als Krüppel zur Welt kommen ließ.

Doch die Kampfmoral der Truppen General Giáps und des Vietcong blieb ungebrochen. In der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1968 begann die Têt-Offensive - eine militärische Glanzleistung ohnegleichen: An Fronten von insgesamt 1200 Kilometern Breite griffen 200.000 Mann der Volksbefreiungskräfte schlagartig den Gegner in mehr als 100 größeren und zahlreichen kleineren Städten des Südens an. Die meisten US-Generalsquartiere sowie die Saigoner US-Botschaft wurden attackiert, 36 Landebahnen zeitweilig in Besitz genommen sowie 1500 Flugzeuge und Hubschrauber vernichtet.

Als "Vergeltung" für diese enorme militärisch-moralische Niederlage unternahm die U.S. Air Force eine letzte Serie schwerer Bombardements gegen Objekte in Nordvietnam. Die Terrorangriffe wurden weltweit verurteilt. In den Vereinigten Staaten selbst schwoll der Sturm des Protests zum Orkan an.

Die Bilanz des Krieges war entsetzlich. In Nord- und Südvietnam forderte die US-Aggression mehr als zwei Millionen, in Kambodscha 300.000 und in Laos 200.000 Opfer. Auch auf seiten der USA registrierte man schwere Verluste: Über 60.000 der mehr als 1 Million Zwangsrekrutierten fielen, 300.000 wurden verwundet. Die U.S. Army geriet durch Untaten wie die Ausrottung der 450 Einwohner des Dorfes My Lai - eines vietnamesischen Lidice - an den Pranger der Welt. Zur Ehre der US-Bürger ist zu bemerken, daß etwa 40.000 Wehrpflichtige den "Dienst" in Vietnam aus Gewissensgründen verweigerten.

Im April 1975 eröffnete General Giáp die Schlußoffensive. Nach der Einnahme Saigons vereinigten sich der Norden und der Süden zur Sozialistischen Republik Vietnam.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Massenmord im Mittelmeer

Von immer neuen Kriegsschauplätzen und den dort Hingemordeten ist die Rede, ohne dabei deutlicher jene zu benennen, für die der Tod ein lukratives Geschäft ist. Das Sterben Tausender und aber Tausender Menschen überwiegend schwarzer oder brauner Hautfarbe im Mittelmeer erweist sich als unmittelbare Folge von Krieg und Gewalt.

Die Leib und Leben Riskierenden, welche sich auf nicht hochseetüchtige Schiffe und überladene Boote oder gar Flöße begeben, fliehen aus Angst vor den Kriegen alter wie neuer Kolonisatoren, die ihnen die Lebensgrundlage entzogen haben. Hunderttausende stehen auf den "Wartelisten" der Schlepperbanden, deren kriminelles Geschäft längst zu einer Ultraprofite abwerfenden "normalen Branche" des Kapitalismus geworden ist.

Während sich die "Festung Europa" trotz frommer Beteuerungen immer hermetischer abzuschotten sucht, schwellen die Flüchtlingsströme Verzweifelter, die alles auf eine Karte setzen, unablässig an. Die Zahl der Ertrinkenden nimmt ständig zu.

Um diesem Kapitalverbrechen des Kapitals zu begegnen, bedarf es tausendfach verstärkter Solidarität mit den Opfern der Gewalt sowie massiver Abwehr jeglicher Formen von Ausländerhaß und Diskriminierung aus politischen, ethnischen und religiösen Gründen. Das unten reproduzierte Plakat dänischer Humanisten stellt sich solchem Ungeist entgegen.

RF

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Der 8. Mai in Österreich

Vor wenigen Wochen jährte sich zum 70. Mal ein Ereignis, das vielen Österreichern bestenfalls als das Ende des 2. Weltkrieges bekannt ist. Einige verbinden und betrauern damit auch den Untergang des tausendjährigen Reiches, und nur eine Minderheit feiert dieses Datum im Gedenken an die Befreiung vom Hitlerfaschismus.

70 Jahre sind eine lange Zeit, in der man auch in Tirol zu einer Neubewertung dieses schrecklichen Abschnitts der Geschichte unserer Heimat und der damals handelnden Personen hätte kommen können.

Leider ist dem nicht so. So ist es in der Gemeinde Kirchbichl im Tiroler Unterland, einer seit 1945 sozialdemokratisch verwalteten Ortschaft, nicht gelungen, für die dortigen Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft eine Stätte der Erinnerung und des Gedenkens zu errichten. Während der Errichtung des TIWAG-Innkraftwerks wurden zwei polnische Zwangsarbeiter wegen "Rassenschande" - so bezeichneten die Faschisten Beziehungen zwischen "slawischen Untermenschen" und "reinrassigen Arierinnen" - ohne Gerichtsurteil erhängt.

Aber auch für einheimische Widerstandskämpfer wie den 1944 vom NS-Volksgerichtshof zum Tode verurteilten und danach hingerichteten gebürtigen Kirchbichler Anton Rausch sucht man dort vergeblich eine ihn würdigende Tafel oder eine Straßenbezeichnung.

Ein weiteres Kirchbichler Nazi-Opfer, der Zimmermann Josef Zaisser, befand sich aus politischen Gründen im KZ-Flossenbürg und kam dort am 4. November 1941 ums Leben. Sein Name taucht bis dato nicht einmal in den offiziellen Opferlisten auf.

In der Nachbargemeinde Wörgl, welche zumindest für die hingerichteten Sozialdemokraten Josefine und Alois Brunner einen bescheidenen Gedenkstein am Bahnhofsvorplatz aufstellen ließ und Gedenktafeln am örtlichen Friedhof anbrachte, kam man kürzlich auf die glorreiche Idee, sich ihrer und der übrigen Wörgler NS-Opfer fortan auf der Rückseite des Kriegerdenkmals vor der Stadtpfarrkirche zu erinnern. Täter und Opfer in trauter Gemeinschaft vereint - die Opfer allerdings verschämt hinter dem Rücken der heroischen Vaterlandsverteidiger, welche fern der Heimat in treuer Pflichterfüllung für "Führer, Volk und Vaterland" ihr Leben ließen! Wenn man in Betracht zieht, daß bis vor kurzem Wehrmachtsdeserteure und Widerstandskämpfer hierzulande als "Kameradenschweine" und "Vaterlandsverräter" galten, dann ist das immerhin eine gewisse Aufwertung.

Auch in der Schickimicki-Stadt Kitzbühel, Refugium zahlreicher Verehrer und Bewunderer Hitlers wie seiner Ideologie, sucht man bisher vergeblich nach Hinweisen auf ermordete politische Gegner des Nazi-Regimes. Doch wenigstens ein Fortschritt ist zu vermelden: Bei einer Gemeindeversammlung wurde erstmals der Antrag gestellt, eine Gedenktafel für hingerichtete Mitbürger anzubringen.

Angesichts all des hier Geschilderten ist es nicht verwunderlich, daß heute im Ausland oftmals die Meinung vorherrscht, alle Österreicher hätten dem Einmarsch der faschistischen Wehrmacht im Jahre 1938 begeistert zugestimmt und die jubelnden Massen auf dem Wiener Heldenplatz seien für das ganze Volk repräsentativ gewesen.

Wilfried Bader, Angerberg/Tirol

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Rückgriff auf die "Stürmer"-Methode des Nazi-Schmierfinken Julius Streicher

Wladimir Putin als "Inkarnation des Bösen"

In Günther Jauchs ARD-Sendung "Polittalk" erreichte die frenetische Haßkampagne gegen Wladimir Putin einen ihrer journalistischen Höhepunkte. Man erging sich in völlig abstrusen, aus der Luft gegriffenen Bezichtigungen ohne jede Verwurzelung in Rationalität oder Beweiskraft. Aus Anlaß des "rein zufällig" auf dem Roten Platz in Moskau verübten Mordes an Boris Nemzow, einem "Kreml-Kritiker", der vermutlich im Dienste der Ukraine stand, wurden bei Jauch Suggestivfragen gestellt, darunter diese: "Wie gefährlich ist Putin?" Nemzows älteste Tochter, nach eigenen Angaben aus Angst vor diesem nach Berlin geflohen, behauptete, ohne auch nur ein Argument zu bemühen, der russische Präsident sei nicht nur der Urheber dieses Verbrechens, sondern auch anderer vorausgegangener politischer Morde.

Die Hintergründe der Kampagne gegen Putin wurden bereits in mehreren "RotFuchs"-Ausgaben analysiert. Für den "krankhaft eitlen, machtbesessenen, skrupellosen und überdies von zaristischem Verfolgungswahn geplagten Tyrannen im Kreml" gab es bei der Schuldzuweisung einmal mehr kein Entrinnen: Wenn er es schon nicht selber war, der Nemzow umbrachte, so hat er die Tat zumindest veranlaßt, "da er ja jeden Kritiker sogleich beseitigt". Wenn es also andere waren, dann wußte Putin bereits im voraus davon, da ihm "nichts entgeht" und nahm es "freudig in Kauf". Daher ist er der "Hauptschuldige", der "permanent Mordhetze gegen Oppositionelle" betreibt. Daran ändert auch die scharfe Verurteilung dieses Attentats und anderer Verbrechen durch den Kreml ebenso wenig wie die Festnahme "islamistischer Terroristen aus dem Kaukasus", die während der Tschetschenienkrise vom Westen noch als "Freiheitskämpfer gegen Rußland" hochstilisiert worden waren. Da stellen sich politische Beobachter logischerweise die Frage, ob es sich bei den Mördern vom Roten Platz nicht um CIA-gesteuerte Kaukasier oder andere Personen im selben Auftrag gehandelt haben könnte. Aufschlußreicherweise herrscht bei den imperialistischen Leitmedien inzwischen in Sachen Nemzow völliges Schweigen. Für sie hat sich der Fall erledigt.

In bezug auf die Ukraine sieht es ähnlich aus: Was immer auch die Selbstverteidigungskräfte im Donbass tun, es ist stets heimtückisch und von Putin höchstpersönlich gesteuert. Befolgen sie die Rückzugsforderungen des Minsker Abkommens noch vor den Kiewer Machthabern und deren sich als wilder Haufen erweisender ukrainischer Armee, dann "gruppieren sie nur ihre Kräfte für eine neue Offensive um". Zerschossene Wohn- und Krankenhäuser, das ganze Elend der in den Konflikt hineingezogenen Zivilbevölkerung - alles geht auf Putins Konto und Geheiß. Die enormen Zerstörungen und die hohe Zahl der Menschenopfer dieser Konfrontation sind, durch die westliche Brille betrachtet, das Werk folternder und mordender prorussischer Separatisten im Dienste Putins.

Die Lügenpropaganda läßt die Tatsachen völlig außer Betracht, verzichtet auf "unnötige Details" und fügt dreist Erfundenes hinzu. Sie erreicht inzwischen das Niveau von Julius Streichers Schmutzgazette "Der Stürmer" und ruft die Erinnerung an dessen "jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung" wach. Streicher ereilte nach den Nürnberger Prozessen, in denen er einer der Hauptangeklagten war, der Tod durch den Strang.

Bezöge man all das, was man gegen Rußland und Putin in die Welt setzt, auch nur partiell auf Israels Bluttaten in Gaza, dann würden die Kolporteure mit Gewißheit der Volksverhetzung bezichtigt.

Hochkonjunktur herrscht einmal mehr für Verschwörungstheorien, die begierig von Teilen der "Bloggerszene" aufgegriffen und "im Volk" weithin für bare Münze genommen werden. Da gibt es neben dem Schüren der Angst vor den Russen die "islamistische Bedrohung des Abendlandes", die Überflutung durch "sozialschmarotzende Asylanten" und die "Überfremdung Deutschlands".

Wenn man ethnische Gruppen aufeinanderhetzt, bedarf es des Wiederaufwärmens ultranationalistisch-"völkischer" Nazi-Erfindungen. Auch die Dominotheorie zur Eindämmung "von Moskau gesteuerter kommunistischer Welteroberungspläne" und die berüchtigte "Totalitarismusdoktrin" funktionierten von Beginn an nach diesem Prinzip. Da fragt man sich: Wann wird die "gelbe Gefahr" wieder ins Spiel gebracht?

Bedient man sich bei einem noch ungeklärten Vorfall der Schablone solcher "bewährten Deutungsmuster", dann kann man sie beliebig auf jede neue Variante anwenden. Ergebnisse liegen ja bereits hinreichend vor. So hieß es in einer ntv-Sendung über Stalingrad unter Gleichsetzung von Hitler und Stalin: "Der Kampf der beiden Diktatoren kostete unzählige Menschenleben."

Die notorische CDU-Revanchistin Erika Steinbach, eine Merkel-Vertraute, stellte im Dezember 2014 Fotos von Hitler, Stalin und Putin unter dem Motto ins Internet: "Drei der gleichen Art." Nimmt man die als "westliche Werte" bezeichneten parlamentarischen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten zum Maßstab, dann kann man jede beliebige Abweichung davon ohne Skrupel diffamieren. So fragte man angesichts mangelnder Kooperationsbereitschaft der Athener Zypras-Regierung in Sachen Ukraine: "Hat Putin nun einen Sitz in der EU-Kommission?"

Ältere erinnern sich vielleicht noch jenes CDU-Plakats von 1956, das unter dem Motto "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau" sämtliche Übel der vom Imperialismus gepeinigten Menschheit "den Russen" in die Schuhe schieben wollte. Heute verhält es sich nicht anders.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Polens Ultra-Reaktionäre hängen einem alten Wunschtraum nach

Mit Hitler gegen Moskau

Antikommunismus/Antisowjetismus und Russophobie treiben im heutigen Polen erstaunliche Blüten. Scheinbar reicht es nicht, Volkspolen und die UdSSR zu verleugnen und das bürgerliche Zwischenkriegspolen ahistorisch zu glorifizieren. Auf deren Grundlage entstehen aber auch neue Geschichtsbilder, die im rein Spekulativen angesiedelt sind. Man sollte sie indes nicht leichtfertig abtun, weil sie eine eindeutige politische Stoßrichtung offenbaren und in bestimmten Kreisen auf lebhaftes Interesse stoßen. Bestandteil der bürgerlichen Geschichtsschreibung in Polen war schon immer das spekulative Element.

Die Hypothesen von Piotr Zychowicz in seinem 2012 erschienenen Bestseller "Der Ribbentrop-Beck-Pakt oder wie die Polen an der Seite des III. Reiches die Sowjetunion hätten besiegen können" - das Buch nähert sich einer Millionenauflage - ist von besonders infamer Art.

Der noch recht junge Autor attackiert offen den nationalen Konsens in bezug auf die Bewertung des Zweiten Weltkrieges. Er stellt die Opfer und den Widerstandskampf der Polen als durch eine fatale Fehlentscheidung der letzten Vorkriegsregierung ausgelöste, demnach vermeidbare Entwicklung dar.

Der Autor geht noch wesentlich weiter, indem er ein Bündnis mit den Hitlerfaschisten gegen die UdSSR als reale Alternative bezeichnet. Danach hätte Warschau die Hitler vor Moskau fehlenden Divisionen stellen können. Polen wären in diesem Falle nicht nur seine Ostgebiete erhalten geblieben - es wäre auch noch durch den Zugewinn der Ukraine erweitert worden. Nach der hypothetischen Zerschlagung der Sowjetunion - in den Augen von Zychowicz die größte denkbare historische Leistung in der polnischen Geschichte - hätte Warschau lediglich noch auf den Vorstoß der Westmächte warten müssen, um dann die weißpolnischen Waffen gegen Deutschland zu richten. Das Land an Weichsel und Bug - so die Fieberphantasien - wäre am Ende mit dem bekannten Gebietszuwachs auch im Westen siegreich aus dem Krieg hervorgegangen. Im Ergebnis dessen gäbe es heute - nach den Vorstellungen von Zychowicz - eine polnische Großmacht, deren Territorium sich von der Oder bis zum Dnepr und vom einstigen Königsberg fast bis vom Schwarzen Meer erstrecken würde.

Dieser chauvinistische Traum von einem Großpolen deckt sich übrigens mit den seit dem Untergang des polnischen Reiches im 18. Jahrhundert von der Mehrzahl der Landesbürger gehegten Wünschen und fällt auch heute auf fruchtbaren Boden. Denn ein nahezu vergleichbares Territorium - sieht man von den Westgebieten ab - besaß Polen ja schon im 17. Jahrhundert.

Demgegenüber hatten realistischer denkende bürgerliche Politiker, ja sogar Marschall Józef Pilsudski, die Gründe des seinerzeitigen Untergangs mehr oder weniger nüchtern analysiert und waren dabei zu anderen Ergebnissen gelangt. Das 1918 entstandene Polen verabschiedete sich 1921 von derart überzogenen Wunschvorstellungen, obwohl der Sowjetstaat zu jener Zeit weitaus schwächer als Putins heutiges Rußland war.

Zychowicz geht bei seiner Großmacht-Vision von wenig bekannten und durch die Geschichtswissenschaft weithin ignorierten Tatsachen eines durchaus ernstgemeinten Versuchs der deutschen Faschisten aus, Polen zu einem gemeinsamen Ritt gen Osten zu überreden. Mit Hilfe von den Nazis modernisierter polnischer Divisionen hätte nicht nur Moskau, sondern ein weitaus größeres Territorium erobert werden können, spekulierte man damals im Generalstab der Wehrmacht.

Der Bestseller-Autor vergißt allerdings, daß die Mehrzahl der Polen gegen "die Deutschen" eingestellt und die prononciert antideutsche Nationaldemokratie die größte Oppositionspartei im Lande war. Gegen ihren Willen, den der Linken und der Bauernbewegung hätten das Regierungslager sowie Teile des hohen Klerus nichts ausrichten können. Ein zweiter Krieg gegen die "Russen" - den ersten hatte Polen nur unter größten Anstrengungen und Opfern zwanzig Jahre zuvor gewonnen - wäre äußerst unpopulär gewesen. Überdies hätten sich Ukrainer und Belorussen in Ostpolen dem nicht nur mehrheitlich verweigert, sondern wären wie in den frühen 20er Jahren zum Partisanenkampf angetreten.

Auch muß die Möglichkeit einer raschen Modernisierung des polnischen Heeres mit Hilfe der Deutschen Wehrmacht für illusorisch gehalten werden. Die schlecht ausgerüsteten Truppen hätten wie die deutschen Aggressoren unter dem Feuer der Roten Armee in Schlamm und eisiger Kälte gesteckt.

Eine völlige Fehlrechnung wäre der angebliche Schutz der in Polen lebenden Juden vor den Deutschen gewesen. Zychowicz unterschlägt den latenten und zum Teil sogar rabiaten Antisemitismus, der im Zwischenkriegspolen zu einer Reihe von Pogromen geführt hatte. Selbst nach der Befreiung brachten rechte "Unabhängigkeitskämpfer" etwa 2000 überlebende Juden um. Außerdem war die "Endlösung der Judenfrage" den Hitlerfaschisten so wichtig, daß sie im Falle einer Weigerung Warschaus sofort eine ihnen genehme Regierung etabliert hätten, wie das in Ungarn 1944 geschah.

Zychowicz behauptet, daß die polnischen Verluste bei einem Pakt mit Hitlerdeutschland weitaus geringer gewesen wären. Auch hierin dürfte er sich getäuscht haben. Die Opfer an der sowjetischen Front sowie im Kampf gegen ostpolnische, belorussische, ukrainische und russische Partisanen, aber auch bei einem Seitenwechsel durch Vernichtung antifaschistischer Polen und eine "Politik der verbrannten Erde" wären vermutlich ungleich höher gewesen.

Zychowicz folgt einer als "prodeutsch" bezeichneten Tendenz des Sympathisierens mit reaktionären Kräften in der BRD. Weiße Polen glauben, sich durch noch stärkere Anlehnung an die EU, in der Berlin den ersten Platz einnimmt und ihr früherer Premier Donald Tusk inzwischen eine maßgebliche Rolle spielt, dem Westen als antirussische Sturmspitze empfehlen zu können.

Dr. Bernhard Majorow


Unser Autor ist Historiker und Polonist.

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Im Verhältnis zur Oder-Neiße-Friedensgrenze schieden sich die Geister

Vor 65 Jahren wurde das Görlitzer Abkommen signiert

Das Jahr 2015 begann mit Kriegen. Sie finden derzeit sowohl im Nahen und Mittleren Osten als auch auf dem europäischen Kontinent statt. So bleibt der Kampf für den Frieden das wichtigste Anliegen auf der politischen Agenda.

Es ist üblich geworden, gelegentlich auf die "glückliche Lage Deutschlands" zu verweisen. Seit einem Vierteljahrhundert gebe es an den Grenzen der BRD nur befreundete und verbündete Staaten, heißt es.

Gar nicht üblich hingegen ist eine Benennung der wesentlichen Schritte, die zu dieser Situation geführt und beigetragen haben. Dabei war die Ausgangsposition für gute Nachbarschaft 1945 sehr ungünstig. Die Deutschen hatten sich mit dem Hitlerfaschismus und dem durch ihn entfesselten Krieg alle Welt zum Feind gemacht. Die Nachbarn in Ost und West besaßen gute Gründe, ihnen mit Mißtrauen zu begegnen.

Ist es da nicht von Relevanz und öffentlichem Interesse, wie der grundlegende Wandel nach der Zerschlagung des Faschismus zustande kam? Friedenspolitik heißt doch auch, die gute Nachbarschaft mit allen Anliegerstaaten für die Zukunft zu bewahren. Das Wissen, welche Schritte den Wandel von Feindschaft zu verläßlicher Koexistenz bewirkt haben, sollte daher kein Spezialwissen einiger Politiker sein, sondern Allgemeingut einer aufgeklärten Gesellschaft.

Wie ist der Stand der Dinge?

Daß Konrad Adenauer Wert auf eine Aussöhnung mit Frankreich legte, kann man gelegentlich lesen oder hören. Hatte er dabei eigentlich Widerstände zu überwinden? Gab es außer unverbesserlichen Nazis zu seiner Zeit in der BRD politisch relevante Kräfte, die gegen eine Überwindung dieser vermeintlichen "Erbfeindschaft" Einwände erhoben? Wohl kaum.

Ganz anderer Natur war hingegen der Umgang mit den Nachbarn im Osten. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage der deutschen Ostgrenze. Zeit seiner Kanzlerschaft beharrte Adenauer auf den Grenzen von 1937.

Aufschlußreich ist die Tatsache, daß Deutschland im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD 1990 nicht nach den Vorstellungen Adenauers, sondern nach denen Walter Ulbrichts und der DDR - was Gebietsfragen betrifft - formiert worden ist. Und das ist gut so.

Allerdings ist diese Tatsache kaum ins öffentlichen Bewußtsein gedrungen. Die Frage, ob mit dem 2+4-Vertrag 1990 die Vorstellungen Adenauers oder Ulbrichts festgeschrieben wurden, gilt offenbar als ein Tabu. Das ist um so seltsamer, wenn man den Zusammenhang zwischen der Teilung Deutschlands und der Grenze im Osten betrachtet.

In diesem Sommer ist es 65 Jahre her, daß die entscheidenden Schritte für den Frieden im Osten gegangen wurden. Am 6. Juni 1950 fand die Unterzeichnung der Warschauer Deklaration über die Oder-Neiße-Grenze statt. Nur einen Monat später - am 6. Juli - wurde das Abkommen von Görlitz/Zgorzelec über die Grenze zwischen der DDR und der VR Polen feierlich signiert.

Dagegen erhob sich aus dem Westen massiver Protest. Mit Ausnahme der KPD wollten alle im Bundestag vertretenen Parteien nicht wahrhaben, zu welchen Resultaten der Hitlerkrieg geführt hatte. In einer Gemeinsamen Erklärung vom 13.6.1950, der auch die Bundesregierung zustimmte, wurde die Forderung nach den Grenzen von 1937 erhoben. Sie blieb in der Alt-BRD der Adenauer-Ära allgegenwärtig. In allen Schulen wurde bereits den Kindern dieses revanchistische Verlangen vermittelt.

Die Wetterkarte des ARD-Fernsehens, die man im Verbund mit der Tagesschau präsentierte, zeigte die Grenzen von 1937. Den Menschen, die ihre Heimat verloren hatten, wurde jahrzehntelang Abend für Abend vorgegaukelt, sie könnten irgendwann wieder dorthin zurückkehren. Hat sich für diese Irreführung schon mal jemand von den tonangebenden Parteien bei den Betroffenen entschuldigt?

Aus Anlaß des 25. Jahrestages der Unterzeichnung des Abkommens von Görlitz/Zgorzelec sollte man den von der DDR und Volkspolen herbeigeführten "Frieden im Osten" würdigen und untersuchen, welchen Einfluß der Streit um die Oder-Neiße-Grenze auf die Situation des Kalten Krieges und die sogenannte deutsche Frage hatte.

Im März 1952 ließ der "Westen" durch das Ignorieren der "Stalin-Noten" die sich ihm bietende Möglichkeit ungenutzt, die DDR durch eine Vereinigung nach österreichischem Muster wieder loszuwerden.

Am 17. Juni 1953 richteten sich die Unruhen in Teilen der DDR auch gegen die Oder-Neiße-Grenze. Leider werden diese revanchistischen Aktionen heute mitunter sehr gedankenlos als "Willensbekundungen für die deutsche Einheit" bezeichnet. Dabei gerät in Vergessenheit, daß es um eine Einheit nach Adenauers Muster ging. Soll so die Forderung nach den Grenzen von 1937 gewissermaßen durch die Hintertür wiederbelebt werden?

Man bedenke: Am 9. Mai 1955 wurde der NATO-Beitritt der BRD rechtskräftig. Dieser neue Mitgliedsstaat des westlichen Militärpaktes erhob zur gleichen Zeit Gebietsforderungen gegen die UdSSR und die VR Polen. Welche Folgen mußte das für den West-Ost-Konflikt haben?

Noch 1960 betrachtete die Regierung der BRD ihren "Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen" als dafür zuständig, ob in einem Atlas der Ortsname "Königsberg" oder "Kaliningrad" stehen durfte. Mit anderen Worten: Man bezog das sogenannte Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes damals auch auf Ostpreußen, Schlesien und Pommern.

1961 nahm das ökonomische Gefälle zwischen der DDR und der BRD zu, also auch die Abwanderung von DDR-Bürgern in den Westen. Für die DDR entstand eine Krisensituation. 1955 hatte Chruschtschow mit den Westmächten den Staatsvertrag für Österreich geschlossen und die Rote Armee aus dem Land abgezogen.

