Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

POLITISCHE BERICHTE/128: Zeitschrift für linke Politik 9/09


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 9 am 10. September 2009


INHALT

Aktuell aus Politik und Wirtschaft
Politische Berichte im Internet
Nach den Landtagswahlen, vor der Bundestagswahl: Union setzt auf Kontinuität und Stabilität,
Umbauprogramm eines linken Reformbündnisses nicht in Sicht
Friedensbewegung fordert: Schluss mit dem Krieg! - Verteidigungsminister Jung muss zurücktreten -
Bundeswehr raus aus Afghanistan
China kauft IWF-Schuldscheine
Auslandsnachrichten

Regionales und Gewerkschaftliches
Aktionen ... Initiativen
Kommunalwahl NRW: Große Parteien verlieren weiter, die Linke bleibt hinter Erwartungen zurück
Aufruf: Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher aussetzen!
Wirtschaftspresse

Diskussion und Dokumentation
Merkels Danziger Rede am 1. September
Wirtschaftskrise und Zukunft öffentlicher Bildung
Veranstaltung Gauweiler mit Lafontaine: Kontroverse ohne Kontroversen
In & bei der Linken

Termine

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Politische Berichte im Internet: www.gnn-verlage.com


Aufschwung-Träumereien

Financial Times, 4.9., Spiegel Online, 6.9. rül. Merkwürdige Phantasien von einem angeblichen "Aufschwung" machen derzeit die Runde. "Der Aufschwung kommt gewaltig" jubelt die "Financial Times" am 4.9. unter Berufung auf OECD und europäische Wirtschaftsinstitute. Das deutsche Bruttoinlandprodukt werde 2009 "nur" noch um 4,8% sinken, statt wie bisher erwartet um 6%. Der Arbeitsmarkt - Ende August lag die Zahl der registrierten Arbeitslosen bei 3,472 Millionen, nur 9000 höher als Ende Juli - scheint solchen Prognosen Recht zu geben. Tatsächlich steht die Industrie vor einer gewaltigen Restrukturierungswelle, die sich mindestens bis 2011 oder 2012 hinziehen dürfte. Der Automobilverband VDA meldet bis August zwar 27% mehr Zulassungen im Inland als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Im gleichen Zeitraum sank aber der Export um 29%, die Produktion um 20%. Massive Restrukturierungen laufen auch im Maschinenbau an, der von der Autokrise, aber auch von den Einbrüchen bei Werften, Flugzeugen, in der Stahlerzeugung und in anderen Branchen gebeutelt wird. Der Maschinenbau-Verband meldete am 6.9., er rechne mit einem "verheerenden"Jahr 2009. Das Produktionsvolumen werde im Jahresdurchschnitt um 20% fallen. Bisher hatte der Verband auf einen Einbruch zwischen 10 und 20% gehofft. Weiter im Tief ist die Telekommunikationsbranche. Nicht nur bei Nokia wird abgebaut. Die Telekom soll ihre Rechnungen mit sechs Monaten Verspätung zahlen, auch anderen großen Unternehmen der Branche geht langsam die Luft bzw. das Geld aus. Ob diese gewaltige Restrukturierungswelle mit den Belegschaften, mit ihren Betriebsräten und mit den Gewerkschaften oder gegen sie vollzogen wird, ist deshalb eines der wirklichen Themen im scheinbar themenlosen Bundestagswahlkampf. Für die erste Option steht Schwarz-Gelb, wie ein Blick in das sogenannte "Gutenberg-Papier" oder ins FDP-Wahlprogramm zeigt.


In der EU ist die Arbeitslosigkeit teils drastisch gestiegen

eurostat, 4.9. hav. In der Eurozone lag nach den Daten von Eurostat die saisonbereinigte Arbeitslosenquote im Juli 2009 bei 9,5%, im Juli 2008 betrug sie 7,5%. In der EU27 lag sie im Juli 2009 bei 9,0%, ein Jahr zuvor bei 7,0%. Länder wie die Niederlande (3,4%), Österreich (4,4%), Zypern (5,5%) oder Dänemark (5,9%) haben allerdings weitaus niedrigere Arbeitslosenquoten. Die höchste Arbeitslosigkeit gibt es in Spanien (18,5%), Lettland (17,4%) und Litauen (16,7%). In Spanien ist Quote in einem Jahr um 7 Prozent gestiegen, am stärksten war der Anstieg mit 11 Prozent in Litauen, mit 10 Prozent in Lettland und mit 9 Prozent in Estland. Bedenklich ist vor allem die hohe Arbeitslosigkeit bei den jungen Menschen unter 25 Jahren. Allerdings hat die Rezession hier nur einen schon zuvor zu beobachtenden Trend verstärkt, der für die Länder in Zukunft hohes Risiko in sich birgt. Fast 20 Prozent der jungen Menschen sind der EU27 arbeitslos in den USA sieht es mit einer Quote von 17,3% ähnlich aus. Vor einem Jahr waren es noch 15,4 Prozent. Auch hier unterscheiden sich die Länder teils enorm. In den Niederlanden sind nur 6,6% der unter 25-Jährigen arbeitslos, in Österreich 8,2%. In den anderen Ländern sind die Zahlen zweistellig. Deutschland liegt mit einer Quote von 11,2 noch am unteren Rand.


EU-Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten setzt auf Abwehr von Flüchtlingen

GUE/NGL, 3.9. hav. Am 2. September hat der EU-Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten einen Entschließungsantrag zum Partnerschaftsabkommen der Europäischen Union mit Tadschikistan verabschiedet. Dazu erklärt die Abgeordnete der EU-Linken Sabine Lösing: "Der zuständige Vertreter der Kommission erklärte auf mein Nachfragen eindeutig, dass nach dem in Krafttreten des Partnerschaftsabkommens der Weg zur Zusammenarbeit mit der Grenzschutzagentur Frontex sowie für vielfältige migrationspolitische Regelungen etwa im Rahmen von Rücknahmeabkommen und der Grenzsicherung zu Afghanistan, geebnet ist. In Anbetracht der Tatsache, dass sich der Krieg in Afghanistan längst zu einer humanitären Katastrophe ausgeweitet hat vor der zukünftig immer mehr Menschen fliehen, wird die 1200 Kilometer lange Grenze zum benachbarten Tadschikistan nun offenbar Zielscheibe der repressiven EU-Politik zur Flüchtlingsabwehr.


EU-Finanzministertreffen: "Viel Lärm um nichts"

attac, 5.9. hav. "Viel Lärm um nichts" - so fasst das globalisierungskritische Netzwerk Attac das Treffen der Finanzminister in der Europäischen Union in Brüssel zur Vorbereitung des G20-Gipfels in Pittsburgh zusammen. "Im April haben die G20-Teilnehmer noch von der notwendigen Regulierung der internationalen Finanzmärkte gesprochen. Geschehen ist wenig. Jetzt feiern sich die Finanzminister in der EU für ihre - beinahe vorhandene - Einigkeit, die Boni der Manager zu begrenzen. Das ist lächerlich", kritisierte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Die Boni zu beschränken sei zwar sinnvoll, stehe als alleinige Maßnahme aber in keinem Verhältnis zu den Dimensionen und Ursachen der weltweiten Wirtschaftskrise. Allen Versprechen im April zum Trotz hätten die EU und die G20 seitdem weder die Hedgefonds wirksam begrenzt, noch begonnen, die Ratingagenturen zu überwachen. Auch die Maßnahmen gegen Steueroasen seien angesichts der schwachen OECD-Kriterien ein Trauerspiel. Jutta Sundermann: "Wenn die Finanzminister jetzt so tun, als hätten sie ein besonderes Paket für Pittsburgh gepackt, dann setzen sie auf ein sehr kurzes Gedächtnis der Öffentlichkeit. Krisenbewältigung und die Vermeidung zukünftiger Krisen sehen anders aus." Das europäische Attac-Netzwerk wird mit einer Delegation bei den G20-Protesten in Pittsburgh vertreten sein.


