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ROTFUCHS/135: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 181 - Februar 2013


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

16. Jahrgang, Nr. 181, Februar 2013



Inhalt

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Für verordneten Antifaschismus

Als wäre es gestern gewesen, steht mir eine Szene vor Augen, die sich Anfang Mai 1945 im Riesengebirge zutrug. Teils beritten, teils mit Panjewagen zog eine Kavalleriedivision der Roten Armee durch Krummhübel, das heutige Karpacz, um Restverbände der SS und der faschistischen Wehrmacht jenseits der Grenze zur Tschechoslowakei zu attackieren. In den malerisch gelegenen Ort hatten uns die Kriegsumstände verschlagen. Auch mein damals in der Illegalität lebender Vater - wenige Tage später wurde er erster kommunistischer Bürgermeister des Städtchens - hatte sich dort zuletzt bei Freunden versteckt gehalten.

Viele Stunden harrten wir an jenem Frühlingstag mit Eimern am Straßenrand aus, um den vom Eilmarsch erschöpften Rotarmisten das einzige anzubieten, was uns damals zur Verfügung stand: ein Glas Wasser.

Das Eintreffen der Männer und Frauen mit dem roten Stern an der Mütze empfanden wir als Stunde der Befreiung. Diese Haltung teilten meine Eltern zwar mit allen aufrechten Antifaschisten, doch sie war zweifellos unter den Deutschen minoritär. Die meisten zeigten sich durchaus erleichtert, daß der auf das eigene Land zurückgeschlagene Krieg ein Ende gefunden hatte, fühlten sich deshalb aber keineswegs befreit, sondern eher als Verlierer. Die Naziideologie saß noch tief. Immerhin hatten sich mindestens vier Fünftel der Deutschen Hitlers Herrenmenschenwahn zu eigen gemacht.

Während im Westen nahtlos und mehrheitlich mit demselben Personal vom gescheiterten Faschismus zur schrittweisen Wiederherstellung des deutschen Imperialismus übergegangen wurde, mußten im Osten von Menschen, die gleichermaßen dem braunen Ungeist verfallen gewesen waren, auf einmal ganz neue Wege beschritten werden. Nicht wenige jener, welche nun einbezogen wurden, hatten auch bei den Vorgängern mitgemacht. Doch es gab einen fundamentalen Unterschied zum Westen: Beim Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung, um die es ja zunächst ging, standen durch die Hölle der Zuchthäuser und Konzentrationslager gegangene oder aus der Emigration zurückgekehrte Widerstandskämpfer - bewährte Kommunisten, die Aktionseinheit suchende Sozialdemokraten und andere Humanisten - an den wichtigsten Schalthebeln. Das war zweifellos ein Glücksumstand.

Auch im Osten vermochten sich die meisten Deutschen nicht aus eigener Kraft vom Ungeist der Vergangenheit freizumachen. Dazu bedurfte es anfangs fester Haltelinien. Diese setzte das im August 1945 unterzeichnete Potsdamer Abkommen. Dabei handelte es sich um eine Vereinbarung der Sowjetunion, Großbritanniens und der USA, der sich Frankreich unverzüglich anschloß. Es trug die Handschrift von Nazigegnern aller beteiligten Mächte, wobei der Einfluß der UdSSR, welche die Hauptlast des Krieges getragen hatte, unverkennbar war. Das Dokument der Sieger über Hitler war als ein Wegweiser für das ganze deutsche Volk in eine friedliche und demokratische Zukunft gedacht. Der ihm in Potsdam zu Recht verordnete Antifaschismus sollte die Richtschnur der Entwicklung in allen Teilen Deutschlands sein, wurde aber nur dort verwirklicht, wo nicht de facto erhalten gebliebene alte Nazistrukturen, sondern Männer und Frauen des Widerstandes die Entwicklung bestimmten. Sie sorgten in der sowjetischen Besatzungszone dafür, daß das Potsdamer Abkommen während einer mehrjährigen Übergangsperiode konsequent umgesetzt wurde. Dieser Prozeß gipfelte im Entstehen des ersten wirklich antifaschistischen Staates auf deutschem Boden - der DDR.

Auch wenn nicht alle Bürger deren Politik zu verinnerlichen bereit waren, gab es in den 40 Jahren ihrer Existenz weder NPD noch NSU, keinen staatlich geduldeten Rassen- und Völkerhaß. Solche Insignien sind allein der BRD - dem Staat des wiedererstandenen und mit alter Aggressivität nach der europäischen Krone greifenden deutschen Imperialismus - zuzuordnen. In Merkels und Schäubles, Friedrichs und de Maizières Reich propagiert man plötzlich den taktisch motivierten Gang selbst rechtsgerichteter Kräfte zum Bundesverfassungsgericht, um die faschistische NPD pro forma verbieten zu lassen, als demokratische Großtat. Dabei handelt es sich auch um einen Reflex auf die vorangegangene Anrufung Karlsruhes durch die Nazis selbst. Sie konnten es in der BRD wagen, sich an das Bundesverfassungsgericht in der Absicht zu wenden, dort einen "Persilschein" für ihre "Grundgesetztreue" zu erwirken. Welch ein Hohn auf das Potsdamer Abkommen!

Die BRD will sich durch Ablenkungsmanöver wie das ständige Vorzeigen der Konterfeis dreier vom thüringischen Verfassungsschutz jahrelang beschirmter NSU-Terroristen - zweier zu Tode Gekommener und einer offenbar Inhaftierten - vor der Weltöffentlichkeit in die Toga eines antifaschistischen Staates werfen. Dabei hat sie nicht ein Jota des in Potsdam mit Fug und Recht dem deutschen Volk verordneten Antifaschismus jemals verwirklicht. Im Bonner Herrschaftsbereich wurden nicht Nazis entmachtet, sondern Polizisten und Juristen der Nazis jagten nach dem 1956 verhängten KPD-Verbot Antifaschisten kommunistischer Gesinnung. Damals trug die Staatsmacht der BRD zweifellos nach seinerzeitigem spanisch-griechisch-portugiesischem Vorbild faschistoide Züge, was auch die Berufsverbote offenbarten. Erinnert sei an zwei Bilder, die Bände sprechen: Das eine zeigt den späteren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht gemeinsam mit dem Dichter Erich Weinert im Schützenloch der Roten Armee an der Stalingrader Front. Das andere präsentiert den Kommentator der Nürnberger antisemitischen Rassegesetze Dr. Hans Globke als Graue Eminenz an der Seite des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Beide deutsche Staaten unterschieden sich in ihrer Haltung zu Faschismus und Antifaschismus von Beginn an wie Feuer und Wasser. Prüfstein war dabei die Haltung zum Potsdamer Abkommen. Die geschmähte DDR verwirklichte es Wort für Wort, die BRD aber negierte es völlig. Sie machte - wie wiederholt in Dresden - den Nazis allenthalben die Straße frei und räumte der NPD beim Gang nach Karlsruhe den Vorrang ein.

In dieser bedrohlichen Situation muß mehr denn je die Forderung erhoben werden, endlich den von Potsdam verordneten Antifaschismus in die Tat umzusetzen!

Klaus Steiniger

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Das Dresdener "No pasaran!"

Auch in diesem Monat werden die Neonazis das Erinnern an die Zerstörung Dresdens für ihre Zwecke mißbrauchen. Obwohl - wie in den letzten Jahren - der Widerstand Tausender aus ganz Deutschland ihren Marsch behindern oder gar verhindern dürfte, werden die Medien der Bourgeoisie mit Gewißheit abermals vor allem zwei Klischees bedienen: Die Gefahr gehe von Rechts- wie Linksextremisten aus, und die historischen Wurzeln des Rechtsradikalismus seien in der DDR-Vergangenheit zu suchen.

Dem stehen knallharte Tatsachen gegenüber, die man vergessen machen will: Der strukturierte Neofaschismus konnte im Osten erst nach der sogenannten Wende Fuß fassen. Und: Die Staatsmacht der BRD tat alles, um die braunen Sumpfblüten zu schützen und deren Vermehrung nicht zu verhindern.

Am 20. Oktober 1990 fand der erste Neonazi-Aufmarsch im Zentrum Dresdens statt. Organisator war Michael Kühnen, durch die Justiz im Westen bereits einschlägig bestraft. Dresdens Oberbürgermeister Dr. Wagner genehmigte die Provokation und entschuldigte sich anschließend in der "Union" mit den Worten: "Ich muß gestehen, daß mir der Name Kühnen anfangs wenig sagte." Kannten ihn auch Wagners Westberater nicht? Und wie war es mit der Polizei, die Kühnens Auftritt sicherte? Dessen Anhänger schrien: "Rotfront verrecke!" Und: "Wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt!" Polizei und Justiz beschirmten die "Meinungsfreiheit" für Nazis.

Doch nicht nur der bald darauf verstorbene Kühnen, sondern vor allem die NPD hatte in der alten BRD langfristig Neonazi-Strukturen aufgebaut. Diese Partei existierte dort bereits seit 1964 und besaß Erfahrungen aus westdeutschen Landtagen. Das war lange vor jener Zeit, in der ihre Ostexpansion begann. Als das dann nach der Annexion der DDR möglich wurde, zogen braune Verlage von München nach Riesa um. Einige aus dem Westen importierte NPD-Extremisten wurden zu sächsischen Landtagsabgeordneten. Trotz all ihrer Tiraden genossen sie Immunität. Sachsen wurde auch zum Zentrum jener Neonazis, die das Land mit Morden überzogen. Welche Rolle V-Leute des Verfassungsschutzes und anderer Behörden bei all dem spielten, verschleiert man bis heute. Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses werden an der Nase herumgeführt und tappen im dunkeln.

In welchem Grade die Justiz zum Schutz der "Demonstrationsfreiheit" für Neonazis eingesetzt wird, offenbarte ein Prozeß, der im Oktober 2012 gegen Dr. André Hahn stattfand. Der leitete bis zum Vorjahr die Landtagsfraktion der Partei Die Linke und will jetzt für den Bundestag kandidieren. Die Anklage bezichtigte Hahn, zum Protest gegen die Zusammenrottung von Neonazis am 13. Februar 2010 aufgerufen und sich als "Rädelsführer" einer antifaschistischen Gegendemonstration hervorgetan zu haben. Oberstaatsanwalt Schär legte als "Beweis" ein Video von einem Interview mit Dr. Hahn am 10. Dezember 2010 vor, in dem die Losung "No pasaran!" (Sie werden nicht durchkommen!) Erwähnung findet. Hahn hatte an jenem Tag tatsächlich in das Mikrophon gesagt: "Wir machen eine öffentliche Fraktionssitzung, die kann man nicht verbieten. Dann werden sich die Menschen anschließen und die Nazis nicht durchkommen."

Allein die Tatsache, daß ein solcher Prozeß überhaupt angestrengt werden konnte, stellt einen eindeutigen Bruch des Völkerrechts und des Grundgesetzes der BRD dar. Vor allem aber geht es um die Frage, ob der Neofaschismus und dessen Aktivitäten - wie am 13. Februar 2010 in Dresden - staatlich gefördert und gegen Proteste mit Polizeigewalt samt Wasserwerfern ebenso wie von der Justiz beschirmt werden dürfen.

Was sagen Völkerrecht und Grundgesetz dazu? Und was steht darüber im Potsdamer Abkommen? Mit den Nürnberger Urteilen gegen die Nazi-Kriegsverbrecher wurde die Forderung, den Faschismus auf deutschem Boden niemals mehr zu dulden, zu einer Norm im Katalog der Menschenrechte. Auch im Zusammenhang mit der 1990 erfolgten Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrages richteten Hans-Dietrich Genscher und Lothar de Maizière einen Brief an die vier Mächte, in dem sie feierlich versicherten, Parteien und Zusammenschlüsse mit Nazi-Zielsetzungen würden im einheitlichen Deutschland verboten. Artikel 25 des Grundgesetzes bestimmt, daß Völkerrecht für jeden Bürger der BRD unmittelbar geltendes Recht ist. In Artikel 139 GG heißt es: "Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt."

Warum also dieser Prozeß gegen André Hahn? Hatte er jemandem Schaden zugefügt oder gegen ein Gesetz verstoßen? Er ging zu Recht von seiner juristischen Schuldlosigkeit aus.

Die Richterin ließ wissen, daß der Prozeß nicht hätte stattfinden müssen, wenn vom Angeklagten das "faire Angebot" des Staatsanwalts angenommen worden wäre, sich mit 5000 Euro freizukaufen. Wußte sie nicht, daß ein solches Angebot nicht nur als unfair, sondern auch als höchst unmoralisch zu betrachten ist?

Wäre André Hahn auf einen derartigen Kuhhandel eingegangen, dann hätte er damit eine Schuld eingestanden, die es gar nicht gab. Seine Ehre und Glaubwürdigkeit als Politiker wären aufs Spiel gesetzt worden. Zugleich hätte man einen Präzedenzfall für ähnlich gelagerte "Fälle" geschaffen. Schon droht übrigens die Möglichkeit einer weiteren Anklage - diesmal gegen einen Mandatsträger der "Grünen".

Die Richterin legte dem Angeklagten eine Handlung nahe, die an den Ablaßhandel des 16. Jahrhunderts erinnert, der bekanntlich zur Reformation beitrug. Motto: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt."

Im Sachsen des Jahres 2012 findet dieser Spruch jetzt seine modifizierte Anwendung: Wer keine "Sünde" auf sich geladen hat, muß dennoch zahlen, um nicht angeklagt zu werden. Er kann sich also "freikaufen". Der Ausgang des Prozesses läßt die Neonazis jubeln, weil das Verfahren - obwohl eingestellt - jene vom antifaschistischen Widerstand abschrecken könnte, welche das Risiko scheuen, das der Angeklagte auf sich genommen hatte. Was wird sich durchsetzen? Das rote Madrider "No pasaran!" oder das "Die Straße frei den braunen Bataillonen" aus dem Horst-Wessel-Lied der SA? Alles hängt davon ab, ob es gelingt, die Aktionseinheit der linken, demokratischen und humanistischen Kräfte gegen die faschistische Gefahr herzustellen.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Die Nazi-Hochburg an der Brückenstraße

Nicht zufällig heißt das Stammlokal der Berliner Rechtsextremisten "Zum Henker"

Als die NPD-Bundeszentrale im Jahr 2000 in die Seelenbinderstraße zog, gründete sich im Bezirk Berlin-Köpenick das Bündnis für Demokratie und Toleranz, dessen Sprecher ich seitdem bin. Sollte es (in hoffentlich absehbarer Zeit) zu einem formellen Verbot der NPD kommen, wäre das Rechtsextremismus-Problem in unserem Stadtteil damit keineswegs vom Tisch. Die Brückenstraße im Ortsteil Niederschöneweide hat mit Berlins größter Bedrohung durch Nazis zu kämpfen.

Dieses Revier ist zur Hochburg der Neofaschisten, zum Synonym für das Streben der organisierten Naziszene nach Vorherrschaft geworden. Mit einem NPD-Verbot verschwände kein einziger Rechtsextremist. In Gestalt der Kneipe "Zum Henker" und dem Militaria-Laden "Hexogen" verfügen die Rechtsextremen seit 2009 bzw. 2011 über zwei Eckpfeiler ihrer verfestigten und radikalisierten Szenestruktur. Diese ist mit dem Berliner "Chapter" des Rockerclubs Gremium MC vernetzt, der eine brisante Mischung aus gewaltbereiten Neonazis und militanten Rockern verkörpert. Schöneweide gilt schon länger als berlinweiter Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten. An etlichen Veranstaltungen hiesiger Neonazis nehmen auch Faschisten aus anderen Regionen der BRD und dem Ausland teil. Immer wieder kommt es hier neben Hakenkreuz-Schmierereien auch zu gewalttätigen Übergriffen auf Einzelpersonen und Attacken auf Einrichtungen wie Gregor Gysis Wahlkreisbüro oder Räume der SPD.

Durch den Bezirk und gesellschaftliche Kräfte wurde und wird nicht wenig unternommen, um dem Hegemoniestreben der Rechtsradikalen entgegenzutreten. Dabei spielt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus eine wichtige Rolle. Seit 2004 findet alljährlich in der Angstzone am Bahnhof Schöneweide ein "Fest für Demokratie" statt. Das Zentrum für Demokratie, in dessen Räumlichkeiten auch unser Bündnis tagt, wurde hierher verlegt.

All das geschieht in Sichtweite der Nazi-Treffpunkte. Im Rahmen des Bundesprogramms "Toleranz fördern, Kompetenz stärken" wurden mit Hilfe des Lokalen Aktionsplanes viele Initiativen ergriffen, so auch die Plakataktion "Schöner weiden ohne Nazis" mit einer bunten Kuh als Symbol. Dennoch ist es bisher nicht gelungen, die Rechtsextremisten aus dem Stadtteil zu verdrängen. 2011 erzielte die NPD hier ihre höchsten Wahlergebnisse auf Berliner Boden - bis zu 11 Prozent!

Die NPD-Vertreter in unserer Bezirksverordnetenversammlung suchen mich immer wieder als "Berufs-Antifaschisten" zu verunglimpfen. Wegen meiner ständigen Aktivitäten gegen Rechtsextremisten bin ich auf der Haßliste des von den Nazis formierten Nationalen Widerstandes einer der meistgenannten "Linkskriminellen Berlins". Sie erfassen genau, wann ich wo was organisiert habe.

Wer auf dieser Liste steht, wird quasi zum Abschuß freigegeben. Mit anderen Worten: Hier geht es um permanente Morddrohungen. Im August 2012 erfolgte ein gewaltsamer Anschlag auf meine Wohnung: Ziegelsteine wurden ins Fenster geworfen und der Briefkasten zersprengt. Zuvor war ich bereits mit anonymen Briefen, auf rechten Internet-Foren sowie von Rednern bei NPD-Kundgebungen bedroht worden. Da fragt man sich unwillkürlich: Was geschieht als nächstes?

Ein Täter ist bisher nicht gefaßt oder auch nur ermittelt worden. Noch zu Jahresbeginn 2012 hatte mir der Staatsschutz schriftlich mitgeteilt, es gebe keinerlei Anzeichen für irgendeine Gefährdung meiner Person. Das war, wie sich herausstellte, eine glatte Verharmlosung. Von einem maximalen Ermittlungs- und Verfolgungsdruck auf die rechte Szene, wie er in Berlin gegenüber Rockern praktiziert wird, ist man meilenweit entfernt. Ich fordere deshalb die ihnen geltende Null-Toleranz-Strategie endlich auch auf Neonazis auszudehnen.

Die von manchen erhofften juristischen Lösungen zur Schließung ihrer Treffpunkte werden seit Jahren verschleppt. Prozesse gegen Nazi-Aktivisten gingen wiederholt straffrei aus, wobei der Zuschauerbereich im Landgericht eher einem Kneipenabend im "Henker" glich. Ergangene Freisprüche wurden wie Fußballsiege gefeiert. Obendrein produzierten sich die Täter auch noch als "Opfer".

Gegenaktionen in Gestalt von Demos und Kiezspaziergängen zum Entfernen von Nazipropaganda werden von etlichen Anwohnern leider nicht gern gesehen oder sogar ignoriert. Das Schweigen vieler Bürger des Kiezes zu den Nazi-Aktivitäten ist im Grunde genauso gefährlich wie das Agieren der Rechtsextremisten selbst. Gegenüber Intoleranz darf es keine Toleranz geben. Das weit verbreitete Wegschauen und ein Mangel an Zivilcourage müssen als der springende Punkt betrachtet werden. Leider wagt es kaum ein Ladenbesitzer, unsere Plakate für das Demokratie-Fest in sein Schaufenster zu hängen.

Doch es gibt auch Positives zu berichten. Eines nachts im September 2012 jagten "Gäste" des erwähnten faschistischen Szenetreffs "Zum Henker" einen vermeintlich Linken durch die Brückenstraße. Der rettete sich in höchster Not in den einzigen noch geöffneten Imbiß unweit des Bahnhofs. Dessen türkische Betreiber legten Courage an den Tag und erwiesen Solidarität, indem sie sich mit ihren Dönerspießen vor den Verfolgten stellten. So konnte Schlimmeres verhindert werden, bis sich die Polizei zeigte. Die aber nahm lediglich die Personalien der rechtsextremistischen Menschenjäger auf, ließ diese sonst aber ungeschoren. Köpenicks Bezirksbürgermeister bedankte sich wenige Tage danach bei dem beherzten Imbißbesitzer. Ich selbst habe vorgeschlagen, ihn mit dem bezirklichen Preis für Zivilcourage auszuzeichnen, um anderen Mut zu machen.

Dem Rechtsextremismus die Stirn zu bieten, sich faschistischer Gewalt entgegenzustellen, ist eine ständige Aufgabe aller Verteidiger von Freiheit und Demokratie. Dazu bedürfte es allerdings eines Staates, der dabei mit im Boot ist, wovon derzeit wohl keine Rede sein kann.

Übrigens betrachte ich mich selbst als Verfassungsschützer, wenn ich mich mit dem Rechtsextremismus auseinandersetze. Dabei bin ich beileibe kein V-Mann, sondern ein Bürger, der lediglich seine Pflicht erfüllt, indem er das Grundgesetz gegen dessen Feinde verteidigt. Davon kann und wird mich niemand abhalten.

Hans Erxleben, Berlin

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Visite in der Rue de Cassini

Als ich 1977 beim Urenkel von Karl Marx in Paris zu Gast sein durfte

Im Leitartikel Klaus Steinigers "Der Rat eines erfahrenen Genossen" (RF Nr. 178) wurde dessen Begegnung mit dem Urenkel von Karl Marx, Robert-Jean Longuet, erwähnt. Das ermutigt mich, darüber zu berichten, wie auch ich mit diesem großartigen und standhaften Menschen zusammengetroffen bin. Allerdings lernte ich ihn schon einige Jahre früher kennen. Ganz privat und auf eigene Faust suchte ich ihn im Rahmen einer Frankreich-Exkursion mit dem Jugendreisebüro der FDJ am 6. Juni 1977 auf.

Kurt, mein guter und kenntnisreicher Zimmergenosse, hatte sich schon vor der Abreise mit Leben und Wirken Robert-Jean Longuets, des Enkels der Marx-Tochter Jenny, beschäftigt und war fest entschlossen, ihn an Ort und Stelle ausfindig zu machen. Im Pariser Telefonbuch fanden wir zwar einen identischen Namen, waren uns aber nicht sicher, ob es sich tatsächlich um jenen Longuet handelte, den wir suchten. Im Besitz eines alten Stadtführers von Paris und dem Werbeslogan "Mit Baedecker in der Hand kommt man durch das ganze Land" folgend, trafen wir vor dem Haus Nr. 8 der Rue de Cassini ein. Nach zaghaftem Klingeln öffnete uns eine Frau, welche zu unserer Verblüffung fließend Deutsch sprach. Vor uns stand Christine Longuet, eine Deutsche. Sie hatte Verständnis dafür, daß wir ihren Mann kennenlernen wollten, und forderte uns Zögernde auf, doch endlich in den Garten zu kommen. Als Robert-Jean dann von seinem Spaziergang zurückkehrte, machten wir uns miteinander bekannt. Es war ein erhebendes Gefühl, dem Urenkel des Begründers unserer Weltanschauung gegenüberzustehen.

Der Hausherr war, hochgebildet und welterfahren, ein schlichter und einfacher Mensch geblieben. In den fast zwei Stunden, die wir bei den Longuets verbrachten - in diesem Haus hatte einst auch der große französische Romancier Honoré de Balzac gewohnt -, erfuhren wir manches aus dem Leben des damals 75jährigen, der nicht wenig für den Fortschritt der Menschheit getan hatte. Sei es als Korrespondent für eine FKP-nahe Zeitung in den USA - eine Mission, die er im persönlichen Auftrag von Maurice Thorez wahrnahm -, sei es als Organisator einer Kampagne gegen Hunger und Unterdrückung in Marokko, als Kämpfer für das republikanische Spanien oder als Verfasser einer neuen Biographie seines Urgroßvaters, die er zum Zeitpunkt unseres Besuchs gerade abschloß - immer stand Robert-Jean Longuet in den "Schuhen" seines großen Ahnherrn. Von Beruf Jurist und Anwalt, konnte er sich stets auf die Hilfe und Unterstützung Christines verlassen. Sie löste viele organisatorische Aufgaben und betreute seine internationale Korrespondenz.

Am Abend desselben Tages wurden wir noch ein zweites Mal in das gastliche Haus eingeladen. Robert-Jean bot uns die Möglichkeit, sein Archiv in Augenschein zu nehmen und gemeinsam Fotos von Reisen zu betrachten, die er in viele Länder - auch in die Sowjetunion - unternommen hatte. Es war ein großartiges Erlebnis, dokumentierten Longuets Aufnahmen nicht zuletzt auch sein freundschaftliches Verhältnis zu Genossen der alten FKP wie Jacques Duclos. Überdies erhielten wir einen kleinen Einblick in das dann schon 1979 auch in der DDR erscheinende Buch "Karl Marx, mein Urgroßvater", dessen Grundzüge er uns an diesem Abend vorstellte. Dabei bat der ganz und gar uneitle Autor um unsere Meinung zu diesem Text.

Ich war derart beeindruckt, daß ich tiefer lotende Bemerkungen nicht hervorzubringen vermochte. Mich bewegte die Tatsache, daß wir beide uns selbst eingeladen hatten, doch als eigentlich Fremde wie gute alte Freunde aufgenommen worden waren. Unsere Gespräche verliefen sehr vertrauensvoll. Es wurden uns keine "klugen Belehrungen" seitens des um 40 Jahre Älteren erteilt, was uns besonders imponierte. Gleiche Ideen und Ziele bestimmten von Beginn an das Treffen.

Als die Debatte kein Ende nehmen wollte, entschied Christine Longuet, uns auch noch zu einem guten Abendbrot bei Kerzenschein einzuladen. Dabei verplauderten wir uns, so daß die letzte Metro längst weggefahren war. Die Longuets wußten Rat und brachten uns mit ihrem Auto durch das nächtliche Paris zum Hotel. Dort verabschiedeten wir uns mit einer herzlichen Umarmung. Sie war Ausdruck in kurzer Zeit entstandener Sympathie und Verbundenheit. Ich habe das damals Erlebte in meinem Innersten bewahrt. Um so schmerzlicher berührte es mich, als ich eines Tages vom Ableben Robert-Jeans erfuhr.

Klaus Hemmerling, Niesky


Unser Autor war 1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung und wurde nach dreijährigem Studium an der Parteihochschule in die Funktion des 2. Sekretärs der SED-Kreisleitung Niesky gewählt, was er - in seinen Worten - "bis zum bitteren Ende" blieb.

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Die Frau an "Mohrs" Seite

Als Jenny Marx Briefe aus London nach Hohenerxleben sandte

Ohne Jenny hätte Karl Marx niemals der sein können, der er war." Mit diesen Worten schilderte seine Tochter Eleanor den Beitrag ihrer Mutter zum schöpferischen Wirken und kampferfüllten, schweren Leben ihres Vaters.

Jenny Marx, geborene von Westphalen, kam am 12. Februar 1814 in Salzwedel zur Welt. Sie starb am 2. Dezember 1881 im Alter von 67 Jahren in London.

Marxens Werk bleibt richtungweisend für unseren Weg in eine menschlichere Gesellschaft, die er Kommunismus nannte.

Hier aber soll von jener Frau die Rede sein, die als seine Lebens- und Kampfgefährtin das Entstehen der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse in mannigfacher Weise förderte. Jenny war das erste Kind in der zweiten Ehe Ludwig von Westphalens mit Caroline Heubel. Aus dessen erster Ehe mit Elisabeth von Veltheim, die sehr jung starb, stammten vier Kinder: Werner, Ferdinand, Lisette und Franziska. Lisette wurde später die Ehefrau des Gutsbesitzers von Krosigk in Hohenerxleben bei Staßfurt.

1836 verlobte sich der erst 18jährige Student Karl Marx mit Jenny - dem schönsten Mädchen von Trier. Doch über sieben Jahre mußte Jenny warten, bis sie endlich am 13. Juni 1843 die Ehe mit Karl schließen konnte. Beide Elternhäuser waren gegen diese Verbindung. In einem Brief an Ruge kurz vor der Hochzeit schrieb Marx, er sei "schon über sieben Jahre verlobt", und seine Braut habe "die härtesten, ihre Gesundheit fast untergrabenden Kämpfe" um ihn geführt.

Man kann getrost davon sprechen, daß Jennys Leben für und mit Marx ein einziger Kampf gewesen ist - ob in Deutschland, Frankreich, Belgien oder England. Es war ein Dasein mit allen Schrecken, Qualen und Entbehrungen des Emigrantenlebens. Am härtesten traf Jenny und Karl der frühe Tod dreier ihrer Kinder - Edgar, Guido und Franziska -, die Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse wurden. Die drei Mädchen - Jenny, Laura und Eleanor -, die ihnen geblieben waren, wurden gut erzogen und waren den Eltern in Liebe verbunden. Sie setzten später das Werk ihres Vaters fort und wurden herausragende Frauen, deren Namen in die Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung eingingen: Jenny Longuet (1844 bis 1883), Laura Lafargue (1845 bis 1911) und Eleanor Marx-Aveling (1855 bis 1898).

An der Arbeit ihres Mannes nahm Jenny bedeutenden Anteil. Sie war seine beste Sekretärin, zugleich aber auch eine echte Kommunistin und aktive politische Kämpferin. Jenny schrieb nicht nur die Manuskripte ihres Mannes, sondern beteiligte sich auch an seiner wissenschaftlichen und revolutionär-politischen Arbeit. Marx veröffentlichte keine Schrift, berichten Zeitzeugen, ohne zuvor das sachkundige Urteil seiner Frau eingeholt zu haben. Obwohl Jenny meist im stillen wirkte, war sie als Lebens- und Kampfgefährtin von Karl Marx und als vorbildliche Mutter eine der großen Frauengestalten der Geschichte unserer Bewegung. Friedrich Engels sagte über sie in seiner Grabrede: "Wenn es je eine Frau gegeben, die ihr größtes Glück darein gesetzt hat, andere glücklich zu machen, so war es diese Frau."

Über das Erfülltsein an der Seite von Marx, über den Kampf, aber auch über Not und Entbehrungen schwerer Jahre berichten Briefe, die sie im Verlauf von zwei Jahrzehnten an ihre Halbschwester Lisette von Krosigk in Hohenerxleben schrieb. Deren Enkel Graf Schwerin von Krosigk, der Minister bei Papen wie bei Hitler war und 1949 in Nürnberg zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, aber bereits 1951 aufgrund einer US-Amnestie vorzeitig entlassen wurde, erwähnt in seinem Buch "Die große Zeit des Feuers" seine Verwandtschaft mit der Familie Marx und auch den Briefwechsel der beiden Frauen. "Als Jenny ihre Ehe einging, war ihre Halbschwester Lisette seit zwanzig Jahren verheiratet, durch 12 Kinder ganz und gar in Anspruch genommen und eingesponnen in ihre schwärmerische Frömmigkeit. Aber sie blieb ihren Geschwistern, auch der verfemten Halbschwester, so verbunden, daß zwanzig Jahre lang, bis zu Lisettes Tod, Briefe sowohl vom konservativen Bruder aus Berlin, dem preußischen Innenminister Ferdinand von Westphalen, als auch von der Frau des großen kommunistischen Führers an sie geschrieben wurden und Antworten nach beiden Richtungen gingen. Die Briefe aus London aber sprachen von einem großen und dauerhaften Glück. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Marxschen Haushalt waren gewaltig. An Jenny wurden Anforderungen gestellt, die fast über ihre Kraft gingen. Aber die Frau fand an seiner Seite alles, wonach einst ihr für Erkenntnis und Gerechtigkeit schwärmendes Herz verlangt hatte."