Warum konnte es 1961 nicht eine ähnliche Lösung für die DDR geben? Ein Grund war dieser: In Bonn träumte man weiter von Königsberg, das längst Kaliningrad hieß. Auch der SPD-Politiker Willy Brandt hing noch solchen Illusionen nach. Unter diesen vom Westen gesetzten Prämissen konnte es 1961 keine deutsche Einheit geben. Der Realist John F. Kennedy kommentierte das so: "Eine Mauer ist tausendmal besser als ein Krieg."

Erst 29 Jahre später sah sich Helmut Kohl als Kanzler dazu gezwungen, auch in den Unionsparteien wohl oder übel die Akzeptanz der Oder-Neiße-Grenze durchzusetzen. Zu dieser Erkenntnis hatte man in Bonn 38 Jahre gebraucht.

Friedrich Thiemann, Bernburg

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Schutzpatrone in Pullach

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Warum die NVA kein Traditionsspender für die Bundeswehr sein kann

Gegen die Vermischung von Feuer und Wasser!

Im Jahr 2012 erschien im Miles-Verlag eine Schrift unter dem Titel: "Tradition für die Bundeswehr - Neue Aspekte einer alten Debatte". In diesem Sammelband kommen fünfzehn Autoren, vorwiegend Militärs, zu Wort. Die Herausgeber verstehen Traditionen als einen Prozeß, der "einem permanenten Wertewandel in der Gesellschaft unterliegt" und "geistige Orientierung" bietet.

Obwohl die Herausgeber anerkennen, daß die NVA "keinen verbrecherischen Krieg" führte, hätte sie ebenso wie die "Wehrmacht ­... einem Unrechtsregime gedient".

Zwei Gegenfragen: Ist den Herausgebern bekannt, daß die NVA überhaupt keinen Krieg geführt hat? Und somit natürlich erst recht keinen verbrecherischen! Ist ihnen in den Sinn gekommen, worin der Unterschied zwischen der einem "Unrechtsregime" dienenden Armee, die nie einen Krieg führte, und der Armee eines "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates", die bereits an mehreren völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Kriegen teilnahm bzw. noch teilnimmt, besteht? Die Opfer dieser Kriege können die Frage nicht mehr beantworten.

Es ist nicht meine Absicht, das Traditionsbild der Bundeswehr als Ganzes zu bewerten. Es geht mir um den Beitrag von G. Glaser und R. Wenzke "Kann man in der NVA Traditionswerte für die Bundeswehr finden?"

Dr. Günther Glaser, emeritierter Professor und Kapitän z. S. der Volksmarine der DDR, und Dr. Rüdiger Wenzke, Absolvent der Sektion Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, jetzt Wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, vermeinen einem Ausspruch des damaligen Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière die Aufforderung zu entnehmen, es könne in der NVA-Geschichte etwas Traditionsbildendes für die Bundeswehr geben.

In dieser Auseinandersetzung möchte ich mit einem klaren Nein antworten. Die Kritik an dieser Schrift verbinde ich mit der Frage nach meiner Identität. Habe ich 20 Jahre in einer Armee gedient, die zum "Wurmfortsatz einer Aggressionsarmee" mutierte oder in einer Armee, deren oberster Auftrag die Sicherung des Friedens war? Meine These: Eine Armee, die nie einen Krieg führte, kann nicht an der Traditionsbildung einer anderen Armee beteiligt sein, die an völkerrechtswidrigen Kriegen mitwirkte und mitwirkt; einer Armee, die sich zwar auf das Grundgesetz beruft, es aber durch die Teilnahme an Angriffskriegen wiederholt gebrochen hat.

Glaser/Wenzke belegen im Abschnitt "Die Nationale Volksarmee in der SED-Diktatur (1956 bis Herbst 1989)", wohl entgegen ihrer Absicht, daß die NVA eigentlich gar nicht traditionsbildend für die Bundeswehr sein könne.

Neben den stereotyp wiederholten, eine solche Traditionsbildung ausschließenden angeblichen Merkmalen der NVA wie "Parteiarmee", "Armee in einem Unrechtsstaat", "Instrument einer Diktatur" wird ihr besonders die Überbetonung des kommunistischen sowie die Vernachlässigung des bürgerlichen und militärischen Widerstandes in der Traditionspflege zum Vorwurf gemacht. Ich achte diesen Widerstand. Jeder hat dabei sein Leben riskiert, und viele haben es auch verloren. Allerdings ist es wissenschaftlich unredlich und moralisch verwerflich, andere für das zu verteufeln, was man selbst tut. So wird heute von den Siegern dieser Runde der Geschichte der proletarische und speziell der kommunistische Widerstand totgeschwiegen, heruntergespielt oder verunglimpft. Hinzu kommt, daß der Begriff des militärischen Widerstandes umstritten ist.

Unbeachtet bleiben u. a. die Kämpfer der Internationalen Brigaden in Spanien, Partisanen oder Deutsche, die in den Armeen der Anti-Hitler-Koalition ihr Leben einsetzten. Unberücksichtigt bis abgelehnt bleiben das Wirken des Nationalkomitees Freies Deutschland sowie des Bundes deutscher Offiziere. Wo wird die sicher sehr differenzierte Gruppe der Wehrmachtdeserteure erfaßt, die bis vor kurzem noch nicht einmal rehabilitiert war?

"Mit der Vereinigung Deutschlands ist die ehemalige Nationale Volksarmee Teil der deutschen Militärgeschichte geworden." Auch wenn das ein ehemaliger Minister Rühe sagte, bleibt es Unsinn. Die NVA der DDR war von an Anfang an Teil der deutschen Militärgeschichte und nicht erst seit dem Anschluß der DDR an die BRD. Es sei denn, die beiden Autoren beharren auf jenem sinnlosen Konstrukt des "Gedient in fremden Streitkräften", was sich ein Angehöriger der faschistischen Wehrmacht in der alten BRD nie hat gefallen lassen müssen. Es gibt im Beitrag der beiden Autoren auch keinen Hinweis darauf, daß die faschistische Wehrmacht nicht Teil der deutschen Militärgeschichte gewesen sei.

Es wirkt geradezu beleidigend, wenn sie schreiben, daß es in der NVA Menschen gab, "die sich nicht nur korrekt und anständig verhielten, sondern die sich - in Uniform - dem Regime widersetzten, sich die humanistischen und demokratischen Normen zu eigen machten ..." Weniger eindeutig wird die Sache allerdings, wenn es weiter heißt "aus welchen Motiven auch immer". Also handelten die NVA-Angehörigen, die ihren Dienst auf der Grundlage der Verfassung der DDR, getreu dem geleisteten Fahneneid absolvierten und sich nicht widersetzten, unkorrekt und unanständig? Also war ihr Wille, den Frieden und die DDR zu verteidigen, kein humanistischer Wert?

Das Verhalten der NVA wie der anderen bewaffneten Organe im Herbst 1989 trug mit dazu bei, einen blutigen Bürgerkrieg zu verhindern, möglicherweise sogar einen 3. Weltkrieg. Unerwähnt bleibt in dem Beitrag auch der Befehl Nr. 10/89 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, Egon Krenz, über das Verbot der Schußwaffenanwendung bei Grenzdurchbrüchen.

Vergleichsweise genausowenig denkbar als Tradition für die Bundeswehr wäre das revolutionäre Erbe des Kieler Matrosenaufstandes sowie der Arbeiter- und Soldaten-Räte, die das Ende der kaiserlich-deutschen Streitkräfte besiegelten. Wer die auch international be- und geachtete Friedenspolitik der DDR in Zweifel zieht und zu sogenannten humanitären Einsätzen der Bundeswehr schweigt oder sie gar zur Friedensstiftung verklärt, macht sich unglaubwürdig. Da verwundert es kaum, daß das Wort Frieden bei beiden Autoren nur ein einziges Mal indirekt vorkommt. Der Satz "Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden!" stammt zwar nicht von der SED, umschreibt aber einen nicht unwichtigen Teil ihrer Beschlüsse und ihres Handelns. An das Versprechen, daß von deutschem Boden nie mehr Krieg, sondern nur noch Frieden ausgehen solle, hat sich die DDR - anders als die BRD - zeit ihrer Existenz gehalten.

Zumindest inkorrekt erscheint der Vorwurf an ehemalige Angehörige der NVA, die "kolportiert" hätten, daß die "Traditionswürdigkeit der NVA ­... von den Siegern ... vorschnell und pauschal abqualifiziert" worden sei. Nichts wurde hier "kolportiert", nur die Realität reflektiert. Das Abqualifizieren begann mit dem Kinkelschen DDR-Delegitimierungsaufruf. An seiner Realisierung haben beide Autoren kräftig mitgewirkt.

Wenn es seitens der NVA etwas gäbe, was die Bundeswehr in ihre Tradition aufnehmen könnte, so wäre es die begonnene, aber mit der Fiktion "Armee der Einheit" abgebrochene und erledigte Militärreform der NVA. Gleiche Sicherheit für alle, strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, Konzentration auf die Landesverteidigung sowie Teilnahme an vertrauensbildenden Maßnahmen wären denkbare Ansätze. Ist das jedoch einer Armee im Einsatz, wie das weltweite Operationsgebiet dieser Aggressionsarmee schamhaft umschrieben wird, als traditionswürdig zuzumuten?

Major a. D. Harry Pursche, Leipzig

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Helden des Roten Oktober

Lenins Kampf- und Lebensgefährtin N. K. Krupskaja

Wie die Erhaltung des Friedens ureigenste Sache der Frauen und Mütter ist, so ist mit Gewißheit auch die Beteiligung an der sozialistischen Revolution - als Voraussetzung für den Aufbau einer friedliebenden Gesellschaftsordnung - ihr Anliegen. Nadeshda Konstantinowna Krupskaja wußte um das Leid der Millionen im zaristischen Völkergefängnis gedemütigten und gequälten Frauen. So faßte sie den Beschluß, an der Seite der revolutionären Kräfte den Kampf aufzunehmen.

1869 im damaligen St. Petersburg geboren, reihte sie sich Mitte der 90er Jahre in den von Lenin gegründeten Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse und 1898 der in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR) ein. Ihre natürliche Veranlagung für den Lehrerberuf festigte sie durch autodidaktische Studien und stellte vor allem ihre Kenntnisse der Werke von Marx und Engels in Arbeiterzirkeln zur Verfügung. Wegen dieser revolutionären Tätigkeit wurde sie 1896 verhaftet.

Das ein Jahr später gefällte Urteil lautete auf drei Jahre Verbannung, die sie gemeinsam mit Wladimir Uljanow (Lenin) in dem sibirischen Dorf Schuschenskoje verbrachte. Hier gingen beide die Ehe ein.

Um die Jahrhundertwende arbeitete N. K. Krupskaja als Sekretärin Lenins in Leipzig, wo die revolutionäre Zeitung "Iskra" (Der Funke) herausgegeben wurde. Besonderen Anteil hatte sie 1917 an der Vorbereitung und Durchführung der Oktoberrevolution. Da Lenin sich in der Illegalität aufhalten mußte, war seine Frau für ihn das wichtigste Bindeglied zu den Genossen. Sie übermittelte seine Aufträge und informierte ihn über alle Vorgänge in der Partei. Als der Zeitpunkt des bewaffneten Aufstandes herangereift war, arbeitete sie im Bezirkskomitee der SDAPR (B) im Wyborger Bezirk, einem Arbeiterviertel Petrograds.

Nach dem Sieg der sozialistischen Revolution widmete sich N. K. Krupskaja mit aller Kraft dem Aufbau einer sozialistischen Volksbildung. 1920 wurde sie Vorsitzende des Hauptkomitees für politische Bildung beim Volkskommissariat für Volksbildung, ab 1929 stellvertretender Volkskommissar für Volksbildung der RSFSR. Sie gehörte seit 1927 dem ZK der KPdSU (B) an und war Mitglied des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR.

Diese ungewöhnliche Frau, die durch die sozialistische Revolution geformt wurde und an der Seite eines Mannes lebte und arbeitete, der durch sein Werk ein neues Kapitel in der Weltgeschichte einleitete, hinterließ eine Fülle von Aussagen zur sozialistischen Pädagogik. Sie beschäftigte sich mit allen Fragen des Bildungswesens von der Vorschulerziehung bis zur Erwachsenenbildung. Ihre theoretischen Arbeiten sind auch heute noch eine Fundgrube der fortschrittlichen Pädagogik, wie sie in den sozialistischen Ländern gepflegt und weiterentwickelt wurde.

Steffen Kastner

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John Reed - Chronist der Revolution

Es mag manchen verwundern, wenn in der Reihe der Helden des Roten Oktober auch ein junger Amerikaner, ein Absolvent der Harvard-Universität, erscheint. Diese Tatsache beweist einmal mehr, daß auch im amerikanischen Volk - damals wie heute - Kräfte existent sind, die sich von der kapitalistischen Umwelt nicht irritieren lassen und für das revolutionäre Morgen kämpfen.

John Reed wurde 1887 in Portland geboren, zeichnete sich während seiner Schulzeit durch hervorragende Leistungen aus und spielte auch bald an der Universität im studentischen Leben eine maßgebliche Rolle. Nicht nur, daß er als Redakteur der satirischen Zeitschrift "Lampoon" aufmerken ließ: Zum Entsetzen der bürgerlichen Professoren gründete er auch noch einen sozialistischen Klub!

Nach seinem Studium widmete sich Reed ganz der schriftstellerisch-journalistischen Arbeit und war als Kolumnist bei einer Reihe von Zeitungen und Zeitschriften tätig, die den glänzenden Stil seiner gesellschaftskritischen Beiträge zu schätzen wußten.

Der erste imperialistische Weltkrieg sah ihn dann auch an den verschiedensten Fronten in Frankreich, Deutschland, Italien, der Türkei und schließlich in Rußland. Seine Reportagen waren aber keinesfalls - wie die anderer Kriegsberichterstatter - lediglich informierend und betrachtend, sondern engagiert, offen parteilich - und zwar für die in den Krieg der Mächtigen hineingerissenen Völker. Aber gerade das vertrugen die Zeitungsbosse der bürgerlichen Welt am wenigsten. So boykottierten sie ihn, ließen seine Arbeiten unveröffentlicht.

Doch John Reed hatte bei den amerikanischen Arbeitern bereits einen solchen Ruf als einer der ihren, daß er auf Versammlungen und Kundgebungen außerordentlichen Zulauf erfuhr. Und wie der Student seine Position als Gründer eines sozialistischen Klubs deutlich machte, so wurde er jetzt zum Mitbegründer der Kommunistischen Partei der USA.

Sein hohes Ansehen als für die Arbeiter Partei ergreifender Journalist ließ ihn in den Tagen vor und während der Oktoberrevolution mehrfach mit Lenin und anderen Persönlichkeiten der Bolschewiki zusammentreffen. Gemeinsam mit den Rotgardisten nahm er am Sturm auf das Winterpalais teil. Das hautnahe Miterleben dieser Wende in der Menschheitsgeschichte inspirierte ihn zu seinem bedeutendsten Werk "10 Tage, die die Welt erschütterten". Lenin sagte hierzu in einem Vorwort: "Dies ist ein Buch, das ich in Millionen Exemplaren verbreitet und in alle Sprachen übersetzt wissen möchte. Es gibt eine wahrheitsgetreue und äußerst lebendige Darstellung der Ereignisse, die für das Verständnis der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats von größter Bedeutung sind."

John Reed arbeitete seit November 1917 im Büro für internationale revolutionäre Propaganda des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten. Er war Delegierter des 2. Kongresses der Komintern und Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI). Einer Typhuserkrankung vermochte er infolge starker Überlastung nicht genügend Widerstand entgegenzusetzen, so daß er, erst 33jährig, im Oktober 1920 verstarb. Der Internationalist John Reed hat neben anderen bedeutenden Persönlichkeiten der Oktoberrevolution an der Kreml-Mauer seine letzte Ruhestätte gefunden.

St. K.

Dieses Pseudonym - eines von mehreren - benutzte unser heute fast 93jähriger Autor Helmuth Hellge, der unlängst seinen 70. RF-Abonnenten gewann, bei der Westberliner Zeitung "Die Wahrheit".

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Wo Denkmäler zu Ehren eines Großen die Zeiten überdauern

Leniniana

Naturgetreue oder riesige, verfallene oder prunkvolle Lenindenkmäler, mit welken Blumensträußen und frischen Kränzen geschmückt, erheben sich in fast jeder Ortschaft Rußlands, aber auch außerhalb seiner Grenzen. Manche ragen auf zentralen Plätzen empor, andere befinden sich in Nebenstraßen. Es gibt solche, die sich in Parks, auf Schulhöfen, vor Kindergärten, auf Fabrikgelände oder in Betriebsbahnhöfen, aber auch in Treppenhäusern eher verstecken.

Dabei ist Lenin in verschiedenen Posen zu betrachten - mit in die Ferne weisendem Arm, mit hinter dem Rücken verschränkten oder in den Taschen vergrabenen Händen, aber auch mal an den Kragen greifend. Bisweilen hält er eine Zeitung oder seine Kopfbedeckung, ab und an stützt er sich auf ein Podest. Leicht oder warm bekleidet, sitzt, steht oder schreitet er. Man trifft auf Lenin als Büste sowie in Gestalt von Halb- und Ganzkörperstatuen. Oft steht er allein, doch gelegentlich wird er auch von Rotarmisten, Kindern, Arbeitern, Bauern oder Persönlichkeiten wie Maxim Gorki begleitet.

Es gibt Lenin in den verschiedensten Farbnuancen - in Weiß, Schwarz, Gold, Rosa, Grau, Silber und Braun. Auch als Kind oder Jugendlichen. Nicht alle Denkmäler würde ich als gelungen betrachten. Sie stehen hier und dort, unmerklich oder sogar unerwartet. Aber sie stehen. Immer noch.

Alexandre Slatkevich


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die hier ausgewählten Lenin-Monumente befinden sich in Simferopol, Nowosibirsk und Chabarowsk (Rußland) sowie in Havanna (Kuba). Alle Fotos stammen von A. Slatkevich, der dem RF dankenswerterweise eine Auswahl seiner Werke zur Verfügung stellte. Beide Großväter des Fotografen sind im Großen Vaterländischen Krieg gefallen.

- In der durch die BRD annektierten einstigen DDR-Hauptstadt Berlin gehörte die Zerstörung des vom sowjetischen Bildhauer Tomski geschaffenen Lenin-Denkmals zu den ersten "Großtaten" der konterrevolutionären Eroberer.

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Deutschlands proletarische Sportler waren eine gewaltige Kraft

Als 40.000 Athleten Ernst Thälmann empfingen

Trotz 12jährigen Verbots siegte die deutsche Arbeiterklasse, geführt von der damals revolutionären Sozialdemokratischen Partei, bei den Reichstagswahlen 1890 und zwang Bismarck, das Sozialistengesetz aufzuheben.

Unter nunmehr legalen Bedingungen schufen sich die Arbeiter gewerkschaftliche und genossenschaftliche Bildungs-, Frauen- und Turnvereine. Sie bildeten Verbände wie den 1893 gegründeten "Arbeiter-Turner-Bund" (ATB). Er war weltweit die erste proletarische Klassenorganisation im Sport. Sein langjähriger Vorsitzender, Heinrich Rauh, redigierte und druckte das Organ des Bundes, die "Arbeiter-Turn-Zeitung" (ATZ) in seinem kleinen Betrieb in Leipzig-Probstheida, in dem 1900 auch die ersten vier Nummern der Leninschen "Iskra" erschienen.

1896 riefen die "Roten Husaren des Klassenkampfes" den Arbeiter-Radfahrer-Bund "Solidarität" (ARB) ins Leben. Ein Jahr später entstanden der "Arbeiter-Schwimmerbund" (ASB), die Wanderbewegung der Naturfreunde und weitere proletarische Sportorganisationen. Nach der Novemberrevolution nahm der "Arbeiter-Turn- und Sportbund" (ATSB) seine Tätigkeit auf. Viele Arbeitersportler gehörten den Gewerkschaften und der SPD, manche der KPD an. Sie nahmen an den revolutionären Klassenauseinandersetzungen der Weimarer Republik teil.

Bereits im Juli 1922 feierte der ATSB das 1. Deutsche Arbeiter-Turn- und Sportfest in Leipzig. Am Tag vor der Eröffnung trafen die Teilnehmer mit 100 Sonderzügen, per Fahrrad und zu Fuß ein. Nach kurzer Begrüßung in der Halle intonierten 200 Hamburger Trommler und Pfeifer die Internationale, bevor 50.000 Teilnehmer geschlossen in die Massenquartiere marschierten. 25.000 fanden bei Arbeiterfamilien kostenlose Unterkunft.

Am folgenden Tag eröffneten Teilnehmer in der Kongreßhalle mit dem gemeinsamen Gesang der Internationale das Fest. Oberbürgermeister Dr. Rothe kritisierte in seiner Ansprache die Turner und Sportler. Die schwere Zeit sei nicht geeignet, Feste zu feiern. Außerdem forderte er die proletarischen Sportler auf, sich mit der bürgerlichen "Deutschen Turnerschaft" zu vereinigen, was auf energischen Protest stieß.

Den anschließenden Festumzug eröffneten 2000 Arbeiter-Radfahrer, denen die Turner und Sportler in 16er Reihen zum Festplatz auf dem Messegelände folgten, unter ihnen 15.000 ausländische Gäste.

Massenübungen sowie nationale und internationale Wettkämpfe in vielen Sportarten gestalteten das Fest zu einem großartigen Erlebnis proletarischer Solidarität.

Rechte SPD-Führer in der Arbeitersportbewegung fürchteten den zunehmenden kommunistischen Einfluß und begannen seit 1925, oppositionelle Sportfunktionäre und später ganze Vereine auszuschließen oder mit sozialdemokratischen und unpolitischen Sportlern neue Vereine zu gründen - also die Arbeitersportbewegung zu spalten. Die Ausgeschlossenen durften die vereinseigenen Sportstätten nicht mehr benutzen. Vom reaktionären Staat unterstützt, verwehrten die Städte und Gemeinden den Ausgeschlossenen Zugang auch zu kommunalen Sporteinrichtungen. Diese bildeten 1929 die "Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport" (IG), die zahlreiche Protestaktionen durchführte.

Bis 1930 wurden 65.000 oppositionelle Arbeitersportler ausgeschlossen, darunter der größte Verein, "Fichte" Berlin, sowie ganze Verbände, besonders in Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet.

Seit Ernst Thälmann 1925 die KPD führte, gab es im ZK eine Abteilung Sport. Sie informierte in der "Roten Fahne" und in 37 KPD-Tageszeitungen auch über die wichtigsten sportpolitischen Aufgaben. Pfingsten 1930 kamen Massen Ausgeschlossener zur 1. Reichskonferenz und dem damit verbundenen 1. Reichstreffen oppositioneller Sportler nach Erfurt.

Vor 40.000 Teilnehmern forderte Ernst Thälmann die revolutionäre Einheit des Arbeitersports. Er erinnerte an die damals noch bei Marx stehende SPD, die 1891 hier ihren Parteitag durchgeführt hatte.

"Die Sozialdemokratie von heute tritt die Klasseninteressen des Proletariats mit Füßen. Sie, die während des Weltkrieges das internationale Banner des Sozialismus fallen ließ, führt heute, zwölf Jahre nach dem Kriege, nach der Novemberrevolution, die größten Schandtaten gegen die werktätigen Massen durch. Auch in den Fragen des Arbeitersports erweist sich die SPD als treueste Helferin der Bourgeoisie.

Demgegenüber ist die heutige Demonstration der Arbeitersportler, der Turner, Fuß- und Handballer, Wanderer, Schwimmer, Athleten, Arbeitersamariter und aller anderen Sparten der Arbeitersportbewegung ein gewaltiges Bekenntnis zur Kampfgemeinschaft für die rote Sporteinheit ..."

Im Gegensatz zum Arbeitersport verfolgt der deutsche bürgerliche Sport völlig konträre Ziele. Ernst Thälmann zitierte den Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen, Dr. Diem: "Heute strebt das deutsche Volk wieder zur Weltgeltung zurück. Der deutsche Sport soll seiner Jugend in diesem Streben die Muskeln straffen, Eisen ins Blut gießen und jenen frischen, natürlichen opferfreudigen Sinn erzeugen, der Grundlage aller Größe und allen Glücks einer Nation ist."

Darauf antwortete Thälmann: "Diese Leute haben kein Recht, von Weltgeltung, von der Grundlage aller Größe und allen Glücks einer Nation zu sprechen ... Wir Kommunisten ... kämpfen auch für eine Nation, aber nicht für eine Nation der Thyssen und Klöckner, Borsig und Siemens, Blohm & Voß und Cuno, in der die Reichsregierung mit den faschistischen ... Führern die Industriellen und Großagrarier bereichert und die Massen ausplündert. Wir kämpfen statt dessen für eine Nation, in der die Werktätigen das Staatsruder selbst in die Hand nehmen, in der sie die Schlüsselindustrien, die Eisenbahn, die Schiffahrt, die Banken in die Hände der Allgemeinheit überführen und den Weg zum Sozialismus einschlagen."

Die 1. Reichskonferenz beschloß, die IG zur "Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit" zu entwickeln, die seit Dezember 1930 Ernst Grube, Mitglied des ZK der KPD und Reichstagsabgeordneter, leitete. Sie initiierte gemeinsam mit weiteren revolutionären Organisationen den Massenwiderstand gegen faschistische Drohung und Kriegsgefahr.

Margitta Wiehle, Greifswald

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Ein unvergessener "Frösi"-Holzschnitt

Gedanken einer Beeskower Malerin zum Internationalen Kindertag

Zum Internationalen Kindertag wollte ich unbedingt zu Papier bringen, was mir seit meiner Einschulung vor fast 55 Jahren in liebevoller Erinnerung geblieben ist. Damals hing in allen Schulen der DDR ein Bild, das auch in unseren Lesebüchern zu finden war. Ich stellte das Internet auf den Kopf und war bitter enttäuscht, daß es lediglich in Paßbildgröße auf der Liste unzähliger "Frösi"-Hefte zu entdecken war.

"Frösi" - oder auch "Fröhlich sein und singen" - war eine in hoher Auflage erscheinende Kinderzeitschrift. Wie auch immer - ich erwarb das Heft Nr. 6 vom Juni 1962 und konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, daß es damals noch eine ganz andere Aufmachung als später hatte.

Fast zärtlich durchblätterte ich die vergilbten Seiten. Wie wurde uns doch damals in altersgerechter Weise die kleine und die große Welt erklärt! Noch heute habe ich das Gefühl, wir seien einfach für voll genommen worden. Welche Mühe machten sich die Illustratoren, und welche Schätze der eigenen und der internationalen Malerei legte man uns als "Bild des Monats" bei!