EU macht weniger Gesetze als angenommen

3.9. hav. Der Einfluss der Europäischen Union auf die deutsche Gesetzgebung ist geringer als allgemein angenommen. Nur 31,5 Prozent - also weniger als ein Drittel - der in der laufenden 16. Legislaturperiode vom Bundestag verkündeten und verabschiedeten Gesetze gingen auf einen Impuls der EU zurück. Das geht aus einer Statistik der Bundestagsverwaltung hervor. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Ressorts. So wurden nur 17 der insgesamt 74 in die Zuständigkeit des Innenministeriums fallenden Gesetze von Brüssel und Straßburg aus angestoßen (ungefähr 23 %). Im Agrarressort betrug der Anteil dagegen 52%, im Umweltressort sogar 67%. Bei den in die Zuständigkeit des Finanzministeriums fallenden Gesetzen wiederum lag der Anteil trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise mit ungefähr 33 Prozent nur knapp über dem Durchschnitt. Im Wirtschaftsressort waren es ungefähr 38 Prozent. Die laufende Legislaturperiode ist nach Angaben der Bundestagsverwaltung keineswegs eine Ausnahme. In der vorangegangenen Legislaturperiode betrug der Anteil der europäisch initiierten Gesetze 39,1 Prozent, in der Periode davor 34,5 Prozent. In den neunziger Jahren lag der Anteil sogar nur bei knapp 25 Prozent. Erfasst werden in der Statistik alle Gesetze, die auf EU-Regelungen zurückgehen - aber auch Gesetzesänderungen, die etwa nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) nötig sind.


Reich, aber glücklich?

www.diw.de, 26.8. alk. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine Studie zum Wohlbefinden der Reichen in der Bundesrepublik veröffentlicht und unter der Überschrift "Das Schickedanz-Syndrom" gelangte die entsprechende Pressemitteilung auch in verschiedene Tageszeitungen - Frau Schickedanz als Symbol für Reiche mit Sorgen. Die Großaktionärin der insolvent gewordenen Firmen Karstadt und Quelle, hatte sich in der Boulevardpresse beklagt, dass sie jetzt mit 500 bis 600 Euro monatlich ihre Einkäufe bestreiten müsse. Nun wäre das nicht allzu berichtenswert, zumal das DIW selber etwas ironisch schreibt: "Die zunehmende Gruppe der besorgten Reichen, spiegelt die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit, erzeugt aber sicherlich keinen sozialpolitischen Handlungsbedarf." - Die wachsende Armut sei dagegen ein wirkliches Problem. Interessant an der Studie ist etwas anderes: Die DIW-Studie macht sich den Ansatz von Bourdieu über "die feinen Unterschiede" zu eigen, wonach sich die Oberschicht nicht nur über Einkommen und Vermögen von den anderen Gesellschaftsklassen abgrenzt. "Die Freiheit von materiellen Sorgen verleiht eine Gelassenheit, die in den alltäglichen Praktiken und ökonomischen Entscheidungen der Eliten als intellektuelle und sogar charakterliche Überlegenheit wiederkehrt und in frühen Sozialisationsprozessen an die nachwachsende Generationen weitergegeben wird ... Materieller Reichtum wird erst Kraft der Distanzierung, die er materiellen wie auch anderen sozialen Zwängen gegenüber ermöglicht, zum legitimen und 'wahren' Reichtum: nämlich zum 'sorgenfreien Reichtum'."

Daher hat das DIW nicht nur das Einkommen und dessen Dauerhaftigkeit zum Maßstab genommen, sondern direkt nach der "Sorgenfreiheit" gefragt. Entsprechend wurde die Gesellschaft gruppiert (siehe Grafik):

- Immer reich und sorglos (das sind knapp ein Prozent der Gesellschaft mit geringen Schwankungen, denn sorgenfreier Reichtum ist ja gerade deshalb sorgenfrei, weil er nicht von der Konjunktur abhängt).

- Immer sorglos, aber nie reich (der Anteil hat von um die sechs Prozent abgenommen auf knappe vier).

- Immer reich, aber nie sorglos (Reiche mit Sorgen haben zugenommen).

- Nie sorglos und nie reich (der Anteil hat zugenommen von um die 45 auf gut über 50 Prozent der Bevölkerung).

- Und schließlich solche, die manchmal reich waren oder manchmal sorglos (deren Anteil hat abgenommen auf etwas über 40 Prozent).

Wer sind nun in Deutschland die "sorglos Reichen"? Die Studie sagt: ältere Personen, genau gleich viele Männer wie Frauen; fast ausschließlich deutsche Staatsangehörige (98,5%), fast ausschließlich in Westdeutschland. Sie leben in Paarhaushalten ohne Kinder im Wohneigentum, überwiegend Akademiker oder zumindest mit Abitur, zumeist noch erwerbstätig und zwar bevorzugt als Beamte (44,3%) oder sonst im öffentlichen Dienst und zwar in leitenden Berufen.

Es handelt sich, so das DIW, dabei tatsächlich um eine ökonomische Elite, denn nicht nur die Einkommen sind hoch; auch die Vermögenswerte bei dieser Gruppe der sorgenlos Reichen waren mit im Mittel fast 400.000 Euro überdurchschnittlich (Bevölkerung insgesamt: 60.000 Euro).

Die Eigentümer von Produktionsmitteln sind als Repräsentanten der herrschenden Klasse vielleicht auffälliger, weil so jemand ja auch mal dramatisch abstürzen kann. Die größeren und kleineren Lenker des Staatsapparats, die dort reich geworden sind und es bleiben wollen, werden leicht übersehen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Leben in Einkommensreichtum und ohne materielle Sorgen


*


Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 8. Oktober 2009. Redaktionsschluss: Freitag, 2. Oktober. Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de. Tel: 0711/3040595, freitags von 7-12 h.

Die nächsten Erscheinungstermine, jeweils donnerstags: 8. Oktober, 5. November, 3. Dezember, 13. Januar 2010.

Raute

Nach den Landtagswahlen, vor der Bundestagswahl

Union setzt auf Kontinuität und Stabilität, Umbauprogramm für linkes Reformbündnis nicht in Sicht

Der Landtagswahlsonntag am 30. August ist vorbei, die Umsetzung der Ergebnisse in Koalitionen erweist sich als schwierig. (Zu den Kommunalwahlen am selben Tag in NRW siehe Seite 12 folgende.) Obwohl die Ergebnisse der Union schwach bis verlustreich ausfielen, und die Arithmetik lediglich im Freistaat Sachsen der Union eindeutig die Aufgabe der Regierungsbildung zuweist, bleibt es womöglich auch in Thüringen und im Saarland bei Regierungen unter christlich-konservativer Führung.

Damit dies in Thüringen geschehen kann, müssen die Differenzen zwischen Union und Sozialdemokratie überbrückt und die Verbindungen zwischen Grünen, Linken und der SPD aufgebrochen werden.