Karl Marx lebte zu dieser Zeit im Londoner Exil, wo er sein Hauptwerk - "Das Kapital" - in 25jähriger Arbeit vollendete. Die Korrespondenz zwischen Jenny und Lisette müßte davon berichten und wäre für die Marx-Forschung sicher von unschätzbarem Wert. Schwerin von Krosigk kannte den Aufenthaltsort. Er schrieb: "Der Briefwechsel meiner Großmutter Lisette von Krosigk mit ihrer Halbschwester Jenny Marx und ihrem Bruder Ferdinand von Westphalen war nicht in meinem Besitzt. Er befand sich vielmehr im Familienarchiv auf Schloß Hohenerxleben bei Staßfurt. Eine Schwester meines Vaters, selbst Schriftstellerin, erzählte mir davon, sie hatte den dicken Band Briefe in der Hand gehabt und die meisten gelesen. Die Briefe von Jenny zogen sich über viele Jahre hin. Nach Angaben meiner Tante hat Jenny darin voller Stolz und Liebe von ihren Kindern erzählt, aber auch stets versichert, sie bereue es keinen Augenblick, Karl Marx geheiratet zu haben." Alle Bemühungen, die Briefe aufzufinden blieben bisher ohne Erfolg.

Als sich die Theorie von Marx und Engels weltweit verbreitete, die I. Internationale gegründet wurde und ihr Mann bei all dem in der vordersten Reihe stand, fühlte sich Jenny für das Leid und die Not, die sie so viele Jahre hatte ertragen müssen, vollauf entschädigt.

Die Frau an der Seite des großen "Mohr" blieb sich stets treu. Einmal als richtig Erkanntes warf sie niemals über Bord. Jennys ganzes Leben war ein inspirierendes Beispiel revolutionärer Prinzipienfestigkeit, Selbstlosigkeit und furchtlosen Eintretens für die Marxschen Ideen.

Sie bleibt für immer Vorbild.

Dr. Wolfgang Reuter, Magdeburg


Unser Autor war von 1965 bis 1989 Vorsitzender der Kreisgeschichtskommission der SED in Staßfurt. Er arbeitete 24 Jahre in pädagogischer Funktion am dortigen Institut für Lehrerbildung, dessen Internat sich zeitweilig im Schloß Hohenerxleben befand.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Jugendbildnis Jenny von Westphalens

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Schluß mit dem Duckmäusertum!

Warum Linke den Kommunismus-Begriff nicht länger tabuisieren sollten

Es ist etwas faul, wenn sich als Linke posierende Politiker bemüßigt fühlen, auf Distanz zum Begriff des Kommunismus und dessen Inhalten zu gehen. Erinnert sei an das Gekläff mancher, als es Gesine Lötzsch wagte, bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" vor zwei Jahren auf die Debatte über "Wege zum Kommunismus" einzugehen.

Natürlich stehen solche Wege vorerst nur hypothetisch zur Disposition, zumal das von Marx, Engels und Lenin konzipierte Modell einer kommunistischen Gesellschaft ja noch nie in die Praxis umgesetzt werden konnte.

In der fundamentalistisch-antikommunistischen BRD löst allein schon der laut geäußerte Gedanke an eine gesellschaftliche Alternative zur kapitalistischen Ordnung wie bei einem Pawlowschen Hund unkoordinierte Beißreflexe aus. Das Dogma, dieses System grenzenloser Gier und Entmenschlichung sei das letzte Wort der Geschichte, wird mit Klauen und Zähnen verteidigt.

Doch immer mehr Menschen spüren, daß es so nicht weitergehen kann. Armut, Kriege und die im Lebensalltag ständig zu erfahrende Tatsache, daß wenige ernten, was viele gesät haben, läßt Zweifel an der Existenzberechtigung einer derart ungerechten Gesellschaft wachsen. Deshalb ist eine starke, selbstbewußte Linke gerade jetzt wichtiger denn je. Sie wird gebraucht, um dringend benötigte Antworten auf jene Fragen zu geben, welche sich immer mehr ausgegrenzte, mißachtete und an den Rand gedrängte BRD-Bürger stellen: Wie kommen wir aus den Widersprüchen und Mißbildungen der Kapitalherrschaft heraus? Gibt es Alternativen? Muß es ewig so bleiben?

Wir leben in einer Zeit, die eine echte linke Massenbewegung nicht weniger dringend braucht, als das vor dem 30. Januar 1933 oder nach dem 8. Mai 1945 der Fall war. Es bedarf allerdings keiner PDL, die sich von den Konzernmedien und deren Auftraggebern thematisch vor sich hertreiben läßt, sondern einer selbstbewußten Linken, die sich nicht scheut, an den Eckpfeilern der BRD zu rütteln.

Deshalb: Schluß mit der Tabuisierung des Begriffs "Kommunismus" in der PDL! Es gibt keinen Grund, sich für Marx, Engels und Lenin zu schämen oder zu entschuldigen! Ihre wissenschaftliche Theorie ist bis heute der Leitfaden zur Erkenntnis der Welt und der Kompaß, der den Weg zur Befreiung der Arbeitenden weist.

Wenn dich ein Reporter fragt, ob du Marxist bist, dann sag selbstbewußt: Ja! Wenn man dich verdächtigt, die Gesellschaftsordnung der BRD im antikapitalistischen Sinne verändern zu wollen, dann stelle das nicht feige oder taktierend in Abrede! Wir sollten rückhaltlos bekennen, daß unser Ziel eine Welt ohne Ausbeutung und Diktatur der Besitzenden ist. Wer sich heute als Linker bezeichnet, muß wissen, daß die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, sondern auch die Bedingung für das Überleben der Menschheit ist.

Ich bin Kommunist und sage das auch so, daß es jeder hören kann.

Mit der beschämenden "Mea culpa"-Haltung vieler, die sich für ihr Leben in der DDR entschuldigen, muß endlich Schluß sein. Es gibt keinerlei Grund, bei der Erwähnung dieses Staatsnamens die Augen schamhaft niederzuschlagen. Die DDR war trotz ihrer Defizite das Beste, was die deutsche Arbeiterbewegung bisher hervorgebracht hat. Dabei sollte unser Versagen am Ende keineswegs in Abrede gestellt oder schöngeredet werden.

Die geradezu panische Angst, die jedes positive Erwähnen der DDR bei den Herrschenden auslöst, beweist nur eines: Das kleine Land zwischen Oder und Elbe hat in den 40 Jahren seiner Existenz eine gesellschaftliche Realität hervorgebracht, mit der die reiche BRD unter vielen Aspekten absolut nicht konkurieren kann. Warum sollten wir uns für vier Jahrzehnte Friedenssicherung, Vollbeschäftigung bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit, kostenlose Bildung aller Stufen und unentgeltliche medizinische Versorgung in den Staub werfen? Andererseits gibt es tausend Gründe, sich von der BRD der Kriege, der Suppenküchen, der Leiharbeit, der Bildungsmisere und der Zwei-Klassen-Medizin beschämt abzuwenden.

Wenn gewisse Linke das Büßerhemd anziehen, weil es Menschen gibt, die ihre DDR-Biographien, ihre Lebensleistungen und ihre positiven Erfahrungen unverfälscht und ohne den erwarteten Kniefall vor der herrschenden Meinungsdiktatur bewahren möchten, dann dürfen sie sich nicht wundern, daß sich frühere DDR-Bürger von ihnen abwenden. Opportunismus mag in einem Staat der Bourgeoisie für den beruflichen Aufstieg zwar gut sein, macht aber ihm Verfallene deshalb nicht sympathischer.

Als die Konzernmedien aufjaulten, weil eine kleine und zugleich große linke Tageszeitung am 13. August 2011 einige unbestreitbar positive Aspekte und Effekte der seinerzeitigen Grenzsicherung aufzählte, bot das hektische Hinterher-Hecheln einiger PDL-Prominenter hinter den gleichgeschalteten Meinungsmacherkolonnen ein entwürdigendes Schauspiel. Wir brauchen Linke, die keine Angst haben, einem "Bild"-Reporter die Worte ins Gesicht zu schleudern, die Peter Hacks an den "RotFuchs" schrieb: "Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR!" Es gibt nur einen Grund, das nicht zu tun: Es ist keineswegs karrierefördernd!

Der Anspruch, Linke sollten eine aufrechte Haltung an den Tag legen und sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, ist hierzulande allerdings nicht leicht zu erfüllen. Wer das System hinterfragt, wird abgebügelt. Und der von den Medienmachern der Bourgeoisie servierte Einheitsbrei vergiftet Köpfe wie Herzen. Verdummung, Doppelmoral, Lügen und Heuchelei machen das freie Atmen schwer, ja fast unmöglich. Resignation liegt bleiern über dem Land.

Wenn heute wieder braune Kolonnen unter Polizeischutz durch unsere Städte marschieren, wenn Kriege ohne Skrupel geführt werden und deutsche Politiker abermals in Kolonialherrenpose durch die Welt stolzieren, sollte es für Linke keinen Grund geben, sich den Herrschenden schüchtern anzubiedern. Eine klassenkämpferische politische Massenbewegung war allerdings im Bauplan der BRD niemals vorgesehen. Das KPD-Verbot vom August 1956 und die Treibjagd auf alle, die nicht zu Kreuze krochen, bewies das.

Wenn wir wirklich eine bessere Welt erstreben, dann müssen wir uns erhobenen Hauptes zu unseren geistigen Wurzeln und den Erfolgen unserer Bewegung bekennen. Die widernatürliche Scheu, Begriffe wie Kommunismus und DDR oder die Namen von Marx, Engels und Lenin auch nur zu erwähnen, sollte durch vollen Einsatz unseres ideologischen Arsenals ersetzt werden. Linke Bekenntnisse ohne diese Substanz sind wie die Einladung zu einem Schlemmer-Menü, bei dem keine Speisen gereicht werden. Wer Angepaßtheit und politische Beliebigkeit dieser Art bevorzugt, sollte seine Zelte gleich bei Steinbrücks SPD aufschlagen. Für alle wirklich Linken aber gilt die Devise: Nicht anderen nach dem Munde reden, sondern Kleinmut und Duckmäusertum die Stirn bieten! Der Kampf ist unser Element!

Ulrich Guhl

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Hinkende Vergleiche

Wie das Gefälle im Lebensniveau von BRD und DDR wirklich war

Das "Mietermagazin" 1+2/2012 veröffentlichte eine Zuschrift zum Thema "Wohnungsbaugesellschaften - Hartz-IV-Empfänger müssen draußen bleiben". Darin hieß es u. a.: "Die sogenannten Sozialmieten sind so hoch, daß das Job-Center hier nicht mehr mitzieht. Wir sind 1987 in eine Sozialbauwohnung mit Wohnberechtigungsschein (WBS) eingezogen. Um diesen zu bekommen, mußten wir wenig genug verdienen. Wenn man die Wohnung erhalten wollte, waren überdies 10.000 DM Baukostenzuschuß zu zahlen, die ja auch erst einmal irgendwoher kommen mußten. Der Mietpreis betrug damals 560 DM, also nach heutiger Umrechnung rund 280 Euro. Unsere Tochter ist inzwischen erwachsen und ausgezogen. Im Falle von Hartz IV würden von der Miete (für zwei Personen) 444 Euro übernommen. Wenn wir großes Glück hätten und einen netten Mitarbeiter beim Job-Center antreffen würden, wären das nochmals 10 Prozent aufgrund langer Mietzeit und da wir beide bereits über 60 sind. Wir waren für zehn Monate Hartz-IV-Empfänger und wissen, wovon wir reden. Kurz gesagt: Es war die Hölle."

Nachdem ich diesen E-Mail-Beitrag eines Berliners gelesen hatte, war mir klar, daß es sich hier um Mieter aus dem Westteil der Stadt handeln mußte. Denn im Osten Berlins, damals Hauptstadt der DDR, gab es keine Sozialwohnungen. Für uns war das ein Fremdwort und die Tatsache, daß diese Benachteiligten der Gesellschaft im "goldenen Westen" auch noch einen Baukostenzuschuß für eine Sozialwohnung zahlen mußten, läßt doch die Vermutung aufkommen, daß selbst Geringverdiener in der Zeit des Kalten Krieges relativ hohe Löhne bekamen. In keinem Staat der westlichen Welt hat es je Löhne in solcher Höhe gegeben, wie sie zu dieser Zeit in der Bundesrepublik und Westberlin üblich waren. Wer logisch zu denken vermag, weiß genau, warum das so gehandhabt wurde.

Ein Vergleich: Von 1966 bis 1990 lebte meine Familie (fünf, später vier Personen) in einem Vorort Berlins unweit von Wald und Wasser in einer etwas über 100 qm großen Vierzimmerwohnung mit kleinem Gartenanteil. Die Ofenheizung wurde dann von einer Gasheizung abgelöst. Die Miete betrug 109 Mark der Deutschen Notenbank.

Um die Annahme auszuschließen, wir seien eine privilegierte Familie gewesen, möchte ich erwähnen, daß wir diese Wohnung im Tausch bekamen, da wir die Oma nach dem Tod meines Vaters zu uns nahmen, wodurch wir zwei Wohnungen anzubieten hatten.

Kalt- und Warmmieten, Heiz- und Betriebskosten, Warmwasser- und Kaltwasserkosten - all das waren für uns Fremdworte. Strom und Gastarife bewegten sich auf dem Pfennig-Niveau. Der Preis für Heizmaterial war ausgesprochen niedrig.

Ein weiteres Beispiel: Meine Schwester erhielt 1953 in der heutigen Berliner Karl-Marx-Allee eine Drei-Zimmer-Neubauwohnung mit Zentralheizung, Fahrstuhl und Müllschlucker in bester Wohnlage. Es war kein Plattenbau, sondern ein von Maurern hochgezogener Sechsgeschosser. Bis zu ihrem Auszug im Jahre 1982 - nach dem Tod des Schwagers - gab es nie eine Erhöhung der Miete. Diese betrug 69 Mark der DDR.

Selbst auf die Gefahr hin, daß die nun folgenden Zahlen eine Milchmädchenrechnung sein könnten, möchte ich noch einen dritten Vergleich anstellen: Das Einkommen einer Durchschnittsfamilie betrug im westlichen Teil von Berlin etwa 3360 DM brutto monatlich. Die Ehefrau ging in dem mir vor Augen stehenden Falle der minderjährigen Tochter wegen keiner Berufstätigkeit nach, bezog also kein Einkommen. Der Gesamtetat dieser Familie betrug nach rund 1000 DM Abzügen 2360 DM netto.

Ich stelle dem das mittlere Monatseinkommen einer Ostberliner Familie gegenüber: Der Verdienst des Mannes betrug 900 Mark brutto, jener der Frau 600 Mark brutto. Das Gesamteinkommen belief sich nach Abzügen von 250 Mark auf 1125 Mark netto.

Ein Wort zu den unterschiedlichen Monatsmieten: Während in Westberlin bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 2360 DM Mietkosten in Höhe von - unterstellt - 560 DM anfielen, so daß nur 1800 DM übrigblieben, standen in Ostberlin einem - unterstellten - monatlichen Nettoeinkommen von 1125 Mark Mietkosten in Höhe von 65 Mark gegenüber, wodurch 1060 Mark übrigblieben.

Wenn man nun die niedrigen Tarife und Preise für Strom und Gas, BVG und S-Bahn, Deutsche Reichsbahn, Gaststätten und Grundnahrungsmittel in Ostberlin hinzunimmt, schmilzt der Anteil des Unterschieds zum Westniveau ganz erheblich zusammen.

Sicherlich konnten wir uns einige hochwertige Konsumgüter nicht leisten, doch die niedrigen Eintrittspreise für Oper und Theater, Museen und Kinos waren mir weit wichtiger, ganz zu schweigen von den Mini-Preisen für Bücher. Auch Kinderkleidung, vor allem Babysachen, waren so billig, daß sich diese Artikel bei westdeutschen Verwandten und Bekannten außergewöhnlicher Beliebtheit erfreuten.

Noch eine Bemerkung zum heutigen "Wohlstand": Bis Mai 2012 zahlten wir für eine 85,5 qm große Dreizimmerwohnung eine Warmmiete von 689 Euro, nach einer kürzlich erhobenen enormen Steigerung der Heiz- und Betriebskosten sind es jetzt schon 810 Euro. Wer soll das bezahlen? Gemessen daran sind die Rentenerhöhungen geradezu lächerlich!

Unzählige Preissteigerungen auf vielen anderen Gebieten stehen uns mit Gewißheit noch bevor - in jedem Falle aber nach den Bundestagswahlen, für die vorübergehend etwas taktisches Rouge aufgelegt werden dürfte.

Wegen des enormen Anstiegs der Stromtarife werden wir in nächster Zeit in diesem hochentwickelten Land wohl bisweilen auf Kerzen zurückgreifen müssen. Und wer sich selbst diese dann nicht leisten kann, sitzt eben im Dunkeln! Aber immerhin haben wir für all das, um mit Herrn Gauck zu reden, jetzt die große Freiheit und eine in ganz Europa, besonders aber in Griechenland, äußerst beliebte Kanzlerin. Was wollen wir mehr?

Ob der eingangs erwähnte Autor des Briefes an das "Mietermagazin" wohl auch am Wahltag aus seinen Erfahrungen die notwendigen Schlüsse ziehen wird? Anderenfalls muß er wohl noch einmal "durch die Hölle gehen", wenn er und seinesgleichen nicht aufwachen sollten.

Brigitte Wackernagel, Berlin

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Macht's in Andorra die Post?

Zur Normalität staatlicher Organisation der Klassengesellschaft gehört die Existenz von Geheimdiensten. Es gibt - vielleicht von Andorra und San Marino abgesehen, wo das möglicherweise die Post miterledigt - wohl keinen Staat auf der Welt, der nicht über einen mehr oder weniger intakten und effizienten Geheimdienst verfügt. Die BRD zählt - geht man von quantitativen Kriterien aus - auf diesem Gebiet zweifellos zur Weltspitze, während das MfS der DDR - wie selbst Bewertungen sachkundiger Gegner im Hinblick auf die HV A bekundeten - auch qualitativ dazugehörte. Nach der keineswegs nur hausgemachten Niederlage des sozialistischen deutschen Staates verlegten sich die Bonner Dienste auf die Methode "Haltet den Dieb!" Man präsentierte sich selbst in blütenweißer Weste und schob anderen den Schwarzen Peter zu. Die "Stasi" - das Ministerium für Staatssicherheit der DDR - wurde zum Ausbund aller nur denkbaren Teufeleien erklärt. Die Pogromhetze gegen Mitarbeiter dieses auf gesetzlicher Grundlage arbeitenden Organs eines weltweit anerkannten Staates sprengt bis heute alle Dimensionen vorstellbarer Diffamierung. Dabei handelt es sich um ein perfekt in Szene gesetztes Täuschungsmanöver der Erben des Hitlergenerals und BND-Gründers Gehlen mit dem Ziel, die Nachlaßverwalter der aus antifaschistischen Helden bestehenden Gründergeneration des MfS in Verruf zu bringen.

Bekanntlich schreiben ja die Sieger immer - zumindest für eine Weile - die Geschichte. Mit der irreführenden Bezeichnung "Verfassungsschutz" betreibt die BRD im doppelten Sinne Etikettenschwindel. Während sie bis heute zwar ein durchaus schützenswertes und von den Kommunisten am entschiedensten verteidigtes Grundgesetz, aber keine vom Volk bestätigte Verfassung besitzt, soll der Name des Inlandsgeheimdienstes davon ablenken, daß die BRD-Bürger bislang um die vom GG in Aussicht gestellte Konstitution betrogen worden sind. Doch auch in einem zweiten - noch viel gravierenderen - Sinne trügt das Aushängeschild dieser Behörde: Wie sich nicht nur beim aufdringlich in den Vordergrund gerückten "NSU-Skandal" mit den unablässig präsentierten Konterfeis dreier "Einzeltäter" herausstellte, schützten zumindest Teile des VS nicht das Grundgesetz, sondern die Nazis. Das trat in Thüringen am eklatantesten zutage, wo sich der bereits in den 90er Jahren formierte, von Spitzeln durchsetzte "Heimatschutz" besonderer Fürsorge und finanzieller Wohltaten des Verfassungsschutzes erfreuen konnte.

Wer die Bundesbürger vor den Todfeinden der im GG proklamierten "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" schützt, offenbarte der Fall Helmut Roewer. Dieser psychisch belastete Mann - er zeigte sich in der Öffentlichkeit mit kaiserlicher Pickelhaube und Stoffpferdchen unter dem Arm - leitete von 1994 bis 1999 den thüringischen VS. Roewer bewies "Profil", als er mit dem Fahrrad durch die Korridore seiner Behörde fuhr oder diese barfuß durchschritt wie auch bei einer Party, wo man ihn - nach Aussage eines Mitarbeiters - von sieben Damen umringt als "balzenden Auerhahn" erleben konnte. Im August 2012 berichtete der in Tübingen erscheinende "Euro-Kurier": "Es war nicht festzustellen, wer Roewer für sein Amt geworben hat. Er weiß auch nicht mehr, wie er seine Ernennungsurkunde erhalten hat. Es sei im Sommer 1994 zum Ende seiner Abordnungszeit nach Thüringen abends um 23 Uhr in der Erfurter Gaststätte Hopfenberg gewesen, als ihm irgendwer, der einem Dienstwagen entstiegen war, die Urkunde übergeben habe. Diese sei ihm aber ganz bestimmt ausgehändigt worden. 'Ich hatte sie am nächsten Morgen. Das ist sicher.' Auf Reporterfragen nach Einzelheiten und warum sein Erinnerungsvermögen so lückenhaft sei, antwortete Roewer: 'Wenn Sie es genau wissen wollen - ich war betrunken.'"

Doch die Dinge sind keineswegs so heiter, wie es scheint. Noch einmal zitieren wir das erwähnte Blatt: "Es ist unumgänglich, sich vor Augen zu halten, daß der 'Verfassungsschutz' vor allem ins Leben gerufen wurde, um eine unliebsame politische Opposition zu infiltrieren. Nicht selten stehen die übelsten Krakeeler und radikalsten Aktivisten der infiltrierten Szene auf der Gehaltsliste der Ämter. Gerade diese als agents provocateurs wirkenden V-Leute propagieren die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele oder führen selbst Gewaltakte durch."

Nachdem sich die vermeintlich frommen Wünsche seines in den vorzeitigen Ruhestand getretenen Vorgängers nicht erfüllt hatten, liegt jetzt die Leitung des VS in den Händen eines erfahrenen Spezialisten für Ausländerabschiebung: Der Jurist Hans-Georg Maaßen ging nicht gerade maßvoll zu Werke, als er 2002 in einem Rechtsgutachten für die Schröder-Fischer-Regierung die Wiedereinreiseverweigerung für den in Deutschland gebürtigen türkischen Staatsbürger Murat Kurnaz, der vier Jahre im US-Folterlager Guantánamo gequält worden war, begründete.

Demgegenüber besitzt CSU-Innenminister Friedrich das rechte Augenmaß für nach der vorjährigen Skandalserie nunmehr Erforderliches. So richtete er eine Zentrale Registratur von Aktivitäten der "links- wie der rechtsterroristischen Szene" ein. Da weiß man doch sein Zögern in Sachen NPD-Verbotsantrag gleich richtig einzuordnen.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Während wir die Existenzberechtigung sensibler Behörden, die jedem Staat zuzuordnen sind, unterstreichen, ziehen wir zugleich in Betracht, daß Äpfel keine Birnen sind. Während das von Feinden der DDR geschmähte MfS Zeit seiner Existenz Arbeiterinteressen vertrat, die Klassenfahne hochhielt und sich dem Andenken des großen proletarischen Revolutionärs Feliks Dzierzynski verpflichtet fühlte, setzt man beim Verfassungsschutz auf ein in entgegengesetzter Richtung laufendes Pferd. Der VS schützt nicht die Krauses, sondern die Krupps. Das ist so, weil der Regen - laut Brecht - "nicht von unten nach oben fließt". Klassenfeind bleibt Klassenfeind.

Den einstigen Tschekisten der DDR gebührt zum 8. Februar - ihrem Feiertag - der Gruß aller, die das Einmaleins des Marxismus noch nicht verlernt haben.

K. S.

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Offenbarungseid eines Karrieristen

Die Reihe prinzipien- und gewissenloser Mantelwender, deren krankhafte Profilierungssucht keine Grenzen von Moral und Anstand kennt, ist um einen weiteren Namen "bereichert" worden: Zu den Schabowskis und Schütts ist - zumindest bis zur nächsten scharfen Kurve - auch Herr Eberhard Aurich gestoßen.

Im nur noch nominell sozialistischen ND, das offenbar zu seinem Tummelplatz geworden ist, hat er - ausgerechnet mit einer peinlich-überschwenglichen Eloge auf Herrn Schütt - sein wahres Gesicht gezeigt. "Aurich ist schaurig" hieß zu DDR-Zeiten ein unter redlichen Genossen zirkulierendes Urteil über den aalglatten und gesichtslosen Karrieristen des vorletzten Aufgebots.

Bei der jüngsten Ausschüttung seines Herzens hat Herr Aurich zu den Gründen der "Meinungsänderung" des Herrn Schütt - es handelt sich um das Überlaufen einstmals Zweihundertprozentiger zum Klassenfeind - freimütig Stellung genommen. Die "persönliche Wende" habe für Herrn Schütt - den Meister bombastischer Sprachverrenkungen - wie für ihn selbst am 7. Oktober 1989 begonnen, ließ Aurich die Katze aus dem Sack. Damals sei für ihn und alle zum Absprung bereiten Aufsteiger gleicher Couleur der Zeitpunkt gekommen, sich von "zu nichts Zerronnenem", von "Geglaubtem, Gesagtem und Gemachtem" stehenden Fußes zu verabschieden.

Dazu kann man nur sagen: Welch ein Glücksumstand, daß wir die karrieristischen Schmeißfliegen, die sich in der Niedergangsphase von SED und DDR auf den Sozialismus gesetzt hatten, im Fegefeuer der Konterrevolution - wenn auch leider zu spät - losgeworden sind.

RF

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Informationen für den "Großen Bruder"

Wie Aufklärer der HVA einen Atomkrieg verhindern halfen

Oberst a. D. Bernd Fischer gehört seit etlichen Jahren zum ständigen Autorenkreis des RF. Der einstige Resident der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) in Kairo wird von unseren Regionalgruppen als Gesprächspartner zu Nahostthemen sehr geschätzt. Jetzt hat der 1990 für die Abwicklung der HV A Verantwortliche ein höchst informatives neues Buch vorgelegt. "Der Große Bruder" behandelt das bis zum Verrat der Gorbatschow-Clique vor allem durch Freundschaft und Klassensolidarität geprägte, dann aber jäh beendete Zusammenwirken der Auslandsaufklärung von UdSSR und DDR aus der Sicht eines Insiders, der bislang unbekannte sowjetisch-russische Archivmaterialien zu Rate zieht.

Im Vorwort eines 2010 in Washington und London erschienenen Readers wird die HV A durch Thomas Wegener Friis als "einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste Spionagedienst des Kalten Krieges ..." bezeichnet.

Bernd Fischers solide und seriöse Arbeit ist die erste umfassende Darstellung des Zusammenwirkens der HV A mit der 1. Hauptverwaltung der Komitees für Staatssicherheit der UdSSR. Durchaus vielschichtig, zugleich aber keineswegs distanziert schildert der Autor die Geschichte dieses "Duetts" von bescheidenen Anfängen über glanzvolle Etappen bis zum tristen Finale.

Zu den Beziehungen zwischen der HV A und der 1. Hauptverwaltung des KGB bemerkt der Autor: "Die sowjetischen Partner waren wirkliche Verbündete und betrachteten die DDR-Vertreter zum einen als Klassenbrüder im Sinne der Arbeiterbewegung und ihres Internationalismus, zum anderen aus der Sicht von Repräsentanten der Großmacht UdSSR. In ihrer Position wirkten immer beide Aspekte. Diese waren keineswegs in jedem Fall auseinanderzuhalten." Dabei hätten sowjetische Eigeninteressen, aber auch die Positionen des Bündnispartners DDR eine Rolle gespielt. In der Rückschau dominiere ausgeprägte, aufrichtige, solidarische Verbundenheit.

Was den Informationsaustausch betreffe, meint Bernd Fischer, habe es sich oftmals eher um eine "Einbahnstraße" gehandelt. Doch: "Die Vorstellung, ausgenutzt worden zu sein, kam uns nie in den Sinn. Zu diesem Zusammenwirken mußte man uns nicht zwingen, es entsprach unserer internationalistischen ..., kommunistischen Überzeugung."

Iwan Kusmin, einst ein leitender KGB-Verbindungsoffizier zum MfS der DDR, faßte seine Sicht in die Worte: "Die DDR war Hauptverbündeter der UdSSR und der hauptsächliche strategische Brückenkopf der Warschauer Vertragsorganisation." Von gegnerischer Seite fand das Zusammenspiel sowjetischer Aufklärer mit der HV A neidvolle Anerkennung. So konstatierte der langjährige CIA-Chefhistoriker Benjamin Fisher, "von der Errichtung bis zum Fall der Berliner Mauer" habe die HV A seinem Dienst "die größte Niederlage in der Spionagegeschichte bereitet", indem sie sämtliche CIA-Quellen in der DDR in Doppelagenturen zu verwandeln imstande gewesen sei. Während die HV A von bestimmter Seite als "bloßer Juniorpartner der sowjetischen Auslandsaufklärung dargestellt wird, stammten tatsächlich etwa 80 % der in die UdSSR gelangten Informationen über die BRD von Mitarbeitern oder Quellen der HV A.

Armeegeneral Krjutschkow, letzter Chef des KGB, würdigte den Beitrag der Aufklärer der DDR zur Stärkung der Sowjetunion sowie zur Entwicklung ihrer Wirtschaft, Wissenschaft und Verteidigungsfähigkeit und konstatierte: "Wir müssen erkennen, daß die DDR-Aufklärung weit mehr für uns getan hat ..."

Als Adenauer und dessen Kriegsminister Strauß in der zweiten Hälfte der 50er Jahre die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen verlangten, entstand eine ebenso brisante Situation wie während der sogenannten Berlin-Krise, deren Hintergründe in beiden Fällen auch mit geheimdienstlichen Mitteln aufzuklären waren. Später ging es darum, die tatsächlichen Zielsetzungen der "neuen Ostpolitik" Willy Brandts auf gleiche Weise zu erkunden. In dessen näherem Umfeld plazierte DDR-Aufklärer ermöglichten durch ihre Informationen auch der UdSSR eine nüchtern-realistische Bewertung dieses neuen Abschnitts bundesdeutscher Politik.