Da hielt ich tatsächlich das einzige Exemplar, das noch aufzutreiben war, für fast 10 Euro in Händen. Was aber fehlte ...? Ausgerechnet das "Bild des Monats", das im Juni jenes Jahres das Extrageschenk für uns zum Internationalen Kindertag hatte sein sollen. Aus diesem Bild klang das Lied von der "kleinen weißen Friedenstaube", die den Erwachsenen übermitteln sollte, daß alle Menschen - ob Schwarze, Gelbe oder Weiße - nur Frieden wollen, den wir Kleinen zum Heranwachsen so dringend brauchten.

Mir ist nichts Näheres über die Künstlerin bekannt, die dieses Bild geschaffen hat. Ich konnte lediglich ermitteln, daß es sich um einen Holzschnitt von Li Bing-Fan "Wir wollen Frieden" handelte. Woher sie kam, was aus ihr geworden ist und was sie sonst noch geschaffen hat - blieb mir verborgen.

Was diese Frau mir und uns allen damals mit den drei Knirpsen sagen wollte und heute noch, da wir längst Erwachsene sind, abfordert, ist der Einsatz für den nach wie vor aufs äußerste gefährdeten Frieden.

Als selbst mit der Malerei Verbundene wollte ich nachfolgenden Generationen so authentisch wie möglich dieses Werk übermitteln. Bilder laden mich immer zu genauem Hinschauen ein, sie müssen den Betrachter ansprechen. Der Gesamteindruck ist entscheidend.

Wenden wir uns der Arbeit von Li Bing-Fan zu. Blickt dem braunen Bruder ins Gesicht. Zunächst meint man, er sehe den Betrachter sehr selbstbewußt an. Beim Malen aus der Erinnerung fiel mir dann auf, daß der Junge eine gehörige Portion Zurückhaltung an den Tag legt. Seine rechte Augenbraue ist leicht nach oben gezogen, als ob er dem Frieden aus bitterer Erfahrung noch nicht so recht trauen will. Sein Oberkörper neigt sich leicht nach links. Seine Hand aber liegt fest auf der Schulter des weißen Mädchens. Erstaunlicherweise bereitete sie mir bei der Arbeit die meisten Probleme. Nicht ihr freundliches Gesicht war es, sondern die Farbgestaltung. Mir fehlten die notwendigen Schattierungen, um es lebendig wirken zu lassen. Dabei hat die kleine Motte hübsche Bäckchen, als ob sie das Modellsitzen aufrege. Überdies fallen ihre Schleifchen im blonden Haar dem Betrachter auf. Sie neigt sich vertrauensvoll dem Jungen aus dem warmen Land zu.

Erst jetzt fällt mir auf, daß dieser ein T-Shirt trägt und sie einen warmen Pullover. Wo wurde das von mir nachempfundene Original des Bildes nur gemalt - in China? Die Bekleidung ist ein Hinweis darauf, welches unterschiedliche Klima in der Heimat der Kinder herrscht. Die Hand des blonden Mädchens liegt fast selbstverständlich auf der Schulter ihrer gelben Altersgenossin.

Die aber hält die Botschaft des Trios im Arm. Die wachen Augen, ihr sanftes Lächeln und die vor Verantwortung für den Schatz in ihren Händen glühenden Wangen lassen den Betrachter einfach nicht los. Ihre Hände wirken fast groß, als ob sie das Symbol des Friedens ganz besonders fest halten wolle. Und die Taube selbst? Macht sie nicht den Eindruck, als könne sie sich auf die drei verlassen? Fühlt sie sich nicht in den Kinderhänden geborgen?

Als ich damals das Bild zum ersten Mal sah, konnte ich das Wort Solidarität wohl noch nicht schreiben. Doch wir sammelten bereits Altstoffe, deren Erlös für Kubas Kinder bestimmt war. Auch fühlte ich mich freundschaftlich mit den Kindern im Lande Lenins verbunden und sorgte mich um meine kleinen Altersgefährten in jungen Nationalstaaten. Wir selbst kannten den Krieg nicht, aber Eltern, Großeltern und Lehrer schilderten ihn als das Schlimmste, was Menschen aus Gier nach den Reichtümern dieser Welt anderen antun können. Heute erleben wir wieder, wie der Kapitalismus über immer neue Teile der Menschheit herfällt. Da kam mir das Bild mit den Kindern verschiedener Hautfarbe und der von ihnen gehaltenen Taube unwillkürlich ins Gedächtnis. Die drei könnten mittlerweile unsere Enkel sein. Sie erinnern mich an das Wort von Käthe Kollwitz: "Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden."

Ich hoffe, daß meine Version dem Original von einst nahe gekommen ist. Zum Internationalen Kindertag gratuliere ich allen Mädchen und Jungen mit der Bitte: Haltet die Friedenstaube, wo immer es geht, fest in Händen!

Cornelia Noack

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Warum Dr. Arthur Werner nicht in Vergessenheit geraten darf

Der erste Berliner Nachkriegs-OB

Der am 15. Juli 1877 in Berlin geborene Arthur Werner nahm nach dem Abitur zunächst ein Jurastudium an der Berliner Universität auf, wechselte dann aber zur Ausbildung als Architekt an die Technische Hochschule. 1906 gründete er im Haus seiner Eltern eine technische Lehranstalt mit dem anspruchsvollen Namen "Schinkel-Akademie". Ein Jahr später legte er seine Hauptprüfung als Diplomingenieur ab und promovierte 1912 mit dem Thema: "Der protestantische Kirchenbau in der friderizianischen Zeit Berlins". Am 1. Weltkrieg nahm er bis zu seiner Verwundung als Leutnant teil. Danach widmete er sich weiter seiner Privatschule. Schon im Januar 1932 trat er Hitlers NSDAP bei (um sie auszukundschaften, wie er später berichtete), verließ sie aber noch im selben Jahr. Auf Grund dessen war er wiederholt Schikanen ausgesetzt.

Am 12. Mai 1945 stellte der spätere DDR-Innenminister Karl Maron Kontakt zu Dr. Werner her. Im Ergebnis dieser Gespräche empfahl die aus sowjetischer Emigration in Berlin eingetroffene "Gruppe Ulbricht" ihn als Oberbürgermeister von Berlin. Die Aufgabe des ersten Magistrats formulierte Dr. Werner so: "Hitler hat Berlin zu einer Stadt der Zerstörung gemacht - wir werden Berlin zu einer Stadt der Arbeit und des Fortschritts machen." Zunächst galt es, die Ernährung der Menschen zu sichern, die Versorgung mit Strom, Wasser und Brennstoffen anzukurbeln, der Gefahr von Seuchen vorzubeugen und die Schulen für die Wiederaufnahme des Unterrichts vorzubereiten.

Arthur Werner dürfte übrigens der einzige Berliner Oberbürgermeister gewesen sein, der Magistratssitzungen in seiner Privatwohnung abhielt. Bis zur notdürftigen Wiederherstellung des Amtsgebäudes Ende Mai 1945 hielt das Gremium seine Sitzungen in Lichterfelde ab. Der parteilose Probst Heinrich Grüber, damals Beirat für kirchliche Angelegenheiten, lobte als ein Beteiligter später, die "sachliche, zielbewußte und erfolgreiche Arbeit dieses ersten Magistrats". Selbst der CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg meinte: "Man darf ruhig zugeben, daß diese so eigenartig zusammengesetzte Körperschaft in den anderthalb Jahren ihrer Amtszeit unter beispiellos schwierigen Umständen recht erfolgreich gearbeitet hat."

Mit der beginnenden Kampagne zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen Anfang Juli 1946 wurden die Angriffe auf den Oberbürgermeister immer unsachlicher. Ganz besonders eifrig im Anprangern des Politikers waren die SPD-kontrollierten Zeitungen "Telegraf" und "Der Sozialdemokrat." Als Oberbürgermeister a.D. stand Dr. Werner keine gesicherte Zukunft bevor. Im Amt hatte er ein Gehalt von 450 RM bezogen, zu dem ein Honorar von 250 RM für Vorlesungen im Rahmen seiner Professur kamen. Der SPD-geführte Magistrat, der aus den Wahlen hervorging, dachte keineswegs daran, ihm eine Ehrenpension zu zahlen. Oberbürgermeisterin Louise Schroeder (SPD) ließ Dr. Werners Beschwerde gegen den böswilligen Entzug seines Wohnhauses auf dem Dienstweg versickern. Das Eingreifen ihres Stellvertreters Ferdinand Friedensburg verhalf ihm dann zu seinem Recht. Doch die Schikanen gingen weiter. Als Professor stand ihm die Lebensmittelkarte der Stufe I zu. Doch unter dem Vorwand, das gelte nicht für Honorarprofessoren, wurde ihm im Westberliner Bezirk Steglitz nur die Stufe III zugebilligt. Diesmal intervenierte der US-Stadtkommandant zu seinen Gunsten.

Nach der Währungsunion wurde Dr. Werners Lehrauftrag so stark gekürzt, daß der 73jährige sich gezwungen sah, eine Arbeit zu suchen.

In einem Brief an Otto Grotewohl schrieb Dr. Werner am 24. Januar 1956: "Mein hochverehrter, lieber Herr Ministerpräsident! Meine liebe Ehefrau ist schwer krank und liegt seit dem letzten Sonnabend im Regierungskrankenhaus (der DDR - L. H.) in der Scharnhorststraße. Nun habe ich die große Bitte an Sie, ihr durch einen Vertreter Ihre Grüße und Wünsche für eine baldige Genesung übermitteln zu lassen. Nach meiner Amtsentlassung ist sie gänzlich vergessen, obwohl sie stets treu zur SED gehalten hat und hält und obwohl sie am 24. Juni 1952 die beiden britischen Offiziere Dane und Baebey-Smith in rücksichtsloser Weise abgefertigt hat. Diese stellten im Auftrag des Leiters der Politischen Abteilung, General Coleman, an uns das freche Ansinnen, Sie, Herr Ministerpräsident, nach dem Westen herüberzuziehen."

Der von Dr. Werner erwähnte General war der britische Stadtkommandant.

In Ostberlin war Arthur Werner jedoch nicht vergessen. So wurde er in einem von Chefredakteur Rudolf Herrnstadt unterzeichneten Leitartikel des ND am 9.11.1948 als Gast des Empfangs zum Jahrestag der Oktoberrevolution in der sowjetischen Botschaft erwähnt.

Am 1. Juli 1959 nahm Dr. Werner an einer Tagung des Nationalrats der Nationalen Front der DDR teil, und am 3. Mai 1965 wurde er von Oberbürgermeister Friedrich Ebert anläßlich des 20. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus zu einem Treffen von Aktivisten der ersten Stunde eingeladen. Die DDR-Führung zeichnete ihn wiederholt aus. Nachdem das ND seinem 85. Geburtstag eine ganze Seite gewidmet hatte, erhielt er zum 90. Glückwünsche von der SED- und DDR-Führung.

Durch den Westberliner Senat gemieden, starb Dr. Arthur Werner drei Monate später in Ostberlin. An der Beisetzung in seinem Westberliner Heimatbezirk Lichterfelde nahm kein Senatsvertreter teil.

Ein von Walter Womacka 1987 im Auftrag des Magistrats der DDR-Hauptstadt angefertigtes Porträt Arthur Werners, das bis zur Annexion der DDR durch die BRD im Roten Rathaus hing, wurde von den neuen Machthabern ins Depot der heutigen Stiftung Stadtmuseum verbannt. Letztmalig zeigte man es der Öffentlichkeit im Rahmen der Ausstellung "Berliner Bilder des Malers", die am 7. Oktober 2009 im Palais am Festungsgraben eröffnet wurde.

Lutz Heuer, Berlin

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Geht es um die Transformation des Kapitalismus oder der Partei Die Linke?

Über Täuschungsmanöver der gehobenen Art

Die Möglichkeit, für 2017 eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene vorzubereiten, geistert seit einiger Zeit durch die Büros von Politikern und die Spalten von Zeitungen und Zeitschriften. Den Zusammenhang dieser Strategie mit dem Transformationskonzept stellt Dieter Klein in der Erwartung her, sie "könnte Chancen für einen Crossover-Dialog auch im Parteienspektrum bieten." Dieser ergibt sich auch aus der These von Michael Brie und Dieter Klein, das Transformationskonzept könne sich als "neues strategisches Fundament" der "Linken" erweisen.

Bestandteil dieses "Fundaments" ist die Forderung nach Rückkehr zu einem "erneuerten Sozialstaat". Das heißt - und es wird auch von den einschlägigen Autoren so beschrieben -, daß die Beherrschung der gesamten Volkswirtschaft durch die Großbanken, durch die Industriemonopole und die Rüstungskonzerne auf die Ebene eines Konkurrenzkapitalismus bzw. einer Wettbewerbswirtschaft nach Ludwig Erhards Motto und Walter Euckens Muster heruntergeschraubt werden soll. Dieter Klein und Michael Brie meinen, "die Bundesrepublik könnte einen besonderen Beitrag zum Einstieg in eine Transformation des gegenwärtigen neoliberalen und finanzmarktgetriebenen Kapitalismus hin zu einer sozial und ökologisch regulierten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft leisten".

Nun ist aber in der Wirtschaftswissenschaft längst nachgewiesen, daß und wie aus der sogenannten freien Konkurrenzwirtschaft durch Konzentration und Akkumulation des Kapitals Monopole entstanden, wie sich durch den Kampf der Monopole, Konzerne und Trusts um die profitabelsten Anlagesphären der Finanzmarkt entwickelte und wie dadurch die Lösung des Finanzkapitals von der Realwirtschaft entstand. Es handelt sich also um eine historische und ökonomische Gesetzmäßigkeit, die nicht durch einige Reformen auf sozialpolitischem Gebiet außer Kraft gesetzt werden kann.

Aber auf der Grundlage dieses "erneuerten Sozialstaats" sollen nun "praktische solidarische, potenziell sozialistische Elemente, Tendenzen, Eigentumsverhältnisse und politische Formen zu erkennen, aufzugreifen und als Ansätze gesellschaftlicher Transformation zu entfalten (sein)". Diese "potenziell sozialistischen Elemente, Tendenzen und Eigentumsverhältnisse" sollen "die Umgestaltung im Kapitalismus" bedeuten. Diese aber soll darin bestehen, daß durch die Errichtung kleiner Solarparks, durch Genossenschaften sowie durch kommunale Wasserversorgung und ähnliche mittelständische Aktivitäten "eine Gegenbewegung zum neoliberalen Privatisierungsrausch" entsteht. "Es werden Chancen dafür eröffnet, dem Gemeinwohl den Vorrang vor dem Profit zu geben."

Der Schluß lautet: "Dem Finanzkapitalismus kann das Genick gebrochen werden."

Wie ähnlich sind doch diese Formulierungen jenen, die in der Weimarer Zeit von SPD-Führern und Gewerkschaftsfunktionären benutzt wurden. In einem Band über "Wirtschaftsdemokratie" (1928) heißt es, daß damit "neue konkretere Vorstellungen über den Weg zur Verwirklichung der neuen Gesellschaftsstruktur verbunden sind." Das Ziel: "Durch Demokratisierung der Wirtschaft zum Sozialismus." Die Demokratisierung der Wirtschaft wird "als ein Prozeß der Umwandlung des Wirtschaftssystems vom Kapitalismus zum Sozialismus" verstanden.

1928 schrieb Fritz Naphtali "Heute sehen es die Gewerkschaften und die sozialistischen Parteien überall als ihre Aufgabe an, Krisenerscheinungen zu bekämpfen. Das Ziel ihrer Wirtschaftspolitik ist Überwindung, Milderung und Verhütung der Krisen." Zu welchem Ergebnis diese politische Strategie geführt hat, dürfte hinreichend bekannt sein. Interessant ist jedoch, daß das Scheitern dieses sozialreformistischen Konzepts in einem Kapitalismus stattfand, der aus dem 1. Weltkrieg deutlich geschwächt hervorging und sich erst wieder in einer monopolistischen Aufbauphase befand. Um wieviel weniger realistisch ist die Erwartung, mit dem gleichen Konzept eine "Transformation über den Kapitalismus hinaus" in einem Finanzmarktkapitalismus erreichen zu können, der politisch, wirtschaftlich und militärisch unwahrscheinlich viel stärker, erfahrener und falls nötig auch schlagkräftiger ist, als es Weimar je war.

Angesichts dessen die gleiche Strategie als neue Vision den heutigen Linkskräften zu empfehlen, ist von ernsthafter Wissenschaft und verantwortungsvoller Politik weit entfernt. Der Prüfstein für die Richtigkeit einer Theorie bleibt immer noch die Praxis.

Dennoch haben diese Vorstellungen Anklang im Führungszirkel der Partei Die Linke gefunden und werden von vielen Medien verbreitet. Eine solche sozialreformistische Orientierung ist aber Voraussetzung für eine Annäherung an SPD und Grüne. Dafür wird auch der demokratische Sozialismus mal schnell zum "grünen Sozialismus" umdeklariert. Aber dieser strategischen Absicht steht noch (?) das von der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder getragene Erfurter Programm entgegen. Es fordert den Kampf gegen das bestehende System bis hin zu Generalstreik und zivilem Ungehorsam, letztlich die Überwindung des Systems statt seiner allmählichen Transformation. Dieses Programm verlangt die Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland, das Verbot des Waffenexports und den Ausstieg aus der NATO.

Statt dessen propagieren die Transformationstheoretiker "UN-mandatierte Bundeswehreinsätze im Ausland", ausgewählte Waffenexporte und den Verbleib in der NATO einschließlich aller damit verbundenen militärischen Verpflichtungen.

Weder für die SPD noch für die Grünen ist eine "Linke" mit dem Erfurter Programm als Regierungspartner akzeptabel. Soll also die von namhaften linken Politikern angestrebte Anerkennung ihrer Regierungsfähigkeit erreicht werden, erfordert dies eine sozialreformistische Umformung der Partei. Als ideologische Grundlage dafür dient das Konzept einer "Transformation des Kapitalismus". Allerdings weist dieses Konzept nicht "über den Kapitalismus hinaus". Es würde vielmehr zu einer sozialreformistischen Transformation der Partei führen, die ihren antikapitalistischen und friedenspolitischen Charakter verlöre. Es gilt, das gemeinsam zu verhindern!

Prof. Dr. Herbert Meißner

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Bombenlügen - Bombengeschäfte - Bombenwerfer

Zu den Standardphrasen der Kriegsgewinnler und ihnen dienstbarer Politiker gehört bekanntlich die Behauptung, Präventivschläge seien das beste Mittel zur Kriegsverhinderung. Mit anderen Worten: Das Zündeln diene der Brandverhütung. Zu jenen, welche solcherlei Wahnsinn mit den Mitteln der Kunst bloßzustellen versucht haben, gehören zwei fortschrittliche Meister der Fotomontage: John Heartfield und Andreas Neumann.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- "Gesang der Ewig-Gestrigen: Wir beten an die Macht der Bomben" titelte John Heartfield seine am 12. April 1934 in der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" (AIZ) veröffentlichte Kampfansage an das Bombengeschäft der Bombenproduzenten unter Hitler.

- Der Kölner Arbeiterfotograf Andreas Neumann nahm 1981 die US-Raketenstationierung auf dem Boden der BRD ins Visier und geißelte zugleich die Infamie der Hochrüstungpropagandisten und Friedensheuchler.

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Kein Teufelszeug auf deutschem Boden!

Am 26. März waren elf Rostocker nach Büchel unterwegs. Was bewog die Ärztin und den Arzt, die Studenten und Rentner, sich dorthin auf den Weg zu machen?

Auf dem Fliegerhorst Büchel lagern noch etwa 20 US-Atombomben. Im Ernstfall sollen sie von deutschen Tornados und Piloten der Bundesluftwaffe im Rahmen der "nuklearen Teilhabe" zu ihren Zielorten gebracht werden.

Die "Russen" haben nach 1990 das Territorium der BRD mit ihrem gesamten Kriegsgerät verlassen, die US-Streitkräfte aber blieben. Ihre Standorte gibt es noch immer, und dieses Teufelszeug steht weiter auf deutschem Boden. Von dem aber soll nie wieder Krieg ausgehen. So ist es festgeschrieben, auch von Kohl.

Am 26. März 2010 forderte der Bundestag die Bundesregierung mit großer Mehrheit dazu auf, in der NATO und bei den USA für den Abzug von in der BRD verbliebenen Kernwaffen zu plädieren. Stillschweigend wurde jedoch nicht nur der Verbleib, sondern auch der Austausch veralteter gegen flexiblere und zielgenauere Atomwaffen gebilligt.

Die derzeit scharf zugespitzte internationale Situation läßt befürchten, daß Atomwaffen nicht nur zur Abschreckung "auf Vorrat" gehalten, sondern auch eingesetzt werden könnten.

Über die daraus resultierenden Folgen oder die einer anderen Nuklearkatastrophe dürfte sich jeder im klaren sein. Hiroshima und Nagasaki, aber auch Tschernobyl und Fukushima haben das auf alarmierende Weise signalisiert.

Zurück zu Büchel: Obwohl von unserer Seite keinerlei Gewalt ausging, wurden wir von der Polizei massiv behindert. Dennoch machen wir weiter, weil wir wollen, daß der atomare Wahnsinn ein Ende findet.

Albert Einstein hat 1950 den Stockholmer Appell zum Verbot der Atombomben unterschrieben. Wer Einstein ehren will, schließe sich der Anti-Atombewegung an!

Dr. Johanna Jawinsky, Roggentin

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RF-Extra

Die Steigbügelhalter der Maidan-Putschisten

Wie NATO und EU ein faschistoides Regime in Europa etablieren halfen

Russophobie prägt die Haltung und das Handeln der "politischen Elite" der USA, ihrer NATO-Gefolgschaft und der imperialistischen Leitmedien. Die Initiatoren des Ukraine-Konflikts brauchen die antirussische Dauerkampagne, um die internationale Atmosphäre zu vergiften und ihre friedensfeindlichen Aktivitäten ideologisch zu bemänteln. Rußland und seinem Präsidenten werden seit geraumer Zeit alle destruktiven, die Spannungen anheizenden Machenschaften, alle nur denkbaren Verbrechen unterstellt. Die Ursachen des Ukraine-Konflikts sollen nach dem Kalkül seiner Erfinder vergessen gemacht werden.

Und in der Tat: Wer denkt denn heute noch an den im Februar 2014 in Kiew vollzogenen "Regime Change" - den politischen Pferdewechsel -, der zur Installierung eines von Faschisten durchsetzten Putschistenregimes führte? Damals wußte Springers "Welt" mit vorgespiegelter Überraschtheit zu berichten: "Nationalistische Antisemiten regieren in Kiew mit Prügel, Juden- und Ausländerhaß. Die Partei Swoboda ist in der Übergangsregierung und gibt sich scheinbar pro-europäisch." Deren Chef Tjagnibok erklärte seinerzeit, die Stunde sei gekommen, um gegen die "russisch-jüdische Mafia" vorzugehen. "Schnappt Euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue ..., die Judenschweine und andere Unarten", gab der "Politiker" von sich. Die ans Ruder gelangten Putschisten hoben seinerzeit als erste Maßnahme das Verbot faschistischer Propaganda auf. Sie annullierten die Zulassung des Russischen als zweite Amtssprache in der Ukraine. Radikal-nationalistische, fanatisch antirussische und sogar offen faschistische Kräfte spielten fortan in Kiew die erste Geige.

Wer erinnert sich noch an die "Orangene Revolution" von 2004, bei der die BRD bereits zu den Drahtziehern gehörte? Oder daran, daß die USA 5 Milliarden Dollar lockermachten, um einen Umsturz und die Eingliederung des Landes in NATO und EU zu ermöglichen? Platte Russophobie soll all diese Tatsachen aus unserem Gedächtnis verdrängen.

Worum es Washingtons Geostrategen in der Auseinandersetzung mit Rußland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging und weiterhin geht, hatte US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski schon 1997 in seinem Buch "Die einzige Weltmacht" folgendermaßen umrissen: "Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem europäischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt." Brzezinski verband diese Vorstellung mit dem Anspruch der USA auf alleinige Führung der Welt. Deshalb gehe es in der Globalstrategie der Vereinigten Staaten darum, "... keinen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen" könnte. Und weiter: "Eine Macht, die Eurasien beherrscht, würde über zwei der drei höchstentwickelten und wirtschaftlich produktivsten Länder der Erde gebieten."

Einer solchen Konzeption steht Rußland im Wege. Was sich erst nach Putins zweiter Wahl zum Präsidenten so deutlich herausstellen sollte: Er bereitete dem Ausverkauf des Landes ein Ende, wahrt nationale Interessen und tritt für eine multipolare Welt ein. Auf internationalem Parkett zeigte sich Moskau wiederholt mit Initiativen für die friedliche Koexistenz kapitalistischer Staaten. Bekanntlich verhinderte Rußland auch, daß es zu den von Obama angekündigten wochenlangen Militärschlägen der USA gegen Syrien kam, wodurch ein gefährlicher Flächenbrand in der Region zunächst eingeschränkt wurde.

Die Russophobie steigerte sich zu regelrechten Haßtiraden, als die Bürger der Autonomen Republik Krim in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts bei einem völkerrechtsgemäßen Referendum für den Beitritt zur Russischen Föderation optierten und die Vertragsunterzeichnung über die Eingliederung des strategisch bedeutsamen Territoriums erfolgte. Die antirussische Hysterie potenzierte sich noch, als die Selbstbehauptungskräfte der Ostukraine gegen von Kiew inspirierte, gelenkte oder unterstützte faschistische und ultranationalistische Gruppierungen vorgingen. Während die um Poroschenko und Jazenjuk versammelten Putschisten angeblich eine "antiterroristische Aktion" in der Ostukraine unternehmen, wurde die imperialistische Propaganda nicht müde, den Einmarsch immer neuer russischer Kampfverbände und Panzerkolonnen in das Gebiet zu erfinden.

Die millionenschwere Haßpredigerin Julia Timoschenko behauptete allen Ernstes, Moskau betreibe eine "Neuzeichnung von Weltkarten durch Kriege, Massenmord und Blut". Jene aber, welche in der Ukraine Faschisten mit in den Sattel gehoben hatten, versuchten plötzlich "in antifaschistischen Gewändern" Eindruck zu schinden. BRD-Spardiktator Schäuble - der Würger Athens Nr. 1 - diffamierte Putin als "Landräuber à la Hitler". Massenmedien der BRD überschlugen sich in der Behauptung, Putin führe einen "unerklärten Krieg" und vertrete einen "lupenreinen Faschismus". Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die EU-Staaten, die USA und die Ukraine gegen einen im Dezember 2014 den UN unterbreiteten Resolutionsentwurf stimmten, der den "Fortbestand und das Wiederaufleben von Neonazismus, Neofaschismus und gewalttätigen nationalistischen Ideologien" verurteilt.