Damit es im Saarland dazu kommt, müssen die Differenzen zwischen der Union, der FDP und den Grünen überbrückt werden.

In Sachsen hat die Union bei den Mandaten zugelegt und käme mit jeder im Landtag vertretenen Partei zu einer Mehrheitsbildung. Erwartet wird eine Koalition mit der FDP oder die Fortsetzung der bisherigen Koalition mit der SPD. Bemerkenswert ist noch, dass in Sachsen nunmehr sechs Parteien im Spiel sind. Die NPD hat dort zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte eine Wiederwahl in einen Landtag erreichen können und sieht darin einen bedeutenden strategischen Erfolg.

Obwohl die Wahlergebnisse landesspezifisch sind, zeichnet sich in ihnen eine neue politische Konstellation ab: Auch wenn die Mehrheit der Mandate an SPD, Grüne und Linke fällt, kann es zu einer Regierung unter christlich-konservativer Führung kommen. Und: Entsprechende parlamentarische Verabredungen stoßen in der Wählerschaft zwar auf Kritik, finden aber auch hinreichend Zuspruch. Vorzeichen hat es mit der Bildung der großen Koalition im Bund 2005 und der Hamburger Landesregierung aus CDU und Grünen im Jahr 2008 gegeben. Der Gang der derzeitigen Koalitionsdiskussionen in den genannten drei Bundesländern lässt aber die Vermutung zu, dass die Kombination Christlich-Konservative + X zu einer Wählerpräferenz geworden ist.

Wie ist die Union in diese führende Rolle geraten? Naheliegend ist, dass die Versprechen von Kontinuität und Stabilität einem verbreiteten Wunsch der Wählerinnen und Wähler entgegenkommen. Dafür hat sich die Regierung unter Führung der CDU-Kanzlerin nicht ohne Erfolg eingesetzt, und diese Zielvorstellung bestimmt wohl auch die Überlebensstrategien des großen Teils der privaten Haushalte. Eine solche Strukturähnlichkeit handlungsleitender Grundsätze bildet die Grundlage des hohen Sympathiewerte, deren sich die Kanzlerin erfreut.

Diese komfortable Situation hat sich für die Union ergeben, weil die SPD unter der Führung des damaligen Kanzlers Schröder das Stabilitätsversprechen, das die Politik der Sozialdemokratie während der ganzen Nachkriegszeit kennzeichnete, aufgegeben hat. Mehr als nur ein Symbol dafür war das Ende der Garantie eines der vorher ausgeübten Tätigkeit entsprechenden Arbeitsangebots in Verbindung mit Zusicherung von Arbeitslosenhilfe. Seither kann die Union, auch wenn sie Verluste erleidet, im Arbeitnehmermilieu festen Fuß fassen.

Streben nach Stabilität ist nur auf den ersten Blick eine defensive Grundeinstellung. Diese Haltung ist mit einem Ja zu den vorgefundenen Ungleichheiten und schreienden Ungerechtigkeiten logisch verknüpft, mag es auch im Unterton des Bedauerns ausgesprochen werden.

Im Fünf- bis Sechs-Parteiensystem kann sich die Union mit einer solchen Ausrichtung eine Rolle als führender Faktor ausrechnen. Koalitionsvereinbarungen mit SPD, FDP oder Grünen können zu Korrektur- und Anpassungsprozessen benutzt werden.

Koaliert die Union mit der SPD, so unterstreicht sie die Bedeutung der Solidarität, der Sozialversicherungen und der Umverteilung durch den Staat, treibt sie es mit der FDP, gibt sie dem Recht auf Bereicherung Raum, geht sie mit den Grünen zusammen, sagt sie ja zu "unchristlichen" Lebensentwürfen und zum staatlich gelenkten Ausbau des ökologischen Wirtschaftssektors. Kommt es tatsächlich mal zu einer Koalition mit den Grünen und der FDP, dann zeigt man den sozialen Bewegungen ihre Grenzen auf ... All diese Konstellationen würden sich nicht nur als parlamentarische Mehrheit darstellen, sie könnten auch tragende Zustimmung in der Bevölkerung mobilisieren.

Viele Jahre lang war die Vorstellung einer Ablösung der bürgerlichen, an Besitz und Besitzstand orientierten Mehrheit durch eine reformerische Mehrheit aus SPD, Linken und Grünen eine Frage vor allem der arithmetischen Mehrheit. Die jetzt vorliegenden Wahlergebnisse und die Koalitionsdiskussionen, die sie auslösen, zeigen die Grenzen dieser schlichten Rechnung.

Unter welchen Bedingungen kann es zu einer Mehrheits- und Regierungsbildung aus SPD, Grünen und der Linken kommen? Solche Koalitionen können sich nur bilden, wenn die bürgerliche Mehrheit offenbar unfähig zur Erledigung von Regierungsgeschäften ist und ihre Stabilitätsversprechen für große Teile ihrer Anhängerschaft zu wertloser Makulatur werden. In diesem Falle kommt es zu Not-Koalitionen wie etwa im Bundesland Berlin, die den Reformhoffnungen in der Bevölkerung nicht so recht entsprechen.


Reformpolitik

Die letzten Monate und Jahre haben die Risiken modernen, weltwirtschaftlich verflochtenen Wirtschaftens drastisch gezeigt. Die Bedeutung politischer Entscheidungen für das Wirtschaften wurde unübersehbar. Der Wunsch nach Stabilität und Gewährleistung des Status quo sollte unter diesen Voraussetzungen eine starke, wenn nicht bestimmende Grundströmung in der öffentlichen Meinung bleiben.

Eine regierungsfähige Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken kann sich unter solchen Gegebenheiten nur herausschälen, wenn die vielfältigen Wünsche nach Veränderungen zu einem Reformprogramm verdichtet werden, das Umbauten gesellschaftlicher Einrichtungen beschreibt und zwar ziemlich konkret.

Umbauten des Schulwesens, des Gesundheitswesens, des Verkehrsstruktur und der Energiewirtschaft, Umbauten auch der internationalen Institutionen und Beziehungen - eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von tragfähigen, belastbaren Alternativen wird der Linken zukommen. Bliebe diese bei der Polemik gegen den Status quo stehen, so könnte ein Reformbündnis nicht entstehen; es käme sogar dahin, dass die an Reformen interessieren Kräfte in der SPD und bei den Grünen sich mit der Union einlassen müssten, um überhaupt etwas zu erreichen.

Martin Fochler, Alfred Küstler


*


Sitzverteilung für das Saarland
Sitze insgesamt: 51

2009
2004
CDU
FDP
SPD
Grüne
Linke
19 (-8)
5 (+2)
13 (-5)
3 (0)
11 (+11)
27
3
18
3
-

Wahlergebnis in Prozent
im Vergleich zur Landtagswahl 2004

2009
2004
CDU
SPD
Linke
FDP
Grüne
34,5
24,5
21,3
9,2
5,9
47,5
30,8
2,3
5,2
5,6

Sitzverteilung für Thüringen
Sitze insgesamt: 88

2009
2004
CDU
FDP
SPD
Grüne
Linke
30 (-15)
7 (+7)
18 (+3)
6 (+6)
27 (-1)
45
-
15
-
28

Wahlergebnis in Prozent
im Vergleich zur Landtagswahl 2004

2009
2004
CDU
Linke
SPD
FDP
Grüne
NPD
31,2
27,4
18,5
7,6
6,2
4,3
43,0
26,1
14,5
3,6
4,5
1,6

Sitzverteilung für Sachsen
Sitze insgesamt: 132 (+8)