In den 60er und 70er Jahren stellte die DDR-Auslandsaufklärung ihre spezifischen Stärken bei der Beschaffung wichtiger Materialien aus ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Bereichen unter Beweis, was für die UdSSR von großem Nutzen war.

Zur wohl brisantesten Zuspitzung der Konfrontation beider Weltsysteme und Militärblöcke kam es im März 1983 nach Verkündung des SDI-Programms zur Stationierung atomarer Raketen im Weltraum durch US-Präsident Reagan. Die sowjetische Führung rechnete mit einem unmittelbar bevorstehenden nuklearen Erstschlag des Gegners und entwickelte einen eigenen Plan (RJAN), um dem gegebenenfalls selbst zuvorkommen zu können. In dieser extrem zugespitzten Situation sorgte die HV A für verläßliche Aufklärung der Washingtoner Absichten. Ihr in die Politische Abteilung des Brüsseler NATO-Hauptquartiers vorgedrungener Kundschafter Rainer Rupp ("Topas") brachte zweifelsfrei in Erfahrung, daß ein US-Atomraketenschlag nicht zu erwarten sei. Statt für diese Großtat den Friedensnobelpreis zu erhalten, den sich der Mann der HV A verdient hätte, verurteilte ihn die BRD-Rachejustiz später zu einer Gefängnisstrafe von zwölf Jahren.

Das Verhältnis zwischen der Großmacht UdSSR und ihren Verbündeten war indes nicht immer spannungsfrei. Das zeigte sich im Vorgehen Moskaus bei der Stationierung von Atomwaffen auf dem Boden der DDR, deren Partei- und Staatsführung dabei weitgehend in Unkenntnis gehalten wurde. Dennoch beruhten die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik bis zu Gorbatschows Frontenwechsel insgesamt auf gegenseitiger Achtung.

Nachdem es 1990 im Zuge der Konterrevolution über Etappen zur Auflösung der HV A kam, ließ die verräterische Clique, die sich der Führung der KPdSU und der UdSSR bemächtigt hatte, die langjährigen Kampf- und Waffengefährten aus der DDR im Kalten stehen. Sie rührte keinen Finger, als der Repressionsapparat der BRD und anderer imperialistischer Staaten Jagd auf Mitarbeiter der HV A und deren Kundschafter machten. Diese wurden zum Abschuß freigegeben.

"Ihr habt alles Recht zu fragen, warum wir Euch so im Stich lassen konnten. Aber irgendwie haben wir uns selbst im Stich gelassen", sagte Generalleutnant Kirpitschenko, langjähriger 1. Stellvertreter des Chefs der sowjetischen Auslandsaufklärung, zu Bernd Fischer, als sich beide Männer nach 15 Jahren das erste Mal wiedersahen. Dem Autor des eindringlichen Reports "Der Große Bruder" ist für sein faktenreiches Buch und seine ehrliche und engagierte Zeitzeugenschaft von Herzen zu danken.

Klaus Steiniger


Bernd Fischer, Der Große Bruder. Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten, Edition Ost, Berlin 2012, 224 Seiten, 14,95 €, ISBN 978-3-380-01839-7

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Wer im Glashaus sitzt ...

Zu Postzensur und Telefonüberwachung in der Alt-BRD

Mielke zittern die Hände. Eben erst hat er einen großen Postsack in sein Büro geschleppt und ausgekippt. Nun sitzt er am Schreibtisch inmitten eines Haufens von Briefen aus dem anderen Deutschland. "Liebe Gerda, unser gutes Klärchen ist am Sonnabend entschlafen", liest er. Schade um Klärchen, doch Gerda wird diese Nachricht nie erhalten. Sie wird deshalb auf "die da drüben" sauer sein, daß sie ihr Klärchens Ableben verheimlicht haben. Mielke hat den Brief geöffnet. Jetzt muß der weg! Es gilt, die Spuren zu vernichten. Aber Mielke will mehr. Ihm geht es um Adressen von wichtigen oder verdächtigen Leuten, wobei ihn auch Druckerzeugnisse und Botschaften besonders interessieren.

Handelt es sich hier etwa um eine neue Staffel auszeichnungssicherer "stasi"vergällter Film-Epen? Mitnichten. Es ist die nur leicht auf den Punkt gebrachte Aussage eines Angehörigen der streng geheimen Propagandakompanie der Bundeswehr (!), der in den 60er Jahren verfassungswidrig Post öffnete.

Der Vorgang wurde in "3sat-Kulturzeit" im Dezember 2012 bekanntgemacht. In einer Hannoveraner Kaserne schnüffelte ausgerechnet ein Mann namens Mielke! Er und seine Kameraden durchwühlten Post aus und nach der DDR. Sie gaben ihnen Verdächtiges sofort an die Geheimdienste weiter. Tante Gerda war völlig unverdächtig und hatte einfach nur Pech. Bei den Ostermarschierern lagen die Dinge schon etwas anders.

3sat begab sich mit seiner Sendung auf Spuren, die der Freiburger Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth in seinem Buch "Überwachtes Deutschland" öffentlich gemacht hat. Er durfte als erster einige bisher geheime Akten der Bundesregierung zur Post- und Telefonüberwachung einsehen. "Millionen und Abermillionen Postsendungen wurden Jahr für Jahr, Tag für Tag aufgebrochen, ausgewertet und teilweise vernichtet, Millionen und Abermillionen Telefonate abgehört", erfährt man schon aus dem Klappentext. Der Text des BRD-Grundgesetzes von 1949 war noch nicht durch die Rotationsmaschinen gelaufen, als dieses schon von Konrad Adenauer ausgehebelt wurde. Am Bundestag und der Öffentlichkeit vorbei. Die Westalliierten dachten nicht im Schlaf daran, bei diesem Spiel auf ihre "Vorbehaltsrechte" zu verzichten, die auch den Geheimdienst und die Überwachung betrafen.

Foschepoth: "Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wirkt also mit den fremden Mächten an einer Umgehung der Verfassung aktiv mit, die dauerhaft das erlaubt, was die Verfassung nicht erlaubt." Bekanntermaßen steht im Artikel 10 des GG (1): "Das Briefgeheimnis sowie das Postund Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich, (2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden."

Doch sich hinter den Besatzern zu verstecken, bringt keine Entlastung. Auch die Bundesregierung ordnete die Überwachung selbst an. Um sie nicht allzu deutlich als Bruch des Grundgesetzes erscheinen zu lassen, verlegte man sich auf Roßtäuscherei: Der Geheimdienst durfte gemäß Artikel 10 (2) GG ohne ein entsprechendes Gesetz nicht zugreifen. Man ging also das Risiko ein, über die sogenannte Treuepflicht gegenüber dem Staat Postbeamte, Eisenbahner, Zöllner, Staatsanwälte und Richter zur Mittäterschaft zu zwingen.

Originalton 3sat: "Die Bahnpost aus der DDR wurde in sogenannten Aussonderungsstellen zentral gesammelt. Schon in den Zügen begannen Postbeamte zu sortieren. Sie lasen offene Karten, tasteten Sendungen ab. Zeitungen, Bücher und Broschüren - verdächtig war beinahe alles, was von drüben kam. Man befürchtete - so lautete offiziell die Begründung -, die Westdeutschen könnten der SED auf den Leim gehen. Die Zahl der aus dem Verkehr gezogenen Postsendungen belief sich zwischen 1955 und 1972 auf insgesamt 109 Millionen! So gefährlich war die private Meinung der DDR-Bürger, die nach heutigen Berichten doch eigentlich unablässig nach dem Westen geschielt und dort um Palmin oder Backpulver gebettelt hatten.

Wenn Foschepoth Einblick in einige Geheimakten nehmen durfte, dann betraf das nicht jene des BND, des MAD und des Verfassungsschutzes als die wirklich operativen Quellen. Sie bleiben für Historiker weiterhin unzugänglich.

Als 1968 von der großen Koalition die Notstandsgesetze und das G-10-Gesetz verabschiedet wurden, gab man der Schnüffelei einen legalen Rahmen - allerdings kaum im Sinne des GG. Durch dieses Huckepack-Verfahren glaubten und glauben viele, das Gesetz zur Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (G-10) sei Bestandteil der Notstandsgesetze. Doch diese gelten ja nur für den Ausnahmefall, während das Überwachungsgesetz immer Anwendung findet, also Grundlage der bis heute praktizierten täglichen Überwachung der Bevölkerung durch die bundesdeutschen Geheimdienste ist.

Auch den "Ossis" stülpte man als Bewohnern des sogenannten Beitrittsgebiets sämtliche BRD-Gesetze über. Sie sind freiwillig oder wider Willen in der Bundesrepublik "angekommen", dem, wie Foschepoth an anderer Stelle meint, "am besten überwachten Land im demokratischen Westen".

Frühere DDR-Bürger wurden seit dem Anschluß mit besonderer Vorliebe über Rechts- und Unrechtsbewußtsein belehrt, doch fragt man sich unwillkürlich, wie viele der "Brüder und Schwestern" im Westen am täglichen Verfassungsbruch wohl beteiligt gewesen sein mögen.

Wie liegen die Dinge heute?

Erinnert sei an die Worte des KPD-Vorsitzenden Max Reimann, der 1949 vor dem Parlamentarischen Rat erklärte: "Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, an dem wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen jene verteidigen werden, die es angenommen haben."

Diese Vorahnung hat sich bestätigt.

Bernd Gutte

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Geschäfte mit dem Tod

Was steckt hinter der Werbung für Organspenden?

Als ich aufwache, blicke ich in grelle Neonlampen an der Zimmerdecke. Neben mir sitzt meine Frau. Ich bin verwirrt und frage sie ständig, was passiert ist. Irgendwann behalte ich ihre Antwort länger als fünf Minuten: Ich bin mit Herzstillstand umgefallen, wurde wiederbelebt und werde nun auf der Klinik-Intensivstation betreut.

Die Ärzte schildern mir meine Krankheit und raten mir dringend zu einem Spenderherzen. Ich lehne ab. Ich bin 31 Jahre alt, und wir schreiben das Jahr 1986. Mit dieser Vorgeschichte nehme ich in Anspruch, etwas zu dem Thema beitragen zu können.

Im Spätsommer 2012 werden erstmals Skandale publik: Ärzte haben, mit offenbar wohlwollender Tolerierung ihrer Kliniken, die Wartelisten ihrer Patienten manipuliert. Dadurch sind Personen mit Spenderherzen versorgt worden, die eigentlich noch nicht "dran" waren. Offenbar wurde dem mit einer Menge Euros nachgeholfen.

Wundert das jemanden? Sollte es ausgerechnet im hochentwickelten Kapitalismus eine Insel der Ethik und Moral geben, die von Korruption und Kriminalität unberührt ist? Wir wissen von Kindern aus lateinamerikanischen Slums, die gefangen werden, um nach ihrer Tötung Profit aus ihren Organen zu schlagen.

Europa soll darin eine reine Weste haben? Wir wissen von den Verbrechen der kosovarischen UÇK, die gefangene Serben schlachten ließ, um an Organe zu kommen. Auch das liegt in Europa, und die Kanzlerin hofiert die höchsten Mafia-Bosse des Kosovo. Kurz: An Organspenden verdienen nicht nur Ärzte, sondern vor allem die Pharmaindustrie und der medizinisch-industrielle Komplex eine Menge Geld. Da sind die Grenzen zur Kriminalität fließend.

Doch neben der politischen Komponente der Organspende gibt es noch eine ethische. Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um die Lebendspende, etwa einer Niere oder Knochenmark zwischen Geschwistern - die steht moralisch außer Zweifel. Wir reden hier über Organentnahme bei Todgeweihten.

Uns wird erzählt, bei den Spendern handle es sich um Tote, etwa von schweren Verkehrsunfällen. Mit dem Eintritt des Todes stirbt jedoch jede Zelle eines Organs, sie ist nicht mehr verwendbar. Daher hat man den Begriff des "Hirntodes" erfunden - zufällig zur gleichen Zeit, als Professor Christiaan Barnard im damaligen Apartheidstaat Südafrika 1967 die erste Herztransplantation gelang. Ein "Hirntoter" sei tatsächlich tot, heißt es. Doch warum bekommt er dann noch große Mengen an Schmerz- und Beruhigungsmitteln, wenn er aufgeschnitten und ihm die Organe entnommen werden?

Nein, ein sogenannter Hirntoter ist ein Sterbender. Natürlich würde er - wahrscheinlich - auch ohne Eingriff sterben. Dennoch fragt sich: Wann darf ein Mensch getötet werden? Ich habe eine Zeitlang mit Schwerstbehinderten und Hirngeschädigten, die von Geburt an auf lebenserhaltende Maßnahmen und Maschinen angewiesen waren, zu tun gehabt. Wo liegt der Unterschied zwischen ihnen und einem sogenannten Hirntoten?

Diese ethischen Fragen muß jeder Betroffene mit sich selbst ausmachen. Ich möchte mich hüten, bei diesem sensiblen Thema Ratschläge zu erteilen. Für mich selbst habe ich vor Jahren eine Entscheidung getroffen - und auch angesichts bedrohlicher aktueller Diagnosen bleibe ich dabei: Kein Mensch darf getötet werden, nur damit ich vielleicht fünf oder zehn Jahre länger lebe.

Eines Tages werden Organspenden nicht mehr nötig sein. Die Medizin kennt dann andere Wege der Heilung. Doch das wird erst dann sein, wenn dem kein Profitinteresse mehr entgegensteht - im Sozialismus.

Hans Dölzer, Hirschberg

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Als Miethaie noch Exoten waren

Wie in der DDR das Menschenrecht auf Wohnen verwirklicht wurde

Aktuelle Mietrechtsänderungen schränken die Rechte der Mieter weiter ein. Der zu erwartende neue Mietspiegel für Berlin dürfte das Mietniveau im Interesse der Vermieter weiter nach oben drücken. So nimmt die Sorge um die Bezahlbarkeit der Wohnung bei immer mehr Menschen zu.

Nicht selten entspricht die Miethöhe der Hälfte eines Haushaltseinkommens. Miethaie haben in den vergangenen Jahren durch Abriß zahlreicher Häuserblöcke oder Reduzierung der Anzahl von Stockwerken für eine künstliche Wohnraumverknappung gesorgt. Humanitäre Rücksichten spielen kaum noch eine Rolle. Der soziale Wohnungsbau wurde eingestellt. Die Mietwohnung ist zu einem erstrangigen Objekt der Profiterwirtschaftung geworden. Ausländische Kapitalgesellschaften konkurrieren beim kompakten Erwerb von Wohnraum als effektiver Kapitalanlage. Die Perspektiven der Mieter sind düster. Wohnungen als Produkte des "freien Marktes" gefährden jene, die in ihnen leben.

Dieses Geschehen kontrastiert scharf mit dem Wohnungsbauprogramm der DDR.

Im Zeitraum von 1971 bis 1989 wurde dessen Ziel, 2,8 bis 3 Millionen Wohnungen neu zu bauen, erreicht. Dem Einsatz Hunderttausender Bauschaffender war es zu verdanken, daß sich die Wohnverhältnisse für Millionen Bürger deutlich verbesserten. Das entsprach den Vorgaben des von der SED beschlossenen Programms zur Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem. Am 9. Februar 1984 konnte bei der Grundsteinlegung für ein neues Wohngebiet in Berlin-Hohenschönhausen die zweimillionste Wohnung übergeben werden.

Hatte man für die erste Million noch sieben Jahre benötigt, so brauchten wir für die zweite Million nur noch fünfeinhalb Jahre. Im Oktober 1988 wurde dann auch die dritte Million erreicht.

Die DDR veränderte ihr Gesicht. Während sich das Tempo des Wohnungsbaus insgesamt beschleunigte, konzentrierte man alle Kräfte - nicht immer zur Freude der in Bezirken und Kreisen Verantwortlichen - auf die Neugestaltung der Hauptstadt. 1946 - in der Stunde der Trümmerfrauen - war Berlin wieder zum Leben erweckt worden. 1952 wurde der erste Bauabschnitt der damaligen Stalin- und heutigen Karl-Marx-Allee in Angriff genommen. Sie gilt als die letzterbaute Stadtmagistrale. Der Alexanderplatz erhielt in den 70er Jahren ein neues Gesicht, wobei der Fernsehturm zur Dominante des Zentrums wurde. Nach dem Anschluß der DDR an die BRD laut gewordene Erwägungen, ihn abreißen zu wollen, waren nur mit der schändlichen Beseitigung des Palastes der Republik vergleichbar.

Besondere Aufmerksamkeit galt auch dem innerstädtischen Wohnungsbau. Zugleich entstanden am Rande Berlins große neue Wohngebiete wie Marzahn und Hellersdorf, die über äußerst günstige Verkehrsanbindungen verfügten. Hier wurden gleichzeitig Gewerbestättengebiete und Werkneubauten geschaffen. Das weitgehend im historischen Sinne rekonstruierte Nikolaiviertel, der Thälmannpark, die Bauten in der Leipziger Straße oder die Karl-Liebknecht-Straße, aber auch das geschlossene Wohnensemble am Lichtenberger Fennpfuhl, zeugten von der Aufwertung der Wohnatmosphäre inmitten der Stadt.

Teilgebiete des traditionsreichen Arbeiterbezirks Prenzlauer Berg wurden in umfangreichen Modernisierungskomplexen von ihrem "grauen Charme" befreit. Dabei wußten wir selbst am besten, was wir noch alles nicht bewältigt hatten.

Erinnern wir uns an den Wirtschaftskrieg, der vor allem von Bonn ausging und dem erst mit der Errichtung der Berliner Mauer am 13. August 1961 in gewissem Maße Einhalt geboten wurde. Er hat uns, vorsichtig geschätzt, 150 Milliarden Mark der DDR gekostet. Mit dieser Summe hätten fast zwei Millionen Wohnungen - samt der Primär- und Sekundärerschließung - gebaut werden können. Um so höher ist die Tatsache zu bewerten, daß wir die Ziele unseres Wohnungsbauprogramms im wesentlichen erreicht haben. Die Wohnungsfrage als soziales Problem zu lösen, war indes nicht problemlos.

Die Mieten betrugen im DDR-Durchschnitt nur etwa 3 % des Haushaltseinkommens einer Arbeiter- und Angestelltenfamilie. Ein so niedriges Niveau der Einnahmen hatte natürlich Konsequenzen. Zur Gewährleistung stabiler Mieten auf diesem Level nahmen allein die Staatsausgaben für sogenannte Mietneben- bzw. Betriebskosten zwischen 1971 und 1989 um annähernd das 20fache zu, was eine enorme Herausforderung für die wirtschaftliche Leistungskraft der DDR bedeutete. Die Politik auf diesem Gebiet hatte überdies den Nachteil, daß die extrem niedrigen Mieten die optimale Nutzung des vorhandenen Wohnungsbestandes erheblich hemmten. Was als sozialer Vorteil gedacht war, wirkte in der Praxis einer Lösung der Wohnungsfrage eher entgegen. Kaum jemand sah nämlich Veranlassung, sich wohnraummäßig zu verkleinern, wenn Kinder auszogen, sich ein Paar scheiden ließ oder ein Ehegatte verstarb. Häufig wurden zwei Wohnungen nach Begründung einer Lebensgemeinschaft weiter genutzt. Sicher ist sicher, lautete hier die Devise. Das Fehlen einer strafferen Politik auf diesem Gebiet blieb nicht folgenlos: Trotz erheblichen Zuwachses stieg gegen Ende der 80er Jahre die Zahl der Wohnungsanträge erheblich an.

Dennoch gab es in der DDR keine Obdachlosen wie in der reichen Bundesrepublik und keine "Tafeln", um arme Menschen mit verfallsgefährdeten Lebensmitteln der Großkonzerne knapp über Wasser zu halten.

Dr. Peter Looß


Unser Autor war Leiter der Abteilung Bauwesen der Berliner SED-Bezirksleitung.

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[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Der Menschen Feind (4)

von Rudi W. Berger

Leicht gekürzter exklusiver Vorabdruck aus
"Dran, dran, solang ihr Tag habt"
Schlachtfeld Literatur, Schlachtfeld Deutschland.
Essayistische Exkurse"

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Das Wunder von Vippachedelhausen

Als Eberhard Herr den Herren die Suppe versalzen half (4)

Hauptamtlicher Parteisekretär in der vorerst noch zurückgebliebenen, dann aber bald schon das Entwicklungstempo der sozialistischen Landwirtschaft der DDR mitbestimmenden LPG Vippachedelhausen bei Weimar, hat der Held unserer Geschichte ihm Wichtiges in seinem Tagebuch notiert. Später wird er einen Zirkel schreibender Genossenschaftsbauern leiten. Hier nun eine weitere Folge seines Berichts.


17. April 1962: Gegen 7 Uhr früh rollten unsere Traktoren in Biberau ein. Ich empfing die Kumpels am Ortseingang. Auf dem Dorfplatz wurde eingeteilt, wer auf welche Höfe zum Aufladen rücken sollte.

Alles lief wie geschmiert. Als Heinz Musilak erfuhr, daß im Nachbardorf Heu zu holen sei, brauste er mit seinem Zetor-Traktor hin und kam nach einer Stunde mit zwei mächtigen Fuhren wieder zurück. Die Kumpels waren wirklich auf Draht, obwohl sie seit 2 Uhr nachts auf den Böcken saßen. Gegen 11 Uhr waren zehn dicke Fuhren fertig. Ich ging mit den Traktoristen und dem Bürgermeister in die Gastwirtschaft und ließ was Ordentliches zu essen machen. Danach schliefen die Jungs noch ein Stündchen, schwangen sich wieder auf ihre Traktoren, und ab ging's nach Vippachedelhausen, wo die Melker schon auf das gute Heu warteten.

Nachmittags kam Wolfgang, der LPG-Vorsitzende, und wir hielten mit dem Bürgermeister Kriegsrat. Natürlich waren wir daran interessiert, soviel Heu wie möglich aufzukaufen, hing doch davon ab, ob wir unsere Kühe durchbringen würden. Er hatte volles Verständnis für uns und half. Mit seinen Berufskollegen in einigen Nachbargemeinden hatte er schon des Heus wegen telefoniert. So nach und nach bekamen wir an die 1600 Dezitonnen zusammen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, reichte das doch, bis es in Vippachedelhausen wieder Grünfutter geben würde.

Spät abends schlich ich heimlich in den Kuhstall und sah eine Weile zu, wie die Tiere das gute Heu in sich hineinschlangen. Da kamen mir fast die Tränen. Dann aber hatte ich eine Stinkwut, weil die Vippacher Bauern es bis jetzt nicht fertiggebracht hatten, auf ihrem fruchtbaren Boden so viel gutes Futter zu ernten, daß ihre Kühe satt wurden und ordentlich Milch gaben. Da mußte erst so ein Stadtlandwirt wie ich kommen und ihnen zeigen, wie man das Vieh ernährt.

Als wir aus Biberau und Umgebung fast alles Heu weggeschleppt hatten, tauchten auch die Umpferstedter auf. Ihr LPG-Vorsitzender wurde fuchsteufelswild, als er erfuhr, was sich zugetragen hatte. Mich sah er danach jahrelang nicht mehr an. Vielleicht brauchten seine Kühe das Heu nicht so nötig.

Im Mai 1962: In der vergangenen Nacht hat "Stuck" mit seinen Kartoffelspezialisten ein Meisterstück vollbracht. Nachdem wir zur Kreisdelegiertenkonferenz der Partei den Mund recht voll genommen und als Selbstverpflichtung verkündet hatten, die ersten Frühkartoffeln des Kreises liefern zu wollen, gerieten wir etwas ins Schleudern. Wolfgang hatte mit der Brigade "Stuck" alles gut organisiert - von der Bodenvorbereitung über das Auspflanzen bis zur Pflege. Die Kartoffelbüsche waren auch schon 20 Zentimeter hoch, standen aber leider in einer Feldflur, die der Spätfrost gefährdete. Mit tödlicher Sicherheit kam hier Ende Mai noch einmal eine Frostnacht. Erfahrene Bauern machten darauf aufmerksam. Es mußte aber einen Weg geben, die zwei Hektar Frühkartoffeln über die Runden oder besser durch die Minusgrade zu bringen. Es gab auch einen. Sepp Klemm hatte nämlich um das Kartoffelstück alte Traktorreifen gelegt, die er beim Einsetzen von Frost sofort anzünden wollte.

Letzte Nacht haben sie es gemacht. Um 2 Uhr wurde "Stuck" von Sepp geweckt. Der fuhr in Wattehosen und Filzstiefel, ergriff den Benzinkanister und rauf aufs Moped. Am Feld prüften sie erneut die Windrichtung. Der Frost soll ganz schön gezwickt haben. Benzin auf die Reifen, Streichholz dran und schon brannte alles lichterloh. Es sah aus wie eine nächtliche Landepiste für Flugzeuge. Zum Glück kam niemand vorbei. Das Feuerwerk war nämlich nicht angemeldet. Warmer Rauch legte sich über die Kartoffelbüsche und versperrte dem Frost den Weg.

Früh um 7 Uhr kamen die Männer zufrieden zurück. Ihre Gesichter und Hände waren kohlrabenschwarz. Sie hatten die Kartoffeln gerettet. Am Tage habe ich dann einige Gärten angesehen. Dort waren die Büsche erfroren. Doch unsere standen schön grün in der Morgensonne.

Ende Mai 1962: Da die Verhandlungen mit der Brotteröder LPG erfolgreich verlaufen sind, schaffen wir heute den ersten Transport Jungvieh "auf den Wald". Insgesamt sollen es 110 Tiere werden. Sie sind wirklich nur noch Garderobenständer, mächtig abgemagert. Überall stechen die Knochen hervor.

Es sieht sehr schlecht aus. "Stuck" und seine Leute haben einige Täler eingezäunt. Kaum sind die Rinderchen vom Transporter heruntergehopst, fressen sie auch schon gierig das erste junge Gras. "Stuck", der mit anderen bereits eine Woche hier oben gewesen ist, hat natürlich wieder ein Ding gedreht. Nicht weit entfernt stieß er auf einen alten Rinderoffenstall mit einem Riesenhaufen hartgewordenen Stickstoffs. Die Männer haben sich eine Düngermühle besorgt, den ganzen Berg durchgeleiert und dann auf die uns zugewiesenen Weiden gestreut. Einige Brotteröder wunderten sich dann im Sommer, warum auf unseren Weiden das Gras um die Hälfte länger war als bei ihnen.

Juni 1962: Kaum bin ich von einer Feldbesichtigung wieder zurück, da kommt Gerhard, der stellvertretende LPG-Vorsitzende, auch schon angelaufen. "Eberhard, hier ist der Teufel los. Hinten im Stall brüllt Struppi herum. Er will Dich mit der Gabel durchrennen." Daß Genosse Ernst Bsoneck - Spitzname Struppi - manchmal etwas aus dem Rahmen fiel, hatte ich schon gemerkt. Aber den Parteisekretär "mit der Gabel durchrennen" zu wollen, war doch ein starkes Stück. "Was machen wir da bloß?", fragt Gerhard wieder. "Na, wir gehen zu ihm hin", sage ich, obwohl ich mich damit auch nicht ganz wohl fühle. Ernst, der Melker, ist immerhin ein kräftiger Kerl. Ich gehe vorneweg und Gerhard folgt mir. "Wenn er wirklich was will, gehst Du dazwischen", sage ich. Struppi sieht uns kommen, und seine Wut entlädt sich jetzt erst richtig. "Der soll ja nicht herkommen", brüllt er. Gemeint bin ich. Ihn am Schwarzen Brett - er meint die Wandzeitung - "wegen verschweinstem Futter" anzuschmieren, sei ungeheuerlich, erregt er sich Die Forke hält er dabei noch in den Händen. Da sage ich nur: "Ernst, ich wußte gar nicht, daß du so laut brüllen kannst" und gehe schnurstracks an ihm vorbei in den Stall. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als hinterherzukommen.

In den Krippen liegt das verdorbene Futter. Die Kühe pusten es nur an. Da wird Struppi plötzlich kleinlaut. "Muß es denn gleich am Schwarzen Brett sein?", meint er nur noch. Wir trennen uns friedlich. Hinter den Fensterscheiben der LPG-Verwaltung herrscht derweil großes Gedränge. Alle sind gespannt, was passiert. Ein bißchen stolz bin ich schon auf den Ausgang dieses Konflikts. Ernst ist ein schwieriger Charakter, und das bestandene Geplänkel wird nicht der letzte Strauß sein, den wir beide miteinander ausfechten. Doch für mich ist das eine Lehre. Man kritisiert nicht jeden gleich an der Wandzeitung. Besser wäre es gewesen, sofort in den Stall zu gehen und mit ihm zu reden. So bin ich um eine Erfahrung reicher.

(wird fortgesetzt)

Eberhard Herr, Herzberg/Elster

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Aufstieg und Zerfall der Grünen

Wie eine einstmals basisdemokratische Partei ihren Biß verlor

Um die Grünen zu verstehen, muß man die Dinge zurückverfolgen: Angetreten waren sie als das gute Gewissen und ein indifferentes Sammelbecken - nicht links oder mittig, oder doch beides. Nach ihrem Selbstverständnis lagen sie aber meilenweit vor der alten Demokratie meist alter Männer und Bestimmer. Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, schien ein Ruck durch das Land zu gehen: Angesichts frischen Windes und flotter Slogans flogen ihnen viele Herzen zu, aus gutem Grund. Ihr Ansatz, Politik könne auch sozial und basisdemokratisch funktionieren, zog viele in ihren Bann.

30 Jahre später reden wir vom Scheitern und Versagen. Viele, die einst ihr Herz an diese Partei gehängt hatten, sind sich darin einig: Aus einer pazifistisch orientierten und mit einem enormen sozialen Anspruch angetretenen Formation ist im Laufe der Zeit ein inakzeptabler, angepaßter Haufen von Gauck-Nominierern geworden, der nicht einmal mehr den Schneid besitzt, zu seinen eigenen Wurzeln zu stehen. So gewinnen die Grünen heute ihre neuen Wähler: Wir haben uns gewandelt, sind wertekonservativ, aber irgendwo doch noch ein bißchen emanzipatorisch. Man fragt sich bloß: Wo denn eigentlich?

Dabei hatte der Siegeszug einst recht eindrucksvoll begonnen: Aus sich selbst mit Sinn versorgenden Basisgruppen, die untereinander vernetzt sein wollten, entstand der liebenswerte kunterbunte Bodensatz landesweit verdrahteter Nester. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre war links neben der SPD politisch jede Menge Platz. Die KPD war durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 1956 außerhalb von Recht und Gesetz gestellt worden. Später - nach der 1968 erfolgten Gründung der DKP im Jahre 1968 - folgten dann Radikalenerlaß und Berufsverbote.

Der verhinderte Generalfeldmarschall Helmut Schmidt, der seine gesamte SPD - ohne eigentliches Sich-Aufbäumen ihres linken Flügels - immer mehr in die finstere Ecke manövrierte, lud regelrecht dazu ein, das neue grüne Parteikonstrukt in die moderne bundesdeutsche Politszene zu hieven. Man fragt sich natürlich bis heute, aus welchem Grund die SPD als Antikriegspartei ausgerechnet einen zackigen Wehrmachtsoffizier wie Helmut Schmidt zum Kanzlerkandidaten bestimmen konnte!