In der Dauerkampagne gegen Moskau meldete sich wiederholt die des Russischen hervorragend mächtige Frau Merkel, die in der UdSSR ein Ergänzungsstudium absolviert hatte, zu Wort. So erklärte sie: "Wer keinen Widerstand leistet, hat schon verloren." Später steigerte sie sich in die Behauptung, Rußlands Politik stelle "die europäische Friedensordnung infrage". Ihr Vize Gabriel durfte im Chor der Haßsänger natürlich nicht fehlen. Rußland sei bereit, "Panzer über europäische Grenzen rollen zu lassen", trompetete er. Auch US-Vizepräsident Joe Biden, der emsig an der Inszenierung des Kiewer Putsches mitgewirkt hatte, sah angesichts der "russischen Bedrohung" schon mal den "Ernstfall", also das mögliche Erfordernis militärischen Eingreifens der NATO. Auch der bereits erwähnte Brzezinski blieb da nicht stumm. Er forderte eine Intervention des imperialistischen Kriegspaktes. Der seit Jahren auf das intimste mit CIA und NATO vernetzte Antisemit und Faschisten-Hätschler Jazenjuk, der unterdessen zum Ministerpräsidenten der Ukraine avanciert war, verstieg sich nicht nur dazu, von einem "russischen Angriff auf die Weltordnung" zu sprechen. Er beging auch die Infamie, den ausschlaggebenden Anteil der Roten Armee an der Befreiung Europas zu verunglimpfen: "Wir können uns alle sehr gut an den sowjetischen Anmarsch auf die Ukraine und nach Deutschland erinnern", gab er von sich. Derselbe Mann sah noch eine Steigerungsmöglichkeit: "Rußland will den Dritten Weltkrieg!"

Auch Politiker in den baltischen Ländern und Polen produzieren sich nicht minder lautstark im Chor der Russenhasser. Obama wollte indes in dieser Schmutzkampagne die Führungsrolle behalten. Deshalb ordnete er Rußland zwischen der Ebola-Epidemie in Westafrika und dem Wüten des IS als dritten Hauptgefahrenherd ein, mit dem sich die Menschheit konfrontiert sehe. Die Bedrohungslüge hat viel Unheil über die Welt gebracht. Das kaiserlich-imperialistische Deutschland bediente sich ihrer zur Auslösung des Ersten Weltkriegs. Vierzehn kapitalistische Staaten nutzten sie schon kurz nach der Oktoberrevolution als Vorwand zum Einfall in das junge Sowjetland.

Von Rechtskonservativen in der Weimarer Republik gepredigt und durch Hitler zum ideologischen Ausgangspunkt für das Welteroberungsprogramm der Nazis mit seinem Kern - dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion - ins Feld geführt, konnte auch Bonn von dieser Jahrhundertlüge nicht lassen. Schon in den ersten Jahren des Bestehens der BRD benutzte sie Adenauer, um den Volkswiderstand gegen die Remilitarisierung zu brechen. Die USA griffen die Lüge von der "roten Gefahr" auf, um das Wettrüsten anzuheizen. Nach dem Untergang der UdSSR mutierte der Antisowjetismus dann fast über Nacht zur Russophobie. Sie gehört seitdem zum Arsenal des vom Imperialismus geführten psychologischen Krieges.

Wortbrüchig erfolgte ab Mitte der 90er Jahre die Ostausdehnung der NATO durch die Eingliederung von zwölf im Vorfeld Rußlands gelegenen Staaten in das imperialistische Interventionsbündnis. Dieser Einkreisungskurs erreichte mit dem Ukraine-Konflikt eine neue Dimension. Das vom US-Repräsentantenhaus beschlossene "Gesetz zur Verhinderung einer russischen Aggression" gibt Obama "grünes Licht", um - nach Einschätzung des kanadischen Wissenschaftlers und Friedensaktivisten Prof. Michel Chossudovsky - "ohne weitere Zustimmung des Kongresses in einen Prozeß der militärischen Konfrontation mit Rußland einzutreten". Teil dieses Konzepts ist die Errichtung zusätzlicher NATO-Stützpunkte als Operationszentren für den "Konfliktfall". Schweres Kriegsgerät wird in neu geschaffenen Basen konzentriert. Damit verbundene Truppenstationierungen sowie Manöver in Grenznähe zu Rußland und dem Schwarzen Meer dürften in Zukunft noch häufiger stattfinden. Eine vorerst auf 30.000 Mann veranschlagte Sondereingreiftruppe wird geschaffen, bei deren Aufbau die Bundeswehrmacht - so wörtlich - als "Speerspitze" die Schlüsselrolle übernimmt. Im Baltikum bewegen sich NATO-Truppen nur etwa 150 km von St. Petersburg entfernt, was bei der russischen Bevölkerung zwangsläufig Erinnerungen an die eine Million Opfer fordernde Blockade Leningrads heraufbeschwört.

NATO-Oberbefehlshaber Breedlov sprach Klartext, als er sagte: Der Aufmarsch erfolge, damit "ein schneller Einsatz von Tausenden Soldaten gegen Rußland möglich ist". Bundeswehrgeneral Domröse, NATO-Oberbefehlshaber für Nord- und Osteuropa, geriet geradezu ins Schwärmen: "Die NATO muß sich für eine mögliche Kriegsführung im 21. Jahrhundert fit machen. Dazu gehört die Abwehr von konventionellen Angriffen ..." Domröse ließ die Gefahr eines nuklearen Zusammenpralls unerwähnt, obwohl der sogenannte NATO-Raketenabwehrschirm beschleunigt auf- und ausgebaut wird. Mit ihm sollen eigene Atomschläge den Westen vor einem Zweitschlag des Gegners schützen. Im übrigen hat sich auch die nukleare Planungsgruppe der NATO im Februar "mit den Gegebenheiten befaßt" - nicht zuletzt mit dem Stand der Entwicklung einer atomwaffentragenden Drohne.

Bei einer solchen Fülle von Aktivitäten für einen friedensgefährdenden Konfrontationskurs kommen sich Falken wie der Oligarch Poroschenko, Polens Präsident Komorowski und dessen Bruder im Geiste Kaczynski offenbar schon wie im wildesten Kriegsgetümmel vor. Der Kiewer meinte: "Ich habe keine Angst vor russischen Truppen, wir haben uns auf das Szenario für einen totalen Krieg vorbereitet." Komorowski befürwortet, daß "für den Ernstfall ... im großen Rahmen eine NATO-Infrastruktur aufgebaut wird". Kaczynski schließlich verlangt eine stabile polnische Armee, damit bei einem russischen Angriff "ein richtiger Krieg ausbricht und nicht irgend so eine Intervention".

Die besonders scharfmacherische litauische Regierung hat den Bürgern des Landes eine Broschüre mit Ratschlägen aushändigen lassen, wie sie "Widerstand gegen Interventen leisten und den Krieg überleben" könnten. Mit anderen Worten: Die psychologische Kriegsführung boomt.

Doch es gibt auch Bemühungen um eine politische Lösung der Ukraine-Krise, die dem entgegenwirken. Minsk 2 führte ansatzweise zu positiven Ergebnissen. Allerdings sind die USA hier nicht mit von der Partie. Der "Friedensnobelpreisträger" im Weißen Haus, für den es nur eine unipolare Welt unter Führung der USA gibt, versicherte vor Jahresfrist an der Militärakademie West Point, die Vereinigten Staaten würden "künftig auch allein in den Krieg ziehen, wenn die Kerninteressen des Landes bedroht" seien. Zu diesen gehört, Putins Rußland aus der Weltpolitik auszuschalten. Und so schickt die US-Administration nicht nur Militärberater und Ausbilder zu den in der Ukraine bereits eingesetzten Militärs, sondern erwägt auch die Lieferung "tödlicher Waffensysteme", wozu sie ein Kongreßbeschluß drängt. Polen stellt bereits solche Ausrüstungen für die ukrainische Bürgerkriegsarmee bereit. Zugleich fordert Washington von der EU weitere Sanktionen gegen Rußland, um Moskau wirtschaftlich in Bedrängnis zu bringen.

70 Jahre nach der Befreiung der Völker Europas vom Faschismus hat die imperialistische Führungsmacht - unterstützt von ihren "Hiwis" in der NATO und zeitweilig sogar im Bunde mit Dschihadisten, in der Ukraine auch mit offenen Faschisten - etliche Länder mit Krieg überzogen. Man denke nur an Afghanistan, Pakistan, Irak, Libyen, Syrien, Sudan, Somalia und Jemen. Jetzt wird auch Europa akut bedroht. Der Schwur, die Hoffnung, der Wunsch aus der Zeit vor 70 Jahren "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!" und die darin eingeschlossene Verpflichtung zur Tat besitzen höchste Aktualität. Unsere Zeit braucht mehr denn je Aufklärung über die verbrecherischen Pläne der "Weltneuordner", die mit dem Schicksal der Menschheit Schindluder treiben.

Prof. Dr. Georg Grasnick

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SBZ und DDR zahlten die Zeche allein

Warum sich Bonn einem Friedensvertrag entzog: Nur keine Reparationen!

Griechenland fordert von der Bundesregierung Reparationen" und "Duma-Abgeordnete wollen Reparationen von Deutschland" lauteten Schlagzeilen, die mir zu Frühjahrsbeginn ins Auge sprangen. Mich freute es, daß das Thema von Deutschen erbrachter oder nichterbrachter Reparationen jetzt wieder auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Warum? So besteht die Möglichkeit, auf die großen Leistungen der Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) hinzuweisen, die sie auch auf diesem Gebiet vollbracht haben. Ich bin mir sicher, daß hier im Westen nur ganz wenige Leute darüber Bescheid wissen, welche enormen Lasten sie zu tragen hatten. Gewissermaßen zahlten die "Ostler" die Zeche für ganz Deutschland.

Da ich davon ausgehe, daß auch frühere DDR-Bürger mit exaktem Zeitzeugen-Wissen in bezug auf diese frühe Nachkriegsphase immer rarer werden, habe ich ein paar Informationen zusammengetragen und deren Wertung vorgenommen. Gleich nach Kriegsende wurden die Altbankkonten in der SBZ (Gesamtwert 37 Milliarden Reichsmark) beschlagnahmt. Alles Buchgeld bei Sparkassen und Banken in Form von Sicht-, Termin- und Spareinlagen wurde gelöscht.

Bis 1953 hatten die Wiedergutmachungslieferungen, die an die UdSSR gingen, den Wert von 99 Milliarden DM. An einem Beispiel will ich diese Zahl verdeutlichen. Die Gesamtsumme des Grundkapitals und der Rücklagen aller Aktiengesellschaften in den drei Westzonen belief sich vor der Währungsreform, die am 20.6.1948 erfolgte, auf 14,644 Milliarden Reichsmark oder - am Tag danach - auf 14,363 Milliarden DM. Die im Osten erbrachten Reparationsleistungen machten also etwa das Siebenfache des Wertes aller Aktiengesellschaften im Westen aus.

Es darf nie vergessen werden, für welche Schäden diese Unsummen aufzubringen waren. Eine Statistik darüber, was Nazideutschlands Strategie der verbrannten Erde in der Sowjetunion zur Folge hatte, soll das Bild deutlicher machen.

Auf der Internetseite von Klaus Wallmann sen. sind die materiellen Verluste aufgelistet.

- 1710 Städte und mehr als 70.000 Dörfer wurden ganz oder teilweise eingeäschert.

- Über sechs Millionen Gebäude wurden niedergebrannt, wodurch etwa 25 Millionen Menschen ihr Obdach verloren.

- 31.850 Industriebetriebe fielen der Zerstörung durch die deutschen Faschisten zum Opfer. In ihnen waren zuvor etwa vier Millionen Arbeiter beschäftigt. Die Okkupanten demolierten oder stahlen 239.000 Elektromotoren und 175.000 Werkzeugmaschinen.

- Ihrer Vernichtungswut fielen 65.000 km Eisenbahngleise und 4100 Eisenbahnstationen sowie 36.000 Post-, Telegraphen- und Fernsprechämter zum Opfer.

- 40.000 Krankenhäuser und andere Heilanstalten wurden ebenso zerstört wie 84.000 Schulen, Technika, Hochschulen und wissenschaftliche Forschungsinstitute.

- 43.000 öffentliche Bibliotheken teilten dieses Schicksal.

- Die Faschisten verwüsteten und plünderten 98.000 Kolchosen und 1876 Staatsgüter (Sowchosen) sowie 2890 Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS).

- Sie schlachteten, requirierten oder verschleppten 6 Mio. Pferde, 17 Mio. Stück Rindvieh, 20 Mio. Schweine, 27 Mio. Schafe und Ziegen sowie 110 Mio. Stück Geflügel nach Deutschland.

Klaus Wallmann fügt hinzu: "Das Leid der Obdachlosen, der Verhungernden, der Gequälten und Geschlagenen läßt sich nicht in Zahlen ausdrücken."

Im Zusammenhang mit den von der SBZ/DDR erbrachten Reparationszahlungen müssen auch die Sonderleistungen für die Aufnahme von Übersiedlern aus Schlesien und dem Sudetenland gesehen werden. Das Gebiet der SBZ nahm 4,379 Millionen Menschen auf. Das waren 24,3 % der dortigen Gesamtbevölkerung. Dieser Anteil betrug in den Westzonen, wo 6,4 Millionen Übersiedler eine neue Heimat fanden, nur 14 %. Wichtig ist zu wissen, daß die Betroffenen fast ihre gesamte Habe hat ten zurücklassen müssen. Dafür, daß sie sich eine neue Existenz aufbauen konnten, sorgten in der SBZ ganz wesentlich die dort schon ansässig gewesenen 13,5 Millionen Menschen. Solchen Belastungen unterlag keine Region der drei Westzonen. Und dennoch bauten die Menschen im Osten ihr Land wieder auf, ohne daß es zu Hungerrevolten kam, wie das in den Westzonen der Fall war.

Nur ein Beispiel aus Bayern: "Der Winter 1947/48 ist besonders hart. In der Britischen Besatzungszone drohen Hungeraufstände. Bayern hat angeblich zu wenig Lebensmittel geliefert. Der bayerische Militärgouverneur Van Wagoner ordnet vermehrte Lieferungen in die Britische Zone an und senkt für Bayern Fleisch- und Fettzuteilungen." Die Menschen in der SBZ, der späteren DDR, hatten keine Möglichkeit, sich der äußerst harten, aber berechtigten Reparationsleistungen, die jeden trafen, zu entziehen.

Anders verhielt es sich in den drei Westzonen. Ich zitiere Franz Joseph Strauß, der in seinem Buch "Die Erinnerungen" auf Seite 257 genau beschrieb, warum Adenauer und er gegen einen Friedensvertrag waren:

"Bei allen Beratungen über den Deutschlandvertrag war von vornherein klar, daß dies kein Friedensvertrag sein konnte und durfte. Ein Friedensvertrag hätte nur von einer gleichberechtigt am Verhandlungstisch sitzenden gesamtdeutschen Regierung geschlossen werden können. Hinzu kam eine weitere wichtige Überlegung, die ich persönlich schon in den Gesprächen mit Josef Müller unmittelbar nach dem Krieg entwickelt hatte und die auch Konrad Adenauer nicht aus dem Auge verlor: Wenn wir einen Friedensvertrag schließen, dann verlangt man von uns Reparationen.

Da wir aber nicht bereit und nicht in der Lage sind, Reparationen zu zahlen, wollen wir auch keinen Friedensvertrag.

Die höhere und die niedere Mathematik der Politik trafen hier zusammen - das Offenhalten der deutschen Frage und das Vermeiden gigantischer Reparationszahlungen. Sicherlich stand im Vordergrund die Überzeugung, daß ein Friedensvertrag nur mit dem ganzen Deutschland geschlossen werden könnte. Aber das handfeste Argument, daß mit dem Beginn von Friedensverhandlungen das Gespenst der Reparationen auftauchen mußte, wog ebenfalls schwer.

Angesichts dessen, was durch deutsche Kriegshandlungen und deutsche Kriegspolitik an Schäden entstanden war, hätten Reparationen den wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik um Jahre zurückgeworfen, ja unmöglich gemacht. So weit Strauß.

Mir ist durchaus bewußt, daß es einer gewissen Portion Zivilcourage bedarf, das hier zur Diskussion gestellte Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Ohne Zweifel werden sofort ganze Armeen aufmarschieren, um all jene als Kommunisten zu verunglimpfen, die den Leistungen der Menschen aus der SBZ und der DDR in puncto Reparationszahlungen Respekt zollen. Aber ich bin mir sicher: Das sind wir vor allem den dortigen Nachkriegsgenerationen schuldig, die oft bis an die äußerste Belastungsgrenze Gehendes vollbracht haben. Man darf ihren Einsatz nicht als eine Fußnote abtun.

Hier in Niederbayern habe ich keineswegs unbegrenzte Möglichkeiten, mich zu dieser Frage zu äußern. Aber als das Thema Reparationsleistungen der BRD an Griechenland in den Medien aufgeworfen wurde, sprachen mich meine Söhne - sie sind 32 und 36 - darauf an. In einer längeren Unterhaltung vermochte ich ihnen das von den Menschen im Osten auf diesem Gebiet Geleistete zu erklären. Sie stellten mir viele Fragen, weil ihnen dieser Sachverhalt völlig unbekannt war. Auch in meinem Bekanntenkreis spreche ich darüber. Als Sozialdemokrat werde ich auf die griechischen Reparationsforderungen oft angesprochen.

Aber in Ostdeutschland muß dieses Thema viel umfassender auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wir dürfen unsere gemeinsame Vergangenheit nicht der millionenschweren DDR-"Aufarbeitungsindustrie" und jenen Politikern überlassen, welche jeden, der sich sachlich zu Fragen der DDR-Geschichte äußert, unverzüglich als Kommunisten oder gar Stalinisten "einordnen" und beschimpfen.

Seitdem ich das erwähnte Buch von Franz Joseph Strauß gelesen habe, steht für mich fest, daß zu "normalen" DDR-Zeiten niemals eine Wiedervereinigung angestrebt worden wäre. Erhärtet wird mein Eindruck durch ein Interview, das der Kohl-Berater Horst Teltschik - von 1999 bis 2008 "Hausherr" der Münchner Sicherheitskonferenzen - am 14. März 2015 dem Deutschlandfunk gegeben hat. Ich zitiere den entscheidenden Abschnitt, in dem er auf Befragen schildert, welche Tricks angewandt wurden, um einen Friedensvertrag zu verhindern.

"Gries: Der Zwei-plus-vier-Vertrag taucht, Herr Teltschik, zur Zeit in der europäischen Diskussion wieder auf, weil aus Athen Reparationsforderungen kommen, die sich auf den Zweiten Weltkrieg beziehen. Berlin antwortet mit Verweis auf den Zwei-plus-vier-Vertrag, all das sei vor vierundzwanzigeinhalb Jahren abschließend geregelt worden. Hat die Bundesrepublik ihrer Ansicht nach recht?

Teltschik: Ja, natürlich, das war auch unsere klare Zielsetzung.

Gries: Aber das Wort 'Reparationen' taucht in diesem Dokument nirgendwo auf.

Teltschik: Nein. Das ist klar, aber ...

Gries: Noch nicht einmal 'Friedensvertrag'.

Teltschik: Bewußt nicht, denn wir wollten ja keinen Friedensvertrag. Wir hatten ja schon im Herbst die Anfrage aus Moskau, ob die Bundesregierung möglicherweise zu einem Friedensvertrag bereit sein könnte. Wir haben ... von vornherein abgelehnt - nicht zuletzt wegen der Gefahr von Reparationsforderungen. Und da wäre ja nicht nur Griechenland ein Fall gewesen, sondern bekanntlich war das Nazi-Regime mit über 50 Ländern dieser Welt im Kriegszustand. Und stellen Sie sich vor, wir hätten im Rahmen eines Friedensvertrages Reparationsforderungen von über 50 Staaten auf dem Tisch gehabt."

Was Teltschik am 14. März im Deutschlandfunk eingestand, hat Karl-Eduard von Schnitzler in seinem Buch "Der rote Kanal" bereits 1992 konstatiert: "Kohl zögert mit seiner Oggersheimer Weltweite die Einheit Europas hinaus. Denn 'erst ein Friedensvertrag'? Das könnte ihn teuer zu stehen kommen: Dann säßen mehr als 50 ehemalige Kriegsgegner am Verhandlungstisch über Deutschland zu Gericht, um Reparationsforderungen zu stellen, die dann in astronomischer Höhe ins deutsche Haus stünden. Ohrenzeugin Thatcher bestätigte: 'Er will nicht.'"

Karl-Eduard von Schnitzler hatte also schon 1992 klar beschrieben, daß die Alt-BRD alles unternimmt, damit bloß keine Reparationsleistungen von ihr zu erbringen sind. Er sprach die Wahrheit. Und warum wurde er von so vielen Menschen - auch in der DDR - geringgeschätzt oder nicht verstanden? Auf diese Frage antwortet er selbst in seinem Buch: "... '40 Jahre DDR-Mißwirtschaft' ist inzwischen zu '40 Jahren Unrechtsstaat' eskaliert und dieser wiederum zu '40 Jahren Terrorstaat'. '40 Jahre Unrecht, Unterdrückung, Versklavung, Lüge, Desinformation, Kulturfeindlichkeit' - alles Schlechte, Negative, Unerträgliche: und das '40 Jahre lang'.

'Wessis', die mit unerträglicher Ignoranz und Überheblichkeit zu wissen vorgeben, was alles falsch und schlecht war und wie es nun richtig und besser zu machen sei, sind noch eher verständlich. Wenn es aber ehemalige DDR-Bürger glauben und es ihnen nachschwätzen, so frage ich: Wo ist Euer Gedächtnis geblieben, wo die Erinnerung, wie es wirklich war?"

Ich selbst komme zu folgender Erkenntnis: All die Wiedervereinigungsbekundungen sämtlicher aufeinanderfolgender Regierungen und Politiker der BRD waren nur eine Täuschung der eigenen Bevölkerung, aber besonders eine Irreführung der Menschen in der DDR.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)

Ende RF-Extra

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Ein proletarischer Held zum Anfassen

Vor 100 Jahren wurde Portugals Arbeiterführer António Dias Lourenço geboren

Wohl kaum jemand, dem ich in meinem langen Reporterleben auf vier Kontinenten begegnet bin, war trotz seines außergewöhnlichen Bekanntheitsgrades so schlicht und volksverbunden wie António Dias Lourenço. Er galt als einer der herausragendsten Akteure der Portugiesischen Revolution, die mit dem Sturz der 48 Jahre währenden faschistischen Diktatur Salazars und Caetanos am 25. April 1974 eingeleitet worden war. Nahezu fünf Jahre Lissabonner Korrespondent des damals sozialistischen ND, erlebte ich Vormarsch und Rückzug, aber auch die schmerzliche Niederlage des bisher weitreichendsten antikapitalistischen Vorstoßes im Westen Europas, nicht nur als Zaungast. Als Chronist des Geschehens begegnete ich António, wie ihn alle nannten, bereits Stunden nach meiner Ankunft in Lissabon Anfang Mai 1974 am provisorischen Sitz des ZK der PCP.

Erst am 26. April 1974 war der 1915 geborene und im August 2010 verstorbene große portugiesische Arbeiterführer nach zwölfjähriger "zweiter Etappe" seiner insgesamt 17 Jahre währenden Haft wieder auf freien Fuß gelangt. Nun bereitete sich der am grausamsten gefolterte politische Gefangene der Faschisten auf eine wichtige Tätigkeit vor: Mitglied der Politischen Kommission des ZK der Portugiesischen KP, der er am Ende seines Lebens fast 80 Jahre angehört hatte, sollte António die politische Leitung des schon am 17. Mai legal erscheinenden Parteiorgans "Avante!" übernehmen. Fortan auf lange Zeit dessen Direktor, hatte er die geheime Herstellung und den illegalen Vertrieb des Blattes, das die faschistische Terrorherrschaft im Untergrund überdauert hatte, schon früher wiederholt geleitet.

Antónios Biographie verblüfft: Mit 13 mußte der Arbeiterjunge in die Fabrik. Er gehörte also zu jenen, die der Literat Soeiro Pereira Gomes als "Männer, die niemals Kinder waren", bezeichnete. Metallarbeiter, Journalist, politischer Führer, Schriftsteller und Parlamentsabgeordneter der PCP, wurde er schon 1943 von seinen Genossen in das Zentralkomitee gewählt, dem er 53 Jahre lang angehörte.

Zum Spektakulärsten seiner politischen Karriere zählte Antónios Entweichen aus der Maximum-Sicherheitszelle der mittelalterlichen Zuchthaus-Festung Peniche, die ein besonders dramatische Ereignisse dieser Art beschreibender Bestseller-Autor unter die legendärsten Fluchten der Geschichte einreihte. Nach gelungenem Ausbruch aus seinem Verlies versuchte er sich mit aneinandergeknüpften Bettlaken vom Felskap zum Atlantik hinunterzulassen. Als das mißlang, sprang er todesmutig in die etliche Meter tiefer gelegenen Fluten. (Die hier reproduzierte Originalaufnahme mit der Einzeichnung des Fluchtweges von seiner Hand schenkte mir António mit einer herzlichen Widmung bereits am 20. Juni 1974.)

Doch er, dem auch die größten Bitternisse des Lebens - der Tod seines kleinen Sohnes António und die Einkerkerung seiner Tochter Yvone - während der eigenen Haftzeit nicht erspart blieben, vollbrachte noch eine andere Großtat: Nach der Flucht aus Peniche nun Führer der illegalen Partei, organisierte er das Entweichen des PCP-Generalsekretärs Álvaro Cunhal und zehn weiterer ZK-Mitglieder, die sich ebenfalls in der Festung befanden. Unter Begleitung eines die gefährliche Operation unterstützenden Wachpostens ließen sich die Männer den Wall hinabgleiten und verschwanden im Untergrund. Cunhal wurde sofort ins Ausland gebracht.

Viele Jahre später, unmittelbar nach dem 25. April 1974, befand sich Dias Lourenço dann unter jenen, die Genossen Álvaro bei seiner Rückkehr aus dem Exil auf dem Lissabonner Flughafen Portela willkommen hießen. Kurz darauf gab dieser die erste Pressekonferenz der gerade aus der Illegalität hervortretenden PCP in einem von Sicherheitskräften der Partei abgeschirmten Sportklub. Nur eine Handvoll Vertrauen genießender Reporter war in dem abgedunkelten Raum zugegen, erlebte Cunhal und den die Konferenz leitenden Dias Lourenço.

Später hatte ich das Glück, António bei unzähligen seiner Fahrten ins Land und über dessen Grenzen hinaus zu begleiten. Die Paarung von Größe und Bodenhaftung dieses Mannes beeindruckten mich zutiefst.