2009
2004
CDU
FDP
SPD
Grüne
Linke
NPD
58 (+3)
14 (+7)
14 (+1)
9 (+3)
29 (-2)
8 (-4)
55
7
13
6
31
12

Wahlergebnis in Prozent
im Vergleich zur Landtagswahl 2004

2009
2004
CDU
Linke
SPD
FDP
Grüne
NPD
40,2
20,6
10,4
10,0
6,4
5,6
41,1
23,6
9,8
5,9
5,1
9,2

In den Grafiken sind die Wahlergebnisse und daraus resultierenden Sitzverteilungen bei den Landtagswahlen am 30. August wiedergegeben. Im Einzelnen ergeben sich daraus folgende Koalitionsmöglichkeiten:

Saarland: Möglich wäre eine Koalition von SPD, Linke und Grüne (27 von 51 Sitzen); ebenso aber auch eine sogenannte Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen (ebenfalls 27 Sitze) - die rein rechnerische Möglichkeit CDU mit Linke braucht nicht betrachtet zu werden. Die Entscheidung darüber liegt bei den Grünen. Bisher äußert sich deren Landesvorsitzender und vermutlicher Fraktionsvorsitzender Ulrich offen nach allen Seiten. Mit der SPD gäbe es zwar viele Übereinstimmungen, an der Linken stören ihn Überläufer in deren Fraktion und Äußerungen von Lafontaine im Wahlkampf, die Grünen aus dem Parlament kegeln zu wollen. Mit der CDU habe man zwar programmatisch Probleme, aber das Ende des Steinkohlebergbaus sei in einer Jamaika-Koalition eher zu machen als mit SPD und Linken. Entschieden werden soll erst nach der Bundestagswahl.

Thüringen: Hier sind neben der nur rechnerischen Möglichkeit CDU-Linke zwei Koalitionen im Gespräch: Die CDU mit der SPD (48 von 88 Sitzen) oder Linke und SPD (45 Sitze); die Grünen werden nicht benötigt, die SPD drängt aber darauf sie in eine Koalition einzubinden. Hindernis Nummer 1 für die Koalition von der CDU mit der SPD, der bisherige Ministerpräsident Althaus, hat seinen Rücktritt erklärt; die CDU müsste bei der Schulpolitik Zugeständnisse machen; das könnte die SPD dann als Erfolg verkaufen, für den man eine ungeliebte Koalition eingeht. Gegen die rot-rot-(grüne) Variante spricht bisher, dass dann Bodo Ramelow von der Linken eigentlich Ministerpräsident werden müsste. Das lehnen die SPD und die Grünen bisher kategorisch ab; die SPD beansprucht dieses Amt für ihren Spitzenkandidaten Matschie. Bisher haben Sondierungsgespräche von Seiten der SPD sowohl mit der Linken als auch der CDU stattgefunden, über die Ergebnisse wird nicht berichtet. Auch hier ist vermutlich erst nach der Bundestagswahl mit einer Entscheidung zu rechnen.

In Sachsen, wo rechnerisch die CDU mit allen anderen eine Koalition bilden kann, scheint die Sache bereits entschieden. Nach Alibigesprächen mit der SPD (20 Minuten) und den Grünen haben sowohl die CDU- als auch die FDP-Parteigremien entschieden, Koalitionsverhandlungen über eine schwarz-gelbe Regierung aufzunehmen. Hier wird Tempo gemacht, um diese Konstellation noch vor den Bundestagswahlen als bevorzugte Regierungskoalition vorzustellen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären ...
Schwarz-gelb bleibt vorn und die Linke geht nach oben - allerdings sagen alle Umfrage-Institute, die Unsicherheit sei sehr hoch; eine große Zahl von Wählern hätte sich noch nicht entschieden, ob und wenn ja wem sie ihre Stimmen geben.

Raute

CSU und FDP verbuchen Großspende der bayerischen Metall- und Elektroindustrie

Bundestagsnachrichten/Unterrichtung - 8.9.2009. Berlin: (hib/BOB/HAU) Die Christlich Demokratische Union (CDU), die Christlich Soziale Union (CSU) und die Freie Demokratische Partei (FDP) verbuchten im Juli 2009 jeweils drei Großspenden, die über dem Betrag von 50.000 Euro lagen und gemäß Parteiengesetz anzuzeigen waren. Wie aus einer Unterrichtung (16/13929) des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) hervorgeht, erhielt die CDU 106.000 Euro von der Hamburger "Berenberg Bank Joh. Berenberg Gossler & Co.". 100.000 Euro gingen vom Verband der Chemischen Industrie e.V. aus Frankfurt/Main auf das Konto der Partei. Weitere 70.000 Euro spendete Martin Herrenknecht aus Schwanau. Der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie e.V. aus München spendete 600.000 Euro an die CSU und 150.000 an die FDP. Ebenfalls an die CSU gingen mehr als 124.000 Euro von der Firma Scheffel Grund GmbH aus München. Von der Versicherung Allianz SE konnte die CSU 60.001 Euro verbuchen. Auf das Konto der FDP flossen 150.000 Euro von der Deutschen Vermögensberatung AG. 100.000 spendete die Allfinanz Deutsche Vermögensberatung AG aus Frankfurt/Main den Liberalen.
http://www.bundestag.de/presse/hib/2009_09/2009_247/03.html

Raute

Ärzte u. Psychotherapeuten wollen sich nicht instrumentalisieren lassen

BERLIN. 1.9.09. Mehr als 200 Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten aus dem gesamten Bundesgebiet sprechen sich anlässlich des Antikriegstages am 1. September gegen eine Vereinnahmung ihrer Berufsstände für den Afghanistan-Krieg aus. "Wir Ärzte und Psychotherapeuten lehnen die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan ab", heißt es in einem Schreiben an Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). "Den Aufruf des Verteidigungsministeriums, uns an der Behandlung von traumatisierten Soldaten zu beteiligen und uns damit für die Kriegsführung der Bundesregierung instrumentalisieren zu lassen, weisen wir zurück", betonen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. Hintergrund der Initiative der Ärzteorganisation IPPNW ist ein Appell im letzten Bundesmitgliederbrief der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung, in dem die Bundeswehr qualifizierte externe Psychotherapeuten zur Behandlung traumatisierter Soldaten sucht. Beigelegt ist ein Formblatt, in dem sich die Therapeuten bereit erklären sollen, kurzfristig Therapieplätze zur Verfügung zu stellen, nebst der Aufforderung, "den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend" gegenüberzustehen. Der Brief ist in der Homepage des bundesweiten Friedenspolitischen Ratschlags dokumentiert.
www.uni-kassel.de/fb5/frieden


*


"Ehrenmal" der Bundeswehr - Wer gedenkt der Opfer des Krieges?

BERLIN. 7.9.09. Zur Einweihung des "Ehrenmals der Bundeswehr" (8.9.09) auf dem Gelände des Bendlerblocks in Berlin fragen der außenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, Norman Paech, und deren kulturpolitische Sprecherin, Luc Jochimsen: "Wer gedenkt gerade jetzt der zivilen Opfer des Krieges, den wir führen?"

"Da halten der katholische und der evangelische Militärbischof Andacht. Da redet der Bundespräsident und enthüllt zusammen mit dem Bundesminister der Verteidigung und dem Generalinspekteur der Bundeswehr die Inschrift Den Toten unserer Bundeswehr für Frieden, Recht und Freiheit - und die Wunden und Gräber ziviler Opfer eines durch deutschen Befehl ausgelösten Bombenangriffs in Afghanistan sind noch ganz frisch."