Am Rande sei bemerkt: Es war Schmidt, der Willy Brandt beerbte. Beide offenbarten sich als beinharte Befürworter des Vietnamkrieges und ausgemachte kalte Krieger, wie sich in der Berlinfrage deutlich zeigte. Dementsprechend verstrickte Schmidt - ohne daß sich nennenswerter öffentlicher Widerspruch erhoben hätte - die SPD immer tiefer in den Ost-West-Konflikt. Er war auch, wie wir heute wissen, der eigentliche Initiator des berüchtigten NATO-Raketenbeschlusses, der 1983 beinahe zum dritten Weltkrieg geführt hätte.

Aus Basisinitiativen und verschiedenen Strömungen auch sogenannter K-Gruppen entstand Ende der 70er schließlich die Partei "Die Grünen". Wer am Anfang meinte, daß sich Lichtgestalten wie Rudi Dutschke sinnstiftend in die Entstehungsgeschichte moderner Demokratie einbringen könnten, mußte sehr schnell erfahren, wohin die Reise gehen sollte: in die Teilhabe an der ganz großen Politik - und zwar unter Preisgabe von ehemals als grüne Domänen erachteten Ansätzen.

Im nachhinein: Es war kein anderer als "Joschka" Fischer, der alle, die an grüner und linker Politik festhalten wollten, als Fundamentalisten abstempelte, um sie auf dem Wege solcher Diffamierung in der politischen Landschaft der BRD zu isolieren.

1983 kamen die Grünen in den Bundestag. Sozial, ökologisch, basisdemokratisch und pazifistisch wurde der Einstieg in die große Politik vollbracht. Mit Erfolg. Doch wie sieht es 2013 aus? Den Grünen ist das Alternative längst abhanden gekommen. Knapp 30 Jahre nach ihrem beeindruckenden Einzug in das Parlament der BRD sind sie das Zünglein an der Waage, das darüber entscheidet, ob eine der beiden großen Parteien mit ihnen oder ohne sie regieren kann. Wie Oberlehrer Kretschmann, ihr baden-württembergischer Flachmann, unverhohlen erklärt hat, wird sich die Partei - also deren Führungspersonal - nach der jeweiligen Entscheidung der Wähler zu richten haben. So hält man sich als Opportunist alle Optionen offen.

An der dazu erforderlichen "Bandbreite" mangelt es nicht: Trittin, Göring-Eckhardt, Roth und Özdemir - je mehr Personal aufgeboten wird, desto fader wirkt es trotz aller vorgespiegelten Vielfalt: der Alte und die Junge, der Pseudolinke und die sittsame Bürgerliche, der Türke und die Beliebige, der Grüne und die Rote oder andersherum. Und das alles erfolgt immer mit dem lange abgegessenen Touch, diese Mischung bringe garantiert etwas. Spannend daran ist nur, daß als Verjüngung und Ostquotierung der Grünen ausgerechnet Frau Göring-Eckhardt angesagt ist. Als wäre es noch der Rede wert, daß in die große Bundespolitik aus dem Osten offensichtlich nur noch Kleriker oder deren Nachkommen aufsteigen dürfen. In diesem Falle hat es nun auch die Grünen getroffen, die sich in ihrer Selbstbeweihräucherung immer noch als jung, spontan, alternativ und - man höre und staune - sozial orientiert verstanden wissen wollen. Und zwar derart, daß an der aus dem Entscheidungsnotstand der Führungsriege erwachsenen Urabstimmung gerade einmal zwei von drei Mitgliedern Interesse bekundeten. Das nenne ich die verpeilte Bandbreite, denn es ist nicht nur den Parteigängern der Grünen relativ schnuppe, was sich am eingesessenen oberen Ende der Basisdemokratie ereignet. Auch diese scheinbar hippe Truppe verkommt zur trägen Masse zahlender Karteileichen. Dann ist natürlich alles an bisher undenkbaren "Sachzwängen" drin, denen sich die Grünen in Zukunft ergeben werden.

Es ist nur folgerichtig, mit Jutta Ditfurth zu sagen: "Die Maske fällt ­... die Grünen sind ein ganz spezieller Motor des neokonservativen Rollback." Wer mehr erwartet, hat ausgesprochen schlechte Karten. Und das ungeachtet der Tatsache, daß es im bunt-uniformierten Einerlei dieser einstmals große Hoffnungen weckenden Partei des basisdemokratischen Aufbruchs noch immer einzelne beherzte und tapfer gegen den Strom Schwimmende wie Hans-Christian Ströbele gibt.

Torsten Scharmann, Berlin

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Dschungelkrieger der CDU

Der Berliner Bankenskandal hätte den Senat fast gestürzt

Die Geschichte der Firma AUBIS hat das Land Berlin und diverse Ermittler lange Zeit beschäftigt. Viele haben inzwischen resigniert. Aber das Problem ist nach wie vor nicht gelöst. Warum und wie haben die beiden Chefs der Firma AUBIS den Berliner Bankenskandal verursachen und schließlich sogar den seinerzeitigen Senat damit ins Wanken bringen können?

Christian Neuling war einer der Chefs von AUBIS. Der Diplomingenieur und CDU-Politiker gehörte von 1987 bis 1994 dem Bundestag an. Neuling betätigte sich dort sogar als Vorsitzender einer Kommission zur Untersuchung der Arbeit der Treuhandanstalt, die allerdings niemals zusammengetreten ist. Aufgrund diverser Betrugsfälle bei AUBIS, die Neuling gemeinsam mit Klaus-Herrmann Wienhold, einer anderen CDU-Größe, gegründet hatte, wurde bis 2006 mehrfach gegen beide ermittelt. Die gerichtlichen Prozesse endeten allerdings wegen Neulings "Verhandlungsunfähigkeit".

Der "Spiegel" berichtete im Juli 2001, daß 600 Millionen D-Mark, die Neuling und Wienhold für den Kauf von Wohnungen in verschiedenen Regionen Ostdeutschlands von der Berliner Bank geliehen hatten, nicht zurückgezahlt werden mußten. Unstrittig ist, daß die Anwaltskanzlei Knauthe die beiden AUBIS-Unternehmer und ehemaligen CDU-Politiker gegen die Berlin Hyp, eine Tochtergesellschaft der Berliner Bank, vertreten hatte, nachdem ihre Firma die Kredite nicht ordnungsgemäß zurückzahlen konnte. Die Berlin Hyp hatte der AUBIS-Gruppe insgesamt 600 Millionen Mark für den Ankauf von Plattenbauten in Leipzig, Frankfurt-Oder, Neubrandenburg, Schwerin und anderen Städten des Ostens geliehen. Laut "Spiegel" scheiterte das Geschäft, wodurch die AUBIS in finanzielle Nöte geriet.

Das Problem scheint indes weitaus dubioser zu sein. Es kann davon ausgegangen werden, daß auch der Firma AUBIS angebliche Altschulden aus DDR-Zeiten übergestülpt wurden. Der Schwindel mit diesen, die Produktionsbetrieben, Stromversorgern, Wasserbetrieben, kommunalen Wohnungsgesellschaften, Kindergärten, Theatern u. a. aufgebürdet wurden, kam Mitte der 90er Jahre auf. Es war der Zeitpunkt, als die Profitrate der am "Vereinigungsprozeß" Beteiligten zu sinken begann. Bis dahin hatten Neuling und Wienhold ein durchaus lukratives Geschäft gemacht. Doch nun wurden ihre Kaufobjekte plötzlich sehr viel teurer, als sie ursprünglich angenommen hatten.

Beide, der Parteidisziplin ihrer CDU, von der die Mär mit den "Altschulden" erfunden worden war, unterworfen, durchschauten entweder das Spiel mit gezinkten Karten nicht oder sprachen zumindest nicht darüber. Auch ihre Firma AUBIS hatte nun plötzlich Schulden. Diese betrugen mehr als das Doppelte des für die Wohnungen gezahlten Kaufpreises. Ihr damaliger Finanzbuchhalter Lars-Oliver Petroll schien vieles zu wissen, was weder den beiden Chefs noch den Vertretern der Hyp und der Berliner Bank, die den Anspruch auf Rückzahlung von Altschulden mit Zinseszinsen erhob, in den Kram paßte. Das bekam ihm allerdings nicht. Der lebensfrohe 32jährige, der gerade von einer Hochzeit träumte, beging plötzlich im Berliner Grunewald "Selbstmord". Die Kriminalpolizei stellte am Fundort der Leiche, die erst sechs Monate später entdeckt worden war, eine Reihe von Ungereimtheiten fest, die nie weiter untersucht werden durften.

Ende 1999 handelte Rechtsanwalt Knauthe mit der Berlin Hyp eine Entschuldung der beiden AUBIS-Chefs aus. Die Berliner Bank verzichtete auf die Rückzahlung der Darlehen in Höhe von 600 Millionen D-Mark, Neuling und Wienhold gaben im Gegenzug die Nutzungsrechte an den Wohnungen auf - für die Bank war das ein verlustreiches Geschäft, für die beiden Unternehmer aber wie ein "Sechser im Lotto", urteilte der Präsident des Bundesaufsichtsamtes für Kreditwesen, Jochen Sanio, später.

Eigentlich hätte die Berliner Bank ja nun im Besitz der Plattenbauten sein müssen, deren Wohnungen in Leipzig, Schwerin und Neubrandenburg gut vermietbar waren. Offensichtlich wurde das Geldhaus jedoch vor den "Altschulden" gewarnt. So kamen die Wohnungen in den Besitz der Deutschen Kreditbank (DKB). Diese hatte zuvor die Staatsbank der DDR zu einem lächerlichen Preis "gekauft" und privatisiert.

Die DKB war am 19. März 1990 als erste Privatbank der Noch-DDR gegründet worden. Am 21. Juni jenes Jahres wurden die "Schuldposten" der Staatsbank der DDR auf sie übertragen. Anfang 1993 war die Treuhandanstalt alleiniger Eigentümer der DKB. Als diese am 31. Dezember 1994 aufgelöst wurde, ging die Bank für kurze Zeit in das Vermögen des Bundesfinanzministeriums über. 1995 wurde sie an die Bayerische Landesbank verkauft. Inzwischen ist sie längst privatisiert.

Es ist anzunehmen, daß Neuling und Wienhold ab 1995 dazu gezwungen wurden, hohe Zinsen für etwas zu zahlen, was sie mit den kommunalen Wohnungen nie gekauft hatten.

Das "Archivmaterial der Staatsbank der DDR wurde von der DKB beiseitegeschafft und später nach und nach verwendet, indem es als "Schuld" oder "Altschulden" wieder auftauchte, nicht nur gegenüber AUBIS, sondern auch gegenüber der Berliner Bank, der Stadt Berlin und anderen Kommunen im Osten des Landes. Zu DDR-Zeiten hatte es keine Kredite zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Trägern und Institutionen gegeben, weshalb auch keine Zinsen oder Rückzahlungen fällig wurden.

Leipzigs Oberbürgermeister Lehmann-Grube hatte durchaus recht, als er sagte, daß es auch heute keine Schulden seien. Als 1996 von der Stadt Leipzig die Rückzahlung solcher "Schulden" eingefordert wurde, wehrte er sich und erklärte: "Das sind keine Schulden. Wir werden nichts zahlen." Dresdens OB Ingolf Rossberg betonte 2006 ebenfalls, daß es sich dabei nicht um Schulden handele, als es um den Verkauf der WOBA an den Hedgefonds Fortress ging. Er mußte allerdings zugestehen, daß diese Summe vom Preis abgezogen wurde, den Dresden für den Verkauf von 48 000 kommunalen Wohnungen, diversen Freiflächen, Läden und Innenhöfen erhielt. Die Stadt bekam so nur 982 Millionen Euro, während sich die offizielle Kaufsumme auf 1,74 Milliarden Euro belief. OB Rossberg ist sein "Fauxpas" nicht gut bekommen. Er verlor 2008 das Amt.

Zeitweilig vertrat der ehemalige Bausenator Klaus Riebschläger (SPD), damals Rechtsanwalt bei Knauthe, dessen Büro in den Verhandlungen mit der Berliner Bank. Diese und AUBIS bildeten nach Abschluß der Entschuldungsverhandlungen einen Millionen-Fonds, verwaltet von zwei Treuhändern, aus dem Ansprüche Dritter getilgt wurden. Riebschläger war einer der Treuhänder.

Die Staatsanwaltschaft betrachtete den Fonds als eine Tochtergesellschaft der Berliner Bank und verdächtigte Riebschläger deshalb des Parteienverrats. Er habe gleichzeitig auf beiden Seiten gestanden und damit diesen Tatbestand erfüllt. 2009 stürzte Riebschläger mit seinem Privatjet in der Nähe von Königs Wusterhausen ab. Man kann ihn nicht mehr befragen. Neuling und Wienhold stellen sich taub, Landowski, einst CDU-Spitzenpolitiker, nicht minder.

So kann nichts mehr an die Öffentlichkeit dringen. Aber die Berliner Bank hatte mit Sicherheit weiter Zinseszinsen der 600 Millionen D- Mark, die Neuling und Wienhold als Kredit aufnahmen, abzuzahlen und zusätzlich noch die "Altschulden", die ihnen die DKB präsentierte. Das Ganze ist so geheim, daß ein Freund Riebschlägers vor einigen Jahren meinte, er werde besser nichts sagen, da er sich schließlich nicht in einem blauen Müllsack wiederfinden wolle.

Dr. Helga Helena Liebecke, Dresden

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RF-Extra

Das Gemetzel von Verdun

An der Stätte der blutigsten Schlacht des Ersten Weltkrieges

Es ist kalt an diesem Montagmorgen im Winter 1916. Der Wind bläst über die Hügel Lothringens. Von der Maas steigen Nebelfetzen auf. Zum Glück hat wenigstens der verfluchte Regen der letzten Tage aufgehört, der die Gräben in eiskalten Matsch verwandelt, eine feuchte Kälte, die in sämtliche Poren kriecht.

Es ist der 21. Februar 1916, 8.10 Uhr. Alles ist vorbereitet. Die Gesichter der Soldaten sind angespannt, da versucht noch einer einen Scherz, um das flaue Gefühl in der Magengegend zu verdrängen.

Nur noch zwei Minuten. Dann wird aus 1225 Geschützen der 5. kaiserlichen Armee unter Führung des Kronprinzen Wilhelm von Preußen ein unvorstel lbares, neun Stunden anhaltendes Trommelfeuer auf die französischen Stellungen losbrechen. 1225 Geschütze für einen Frontabschnitt von nur 15 Quadratkilometern.

Um 8.17 Uhr werden die Schallwellen in Trier zu hören sein, um 8.18 Uhr in Saarbrücken, ab 8.12 Uhr schon klirren in Straßburg die Fensterscheiben, was sich noch wochenlang fortsetzen soll. Um 8.23 Uhr wird selbst im über 250 Kilometer entfernten Paris ein dumpfes Grollen hörbar. So grauenvoll laut tost der Geschützlärm, der die Schreie der Verwundeten übertönt.

Ab 13.30 Uhr werden 150 Minenwerfer zusätzlich das Trommelfeuer verstärken. Um 17 Uhr wird die erste Angriffswelle - deutsche Pioniere mit Flammenwerfern - die Gräben verlassen, um dann von den Salven der französischen Maschinengewehre zerhackt zu werden ...

Es ist der Beginn der Schlacht um Verdun. "Ils ne passeront pas" - "Sie werden nicht durchkommen", beschwören die französischen Generale ihre Truppen, die verzweifelt versuchen, das Terrain zu halten. Bis zum Ende der Schlacht im Dezember 1916 wird es in dieser Blutmühle des Imperialismus 317.000 Tote und Millionen Verletzte geben ...

Wir - mein Sohn, ein alter Freund und ich - wollen morgen auf den ehemaligen Schlachtfeldern stehen, Bilder machen und zwischen den unendlich scheinenden Grabkreuzen, die mit Namenstafeln und kleinen Rosen geschmückt sind, unseren Gedanken nachhängen.

Aber werden wir diesen Wahnsinn wirklich erfassen können?

Der 15. September 2012 ist der Tag unserer Abreise nach Verdun.

Wir brechen um 6.30 Uhr auf. Unser Weg führt uns bei Karlsruhe über den Rhein, dann Richtung Hagenau tiefer hinein ins Elsass, diese alte und immer wieder durch großdeutsche Begehrlichkeiten bedrohte französische Grenzregion. Weiter Richtung Nord-West, vorbei an der Industriestadt Metz, an den lothringischen Kohlegruben, Richtung Paris.

Paris, die Metropole des Erbfeindes und Hauptkonkurrenten um die Vorherrschaft über das europäische Festland. Paris, jene Stadt, welche schon immer die unterschiedlichsten Emotionen und Sehnsüchte hervorgerufen hat. Dazwischen liegt Verdun mit seinen Befestigungsanlagen, erbaut, um unerwünschte "Paris-Touristen" aus dem Osten aufzuhalten.

Um 10 Uhr verlassen wir die Autobahn, durchqueren die Altstadt, überfahren die Maas, diesen Fluß, der die Westgrenze des im "Deutschlandlied" besungenen deutschen Staatsgebietes bilden sollte. Es geht die Maas-Anhöhen hinauf, durch die einstigen französischen Linien, bis zum "Memorial de Verdun", einem Museum, das den Schlachtenverlauf und die eingesetzten Waffen und Ausrüstungsgegenstände der Soldaten zeigt.

Wir beginnen unseren Aufenthalt mit einem Rundgang durch das Memorial, um uns einen ersten Überblick zu verschaffen. Vor dem Gebäude sind Geschütze und Geschosse aufgebaut. Granaten teilweise größer als ein Mensch, mit 190 kg Sprengstoffvolumen und einer kilometerlangen Flugbahn. Die Artilleristen, die diese Geschosse in Richtung der feindlichen Linien abgefeuert haben, konnten ihre Gegner nicht sehen, haben nicht gewußt, was und wen sie getroffen hatten. Sie konnten nicht wissen, wie viele Witwen und Waisen jede einzelne Granate hinterließ.

Im Innern des würfelförmigen Gebäudes ist ein Abschnitt der Schützengräben nachgestellt. Man bekommt einen Eindruck vom Chaos, das dieses ständige Trommelfeuer angerichtet haben muß.

An der Decke hat man zwei Kampflugzeuge befestigt. In einer Vitrine sind Prothesen für die Verstümmelten ausgestellt. Betrachtet man die ausgefeilten technischen Details der hier zu besichtigenden Geschütze, die diffizile Kleinteiligkeit der unterschiedlichen Tötungsmaschinen und Geräte, so erscheinen die Hilfsmittel für das weitere Leben geradezu lächerlich plump.

Wir verlassen das Memorial und begeben uns zum wohl eindrucksvollsten und zugleich erschreckendsten Monument auf dem ehemaligen Schlachtfeld, dem Ossuaire de Douaumont - dem Beinhaus. Es ist die letzte Ruhestätte für 130.000 Tote, deren Gebeine man keinen Personen mehr zuordnen konnte.

Unser Weg führt uns linkerhand durch das Dorf Fleury-devant-Douaumont. Obwohl bis auf den letzten Stein zerstört und ohne einen einzigen Einwohner, hat es bis heute seinen Status als französische Gemeinde behalten. Der Ort besitzt eine eigene Postleitzahl, man passiert das Eingangsschild, aber da kommt nichts mehr, nur die von Granaten umgepflügte Landschaft. Lediglich eine Kapelle wurde auf dem einstigen Gemeindeterrain errichtet, an einen Wiederaufbau des Ortes war aufgrund des mit Giftgas und Munition verseuchten Bodens überhaupt nicht zu denken.

Sechzehnmal wurde Fleury-devant-Douaumont 1916 erobert, zurückgewonnen und gleich wieder verloren. Es war der äußerste Punkt, den die deutschen Truppen bei ihrem Vormarsch auf die Stadt Verdun erreichen konnten. Nach dem Krieg wurde dem Ort der Ehrentitel "Village Mort Pour La France" verliehen - Für Frankreich gestorbenes Dorf.

Will man das Gelände besichtigen, ist es immer noch ratsam, auf den Wegen zu bleiben, da weiterhin Blindgänger und anderes Kriegsgerät sowie menschliche Knochen zu finden sind. Schilder an den nachgewachsenen Bäumen weisen immer wieder auf die Gefahren hin.

Nach kurzer Fahrt erreichen wir das Gelände vor dem Beinhaus. Hier sind an diesem Samstag nur wenige Besucher unterwegs. Der große zentrale Parkplatz vor dem Ossuaire de Douaumont ist nahezu leer.

Ich habe schon viele Gedenkstätten besucht. Stets störte mich das hektische Getümmel schwatzender Menschen, wodurch ein solcher Ort zu einem reinen Touristenziel verkommt. Davon ist an diesem Samstag zum Glück nichts zu spüren. Das Beinhaus und die ihm vorgelagerten Massengräber mit den Kreuzen werden gegenwärtig instandgesetzt. Das Hundertjahresgedenken an die Schlacht von Verdun wirft seine Schatten voraus.

Das Beinhaus ist wie ein riesiges Kreuz angelegt, wobei der rechte Kreuzbalken wie ein Pfeil senkrecht und weit sichtbar in den lothringischen Himmel ragt. Im Innern befindet sich die Krypta mit den sterblichen Überresten der toten Soldaten. Man kann beim Umrunden des Gebäudes durch kleine Glasfenster in die einzelnen Kammern sehen. Knochen auf Knochen, völlig ungeordnet. Da lugt ein halber Schädel hervor, dort kleinste Splitter, da ein Oberschenkel, ein Schulterblatt. Im ersten Stock, auf der Krypta liegend, die begehbaren Kreuzbalken, halbrunde mit beigefarbenem Marmor ausgekleidete Röhren.

Nahezu jede Marmorplatte trägt einen Namen, ein Geburtsdatum, ein Sterbedatum, die Bezeichnung oder Nummer des Regiments. Irgendein Knochen unten in der Krypta gehört dann zu einem Namen. Es ist wie ein gigantisches und zugleich makabres Puzzle, das nie auflösbar sein wird.

Die katholische Kapelle darf nicht fehlen, wurden die Opfer des Völkerschlachtens doch auch im Namen des Allerhöchsten gesegnet, bevor man sie aufeinanderhetzte. So hat man die Religion, als gäbe es diese Vorgeschichte nicht, über den Toten ausgebreitet.

Im Erdgeschoß zeigt man uns einen kurzen Dokumentarfilm zum Verlauf der Schlacht und der Geschichte des Beinhauses. Dann steigen wir den Turm hinauf. Ganz oben befindet sich die Glocke, deren Geläut uns bei der Ankunft in Empfang genommen hat. Je höher wir emporsteigen, um so riesiger wird das Ausmaß der Massengräber, durch die kleinen Sehschlitze wahrnehmbar. Auf der Plattform angekommen, blickt man auf einen großen Teil des einstigen Schlachtfeldes.

Kreuz um Kreuz, Gräberfeld neben Gräberfeld - es ist die schiere Masse, die sprachlos und tief betroffen macht. Meinem Sohn entfährt ein erschrockenes und überraschtes "Oje!".

Vom Beinhaus laufen wir über das Hochplateau Thiaumont zu den Überresten des Kampfschutzbunkers P.C. 118. Es bildete eine mögliche Abstiegsstelle in Richtung der Stadt Verdun und war heftig umkämpft. Hier standen sich die Soldaten unmittelbar gegenüber, fanden die gefürchteten Grabenkämpfe statt. Diese 300 Meter blutgetränkter Erde wechselten immer wieder den Besitzer. Noch heute sieht man die Krater der Granateinschläge. Auch wenn sich die Natur nach und nach das Ihre zurückholt, sind Narben und Wunden, die der Krieg geschlagen hat, allenthalben unverkennbar.

Weiter führt uns der Weg zum ehemaligen Fort de Douaumont, der größten und wichtigsten Anlage im Befestigungsgürtel um Verdun. Durch mehrere Volltreffer und schwere Verluste der Besatzung geschwächt, fiel das Fort schon bald nach dem Angriff in die Hände der kaiserlichdeutschen Truppen, die es dann für ihre Zwecke nutzten.

Am frühen Morgen des 8. Mai 1916 explodierte ein Granaten- und Flammenwerferdepot im Inneren der Festung. Hunderte deutsche Soldaten kamen dabei ums Leben. Über 600 Leichen konnten nicht geborgen werden und wurden kurzerhand in einer Kasematte eingemauert. Dort liegen sie noch heute.

Doch bis in unsere Tage werden diese Opfer des preußisch-deutschen Militarismus von reaktionären Kreisen propagandistisch mißbraucht. Der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge errichtete ein Kreuz vor der Mauer und spricht von den "gefallenen Kameraden". Kein Wort über die Hintergründe, keines über jene, in deren Auftrag sie ihr Leben lassen mußten, ist dort zu entdecken. Man tut so, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, daß deutsche Soldaten in französischer Erde ruhen, und als wäre ihr Tod auch das Ende aller Fragen nach dem Warum.

Die letzte Station unserer Reise ist die "Tranchée des Baionettes" - der Bajonettgraben.

In der Verdun-Chronik ist von einem heftigen Feuergefecht am 12. Juni 1916 die Rede. Eine Einheit des 137. Infanterieregiments stand völlig isoliert unter deutschem Artilleriebeschuß, der so intensiv war, daß die Soldaten in ihrem Schützengraben lebendig verschüttet wurden. Als einziges Relikt und Zeugnis ihrer Existenz ragen Bajonettspitzen einige Zentimeter aus der Erde. Militärhistorisch ist diese Version sehr umstritten, wahrscheinlicher dürfte sein, daß in diesem Graben gefallene französische Soldaten mitsamt ihrer Ausrüstung notdürftig bestattet wurden, wobei man die Bajonettspitzen zur Markierung der Stelle aus dem Erdreich herausragen ließ.

Heute sind sie dort nicht mehr zu sehen. Wo man nach dem Krieg sieben Leichen exhumierte, stehen jetzt Kreuze.

Wir verlassen tief bewegt das Gelände des Schreckens, das auf einer etwa fünfzehn Quadratkilometer großen Fläche von Schützengräben durchzogen wird und treten nicht nur körperlich, sondern auch emotionell erschöpft die Heimfahrt an. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Ein rechtes Gespräch will nicht mehr aufkommen.

Dreihundert Tage dauerte die Schlacht um Verdun. 300 Tage und Nächte grauenvollsten Gemetzels um wenige Meter Boden. Am Ende der Kämpfe standen beide Armeen wieder ungefähr auf ihren Ausgangspositionen vom Februar 1916. Dem deutschen Generalstab ging es auch nicht in erster Linie um spektakulären Geländegewinn. Das Ziel bestand darin, möglichst viele Franzosen und deren Kriegsmaterial zu vernichten, um den Gegner so auszubluten, daß dessen militärische Handlungsfähigkeit zum Erliegen kommen mußte. Daß bei diesem menschenverachtenden Plan auch der Tod Hunderttausender eigener Soldaten bewußt einkalkuliert wurde, spricht Bände und überführt das imperialistische Geschwätz der Herren Generale von ihrer angeblichen Vaterlandsliebe der Lüge.

Für mich bedeutet dieser Exkurs in die jüngere deutsch-französische Geschichte, auf die einstigen Schlachtfelder um Verdun, daß man in der Aufklärung über die Hintergründe dieses Krieges nicht nachlassen darf. Der weitere Verlauf des 20. Jahrhunderts stellte Verdun - zieht man die Opferzahlen und die Brutalität der Menschenausrottung in Betracht - noch in den Schatten. Auschwitz und Hiroshima sowie das Blutbad der Stalingrader Schlacht zeugen davon.

Dennoch ist Verdun ein Sinnbild der Ursünde des 20. Jahrhunderts - des ungezügelten und vor keinem Verbrechen zurückschreckenden Imperialismus.

Stefan Marx

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Er wagte, die Zukunft zu erfinden

Thomas Sankara ging als Burkina Fasos junger Rebell in die Geschichte ein

In Quagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, erinnern noch immer Straßen und ein Platz, die seinen Namen tragen, und nicht zuletzt auch der als Wagen des Präsidenten dienende kleine Renault 5 an Thomas Sankara. Er war ein außergewöhnlicher Staatsmann. Vier Jahre lang drückte er der Politik des kleinen westafrikanischen Landes seinen Stempel auf.

Am 15. Oktober 1987 fiel der junge Offizier einem internationalen Mordkomplott zum Opfer. Thomas Sankara wurde nur 37 Jahre alt. Mitverantwortlich für die Bluttat war Blaise Comparoé, sein vermeintlicher Freund und engster Vertrauter. Er wurde Sankaras Nachfolger und ist bis heute Burkina Fasos Staatschef.

Wer war Thomas Sankara? Allein die äußere Erscheinung des Mannes beeindruckte. Attraktiv, groß und schlank, mit blitzenden dunklen Augen, stolz und würdevoll seine Drillich-Uniform tragend, stets eine geladene Pistole im Halfter an der Seite, ein rotes Barrett als Kopfbedeckung.

Er war ein ungeduldiger Intellektueller, dessen Denken in den Worten des Schweizer Menschenrechtlers und UNO-Spezialisten Jean Ziegler "eine außerordentlich kritische Schärfe und analytische Gabe" besaß. Gleichermaßen belesen in der Bibel wie im Koran verfügte er auch über Kenntnise der marxistischen Klassikerliteratur. Lenins "Staat und Revolution" würde er sogar auf eine einsame Insel mitnehmen, meinte er einmal.

Thomas Sankara, 1949 im Dorf Yako geboren, wurde vom katholischen Elternhaus sittenstreng erzogen. Er besuchte das Gymnasium in Bobo Dioulasso, spielte in der Freizeit leidenschaftlich gern Fußball und war obendrein musisch begabt - als Gitarrist der populären Band "Tout-a-Coup Jazz". Frühzeitig schon verinnerlichte der junge Mann Werte der Würde und Toleranz, der sozialen Gerechtigkeit und selbstlosen Hilfsbereitschaft gegenüber anderen Menschen. "Sankara ist der Schöpfer eines Traums, einer neuen und mächtigen Berufung", schrieb Jean Ziegler.

Den Ungestümen zog es zum Militär. Sankara wurde Fallschirmjäger der Luftwaffe Obervoltas, besuchte Militärakademien und -schulen auf Madagaskar, in Marokko und Frankreich. Recht bald wurde er zum Capitaine (Hauptmann) befördert. Auch die politische Karriere des ehrgeizigen Offiziers führte steil nach oben. Noch im Rahmen des alten Machtgefüges war er Staatssekretär im Informationsministerium (1981), danach Premierminister unter der Präsidentschaft von Jean-Baptiste Ouedraogo (1983).

Am 4. August 1983 gelangte Thomas Sankara durch einen Militärputsch an die Macht. Fortan war der "Conseil National de la Revolution" - der Nationale Revolutionsrat - oberstes Machtorgan im Lande. "La Patrie ou la Mort, nous vaincrons" (Vaterland oder Tod - wir werden siegen), war Sankaras den Kubanern entliehene Parole. Seine prophetischen Worte, am Abend jenes Tages in der Hauptstadt verkündet, bildeten den Auftakt zur Revolution. Zugleich handelte es sich um einen Aufstand der Moral. Der Kampf gegen die Korruption war für den jungen Rebellen ein vorrangiger Auftrag. Rhetorisch hochbegabt, vertraute Thomas Sankara der Mobilisierungskraft seines Wortes. Er beherrschte die Sprache des Volkes, bedenkend, daß seine Zuhörer einer "afrikanisch-oralen Zivilisation" entstammten. Seine Maxime war, als Militär bei allen Aktionen mutig voranzugehen und dabei stets bescheiden aufzutreten.