Wenn anläßlich seines 100. Geburtstags hier an den proletarischen Helden erinnert wird, dann geschieht das in der freudigen Gewißheit, daß die in der Vormarschetappe der Portugiesischen Revolution zu einer Massenpartei gewordene PCP trotz aller erlittenen Rückschläge eine der großen marxistisch-leninistischen Formationen Europas geblieben ist.

Klaus Steiniger

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Fortschritte und Hemmnisse

Zur veränderten Situation im Verhältnis zwischen Kuba und den USA

Am 17. Dezember vergangenen Jahres kündigte Raúl Castro zeitgleich mit US-Präsident Obama die Wiederaufnahme von Kontakten zwischen Kuba und den USA an. "Die Isolationspolitik gegenüber Kuba hat nicht funktioniert", lautete damals die Rechtfertigung des US-Präsidenten gegenüber den eigenen Leuten. Im selben Moment erfolgte der vorher ausgehandelte Austausch des US-Spions Alan Gross gegen die drei noch in US-Höchstsicherheitsgefängnissen inhaftierten Aufklärer der "Cuban Five".

Neben dem Gefangenenaustausch waren auch einige wirtschaftliche Erleichterungen Teil der Absprachen. So dürfen amerikanische Staatsbürger künftig unbürokratischer nach Kuba reisen, wenn auch rein touristische Aufenthalte nach wie vor verboten bleiben. Wer sich als US-Bürger nach Kuba begeben will, muß noch immer eine von 12 Kategorien ankreuzen, unter die beispielsweise Geschäftsreisen, religiös motivierte Aufenthalte oder Verwandtenbesuche fallen.

Die neuen Gäste können seit dem 1. März mit eigenen Kreditkarten zahlen sowie Rum und Tabak im Wert bis zu 100 US-Dollar mit nach Hause nehmen. Auch das Limit für Geldsendungen aus den USA - eine der wichtigsten Devisenquellen für die kubanische Wirtschaft - wurde von 500 auf 2000 US-Dollar pro Quartal erhöht. Die Wiedereröffnung von Botschaften in beiden Hauptstädten ist vereinbart worden.

Kuba erklärt sich bereit, auf der Grundlage von Souveränität und Gleichheit einen "respektvollen Dialog" mit den USA zu führen. Die ersten Verhandlungsrunden hierzu fanden in Havanna und Washington statt. Dabei ist die mancherorts geäußerte Euphorie über rasche Ergebnisse inzwischen längst verflogen. Zähe Verhandlung stehen noch bevor, bis von einer echten Normalisierung der Beziehungen die Rede sein kann.

Havannas Diplomaten versuchen dabei das über 50 Jahre alte Handelsembargo aufzuweichen, verbitten sich aber zugleich jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas. Die USA hingegen wollten um jeden Preis noch vor dem Amerikagipfel, der im April stattfand, ihre Botschaft in Havanna eröffnen. Dort sind Raúl Castro und Barack Obama erstmals offiziell zusammengetroffen. In Gegenwart der lateinamerikanischen Staatschefs wollte sich der Herr im Weißen Haus keine Blöße geben. Es geht um Fortschritte in den beiderseitigen Beziehungen, wobei Kuba seine Forderung nach Streichung von der US-Liste der Terrorförderer als Priorität betrachtet. Auch wenn Obama dem inzwischen zustimmte, bedarf es noch entsprechender Kongreßbeschlüsse.

Daß die USA hingegen ihre Strategie des "Regime change" in bezug auf das sozialistische Land geändert haben, darf getrost bezweifelt werden. Vielmehr hat man in Washington mittlerweile erkannt, daß sich die versuchte Isolierung der Insel gegen die eigenen Interessen richtet. Statt Kuba zu isolieren, ist der sozialistische Karibikstaat heute international besser vernetzt denn je. Tausende kubanische Ärzte arbeiten in vielen Ländern des Kontinents, und Havanna hat sich als Schirmherr der Friedensverhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung auf diplomatischem Parkett einen Namen gemacht.

Ohne Zweifel dürfte vor allem auch der zunehmende Druck der lateinamerikanischen Länder die USA zur Aufnahme der vertraulichen Verhandlungen bewegt haben. Als Konsequenz der taktischen Neuausrichtung versucht sich Washington über den Dialog gezielt in die kubanische Innenpolitik einzumischen. Nicht zufällig fanden neben den offiziellen Verhandlungen auch Treffen mit kubanischen Oppositionsgruppen statt. Auch eine künftige US-Botschaft wird alles daran setzen, den politischen Einfluß der USA auf das Land auszuweiten.

In Havanna bleibt man dennoch gelassen. Die Streichung von der US-Terrorliste, die Rückgabe des Marinestützpunkts Guantánamo sowie die vollständige Aufhebung des Wirtschaftsembargos waren auf kubanischer Seite die Vorbedingungen für eine vollständige Normalisierung der Beziehungen. Daran wird festgehalten. Die konträren Gesellschaftssysteme beider Länder seien jedoch Teil ihrer jeweiligen Souveränität und nicht verhandelbar, verlautet aus der kubanischen Hauptstadt.

"Wir müssen die Kunst lernen, mit unseren Differenzen auf zivilisierte Weise zusammenzuleben", erklärte Raúl Castro und unterstrich zugleich, daß Kuba keine Zugeständnisse auf Kosten seiner Selbstbestimmung machen werde. Obama wiederum wurde bereits von den ultrarechten Kuba-Hassern in Miami attackiert. Man warf ihm vor, die diplomatische Wiederannäherung zum Nulltarif anzubieten.

Die mehr als fünfzigjährige Feindschaft zwischen Kuba und den USA kann nicht über Nacht wegverhandelt werden, zumal die Systemgegensätze auch bei "zivilisierter Koexistenz" weiterhin bestehen bleiben. Erfolge wurden bisher vor allem in Fragen wie den Seegrenzen, bei der gemeinsamen Bekämpfung des Drogenschmuggels und auf anderen Gebieten erzielt, während für eine vollständige Aufhebung des Wirtschaftsembargos ohnehin eine - derzeit höchst unwahrscheinliche - Mehrheit im USA-Kongreß erforderlich wäre.

Dennoch sind die Gespräche mit den USA für Kuba vor allem ein wichtiges Signal an andere Staaten. Seit Eröffnung der Sonderwirtschaftszone Mariel im Januar 2014 ist Havanna auf der Suche nach Partnern für mindestens 2 Milliarden US-Dollar an jährlichen Investitionszuflüssen, um die "Aktualisierung des wirtschaftlichen Modells" mit entsprechendem Kapital unterfüttern zu können. Investoren aus Europa, Asien und Lateinamerika faßten die Veränderungen im Verhältnis zwischen Kuba und den USA als Signal auf, ihre Präsenz auf der Insel zu verstärken.

Zugleich betonte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow die "strategische Partnerschaft" zwischen Kuba und der Russischen Föderation. Auch China will durch die Errichtung von neuen Hotels und die Erweiterung des Hafens von Santiago de Cuba enger mit Havanna zusammenarbeiten. Dabei müssen US-Unternehmen noch vor der Tür bleiben. Bisher wurde lediglich der Export von Agrarprodukten und Telekommunikationsausrüstungen nach Kuba vereinfacht.

Der sozialistische Inselstaat wird weiterhin seinen eigenen Weg gehen. Statt politischer Konzessionen an Washington setzt man in Havanna auf die Diversifizierung der Handelspartner und langfristige Entwicklungsstrategien. Bis 2030 will Kuba einen "wohlhabenden und nachhaltigen Sozialismus" aufbauen. Dabei wird das Land voranschreiten, "mit oder ohne Kapital aus den USA", wie es ein kubanischer Ökonom jüngst zusammenfaßte.

Marcel Kunzmann

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Neue Herausforderungen und Gefahren erkennen!

Rede von Gerardo Hernandez Nordelo (Cuban Five)

Die Kubanerinnen und Kubaner zu ehren, die an einem Tag wie heute vor 120 Jahren beschlossen, wieder zu den Waffen zu greifen, um für die Unabhängigkeit des Vaterlandes zu kämpfen, ist die beste Art und Weise, den Ehrentitel "Held der Republik Kuba" entgegenzunehmen, der großzügigerweise fünf Kubanern der Gegenwart verliehen wird, deren Verdienst allein darin besteht, ihre Pflicht erfüllt zu haben.

José Marti, die Seele des Volksaufstandes vom 24. Februar 1895, urteilte, daß die Fähigkeit, ein Held zu sein, an dem Respekt zu messen sei, der denen gezollt wird, die Helden gewesen sind. Daher ist an einem Tag wie heute unser erster Gedanke der der Dankbarkeit und Treue gegenüber allen, die es im Laufe der Geschichte durch ihre Aufopferung ermöglicht haben, daß wir in einem sozialistischen, revolutionären und siegreichen Kuba leben, wobei uns bewußt ist, daß es unserer Generation und den uns folgenden zukommt, die Kontinuität dieses Werks, die Träume und Ideale unserer Befreier zu verteidigen.

Der erste Gedanke der fünf muß an diesem Tag einem Mann gelten, dessen Führerschaft und strategische Vision in diesem Kampf, der zu unserer Befreiung führte, entscheidend waren und der mit seinem Beispiel immer den Geist des Kampfes, des Widerstandes und der Aufopferung in uns lebendig hielt. Einem Mann, der uns lehrte, daß das Wort "aufgeben" im Wörterbuch eines Revolutionärs nicht vorkommt, und der den Kubanern schon sehr früh versicherte, daß wir fünf in die Heimat zurückkehren würden. Comandante en Jefe, diese Auszeichnung, die wir heute mit Stolz entgegennehmen, ist ebenso die Ihre. (Beifall)

Unserem Armeegeneral Rául Castro, der nicht ruhte, bis sich erfüllte, was Fidel versprochen hatte, und den Compañeras und Compañeros, die wie er diesen ehrenvollen Stern bereits an ihrer Brust tragen und immer ein Beispiel für die fünf waren, sagen wir, daß diese Auszeichnung auch Ihre ist. (Beifall)

Dem kubanischen Volk, das die Sache der fünf zu seiner eigenen gemacht hat und uns weiterhin mit Unterstützung und Zuneigung ermutigt, der Führung der Partei und der Regierung unseres Landes, den Massenorganisationen, Institutionen, Rechtsanwälten, Geistlichen, Persönlichkeiten und Regierungen anderer Länder, die unsere Sache unterstützt haben: Diese Auszeichnung ist auch Ihre. (Beifall)

Wir danken den Brüdern und Schwestern der ganzen Welt, die Seite an Seite über 16 Jahre lang die rechtlichen und politischen Kämpfe ausgefochten haben, und sagen ihnen: Diese Auszeichnung gehört auch Ihnen allen. (Beifall) Unseren Angehörigen, die so viele Jahre lang gekämpft, gelitten und unbeugsam widerstanden haben, und allen, die es verdient hätten, diesen Tag zu erleben und nicht mehr unter uns sind: Diese Auszeichnung ist auch Eure. (Beifall)

Den namenlosen Helden und Heldinnen, die niemals eine öffentliche Ehrung wie diese erhalten können, aber ihr Leben der Verteidigung der Heimat von anonymen Schützengräben aus gewidmet haben, widmen oder in Zukunft widmen werden: Ihr sollt wissen, wo immer Ihr seid, daß diese Auszeichnung auch Eure ist (Beifall).

Diese Auszeichnung, die wir heute erhalten haben, ist gleichzeitig eine Herausforderung, die von uns verlangt, den neuen Aufgaben der Revolution gewachsen zu sein. Nicht selten haben uns seit unserer Rückkehr Landsleute angesprochen, um auszudrücken, daß sie gern die Gelegenheit gehabt hätten, die wir fünf hatten, unser Volk vor Angriffen zu schützen. Ihnen und allen kubanischen Patrioten sagen wir, daß unsere Mission noch nicht abgeschlossen ist und daß sie sich anschließen können.

Die Aktualisierung unseres Wirtschaftsmodells, um einen effizienteren, gedeihlichen und nachhaltigen Sozialismus zu erreichen, und der Prozeß der Wiederherstellung der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten stellen eine Zeit der Veränderungen dar, die von uns allen verlangt, mit Intelligenz, Professionalität, Engagement und Standhaftigkeit zu handeln, um die auf uns zukommenden neuen Herausforderungen und Gefahren zu erkennen und ihnen zu begegnen. Es gibt jetzt und in Zukunft viele Möglichkeiten, Kuba zu verteidigen, und Kuba wird immer treue Söhne und Töchter brauchen, die es behüten. Deshalb ermutigt es uns zu wissen, daß es innerhalb des revolutionären Volkes viele "fünf" gibt, die bereit sind, alles für ihr Land zu opfern. Ramón, René Fernando, Antonio und ich haben mit Stolz und Dankbarkeit diese hohe Ehre empfangen, die das Land uns verleiht. Möge das Vaterland auf uns fünf Soldaten zählen, die wir heute vor dem ganzen Volk die Verpflichtung bekräftigen, ihm bis zum letzten unserer Tage zu dienen und stets den Ideen von Martí, Ché, Fidel und Rául treu zu sein. Vielen Dank!

Aus: "Granma Internacional", Havanna

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Trauer um Henri Martin

Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts beteiligten sich Millionen Menschen in aller Welt an einer machtvollen Kampagne. Es ging es um den französischen Matrosen Henri Martin. Der junge Kommunist war wegen Widerstandes gegen Frankreichs Kolonialkrieg in Vietnam von einem Militärgericht zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.

Als 16jähriger war er 1943 der damals grandiosen alten FKP beigetreten und beteiligte sich in den Reihen der Résistance am Kampf gegen die Naziokkupanten. Anfang 1945 trat Henri Martin freiwillig in die französische Kriegsmarine ein, um - wie er glaubte - einen Beitrag zur Niederwerfung Japans leisten zu können. Doch als er in Indochina eintraf, hatte bereits der französische Kolonialkrieg gegen das vietnamesische Volk begonnen. In Uniform prangerte er diesen "schmutzigen Krieg" an und rief die Matrosen zu antikolonialistischen Aktionen auf. Deshalb wurde er wegen Wehrkraftzersetzung vor Gericht gestellt.

Unter dem Druck machtvoller Proteste mußte Henri Martin im Juli 1953 freigelassen werden.

Jetzt ist er 87jährig verstorben. Die Pariser Zeitschrift "Initiative Communiste" schrieb in ihrem Nachruf: "Für eine ganze Generation in Frankreich und der Welt war Henri das Symbol des proletarischen Internationalismus und des Kampfes gegen den Kolonialismus."

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Marine Le Pen ante portas?

Die politische Szene des zweitmächtigsten Mitgliedsstaates der EU wird durch einen sich rasch weiter ausprägenden gefährlichen Rechtstrend charakterisiert. Auch die Parteien des Regierungslagers und der "gemäßigteren" Opposition sind davon betroffen. Sie unternehmen alle möglichen "taktischen" Manöver, um auf der neuen Woge mitzuschwimmen. Andererseits fehlt in Frankreich noch immer eine wirklich einflußreiche linke Gegenkraft. Konsequent marxistische politische Gruppen mit klarer Orientierung wie der PRCF zeigen zwar eindeutig Profil, verfügen aber vorerst nur über eine begrenzte Anhängerschaft. Die einst der alten FKP eng verbundene Gewerkschaftszentrale CGT hat an Eindeutigkeit verloren, gehört aber weiterhin zu den wichtigsten Formationen im antifaschistischen Lager. Die überwiegend rechtssozialdemokratische Partei des Staatspräsidenten François Hollande und seines als besonders konzernfreundlich geltenden Regierungschefs Valls verliert weiter an Boden.

Die Tatsache, daß bei den jüngsten Départementswahlen nur noch 50,1 Prozent der stimmberechtigten Bürger Frankreichs von ihrem Teilnahmerecht Gebrauch gemacht haben, verdeutlicht das Maß an Frustration. Es signalisiert aber auch - in offenkundiger Parallelität zu ähnlichen Entwicklungen in der BRD - den Grad der Gefahr: Die Ultrarechten könnten aus dem Reservoir der Unzufriedenen noch weit mehr Anhänger gewinnen. Binnen kurzer Zeit haben sich die politische Achse und das Kräfteverhältnis deutlich zugunsten der extremen Rechten, die etwas "Rouge" aufgelegt haben, verschoben. Und vor allem: Mit dem Scheinargument, man müsse den "modernisierten" Faschisten des Front National (FN) von Marine Le Pen den Wind aus den Segeln nehmen, sind Frankreichs traditionelle bürgerlich-konservative Parteien mit der CDU-ähnlichen UMP an der Spitze in ihrer gesamten Öffentlichkeitsarbeit so weit nach rechts gedriftet, daß sie fast schon als dessen Kopien erscheinen. Ex-Präsident Sarkozy ist nicht nur an die Spitze der UMP zurückgekehrt, sondern rechnet sich wie Madame Le Pen gute Chancen aus, in den Elyseepalast einziehen zu können. Bei den jüngsten Wahlen konnte das Sarkozy-Lager seinen Stimmenanteil von 31,9 % (2011) auf 36,02 % steigern, während der FN im selben Zeitraum sogar 10,1 % zulegte - von 15,1 auf 25,2 %!

Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine kosmetische Operation, die Marine Le Pen zur politischen Imageverbesserung unternommen hat: Ohne Gnade stieß sie ihren als Altlast empfundenen eigenen Vater Jean-Marie Le Pen - den Parteigründer und notorischen Auschwitz-Leugner - aus dem Kahn. Dieser als "Schritt in die politische Mitte" ausgegebene taktische Schachzug könnte ihr zweifellos weitere Wählerschichten erschließen.

Demgegenüber befinden sich die Mannschaft Hollande/ Valls und deren Verbündete auf der abschüssigen Strecke. Bei den 28,2 %, die der Parti Socialiste bei den Départementswahlen erzielen konnte, dürfte es kaum bleiben. Da ist es verständlich, daß sich trotz des erfolgten Generationswechsels nicht wenige französische Linke nach den großen Tagen der Partei von Maurice Thorez zurücksehnen, als jeder vierte französische Wähler und die Masse der Arbeiter für die FKP stimmten. Heute gelingt es dem FN - Welche Parallele zum Deutschland am Ende von Weimar! - gerade auch unter Arbeitern (37 %) und armen Bevölkerungsschichten (41,6) überdurchschnittlich zu punkten.

Alles in allem: Es muß Alarm getrommelt werden. Während sich der einstige Merkel-Intimus Sarkozy bereits als künftiger Präsident Frankreichs wähnt, muß man auch in Abwandlung eines einst auf Hannibal bezogenen Wortes konstatieren: Marine ante portas - vor den Toren.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, "Global Research", Kanada, und "Sozialismus", Hamburg

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Um was geht es in Jemen?

Der Luftterror der Saudis und die geopolitischen Erwägungen der USA

Als die Jemenitische Bewegung der Huthi, kurz Ansarallah (Unterstützer Allahs), im September 2014 die Kontrolle über Jemens Hauptstadt Sanaa gewann, läuteten in den USA und im Königreich Saudi-Arabien die Alarmglocken. Abd-Rabbuh Mansour Al-Hadi, der Präsident des zwar relativ bevölkerungsarmen und ökonomisch hinter anderen arabischen Ländern zurückgebliebenen, aber strategisch bedeutsamen Landes, sah sich zu der Ankündigung gezwungen, seine absolute Macht mit anderen teilen zu wollen. Der Strohmann des imperialistischen Hauptlandes und seines wichtigsten Verbündeten im Mittleren Osten - der über enorme Ölreichtümer verfügenden saudischen Feudaloligarchie - wurde jedoch zu Fall gebracht, nachdem sogar Al-Hadis eigene Partei - der Jemenitische Allgemeine Volkskongreß - ihm das Vertrauen entzogen hatte.

Von Washington und Riad beraten, hatte er zuvor versucht, seine Niederlage durch das Angebot abzuwenden, Vertreter der Huthis in eine "Regierung der Nationalen Einheit" aufzunehmen.

Die Entwicklung ging darüber hinweg. Bei den nun folgenden militärischen Auseinandersetzungen und der Ausschaltung des Hadi-Clans handelte es sich nicht um einen "Huthi-Putsch", wie westliche Medien anfangs unterstellten. Der verhaßte Despot wurde vom Volk aus seinem Palast vertrieben, als er zu immer autoritäreren Methoden einer Ein-Mann-Diktatur übergegangen war. Nach der Entmachtung Al-Hadis bildete die Huthi-Bewegung aus Shiiten und Sunniten - den Vertretern der beiden wichtigsten Strömungen des Islam - unter Einbeziehung mehrerer jemenitischer Stämme am 6. Februar eine Übergangsregierung. Tage später floh der abgesetzte Tyrann in die Hafenstadt Aden.

Al-Hadis Sturz war ein empfindlicher Schlag für die strategischen Planer Washingtons und deren Partner in Riad. Am 25. März berichtete die "Los Angeles Times" unter Berufung auf amerikanische Geheimdienstquellen, bei der Besetzung des Jemenitischen Nationalen Sicherheitsbüros seien den Huthis etliche CIA-Dokumente über Jemen betreffende Absichten der USA, darunter komplette Operationspläne, in die Hände gefallen.

Nachdem Al-Hadi in Aden eingetroffen war, erklärte er die Stadt zu Jemens neuer Metropole. Daraufhin schlossen die USA, Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Botschaften in Sanaa und verlegten sie nach Aden. Zuvor hatte Al-Hadi seine Rücktrittserklärung als Präsident widerrufen und die Bildung einer Exilregierung verkündet.

Die Huthis und deren politische Verbündete ließen sich durch solche Aktivitäten nicht irritieren. Das veranlaßte den "Außenminister" der Pseudoregierung, Saudi-Arabien und die Ölscheichtümer am Golf offiziell um deren militärische "Hilfe" zu bitten. Nach Berichten der saudischen Zeitung "Al-Sharq Al-Awsa" ersuchte er um die Einrichtung einer Flugverbotszone und eine Serie von Bombenangriffen. Diese begannen am 26. März.

Doch auch die Huthis sahen nicht tatenlos zu: Kurzerhand eroberten sie Aden und zwangen Al-Hadi ein zweites Mal zur Flucht. Interessierte westliche Kreise, reaktionäre arabische Regimes und Israel suchten die parallel zu diesen Ereignissen stattfindenden Genfer Verhandlungen zwischen Iran und westlichen Mächten dadurch zu unterlaufen, daß sie den Vormarsch der Huthis als eine durch Teheran gelenkte Operation bezeichneten. Einmal mehr tat sich Netanjahu dadurch hervor, daß er die Bombenwerfer zu weiteren Terrorakten ermunterte.

Beim Einmarsch der Huthi-Truppen floh Al-Hadi zunächst nach Saudi-Arabien und anschließend in das Ägypten des Generalspräsidenten und Zöglings zweier US-Militärakademien Al-Sisi. Auf einem Abnicker-Treffen der Arabischen Liga in Kairo erklärte er den Krieg gegen sein Land für "legitim".

Doch die Verfolgung des vordergründigen Geschehens reicht nicht aus. Auch in diesem Falle ist es notwendig, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die wahren Ziele zu benennen. Bei der von Saudi-Arabien angezettelten und durch das Pentagon abgesegneten Aggression gegen Jemen geht es weder um Personen noch um ethnische Gruppen, sondern um weitgesteckte geostrategische Interessen. Während man in Riad den schwächeren Nachbarstaat schon immer als eigene Provinz behandelte, betrachten die USA wiederum die Führung Saudi-Arabiens als ihren Erfüllungsgehilfen im Mittleren Osten sowie als entscheidendes Gegengewicht zu Iran.

Wer Jemens Golf von Aden beherrscht, kontrolliert damit den Seehandel und vor allem die Bewegung der Öltankerflotten auf ihrer Fahrt vom Persischen Golf über den Indischen Ozean durchs Rote Meer zum Mittelmeer. Diese Position ist für den Schiffsverkehr zwischen Afrika, Asien und Europa nicht weniger wichtig als der Suezkanal.

Unter diesem Aspekt erklärt es sich, daß weder Washington noch Riad, noch Tel-Aviv über das enge Verhältnis der Huthis zu Teheran beglückt sind. Ohne Zweifel gibt es bei all dem auch militärische Gesichtspunkte: Nicht zufällig nahm die saudische Luftwaffe jemenitische Raketendepots ins Visier, die zu Zeiten des US-Strohmannes Al-Hadi und zuvor eingerichtet worden waren.

Aus all dem ergibt sich, warum nicht wenige Staaten ihre Hände in diesem schmutzigen Spiel haben: Präsident Al-Sisi erklärte, die Sicherheit Ägyptens und Saudi-Arabiens wie der Ölscheichtümer seien aufs engste miteinander verknüpft. Während er noch am 25. März versicherte, sein Land werde sich nicht in den Krieg hineinziehen lassen, schlossen sich Ägyptens Luftwaffe und Kriegsmarine schon tags darauf durch die Entsendung von Kampfmaschinen und Schiffen der Intervention an.

In dasselbe Horn blies auch Pakistans Premierminister Nawaz Sharif, der verkündete, "jede Bedrohung Saudi-Arabiens" erfahre "eine starke Antwort" seitens seines Landes. Natürlich durfte auch Israel in diesem "Ensemble" nicht fehlen. "Zum ersten Mal führen die Zionisten eine gemeinsame Operation mit Arabern durch", stellte Hassan Zayd von Jemens Al-Haq-Partei fest, wobei er auf die Konvergenz der Interessen von Tel-Aviv und Riad verwies. Das stimmt so nicht: Schon 1962 hatte Tel-Aviv den Saudis während des nordjemenitischen Bürgerkriegs Waffen geliefert.

RF, gestützt auf "Global Research", Kanada

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Obama pfeift aufs Völkerrecht

Washington wendet "bewährte Methoden" der Einmischung gegen Venezuela an

Die von Barack Obama am 9. März verkündeten Sanktionen gegen Venezuela sind bald darauf durch beide Häuser des Kongresses der Vereinigten Staaten - den Senat und das Repräsentantenhaus - bestätigt und anschließend durch den Präsidenten unterzeichnet worden. Im Zusammenhang damit verhängten die USA Strafmaßnahmen gegen sieben hohe Beamte Venezuelas, darunter die bereits aus dem Katalog diskriminierender Schritte gegen Rußland bekannten Kontensperrungen und Einreiseverbote. Die Betroffenen sind ausschließlich Personen, welche eine maßgebliche Rolle bei der Verfolgung von Rädelsführern eines für Anfang Februar geplanten Putsches gegen Präsident Nicolas Maduro gespielt hatten. Washington stellte die absurde Behauptung auf, die derzeitige Führung der Bolivarischen Republik Venezuela müsse als eine "ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit und die Außenpolitik der Vereinigten Staaten" betrachtet werden.