Die Linksfraktion hat die Errichtung dieses Ehrenmals abgelehnt und stattdessen ein 'Mahnmal für die Opfer der gegenwärtigen und zukünftigen Kriege' gefordert - für Soldaten und Zivilisten. Das wäre angesichts der über 800 Zivilisten, die durch Nato-Kriegsaktionen in diesem Jahr in Afghanistan ums Leben gekommen sind, das einzig annehmbare Symbol. Zurecht wird um umgekommene Soldaten getrauert, aber niemand darf weniger um getötete Zivilisten trauern.

Angesichts der Pomp-Veranstaltung im Bendlerblock fordern wir: Jetzt erst recht raus aus diesem Krieg!"
http://www.linksfraktion.de/


*


Hamburg muss seine Tore für Flüchtlinge aus Afghanistan öffnen!

HAMBURG, 7.9.09. Unter der unerträglich hohen Zahl von Toten, die der von der Bundeswehr befohlene Nato-Luftangriff auf zwei entführte Tanklaster zur Folge hatte, befanden sich auch viele Zivilisten. Dazu erklärt die innenpolitische Sprecherin der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, Christiane Schneider:

"Immer häufiger wird die afghanische Zivilbevölkerung Opfer der terroristischen Kriegsführung beider Kriegsparteien, der Nato wie der Taliban. Allein in diesem Jahr wurden bereits über 800 Zivilisten getötet. Wir fordern den Senat auf, eine Initiative zu ergreifen und die Tore Hamburgs weit zu öffnen für Menschen aus Afghanistan, die dem Töten entkommen wollen.

Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine hohe Mitverantwortung für das Leiden der afghanischen Bevölkerung. Hamburg kann und muss Verantwortung dafür übernehmen, dass die unter dem Krieg leidenden Menschen einen Zufluchtsort finden."
www.linksfraktion-hamburg.de

Raute

Friedensbewegung fordert: Schluss mit dem Krieg! - Verteidigungsminister Jung muss zurücktreten - Bundeswehr raus aus Afghanistan

Die Bundeswehr hat einen vernichtenden Luftschlag auf die von Taliban entführten Tanklastzüge herbeibefohlen, ohne dass es dafür einen militärischen Grund gegeben hätte, im Gegenteil: es musste klar sein, dass Zivilpersonen getroffen werden würden. Während die Taliban mit der Entführung dartun, dass die Interventionstruppen die Verkehrswege nicht sichern können, zeigte die Bundeswehr, dass sie jederzeit und an jedem Punkt des Landes die Fähigkeit und Bereitschaft hat zu töten. Weil ein unmittelbar militärischer Zweck nicht vorliegt, bleibt eine Demonstration von Macht zur Willkür übrig, eine Haltung, die jeden Weg zu einer offensichtlich nötigen Verhandlungslösung abschneidet.

Flugblatt, 8.9.09. Bei einem Luftangriff der NATO-Truppe ISAF auf von Taliban entführte Tanklastwagen sind am 4. Sept. in Nordafghanistan dutzende Menschen getötet worden. Der deutsche Kommandeur, der den Angriffsbefehl gab, bedauert das Massaker; Verteidigungsminister Franz Josef Jung leugnet hartnäckig, dass Zivilpersonen zu Schaden gekommen seien, und behauptet, es seien "ausschließlich Taliban getötet worden". Doch das glaubt außer ihm keiner. Selbst der oberste NATO-Kommandeur in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, der sich vor Ort erkundigte, sprach davon, dass es zivile Opfer gegeben habe. Der afghanische Präsident Hamid Karsai sprach von rund 90 Toten und Verletzten.

Dieser neuerliche "Zwischenfall" belegt aus Neue, dass es sich in Afghanistan nicht etwa um einen "Stabilisierungseinsatz" handelt (so noch am 4. September der Sprecher des Verteidigungsministers), sondern um einen veritablen Krieg. Einen Krieg, der immer härter und grausamer geführt wird und in dem zivile Opfer an der Tagesordnung sind. Jahrelang haben uns die Politiker der Regierungskoalition einzureden versucht, im Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr "Aufbauarbeit" leiste, sei die Lage ruhig; gekämpft werde nur im Süden und Osten des Landes. Auch diese Lüge ist längst an der rauen Wirklichkeit zerplatzt. Es wird Zeit, dass der zuständige Minister wegen andauernden Lügens seinen Hut nimmt.

Der Zweite Weltkrieg, an dessen Beginn vor 70 Jahren am 1. September erinnert wurde, dauerte weniger als sechs Jahre. Der Krieg des Westens in Afghanistan geht im Oktober ins neunte Jahr. An diesem ungleichen Krieg sind insgesamt 40 Staaten mit Soldaten und modernstem militärische Gerät beteiligt. Weder konnten sie den Gegner in die Knie zwingen, noch konnten sie sichtbare Erfolge im Kampf gegen die Kriegsökonomie (Drogenanbau) erzielen, von wirtschaftlichem Aufbau in scheinbar "ruhigeren" Zonen ganz zu schweigen. Bedenkt man, dass dem jetzigen Krieg ein zwanzigjähriger Krieg und Bürgerkrieg vorausging, dann kann man ermessen, wie sehr die Bevölkerung des Landes darunter zu leiden hatte und hat.

Verteidigungsminister Jung und die ganze Bundesregierung sollen sich nicht weiter in die Tasche lügen: Es wird keinen zivilen Aufbau geben, solange das ausländische Militär in Afghanistan bleibt.

Humanitäre Hilfsorganisationen wie Caritas, Welthungerhilfe, Medico, Kinderhilfe Afghanistan u.a. klagen seit Jahren darüber, dass die Verquickung von ziviler Hilfe und militärischem "Schutz" die zivile Hilfe verunmöglicht. Der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO) kritisiert schon länger, dass sich die humanitäre Hilfe "im Windschatten militärischer Interventionen" einzuordnen hat. Der Verband fordert eine strikte Trennung von militärischen Aktionen und humanitärer Hilfe. Auch der Vorsitzende der Welthungerhilfe nannte vor wenigen Tagen die "zivil-militärische Zusammenarbeit" einen "Sündenfall" und forderte deren strikte Trennung.

Wenn es aber richtig ist, dass zivile Hilfe nur dort ankommt und wirklich hilft, wo kein Militär ist, dann ist es nur konsequent, wenn sich das Militär ganz aus Afghanistan verabschiedet. Dies entspricht im Übrigen dem eindeutigen Mehrheitswillen der Bevölkerung in Deutschland, wie zahlreiche Umfragen immer wieder bestätigten. Der Bundestag sollte - in Abkehr seiner bisherigen Politik - die Initiative ergreifen und sich endlich für ein Ende des Bundeswehreinsatzes einsetzen. Dies entspräche dem Willen der Bevölkerung.

Die Friedensbewegung ruft in diesen Tagen im ganzen Land zu Aktionen zur Beendigung des Afghanistankrieges auf.