Der Revolutionsführer, nun der fünfte Präsident des Landes, und seine Gefährten hatten ein schweres Erbe übernommen. Obervolta ist eines der ärmsten Länder der Welt mit rückständiger Industrie, maroder Landwirtschaft, schwach entwickelter Infrastruktur, defizitärem Staatsbudget, hoher Kindersterblichkeit und einer Lebenserwartung von 40 Jahren sowie 90 % Analphabeten. Doch Sankara und dessen Mitstreiter waren willens - gestützt auf die Armee und progressive zivile Kräfte - eine neue Gesellschaft zu errichten: unabhängig, frei und eigenständig, kämpfend gegen soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Knechtschaft durch imperialistische Mächte. Allein die von Sankara initiierte indigene Namensänderung des Staates kündete von dem angestrebten Wandel: Aus Obervolta wurde - im zweiten Jahr nach Sankaras Amtsantritt - Burkina Faso, das "Land der Aufrechten".

In seiner programmatischen Rede vom 2. Oktober 1983, die gleichsam zur Gründungscharta der Revolution wurde, kennzeichnete Thomas Sankara die tragenden Säulen des Umwälzungsprozesses: eine tiefgreifende Agrar-, Verwaltungs- und Bildungsreform. Deren Realisierung verlief zum Teil recht erfolgreich. Alles begann mit der ersten wahrlich außergewöhnlichen Verfügung des Präsidenten: Sämtliche Privilegien wurden abgeschafft, die das alte Regime vorzugsweise dem aufgeblähten Beamtenapparat gewährt hatte. Die Mercedes-Limousinen ersetzte man durch Kleinwagen vom Typ Renault 5, die Flüge erster Klasse für Staatsbeamte wurden gestrichen, die Beamtengehälter reduziert und dem Landesdurchschnitt angepaßt.

Die größte Errungenschaft war jedoch die Selbstversorgung der Burkinabé mit Nahrungsmitteln. Hierzu sagte Sankara: "Unser Land erzeugt genug, um uns selbst zu ernähren. Lebensmittellieferungen lähmen uns. Sie verfestigen in unseren Köpfen die Vorstellung, daß wir Bittsteller oder Bettler sind ...!" Deshalb lautete seine rigorose Forderung: Selbst anbauen, selbst verarbeiten und selbst verbrauchen. Das Ergebnis war erfreulich: Binnen weniger Jahre konnte Burkina Faso neben gesicherter Eigenversorgung sogar Nahrungsgüter in Nachbarländer exportieren. Beachtlich waren zudem die Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und - geradezu beispielhaft für Afrika - Umweltschutz. "Wir haben eine Gesundheitsstation pro Dorf eingerichtet ­... Schulen gebaut, die Einschulungsrate verdoppelt; sie ist von 12 % auf über 23 % gestiegen", bemerkte Sankara stolz in einem Interview, das er der deutschen Journalistin Inga Nagel am 4. Oktober 1987 - kurz vor seinem Tode - gab.

Burkina Faso war auch Vorreiter bei einer umfassenden Impfaktion. Innerhalb von 14 Tagen wurden 2,5 Millionen Kinder gegen Masern, Hepatitis und Gelbfieber immunisiert. Und schließlich fanden die drakonischen Maßnahmen im "titanischen Kampf gegen den Vormarsch der Wüste" weit über den Kontinent hinaus starke Beachtung. Es erfolgte die Anpflanzung von Millionen Bäumen. "Seit bald drei Jahren wird in Burkina Faso jedes Familienfest mit dem Pflanzen eines Baumes gefeiert", erklärte der Präsident 1986 auf einer Umweltkonferenz in Paris.

Die besondere Fürsorge galt der Frauenförderung. Auf diesem Gebiet war die Politik Burkina Fasos durch starkes Bemühen um Gleichberechtigung und Chancengleichheit, das Verbot der sexuellen Verstümmelung und die Ächtung der Prostitution bestimmt. Der humanistischen Erziehung der Kinder, frei von Egoismus und Habgier, wurde große Aufmerksamkeit gewidmet. Auf internationaler Ebene trat Thomas Sankara für die Verwirklichung seiner Vision von der Enheit Afrikas ein. Überdies knüpfte er Kontakte zur Sowjetunion und zu Kuba. Dabei beeindruckte ihn vor allem eine Begegnung mit Fidel Castro auf der Konferenz blockfreier Staaten, die 1983 in Neu Delhi stattfand. Er bekundete Solidarität mit den Sandinisten Nikaraguas und führte intensive Gespräche mit Ghanas Präsident Jerry Rawlings. In seinen argumentativ-kraftvollen Reden vor der UNO-Vollversammlung in New York und der OAU-Konferenz in Addis Abeba verurteilte er die imperialistische Unterdrückungspolitik, namentlich Frankreichs als vormaliger Kolonialmacht, und forderte einen Schuldenerlaß für die Staaten Afrikas.

Bei all dem bleibt die Frage aller Fragen: Warum scheiterte Burkina Fasos "Augustrevolution"? Subjektive Fehlentscheidungen und - damit verbunden - objektiv entwicklungshemmende Faktoren führten zum jähen Abbruch der revolutionären Phase. Vor allem war die Vertrauensseligkeit des Revolutionsführers verhängnisvoll. Aufgrund seines integren Charakters und mangelnder politischer Erfahrung war Thomas Sankara dem Ränkespiel seiner Gegner um Macht und Einfluß in keiner Weise gewachsen. Eine "soldatische Manier" prägte das gesamte gesellschaftliche Leben, verbunden mit oftmals forschem Vorgehen zur Durchsetzung der Revolutionsziele. Charakteristisch dafür war die wenig durchdachte Handlungsweise bei der notwendigen politischen Reorganisation der Gesellschaft. Dazu gehörten u. a. die Abschaffung der Gewerkschaften, totales Streikverbot und die Massenentlassung von Lehrern. Politische Organisationen wurden landesweit durch "Comités de Défense de la Revolution" (CDR) ersetzt. Im Urteil Jean Zieglers waren diese jedoch "ein wenig vertrauenerweckendes, gebrechliches und unsicheres Instrument". Die Revolutionäre verkannten den tatsächlichen Bewußtseinsstand der Massen, deren tiefverwurzelte, über Jahrhunderte tradierte Denkarten und Verhaltensnormen.

Für viele Burkinabé kamen die verordneten Maßnahmen zu schnell, waren sie zu radikal. Sankara und seine Gefährten unterschätzten zugleich auch den beträchtlichen Einfluß der traditionellen ländlichen Oberschicht auf die Bauernschaft - die Mehrheit der Bevölkerung. Deren totale Entmachtung, namentlich der Mossi-Herrscher, war ein schwerwiegender strategischer Fehler, wurden sie doch so zu den ärgsten Feinden der Revolution.

Die eklatanten Fehlentscheidungen der Sankara-Führung spielten deren Feinden in die Hände. Blaise Compaoré, der neue Machthaber, holte zum Gegenschlag aus. Nach dem Mord an Sankara begann er umgehend mit der Realisierung seiner konterrevolutionären Strategie zur "Korrektur der Revolution". Mit Thomas Sankara starb die "Augustrevolution". In der Folgezeit wurden Schritt für Schritt deren wesentliche Errungenschaften zunichte gemacht. Heute ist die Korruption im Lande wieder allgegenwärtig. Burkina Faso befindet sich abermals im Würgegriff vor allem französischer Konzerne und Kapitalgesellschaften. Längst muß das Land wieder Lebensmittel einführen. Die Zahl der Analphabeten ist in den vergangenen Jahren erneut angestiegen.

Alles in allem: Burkina Faso gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. Was bleibt?

Das achtungsvolle Erinnern an eine herausragende, selbstbewußte, eigenwillig-starke Persönlichkeit, einen außergewöhnlichen Staatsmann mit edlem Charakter, einen jungen Rebellen eben, dessen großer zukunftsorientierter Entwurf einer ausbeutungsfreien, sozial gerechten Gesellschaft in seiner kurzen Regierungszeit weit über Afrika hinaus beträchtliches Aufsehen erregte. Sankaras Integrität, Unbestechlichkeit und selbstlose Bescheidenheit wie sein Charisma rechtfertigen sicher, einen historischen Vergleich mit Patrice Lumumba anzustellen.

Auch der erste Ministerpräsident des von belgischer Kolonialherrschaft befreiten Kongo zählte nur 36 Jahre und fiel im Januar 1961 ebenfalls einem vom Ausland gesteuerten Mordkomplott zum Opfer.

Am 15. Oktober 2012 - seinem 25. Todestag - pilgerten abermals Tausende (junge Leute voran) zur Grabstätte ihres Präsidenten auf dem Friedhof von Dagnoin vor den Toren der Hauptstadt, um ihr großes Vorbild zu ehren.

Thomas Sankara, der ewig junge Capitaine, Hoffnungsträger im Ringen um eine bessere Welt, lebt in den Herzen vieler Menschen seiner Heimat Burkina Faso und weit darüber hinaus fort.

Dr. Wolfgang Semmler, Bernau

Unser Autor ist Afrikanist.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Den "alten Eliten" ein Dorn im Auge
- Der Revolutionär war auch ein talentierter Gitarrist
- Marktszene in Burkina Faso
- Das Essen wird zubereitet

Ende RF-Extra

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Der britische Gewerkschaftsautor Owen Jones wirft die Frage auf:

Gibt es eigentlich noch Proleten?

Auch unter Linken wird oftmals die Frage gestellt: Gibt es denn die Arbeiterklasse überhaupt noch? Bleibt es deren historische Mission, die sozialistische Umwälzung zu vollziehen und den Weg zur klassenlosen Gesellschaft zu bahnen? Ist inzwischen nicht alles ganz anders als im 19. oder 20. Jahrhundert? Marxistische Wissenschaftler widmen dieser Thematik gründliche Analysen und leiten daraus Prognosen ab. Es ist das Verdienst des jungen britischen Historikers und Journalisten Owen Jones, am Beispiel Englands - des klassischen Landes des Kapitals - nachzuweisen: Es gibt sie nach wie vor, sie bildet in den entwickelten Industriestaaten sogar die ausgebeutete Mehrheit. Wie eh und je verhöhnen die Sieger auf Zeit die heute noch Besiegten.

Im Mai 2012 erschien im Mainzer Verlag André Thiele ein Buch mit dem Titel "Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse". Streckenweise liest es sich wie eine Aktualisierung der berühmten Schrift "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" von Friedrich Engels. Dieser hatte sein Werk vor fast 170 Jahren nach gründlichen Studien vor Ort zu Papier gebracht. Der Verlag nannte das Buch von Owen Jones "Prolls" - der englische Titel lautet "Chavs". Was besagen diese Worte? Im Duden finden wir dazu: "Prolet, ungebildeter, ungehobelter Mensch". "Chav" steht für "Council housed and violent" (wohnt in einer Sozialwohnung und ist gewalttätig). Dieses Wort umfasse "... alle negativen Vorstellungen von der Arbeiterklasse: Brutalität, Faulheit, minderjährige Mütter, Rassismus, Alkoholismus", schreibt Jones.

Sein Buch ist in mehrfacher Hinsicht von Wert: Es räumt mit der unsinnigen Behauptung auf, heute gäbe es keine Arbeiterklasse mehr. Übrigens können auch in Deutschland derzeit 88 % der erwerbsfähigen Bürger ihren Lebensunterhalt nur durch Verkauf ihrer Arbeitskraft bestreiten und gehören somit soziologisch zur Arbeiterklasse! Daß die stürmische Entwicklung der Produktivkräfte, besonders in den letzten Jahrzehnten, zu ganz erheblichen Veränderungen im Arbeitsprozeß und folglich auch in der Struktur der Klasse geführt hat, ändert am Wesen der Sache nichts. Wie im 19. und 20. Jahrhundert unternimmt die Bourgeoisie alles, um sicherzustellen, daß die Ausbeutung höchstmögliche Profite abwirft. Sie spielt dabei verschiedene Kategorien ihrer Lohnsklaven gegeneinander aus, um Kosten und Sozialausgaben so niedrig wie möglich zu halten. Eine besondere Rolle fällt den bürgerlichen Massenmedien zu, die für die Manipulation der öffentlichen Meinung, für Diskriminierung und Dämonisierung zuständig sind. Jones untersucht besonders die durch den Thatcherismus der Konservativen und durch New Labour rechter Sozialdemokraten angewandten Methoden.

Da wird suggeriert: Wer arbeiten will, bekommt auch einen Job. Zitiert wird ein Tory, der berichtet, sein Vater habe "sich aufs Fahrrad geschwungen und so lange nach Arbeit gesucht, bis er sie fand". Daraus entstand das geflügelte Wort: Bist du arbeitslos, hast du Schwierigkeiten, weißt du nicht mehr weiter - "schwing dich aufs Fahrrad".

Auch in Großbritannien wird behauptet: "Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg." Jones enthüllt dabei die Sicht der Unternehmer: Ausländer sind billiger und arbeiten härter. "Warum soll man einen Briten einstellen, der mehr kostet und weniger bringt?"

Der Autor analysiert neben Produktivitätswachstum, Gewinnsteigerung und Lohnabbau, Arbeitszeitverlängerung und Erwerbslosigkeit auch die Folgen der "Globalisierung", der Abwanderung von Unternehmen in Billiglohn-Länder. 1979 gab es in England sieben Millionen Industrie-Arbeitsplätze, heute sind es nur noch 2,8 Millionen. Wir finden konkrete Angaben, wie der Lebensstandard der britischen Arbeiter sank, die Arbeitslosigkeit zunahm, das Vermögen der Reichen allein von 2009 zu 2010 um 30 % anwuchs. Nicht wenige Arbeiter kämpfen ums nackte Überleben, ihre Kinder finden keinen Job, die Gewerkschaften wurden zerschlagen, der soziale Wohnungsbau eingestellt. Etliche zwang man, ihre Wohnungen zu kaufen. Sie haben "jetzt schreiende Angst davor, ... ihre Raten nicht mehr zahlen zu können" und auf die Straße zu fliegen.

Unter Verweis auf Marx definiert Jones die Arbeiterklasse als "die Klasse derjenigen, die für andere arbeiten, um über die Runden zu kommen".

Das sind nicht nur jene, welche manuelle Tätigkeiten verrichten; auch kleine Angestellte, Verkäufer, Lehrer, Krankenschwestern, Zugführer und viele andere gehören dazu. Dienstleistungsjobs sind zwar in der Regel sauberer, aber noch unsicherer als Arbeitsplätze in der Industrie. Überdies werden sie schlechter bezahlt. Fast eine Million Briten sitzt mit Kopfhörern an langen Tischreihen in Call-Centern. Sie dürfen kein einziges Wort miteinander wechseln, der Computer kontrolliert sie, diktiert ihre Arbeitszeit, registriert sogar die Minuten des Gangs zur Toilette. Sichere Vollzeit-Arbeitsplätze gibt es kaum noch, dafür aber unbezahlte Überstunden, gering entlohnte Teilzeitkräfte und Leiharbeiter in Hülle und Fülle. Die Trinkgelder von Kellnern und Friseuren sind mit dem Lohn zu verrechnen. Von den Mindestbeträgen, die gesetzlich festgelegt sind, kann niemand leben. Somit ist Arbeit kein Ausweg aus der Armut, es gibt auch immer mehr als "working poor" Bezeichnete.

Schon Engels spricht vom Proletariat als der "unterdrückten und verleumdeten Klasse". Jones beweist, wie bequem es ist, die Existenz der Arbeiterklasse zu leugnen und zugleich mit dem "Zerrbild des Prolls das wirkliche Leben der meisten Arbeiter" zu verfälschen. Arme Proletarier würden als "faul, spießig, lüstern und schmutzig dargestellt", kaum noch als Menschen erkennbar, liest man bei Jones. Demgegenüber suggerierten die Medien, die Reichen seien nur deshalb reich, weil sie besonders hart arbeiteten, während die "Prolls" das Leben unbegabter Drückeberger führten. Die Opfer der sozialen Misere hätten diese selbst verschuldet. In Comedy Shows werden alleinstehende Mütter aus der Arbeiterschaft als sexbesessener und asozialer Abschaum präsentiert. Arme seien Versager, faule und willensschwache Schmarotzer. "Der Proll-Haß soll eine ungerechte Gesellschaft rechtfertigen, ist Klassenkampf", schreibt Jones.

Ohne Zweifel gibt es einen Zusammenhang zwischen Jobverlust, Armut und Perspektivlosigkeit auf der einen und Kriminalität, Drogenmißbrauch und Alkoholismus auf der anderen Seite. Dabei handelt es sich aber vor allem um ein gesellschaftliches Phänomen.

Natürlich existiert das von Marx und Engels analysierte Lumpenproletariat. Es ist aber nicht mit der Arbeiterklasse gleichzusetzen. Hier handelt es sich um einen Bodensatz Deklassierter, die sogar nicht selten aus den besitzenden Klassen stammen, von diesen aber ausgestoßen wurden, ohne dadurch Proletarier zu werden.

Owen Jones (Jahrgang 1984) stammt aus der Gegend von Manchester und hat für Gewerkschaften und Labour-Abgeordnete gearbeitet. Er schreibt in großen englischen Zeitungen. Das Buch über die Dämonisierung der Arbeiterklasse ist sein Erstlingswerk - ein vielversprechender Beginn. Es beweist sehr anschaulich die Aktualität der marxistischen Theorie. Der Autor vermag die Frage, wann, auf welchem Wege und unter welcher Führung die Klasse ihre historische Mission erfüllen wird, nicht zu beantworten.

Dr. Ernst Heinz

Owen Jones: Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse. Verlag André Thiele, Mainz 2012. 318 Seiten. 18,90 Euro. ISBN 978-3-940884-79-4

André Thiele hat dem "RotFuchs" eine Auswahl von Büchern für RF-Aktivisten aus seinem Verlag geschenkt. Wir bedanken uns herzlich!

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Die Brut des Banditen Bandera

Wurzeln und Ideologie der ukrainischen Faschistenpartei "Swoboda"

Zu den Ergebnissen der Parlamentswahlen vom 28. Oktober 2012 gehört der Einzug der ultranationalistischen "Allukrainischen Bewegung Swoboda" (Freiheit) mit einem Stimmenanteil von 10,44 % und 37 Mandaten in die Oberste Rada. In 12 Kreisen setzten sich die Bewerber nach dem geltenden Mehrheitswahlprinzip unmittelbar durch.

Das geschah im Ergebnis einer vor den Wahlen getroffenen Absprache zwischen "Swoboda" und dem prowestlichen Parteienbündnis "Vaterland" von Julia Timoschenko. Danach sollte jeweils der Kandidat durch die Anhänger beider Parteien favorisiert werden, der die besten Aussicht hatte, den Wahlkreis zu erobern. Nach der Abstimmung haben die Timoschenko-Partei, Klitschkos UDAR (Schlag) und "Swoboda" erklärt, im Parlament zusammenarbeiten zu wollen. Das Zustandekommen dieser "Koalition" demaskiert nicht nur "Vaterland" und UDAR, sondern auch deren Förderer in EU und NATO.

"Swoboda" ist aus der 1991 gegründeten "Sozial-Nationalen Partei der Ukraine" (SNPU) hervorgegangen. Diese war unter allen nach der Zerschlagung der Sowjetunion in der Ukraine entstandenen nationalistischen Organisationen jene, welche am wenigsten ihre ideologische Nähe zum deutschen Faschismus zu verbergen suchte.

Die von "Swoboda" gewählte offizielle Bezeichnung ihrer Ideologie als "Sozial-Nationalismus", der sich sogar verbal an den "Nationalsozialismus" der NSDAP anlehnt, verdeutlicht das besonders. Auch das offizielle Parteisymbol - eine modifizierte Wolfsangel - spricht Bände. Diese war das Erkennungszeichen der SS-Division "Das Reich" und dient heute neofaschistischen Organisationen Europas als Signum.

Das politische Programm der SNPU zeichnete sich nicht nur durch ukrainischen Ultranationalismus aus, sondern forderte notfalls auch eine gewaltsame Machtergreifung. Es war extrem antirussisch. Nennenswerten Anklang bei den Wählern vermochte diese Partei damit jedoch nicht zu finden. Bei den Parlamentswahlen im Jahre 1998 kam sie im Block mit einer anderen Gruppe ähnlicher Couleur landesweit nur auf 0,16 %. Allerdings konnte Oleh Tjahnybok - einer der SNPU-Führer - schon damals in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lwow) ein Direktmandat erringen.

Die magere Resonanz dürfte den Anstoß dafür gegeben haben, 2004 einen Kongreß der Neugründung einzuberufen, auf dem eine Modifizierung des äußeren Erscheinungsbildes erfolgte. Statt der anrüchigen Bezeichnung "Sozial-Nationale Partei" nannte sie sich fortan "Allukrainische Bewegung Swoboda". Abgeschafft wurde auch das nazistische Parteisymbol. Man ersetzte es durch einen stilisierten Dreizack - das ukrainische Staatssymbol -, der aus drei Fingern der rechten Hand besteht. Oleh Tjahnybok, der als Parlamentsabgeordneter einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte, trat an die Spitze der Partei.

Die kosmetischen Veränderungen erfolgten indes unter Beibehaltung der ideologischen Prinzipien aus SNPU-Tagen.

"Swoboda" nutzt weitgehend jene Schablonen, auf die Hitlers Faschistenpartei während der Weimarer Republik ihren Einfluß gründete und auf die heute die NPD sowie andere neonazistische Organisationen der BRD ihre Propaganda stützen: ungezügelte soziale und chauvinistische Demagogie, Feindschaft gegen andere Rassen und Nationen. Die "Swoboda"-Führer predigen Haß gegen Rußland und alle ethnischen Russen. Sie sind rabiat antisemitisch. Tjahnybok behauptete öffentlich, die Ukraine werde von einer "jüdisch-russischen Mafia" regiert.

Außenpolitisch fordert "Swoboda" den Austritt der Ukraine aus allen eurasischen Bündnissen, an denen Rußland beteiligt ist, vor allem aber aus der GUS, sowie eine Baltikum-Schwarzmeer-Achse. In den baltischen Staaten werden bekanntlich dortige SS-"Veteranen" als Nationalhelden verehrt. "Swoboda" verlangt den Status einer Atommacht für die Ukraine.

Die Faschistenpartei stellt sich voll und ganz in die Tradition der ukrainischen Nazi-Kollaborateure, vor allem der extrem antikommunistisch, antipolnisch und antisemitisch ausgerichteten "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) und der "Ukrainischen Aufständischen Armee" (UPA), deren Führer Bandera und Schuschewitsch zu ihren Ikonen gehören.

Die OUN und von ihr formierte Einheiten der Hilfspolizei wüteten nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion unter polnischen und jüdischen Menschen. Sie verübte grausamste Verbrechen, die sich gegen Vertreter der Sowjetmacht und Partisanen der Roten Armee richteten.

Nach vorliegenden Angaben sollen von ihnen bis Ende 1943 bis zu 60.000 polnische Männer, Frauen und Kinder ermordet und mehr als 1000 Dörfer Polens zerstört worden sein. Der israelische Historiker Aaron Weiss geht davon aus, daß allein in der Westukraine etwa 28.000 Juden von ukrainischen Nationalisten umgebracht wurden. Mit Unterstützung der OUN gebildete ukrainische Polizeieinheiten waren auch an den unbeschreiblichen Massakern der SS unter Juden in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew beteiligt.

Bereits vor dem hitlerfaschistischen Überfall auf die UdSSR hatte die Abwehr des Admirals Canaris auf deutschem Boden mit der Formierung einer aus Nationalisten rekrutierten Söldnerarmee - der "Ukrainischen Legion" - begonnen. Zu ihr zählte auch das berüchtigte Bataillon "Nachtigall". Dessen ukrainischer Kommandeur Schuschewitsch diente später als politischer "Berater" des Adenauer-Ministers Oberländer. Ende Juni 1941 war diese Einheit maßgeblich an der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung von Lwow beteiligt, in deren Verlauf 7000 Menschen ermordet wurden. Später kam die "Ukrainische Legion" - hier war Schuschewitsch stellvertretender Kommandeur - gegen sowjetische Partisanen zum Einsatz. Sie verübte in Belorußland und auf polnischem Boden grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

Als sich nach der Wende des Kriegsverlaufs die Niederlage der deutschen Faschisten immer deutlicher abzeichnete, formierte die OUN aus vorherigen Nazikollaborateuren die "Ukrainische Aufständische Armee" (UPA), die unter Beibehaltung des Hauptstoßes gegen die Rote Armee und die sowjetischen Partisanen auch Schläge auf zurückweichende Wehrmachtseinheiten in der Hoffnung führte, die Ukraine unter ihre totale Kontrolle bringen zu können. Nach der endgültigen Niederwerfung Hitlerdeutschlands und dem Sieg der Roten Armee zogen marodierende Überreste der UPA bis zu ihrer völligen Zerschlagung in den 50er Jahren als mordende und plündernde Banden durch die Wälder. Mit Hilfe Banderas rekrutierte die deutsche Abwehr noch gegen Kriegsende und auch später aus OUN-Mitgliedern und UPA-Resten Diversanten für den Einsatz in der Sowjetunion.

Nach dem Sieg der Konterrevolution in der Ukraine, besonders aber seit der "Orangenen Revolution" Juschtschenkos und Timoschenkos, finden zu den Jahrestagen der UPA-Gründung, vor allem in der Westukraine, nationalistische Zusammenrottungen statt. Zu Ehren Banderas und Schuschewitschs, denen der "orangene" Präsident Juschtschenko während seiner Amtszeit den Titel "Held der Ukraine" verlieh, wurden Denkmäler errichtet und sogar die Jahrestage der 1943 aufgestellten SS-Division "Galizien" gefeiert. Bei all dem tun sich "Swoboda" und deren entsprechend uniformierte Jugendorganisation "Patriot der Ukraine" besonders hervor.

Willi Gerns, Bremen

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Cunhals PCP hält klaren Kurs

Portugals 60.000 organisierte Kommunisten "stehen in den Schuhen" der Aprilrevolution von 1974

Drei Tage lang - vom 30. November bis zum 2. Dezember - berieten in Almada, einer 170.000 Einwohner zählenden Arbeiterstadt am Südufer der Tejo-Bucht, 1200 Delegierte der PCP auf deren XIX. Parteitag. Die Mehrzweck-Sporthalle der durch ihre langjährige Tradition als Standort der portugiesischen Werftindustrie weltweit bekannt gewordenen Stadt in Sichtweite der Metropole Lissabon war nicht zufällig von Portugals Marxisten-Leninisten als Tagungsort ausgewählt worden. Almada wird nämlich wie andere proletarische Zentren südlich des Tejo seit dem 1974 erfolgten Sturz des faschistischen Caetano-Regimes kommunalpolitisch ohne Unterbrechung von den Kommunisten regiert. So war es nur folgerichtig, daß Maria Neto de Sousa - PCP-Bürgermeisterin der malerisch gelegenen Stadt unweit des Atlantik - die Abgesandten von mehr als 60.000 Parteimitgliedern in dieser roten Zitadelle einer klassenbewußten Arbeiterschaft begrüßte.

Dem Parteitag gingen 1257 Versammlungen und Delegiertenkonferenzen auf unterer und mittlerer Ebene voraus. In Almada bekannten sich die Genossen der Partei des ebenso genialen wie unvergessenen langjährigen PCP-Generalsekretärs Alvaro Cunhal, die heute durch den kampfgestählten Metallarbeiterführer Jeronimo de Sousa geleitet wird, nicht nur zum Erbe der Aprilrevolution. Sie analysierten zugleich gründlich die aktuellen Situation ihres krisengeschüttelten Landes. Dabei war der "Traum von einer anderen Gesellschaft - dem Sozialismus" allgegenwärtig, wie es eine junge Delegierte gegenüber "Solidaire" ausdrückte.

Es ist unglaublich, was die etwa 11 Millionen Portugiesen Angela Merkels EU alles zu "verdanken" haben: 1,4 Millionen Arbeitslose, fast drei Millionen unterhalb der Armutsschwelle Vegetierende oder Rentner, die sich mit 300 bis 400 Euro im Monat durchschlagen müssen. Brüssel läßt keine Möglichkeit aus, den Portugiesen - zunächst im Komplott mit der rechtssozialistischen Regierung unter José Socrates, jetzt im Bunde mit der ultrareaktionären PSD/CDS-Koalition unter Pedro Passos Coelho - die Luft abzuschnüren. Ein "Sparprogramm" mit drastischen Lohn-, Gehalts- und Renteneinbußen jagt das andere. Die nicht enden wollende Rezession reißt die iberische Republik immer tiefer in den Abgrund. So ist Lusitanien auch das einzige Land Europas, in dem sich etwa 10.000 Polizisten und Armeeangehörige unter die Demonstranten gemischt haben - nicht, um sie wie anderswo niederzuknüppeln, sondern, um sich dem Protest der werktätigen Massen anzuschließen.

Als "Aggressionspakt" bezeichnen inzwischen nicht nur die Kommunisten das Diktat der berüchtigten Troika aus EU-Kommission (aparterweise unter dem rechtsgerichteten früheren portugiesischen Regierungschef José Manuel Barroso), Europas Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds. Diesem Räuberpakt des Finanzkapitals gegen die Völker Europas haben sich Millionen Portugiesen durch eine ganze Serie von Generalstreiks und andere Kampfformen widersetzt. Bei all dem spielt die klassenkämpferische nationale Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical, deren Generalsekretär dem ZK der PCP angehört, die entscheidende Rolle. Dabei geben Aktivisten vieler Bereiche - von Künstlern über Metallarbeiter und Agrarproletarier des Alentejo bis zu Studenten - ein Beispiel der Kampfbereitschaft. Längst stehen auch von der Krise an die Wand gedrückte Handwerker und Kleinunternehmer mit in jener breiten Front, welche den Kurswechsel fordert - eine patriotische Alternative zur Politik des nationalen Ausverkaufs. "Für ein Ende der Unterwerfung gegenüber Brüssel, für eine gerechte Umverteilung der Reichtümer des Landes!" heißt deren Hauptlosung.

Die PCP - 1974/75 führende Kraft beim Vormarsch wie beim geordneten Rückzug der Aprilrevolution, dem bisher weitreichendsten Versuch einer antikapitalistischen Umwälzung in einem Mitgliedsstaat von NATO und EU - hat ihre derzeitigen Prioritäten klar abgesteckt. Auf dem XIX. Parteitag wurde der "Bruch mit dem Aggressionspakt", das Ende der seit 36 Jahren anhaltenden alternativlosen Ablösung einer Rechtsregierung durch die nächste gefordert. Die PCP bezeichnet die EU als "politisches Instrument zur Beherrschung Europas durch das Großkapital" und stellt fest: "Dieses Europa ist nicht reformierbar. Der Weg zu einem anderen Europa, zu einem Europa der Völker, führt nur über die Niederlage des sogenannten Prozesses der europäischen Integration."