Offenbar fühlen sich bestimmte Stellen in den USA durch die Verhaftung und Aburteilung des Ex-Bürgermeisters der Hauptstadt Caracas, Antonio Ledezma, besonders getroffen. Aber auch das Einschreiten der venezolanischen Justiz gegen den millionenschweren Geschäftsmann und konterrevolutionären Rädelsführer Leopoldo Lopez und die rechtsgerichtete Kongreßabgeordnete Marina Corina Machado traf den Nerv ihrer Auftraggeber im Norden des Doppelkontinents. Unter jenen Personen, gegen die Venezuelas Strafverfolgungsorgane unnachsichtig vorgehen, befindet sich nicht zuletzt auch der von Kolumbien ausgelieferte Terroristenführer Lorent Saleh, dessen paramilitärische Killerkommandos den jungen Abgeordneten der linken Regierungspartei PSUV Roberto Serra im vergangenen Jahr auf bestialische Weise ermordeten.

Präsident Maduro, der den revolutionären Kurs seines Amtsvorgängers Hugo Chávez (1999-2013) entschlossen fortzusetzen bestrebt ist, beantwortete die Drohgebärden aus den USA mit nicht weniger harten Bandagen. Er bezeichnete Obamas "Sanktionen" als "ersten Schritt einer verschärften Kampagne zur Destabilisierung und zum Regimewechsel" in seinem Land. Ohne mit der Wimper zu zucken, schickte er 83 der 100 US-"Diplomaten", mit denen keineswegs nur das State Department Washingtons Botschaft in Caracas bestückt hatte, nach Hause. Überdies führte Maduro die Visapflicht für US-Bürger ein und ernannte seinen von Obamas Repressalien betroffenen Sicherheitschef demonstrativ zum Innenminister. Er verkündete, welche USA-Bürger wegen Verletzung der Menschenrechte fortan nicht mehr nach Venezuela einreisen dürften. Unter den zu "unerwünschten Personen" Erklärten befinden sich US-Expräsident George W. Bush, dessen seinerzeitiger Vize Dick Cheney und Senator Robert Menendez - einer der übelsten Hetzer gegen Kuba und Venezuela im US-"Oberhaus".

Übrigens war der gescheiterte Coup gegen Präsident Maduro keineswegs der erste und einzige konterrevolutionäre Anschlag dieser Art, der gegen Venezuelas revolutionäre Führung unternommen wurde. Schon 2002 versuchten von den USA instrumentalisierte Bosse des Unternehmerverbandes Hugo Chávez aus seinem Amt zu vertreiben. Von militärischen und zivilen Putschisten - unter ihnen die jetzt vor Gericht stehenden Rädelsführer Lopez und Ledezma - verschleppt, wurde der einstige Fallschirmjägeroffizier Chávez jedoch nur Tage später durch einen Massenaufstand befreit und auf triumphale Weise in den Präsidentenpalast zurückgebracht.

Der profilierte Journalist Emil Scheppers erinnerte auf den Internet-Seiten des Organs der KP der USA "People's World" an ganze Serien durch die CIA inszenierter Staatsstreiche in Lateinamerika. Er erwähnte u. a. den Sturz des linksgerichteten gualtemaltekischen Präsidenten Jacobo Arbenz 1954, die von US-Präsident Lyndon B. Johnson angeordnete Landung von US-Ledernacken in der Dominikanischen Republik, die einer faschistoiden Diktatur den Weg bahnte (1965), den Sturz Salvador Allendes und die Errichtung der Pinochet-Diktatur in Chile (1973), die blutigen Interventionen während der 80er und 90er Jahre in mehreren Staaten Mittelamerikas, darunter den Putsch in Honduras (2009).

Venezuelas linksorientierte Regierungen Chávez und Maduro, die jetzt bereits im 16. Jahr das ölreiche lateinamerikanische Land führen, haben es ermöglicht, die Lebensbedingungen breitester Schichten der Bevölkerung in wichtigen Bereichen - vor allem auf dem Gebiet der Volksbildung, aber auch im Gesundheitswesen - mit kubanischer Hilfe entscheidend zu verbessern. Das materielle Elend der armen Venezolaner wurde deutlich zurückgedrängt.

Vor allem aber trugen die PSUV-Regierungen dazu bei, die Vorherrschaft der USA auf dem Subkontinent zu brechen. An die Stelle der früher durch die imperialistische Hauptmacht angestrebten "Freihandelszone der Amerikas" traten auf Initiative von Caracas neue Allianzen regionaler Befreiung wie UNASUR, MERCOSUR, ALBA und CELAC, bei denen es um Kooperation und Integration gegen imperialistische Vorherrschaft geht. Es ist verständlich, daß diese Zusammenschlüsse Obamas jüngste Drohgebärden ebenso verurteilten wie die Regierungen Kubas, Ekuadors, Boliviens und Argentiniens, denen sich auch Rußland und China anschlossen.

Die Regierung in Caracas ringt indes mit ernsten Problemen, vor allem empfindlichen Versorgungslücken, aber auch anderen Defiziten, die überwiegend durch ausländische Drahtzieher und die einheimischen Ausbeuterklassen künstlich verschärft worden sind. Deren Ziel besteht darin, die Unzufriedenheit der Massen zu schüren, um das linksgerichtete Kabinett Maduro zu isolieren und zu stürzen. Dabei hat der vor allem auf Staaten wie Rußland und Venezuela zielende Verfall des Ölpreises in erheblichem Maße zum Schrumpfen der Valuta-Einnahmen beider Länder beigetragen.

Der venezolanische Präsident empfahl seinem Kollegen in den USA, der andere in puncto Bürgerrechte unablässig belehren möchte, sich auf dieser Strecke zunächst einmal im eigenen Land zu versuchen. In dessen Städten würden "schwarze Menschen jeden Tag ihrer Hautfarbe wegen ermordet, während Tausende keinen Platz zum Schlafen besitzen, so daß sie im Winter auf den Straßen New Yorks, Bostons oder Chicagos der Kälte zum Opfer fallen". Obama solle endlich auch die Folterhölle von Guantánamo schließen.

RF, gestützt auf "People's World", New York, und "Solidaire", Brüssel

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Linker Aufbruch in Wien?

Der einstige KPÖ-Vorsitzende Walter Baier posiert jetzt als "Transformer"

Der 61jährige Walter Baier wurde in seinen Studententagen aufgrund als intellektuell angebotener Rhetorikgesten in die mit diversem Konfekt verwöhnten Nachwuchskader der Wiener KPÖ aufgenommen. 23jährig übernahm er den Vorsitz des Kommunistischen Studentenverbandes und wurde Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ.

Als deren 1994 gewählter Vorsitzender hat Baier diese einst revolutionäre österreichische Partei mit Hilfe eines ihm ergebenen hauptamtlichen Apparats nicht den Notwendigkeiten der historischen Entwicklung angepaßt, sondern mehr oder weniger zu einer kleinbürgerlichen Wiener Grätzl- und Wahlpartei abgewickelt. Eine parteiinterne Opposition gegen die vom Finanzreferenten Michael Graber freihändig gesponserte Baier-Clique konnte sich auf dem 31. Parteitag (Dezember 2000) nicht durchsetzen. 2004 wurde Baier auf dem 33. Parteitag der KPÖ zum vierten Mal deren Vorsitzender. 2006 trat er zwar zurück, blieb aber vorsichtshalber weiter im Bundesvorstand der Partei. In den über vierzig Jahren seiner Parteizugehörigkeit verkörperte er den Absturz der KPÖ.

2001 ist das Netzwerk "Transform! Europe" mit Filialen in 18 europäischen Ländern unter Beteiligung Baiers entstanden. Dessen erklärtes Ziel ist es, "eine neue gemeinsame politische Kultur der europäischen Linken" zu schaffen. Was aber heißt das in einer mörderischen Welt, wo der Graben zwischen Reichen und Armen immer größer wird?

Auf dem Weltsozialforum in Dakar (2011) hat sich Baier im Namen von "Transform! Europe" zu Wort gemeldet: "Wir brauchen eine neue Ethik, eine neue Moral. Im Dialog müssen wir uns auf das Leben besinnen. Niemand hat die Autorität, seine Ideen durchzusetzen, niemand darf die Richtung diktieren. Wir müssen den Dialog festigen, die Kräfte vereinen, um die Ethik zu ändern. Und dann geht es damit in die Politik, wirtschaftliche Gesetze müssen dahin gehend geändert werden ­... Wir brauchen die Liebe, um fähig zur Politik zu sein. Es genügt nicht, sich in den politischen Mechanismen auszukennen (...). Hingabe ist verlangt. Ohne die Liebe wird keine Strukturveränderung etwas nützen. Nennen wir sie wie wir wollen: Geschwisterlichkeit, Liebe, Solidarität."

Mit solchen süßlich-unverbindlichen Formulierungen, die Ausdruck einer wissenschaftlich nicht begründbaren Weltanschauung sind, werden sich auch die Profiteure der Unterdrückung einverstanden erklären können. Schon der Nazi-Propagandachef Josef Goebbels betonte: "Wir haben nicht die Absicht, unsere Weltanschauung wissenschaftlich zu begründen, sondern ihre Lehre zu verwirklichen."

Was ist für einen Mann wie Dr. Baier, der sich für einen Linken hält, der ideologische Hintergrund solchen Gefasels?

Dieser "linke Transformer" bewegt sich, was den deutschen Lesern so nicht bekannt sein dürfte, seit vielen Jahren in der rechtskatholischen und antikommunistischen Fokolare-Bewegung. Diese bietet als ihren gemeinsamen Nenner den "Einsatz für die Einheit: in der Familie, im sozio-kulturellen, politischen sowie wirtschaftlichen Bereich, zwischen Armen und Reichen ebenso wie zwischen Völkern" an. Das mag vielleicht noch irgendwie mit spätbürgerlicher Ethik in Einklang zu bringen sein, bedeutet aber real Verschleierung und Zementierung der Ursachen der in unserer gegenwärtigen Welt herrschenden Unmenschlichkeit, bedeutet die Macht der Profiteure des Elends ideologisch zu festigen, bedeutet Würdelosigkeit ganzer Völker und deren Elend hinzunehmen.

Die Welt menschlich zu gestalten bedarf der Erkenntnis und des revolutionären Handelns.

Ins Leben gerufen wurde die seit 1962 als Zusammenschluß antikommunistischer Laien von der Kirche anerkannte Fokolarbewegung durch die Italienerin Silvia Lubich (1920-2008). Sie schrieb bezeichnenderweise das Vorwort zu einem Sprüchebüchlein der durch die "Kirche in Not/Ostpriesterhilfe" bekanntgewordenen Galionsfigur des klerikalen Antikommunismus Werenfried van Straaten (1913-2003).

Baier hat sich mit Hilfe des früheren KPÖ-Parteivorsitzenden Franz Muhri (1924-2001) zur Entourage dieser jetzt im Jenseits auf ihre Seligsprechung wartenden römisch-katholischen Kirchenfrau gesellt. Als "Fokolarist h. c." ignoriert Baier das wissenschaftlich-theologische und praktisch-revolutionäre Engagement der Befreiungstheologie. Die Geschichte der Klassenkämpfe ist ihm in seinem Buch nur mehr eine "Erzählung", die er mit antikommunistischen Vokabeln ziert.

Wegen seiner zur weltanschaulichen Destabilisierung der europäischen Linken verwendbaren Rolle hat die Fokolarebewegung Baier Ende Oktober 2011 Papst Benedikt XVI. vorgestellt. Baier sollte als Person dadurch angehoben werden.

Die Tatsache, daß dieser deutsche Papst 498 spanische Geistliche, die als Seelsorger der Franco-Faschisten im Spanienkrieg umgekommen sind, im Jahr 2007 seliggesprochen hat, bleibt in Baiers Buch unerwähnt.

Fokolare unterhält beim Vatikan eine eigene Residenz und hat im September 2014 die Audienz von Alexis Tsipras und Baier bei Papst Franziskus arrangiert. Es sei dies, so Baier, der Empfang von zwei Vertretern der "radikalen Linken" Europas gewesen. Diese Selbstbewertung des einstigen KPÖ-Vorsitzenden vermag sein Überlaufen von einer ehemals revolutionären Partei zu einer als links angebotenen Partei der Herrschaftsideologie nicht zu tarnen.

Karl Marx hat analysiert, wie in der kapitalistischen Gesellschaft eine neue Sorte von Parasiten in Gestalt von Projektemachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren heranwächst und "ein ganzes System des Schwindels und Betrugs" entstehen läßt. Diese Analyse bezieht er auf den Aktienhandel; sie schließt aber auch den Handel mit massenmanipulativen Meinungen ein. Baiers Buch, dessen pseudowissenschaftliche Details nicht erwähnenswert sind, ist für das Denken und Wirken "linker" Glücksritter im System des europäischen Imperialismus charakteristisch. Die Bourgeoisie allein ist heute nicht mehr dazu in der Lage, die Gesellschaft zu lenken. Sie bedarf solcher liebedienerischen linken Organisationen wie "Transform!", um revolutionäre Kämpfe gar nicht erst aufkommen zu lassen und Unmutsäußerungen in die gesetzlichen Bahnen der bürgerlich-demokratischen Diktatur zu lenken.

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck


Unser Autor ist Historiker, gehörte zum Beirat der durch den marxistisch-leninistischen Philosophen Prof. Dr. Hans Heinz Holz herausgegebenen Zeitschrift "Topos" und war bis 2014 Vizepräsident der Alfred-Klahr-Gesellschaft.

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Beherzte Antwort

Unser langjährig bewährter Mitstreiter Helmut Holfert, Redakteur beim Ostdeutschen Kuratorium der Verbände (OKV), sandte uns diese Aufnahme zu der Borniertheit eines CDU-Lokalpolitikers aus Berlin-Treptow-Köpenick, der den "RotFuchs" in die falsche Tüte sortierte und von der naiven Annahme ausging, einer längst etablierten und inzwischen renommierten marxistischen Monatsschrift in seinem Schalt- und Waltbereich die Tür vor der Nase zuschlagen zu können. Die Wahrheit setzt sich trotzdem durch. Während Herr Vogel bei diesem Spiel Federn lassen mußte, fand der "RotFuchs" einen neuen Kessel. Nach der Verweigerung von Mitteln für das Sozio-Kulturelle Zentrum "Ratz-Fatz" im Falle weiterer RF-Veranstaltungen in dessen Räumen las man auf dem Gehweg vor dem beliebten Tagungslokal "Wir lesen alle Rotfuchs - du Vogel!"

K. S.

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Wer hat Angst vorm Roten Fuchs?

Es ist wohl nicht gerade ein Zeichen von Souveränität und Stärke, daß bei der diesjährigen Suhler DGB-Maikundgebung das Auslegen und Verteilen des "RotFuchs" untersagt wurde. Äußerungen vom Verhinderer herbeigerufener Polizeibeamter ließ sich entnehmen, daß der hiesige DBG-Chef Schmidt offenbar durch übergeordnete Funktionäre falsch informiert worden war. Er selbst hatte sich nicht einmal der Mühe unterzogen, unsere Zeitschrift auch nur durchzublättern. Wir gaben den Beamten ein Exemplar mit auf den Weg, wobei wir hoffen, daß die RF-Leserschaft unter Polizeiangehörigen so an Breite gewinnt. Denn nur was man kennt, kann man auch beurteilen. Durch das gegen ihn gerichtete Vorgehen am 1. Mai ist der "RotFuchs" bei uns über Nacht zur Bückware geworden. Wird nicht immer behauptet, daß es so etwas nur in der DDR gegeben habe?

Hans-Rainer Bergmann,
RF-Regionalgruppe Suhl

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Bilder einer Ausstellung

Wer da etwa annimmt, Kunstverständnis sei klassenneutral und indifferent, wird durch den unvergessenen dänischen Karikaturisten und Illustrator Herluf Bidstrup eines anderen belehrt.

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Karikaturen wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Als mich die DDR nach Guinea entsandte (Teil 2)

Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin unter schwarzen Freunden

Die heute 93jährige Autorin wurde 1973 von der DDR nach Guinea delegiert, um dort beim Aufbau des Gesundheitswesens mitzuwirken.

Inzwischen kamen immer mehr Schüler, der Raum war knackend voll. Ich saß auf meinem Stühlchen und ließ mich mit ihren strahlenden schwarzen Augen begucken. Endlich traf Helli ein. Nun verhandelten wir zu zweit, und ich verstand so viel, daß ich morgen anfangen könnte. Morgen?? Was, bitte, soll ich unterrichten, quelle matière? Ich zählte alle meine Qualifikationen auf, Hämatologie, Infektionslehre und und ... Der Direktorin schien vor allem die praktische Ausbildung am Herzen zu liegen. Das hatte einen tieferen Grund. Man hoffte, daß ich sämtliche Geräte, einschließlich der Mikroskope, mitgebracht hätte. Aber sie brauche erst noch ein Papier vom Minister. Helli, unser Arzt, kam auf ein Bier mit zu mir. Ich regte mich auf: "Morgen anfangen? Was? Wo? Wie?" Er lachte und nahm einen großen Schluck Radeberger Luxusklasse. "Morgen heißt auf alle Fälle nicht vor vier Wochen. Bloß nichts überstürzen, meine Liebe, nichts tun mit deutscher Hast."

Conakry soll eine der schönsten Kolonialstädte Afrikas gewesen sein. Sie liegt zum Teil, wie das Krankenhaus L'hopital Donka, unsere Schule und unsere Wohnungen, auf der Halbinsel Donka. Die Botschaft hingegen befand sich in der Stadtmitte, etwa 8 Kilometer entfernt. Zu jeder Besprechung wurden wir mit dem Auto des Staatlichen Leiters hin und hergefahren. Später erhielten auch wir Motorfahrzeuge - ein Motorrad oder ein Auto.

Der Verkehr war verwirrend. Hunde, Ziegen und Hühner nahmen selbstverständlich an ihm teil. Regeln ließen sich kaum erkennen. Es herrschte ein freundliches Chaos.

Heute fand ein für mich wichtiges Ereignis statt, nämlich die offizielle Vorstellung beim Minister für Gesundheitswesen Guineas. So fuhr ich denn im standergeschmückten Diplomatenauto an der Seite des Botschafters am Ministerium vor. Wir warteten einige Minuten im Vorzimmer, bis uns der Minister, jung und voller Elan, in sein Amtszimmer bat. Ich hatte etwas Herzklopfen, denn Verhandlungen auf dieser Ebene waren nicht mein tägliches Brot. Ich wurde begrüßt, man ging auf die guten beiderseitigen diplomatischen Beziehungen ein, noch ein paar Floskeln, und wir waren entlassen.

Für die eigentliche Arbeitsbesprechung war ein Termin zwei Wochen später vereinbart worden, zu dem mich leider kein Erfahrener begleiten konnte. Diesmal bat man mich in ein Vorzimmer. Nach einiger Zeit kam ein leiser freundlicher Herr: "Deux minutes", er müsse erst noch mein Dossier holen. Bald erschien der Sekretär und führte mich in das mir schon bekannte Arbeitszimmer des Ministers. Der nahm Rücksicht auf mein Französisch und sprach langsam und artikuliert. Einige mir unbekannte Herren saßen noch dabei. Man wollte jetzt Vorschläge zu meinem Unterricht hören. Ich fing also an, Vorstellungen, die ich mir in den ersten Wochen bilden konnte, darzulegen. Am Wichtigsten schienen mir Hämatologie und Infektionslehre zu sein. Ich wollte auch das Fach Erste Hilfe so ausbauen, daß meine Schüler in der Lage sein sollten, so etwas wie Sanitätsstationen auf dem Lande einzurichten, um die wenigen Ärzte zu entlasten (bien, oui oui). Ich war platt, wie gut man mich verstand, mein Selbstbewußtsein hob sich zusehends.

Kurze Beratung der Herren untereinander. Sie redeten schnell und leise, ich verstand kein Wort. Dann: "D'accord." Man war mit meinen Vorschlägen einverstanden, sagte dies aber wohl nur aus Höflichkeit. Dann rückten sie mit einem ganz anders gearteten Anliegen heraus: Ob ich mich nicht vor allem um die Praxis der Schüler kümmern könnte. Aber ja doch! Ich kehrte schnell auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Der Minister bekräftigte noch einmal seinen Wunsch, mich so effektiv wie möglich einzusetzen. Das war auch meine Meinung. So trennten wir uns im besten Einvernehmen.

Ich trat auf die Straße hinaus. Die Sonne lachte. Gerade kam ein Taxi vorbei und hielt auf mein Winken an. Ich fuhr trotz des fehlenden Bodens mit und klammerte mich an der Seite fest. So sauste die Straße bei 40 Stundenkilometern unter unseren Füßen dahin und ich kam auch mit einem halben Auto gut zu Hause an.

Der Directeur technique hat mich heute mit seinem Citroën durch die Stadt geschaukelt und mir gezeigt, wo die Schüler im Praktikum sind und auf einen richtigen Unterricht warten. Mit Honoré habe ich vereinbart, daß ich nachmittags im Blutspendelabor neben seinem Raum unterrichten kann. Er würde mir dann auch sein Mikroskop borgen. Aber was nützt mir dieses, wenn ich sonst keine Geräte besitze? Man hatte gehofft, daß ich zumindest zwei Mikroskope und einige andere Dinge mitbrächte. Von Diakite bekam ich seine leeren Regale gezeigt. Aber wie konnten wir, da ich - das Ministerium eingeschlossen - keine Ahnung von der Art des Einsatzes gehabt hatten, über so etwas verfügen? Um zwei Mikroskope hatte ich schon zu Hause gebeten, aber alles andere?

Als ich ganz niedergeschlagen heimkam, stand der gute Helli mit einer Kiste im Arm vor der Tür. Er hätte sein Sprechzimmer aufgeräumt und Kostbarkeiten gefunden. Er brauche das nicht, ob ich vielleicht ...? Es war die nahezu vollständige Einrichtung für ein normales Labor, aber doch viel zu wenig für ein Lehrlabor!

Auch das Blutspendelabor war viel zu klein. Einige Wochen wurschtelten wir uns so durch. Dann hatte ich es satt, ging selbst im Krankenhaus auf die Suche und fand bald einen ungenutzten mittelgroßen Raum mit einem großen Fenster und einem Betonregal. Als ich zum Chef des Hospitals kam, erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Er und seine Kollegen waren zunächst zurückhaltend. Der Raum sei doch schlecht, und überhaupt müßte ich erst einmal die Schule fragen.

Diakite war begeistert. Mir kam es vor, als habe er nur auf einen solchen Vorschlag gewartet. Warum aber überprüfte er nicht selbst alle Möglichkeiten im Krankenhaus? Offenbar bestand eine Art Rivalität zwischen diesem und der Schule. Diakite überlegte und machte dann ein Weihnachtsmanngesicht. Er schloß in seinem Zimmer einen Schrank auf und überreichte mir zwei Fläschchen mit Farblösungen, einige Pipetten und einen Ständer mit Reagenzgläsern. Ich packte alles eifrig in einen Korb. Dann sollte ich ihm folgen. Gemessenen Schrittes, der Bedeutung der Sache angepaßt, begaben wir uns in einen kleinen Raum hinter seinem Büro. Er suchte umständlich einen Schlüssel und öffnete ein Fach. Ich traute meinen Augen kaum: Dort standen in neuer Pracht, nur etwas angestaubt, zwei Mikroskope! Er hatte sie wohl zurückgehalten, weil er ihrer in Honorés Blutspendelabor nicht sicher gewesen wäre. Nun hatte ich mit den zwei Mikroskopen aus Berlin gleich vier. Damit konnte man schon etwas anfangen. Er stand daneben und freute sich. Da stieg ich - hopp - auf eine Fußbank und drückte ihm einen Schmatz auf seine schwarze Wange.

Mit Hilfe unserer technisch versierten Leute von der Botschaft konnten wir nun alles, was im neuen Labor fehlte, einbauen: von Wasserhähnen über elektrische Anschlüsse bis zu einer verschließbaren Tür. Am Ende schenkten mir die Drucker auch noch ein feines Schild für meine Tür: LABORATOIRE ENSEIGNEMENT - Lehrlabor.

Renate Teller, Worpswede

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Emmely ist tot

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene Rotfüchse

Brief an meinen Vater (Teil 2)

Ich wurde in der Neujahrsnacht 1941 geboren. Ihr habt mir den Namen Christa gegeben. Heute weiß ich, daß er damals zu den unerwünschten Namen zählte.

Nach dem Gefängnisaufenthalt mußtest Du als Streckenarbeiter bei der Reichsbahn arbeiten. Du nahmst diese harte Arbeit an, weil Dir jede Arbeit recht war, nur nicht Soldat an der Front sein. Dein Dienst war hart. Wie war Dir zumute, wenn Du täglich zwölf Stunden Streckendienst hattest, bei Eis und Schnee? Mutter erzählte, Du bist immer schweigsamer geworden. Du hast ihr von den Transporten erzählt, abgesperrt und bewacht von SS-Männern und Hunden. Waggons mit blutigen Türen und Schreien in der Nacht.

In einer Winternacht mußtest Du zum nächsten Stellwerk laufen, weil die Telefonleitungen durch Schneestürme zerrissen waren. Zu Fuß gingst Du durch die Nacht, begleitet von einem älteren Kollegen. Der Schneesturm tobte. Ihr nahmt den kürzeren Weg über die Gleise, Du voran. Du warst der Jüngere. Ihr wußtet, daß der Schnellzug aus Breslau von vorn kommen würde. Da konntet ihr aufs Nebengleis ausweichen. Daß ein ungeplanter Zug aus der Gegenrichtung kam, konntet Ihr nicht wissen, auch nicht hören. Der Schneesturm war zu heftig. Der Zug erfaßte Euch von hinten. Man fand Euch erst im Morgengrauen.

Dein Glück mit Hedwig war ein kurzes Glück: zwei Jahre und ein halbes. Für Mutter war es die Wiederkehr des Schreckens. Hatte sie doch kaum den Tod von Joseph Rainer und das schreckliche Jahr im Frauengefängnis Dresden mit Deiner Liebe überwinden können.

Ich war zwei Jahre und vierzehn Tage alt. Was sie getröstet haben mag, weiß ich nicht. Vielleicht waren es die Tausende von Frauen, deren Männer den "Heldentod" starben und weiter sterben mußten. Das "Feld der Ehre" war ja größer als Europa geworden.

Mutter war jetzt wieder allein. Nun mit drei Kindern. Ihr Leben war geprägt von früher Liebe, Armut, Bitternis, Arbeit, Trauer, Verrat, Leidenschaft, Standhaftigkeit, Unglück und Verzweiflung - und dennoch anhaltendem Lebensmut.