Wir fordern - den Rücktritt von Verteidigungsminister Franz Josef Jung, - den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, - die Verstärkung der ausschließlich zivilen Hilfe, und zwar dort, wo dies von der afghanischen Bevölkerung gewünscht wird.
www.uni-kassel.de/fb5/frieden/bewegung/afgh

Raute

IWF erweitert Sonderziehungsrechte

China kauft IWF-Schuldscheine

Der Internationale Währungsfond (IWF) gab am 3. September bekannt, dass sein Direktor Strauss-Kahn und der Vizegouverneur der chinesischen Notenbank, Yi Gang, ein Abkommen unterzeichnet haben, wonach die chinesische Notenbank vom IWF Schuldscheine in Höhe von 50 Milliarden Dollar erwirbt. Die Schuldscheine des IWF lauten nicht auf Dollar, sondern auf Sonderziehungsrechte (SZR), die Bezahlung der Schuldscheine durch die chinesische Notenbank erfolgt in Renminbi, der chinesischen Währung.

Wenige Tage zuvor hatte der IWF eine Erhöhung seiner Sonderziehungsrechte um umgerechnet 180 Milliarden Euro beschlossen. Am 9. September soll eine weitere Anhebung um umgerechnet 24 Milliarden Euro folgen. Damit werden die Sonderziehungsrechte der Mitgliedsländer des IWF binnen weniger Wochen mehr als verzehnfacht. Ziel dieser drastische Ausweitung der IWF-Mittel ist es, einen Beitrag zur Stabilisierung des Welthandels in der derzeitigen Wirtschaftskrise zu leisten. Die zusätzlichen Mittel sollen allen IWF-Mitgliedsstaaten die Finanzierung ihrer Welthandelsgeschäfte erleichtern.


Sonderziehungsrechte als neue Weltwährung?

Sonderziehungsrechte (SZR) gibt es seit 1969. Sie sind eine internationale "Korbwährung". Ein SZR ist seit Januar 2006 festgelegt als Summe von 0,632 US-Dollar, 0,410 Euro, 0,0903 Pfund Sterling und 18,4 Yen. Der Kurs der SZR wird wie bei allen Währungen täglich festgestellt, schwankt aber wegen dieses "Korbs", durch den sie definiert sind, weniger als der einzelner Währungen. Alle 186 Mitgliedsländer des IWF haben Zugriff auf diese Korbwährung, um damit Kredite für Warengeschäfte, für große Investitionsvorhaben und ähnliche Zwecke aufzunehmen oder zurückzuzahlen und um ihre eigene Währung gegen Kursschwankungen auf dem Weltmarkt zu sichern.

Das hört sich auf den ersten Blick gut an, hat aber einen großen Haken. Denn der Zugriff auf Sonderziehungsrechte ist begrenzt, je nach der vom einzelnen Land beim IWF eingezahlten Quote. Faktisch bedeutet das derzeit: Die 15 EU-Länder zusammen verfügen über IWF-Quoten von 30,25 Prozent. Alle Industrieländer, also EU, USA, Japan, Kanada usw., verfügen über 61,4 Prozent der IWF-Quoten. Alle anderen IWF-Mitgliedsländer, darunter große und bevölkerungsreiche Länder wie Russland, China, Indien, Pakistan, Bangladesh, Brasilien, Indonesien, Südafrika, Nigeria usw., müssen sich mit 38,6% der IWF-Sonderziehungsrechte begnügen. Allein die USA verfügen über eine höhere IWF-Quote als ganz Afrika und Asien zusammen. Nutznießer der Sonderziehungsrechte sind deshalb bisher meist die reichen Länder.

Auf dem G-20-Gipfel im April diesen Jahres hatten sich die G-20-Staaten dennoch auf eine starke Ausweitung der Sonderziehungsrechte geeinigt, verbunden mit der Maßgabe, mindestens 100 Milliarden der neuen Sonderziehungsrechte sollten armen und Schwellenländern zugute kommen.


BRIC-Staaten dringen vor

Wie das finanziert werden sollte, war damals offen gelassen worden. Grundsätzlich wäre möglich, dass alle Mitgliedsstaaten ihre zinslosen Einlagen beim IWF erhöhen. Da aber nur reiche Mitgliedsstaaten in der derzeitigen Wirtschaftskreise ihre zinslosen Einlagen beim IWF erhöhen können, hatte der IWF am 1. Juli beschlossen, erstmals in seiner 60-jährigen Geschichte Kredite aufzunehmen.

Erster Kreditgeber ist nun China. Die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen vor wenigen Tagen, ihre zusätzlichen Mittel für den IWF von 75 auf 125 Milliarden Euro zu erhöhen. Der deutsche Finanzstaatssekretär Asmussen nannte den Beschluss in Brüssel einen "wichtigen Durchbruch".

Aber auch die anderen sogenannten "BRIC-Staaten", das sind Brasilien, Russland und Indien, sollen Interesse an den IWF-Anleihen bekundet haben. Damit ist absehbar, dass das wirtschaftliche Gewicht der BRIC-Staaten und generell der sogenannten "Schwellenländer" im IWF steigen wird. Wer zahlt, entscheidet auch.

Wann aus diesem wachsenden Gewicht von Staaten wie China, Russland, Indien usw. neue satzungsgemäße Stimmrechte für diese und andere, ärmere Länder im IWF erwachsen, ist noch offen. Eine Expertenrunde unter Leitung des Mexikaners Ernesto Zedillo und des Südafrikaners Trevor Manuel soll dazu Vorschläge erarbeiten. Bis daraus neue Statuten und Stimmrechte im IWF werden, dürfte noch viel Zeit vergehen.


IWF-Auflagenpolitik unter Druck

Auch die IWF-Auflagenpolitik ist unter Druck. Wenn ein Land mehr Hilfen des IWF braucht, als durch die eingezahlte Quote des jeweiligen Landes abgedeckt ist, treten Zinskosten und die berüchtigten IWF-Auflagen in Kraft. Dabei hat der IWF an erster Stelle immer die Interessen der internationalen Gläubiger im Auge. Im Zentrum seiner Auflagen steht stets die Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Landes gegenüber internationalen Kreditgebern. Anliegen wie Konjunkturankurbelung, soziale Folgen etc. sind nachrangig. In der Praxis verlangt der IWF deshalb meist eine "Sparpolitik" à la Brüning: Kürzung von Löhnen und Gehältern im öffentlichen Dienst, Entlassungen, Einschränkung von Renten und sozialen Leistungen aller Art.

Dass der IWF solche Auflagen auch aktuell weiter verhängt, erleben derzeit wieder mehrere Länder. Beispiel Rumänien: Das Land hatte im Frühjahr einen sogenannten "Stand-by-Kredit" des IWF aufnehmen müssen. Am 10. August meldete nun "Focus Money", die rumänische Regierung habe nach Verhandlungen mit dem IWF einer Kürzung der Staatsausgaben in Höhe von etwa 0,8% des BIP zugestimmt. "Auch Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor ... seien vereinbart worden." Man stelle sich vor, hierzulande hätte die Regierung Merkel statt Konjunkturprogrammen, Abwrackprämie und Ausweitung der Kurzarbeit ein solches Brüning-Programm beschlossen. Der Aufruhr wäre ungeheuerlich! In Rumänien aber verhängt der IWF mitten in der Weltwirtschaftskrise ungerührt genau solche Auflagen. Der IWF erwarte nun "einen kräftigeren Einbruch der Wirtschaftsleistung ... Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte zwischen 8% und 8,5% fallen ... Grund ... seien das schlechtere Wirtschaftsumfeld und die niedrigere Binnennachfrage", schreibt "Focus Money". Dass der IWF mit seinen Auflagen diese sinkende Binnennachfrage direkt herbeigeführt und damit die soziale Situation in Rumänien extrem verschlechtert hat, interessiert die Leser von "Focus Money" vermutlich wenig.