Dafür kämpfen Portugals Kommunisten, aber auch viele ihrer uneingeschränkten oder partiellen, ständigen oder zeitweiligen Verbündeten.

Der Masseneinfluß der Partei Alvaro Cunhals und Jeronimo de Sousas ist trotz des Sieges der Konterrevolution ungebrochen. So nehmen Jahr für Jahr im September am Fest der PCP-Zeitung "Avante!" etwa 300.000 Menschen teil. Bei Parlamentswahlen entfielen zuletzt 8 % aller Stimmen auf die Liste der auch im Europaparlament vertretenen Partei.

"Wir kämpfen für eine andere Gesellschaftsordnung - den Sozialismus", wurde in Almada erneut bekräftigt. Für den Weg dorthin verfügen die Marxisten-Leninisten der PCP über eine geschliffene Waffe: ihr alle Sphären der Politik, Ökonomie, Kultur und Gesellschaft erfassendes Programm einer "fortgeschrittenen Demokratie".

RF, gestützt auf "Avante!", Lissabon, und "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Blick in die Mehrzweck-Sporthalle von Almada, wo der XIX. Parteitag seine Beratungen abhielt

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Wird Mali zu einem "neuen Afghanistan"?

In jüngster Zeit ist in der BRD, die schon mit der "völlig selbstlosen" Bereitstellung von "Patriot"-Raketensystemen für den NATO-Partner Türkei "im Zuge der Friedenssicherung" alle Hände voll zu tun hat, von "eventuell notwendiger Hilfe" auch für Mali die Rede. Merkels Außenminister Westerwelle, dem staatsmännisches Gehabe anstelle von Dekor buchstäblich das Letzte abverlangt, reiste im Herbst 2012 nach Bamako, um sich an Ort und Stelle von Malis "Schutzbedürftigkeit" und dem eigentlichen Objekt bundesdeutscher Begierde ein Bild zu machen.

Was steckt dahinter? Mali gehört zu jenen Staaten der afrikanischen Sahelzone, auf deren bislang erst zum Teil erschlossene Ressourcen der durch die BRD angeführte EU-Imperialismus besonders abhebt. Diesmal geht es außer um Uran und Gold, die vor allem in Niger und Mali reichlich zu finden sind, um ein weit höher stehendes Ziel: die Sonne über der Sahara. Siemens hat zu ihrer Nutzbarmachung ein gigantisches Projekt unter der Bezeichnung "Desertec" entwickelt. Innerhalb von nur sechs Stunden fangen die afrikanischen Wüsten (deserts) nämlich mehr Sonnenenergie ein, als die Menschheit in einem Jahr verbrauchen könnte, läßt die Desertec-Stiftung auf ihrer Website wissen. Die Konzernväter des Projekts verfolgen die Absicht, diese enormen Ressourcen in elektrischen Strom umzuwandeln und über ein gewaltiges Netz von Hochspannungsleitungen "nach Europa" - natürlich vor allem in die BRD - zu leiten. Im Jahr 2050 sollen mindestens 15 % allen Stroms, der in Europa verbraucht wird, aus der Sahelzone kommen. Die Kosten dafür werden vorerst auf 400 Milliarden Euro veranschlagt.

Dieses Panorama bisher ungeahnter Profitaussichten erhellt nicht nur zivile, sondern auch militärische Hintergründe des Agierens an der Region "interessierter" Staaten.

Im Oktober 2002 gab das Pentagon den Startschuß zur "Pan Sahel Initiative". Es handelte sich dabei um ein Programm der US-Regierung zur "Zusammenarbeit" mit den auf Grund ihrer geographischen Lage unmittelbar involvierten Staaten Mali, Niger, Tschad und Mauretanien. Vorgesehen wurden gemeinsame Manöver sowie "Ausbildungshilfe" für Truppen dieser afrikanischen Länder. 2004 wurde das Programm dann jedoch durch die Trans-Saharan Counter-Terrorism-Initiative (TSTCI) abgelöst, bei der es vor allem um die Bekämpfung von "Störenfrieden" geht, die den Plünderern von Bodenschätzen und Energie in der Sahelzone ins Handwerk pfuschen könnten. Seit 2005 hat alljährlich eine sogenannte Operation Flintlock unter Einbeziehung von Streitkräften imperialistischer und afrikanischer Staaten stattgefunden. 2011 nahmen an der durch die US-Kommandozentrale AFRICOM (Sitz: Stuttgart) koordinierten Übung Verbände der USA, Kanadas, Frankreichs, der Niederlande, Spaniens, Malis, Burkina Fasos, Tschads, Mauretaniens, Nigers, Nigerias und Senegals teil.

Um auszuschließen, daß die BRD bei diesem sinistren Spiel auch künftig nicht mit von der Partie sein könnte, werden in Berliner Ministerien Pläne geschmiedet, wie man in das Boot mit einsteigen könnte. Vor allem geht es darum, die über die gesamte Sahelzone verteilten kriegserfahrenen Nomadenstämme der Tuareg, die sich zu Zeiten Gaddafis in Libyen konzentrierten und jetzt erneut gen Süden gezogen sind, aus Mali zu vertreiben.

Bei der vorgespiegelten Sorge über die erfolgte Eroberung des nördlichen Teils von Mali durch die Tuareg geht es sowohl um Einmischung als auch um eigenes Fußfassen. Das ist der ernste Hintergrund für Westerwelles eigentlich eher belustigendes Staatsmann-Spielen in Bamako. Der deutsche Imperialismus, der das Sahelprojekt anschob, bevor Paris mit einem ähnlichen Vorhaben nachziehen konnte, will auch in Mali - einem Land von der Größe Frankreichs - endlich "ran an die Bouletten". Da kommt das Zusammenspiel von Tuareg und Al Quaida den Einmischungsstrategen als Vorwand gerade recht. Nicht grundlos stellte der belgische Afrika-Kenner Tony Busselen die mehr als rhetorische Frage: Wird Mali nun ein "neues Afghanistan"?

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Nato und EU würgen Kongo mit fremden Händen

Seit 1998 ist die Demokratische Republik Kongo, deren vom Volk gewählter Präsident Joseph Kabila wegen seines auf Unabhängigkeit bedachten Kurses und solider ökonomischer Beziehungen zur VR China auf der Abschußliste von NATO und EU steht, fünfmal zum Angriffsziel ihrer prowestlichen Nachbarn Rwanda und Uganda geworden. Washington und London ließen deren Truppenverbände Kongo attackieren. In letzter Zeit hat sich in diesem gegen die Erben Patrice Lumumbas und Laurent-Desiré Kabilas gerichteten Ränkespiel der Neokolonialisten wie innerer Feinde des Präsidenten eine neue Situation ergeben.

Dabei profilierte sich die Bewegung M23 als Sturmspitze. Die Streitkräfte der Demokratischen Republik Kongo werden immer wieder von M23-Verbänden angegriffen, zu deren Regisseuren nicht nur der bei den Präsidentschaftswahlen 2011 an den Urnen zwar geschlagene, aber seine Niederlage nicht anerkennende proimperialistische Präsidentschaftsbewerber Tshisekedi gehört. Auch Rwanda und Uganda sind mit von der Partie. Durch sie werden die M23-Formationen bewaffnet und ausgerüstet, wobei die Kriegstechnik fast ausnahmslos aus Arsenalen der USA und Großbritanniens stammt.

Jüngster Höhepunkt des Komplotts zur Schwächung Kongos war Mitte November 2012 die Attacke auf die 600.000 Einwohner zählende Stadt Goma. Dabei gelang es den M23-Verbänden, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu, auf deren Territorium sich Kongos wertvollste Bodenschätze befinden, für einige Tage in Besitz zu nehmen. Mit Rwanda und Uganda im Hintergrund wurde ein Vormarsch auch auf Süd-Kivus Metropole Bukavu angedroht, um von dort aus in Richtung Kinshasa aufzubrechen. Zwar konnte diese Offensive durch das am 25. November von den Staatschefs der DR Kongo, Rwandas und Ugandas unterzeichnete Kampala-Abkommen, das auch die am 1. Dezember erfolgte Räumung Gomas einschloß, vorerst abgewendet werden, doch das Damoklesschwert schwebt weiter über der durch die Ereignisse geschwächten und so zu immer neuen Kompromissen gezwungenen Regierung Kabila.

Das gegen Kinshasa gerichtete Intrigenspiel ihrer Marionetten wird durch das eigene taktische Vorgehen Washingtons und Londons ergänzt, die nun schon seit 14 Jahren Kongos erwähnte Nachbarstaaten für sich agieren lassen. Übrigens gilt Rwandas Verteidigungsminister James Kabarebe als Oberster Befehlshaber der M23-Verbände. Während sich die imperialistischen Großmächte hinter inhaltslosen Resolutionen verstecken und verbal über "begangene Kriegsverbrechen" schwadronieren, bleiben die Schuldigen ungenannt.

Die USA und Großbritannien nehmen zugleich ihre beiden afrikanischen Satellitenstaaten vor dem UN-Sicherheitsrat in Schutz. Mehr als das: Ausgerechnet die Armeen Rwandas und Ugandas bilden den entscheidenden personellen und militärischen Rückhalt der zwei wichtigsten UNO-Sondermissionen in Afrika: Darfur (Sudan) und Somalia.

Nach Auffassung politischer Beobachter müßte unverzüglich ein Waffenembargo über die schwarzen Exekuteure des weißen Neokolonialismus verhängt werden.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Warum Nadja Kurtschenko sterben mußte

Am 15. Oktober 1970 entführten zwei Litauer - der 46jährige Pranas Brazinskas und sein erst 15jähriger, aber bereits erwachsen wirkender Sohn Algirdas - eine Aeroflot-Maschine der UdSSR vom Typ AN-24 im Luftraum vor der Kaukasusküste. Sie ermordeten die 19jährige Stewardeß Nadja Kurtschenko, die kurz vor ihrer Heirat stand, und fügten drei weiteren Besatzungsmitgliedern schwere Verletzungen zu. Bei dem Vorfall handelte es sich um die erste Entführung einer Maschine mit sowjetischen Kennzeichen. Nadja wurde erschossen, als sie das Banditenpaar vergeblich am Eindringen in das Cockpit zu hindern versuchte. Ihre mutige Tat brachte ihr postmortal die Liebe und Verehrung der sowjetischen Jugend jener Jahre ein. Nadjas Leichnam wurde im Zentrum von Suchumi - damals Hauptstadt der Abchasischen Autonomen Sowjetrepublik - feierlich bestattet. 20 Jahre später mußte jedoch auf Grund der äußerst brisanten Situation Suchumis, das durch in Georgien ans Ruder gelangte reaktionär-separatistische Kräfte akut bedroht war, eine Umbettung auf den Friedhof im russischen Glasow, wo Nadja die Schule besucht hatte, erfolgen. Ihren Namen trugen zu Sowjetzeiten eine Berglandschaft Usbekistans, ein Tanker und sogar ein Asteroid. In der Kabine der nach erfolgter Reparatur in die UdSSR zurückgeführten Maschine brachte man ein Bildnis der hübschen jungen Frau an.

Was geschah an jenem 15. Oktober 1970? Die AN-24 befand sich mit 46 Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern an Bord auf einem nur halbstündigen Routineflug von Suchumi in das georgische Batumi. Zehn Minuten nach dem Start wurde Nadja Kurtschenko von den beiden Litauern unter Vorhalten einer Schußwaffe aufgefordert, dem Piloten einen Zettel mit der Forderung nach sofortigem Routenwechsel in Richtung Türkei zu übergeben.

Als Nadja daraufhin die Crew zu warnen versuchte, wurde sie kaltblütig niedergestreckt. Wie sich herausstellte, führten die beiden Hijacker außer Pistolen auch noch eine Handgranate bei sich.

Pranas Brazinskas war übrigens in der UdSSR kein unbeschriebenes Blatt. Schon 1950 hatte ihn die Justiz der Litauischen SSR wegen Machtmißbrauchs zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt, 1960 erhielt er - inzwischen immerhin wieder Leiter einer Verkaufsstelle - wegen Diebstahls fünf Jahre Gefängnis. Durch Amnestie vorzeitig freigekommen, übersiedelte er nach Usbekistan, wo er fortan unter anderem Namen lebte.

Unmittelbar nach dem Mord an Nadja schoß der Bandit wild um sich. Der Pilot und der Navigator wurden dabei lebensgefährlich verletzt, der Mechaniker in die Brust getroffen. Nur der Copilot entkam den Schüssen mit knapper Not. In Angst und Schrecken versetzt, landete er die Maschine auf einer türkischen Militärbasis, nachdem die Terroristen zuvor auch noch das Zünden einer Sprengladung angedroht hatten.

Damals waren die Völkerrechtsnormen für Flugzeugentführungen noch äußerst vage, was die türkische Justiz zu nutzen wußte. Während Ankara Passagiere und Maschine zurückgab, verweigerte es eine Auslieferung der beiden Hijacker. Diese hatten sich überdies als mit der Todesstrafe bedrohte Mitglieder eines obskuren "Litauischen Widerstandes" ausgegeben und darüber hinaus - unter Vorgriff auf die späteren "Stasi"-Jäger Gauck, Birthler und Jahn - Angehörige der Crew als "KGB-Agenten" bezeichnet.

Während Pranas Brazinskas, der alle 24 Schüsse abgefeuert hatte, in der Türkei nur acht Jahre Freiheitsentzug erhielt und nach Verbüßung der Hälfte seiner Strafe amnestiert wurde, wanderte sein minderjähriger Sohn für zwei Jahre ins Gefängnis.

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Beide Brazinskas ließen sich nach kurzem Südamerika-Zwischenspiel in den USA nieder. Wiederholte Moskauer Auslieferungsersuchen wurden von Washington zurückgewiesen. Beide Kriminelle, die nun in der kalifornischen Stadt Santa Monica lebten, erhielten Decknamen, um Ermittlung sowjetischer Organe vorzubeugen. 1983 wurden sie Bürger der Vereinigten Staaten. Beruflich betätigten sie sich als Waffenhändler und Maler.

Aber noch einmal war Blut im Spiel. Am 5. Februar 2002 erschlug Algirdas seinen mittlerweile 77jährigen Vater. Diesmal vergoldete die Anklage den Toten, der vor Gericht sogar als Terrorist bezeichnet wurde, nicht. Bei einer Haussuchung hatte die Polizei ein ganzes Arsenal gefunden. Brazinskas Junior, der von seinem Vater - wie zuvor bereits mehrere Nachbarn - mit gezogener Pistole bedroht worden war, erhielt wegen Mordes eine Freiheitsstrafe von 16 Jahren.

RF, gestützt auf "Prawda", Moskau und "The New Worker", London

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"Nitschewo" für kriegsgefangene Rotarmisten

Seit gut anderthalb Jahren beziehe ich Ihre Zeitschrift. Als Teilnehmer des Großen Vaterländischen Krieges wurde ich im Oktober 2012 zu einem Treffen mit Studenten der Freien Universität Berlin eingeladen. Nach einem sehr herzlichen Empfang und einer längeren Diskussion entstand der Wunsch, ich möge doch einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel richten. Ich bitte Sie, ihn nach Möglichkeit ganz oder auszugsweise im "RotFuchs" zu veröffentlichen.

Aus dem redaktionell gekürzten Text:
"Ich schreibe Ihnen als einer, der die größte Tragödie eines Krieges, welche die Geschichte kennt, überlebt hat. Drei Millionen meiner Genossen wurden seine Opfer.

Als Soldat der Roten Armee geriet ich kurz nach Beginn des auf die Vernichtung meiner Heimat abzielenden Krieges in Gefangenschaft und kam in das Lager Minsk. Hunderttausende Kriegsgefangene waren dort zum Hungertod verdammt. Ich selbst habe nur durch glückliche Umstände überlebt. Dann kam ich in das Lager Gomel, in dem sich eine Typhus-Epidemie ausbreitete, da es dort nicht einmal ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung gab. Mit wenigen Überlebenden wurde ich schließlich zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht. Die Verpflegung war minimal und nur auf den Erhalt der Arbeitskraft berechnet. Auch hier behandelte man uns als 'Untermenschen'. Wir waren zwar Kriegsgefangene, tatsächlich aber Opfer der faschistischen Ideologie.

Uns, die wir überlebt haben, erstaunt es sehr, daß Ihre Regierung, die Verantwortung Deutschlands für alle vom Naziterror Betroffenen übernimmt, jene, welche der Zahl nach mit den europäischen jüdischen Opfern annähernd vergleichbar sind, dabei ausschließt. Diese Tatsache wird die Wunden lange Zeit offenhalten."

Boris A. Popow, Minsk


Der Verfasser dieser Zeilen war stellvertretender Intendant des Belorussischen Fernsehens.

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Jeder fünfte Grazer wählte die steirische KPÖ

Bei den am 25. November abgehaltenen Kommunalwahlen hat der Landesverband Steiermark der KPÖ einen außerordentlichen Erfolg errungen.

In Graz - mit 250.000 Einwohnern Österreichs zweitgrößte Stadt - erhielt sie 19,8 % des Votums. Die auch als "Rote Rebellin von Graz" bekannte KPÖ-Wohnungspolitikerin Elke Kahr wurde als Stadträtin wiedergewählt. Mit ihrem hervorragenden Abschneiden errang die KPÖ hinter der in Front liegenden rechtskonservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) den zweiten Platz und ließ die Sozialdemokraten der SPÖ (15 %), die rechtsextreme FPÖ (13,7 %) und die Grünen (12 %) deutlich hinter sich.

Wie erklärt sich dieser Triumph der steirischen Kommunisten, zieht man in Betracht, daß durch die Gesamtpartei normalerweise nur Resultate von 0,2 bis höchstens 1 % eingefahren werden?

Die Grazer Kommunisten entwickelten in den letzten Jahren im Stadtrat eine äußerst bürgernahe Politik. Dabei konzentrierten sie sich auf von allen nachvollziehbare Schritte in der Wohnungspolitik. Hier erwies sich Elke Kahr als Expertin. Sie richtete eine telefonische Hotline für akut in Not befindliche Mieter ein. Trotz der auch in Graz äußerst angespannten Budget-Situation konnten 500 neue Kommunalwohnungen geschaffen werden. In der Stadt erfolgte keine Erhöhung der Nettomieten. Es wurde ein Unterstützungsfonds für jene eingerichtet, welche in durch sie allein schwer bezahlbare Wohnungen privater Eigentümer einziehen mußten. Auf Grund solcher konkreten Schritte konnte sich die Grazer Bevölkerung davon überzeugen, daß bei "ihren" Kommunisten Wort und Tat übereinstimmten. Diese fordern seit langem die Einführung einer Reichensteuer und eines Sozialpasses, der ärmeren Mitbürgern die kostenlose Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel und den Gratisbesuch von Kulturveranstaltungen ermöglichen soll.

Elke Kahr bezieht als Stadträtin ein Nettogehalt von 5400 Euro. Davon beansprucht sie aber nur 1800 für sich und stellt den restlichen Betrag schuldlos in Zahlungsnöte geratenen Menschen zur Verfügung. Seit 1998 haben steirische Wahlfunktionäre aus ihren Gehältern 1.229.521 Euro für 8721 Bedürftige gespendet.

All das erklärt den phänomenalen Erfolg der Genossen, die als Marxisten am Ziel des Sozialismus festhalten, während die eher reformistisch orientierte Wiener Zentrale den "Übergang vom Kapitalismus zu einer mehr solidarischen Gesellschaft" proklamiert.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Elke Kahr mit ihrem Vorbild Ernest Kaltenegger

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Aus Eddas Blickwinkel: Türkische Streiflichter

Tesekkür ederim! Dankeschön!

Wie oft hört man hierzulande von auf ihr "Deutschtum" stolzen Landsleuten, die sich allzu gerne solcher Schmähworte wie "Fidschis" oder "Kameltreiber" bedienen, ein beschwichtigendes: Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ... Dann folgt meist eine abwertende Bemerkung, ein Vorurteil oder gar noch Schlimmeres.

Auf unserer jüngsten Reise wurden wir von Ilhan begleitet.

"Blicken Sie mich an", sagt er, "so sieht ein typischer Türke aus!" Woran läßt sich das erkennen? Ilhan hat das breite Gesicht seiner seldschukischen Vorfahren aus Zentralasien und Westchina, während die uns häufiger begegnenden schmalen Gesichter der in Berlin-Kreuzberg lebenden Türken eher auf Wurzeln in Kleinasien schließen lassen. Zunächst irritiert uns Ilhan mit seiner ständigen Ermahnung: "Passen Sie auf!", die er ebenso als Lückenfüller benutzt, wie mancher von uns ein in die Länge gezogenes Ähh. Aber was er inhaltlich mitzuteilen weiß, steckt voller sachkundiger Informationen. Ich hätte mir gewünscht, unsere deutschen Anhänger der Standardphrase "Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ..." wären dabeigewesen.

18 % der Türken sind Analphabeten, die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs liegt derzeit bei 6,7 Jahren. Nahezu alle Landesbürger - 98 % - sind Muslime, der Koran aber ist arabisch geschrieben und kann daher von den meisten nicht im Original gelesen werden. So ist es leicht, die ebenso schlichten wie armen Menschen, die sich vom Jenseits alles erhoffen, zu manipulieren. Ankaras Imame halten übrigens in den Moscheen keine politischen Reden. Das ist ihnen untersagt. Doch die Hassans oder wie sie auch immer heißen mögen, die der übrigen Bevölkerung überlegen sind und die Menschen durch ihre gebetsmühlenartig aufgesagten Texte beeinflussen, besorgen dieses Geschäft um so eifriger.

Sie machen ihre eigene Politik: Du darfst Deine Tochter nicht zur Schule schicken; Du mußt sie beizeiten verheiraten; laß sie auf gar keinen Fall ohne Kopftuch auf die Straße. Und: Wenn sie gegen Deine Ehrbegriffe verstößt, mußt Du sie hart bestrafen.

"Hassans" dieses Schlages sahen ihre Macht mit den Auswandererströmen armer Türken vom Lande schwinden. So folgten sie ihnen einfach in die Emigrationsländer, bauten dort Moscheen und suchen ihren Einfluß zu bewahren, um den toleranteren Kurs der Imame aus Ankara zu unterlaufen. Wenn hierzulande von Zwangsheirat oder Ehrenmord die Rede ist, stecken fast immer solche "Hassans" dahinter.

Von Ilhan erfahren wir auch, was es mit den fünf Geboten des Korans auf sich hat. Das erste Bekenntnis lautet: Du sollst von Herzen an Gott glauben; das zweite: Du sollst fünfmal täglich beten; das dritte betrifft die Almosen: Wenn Du reich bist, sollst Du bei all Deinen Geschäften einen kleinen Teil den Armen geben; das vierte gilt dem Ramadan: Du sollst 30 Tage von morgens bis abends fasten; und das fünfte schließlich betrifft die Pilgerreise: Ein Vertreter Deiner Familie soll sich einmal im Leben nach Mekka begeben.

Ein Kopftuchgebot gebe es übrigens nicht. Es sei ursprünglich zum Schutz bei Karawanen, welche die Wüste durchquerten, gedacht gewesen. Alles dürfe gegessen werden, wenn man in Not sei. Doch Schweinefleisch gelte im heißen Klima als gesundheitsschädlich. Auch für die Beschneidung und die rituellen Waschungen nennt Ilhan hygienische Gründe.

Schließlich fordert er uns auf, den zum Gebet rufenden Muezzins zu lauschen und dabei die Vielstimmigkeit ihres Gesangs zu erfassen. Ilhan berichtet uns von Atatürk, dem Begründer der Türkischen Republik, dem überall im Lande Verehrung entgegengebracht wird.

Mit welcher Hochachtung die meisten Türken den Müttern und älteren Frauen, darunter auch uns, begegnen, ist beglückend. Davon könnten sich nicht wenige Deutsche eine Scheibe abschneiden.

Nachdem ich am letzten Tag unserer Reise den würdevoll-stolzen Umgang Ilhans mit seiner modern gekleideten Frau und den drei Söhnen beobachtet habe, kann ich nur sagen: "Tesekkür ederim!" Danke, Türkei!

Edda Winkel, Hönow

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Die Geschichte historisch betrachten

Losurdo: Weder Dämonisierung noch Glorifizierung J. W. Stalins

Der italienische Philosoph und Historiker Domenico Losurdo hat eine neue Arbeit unter dem Titel "Stalin - Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende" veröffentlicht. Die Plausibilität seines Vorhabens ergibt sich aus der Tatsache, daß der "Antistalinismus" heute eine Allzweckwaffe aus dem Arsenal von Antikommunisten aller Schattierungen ist. Sie wird allerdings in dem Maße stumpf, in dem es den Marxisten gelingt, sich ein eigenständiges, als Popanz unbrauchbares Stalin-Bild zu erarbeiten. Kritische Betrachtung der eigenen Geschichte ist oberstes Gebot, nicht jedoch, die Manie, sich freiwillig das vom Gegner gelieferte Büßerhemd umzulegen. Losurdo beschäftigt sich mit den Wandlungen der Bewertung Stalins in verschiedenen Geschichtsabschnitten. Bekannt sind die ja keineswegs auf die Sowjetunion beschränkte kultische Verehrung, die ihm zu seinen späteren Lebzeiten entgegengebracht wurde, und das pauschale Verdammungsurteil N. S. Chruschtschows nach seinem Tode. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU geprägt, beherrschte es dann weitgehend die Interpretation des Wirkens dieser historischen Persönlichkeit. Losurdo unternimmt das längst Überfällige: Er verwirft diese Bilder allesamt.

Geht man davon aus, daß J. W. Stalin in seinem Leben vor zwei großen Aufgaben stand - dem Herausführen Rußlands aus seiner ökonomisch-kulturellen Zurückgebliebenheit und der Zerschlagung der Aggression des Hitlerfaschismus -, ist festzustellen, daß er diesen beiden Herausforderungen unter schwierigsten Bedingungen gerecht geworden ist. Das haben übrigens auch objektiv urteilende antikommunistische Staatsmänner des Westens keineswegs anders gesehen. Wie erklärt sich jedoch die enorme Zahl an Opfern, die diese Entwicklung gefordert hat? Losurdo erweitert den Begriff des Russischen Bürgerkrieges und sieht ihn dreigeteilt: Der erste Bürgerkrieg spielte sich unmittelbar nach der Revolution zwischen der Roten Armee und den russischen Weißgardisten sowie den Interventionstruppen aus 14 kapitalistischen Staaten ab. Der zweite bestand in den erbitterten Konflikten, die mit der Kollektivierung der Landwirtschaft verbunden waren. Der dritte vollzog sich in Gestalt gnadenloser parteiinterner Auseinandersetzungen, welche in den Moskauer Prozessen der späten 30er Jahre gipfelten.

Für diesen überaus verlustreichen Weg sieht Losurdo verschiedene Gründe. Er nennt ein nahezu vollständiges Fehlen demokratischer oder rechtsstaatlicher Traditionen in Rußland, gepaart mit einer seit der Oktoberrevolution bestehenden imperialistischen Bedrohung von außen, die ihre Entsprechung in konterrevolutionären Bestrebungen innerhalb des Landes fand. Als besondere Hypothek sollte sich auch der unter Kommunisten verbreitete Irrglaube an ein im Gefolge der Revolution bald zu erwartendes Absterben von Staat, Nation, Markt, Geld und Religion erweisen. Enttäuschungen waren hier ebenso vorprogrammiert wie das Beschimpfen nüchterner Denkender als "Verräter an den Idealen der Partei". Übrigens bewertet Losurdo auch schon zu Zeiten von Marx und Engels diesbezüglich geweckte Hoffnungen kritisch.

In den Reihen der KPdSU entstand eine unüberbrückbare Kluft zwischen jenen, welche ein Interesse an der Konsolidierung des Erreichten hatten, und utopischen Maximalisten. Aus deren Perspektive verachtete Leo Trotzki das Stalinsche Konzept der Errichtung des Sozialismus in einem Lande. Statt dessen favorisierte er eine weltrevolutionäre Perspektive, der aber im Zuge der Erholung des westeuropäischen Kapitalismus die Basis zunehmend abhanden gekommen war. Stalin erschien in dieser Frage als Verfechter des Realitätsprinzips, das ihn zu der Erkenntnis gelangen ließ, daß die angesichts eines zu erwartenden Angriffs aus dem Westen unabdingbar rasche Industrialisierung auf stabile Versorgung mit Agrarprodukten angewiesen sein würde. Das drängte die KPdSU wiederum zu einer schnellen Lösung der Klassenfrage auf dem Dorf, zur Kollektivierung. Für die Sowjetunion ging es dabei um nicht weniger als um ihr Überleben.

Die sich in der Folgezeit entwickelnde Praxis der Machtausübung bezeichnet Losurdo als in weiten Teilen terroristisch, verweist aber zugleich auch auf den Trotzki wohlwollend gesonnenen russischen Historiker Rogowin, der feststellte, die Moskauer Prozesse seien kein sinnloses Abschlachten wehrloser Opponenten gewesen, sondern der finale Gegenschlag der Überlegenen in einem von beiden Seiten mit äußerster Härte geführten Kampf.

Den führenden westlichen Mächten - vor allem Großbritannien und den USA - spricht Losurdo das Recht ab, gegenüber Stalin die Richter spielen zu wollen. Er verweist auf die lange Kette kolonialistischer Verbrechen ebenso wie auf die inneren Verhältnisse dieser Staaten, die von Ausbeutung, Rassismus und grausamen Strafvollzugspraktiken gekennzeichnet gewesen seien.

Die von Losurdo angewandte Methode einer vergleichenden Gegenüberstellung der UdSSR und des angloamerikanischen Raumes wird sicher Widerspruch hervorrufen und ist in gewisser Hinsicht auch eine Einladung zu Mißverständnissen derart, daß die Opfer des sowjetischen Straflagersystems unter Hinweis auf die mörderische Praxis der Briten in Indien gerechtfertigt werden sollten. Dies ist aber keineswegs die Absicht des Autors. Ihm geht es vielmehr darum zu verdeutlichen, wie verlogen das in bezug auf Stalin von Staatsmännern wie Winston Churchill an den Tag gelegte Demokratie- und Menschenrechtspathos gewesen ist, der seinerseits den Völkern der britischen Kolonien in zynischer Herrenmenschenmanier gegenübertrat und seinen Worten entsprechende Taten folgen ließ. Im Gegensatz dazu inspirierte die Sowjetunion durch ihr Beispiel den Freiheitskampf der unter dem Kolonialjoch leidenden Völker.

Vor diesem Hintergrund erscheint es keineswegs als Zufall, daß Churchill zunächst recht warme Worte für den Faschismus wie dessen Anführer Mussolini und Hitler gefunden hat. Der Zweitgenannte ist aber - Losurdo zufolge - gerade deswegen nicht mit Stalin zu vergleichen, weil das Dritte Reich eine von Beginn an imperialistisch-aggressive Orientierung verfolgt habe und zwar ohne die Last eines Entwicklungsrückstandes, welcher mit dem russischen vergleichbar gewesen wäre. Demgegenüber ordnet der Autor die sowjetische Staatspolitik als eine im Prinzip defensiv orientierte "Entwicklungsdiktatur" zur Verwirklichung sozialen Fortschritts ein.