Welche Bilder der Erinnerung habe ich an Dich? Eine einzige lebendige Erinnerung: ein früher Morgen ist es wohl, Du nimmst mich in Dein Bett, zwei Arme, die mich hochheben, ich schwebe glücklich - ängstlich über einem Gesicht - Deinem Gesicht, von dem ich nur noch vage Konturen sehe. Auf dem Tisch brennen Kerzen. Da steht ein weißes Puppenbett aus Blech mit kleinen Kissen und einer Puppe darauf. Daneben ein paar winzige rehbraune Schuhe aus Wildleder. Dein Gesicht verschwimmt. Es müßte der 1. Januar 1943, mein zweiter Geburtstag, gewesen sein. Vierzehn Tage später geschah das Unglück, am 15. Januar 1943 auf der Bahnstrecke Liegnitz-Großbeckem.

Ein Foto gibt's noch, eine Zehntelsekunde Zeit, festgehalten auf Papier. Mai 1943 ist auf der Rückseite vermerkt. Da steh ich an Deinem Grab. (Du hattest ein Grab in der "Heimat".) Es ist mit Stiefmütterchen bepflanzt - und ich, ein kleines Mädchen mit eingestecktem Kamm auf dem Kopf, Kopftuch mit weißen Punkten und dunklem Röckchen, dunklen Strümpfen, die um die Kinderbeine schlottern. Da stehe ich, versunken in kindlich naiver Todtraurigkeit, an einem Grab, das Gesicht auf die Hand gestützt. Die Schatten jener Zeit haben sich uns Kriegskindern eingeprägt wie tiefe Eindrücke in Wachs.

Als der Krieg dem Ende zuging, verschlug es uns als Umsiedler nach langen Irrfahrten Anfang Februar von Liegnitz in ein kleines thüringisches Dorf bei Jena. Mit dreißig Pfund Handgepäck. Mutter hatte Dein Schifferklavier mitgenommen, das einzige, was ihr von Dir geblieben war. Meine Schwester Margot hat darauf spielen gelernt.

In diesem Dorf Wogau erlebten wir die letzten Kriegsmonate als Flüchtlinge, von den Bauern ungern aufgenommen. Der Hof, in dem wir eine Bodenkammer bewohnten, wurde für kurze Zeit Lazarett. Da es schon Ende April war, lagen die Verletzten in der Scheune und im Hof auf Stroh. Die Schreie und die blutigen Verbände der verwundeten Soldaten verfolgten mich bis in den Schlaf. Im Traum konnte ich mich vor ihnen in einem großen Persilkarton mit grüner Schrift verstecken. Ich sah noch die bewachten Häftlingskolonnen aus Buchenwald, die durch unser Dorf kamen, halbverhungerte Gestalten in gestreiften Anzügen. Schrecken und Angst beherrschten jeden Tag. Tiefflieger kamen, Bomben fielen.

Im Mai war Frieden. Ich sitze nackt in einer Holzbadewanne mitten auf dem Hof. Sonne scheint. Es ist das erste Foto, das es von mir gibt, auf dem ich lächle.

Mutter hat nicht wieder geheiratet, wohl nicht mal den Versuch gemacht, noch als Frau Erfüllung zu finden. Witwen gab's wie Sand am Meer, und die Nachkriegsjahre unterlagen den Gesetzen des Hungers und des Neuaufbaus. Mutters Lebensmut reichte gerade so weit, uns Kinder satt zu bekommen. Die Bauern gaben uns nichts umsonst. Da mußte sie sich von Deinem Schifferklavier trennen, aus Hunger für ein paar Kartoffeln.

Sie hat im Dorf einen kleinen Kindergarten aufgebaut, für die Flüchtlingsfrauen, die in der Ziegelei arbeiteten, eine Baracke am Sportplatz. Später hat sie wieder als Verkäuferin in Jena gearbeitet, mit Freude und Freundlichkeit.

Lieber Vater, ich bin jetzt viel älter, als Du geworden bist. Die Toten bleiben jung, die Lebenden werden alt. Du starbst mit 31 Jahren, ich bin 74. Du hast zwei Enkelsöhne: Adrian und Sebastian und die Urenkel Christoph, Golo, Odin und Wieland. Du wärst stolz auf sie. Es tröstet mich, daß Du in Deinen Enkeln und Urenkeln weiterlebst.

Als der Krieg 1943 endete, da glaubten wir alle nach dem Grauen, daß es nie wieder einen Krieg geben würde. Niemals! In diesem Sinne bin ich in meinem kleinen Land DDR erzogen worden. Seit wir 1990 vereinnahmt wurden, mußten wir uns wieder an Kriege gewöhnen. Deutsche Soldaten sind zur Zeit in 15 Kampfgebieten der Welt. Wir schreiben das Jahr 2015.

Und es riecht wieder nach Krieg, nach Weltkrieg, Vater. Die Medien hetzen gegen Rußland, wie in alten Zeiten. Und ich bange um die Söhne und Enkelsöhne, Deine Enkel und Urenkel ...

Soll Euer aller Sterben, sollen der Tod von 50 Millionen Menschen und ein zerstörtes Europa vergeblich gewesen sein?

Christa Kozik



Der Traum

Mir träumte,
es hat sich die Sonne geweigert,
der Erde zu leuchten,
solange nicht alles,
was Menschen bedroht und vernichtet,
verlöscht ist.

Mir träumte,
es hat sich der Himmel gesträubt
und seinen Wolken befohlen,
der Erde kein Wasser zu geben,
solange nicht jeder
des anderen Bruder.

Mir träumte,
es haben Gewitter in Nächten
gedroht, die Erde zu tilgen,
wenn sich nicht bald
die Geburtswehen
des ewigen Friedens zeigen.

Christa Schmidt (Kozik), 1963

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Das Leben hat es gut mit mir gemeint. Natürlich nicht nur, es war schon ein schwieriger Anlauf. Durch meine Herkunft gab es genügend Steine im Weg, und es war klar, daß ich sie umgehen oder aus dem Weg räumen mußte. Was ich vom Leben wollte, habe ich nicht "errungen", ist mir nicht nach langem Suchen allmählich bewußt geworden. Es war in mir angelegt und nicht zu entmutigen. In meiner Herkunftsfamilie galt Streben als Hochnäsigkeit, Lernen als Angabe, als Besserwisserei und als Zeitverschwendung. Jedes Buch aus der Volksbibliothek mußte ich schützen, damit es nicht als Fuß für einen lahmen Schrank diente oder - 1946 im kältesten Winter - im Ofen landete.

Das Leben schickte mich auf einen Weg, der zur Kostbarkeit der Erfahrung führte. Das war nur möglich durch die erste richtige Entscheidung, die ich noch, fast unüberlegt, aus dem Instinkt traf. Ich blieb, als alle meine Angehörigen nach drüben abhauten. Ich blieb, wo ich genügend jener Respektspersonen traf, die ich mit meinen Fragen unermüdlich behelligen konnte, und an ihnen und den Antworten dranzubleiben, auch wenn die Antworten schmerzhaft waren, oft überwältigend. Auch, wenn sie unbequeme Arbeit mit sich brachten und einen Auftrag, den ich ernst genommen habe: Nie wieder! und "Vergiß das nicht!" Ein grader Weg ist es bis heute nicht geworden. Aber mir wurde meinen Lebensfrühling und Spätherbst hindurch genügend Grund zur Dankbarkeit gegeben. Sie schützt mich vor Überschätzung des eigenen Anteils am Erworbenen.

Ich gewann Freunde, so wichtige, so kostbare. Am liebsten möchte ich mich auf den Weg machen, um meine Verbundenheit zu einer letzten Ruhestätte zu tragen oder, weil es zum Glück noch möglich ist, zum Telefon greifen und es aussprechen, weil großer Dank auch ausgesprochen sein will. Noch immer ist mir ja, als sei ich wichtigen Menschen etwas schuldig geblieben, hätte ich meine Treue zu gemeinsamer Haltung und Überzeugung nicht deutlich genug gemacht. Beim Weiterleben, im Alltag, dort, wo es hingehört.

Wir konnten über alles reden. Woher sonst mein sicheres Wissen über den Globke-Prozeß, wenn es mir nicht vom Zeugen der Anklage Peter Edel so unlöschbar ins Gehirn gelegt worden wäre. Leicht zu ertragen war es nicht, als er mir im Nebenhaus aus dem Manuskript seines Lebensberichts vorlas: Auschwitz, Sachsenhausen, Mauthausen; und Esther, die Mengele mit medizinischen Versuchen umgebracht hat. Während er las, habe ich immer ihr Bild angeschaut.

Es war Hacks, der mich in meinen Anfängen ermutigte, besonders zu Liedern. Aber mehr noch war es seine durchgängig kompromißlose Haltung, die mir später bei großen politischen Auseinandersetzungen half, nicht umzukippen.

Alle Freunde waren politisch reifer, und an den Gründen dafür kann sich bis heute niemand von uns Nachgeborenen messen. Manchmal habe ich versucht, in die gemeinsame Arbeit doch etwas Romantisches oder Idealistisches einzubringen, aber sie hatten meist die besseren Argumente, und das fand ich unwiderstehlich. Und was nützt mir das jetzt? Der Name von Opfern oder als solche Bedrohten zieht sich durch unser Leben.

Wir haben Patrice Lumumba nicht gekannt. Als er umgebracht wurde, waren unsere Familien am Schwielowsee im Urlaub, aber die Friedlichkeit der sommerlichen Natur hinderte Hacks nicht daran, mir genau zu schildern, wofür Lumumba gelebt hat, und warum er sterben mußte. Bei Martin Luther King erübrigte sich jede Frage, und im Fall von Ethel und Julius Rosenberg war die eigene Hilflosigkeit schmerzhaft. Das Foto von der letzten Umarmung der beiden Menschen werde ich vererben.

Angela, da haben wir uns einen großen Moment im Leben mitverdient.

Aber Kuba? Stellen wir das Glas hin, das wir "freudetrunken" auf die Cuban Five hoben, unsere fernen Freunde, die wir nie losgelassen haben, wir zugegeben nimmermüden Suchenden und Eifernden.

Warum streckt Obama, machtlos, ausgerechnet jetzt seine Hand den Kubanern hin, oder doch nach ihnen aus? Wäre die Auflösung von Guantánamo nicht ein dringend notwendiger Akt gewesen? In diesen Tagen erscheint das erste Tagebuch eines dort Gefangenen, Gefolterten. Da er frei ist, scheint er unschuldig gequält worden zu sein. Ich werde das Buch nicht lesen, meine Alpträume reichen.

Die Zeitung schreibt, daß Vertreter von Mastercard, Pfizer und der Fluggesellschaft Jetblue schon auf der Matte stehen. Die Kubaner haben die geringste Kindersterblichkeit - noch! Mit der Emanzipation der Frauen sind sie ein Stück weiter als wir - noch! Ihre Kultur ist reich, bunt, laut, wir haben alles geehrt und bewahrt, auch die Verse von José Martí, dem im Kampf Gefallenen.

Es gibt eine Hoffnung: Vielleicht ist die kubanische Kultur stärker, als es die unsere war. Die hat bei der grenzenlosen Vereinnahmung versagt.

Wie sollten wir den USA guten Willen unterstellen, den sie ja nicht einmal behaupten? Ich kann das nicht! Nach Hiroshima und Nagasaki, nach Vietnam, Irak und Afghanistan? Sie haben ja selber ehrliche Filme der schockierendsten Art über die Verbrechen im Namen ihrer Nation gedreht - sie konnten auch das straflos tun, denn ihnen ist bisher jedes Weltgericht erspart geblieben. Sie werden weiterhin versuchen, den Gendarm für alle anderen abzugeben. Ihr "Kongreß" sorgt dafür, daß die Kriege weitergehen, und die Natur in jedem Moment mehr an Lebendigkeit verliert. Das Weltgeld versucht den Weltgeist zu bestimmen.

Was jetzt der jungen Regierung in Griechenland von den vereinigten Hardlinern auferlegt wird, müßte einen Schrei der Empörung von internationalem Umfang auslösen. Wie ihnen das nicht paßt, eine nahezu linke Regierung! Wie ihnen doch der Mißbrauch der Macht vorher zupaß kam. Wird die Welt aufschreien?

Wird sie nicht. Noch hat das Geld die Macht. Der Weltenplan der großkopfigen Rechten sieht gerade vor, das widerständige Kreuz der Russen zu brechen. Hat nicht geklappt, mit den eigenen Schlachtschiffen immer näher ran an die empfindlichen Grenzen Rußlands, das große opferreiche Land, dem die Rechten und seine einstigen Alliierten nun auch noch den Sieg über den Faschismus streitig machen wollen. Die Russen haben völkerrechtswidrig gehandelt? Da müßte man auch Feuermelder auf Dachböden so nennen.

Für unsere Haltung und Meinung zu den Krisenherden und den gerade stattfindenden Kriegen, als Schlacht oder sozialer Kampf, werden wir subtil oder manchmal auch ganz offen bestraft. Na und?

Das scheinbar Alltägliche treibt mich um. Eine Frau erzählt mir, daß sie nur wenig Spenden für die Volkssolidarität bekommt, manchmal wird sie barsch abgewiesen, mehr als einen Euro kriegt sie selten. Das war nicht üblich, und am liebsten würde ich morgen früh mal mit der Sammelliste losziehen. Könnte man doch drüber reden!

Aber nein, das kann ich nicht mehr!

Ich werde ein paar Lieder hinterlassen. Es gibt heute schon solche, von denen kaum noch jemand weiß, wer sie geschrieben hat. "Als unbekanntes Lied durchs Volk zu gehn ..." Schöner Gedanke.

Meine Freunde, unsere Arbeit ist Stückwerk geblieben. Aber ich habe nicht aufgegeben und mache mich, zunächst mürrisch oder unsicher, an die Arbeit.

Mein nächstes, vielleicht letztes Buch soll heißen: "Das Jahr meiner Freunde".

Ich hole aus über euer Leben oder Euch noch einmal in unser Leben zurück.

Da treffen wir uns nach unserer Art, legen ein Scheit ins Feuer, lassen uns wärmen und trinken ein Glas auf einen Versuch, von dem etwas bleiben wird.

"Ich werde niemals schmeißen/ mag auch der Vorhang reißen/ aus Eisen oder Tüll./ Mit ein paar andern Narren/ zieh ich denselben Karren/ trotz mancherlei Gebrüll ..."

Der Juni ist so schön, so vielversprechend, die Blüten und der Spargel. Den hatten wir früher kaum mal. Sag ich doch. Bis gleich.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Seit vielen Jahren erhalten wir allmonatlich den "RotFuchs", der von uns mit großem Interesse und ebenso großer Genugtuung verschlungen wird. Wir sind Ihnen, liebe Genossen, höchst dankbar dafür, daß die Autoren wie auch die meisten Leser des "RotFuchs", die von der Reaktion und den Imperialisten geschmähte DDR - für uns das Grandioseste, was je auf deutschem Boden geschaffen wurde - mit Recht und Passion verteidigen. In Italien sind wir gemeinsam mit etlichen aufrichtigen Genossen bemüht, unsere noch nicht sehr große, aber wiedererstandene KP im marxistisch-leninistischen Sinne zu stärken. Wir wären sehr glücklich, wenn Sie uns auch weiterhin mit dem hochgeschätzten "RotFuchs" versorgen könnten.
Mit herzlichen kommunistischen Grüßen

Aldo Bernardini und Ingrid Sattel-Bernardini, Rom


Eine erfreuliche Nachricht aus der Schweiz: Nach einer Serie von Wahlerfolgen im Tessin (und in Graubünden) hat die Kommunistische Partei der italienischen Schweiz (KP), die schon in einigen kommunalen Rathäusern vertreten ist, bei den Wahlen am 19. April den Sprung ins Parlament des Kantons Tessin geschafft. Ihr Politischer Sekretär, Massimiliano Arif Ay ("Max"), wurde in den Tessiner Großrat gewählt.

Marcel Hostettler, Bern


Für die große Anteilnahme am Ableben meines lieben Mannes Jochen Peters möchte ich all seinen Genossinnen und Genossen sowie Freunden herzlich danken.

Anni Peters, Suhl


Allmonatlich erhalte ich den "RotFuchs" und habe jede Ausgabe mit großem Interesse gelesen. Ich möchte ihn auch in Zukunft nicht missen. Es besteht ein großes Bedürfnis, die Vergangenheit nicht zu vergessen und die gesammelten Erfahrungen anzuwenden, um die heutige Situation besser zu verstehen.

Ion Meyer, Virum (Dänemark)


In den deutschen Medien findet ein regelrechtes Rußland-Bashing statt. Moskau ist der Gegner, die große Gefahr für Demokratie und Frieden. Doch welcher Staat hat die meisten Angriffskriege im 20. und seit Beginn des 21. Jahrhunderts geführt?
Wer selbst einmal in den USA war, kann sicher sein, daß bis über seine Lebenszeit hinaus Fingerabdrücke und alle persönlichen Daten in Hochsicherheitstrakten mit riesigen Rechnerzentralen abgespeichert werden.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habe überhaupt nichts gegen die USA als Land und deren Bevölkerung. Es geht ausschließlich darum, was weltpolitisch von ihrer Obrigkeit willkürlich inszeniert wird, um mehr und mehr die Kontrolle über den ganzen Planeten zu gewinnen.
Rußland ist geopolitisch einer der letzten großen Gegenspieler der Vereinigten Staaten und muß deshalb unbedingt destabilisiert werden.
Putin hat Rußland wieder Ordnung gegeben. Soviel ich von ihm mitbekomme und beurteilen kann, ist er ein kluger Mann mit strategischem Denkvermögen, der das Wohl der Bevölkerung durchaus mit im Auge hat, auch wenn er sicher "kein Engel" ist.

Lothar Geiß, Ettersburg


Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich unsere Einheit in die Nähe von Rheinsberg zurückgezogen. Als Soldat der faschistischen Wehrmacht war ich der Meinung, daß der Krieg längst verloren sei. Nun sollten wir auch noch den anmutigen Ort Lindow verteidigen, dessen Einwohner uns freundlich aufgenommen hatten. Das führte zwangsläufig zu Zerstörungen und zum Tod vieler Unschuldiger. Es gab mir sozusagen "den Rest". Später gelang es einigen von uns, in einem Waldgebiet zurückzubleiben. Wir wollten nach Hause. Wir versuchten es auf eigene Faust. Unterwegs hatten wir auch schon mal Kleidungsstücke gefunden, steckten also nicht mehr ganz in Uniform. Als wir eine Straße überqueren mußten, kam uns plötzlich eine Kalesche mit Rotarmisten entgegen. Sie hielten uns offensichtlich für Werwölfe. Ihre Waffen waren sofort auf uns gerichtet. Auf die Frage, warum wir nicht in Gefangenschaft gegangen seien, erwiderten wir: "Wir wollten nicht nach Sibirien, sondern nach Hause." Darauf antwortete der Rotarmist: "Du kommst nicht nach Sibirien, Du mußt helfen, Dein Land wiederaufzubauen." Man ordnete uns einem Sammeltransport zu, und wir marschierten tagelang in Richtung Neubrandenburg. Sowjetische Soldaten, die uns begegneten, riefen uns freudig zu: "Wojna kaputt!!!"
So erlebte ich den 8. Mai 1945, der zum bedeutungsvollsten Tag meines Lebens wurde. Trotz aller Widrigkeiten eines Gefangenenlagers war ich sehr froh, überhaupt am Leben geblieben zu sein. Die Tage der Kriegsgefangenschaft trugen dazu bei, daß ich am Geburtstag Wilhelm Piecks 1946 Mitglied der Partei wurde.

Karl-Heinz Ebeling, Fürstenwalde


Als die Absicht des griechischen Staatsmannes Tsipras bekannt wurde, nach Moskau zu reisen, vernahm ich die Worte eines Nachrichtensprechers: "Wenn Du zu einem Hund ins Bett kriechst, mußt Du Dich nicht wundern, wenn zu am Morgen mit Flöhen aufwachst." Das ist eine Beleidigung für Rußland, für die Russen und natürlich auch für Putin. Wer hat ein solches Interesse an der Diskriminierung und Diskreditierung Rußlands? Warum inszeniert man eine derart massive Attacke gegen Moskau? "Für Frieden und Völkerverständigung" war einst das Leitmotiv eines kleinen deutschen Landes - der DDR. Dort hatte man erkannt, daß die friedliche Zusammenarbeit der Staaten für die Entwicklung eines jeden einzelnen von ihnen notwendig ist. "Der Krieg ist kein Gesetz der Natur, und der Friede ist kein Geschenk." Das haben wir in der DDR gelernt. So fragen wir uns, warum nur so wenige bereit sind, den Aggressionen, die derzeit in vielen Teilen der Welt stattfinden, energisch entgegenzutreten.

Gerda Huberty, Neundorf


Unlängst sprach ein kubanischer Botschaftssekretär in Güstrow auf einer gemeinsamen Veranstaltung von ISOR, "RotFuchs" und Cuba Sí. Seine Zuhörer brachten die Besorgnis zum Ausdruck, daß die Öffnung des Landes gegenüber den USA und anderen westlichen Staaten negative Auswirkungen auf den Sozialismus haben könnte. Der kubanische Diplomat erinnerte an die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des RGW. Damals hätten viele geglaubt, Kuba werde die nächsten Monate nicht überleben. Doch es habe allen Entmutigten bewiesen, daß es sich mit harten und einschneidenden Maßnahmen als sozialistischer Staat zu behaupten vermochte. Bei allen Veränderungen, zu denen auch westliche Investitionen gehörten, seien die Betriebe Eigentum des kubanischen Volkes geblieben.
Jetzt stehe das Land vor einem Generationswechsel. Doch die Ablösung der historischen Generation der Revolutionäre sei gewährleistet, eine Verjüngung bei den Spitzenpositionen habe bereits begonnen. Das Ziel der USA sei es gewesen, Kuba in der Isolierung zu ersticken und von sämtlichen Ressourcen abzuschneiden, um die Bevölkerung zur Rebellion zu bewegen. Alle Länder außer Mexiko hätten die diplomatischen Beziehungen zu Havanna abgebrochen. Doch heute unterhalte sein Land solche Kontakte zu 189 Staaten.
Übrigens seien keineswegs alle Exilkubaner politische Emigranten. Sehr viele von ihnen hätten sogar ein gutes Verhältnis zu ihrer früheren Heimat. Jetzt wollten die USA ihre Taktik, nicht aber ihre Strategie ändern. Diese ziele nach wie vor auf die Beseitigung des politischen Systems. So werde der Prozeß zur vollen Normalisierung der Beziehungen noch lange brauchen, betonte der Diplomat.

Fritz Völker, AG Cuba Sí, Röbel


Heute möchte ich mich endlich einmal für Eure stete und sehr gründliche Arbeit bedanken. Jeden Monat warte ich gespannt auf die neue Ausgabe. Gut fand ich u. a., daß an Menschen erinnert wurde, die uns viel gegeben haben, so auch an fast vergessene DDR-Schriftsteller, von denen Dieter Fechner eine ganze Reihe wieder auferstehen ließ. Auch etliche Lieder vergangener Zeiten sind leider aus dem Repertoire der Chöre verschwunden. Gerade gegenwärtig, wo es überall brennt, fiel mir der Text eines Kinderliedes ein, das der Pionierchor "Edgar André" sang:
Wir brauchen den Frieden wie die Blume das Licht,
wie die Saat, die aus dunkler Scholle bricht,
wie die Traube des Weins an den Reben.
Nur so grünt die Erde, und nur so blüht die Welt,
wenn das Licht, wenn der Frieden die Erde erhellt.

Die Musik schrieb Hans Naumilkat, den Text Erika Engel. Von Naumilkat ist auch die Melodie "Unsere Heimat" oder zu "Fröhlich sein und singen". Gemeinsam mit Vera Küchenmeister, die den Text schrieb, entstand das eindringliche Lied "Wer möchte nicht im Leben bleiben".
Auch "Der einfache Frieden" von Gisela Steineckert (Text) und Klaus Schneider (Musik) muß hier Erwähnung finden. Daß Gisela sich nun auch im "RotFuchs" äußert, freut mich sehr. Ihr habe ich viele gute Ratschläge und herrliche Stunden mit ihren Büchern zu verdanken. Ich bin nun 75 und möchte diese ihre - und auch meine - Hoch-Zeit nicht missen.

L. Wesenick, Berlin


Eine Bemerkung zum Beitrag "Als Jelzins T-72 Schrecken säten" (April-RF): Im Oktober 1993 wohnten wir schon acht Jahre in Moskau. So haben wir 1985 auch die "Trockenzeit" des "Mineralsekretärs" der KPdSU kennengelernt, als es im Fernsehen Berichte von Hochzeiten gab, bei denen die Gäste mit grüner Brause und schwarzem Tee feierten, weil der Alkoholgenuß durch Ausländer in das sonst völlig abstinente Land eingeschleppt worden war. Diese Ansicht wurde tatsächlich offiziell vertreten! Doch eines Tages war die Glasnost vorbei, und das Glas enthielt wieder 40prozentige Flüssigkeiten, die auch Präsident Jelzin reichlich genoß, was ihn durch seine Eskapaden zu einer lächerlichen Figur machte.
Den Beschuß des "Weißen Hauses" beobachtete ich von den Leninbergen, die heute wieder Sperlingsberge heißen. So vollzog sich die Metamorphose vom großen Denker zum Spatzenhirn.
Es war eine gespenstische Situation: Schüsse dröhnten, das Parlamentsgebäude brannte, und die Menschen neben mir schauten, meist schweigend, zu. Im Lushnikipark standen Lkws mit abgeklappten Seitenborden. Die Fracht: Maschinenpistolen! Nachts herrschte Ausnahmezustand. Wer den mißachten zu können glaubte, dem pfiffen - im günstigsten Fall - die Kugeln um die Ohren. Ich glaube allerdings nicht, daß Flöße voller Leichen die Moskwa entlangtrieben.
Abgesehen von den Einzelheiten: Das Land befand sich zur Freude der westlichen Mächte im freien Fall. Für Aasgeier ein gefundenes Fressen.
Der jetzige Präsident hat diese verhängnisvolle Entwicklung gestoppt, welche Vorbehalte man immer auch geltend machen möchte.

Wolfgang Kroschel, Cottbus


Das erschütternde Foto in der April-Ausgabe des RF, das die Erschießung eines belgischen Résistance-Kämpfers durch Angehörige der faschistischen Wehrmacht zeigt, und die sich häufenden Berichte von den Pegida-, Legida-, Cegida- und anderen Aufmärschen sowie weiteren Haßausbrüchen veranlaßten mich nachzuforschen, wer die Todesschützen, die auf dem Foto dem Betrachter den Rücken zukehren, um nicht erkannt zu werden, eigentlich gewesen sind.
Ich glaube, sie identifiziert zu haben. Es handelt sich - von links nach rechts - um Benno Michel, Christoph Michel, Daniel Michel, Emil Michel, Friedrich Michel, Gottfried Michel, Hugo Michel und Jakob Michel. Mit anderen Worten: um den deutschen Michel!