Diese Auflagenpolitik des IWF gerät durch die langsame Änderung der Machtverhältnisse im IWF unter Druck. Korrigiert ist sie aber noch lange nicht.


Spekulationen um China und den Dollar

Teile der Presse spekulieren derweil wieder mal über den Abstieg des Dollars als Weltleitwährung. Vor dem G-20-Gipfel in London hatten die chinesische und die russische Regierung verlangt, die Rolle des Dollars als größte Welthandelswährung solle verringert, die der Sonderziehungsrechte gestärkt werden. Das "Handelsblatt" schreibt nun aus Anlass des chinesischen Kredits an den IWF unter der Überschrift "China/Dollar: Subtile Rippenstöße": "Man kann dies durchaus als einen weiteren Trippelschritt Chinas bewerten, sich vom Greenback abzusetzen." Allerdings verfügt die chinesische Notenbank aktuell über Dollar-Reserven von 1.700 Milliarden Dollar.

Solange die USA größter ausländischer Absatzmarkt für chinesische Waren sind, werden US-Firmen und US-Verbraucher die chinesischen Waren auch in Zukunft mit Dollars bezahlen und damit die chinesischen Währungsreserven in Dollar erhöhen. Bis zur Ablösung des Dollars als Welt-Leitwährung ist also noch ein weiter Weg. rül


Quellen: "Ergebnisse des G-20-Gipfels", in: Politische Berichte 4/2009; "Quoten und Stimmrechtsanteile im IWF", in: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2002; Focus Money, 10.8.09; NZZ-Online, FAZ-net, Spiegel-Online, 3.9.09; Handelsblatt, 4.9.09.

Raute

AUSLANDSNACHRICHTEN

Türkei: Armeespitze hält an kemalistischer Staatsideologie fest

"Indem Generalstabschef Ilker Basbug die Leitlinie des verstorbenen Diktators Kemal Atatürk 'Ein Volk, eine Sprache, eine Kultur' in seiner gestrigen Stellungnahme betont hat, hat er die Machtverhältnisse in der Türkei klar gestellt: Die Armee im Hintergrund dominiert die Politik", sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch am 26.8.09 in Göttingen. Mit der Betonung dieser Staatsideologie seien die großartigen Versprechungen von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an die kurdische Bevölkerung nun zunichte gemacht. Gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama hatte sich Erdogan Anfang April mit dem Vorsitzenden der im Parlament vertretenen prokurdischen Partei DTP, Ahmet Türk, zu einem Gespräch getroffen. Danach hatte der türkische Ministerpräsident überraschend angeboten, über die Gleichberechtigung der kurdischen Sprache und möglicherweise auch über eine Autonomie des überwiegend von Kurden besiedelten Gebiets im Osten des Landes sprechen zu wollen.
www.gfbv.de/


Leyla Zana, von mehr als 70 Jahre Haft, bedroht.

Diese Strafe droht der kurdischen Menschenrechtlerin Leyla Zana aus Diyarbakir/Türkei, sollten alle zurzeit gegen sie laufende Verfahren mit rechtsgültigen Urteilen enden. Am 28. Juli 2009 wurde sie von türkischen Richtern in vorletzter Instanz bereits zu 15 Monaten Haft verurteilt. Dies ist die Strafe dafür, dass Leyla Zana auf einer Konferenz in London 2008 mit einem Satz die Rolle des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan als "Identifikationsfigur für viele Kurden in der Türkei" betont haben soll. Dieses Urteil konterkariert alle Bemühungen um eine neue Kurdenpolitik in der Türkei. Leyla Zana war 1991 für die kurdische Partei HEP ins türkische Parlament gewählt worden und hatte in ihrer Muttersprache Kurdisch bei der Vereidigung gesagt: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass das kurdische und das türkische Volk zusammen in einem demokratischen Rahmen leben können." Ihr wurde deshalb das Mandat entzogen und sie wurde 1994 zu 15 Jahren Haft verurteilt. Öffentlicher und politischer Druck bewirkten, dass sie 2004 vorläufig aus dem Gefängnis entlassen wurde. Seitdem wird die Mutter zweier Kinder mit Prozessen überzogen und zuletzt am 4. Dezember 2008 wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Noch musste sie allerdings ihre Haftstrafe nicht antreten.
www.nds-fluerat.org


Ein neuer Anlauf ist nötig: Freiheit für Leonard Peltier!

Der politische Gefangene Leonard Peltier, vor seiner Inhaftierung Aktivist der Amerikanischen Indianerbewegung (AIM), soll auch nach über drei Jahrzehnten Haft nicht freigelassen werden! Das entschied der zuständige US-Bewährungsausschuss. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft erklärte, die Entlassung Peltiers auf Bewährung "würde die Schwere seines Verbrechens herunterspielen und Respektlosigkeit gegenüber dem Gesetz fördern". Leonard Peltier, der in diesen Tagen 65 Jahre alt wird, wurde 1977 in einem mehr als fragwürdigen Gerichtsprozess des Mordes an zwei FBI-Agenten für schuldig befunden. Die beiden waren im Sioux-Reservat Pine Ridge erschossen werden. Im Pine Ridge-Reservat hatte die AIM 1973 im Gedenken an ein Massaker der US-Armee an Sioux im Jahr 1890 das Dorf Wounded Knee besetzt (Bild). In den folgenden Jahren entwickelten sich heftige, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen im Reservat, in deren Verlauf viele Indianer getötet wurden. Viele Kritiker sahen im Prozess gegen Leonard Peltier den Versuch, die AIM zu zerschlagen. Leonard Peltier hat stets beteuert, die beiden FBIAgenten nicht erschossen zu haben. Die US-Regierung selbst hat in den vergangenen Jahren mehrfach eingeräumt, dass sie keine Beweise dafür besitzt, wer die Tat, für die Peltier verurteilt wurde, tatsächlich begangen hat. Der Appellationsgerichtshof hat festgestellt, dass Peltier vermutlich freigesprochen worden wäre, hätte das FBI nicht widerrechtlich Beweismittel zurückgehalten. Viele Millionen Menschen in aller Welt haben sich in den vielen Jahren für die Freiheit Leonard Peltiers eingesetzt, darunter Regierungen, Parlamente, hochrangige Kirchenvertreter und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen. Die spanische Menschenrechtskommission verlieh Peltier 1986 den Internationalen Menschenrechtspreis; zweimal war der Inhaftierte für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Durch all das ließ sich der Bewährungsausschuss ebenso wenig beeindrucken wie durch die Tatsache, dass Leonard Peltier infolge eines Schlaganfalls fast erblindet und an Diabetes erkrankt ist. 2000/2001 hatte eine massive FBI-Kampagne verhindert, dass Bill Clinton entgegen seiner Ankündigung Peltier begnadigt. 2005 wurde der schon Schwerkranke in das Hochsicherheitsgefängnis in Lewisburg verlegt, nachdem die Anstalt Leavenworth, wo er bis dahin inhaftiert war, ihren Hochsicherheitsstatus verloren hatte. Jetzt legte der Bewährungsausschuss die nächste Anhörung Peltiers für das Jahr 2024 fest - dann wäre Leonard Peltier fast 80 Jahre alt und 47 Jahre im Gefängnis.