Domenico Losurdo hat ein mutiges Werk vorgelegt, das als Beitrag zu einer marxistischen Geschichtsbetrachtung zu würdigen ist, in deren Rahmen das Handeln einer historischen Person weder glorifiziert noch dämonisiert werden sollte, sondern stets - mit Licht und Schatten - im Kontext ihrer Zeit verstanden werden muß. Versuche, sie vor den Richtstuhl abstrakter Moral zu zerren, gehen da eher fehl. Der italienische Philosoph folgt in seinen Darlegungen dem Gedanken des leider bereits verstorbenen, ihm durch langjährige Freundschaft und gemeinsame Arbeit eng verbunden gewesenen deutschen Marxisten Hans Heinz Holz, wonach Stalin nur als Verkörperung der Widersprüche seiner Zeit begriffen werden kann.

Erik Höhne, Neuss


Domenico Losurdo: Stalin. Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende. PapyRossa-Verlag, Köln 2012, 452 S., 22,90 €

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Griff in die literarische Schatztruhe (4)

Einst erfolgreiche DDR-Schriftsteller dem Vergessen entreißen!

Hanna-Heide Kraze
Zeitgenossen bescheinigten ihr, sie sei zurückhaltend und bescheiden, wisse aber ihren Standpunkt in Debatten zu vertreten. Die im Osten Berlins geborene HHK arbeitete als Krankenschwester, Kindergärtnerin, Stenotypistin und in einer Zigarrenfabrik, ehe sie freischaffende Schriftstellerin wurde. Nebenbei schrieb sie für Blätter wie die "Mecklenburgische Volkszeitung". 1950 zog sie nach Berlin, wo sie eine Reihe von Funktionen in DDR-Organisationen innehatte. Sie brachte nicht ohne Erfolg frühe Erlebnisse und Erfahrungen aufs Papier und konnte auf über ein Dutzend Bücher verweisen. Darunter waren Erzählungen, Jugendliteratur, Reportagen, Gedichtbände und Romane. Ihre ersten Werke waren die romanhafte Erzählung "Es gibt einen Weg" (1949) sowie der Erzählungsband "... und suchen Heimat" (1950). In beiden schilderte sie Menschen, die sich durch die faschistische Gewaltherrschaft und den Krieg desillusioniert sahen, vor einem Nichts standen und den Mut fanden, den Weg in ein neues humanistisches Leben zu beschreiten. In dem besonders erfolgreichen Jugendroman "Des Henkers Bruder" (1959) griff HHK das Bauernkriegsthema auf. In dessen Zentrum stand der Bundschuh-Führer Johs Fritz. In "Der rote Punkt" (1959) versuchte die Autorin in 24 kurzen Erzählungen und Skizzen Konflikte von einer christlich-demokratischen Position aus zu gestalten. In dem großzügig angelegten Riemenschneider-Poem "Weiß wird die Welt zur Ernte" (1959) zeichnete sie überzeugend das tragisch erfüllte Dasein und den Opfergang dieses Künstlers nach. In ihrem Gedichtband "Der du nach Babel gezogen" (1960) erreichte die Lyrikerin mit einer kargen und strengen Diktion ein hohes Maß künstlerischer Geschlossenheit, wie ein Rezensent bemerkte. Ihr Roman "Heimliche Briefe" (1960) löste einen nützlichen Meinungsstreit aus. Es folgten "Üb immer Treu und Redlichkeit" (1965) zum Wiederaufleben des Antisemitismus in der BRD. "Steinchen schmeißen" (1968) enthielt dreizehn Kindergeschichten für Erwachsene. In ihrem Gedichtband "Stunden auf weißem Segel" (1978) reflektierte die Autorin drei Jahrzehnte ihres lyrischen Schaffens und bezeugte ihren unlöslichen Zusammenhang von Ich und der Welt. "Aus dem aktiven Weltverhältnis von Hanna-Heide Kraze erwächst auch die Bedeutsamkeit ihrer persönlichen Mitteilung, die im Alltäglichen wurzelt, das ihr 'das Leben' bedeutet, Quell der Poesie", schrieb Klaus-Dieter Schönewerk im ND.


Kurt Huhn
Er zählte bereits in den 20er Jahren zu den stärksten lyrischen Begabungen in der proletarisch-revolutionären Literatur. Seine beruflichen Stationen waren nach Schlosserlehre und Wanderschaft verschiedene Tätigkeiten als Land- und Grubenarbeiter, Buchhandlungsgehilfe und Betriebsschlosser. Mit 17 verfaßte er seine erste Erzählung "Geburtstag in der Fabrik". Ein Jahr später veröffentlichte er seine ersten Gedichte in der "Roten Fahne" und der "Linkskurve". Für seinen Gedichtband mit dem kompromißlosen Titel "Kampfruf!" (1925) wurde ihm ein Hochverratsprozeß angehängt. Huhns Zeitgenosse E.R. Greulich schrieb: "In seinen Gedichten rief er in klangvoll hervorgeschleuderten Worten die Arbeiterschaft zum Denken und Handeln auf."

Kurt Huhn wurde Mitbegründer und Vorstandsmitglied des "Bundes proletarischrevolutionärer Schriftsteller". Ab 1930 schrieb er seinen Roman "Blut und Eisen", der erst 1962 unter dem Titel "Peter gibt nicht auf" erscheinen konnte. Bis 1933 war Huhn Redakteur der Zeitschrift "Der Steinklopfer". Er wurde von den Faschisten verhaftet und mußte schwere Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Neuengamme verbringen.

Nach 1945 erwarb er sich große Verdienste bei der Förderung schreibender Arbeiter und war ab 1957 Chefredakteur der Zeitschrift "Schatulle". Anerkennung fanden seine Skizzen- und Erzählbände "Das tägliche Brot" und "Flügelschlag der Epochen". In "Nur der Gleichschritt der Genossen singt" und "Linksrum geht der Lauf der Welt" vereinte Kurt Huhn seine progressive Lyrik. In seinem Roman "Die stählernen Harfen" schilderte er hinter Kerkermauern und KZ-Stacheldraht erlittene Qualen. Danach erschien sein Sammelband "22 Erzählungen", für den er den Kunstpreis des FDGB erhielt.

Dieter Fechner

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Ästhetik heldenmütigen Widerstandes

Zur Bedeutung des Hauptwerkes von Peter Weiss

Einen alle Dimensionen sprengenden Plan begann der Bildkünstler und Dramatiker Peter Weiss im Jahre 1971 zu verwirklichen: die Erfahrungen der Arbeiterbewegung in den Jahren des Widerstandes gegen den Faschismus aufzuzeichnen, sie weiterzugeben und dabei die geistige Verbindung zur künstlerischen Avantgarde herzustellen. Ein Vorhaben, das nicht weniger bedeutete als Bilanz zu ziehen über bestandene wie gescheiterte Auseinandersetzungen, betrachtet aus der Innensicht einer kämpfenden Vorhut der Arbeiterklasse. Dabei läßt Weiss den Ich-Erzähler immer wieder an Meilensteine des künstlerischen Welterbes stoßen. An ihnen stärkt und schärft er seinen proletarischen Widerstandsgeist.

Weiss vollendete das dreibändige Romanwerk "Die Ästhetik des Widerstands" 1981 kurz vor seinem Tod und hinterließ damit ein literarisches Denkmal, dessen Lektüre zur geistigen Grundausstattung aller kritisch-geschichtsbewußten Kommunisten, aller kulturell und bildungspolitisch aufgeschlossenen Sozialisten gehört.

Nach den ersten Romanseiten verliert sich der Lesende im Figurengewirr des Pergamonaltars. Um 1937 war das nach diesem benannte Berliner Museum konspirativer Treffpunkt der Illegalen um Hans Coppi. Den Widerständlern rückt das historisch weit entfernte Schlachtenpanorama mit seiner Gewalt der Hiebe und dem Zucken der Getroffenen näher als den übrigen Museumsbesuchern. Sie entdecken gemeinsam, was der antike Bilderfries über Kämpfen, Siegen und Unterliegen lehrt, und sie beschließen, sich die in den bürgerlich besetzten Bildungsgütern gespeicherten Erfahrungen systematisch anzueignen. Einbezogen sind die Arbeiter-Eltern des Erzählenden. Der Vater, ein sozialdemokratischer Kämpfer in der gescheiterten Revolution von 1918, wird ihm ein verständiger, aber unnachsichtiger Widerpart in den Kontroversen um Fehlentwicklungen, die sich ab 1937 in der Sowjetunion vollzogen. Die Mutter tritt im Fortgang der Ereignisse als stumm gemachte, aber um so beredtere Zeugin faschistischer Massenmorde im überfallenen Polen auf. Als eine mit anderen Menschen Fühlende hat sie einen Todesmarsch begleitet, entkommt der Grube, zerbricht aber und stirbt schweigend.

Über den auf 1000 Romanseiten berichtsartig wiedergegebenen dramatischen Entwicklungsweg verknüpft der Autor die Stationen der Kämpfe, Siege und Niederlagen, die Stätten der Irrtümer und Krisen mit seinem persönlichen Bildungsgang. Der Berichtende treibt ihn unbeirrt voran, reflektiert ihn an Beobachtungen, Begegnungen und immer wieder an Werken der Bild- und der Dichtkunst. Wenig Lebensgeschichtliches außer dem Geburtsjahrgang 1916 hat der protokollierende Romanheld mit dem Schriftsteller gemeinsam. Doch wenn Weiss den Leser an die Orte aus des Ich-Erzählers Bericht begleitet, so ist stets klar, daß er all jene Stätten auf das Genaueste kennt. Seien es die Frontlinien des Spanienkrieges, das Pariser Exil Willi Münzenbergs, die Fluchtpunkte der Schweden-Emigranten oder der Hinrichtungskeller in Berlin-Plötzensee. Hunderte Widerstandskämpfer sind mit ihren Klar- und Decknamen aufgeführt, dazu Details ihrer Kontakte untereinander und Betrachtungen über ihre jeweiligen Handlungsmotive. Interviews führte Weiss unter anderem mit Personen aus Brechts Umkreis, Rosalinde von Ossietzky, der Tochter des in der Haft geschundenen Friedensnobelpreisträgers, sowie den damaligen kommunistischen Widerständlern Karl Mewis, Herbert Wehner, Paul Verner, Georg Henke und Herbert Warnke. Sie begegnen dem Schildernden und treten als Handelnde in die Vorstellung des Lesenden ein. So auch die junge Kommunistin Charlotte Bischoff.

Nachdem um 1941 in Nazideutschland mehr und mehr Genossen gefaßt, durch Folter gebrochen oder ermordet worden waren, übernahm sie den gefährlichen Auftrag, die Kontaktkanäle zwischen der von Schweden aus tätigen Widerstandszentrale und den illegal in Deutschland arbeitenden Zellen zu erkunden und wiederherzustellen. Von Stockholm aus begann sie eine todesmutige Kurierfahrt, reiste tagelang versteckt in einem Frachtschiff und begab sich nach der Ankunft zwischen die unsichtbaren Frontlinien im gestapomäßig hochgerüsteten Berlin.

Die Charlotte-Bischoff-Erzählung in Weiss' Roman gehört zu den berührendsten literarischen Dokumenten über den deutschen Widerstand gegen Hitler. Nicht weniger dramatisch sind die Berichte über das Sterben jedes einzelnen aus der durch die Gestapo als "Rote Kapelle" bezeichneten Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe. Übrig bleibt Charlotte Bischoff, die Bescheidene, stets selbstverständlich und unauffällig der Sache Dienende.

Gegen Ende der Beschreibung eines weit verzweigten Werdeganges ist der Erzähler bei sich selbst angekommen - er hat seine abhängige Existenz als Lohnarbeiter gegen das selbstverantwortete freie Arbeiten als Autor und Dokumentarist getauscht. Resümierend nennt er Namen und Schicksale der Weggefährtinnen und Begleiter im Widerstand. Das übermächtige Nazireich ist bezwungen. Doch fortwährend hängt der Zweifel, ob all der opferreiche Einsatz mit ungeheurem Blutzoll wirklich zum Sieg gediehen sei, zwischen den Zeilen. Was nach dem Mai 1945 für die deutsche Arbeiterbewegung folgen würde, ahnte Peter Weiss um 1981. "Mit dem Anbruch der neuen Epoche würden unsre ethischen und moralischen Richtlinien ständigen Prüfungen ausgesetzt werden, indem wir, als Einzelne, in Widerspruch gerieten zu den Auswüchsen der Machtvollkommenheit", schreibt er in jenem Jahr. Der Berichterstatter gedenkt seines ermordeten Freundes Hans Coppi und stellt sich vor, mit ihm noch einmal ins Pergamon-Museum gehen zu können: "Ich würde mich vor den Fries begeben, auf dem die Söhne und Töchter der Erde sich gegen die Gewalten erhoben, die ihnen immer wieder nehmen wollten, was sie sich erkämpft hatten."

Marianne Walz

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Kein Gedanke an ein Auseinanderlaufen

Vor fast 23 Jahren wurde der Freundeskreis der Sport-Senioren gegründet

Einer jähen Wendung waren Ende 1989/Anfang 1990 wie alle DDR-Bürger auch die Mitarbeiter des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) ausgesetzt. Die Strukturen des erfolgreichen und weltweit anerkannten DDR-Sports wurden zerschlagen. Die Regierung de Maizière mit der Jugend- und Sportministerin Schubert trugen das Ihre dazu bei. Das goldene Kalb des DDR-Leistungssports mußte geschlachtet werden.

Der größte Teil der Mitarbeiter unserer Sportorganisation wurde buchstäblich über Nacht arbeitslos oder fand bei Versicherungen und in anderen Bereichen eine zeitweilige Anstellung. Die überaus effizienten Trainer mit ihrem reichen Wissens- und Erfahrungsschatz waren plötzlich nicht mehr gefragt.

Nur in seltenen Fällen kam eine Übernahme zustande. Über 80 Trainer, darunter Eckehard Arbeit, Werner Trelenberg (Leichtathletik), Dieter Hofmann, Maxi Gnauck (Turnen), Wolfram Lindner (Radsport), Theodor Körner, Jürgen Grobler, Hans Eckstein (Rudern), Rüdiger Helm (Kanu), Harald Vollmer (Schießen), Paul Tiedemann, Waldemar Pappusch (Handball), Uwe Kagelmann, Sonja Morgenstern (Eiskunstlauf), Kurt Hinze (Biathlon) und Klaus Bonsack (Schlittensport) verließen die BRD, um im Ausland mit offenen Armen empfangen zu werden. Dort konnten sie ihre erfolgreiche Tätigkeit fortsetzen.

In dieser Zeit fragten wir uns: Wollen wir so auseinanderlaufen oder weiter zusammenbleiben? Wie finden wir ein gemeinsames Dach?

Die einhellige Meinung aller war: Wir brauchen einander auch in Zukunft! So entstand der Freundeskreis der Sport-Senioren, der mittlerweile fast 23 Jahre besteht und dem zur Zeit 130 "Ehemalige" des DTSB angehören. Wie sehr wir dieser Gemeinschaft bedurften, sollte sich bald herausstellen.

Viele Angehörige unseres Freundeskreises waren von Strafrenten oder drastischer Kürzung ihrer rechtmäßigen Altersbezüge betroffen. Hilfe war angesagt. Diese erfolgte durch Mitarbeit bei der Formulierung von Eingaben oder Klagen vor dem Sozialgericht. Auch ich kann ein Lied davon singen. Der Verhandlungstag beim Sozialgericht Berlin steht mir noch deutlich vor Augen. Das Fazit: Die Strafrente wurde natürlich noch nicht aufgehoben. Sie sei von der Politik gewollt, ihr wären die Hände gebunden, deutete die Richterin an.

Der nächste Akt des Dramas war dann die massive Dopingkampagne gegen den DDR-Sport. Trainer, Ärzte und Funktionäre - darunter nicht wenige Angehörige unseres Freundeskreises - wurden kriminalisiert und verfolgt. Selbst der damals bereits schwer erkrankte DTSB-Präsident Manfred Ewald mußte 22 Verhandlungstage über sich ergehen lassen. Sein Widerpart im Sport der alten BRD, Willi Daume, der aus Nazi-Zeiten Dreck am Stecken hatte, blieb verschont und fand überdies in der "Ruhmeshalle des Sports" seinen Platz. Übrigens wurden die Ergebnisse der Untersuchung des Doping-Mißbrauchs in der Alt-BRD fast unverzüglich zur "Verschlußsache" erklärt. Die weiße Weste des BRD-Sports durfte keine dunklen Flecken bekommen. Dabei gab es fünf Dopingtote!

Die Diffamierung des DDR-Sports aber geht weiter. Unwahrheiten, Desinformationen, Lügenmärchen und Erfindungen müssen herhalten, um auch hier "Beweise" für die These vom "Unrechtsstaat DDR" ins Feld führen zu können.

Neben solchen Herausforderungen standen stets vielfältige Veranstaltungen auf dem Programm des Freundeskreises: 34 Ausflugsfahrten, 22 Jahrestreffen und 43 Wanderungen in und um Berlin fanden lebhaften Zuspruch und förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Die Kooperation mit dem Sportmuseum Marzahn-Hellersdorf und dem Friedensfahrtmuseum in Kleinmühlingen nutzen wir, um ein Stück Sportgeschichte der DDR zu bewahren. Solidarisch erklärte sich unsere Gemeinschaft mit dem Eiskunstlauf-Trainer Ingo Steuer, der zu den Berufsverbotsopfern gehörte. Sie übernahm seine Flugkosten in Höhe von 800 Euro, damit er an den Olympischen Spielen im japanischen Nagano teilnehmen konnte.

Würdige Veranstaltungen zum 50. Jahrestag der Gründung des DTSB und zum 60. Jahrestag der einst glanzvoll bestehenden und dennoch abgewickelten Leipziger Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) sowie die Mitwirkung an der überfälligen Rückbenennung der Schwimmhalle in Berlin-Marzahn und des Sportparks in Berlin-Neukölln auf die Namen von Helmut Behrendt und Werner Seelenbinder vervollständigen den Bericht über unser Tun.

Herzenssache ist es in dieser kalten Zeit für uns, auch an jene zu denken, welche aus gesundheitlichen Gründen an unseren Aktivitäten nicht mehr teilnehmen können. Besuche am Krankenbett oder in Pflegeheimen sind Beweise unserer Menschlichkeit. Eine klare Erkenntnis: Unsere Gemeinschaft hat sich vollauf bewährt. Und so soll es auch bleiben.

Erhard Richter


Der Verfasser ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift "Der Sport-Senior" und Mitglied des RF-Autorenkreises.

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Gipfel der Geschmacklosigkeit

In der Weihnachtsausgabe des regelmäßig erscheinenden Blättchens "Unsere Buchempfehlungen für Sie" wurden Kleinplastiken der gemeuchelten proletarischen Helden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aber auch von Karl Marx und Friedrich Engels, Erich und Margot Honecker als Salz- und Pfefferstreuer mit entsprechend "gewürzten" Werbetexten angeboten. Dabei handelt es sich keineswegs um einen aus Zerstreutheit begangenen Fauxpas oder einen geschmacklosen Werbegag unter Tausenden, sondern offensichtlich um die Absicht, aus kommerziellen Erwägungen Salz in die Wunden der 1989/90 geschlagenen deutschen Arbeiterbewegung zu streuen. Besonders zu bedauern ist die Tatsache, daß die makabre Offerte von einer Publikation ausgeheckt oder unterbreitet wurde, die auch für progressive Neuerscheinungen die Trommel rührt. Geld stinkt nicht, heißt es im Volksmund. Doch instinkt- und geschmackloser geht es wohl nimmer!

RF

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[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Der "Ossi" als Problembär der Nation

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Signale der Solidarität

Anläßlich meines 80. Geburtstages sind mir von Politikern linker Parteien des In- und Auslandes, Redaktionen fortschrittlicher Blätter mehrerer Länder, RF-Regionalgruppen sowie Kampfgefährten, Freunden und fairen Andersdenkenden aus Ost und West Signale der Solidarität zugegangen. Unser "Schwesterorgan" "junge Welt" reihte sich dabei auf bewegende Weise ein.

Ich bedanke mich für alle Freundschaftsgesten und betrachte sie als Beweise voller oder teilweiser Übereinstimmung mit den Positionen unserer Zeitschrift und unseres Fördervereins, die immer mehr fortschrittliche Menschen als ihre politische Heimat betrachten.

Klaus Steiniger

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Als Archie an Zille denken mußte

Mit einer Wohnung kann man einen Menschen genauso erschlagen wie mit einer Axt, meinte einst Heinrich Zille. Er skizzierte und zeichnete das proletarische Berliner Wohnungselend seiner Zeit, von dem er sagte: "Es tut weh, wenn man den Ernst als Witz verkaufen muß." Leider gibt es heute keinen Zille mehr, der das "Milljöh" armer Menschen unserer Tage so festzuhalten vermag wie er.

Zu mitternächtlicher Stunde bringt das bundesdeutsche TV hin und wieder Sensationsreportagen, die Berichten aus dem Affen-Zoo ähneln. In einer Demokratie dieser Machart darf man alles sagen, nur nicht, daß es für Hartz-IV-Empfänger, Teilzeitarbeiter, Niedriglohnempfänger und vor allem für Wohnungslose keinerlei Demokratie gibt, wenn man genauer hinschaut. Der Dichter Erich Fried formulierte solches Geschehen als Frage: "Ist eine Demokratie, in der man nicht sagen darf, daß sie keine wirkliche Demokratie ist, wirklich eine wirkliche Demokratie?"

Manche Linke trauen sich in heutigen Talk- und Brabbel-Shows nicht, diese Frage auch nur aufzuwerfen, stellt Archie fest. Kann denn bei überschäumender Banken-Allmacht Demokratie - selbst im bürgerlichen Sinne - überhaupt so funktionieren, wie sie sollte, wenn das Finanzkapital das Maß aller Dinge ist und das Humankapital je nach Kassenlage genutzt oder stillgelegt wird? Die arbeitsamen Massen scheinen der hauptsächliche Störfaktor beim Erwirtschaften des Profits zu sein. Sie müssen zur Räson gebracht werden. Sie haben zu funktionieren. Wenn nicht, werden eben die Daumenschrauben angezogen: Entlassung, Sozialkürzungen jeglicher Art, Hochsetzen des Rentenalters auf 70, 80 oder 90 Jahre. Zille: "Im 1887 eingerichteten Berliner Obdachlosenasyl in der Fröbelstraße übernachteten in 40 Sälen, nach Geschlechtern getrennt, in jeder Nacht 5000 oder auch mehr Menschen. Wenn die Wohnungen noch naß, Steine und Mörtel noch nicht getrocknet waren, ließ der Hausbesitzer gegen Mietnachlaß 'trockenwohnen'."

Was heutzutage mit den Mieten passiert, ist kaum weniger skandalös als die Praxis vor 100 Jahren. Dieselbe Gesellschaft produziert immer wieder ein und dieselben sozial-politischen Grundmuster, ob mit oder ohne linke Regierungsbeteiligung.

Zu Zilles Zeiten - so um den Jahreswechsel 1920/21 - ersann Lenin als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare weit in die Zukunft greifende Dekrete über die Abschaffung der Mieten, die kostenlose Belieferung mit Energie und Wasser und die Aufhebung der Postgebühren. In der Lenin-Biographie des zum Renegaten gewordenen namhaften DDR-Historikers Prof. Wolfgang Ruge ist nicht ohne Häme von diesem Vorgriff auf eine noch ferne Zukunft die Rede. Archie behält demgegenüber das Hier und Heute im Auge. In einem bürgerlichen Blatt las er, daß der Betreiber eines Nobel-Restaurants in der Berliner Stadtmitte Insolvenz anmelden mußte, weil die Miete für sein Lokal auf 22.000 Euro monatlich anstieg. Moskau soll inzwischen übrigens zu den mietteuersten Städten der Welt gehören - ein Kontrastprogramm zu Lenins der Zeit vorauseilende Überlegungen. Archie möchte auf all das mit einem Romantitel seines kranken Freundes Fritz Rudolf Fries antworten: "Alles eines Irrsinns Spiel".

Als Archibald Einfalt Ende der 50er Jahre aus einem düsteren Hinterhof im Nordosten Berlins in den Stadtteil Baumschulenweg zog, war er von der Lichtflut der hellen Wohnung mit Balkon fast geblendet. Später erfuhr er von einem chinesischen Spruch: "Das Geheimnis, ein glückliches Zuhause zu haben, liegt in der rechten Einteilung - räumlich und zeitlich." Für die junge Archie-Familie traf das damals zu und obendrein auch noch zu einer Miete, die seiner heutigen Garagenpacht entspricht. Auch hatte er damals das erste Mal ein Schlafzimmer, wozu ihm noch eine weitere chinesische Weisheit in den Sinn kommt: "Ein Bett ist für die Erholung, die Liebe, die Geburt und das Sterben geschaffen. Kann es ein wichtigeres Möbelstück geben?"

Wie viele Millionen oder gar Milliarden Menschen auf der Welt mögen wohl kein eigenes Bett besitzen?, fragt Archie und stellt sich gewissermaßen die Gegenfrage: "Wie viele Millionäre gab es damals, und wie viele zählt man heute? 1910 besaßen in Berlin 1284 Reiche jeweils mehr als eine Million Mark, 41 mehr als zehn Millionen, sieben mehr als 20 Millionen und sechs mehr als 30 Millionen, die westlichen Vororte nicht eingerechnet. Und hundert Jahre später? Während die Armen Legion sind, würden sich heutige Spitzenreiter unter den Raffern mit so "lächerlichen Sümmchen" wohl kaum zufriedengeben.

Manfred Hocke


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

VW-Boß Martin Winterkorn führt mit einer Gesamtzusage von 19,7 Millionen Euro den Reigen der "bessergestellten" Rentner an.

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Leserbriefe an RotFuchs

Aufrichtigen und herzlichen Dank für den ermutigenden RF-Beitrag über den alarmierenden Zustand "unseres" Nicaragua-Wandbildes.
Wie ich Euch schon telefonisch berichtete, werden wir als Initiative noch stärker in die Öffentlichkeit gehen, sobald uns das Gutachten der Baufirmenversicherung vorliegt und wir uns über die nächsten erforderlichen Schritte zur erneuten Rettung des einzigartigen Kunstwerkes klargeworden sind.
Manuel García Moia hat uns gegenüber immer wieder betont, daß sein Berliner Wandbild in erster Linie als Antikriegs-Mural verstanden werden sollte.
Für die Nicaragua-Wandbild-Initiative beim Kulturring in Berlin e. V.:

Christel Schemel, Initiatorin und Koordinatorin


Armin Neumann war mir in der Vergangenheit ein wichtiger telefonischer Gesprächspartner. Ich bin sehr dankbar, daß er sich die Zeit genommen hat, mir immer wieder Auftrieb zu geben.
Armin hat gezeigt, daß MfS-Angehörige ganz anders sind, als sie die antikommunistische Propaganda darstellt. Schlimm, daß er die lange Krankheit durchleiden mußte. Möge er in Frieden ruhen!

Petra Reichel, Bad Kreuznach


Als gebürtiger Frankfurter möchte ich zu Cornelia Noacks Artikel "Danke, Genosse Fritz!" über den langjährigen Oberbürgermeister der Oder-Stadt nur eines sagen: Die vier Nachwendeflaschen haben in der Summe nicht das erreicht, was dieser eine Mann für die Entwicklung der Stadt getan hat.

Rico Jalowietzki, Frankfurt (Oder)


Der Bericht von Bernd Gutte zum Treffen deutscher und tschechischer Linker am Fuße der Schneekoppe rief mir die eigene Teilnahme an dieser traditionellen Begegnung Anfang der 80er Jahre in Erinnerung. Mitarbeiter der Prager DDR-Botschaft, Studenten und Journalisten nahmen gemeinsam mit tschechoslowakischen Genossen jährlich am Treffen in Malá Úpa und am Aufstieg zur Schneekoppe teil. Auch Besuche in Lidice und Terezín (Theresienstadt) gehörten zum "verordneten Antifaschismus", der im politischen Leben der Botschaft keine unwichtige Rolle spielte.
Heute gilt ja der "verordnete Antikommunismus". Ströme von Schülern und Touristen werden durch Knabes Phantasieknast in Hohenschönhausen geschleppt, wo man ihnen das "Grausen" über 40 Jahre DDR einimpft.
Mein Wunsch: Nehmt im nächsten Jahr Eure Kinder oder Enkel nach Malá Úpa mit. Sie sollen erfahren, in welcher Tradition wir stehen.

Franz Tallowitz, Saterland


Seit gut drei Jahren beziehe ich nun schon den "RotFuchs". Jedes Mal erfreut mich die unmißverständliche Sprache im Leitartikel, der mir den klaren Weg weist und Mut macht.
In einer Zeit, in der sich Aufrechte und Wendehälse Tag für Tag gegenüberstehen, ist es gut, eine Zeitschrift zu besitzen, die einer klaren sozialistischen Linie folgt. Es ist unsere Aufgabe, denen, die nach uns kommen, ein von allen Verzerrungen freies Sozialismus-Bild zu hinterlassen.

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach (Oberpfalz)


Das Haus Jahnallee 61 in Leipzig ist mit den Namen der legendären antifaschistischen Bildreporter des Spanienkrieges (1936-1939) Gerda Taro und Robert Capa verbunden, über die der RF schon im Januar 2012 berichtete. Das durch den nunmehrigen US-Fotoreporter Robert Capa am 18. April 1945 aufgenommene Bild eines von deutschen Scharfschützen tödlich getroffenen amerikanischen Soldaten wurde vom Balkon dieses Gebäudes gemacht. Die Behauptung einer Leipziger Zeitung, es habe sich um "den letzten Toten des Krieges" gehandelt, trifft allerdings nicht zu, da die Sowjetarmee allein bei der Befreiung Berlins über 100.000 Soldaten verlor.
In der Presse der DDR wurde der Sachverhalt 1980 richtiggestellt.
Beide Fotoreporter starben eines gewaltsamen Todes. Während die zur Emigration gezwungene Jüdin Gerda Taro in Spanien tragischerweise unter die Ketten eines republikanischen Panzerfahrzeuges geriet, kam Robert Capa als Frontberichterstatter in Indochina ums Leben.
Übrigens gibt es in unserer Stadt eine zu DDR-Zeiten nach Gerda Taro benannte Straße.

Klaus Pinkau, Leipzig


Seit geraumer Zeit bedrückt mich das Wirken der Linkspartei, in die ich zunächst große Hoffnungen gesetzt hatte. Da wurde mir durch einen Genossen der "RotFuchs" zugänglich gemacht. Es freut mich, wie konsequent in dieser kleinen Zeitung die Ideale unserer Weltanschauung verteidigt werden. Jede Ausgabe enthält überzeugende Beiträge, wobei ich besonders die Rede von Prof. Dr. Götz Dieckmann hervorheben möchte, die als Beilage zur Novemberausgabe erschien. Wissenschaftlich fundiert, hat er die Oktoberrevolution beurteilt und Parallelen zur Gegenwart hergestellt. Damit bewies er, daß vierzig Jahre DDR nicht vergebens gewesen sind. Ich möchte Mitglied des Fördervereins werden, um zur notwendigen Verbreiterung der Einflußbasis des RF beizutragen.
Ich war als Oberst der VP im Berliner Volkspolizeipräsidium tätig.