Gerhard Miska, Chemnitz


Fassungslos machen mich die Berichte über heutige Kriege und Massaker, bei denen unablässig friedliche Zivilisten, darunter viele Kinder getötet werden. Jahrgang 1938, habe ich den Krieg kennengelernt. Ich erlebte ihn und die Nachkriegszeit, wobei ich meine Heimat verlor. Katholisch erzogen, waren mir die 10 Gebote bekannt, natürlich auch "Du sollst nicht töten". Später habe ich als Lehrerin und Erzieherin die humanen DDR-Pioniergebote Kindern erläutert und meine eigenen Töchter und Enkel zu friedliebenden Menschen erzogen. Ganz im Sinne des Grundsatzes: "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu." Kriegstreibern muß Einhalt geboten werden. Sie sind für Not und Elend, für Trümmer, Tote und Hunger verantwortlich. Wie gut, daß der "RotFuchs" hilft, die verlogenen Phrasen bürgerlicher Medien zu durchschauen.

Johanna Busch, Berlin


Ihr "Erscheinungsbild" in TV-Berichten über die Ostermärsche 2015 ließ vermuten, die Kommentatoren seien intelligente und lebenserfahrene Persönlichkeiten. Doch weit gefehlt! Kaum daß sie den Mund aufmachten, begann mein Nachdenken über ihre "Weitsicht" und "Klugheit". Äußerungen wie diese: "Aufbegehren gegen Atomwaffen und Rüstung ist doch nicht mehr aktuell" oder "Was sollen diese Aufmärsche, sie stören doch nur das österliche Treiben!" ließen mich anderes vermuten. Offenbar sind diesmal weniger Menschen als vor Jahren auf der Straße gewesen, um an Krieg und Frieden heute zu erinnern. Den meisten Deutschen geht es doch recht gut. Und wen interessiert das "Haus der anderen"? Solange kein Brandgeruch wahrgenommen wird, besteht doch kein Grund zur Unruhe und für das Bereithalten von Löschwasser oder "Feuerpatschen". Sind wir denn schon so weit weg von den Kriegen und der Erinnerung an sie und ihre Folgen? Nehmen wir zur Kenntnis, daß um uns herum waffenstrotzend Kampfeslust zur Schau gestellt wird und neue Brände schwelen? Und wie gehen wir damit um? Wohlstand wirkt offensichtlich ermüdend, und die Sorgen um Arbeit, Lohn und Zukunft sind noch nicht so drückend und schmerzhaft bei uns, daß sie die Massen auf die Straße treiben. Das Nichtbeachten und Nichtbehandeln der Symptome kann zu einem bösen Erwachen führen.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Ansteckende Viren! Tausende Menschen kamen durch Ebola zu Tode. Doch es gibt einen noch weitaus gefährlicheren Virus: Kriegshetze. Seine Folgen werden tausendmal mehr Menschen umbringen, als jede Krankheit. Er breitet sich zur Zeit rasant aus, und seine Protagonisten verkaufen ihn als "gutartig", obwohl er bereits in weiten Teilen der Welt wütet. Eine gewisse Ursula will Deutschland wieder militärisch ganz nach vorne bringen. Wenn die meisten Bundestagsabgeordneten ihre Hand für weitere Auslandseinsätze, die Beschaffung von Kampfdrohnen und Panzern oder neue Truppenübungsplätze heben, dann weiß man, wie sie der Virus Kriegshetze bereits infiziert hat.

Elisabeth Monsig (91), Gartz


Der Leitartikel im Januar-RF und Prof. Dr. Herbert Meißners Beitrag zu Marx, Lenin und der Linken im März-Heft greifen eine Problematik auf, die viele bewegt. Bestimmte Politiker der PDL wollen einfach nicht begreifen, daß die Abkehr vom Marxismus eine wesentliche Ursache für die Schwäche der Linken ist. Nach meiner Meinung rückten Führungskräfte der Linken bereits im Dezember 1989 vom marxistischen Denken ab. Nach ihren Aussagen traten sie an, es besser zu machen. Doch sie besaßen kein Konzept. Ihr Wirken beschränkte sich auf Kritik an ihren Vorgängern, was zwar berechtigt war, doch für Veränderungen nicht reichte. Da half auch die beste Rhetorik nichts.
Ob nur unüberlegt oder vorsätzlich, was ich nicht beurteilen kann und will, wurde der Beschluß zur Auflösung der Betriebsparteiorganisationen gefaßt. Hiermit hatte sich die neue Führung der Arbeiterklasse entledigt. Diese aber war die Grundlage der SED, die penibel darauf achtete, daß 50 % der Mitglieder aus ihr stammten. Sie und ihre Partei waren das Rückgrat der DDR. Mit der Umwandlung in eine links-intellektuelle Partei wurde sie zwar für eine bürgerlichen Parteienlandschaft paßgerecht gemacht, war jedoch für den Erhalt eines sozialistischen Staatswesens völlig ungeeignet. So entzog man der Regierung Modrow bereits im Dezember 1989 die Basis. Entledigt hatte man sich auch der marxistischen Grundlagen. Mit Marxismus hatte es nichts mehr zu tun, wenn man davon sprach, den Kapitalismus ebenso wie den Staatssozialismus überwinden zu wollen - auf dem Weg zu einem "demokratischen Sozialismus".

Horst Neumann, Bad Kleinen


Grundsätzlich stimme ich der Auffassung von Dr. Stubenrauch in seiner Leseräußerung zur mangelnden revolutionären Dynamik der PDL zu. Besonders ist das Fehlen von führenden Persönlichkeiten nach dem Rückzug Oskar Lafontaines und Sahra Wagenknechts ein herber Rückschlag.
Zur Situation in Deutschland bin ich anderer Meinung. Die BRD wird permanent von Streiks und heftigen Auseinandersetzungen mit der herrschenden Ordnung erschüttert, die Wahlbeteiligung sinkt regional unter 50 %, rechtsgerichtete Parteien und Gruppierungen schießen beinahe wie Pilze aus dem Boden, weil es am nachhaltigen Widerstand der Linken fehlt.
Die soziale Ungerechtigkeit wird immer spürbarer.
Die EU ist intern zerstritten, in einigen Teilen hochverschuldet, und wird durch das mutige Auftreten solcher Persönlichkeiten wie Putin oder der griechischen Syriza-Sozialisten in der Öffentlichkeit immer mehr demaskiert. Die USA sind auch finanziell nicht mehr in der Lage, ihre globalen Herrschaftspläne durchzusetzen. China tritt als neue Weltmacht auf den Plan. Im Unterschied zu Rußland nach der Oktoberrevolution besteht in den G-7-Ländern eine hohe Arbeitsproduktivität, so daß Bedürfnisse aller Menschen befriedigt werden könnten. Das Problem ist also nicht mehr die Produktivität, sondern die gerechte Verteilung. Die alte deutsche Volksweisheit "Warten wir erst mal ab, mal sehen, was sich ändert" führt nicht aus der Misere.

Peter Pötschmann, Döbeln


Seit vielen Jahren lese ich den "RotFuchs" - wißbegierig vom ersten bis zum letzten Satz. Heute möchte ich der Redaktion einmal meinen herzlichsten Dank für ihre großartige Arbeit übermitteln. Ich wünsche Euch alles Gute und versichere Euch: Ich bleibe Euch und unserem Anliegen, dem Sozialismus, treu.

Heiko Steiniger, Gera


Durch das Interview der "jungen Welt" mit Wolfgang Dockhorn habe ich von dem unerhörten Vorhaben des CDU-Politikers Michael Vogel erfahren, die Begegnungsstätte "Ratz-Fatz" für Veranstaltungen der dortigen "RotFuchs"-Gruppe in ihren Räumen dadurch zu "bestrafen", daß ihr im Falle der Fortsetzung die ohnehin nicht üppigen finanziellen Mittel verweigert werden sollen. Ich bin empört. Herr Vogel sollte einmal das Grundgesetz der BRD in die Hand nehmen, das er offenbar nicht kennt. Sonst wüßte er, daß im Artikel 5 Abs. 1 das Recht auf freie Meinungsäußerung und im Artikel 8 die Versammlungsfreiheit geschützt sind. Meine uneingeschränkte Solidarität gilt den Mitarbeitern, Mitgliedern und Sympathisanten des "RotFuchs".

Helga Plache, Berlin


Seit Anfang Februar erfolgten in München 14 Festnahmen sowie die Beschlagnahme von Agitationsmitteln unserer Stände. Auch erste Haussuchungen bei Jugendlichen, die das Symbol der Freien Deutschen Jugend gezeigt hatten, fanden statt. Erst letztes Jahr hatte es eine Reihe von Prozessen gegen Mitglieder der FDJ gegeben, wobei in Berlin ein Freispruch erfolgte. Das Gericht begründete ihn so: Wenn heute jemand das FDJ-Symbol sehe, dann denke er unwillkürlich an die FDJ der DDR. Und diese bestehe ja legal weiter. Eine Aufhebung des 1951 erfolgten Verbots der West-FDJ, das damals von ehemaligen Nazi-Richtern verfügt worden war, bedeutet das aber nicht. Noch vor Inkrafttreten des "Einigungsvertrags" wurden in der DDR einige neue Gesetze erlassen, welche diesen Zusammenschluß vorbereiten sollten. Hierzu gehörte das Gesetz über Vereinigungen und das Parteien-Gesetz vom 21. Februar 1990. Beide wurden mit dem "Einigungsvertrag" vom 31. August 1990 aufgehoben, aber: Allen zuvor gegründeten Vereinigungen und Parteien wurde ihr legales Fortbestehen garantiert.
Die in der BRD Herrschenden hatten damit nur eines im Sinn: Westdeutsche Vereinigungen und Parteien sollten in der Noch-DDR gebildet werden können, um deren Zerstörung voranzutreiben. Am wichtigsten war für Bonn, daß auch ausländische Staatsbürger - also Bürger der BRD - in der DDR Parteien gründen konnten. Doch die Rechnung hatte einen Haken: Gemäß den Leitlinien dieser Gesetze ließ sich auch die neu entstandene FDJ registrieren und als Vereinigung nach Recht und Gesetz zulassen.
Gibt es nun ein Deutschland oder zwei? Die Herrschenden sagen eines. Gibt es nun ein oder zwei Rechtssysteme? Die Herrschenden haben mit der Annexion der DDR dieser ihr Recht übergestülpt.

Anita, E-Mail


In seinem RF-Extra-Beitrag in der April-Ausgabe schreibt Peter Elz: "Von unseren politökonomischen Vordenkern (in den sozialistischen Staaten - H. W.) wurde m. E. nicht in Betracht gezogen, daß Marx in seinen ökonomischen Analysen gar nicht im Sinn hatte, den Wirkungsmechanismus der Marktpreise im Kapitalismus zu analysieren, geschweige denn die Preiskalkulation im Sozialismus zu definieren. ... Jede konstruktive Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Preisbildungspraxis wurde de facto als überflüssig betrachtet. Aus meiner Sicht 'Grundtorheiten' unserer Theorie und Praxis der Politischen Ökonomie des Sozialismus. ... Der Marktmechanismus ... setzt lediglich das Vorhandensein arbeitsteiliger Prozesse voraus und zeigt destruktive Wirkungen der kapitalistischen Produktion auf."
Der Autor spricht wiederholt von "Mechanismus", obwohl es sich doch um Willenshandlungen von Menschen und nicht um "automatische Bewegungen" von Maschinen handelt. Da sollten wir unsere Sprache dem Sachverhalt anpassen. Es ist auch zu einer nicht durchdachten Redewendung unter Linken geworden, von "zügellosem" Profitstreben zu sprechen. Bleiben wir im Bild: Selbstverständlich hat der Kutscher auf dem Karren "Kapitalismus" Zügel in der Hand; man muß nur Roß und Kutscher benennen. Der Kutscher "Finanzkapitalist" dirigiert die Rösser "produzierende Unternehmen", "staatliche Einrichtungen" und "Medien" mittels der Zügel "Kredite zu 'marktüblichen' Zinsen", "Staatsanleihen zu 'marktüblichen' Zinsen" sowie den berühmten "Fördermitteln".

Dr. Hermann Wollner, Berlin


In der Fahrradzeitschrift "Trekkingbike" entdeckte ich einen aufschlußreichen Artikel. "Veteranen des Jugoslawien-Krieges" wollen sich am 1. September im niederländischen Doorn treffen und sich mit dem Fahrrad ausgerechnet nach Sarajevo auf den Weg machen. Es handelt sich wahrscheinlich um Leute, welche seinerzeit den UÇK-Banditen zu Hilfe kamen, um in Teilen Jugoslawiens ein prowestliches Marionetten-Regime zu installieren. Das paßt zum Slogan des Herrn Kauder: "In Europa wird wieder deutsch gesprochen."
Themenwechsel: Vom RF würde ich mir einen Beitrag über die permanente Naturvernichtung wünschen. Hier - in dieser "Wertegemeinschaft" - hat man diesbezüglich keinerlei Hemmungen. Es ist doch ein Skandal - viele Gleichgültige und Abgestumpfte sehen nichts, hören nichts, sagen nichts und haben von alldem nichts gewußt. Ich soll für 1000 Euro ins Ausland fahren, um eine Woche lang die Natur zu betrachten, die mir hierzulande laufend weggenommen wird!

Helmut Liebach, Liebertwolkwitz-Leipzig


Der Beitrag von Generaloberst Streletz in der März-Ausgabe des RF zur militärischen Führung während des Umsturzes 1989 wirft bei mir eine Frage auf, auf die ich bisher keine Antwort gefunden habe: Bei allen großen oder kleinen militärischen Niederlagen in der Geschichte wurde dem Feind nur zerstörtes Kriegsgerät überlassen. Nur die DDR machte hier eine Ausnahme. Modernste Flugzeuge (die MIG 29 war dem damals noch in der Erprobung befindlichen Eurofighter weit überlegen!), modernste Küstenschutzboote und Raketenstützpunkte wurden dem Klassenfeind funktionsfähig übergeben. Allein durch die MIG 29 konnte die Bundeswehr einen mehrjährigen Trainingsvorteil gewinnen, von dem detaillierten Studium der "gegnerischen Technik" ganz zu schweigen. Zuvor wäre die Übergabe solcher Informationen mit dem Tode bestraft worden!
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie stark die Volkswirtschaft der DDR durch Verteidigungsausgaben belastet war. Jetzt verdient die BRD durch den Verkauf der Ausrüstungen in Krisengebiete Unsummen.
Die "Wende" verlief durch das verantwortliche Handeln der damaligen Führung friedlich. Doch der unverantwortliche Vollzug der Kapitulation hat bis heute keinen Namen.

Dr.-Ing. Klaus Neumann, Berlin


Ein paar Worte zum Beitrag von Rainer Stankiewitz "Wortmeldung eines Schweriner Verlegers". Er enthält viel Wichtiges und Richtiges, worauf ich nicht eingehe. Mich stört indes der Satz: "Zunächst schien mir diese protestierende Masse (Pegida) sympathisch zu sein."
Ich könnte gar nicht so empört sein, daß ich mich hinter der Losung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" einreihen würde. Für mich sind das zumindest ausländerfeindliche Zeitgenossen. Und wer nach wiederholtem Mitmarschieren - obwohl hinlänglich bekannt ist, daß die Wortführer Faschisten sind - die Zeichen der Zeit noch immer nicht erkannt hat, ist für mich kein "Empörter", der den rechtsradikalen Vorstellungen lediglich zuneigt. Da gibt es nichts zu beschönigen. Diese Gesellschaft rückt, ob das die Gutmenschen wahrhaben wollen oder nicht, immer weiter nach rechts.

Helmut Ische, Göttingen


In der Veröffentlichung meiner Zuschrift ist Ihnen leider ein für mich peinlicher Fehler unterlaufen: Ich war weder 25 Jahre lang Botschaftsfunker noch habe ich anschließend leitende Aufgaben übernommen. Mein Buch sagt deutlich genug, daß ich Funker und Jahrzehnte an der Ausbildung von Funkern beteiligt war. Mehr nicht!

Wolfgang Buddrus, Altefähr/Rügen

Die Redaktion entschuldigt sich für diesen Mangel an Exaktheit.


Klaus Steinigers Artikel im April-RF "Wie unsere Propaganda beschaffen sein sollte" begrüße ich sehr. Ich war Zirkelleiter im Parteilehrjahr. Der "Anleiter" war Professor am Institut für Gesellschaftswissenschaften. Wir freuten uns jeden Monat auf ihn, weil er bewußt und zielgerichtet vom Material der Abteilung Agit-Prop abwich und - theoretisch fundiert - aktuelle Ereignisse beschrieb und Fragen beantwortete, also Hintergrundwissen vermittelte. Damit konnten wir interessante Zirkel gestalten. Daß das Material aus der Abteilung des ZK eigentlich ungenügend, weil viel zu allgemein und gleichförmig war, bemerkten auch leitende Genossen.
Doch nichts änderte sich. Besagtem Professor begegnete ich später im Marxistischen Forum beim PDS-Parteivorstand wieder. Dort lieferte er Beiträge und schrieb plötzlich Artikel darüber, wie wenig sozialistisch und wie undemokratisch die DDR doch gewesen sei. Er war nicht der einzige, der in dieses Horn blies. Andererseits war ich nicht der einzige, den das enttäuschte. Einige Professoren schieden deshalb unter Protest aus dem Forum aus. Es entsteht ohnehin der Eindruck, daß auch in den einzigen Medien, die noch die Wahrheit sagen (RF und jW) Tendenzen einer Fehlersuche auftreten.
Manche Autoren wollen um jeden Preis "beweisen", daß die DDR an sich selbst zu Grunde gegangen ist. Leute aus unseren Reihen mit marxistischem Wissen und eigener Erfahrung sollten nicht nur in bezug auf die Vergangenheit, sondern auch mit Blick auf die Gegenwart jenen widersprechen, die ein falsches Bild von unserer Vergangenheit zeichnen. Auch wenn sie sich Kommunisten, Linke und Revolutionäre nennen oder nicht mehr unter uns weilen. Es geht um die nach uns Kommenden.

Gerhard Naumann, Berlin


Viel geht von der DDR auch deshalb unter, weil Zeitzeugen zu wenig über jene schreiben, die ihr Gesicht mitgeprägt haben. Ein Beispiel aus dem Kreis, in dem ich seit langem als Heimatchronist tätig bin. Das Post- und Fernmeldeamt Hagenow kam Anfang 1973 vor einem Leistungsvergleich der Betriebe auf den Gedanken, die Einwohner der Kreisstadt mit einem kleinen Chor zu überraschen. Als Leiterin war Genossin Edith Dünsch gewonnen worden. Mit sechs sangesfreudigen Männern startete sie, im Laufe des Jahres kamen dann noch acht Frauen hinzu. Edith hatte enorm viel Geduld. Etliche Male ließ sie den Gesang wiederholen, ohne die Ruhe zu verlieren. 1945 war sie aus Ostpreußen in das mecklenburgische Boizenburg gekommen. Bald gehörte sie einer Jugendgruppe an, die musizierte und Theater spielte. Am Gründungstag der FDJ wurde sie deren Mitglied. Nach Abschluß des Neulehrer-Studiums war sie als Musikpädagogin tätig.
2006 mußte sie aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden. Sie hat viel Verdienstvolles geleistet: Festveranstaltungen im Kreiskulturhaus, Jugendweihefeiern, Jahrestage der Republik, Seniorenbetreuung in den Dörfern - nirgends fehlte sie.
Absoluter Höhepunkt war der Auftritt ihres Chores bei Hans-Georg Poneskys populärer Veranstaltung "Alles singt", die im Oktober 1989 in Leipzig stattfand. 1990 war der Chor der Hagenower Postsänger auf 35 Mitglieder angewachsen. Nach dem Ende der DDR wurde er unter der Bezeichnung "Klingendes Posthorn" in das Hagenower Vereinsregister eingetragen.
Am 16. Januar 2009 ging unsere Edith durch das "Tor der Verwandlung", wie Erwin Strittmatter den Tod einmal genannt hat.

Siegfried Spantig, Hagenow


Endlich möchte auch ich mich für die monatlich erscheinende Zeitschrift "RotFuchs" ganz herzlich bedanken. Seit Ende 2011 freue ich mich zu Beginn eines jeden Monats, den RF im Internet lesen zu können. Eigentlich wollte ich mich schon eher einmal zu Wort melden. Nun überwinde ich endlich mein Zögern.
Für jeden Menschen besitzt die Informationsfreiheit einen hohen Stellenwert. Was er auswählt, ist seine Sache. Ich begrüße es, daß ich meine Informationen nicht nur aus Büchern und alternativen Medien des Internets, sondern auch aus dem "RotFuchs" beziehen kann. Dafür danke ich dem Kollektiv. Ganz besonders interessieren mich als ehemaligen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik alle Beiträge zu Geschichte und Kultur des Arbeiter-und-Bauern-Staates sowie Artikel über die DDR-Landwirtschaft und die kompromißlose Aufarbeitung auf dem sozialistischen Weg begangener Fehler, die zum Scheitern der DDR beitrugen.

Andreas Herrmann, Bautzen


In einigen Landeskriminalämtern wird eine Technologie zur elektronischen Verbrechensvorhersage erprobt. Wie glaubhaft ist dieses aus den USA übernommene Orakel? Auf jeden Fall garantiert die Einführung des neuen Systems den Software-Herstellern ein profitables Geschäft, während die Überwachung der Bevölkerung zur Erlangung erforderlicher Daten ungeahnte Ausmaße erreichen dürfte. Zweifelhaft bleibt jedoch, ob auf diese Weise nur stereotype Annahmen ermittelt werden können. Zugleich besteht die Gefahr, Straftaten bestimmten Personengruppen - z. B. Ausländern - zuzuordnen.
Nun will man mit Hilfe dieser "Verbrechensvorhersage" der ausufernden Kriminalität begegnen.
Viel billiger und erfolgreicher wäre es doch, bei der 1990 untergegangenen DDR in die Lehre zu gehen. Hier gab es eine viel geringere Kriminalität - im Verhältnis zur BRD betrug sie 1:6 -, wobei die Aufklärungsquote stets über 70 % lag. Dieser Erfolg beruhte darauf, daß neben der Bekämpfung vor allem die Verhinderung von Kriminalität, d. h. die Beseitigung ihrer sozialen Ursachen sowie sie begünstigender Umstände ein erstrangiges gesellschaftliches Anliegen waren. Also nicht das "rechtzeitige Erscheinen der Polizei am Tatort" gemäß Orakel-Vorhersage war gefragt, sondern die Ausschaltung der Gründe und Hintergründe für die Begehung von Straftaten.
Mit anderen Worten: Die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR bildeten die Grundlage für stabile öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Oberst der VP a. D. Rudolf Höll, Berlin


Ein Wort zum Beitrag von Ulrich Guhl "Gaucklereien und die Substanz eines Begriffs" im April-RF.
1898 erschien in Leipzig das Buch von Plauer & Reißmann "Johann Gottfried Seume, Geschichte seines Lebens und seiner Schriften". Es ist möglich, daß in dieser Arbeit der von Ulrich Guhl zitierte Satz über die Freiheit enthalten ist. Seume kann ihn allerdings nie 1898 geschrieben haben, denn dieser nach seinem unvollendeten Theologiestudium zu erbärmlichen Kriegsdiensten gezwungene und immer wieder desertierende Schriftsteller lebte von 1763 bis 1810!
Von ihm stammt übrigens auch der folgende Satz: "Wo die Gleichheitsidee aus dem Gesetz verschwindet, ist eine Diskussion über Rechtsfragen überhaupt nicht mehr möglich, da entscheidet das Hausrecht, und alle Dinge treiben dem Untergang entgegen." Mit diesen Worten charakterisierte er schon damals die Zustände, in denen wir heute leben müssen.

Dr. Klaus Kannapin, Neuenhagen


In tiefen DDR-Zeiten bestimmten Ruhe und Freundlichkeit in den hiesigen Stadien das Klima auf den Rängen. Nach dem Umsturz schwappte sofort neben anderem Unrat die Hooligan-Unkultur in den Osten. Besonders seit einigen Monaten entwickelt sich ein Klima des Hasses, der Aggressivität und Menschenverachtung gegen eine bestimmte Mannschaft der zweiten Liga: RB Leipzig. Hauptgrund ist ein reicher Sponsor aus Österreich. Dabei ist doch bekannt, daß seit Jahrzehnten im Westen das Geld von Sponsoren den Tabellenplatz ganz maßgeblich bestimmt. Für Leipzig darf das nicht zutreffen. Sogenannte Fans aus dem Osten (Aue) und in Weststadien flippten völlig aus und wurden gegen die Mannschaft sogar tätlich - von Nazi-Beleidigungen einmal ganz abgesehen. Haß, Wut und Neid trafen sogar eine Kindermannschaft. In diesem Falle wurde allerdings öffentlicher Widerstand aufgebaut. Unter Bedingungen solcher Feindseligkeit bereitet dieser schöne Sport den Zuschauern keine Freude.

Joachim Spitzner, Leipzig


Bei der faschistischen Wehrmacht stand auf dem Koppelschloß der Soldaten: "Gott mit uns". Könnte die Bundeswehr nicht "Gauck mit uns" als Motto wählen?

Anruf eines der Redaktion bekannten Theologen aus Bad Freienwalde

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Er ist folgendermaßen erreichbar.
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Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.



IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Großmann

LAYOUT: Rüdiger Serinek

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

INTERNET-PRÄSENTATION: Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

AUTORENKREIS:
Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Siegfried R. Krebs
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Wolfgang Metzger
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
Joachim Spitzner
Gisela Steineckert
Bruni Steiniger
Dr.-Ing. Peter Tichauer
Marianne Walz
Johann Weber
Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wroclaw)
Edda Winkel

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Günter Endlich,
Heinz Herresbach, Klaus Parche,
Heinrich Ruynat, Renatus Schulz,
Gertrud Zucker

VERSAND UND VERTRIEB:
Karin Dockhorn
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin
Telefon 030/241 26 73
WDockhorn@t-online.de
oder Sonja Brendel, Tel. 030/512 93 18
Heiner Brendel, Gerald Umlauf,
Hans Ludwig u.v.a.m.

FINANZEN:
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Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht immer mit denen der Redaktion übereinstimmen.

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Quelle:
RotFuchs Nr. 209, 17. Jahrgang, Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2015

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