Rudolf Höll, Berlin


Den Beitrag "Räuberisches aus der Slowakei" von Dr. Michal Dienes habe ich mehrmals gelesen und könnte jeden Satz unterschreiben. Seit 1972 hat meine Familie Jahr für Jahr Urlaub in der Slowakei gemacht. Aus Bekanntschaften mit dort lebenden Menschen wurden tiefe Freundschaften. Der Kontakt zu standhaften slowakischen Kommunisten war sehr innig. Wir alle fühlten die Geborgenheit, welche uns die sozialistische Staatengemeinschaft ermöglichte.
Nach der Konterrevolution machten wir hier wie dort Erfahrungen ganz anderer Art. Zunächst nahmen die slowakischen Freunde unsere Berichte über den hereinbrechenden Kapitalismus etwas ungläubig auf, dann erreichte er auch sie. Nun stellt man Vergleiche an: So konnte sich ein Reparaturschlosser in der CSSR bei gewiß nicht üppigem Lohn einen Skoda leisten. Heute reicht das Geld kaum fürs Benzin.
Ein Student der Journalistik berichtete mir, er finde nach erfolgreichem Abschluß in der Slowakei keine Arbeit und wolle es jetzt in Namibia versuchen. Eine mir bekannte Neurologin ließ mich wissen, sie verdiene in einer staatlichen Einrichtung etwa 600 Euro und müsse sich durch Krankenhaus-Nachtdienst etwas hinzuverdienen, zumal die Preise in der Slowakei den unseren gleichen oder sogar darüber liegen.
Lieber Genosse Dienes, vielen Dank für Deine Zuschrift an den "RotFuchs", durch die ich und etliche andere Leser von Eurer Situation Kenntnis erhalten konnten.

Heinz Börner, Großnaundorf


"Wolfrath, Sie sind ein Simulant, scheren Sie sich an die Front!" Das sagte ein Feldarzt im Ersten Weltkrieg zu meinem Vater, nachdem sich Deutsche und Franzosen mit Grünkreuz beschossen hatten. Er kam mit Tuberkulose heim und starb 1936 im Alter von nur 43 Jahren. "Wir liegen jetzt vor Paris", schrieb einer ihrer zwei Brüder meiner Mutter. Da liegen sie heute noch.
"Gerhard, melde Dich nicht freiwillig, es reicht schon, daß Ernst und Rudolf das getan haben", sagte meine Mutter im Zweiten Weltkrieg zu mir. Die Waffen-SS kam in unsere Bad Oldesloher Berufsschule, um uns mit tollen Sprüchen für die "Sicherstellung des Endsieges" zu werben. Ich habe mich aber nicht gemeldet. Dann ging es mit der ganzen Klasse im Viehwagen nach Kiel, wo ich Flakhelfer bei der Marine wurde. Von Sommer 1944 bis Ende März 1945 erlebte ich zahlreiche Luftangriffe auf die Stadt. Dann kam ich zum Reichsarbeitsdienst, was einem Wehrmachtseinsatz in der Heimat entsprach. Im freien Gelände wurden wir auf "Führer, Volk und Vaterland" eingeschworen. Doch in der darauf folgenden Nacht bin ich mit einem Kumpel abgehauen. Am Nord-Ostsee-Kanal schnappten uns "Kettenhunde" der Feldgendarmerie, aber ein junger Marineleutnant ließ uns laufen.
Mein Bruder, noch keine 21, verlor sein Leben in Rommels Afrika-Korps. Mein Cousin Paul fiel ebenfalls. Zwei Wolfraths im Ersten und zwei im Zweiten Weltkrieg - das war unser Blutzoll.
Übrigens wurde ich am 3. Januar 85 Jahre alt. Ich habe am selben Tag wie Wilhelm Pieck, der erste Präsident der DDR, Geburtstag.
Schön, daß es den "RotFuchs" gibt!

Gerhard Wolfrath, Ammersbek


Die Verlegung nicht weniger Stolpersteine für unsere von den Faschisten ermordeten Genossen und das Bemühen, eine Straße nach einem hingerichteten antifaschistischen Widerstandskämpfer zu benennen, aber auch Diskussionsbeiträge auf öffentlichen Beiratssitzungen im Stadtteil, haben uns ebenso bekannt gemacht wie Informationsstände und das Engagement in der Initiative "Nordbremer Bürger gegen den Krieg". Das ließ den hiesigen "Weserkurier" auf uns aufmerksam werden.
Die Redaktion äußerte Interesse daran, Kommunisten einmal persönlich kennenzulernen. Sie bat, an einer DKP-Mitgliederversammlung teilnehmen zu können. Am 9. Dezember brachte das Blatt dann einen ausführlichen Bericht, den wir als recht fair empfanden.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


Neofaschisten, Neonazis - diese Vokabeln geistern ständig durch unsere Medien. Doch warum solche Schwammigkeit? Ein Alt-Nazi ist genauso ein Faschist wie ein Neonazi. Sie unterscheiden sich allein im Lebensalter. Die verbrecherische Ideologie in ihren Köpfen ist die gleiche. Artikel 139 des Grundgesetzes legt fest, daß der Faschismus verboten ist - unter welcher Bezeichnung oder in welcher Organisationsform er auch immer auftritt. Während beim KPD-Verbot im August 1956 niemand auch nur die geringsten Skrupel hatte, weil es politisch gewollt war, steht ein rasches Verbot der NPD trotz formeller Absichtserklärungen wohl kaum zur Debatte. Gewisse Politiker haben sich allerdings am Beginn eines Wahljahres in diesbezüglichen Verlautbarungen geradezu überschlagen.
Bert Brecht schrieb zu diesem Thema: "Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, nicht angetastet werden. Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern ihn brauchen."

Wilfried Steinfath, Berlin


Im RF 178 las ich mit Interesse den Beitrag Werner Schneiders über den großen BVG-Streik Ende 1932. Im die Jahre 1917 bis 1945 behandelnden Teil der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wird auch diese große Kampfaktion behandelt. Aus wahltaktischen Gründen nahmen die Nazis an ihr teil. NS-Vertreter gehörten zwar der zentralen Streikleitung an, doch die kommunistische RGO übte hier den bestimmenden Einfluß aus.
Ich frage mich, ob man die Nazis hätte raushalten können oder müssen. Das ist bis heute ein umstrittenes Thema. Deswegen wurde vermutlich auch 1972 die Veranstaltung zum 40. Jahrestag des Streiks durch Kurt Hager untersagt.
Es wäre aus meiner Sicht gut gewesen, wenn man all das - besonders die durch Antikommunisten unterstellte Zusammenarbeit von KPD und NSDAP - bei einer solchen Gedenkveranstaltung hätte klären können.

Liesel Bauer, Dormagen


"Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr ." beginnt ein bekanntes Arbeiterlied. Weiter heißt es im Text, er benötige auch noch "Kleider und Schuh". Das ND vom 7. Oktober 2012 brachte einen Beitrag mit der Aufforderung: "Befreit Euch vom Konsum!" Doch es geht nicht um diesen schlechthin, der eine elementare Existenzbedingung des Menschen ist, sondern um nicht lebensnotwendigen Ultrakonsum in der kapitalistischen Wegwerfgesellschaft. Der wird zu Recht angeprangert.
Die Autorin des ND-Artikels empfahl, auf übertriebenen Konsum zu verzichten und appellierte an die Vernunft. Sie forderte eine "Konsumbefreiungsbewegung der reichen Länder und Klassen". Das werde die notwendige Entlastung bringen. Dem soll nicht widersprochen werden, doch fragt man sich, wodurch und durch wen diese Unersättlichkeit eigentlich hervorgebracht wurde. Ist sie ein Naturgesetz oder wohl eher systembedingt?
Als Marxisten gehen wir davon aus, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein der Menschen bestimmt. Darum muß es verändert werden, damit sich auch das Bewußtsein verändert, nicht aber umgekehrt.
Bis in den Sprachbereich hinein wird einer Unersättlichkeit der Bedürfnisse Vorschub geleistet. "Schoppen gehen" oder - vornehmer ausgedrückt - "Shopping" wird gezielt stimuliert. Selbst für Kinder, die noch gar nicht die Schule besuchen, bietet man ein bebildertes "Shopping-Buch" an. Wir leben in einer Gesellschaft, in der nicht echte Bedürfnisse der Menschen die Grundlage der Produktion sind, sondern allein die Profitmaximierung.

Gerda Huberty, Neundorf


Die Auswahl und Begrenzung der Artikel im RF auf das Aktuelle und Wesentliche ist wirklich erstklassig. Er gehört deshalb zu meinen wichtigsten Orientierungshilfen in einer Zeit der Massenverdummung.
Für mich, der ich stets um Klarheit bemüht war, und dessen Geist nie brachlag, der aber auch irrte und noch mit 80 dazulernte, sind die Leitartikel besonders wichtig. Als parteiloser "Einzelkämpfer" finde ich mich in ihnen oft bestätigt, was für einen auch selbst schreibenden Rentner eine wichtige Stütze sein kann.
Manche "RotFuchs"-Kritiker legen an alles die Latte von "Dissertationen" an und suchen nach Kommafehlern. Überdies wird der RF zunehmend auch von jenen gelesen, die uns etwas "am Zeuge flicken wollen ...". Jede unglückliche Formulierung wird auf die Goldwaage gelegt.
Behaltet weiterhin Eure klare Sicht!

Gerhard Konrad, Potsdam


Das, was Matthias Höhn in seiner ersten Internet-Kolumne als Wahlkampfleiter der Partei Die Linke bietet, ist schon bemerkenswert. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: ein sozialdemokratisches Weltbild. Er schreibt: "Ein derart krasses Mißverhältnis (zwischen reich und arm, K. Sch.) gefährdet den sozialen Zusammenhalt, kann den sozialen Frieden in der Gesellschaft empfindlich stören."
Welche gedankliche und verbale Harmonie mit Schröders Regierungserklärung aus dem Jahre 2005! Damals sagte dieser: "Wer den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft in Frage stellt ..., der stellt eben nicht nur wichtige Errungenschaften von Politik und Gesellschaft in unserem Land in Frage, nein, er ist vielmehr dabei, den inneren Frieden zu zerstören. Der innere Frieden ist nicht zuletzt ein ökonomisches Datum, eine Voraussetzung auch dafür, erfolgreich und effizient zu produzieren."
Ergo ist der innere, der soziale Frieden, die Sozialpartnerschaft, eine hundertprozentig sozialdemokratische Strategie zur Aufrechterhaltung der Ausbeuterordnung, zur Sicherung des Maximalprofits. Ganz im Geiste der Klassenharmonie schrieb auch Dietmar Bartsch in der "Frankfurter Rundschau": "Wir wollen für Werte und Ziele, für eine Politik einstehen, welche die Gesellschaft nicht spaltet, sondern eint. Unsere Konzepte werden die Reichen nicht an den Bettelstab, aber mehr Reichtum für alle bringen."

Karl Scheffsky, Schwerin


Im RF, den ich seit Jahren beziehe, und dessen Förderverein ich angehöre, wird viel Richtiges und Wichtiges über begangene Fehler und die Umstände geschrieben, welche zum Untergang der DDR führten. Die Bewertung der Konterrevolution ist aus meiner Sicht exakt.
Genauso wichtig erscheint mir die Analyse des kapitalistischen Hier und Heute. Wir müssen der Frage noch tiefgründiger nachgehen, woran es liegt, daß sich so viele Menschen mit diesem System abfinden und ihm keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen.
Jutta Dittfurth hat dazu in ihrem Buch "Zeit des Zorns - Warum wir uns vom Kapitalismus befreien müssen" Bedeutendes ausgesagt. In den letzten 20 Jahren habe ich keine so detaillierte Analyse des Kapitalismus von Politikern aller Richtungen, einschließlich der Partei Die Linke, gelesen. Dittfurths Systemanalyse ist vernichtend! Ich möchte das durch seinen Faktenreichtum und seine publizistische Qualität bestechende Buch allen "RotFuchs"-Lesern ans Herz legen.

Rolf Frenzel, Borna


Seit mehr als einem Jahr bekomme ich den "RotFuchs". Nach wie vor stehe ich zu ihm. Deshalb habe ich den RF auch weitergegeben und stets gesagt bekommen, er nenne die Dinge beim Namen, gleich ob es sich auf Vergangenes oder Gegenwärtiges bezieht. "Wo kann man heute sonst noch so etwas lesen!" lautet die einhellige Meinung aller, an die ich den RF weitergereicht habe.
Würden Sie bitte die Zeitschrift auch an untenstehende Adressen senden ­...?

Bernd Meyer-Rähnitz, Radebeul


Günter Bartschs Beitrag "Schütt, schütterer, am erschütterndsten" im RF 179 findet meine volle Zustimmung. Auch ich habe mich mit hds in einem Leserbrief (RF 4/2012) auseinandergesetzt. Er wird wohl immer ein Wendehals bleiben.
Zu einer anderen Thematik: Merkels Kultur-Staatsminister Neumann hat ein Forschungsprojekt "Das Schicksal der Opfer an der ehemaligen innerdeutschen Grenze" angeschoben. Gefördert vom Bund und den Ländern Sachsen-Anhalt, Hessen und Niedersachsen mit 500.000 Euro aus Steuergeldern, soll bis 2015 ein "Totenbuch" geschrieben werden. Damit wurden drei Professoren der FU Berlin unter Leitung des unrühmlich bekannten Klaus Schroeder beauftragt. "Forschungsergebnisse" bei ähnlichen Projekten und eine Pressemitteilung von Schroeders "Forschungsverbund SED-Staat" lassen nichts Gutes ahnen. Es wäre eine Schande, wenn erneut mit der Zahl der Toten des Kalten Krieges wie mit Aktien an der Börse spekuliert würde.
Es tun sich bei der Behandlung dieses Themas Probleme auf, die nicht umgangen werden sollten. Ich will einige benennen: Was waren die Hintergründe und Zusammenhänge, die zur Spaltung Deutschlands führten? Wer schuf die ersten Grenzsicherungsorgane nach 1945 und was waren deren Aufgaben in den Besatzungszonen? Wer übernimmt die Verantwortung für die ersten Todesschüsse an der Demarkationslinie? Wer organisierte den kriminellen Menschenhandel gegen die DDR? Wer nennt die Zahlen und schreibt die Biographien der durch westdeutsche Staatsdiener allein im Raum Aachen erschossenen Grenzverletzer?
Sachliche Antworten frei von politischen Zwängen wären hier allein von Nutzen.

Hans Linke, Suhl


Als erschütternd empfinde ich es, daß sich das ND schon seit geraumer Zeit sein Feuilleton durch oft sinnlose Satzkonstruktionen auf das Niveau sehr "bunter" Gazetten hinunterdrücken läßt. Ich habe der Redaktion bereits mein Bedauern über solcherlei Platzverschwendung zum Ausdruck gebracht. Diese narzißtischen Wortspielereien, in denen sich Schütt gefällt, sind wahrlich kein Gegenstück zu den Beweihräucherungen des Hoch- und Niederadels sowie sonstiger Reicher und oft nicht einmal Schöner im Feuilletonteil bürgerlicher Blätter. Vielleicht sollte Herr Schütt einmal bei Egon Erwin Kisch nachlesen. Da könnte er noch etwas lernen, allerdings bin ich mir bei ihm da keineswegs sicher.

Kurt Koopmann, Seddiner See


Mit fremdem Geld lassen sich unschwer Geschenke machen: Wenn ich höre, was der BRD-Steuerzahler im nächsten Jahr für die vorgetäuschte "Rettung" Griechenlands blechen muß, denke ich an Heines "Wintermärchen" und bin "um den Schlaf gebracht". Immer stärker kommt bei mir und, wie ich aus Gesprächen erfahre, vielen anderen älteren Menschen der beängstigende Gedanke auf, die sich inzwischen für "alles in Europa" zuständig fühlende Merkel-Regierung werde sämtliche durch Bankenspekulation entstandenen Schuldenlasten der Bevölkerung aufbürden. Der Bürger soll für die Zocker blechen. Die solches beschließen, sind selbst bestens versorgt.
Hoffentlich treten beim Finanzminister keine Gedächtnislücken auf, wenn er sich eines Tages für dieses Vabanquespiel vor dem Volk rechtfertigen muß.

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


Daß die Gesellschaft zusehends auseinanderbricht, kann auch durch einen vor allem von der FDP kaschierten Armuts- und Reichtums-Bericht der Bundesregierung nicht mehr verdrängt werden.
Wie der moderne (heute eher modernde) Kapitalismus in England seinen Ursprung hatte, kommt auch der heutige "Neoliberalismus" aus dem mittlerweile geschundenen Land jenseits des Ärmelkanals. Wenn ca. 15 % des britischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) allein vom Finanzsektor der Londoner City geliefert werden, kann dieser Wirtschaftsorganismus nicht gesund sein. Margaret Thatcher war es, die mit v. Hayeks Bibel "Der Weg in die Knechtschaft" bewaffnet dem Land diese pseudoreligiöse neoliberale Lehre (oder besser Leere) aufzwang, der seit dem verhängnisvollen Lissabon-Vertrag fast ganz Europa anhängt. Wenn heute Herr Schäuble allen Ernstes behauptet, nach einer Durststrecke, die man den Griechen aufzwingen müsse, werde dort alles besser, dann hat das etwas mit Glauben, nicht aber mit empirischer Realität zu tun.
Natürlich ist nicht zuletzt auch die Einführung des Euro schuld daran, daß Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat, weil dadurch kein Land mehr die Möglichkeit besitzt, durch Auf- oder Abwertung der eigenen Währung Bilanzdefizite ausgleichen zu können.
Nun ließe sich argumentieren, das sei eben der Preis der Demokratie. Aber erstens wäre dieser Preis zu hoch, und zweitens fehlt es ja gerade an Demokratie. Colin Crouch spricht von "Post-Demokratie" - womit nicht das Postamt gemeint ist: Eine elitäre Clique entscheidet in Hinterzimmern über das Schicksal ganzer Völker. Demokratie im eigentlichen Sinne und Kapitalismus sind unvereinbar.

Volker Büst, Vienau


Als 93jähriger Veteran des Kampfes für die Einheit der Arbeiterklasse und Teilnehmer am Vereinigungsparteitag von SPD und KPD in Dresden gebe ich dem Leitartikel des Genossen Klaus Steiniger "Nägel mit Köpfen" zu dieser Problematik meine Zustimmung. Mich erfreut, daß der "RotFuchs" sich nicht als politische Partei darstellt, sondern weiterhin um eine Zusammenführung aller linken Kräfte bemüht ist. Zugleich aber fragt sich, ob die RF-Mitglieder auch 2013 der Partei Die Linke ihre Stimme geben werden. Eine Zersplitterung des linken Votums brächte nichts, aber in einer Wahlkoalition könnten alle linken Kräfte zusammenwirken.
Das zu erreichen, ist zweifellos sehr schwierig, wobei das die Opposition spaltende Verhalten der SPD mit ihrer strikten Ablehnung gegenüber der Partei Die Linke zu neuen Überlegungen und Schritten zwingt.

Hermann Thomas, Wilsdruff


Ich lese den RF seit Jahren. Die Zeitschrift ist mir inzwischen ans Herz gewachsen. Die UZ und die jW sind für mich ebenfalls von Wert, während ich das ND nur ab und zu von einem Bekannten geliehen bekomme. In meinen Augen ist es keine revolutionäre Zeitung mehr.
Was die "Schlapphüte" betrifft, so stelle ich ihnen die Frage, warum sie eigentlich die Partei Die Linke überwachen, da sie de facto keine gesellschaftsverändernde Kraft ist. Ich nehme sie bestenfalls bei Wahlen zu den Landtagen und zum Bundestag wahr. Das bis vor kurzem alles beherrschende öffentliche Postengerangel war mir, gelinde gesagt, sehr unangenehm.
Heutzutage bedarf es dringender denn je der Rückschau auf unsere Vergangenheit. Es ist völlig richtig, daß der RF diese Notwendigkeit - auch in Leserbriefen - unablässig betont. Dabei erinnere ich mich an Thälmanns Worte: "Politik ist sich in der Gegenwart vollziehende Geschichte."
Ich danke dem RF für seinen unbestechlichen und der realen Lage Rechnung tragenden Sinn fürs Historische.

Klaus Nischang, Haldensleben


Zu den Beiträgen von Peter Dornbusch "Soll ich mein Kind der Bundeswehr opfern?" und Manfred Kubowsky "Helm ab zum Gebet" möchte ich bemerken: Die Artikel zur Aufdringlichkeit von Militärwerbern in Schulen und von Militärpfarrern bei der Einschwörung Jugendlicher zur Teilnahme an imperialistischen Eroberungskriegen erinnern mich an meine Kindheit unter dem Faschismus. Seit 1935 wurden von den Nazis "Tage der Wehrmacht" zur Besichtigung von Kriegstechnik und zum Kennenlernen des "Soldatenalltags" veranstaltet. "Heldengedenktage" sollten die Jugend an die "Großtaten" der Gefallenen des Ersten Weltkrieges erinnern. Nach der 1943 erfolgten Zerschlagung der 6. Armee im Stalingrader Kessel erschienen an meiner Breslauer Oberschule hochdekorierte Wehrmachtsoffiziere, um uns als Kriegsfreiwillige zu werben.
Ab Januar 1945 war ich dann Soldat in der "Festung Breslau", die der Roten Armee den Weg nach Berlin verlegen und den "Endsieg des Dritten Reiches" sichern sollte. Im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Tabor erweckten mich, der ich schwere Erfrierungen hatte, dortige Sanitäter und Ärzte wieder zum Leben. Erst hier erfuhr ich, wie und durch wen Kriege gemacht werden. Das öffnete mir die Augen für den Antifaschismus.

Armin Lufer, Berlin


Mit meinem Freund Wolf Gauer im brasilianischen S’o Paulo tausche ich mich seit längerem regelmäßig über den "RotFuchs" aus: Wir bedauern, daß der Leserkreis des Blattes nicht noch größer ist, denn jede Ausgabe enthält gar viele gute Beiträge. Wäre es grundsätzlich möglich, auf halbwegs kritischen Internetseiten ausgewählte RF-Artikel zu plazieren, natürlich unter Quellenangabe?
Die "RotFuchs"-Materialien verdienten eine viel breitere Streuung. Leider hat man bei der Lektüre der Zeitschrift bisweilen das Gefühl, daß da gute alte Frauen und Männer für andere gute alte Frauen und Männer schreiben. Dabei wünschte man sich, ein ganzer Jugendkongreß würde einmal im Monat einer RF-Lesestunde lauschen.

Volker Bräutigam, Mölln


Die Losung des Kommunistischen Manifests "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" steht auf dem Londoner Grabmal von Karl Marx. Doch in der Praxis sieht es leider anders aus. 1933 siegten die Nazis in Deutschland, weil die Volksfront von KPD und SPD nicht zustande kam. Gemeinsam wurden Kommunisten und Sozialdemokraten dann von den Nazis gedemütigt, verprügelt und zu Zehntausenden ermordet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es so weiter. Der Weg des führenden SPD-Politikers Kurt Schumacher zeugt davon. Durch die Nazi-Schergen im KZ zum Krüppel geschlagen, von Mithäftlingen aus KPD und SPD gepflegt und so am Leben erhalten, gelobte Schumacher, künftig für die Einheit der Arbeiterbewegung einzustehen. Doch kaum war er befreit, da wetterte er, als im Osten Deutschlands diese Einheit vollzogen wurde, gegen die "SED-Kommunisten". So ging er als Kommunistenhasser in die Geschichte ein!
Diese Entwicklung nimmt ihren Fortgang: Der Zwist unter Linken vor allem oberer Etagen ist nicht geringer geworden. Dennoch muß die Losung des Manifests Zug um Zug umgesetzt werden, weil die Linkskräfte nur so eines Tages politische Macht erringen können. Das aber ist die Voraussetzung dafür, auch die wirtschaftliche Macht zu erobern.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


Harald Müller äußert sich kritisch zur ausgebliebenen Autorenschaft einstiger "Wirtschaftskapitäne" der DDR. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob er da richtig liegt. Ich habe gerade die Lektüre des Buches "Gewonnen und doch verloren" von Prof. Dr.-Ing. Werner Bahmann abgeschlossen. Er war seit 1964 Produktionsdirektor des VEB Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn und schreibt Klartext über seinen Weg vom ABF-Studenten bis zur Abwicklung des Kombinats-Nachfolgers im Jahre 2004. Dabei blendet er weder Persönliches noch die Widrigkeiten aus, die mit dem Wirken solcher "Wirtschaftslenker" wie Mittag verbunden waren. Ich werde Bahmanns Buch der Generation meiner Kinder schenken, damit sie dort erfahren kann, wie der Weg der DDR und ihrer jungen Kader verlaufen ist.

Manfred Stötzner, Gera


Mit großem Genuß lese ich die Erinnerungen von Eberhard Herr an seine vieljährige Tätigkeit als DDR-Landwirtschaftsexperte. Auch wenn ich nicht viel mit Agrarfragen zu tun hatte, finde ich seine Darlegungen hochinteressant. Sie sind ein Stück lebendige Zeitgeschichte.
In den 60er Jahren war ich wissenschaftlicher Sekretär des Lehrstuhls Geschichte am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Wir hatten eine Paten-LPG in Felchow bei Schwedt im Oderbruch. Meine Aufgabe bestand darin, Hilfe bei der Ernte oder bei Bauvorhaben zu organisieren, wenn die LPG-Bauern diese benötigten. Ein Anruf genügte, und wir mobilisierten unsere Genossen. Einmal war ich allerdings arg verdrossen. Mir wurde signalisiert, die LPG brauche dringend Hilfe bei der Zuckerrübenbergung. Falls diese ausbleibe, müßten "die Dinger" untergepflügt werden. Wir brachen sofort dorthin auf, so daß die Zuckerrüben doch noch vom Acker geholt werden konnten.
Als ich in der DDR-Endphase in einer Strausberger HO-Verkaufsstelle nach Blumenkohl fragte, bekam ich ihn natürlich, allerdings aus Italien. Solches Gemüse aus dem Oderbruch war schon nicht mehr im Angebot. Hatten die LPG-Bauern diesmal ihre Kulturen tatsächlich unterpflügen müssen?

Dr. Werner Ettelt, Berlin


Es ist schon eine politische Gemeinheit, daß ein dubioser Pfarrer und früherer Großinquisitor noch auf Jahre hinaus die BRD repräsentieren soll. Ein "verdienstvoller Bürgerrechtler", der nur für die Wahrheit gerungen habe, stehe an der Spitze des Staates, wird wahrheitswidrig behauptet. Da fragt man sich, warum in den USA eigentlich nicht Al Capone zum Polizeichef von Chicago ernannt worden ist. Natürlich hinkt der Vergleich - gemeint ist nur, daß man den Bock nicht zum Gärtner machen sollte.
Haarsträubend ist, wie Herr Gauck die NVA als "volksfeindlich" abstempelte, während er zugleich die Bundeswehr zur "Armee des Volkes" ernannte. Laut Wolfgang Schäuble soll sie ja künftig auch im Inland die Polizei "verstärken". Wen knüppelt sie dann "zur Ordnung"? Statt in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht für den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus fremden Ländern einzutreten, fielen Herrn Gauck an deren Hamburger Akademie nur die Worte "Glück, Mut, Selbst- und Gottvertrauen" ein. Doch eine politische Rednertribüne ist keine Kirchenkanzel und das Volk keine Herde dummer Schafen.

Mario Kettler, Reichenbach/V.


Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt zählt sich zu den "normalen Deutschen", denen in der Jugend jegliche Demokratie gefehlt habe. Er sei aber kein kleiner Nazi gewesen. Schon als Fünfzehnjähriger wußte Schmidt, daß sein Großvater Jude gewesen sei. Dennoch verhielt er sich der Judenverfolgung gegenüber indifferent. Selbst von der Reichspogromnacht 1938 habe er "nichts mitgekriegt", ließ er wissen. "Deutschen Tugenden" gemäß lautete sein Leitspruch: Nichts sagen, nichts hören, nichts sehen. Schmidt, ehemals Offizier der Nazi-Luftwaffe, konstatierte: "In meinen acht Jahren als Soldat habe ich mehr gelernt als jemals sonst." Vergessen hatte er allerdings eine besonders wichtige "Erfahrung": die eines Zuhörers beim Prozeß Roland Freislers gegen Männer des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof.
In der 7. Sitzung der 8. Wahlperiode des Bundestages äußerte sich Schmidt zur Pressefreiheit: "Im übrigen ist es ja so, daß in Brüssel genauso wie in Frankfurt, aber anders als in Ostberlin, die Journalisten schreiben dürfen, was sie für richtig halten, auch wenn es falsch ist. Sie dürfen sogar etwas schreiben, von dem sie wissen, daß es nicht richtig ist. Das soll so bleiben."

Gerhard A. Moses, St. Ingbert


Im 23. Jahr nach der Einverleibung der DDR in die BRD sollte das Freiheits- und Einheitsdenkmal wahlweise eine der folgenden Benennungen erhalten: Der große Schein; Industriebrachen; Ruinen in Stein und Fleisch; Abriß; "blühende Landschaften"; Händler; Leiharbeiter; Langzeitarbeitslose; Hartz der Vierte bis Hartz der Achte; das Vorstellungsgespräch; die Ver(un)sicherungen; Werbung, Werbung über alles.
Der Gedanke, sich für "Die Lobbyisten" zu entscheiden, kann wegen zu großen Andrangs leider nicht verwirklicht werden.

Hermann Friedrich, Chemnitz


Am Vormittag eines Werktags gehe ich zu meiner Stammfriseuse, einer freundlichen jungen Frau, Mitte Zwanzig, die ihr Handwerk versteht. Uns trennen etwa 40 Jahre. Sie: "Nanu, Herr Kroschel, haben Sie heute frei?" Ich: "Heute habe ich meinen Haushaltstag." Sie: "Was ist denn das, wo gibt es denn so was?" Ehe ich antworten kann, erscheint eine ältere Kollegin und sagt: "Ja, das gab es in der DDR. Jede Frau hatte einmal im Monat einen freien, bezahlten Tag. Da konnte sie beispielsweise zum Friseur gehen, etwas mit den Kindern unternehmen oder einfach mal mit einer Freundin klönen." "Och, das müßte es heute auch noch geben!" meinte nun die Junge. Ich hatte mich gar nicht eingemischt und dachte, für diesmal soll es mit dem Unterricht im Fach Nachdenken genug sein.
An der Rezeption im Wartezimmer meines Augenarztes. Die Schwester: "Herr Kroschel, hier sind noch 18 Euro für die Untersuchung fällig." Ich: "Gut, daß Sie mich daran erinnern. So etwas war nämlich im 'Unrechtsstaat' streng verboten. Wer damals gefragt hätte, was er für eine Untersuchung bezahlen müsse, wäre sofort zum Psychiater geschickt worden."
Auch diese drei Sätze lösten Erstaunen aus. Vielleicht werden sie ja an dem einen oder anderen Abendbrottisch zum Gesprächsstoff.

Wolfgang Kroschel, Cottbus

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2013