Ungarn: Serienmörder gefasst, aber die Angst der Roma bleibt

Ende August verhaftete die ungarische Polizei sechs Menschen, die des Serienmords an Roma verdächtigt sind. Zwei von ihnen sind inzwischen durch DNA-Spuren so gut wie überführt. Bei Hausdurchsuchungen wurden sechs Schrotflinten und diverse Waffen sowie Landkarten gefunden, auf denen die Orte der letzten Anschläge eingezeichnet waren. In weiteren markierten Orten waren vermutlich weitere Attentate geplant. Zwei der Festgenommenen trag eindeutig rechtsradikale Tattoos. Die linksliberale Zeitung "Népszabadság" schrieb am 27. August: "Erst jetzt kommt die monatelang unterdrückte, aufwühlende Panik (bei den Romas - CS) hoch ... Genährt wird das Gefühl (eine Mischung aus Zorn, Erniedrigung, Rachsucht, Angst und Ohnmacht) ... auch dadurch, dass die Gefahr tatsächlich nicht gebannt ist. Denn noch immer treiben sich im Land paramilitärische Gruppen herum, die von Zigeunerhass erfüllt sind. Das Mitgefühl für die meuchlerisch gemordeten Roma konnte die Atmosphäre des Hasses nicht zerstreuen. Vorläufig gibt es wahrlich keine Garantie dafür, dass die rassistische Gewalt in Ungarn zu Ende geht." Mehrere hundert Roma haben sich an den Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Roma gewandt mit der Bitte um eine Bescheinigung, dass sie politisch Verfolgte und ständigen Terrorangriffen ausgesetzt sind. Damit droht eine Massenauswanderung von Roma auch in Ungarn, ähnlich wie zuvor schon in Tschechien, zur Realität zu werden.


Belgische Unternehmen mitverantwortlich für Konflikt im Kongo

Die Nichtregierungsorganisation Global Witness hat in ihrem jüngsten Bericht kritisiert, dass belgische Unternehmen, Trademet, Traxys und noch etliche andere, mitverantwortlich für den Konflikt im Kongo sind. Diese Firmen kaufen Rohstoffe aus der Provinz Kivu über kongolesische Zwischenhändler, von denen sie nahezu sicher wüssten, dass sie im Auftrag der wichtigsten Konfliktparteien stünden. Damit finanzieren sie de facto den blutigen Konflikt. Global Witness weist die Rechtfertigungen und Entschuldigungen der Firmen zurück und kritisiert auch ausdrücklich die belgische Regierung, die konkrete Schritte gegen den Handel mit blutigen Rohstoffen verweigert.
(Quelle: Indymedia Belgien)


Erklärung von 40 engagierten Wissenschaftlern: "Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht" - Die iranische Zivilgesellschaft schützen

Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht, / als Glieder eines Leibs von der Schöpfung erdacht. / Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder, / dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider. / Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt, / verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.

Sa'adi (1210 - 1290)

Wenn wir uns gegen die Gewaltandrohung von außen an den Iran (im Atomkonflikt) aussprechen und vor einem Luftangriff warnen, können wir nicht bei der Gewaltanwendung im Iran selbst gegen die eigene Zivilgesellschaft schweigen. Denn die Solidarität mit der Zivilgesellschaft und eine Friedensordnung in der Region begründen das Hauptanliegen unserer Bemühung.

Wenn wir die Sanktionen des Auslandes gegen das iranische Volk verurteilen, verurteilen wir umso mehr inländische Sanktionen gegen friedliche Demonstranten, Journalisten, Gewerkschaftler, Professoren, Studenten u.a. Dadurch entzieht sich die Regierung auch die eigene inländische Basis gegen die ausländische Bedrohung.

Wir wollen nicht nur einzeln, sondern auch als eine Gruppe von engagierten Wissenschaftlern unseren entschiedenen Protest gegen die brutale Niederschlagung von Demonstrationen und gegen die massenhaften Verhaftungen kundgeben und zum friedlichen Dialog mit der Zivilgesellschaft ermahnen. Wir fordern die iranische Regierung auf, alle politischen Gefangenen der letzten Wochen, darunter auch alle Professoren, freizulassen und gerade mit diesen als Moderatoren der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen. Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht - Grundpfeiler der auch vom Iran unterzeichneten UN-Charta der Menschenrechte - werden heute im Iran massiv verletzt.

Wir erinnern daran, dass der gegen Iran aufgebaute Belagerungszustand und die fortwährende Drohkulisse nun wieder auf fatale Weise vor Augen führen, wie sehr dadurch die Spielräume für eine demokratische Entwicklung beschnitten werden.

Gleichzeitig wenden wir uns gegen die unsachliche und vereinnahmende Darstellung der letzten Geschehnisse im Iran in einigen deutschen und internationalen Medien. Als Unterstützer der iranischen Zivilgesellschaft möchten wir die genuine Natur der Proteste der iranischen Demokratiebewegung betonen. Die Demonstranten, die sich aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammenstellen, setzen sich für freie Wahlen und freie Meinungsäußerung ein.

Andererseits erzeugt gewisse Verwunderung, dass gerade diejenigen, die für lähmende Sanktionen und Präventivkrieg gegen den Iran warben, worunter die Zivilgesellschaft zu leiden gehabt hätte, plötzlich von der Solidarität mit dem iranischen Volk sprechen. Sie werden erst dann überzeugend, wenn Sie sich auch gegen die Sanktionen und Gewaltandrohung und für friedlichen Dialog in der Region einsetzen.


UnterzeichnerInnen siehe: http://zmag.de/artikel/erklaerung-von-40-engagierten-wissenschaftlern- 201edie-kinder-adams-sind-aus-einem-stoff-gemacht201c

Raute

REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

AKTIONEN ... INITIATIVEN


Aktionstag der IG Metall mit 45.000 Teilnehmern in Frankfurt

FRANKFURT a.M. Unter dem Motto "Macht Politik für die Mehrheit der Menschen" haben sich rund 45.000 Menschen am 5. September an einem Aktionstag der IG Metall in Frankfurt beteiligt. Im Mittelpunkt stand eine "politische Arena" im Frankfurter Stadion. Der Aktionstag ist der Höhepunkt der Kampagne "Gemeinsam für ein gutes Leben", mit der die Gewerkschaft die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer mit der Politik aufgreifen und den Forderungen und Erwartungen der Menschen ein Forum geben will. "Die IG Metall will ein Signal setzen für eine soziale und gerechte Gesellschaft", sagte der Erste Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber. Die bevorstehende Bundestagswahl sei eine Weichenstellung, welchen Weg die Gesellschaft nehme. "Aus der Finanzmarktkatastrophe und der schlimmsten Weltwirtschaftskrise seit 80 Jahren kann es nur eine Lehre geben: Wir brauchen einen grundlegenden Kurswechsel in Wirtschaft und Politik", forderte Huber. Deshalb könne es nicht egal sein, wer bei der Bundestagswahl die Nase vorn habe. Für Arbeitnehmer wäre schwarzgelb die schlechteste aller Regierungskonstellationen für die nächsten vier Jahre, betonte Huber. Der Gewerkschaftsvorsitzende kündigte weitere Aktionstage in den kommenden Wochen an, auf denen die IG Metall für die Beteiligung an der Bundestagswahl werben will. Am Vormittag hatten bereits rund 10.000 Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet in der Frankfurter Innenstadt mit dem Slogan "Operation Übernahme" auf die unsicheren Perspektiven der jungen Generation aufmerksam gemacht. Neben Erfahrungsberichten von Beschäftigten gehörten Auftritte unter anderem von Bob Geldof und Samy Deluxe zum Programm.
www.igmetall.de


Großdemonstration gegen Überwachung am 12. September 2009

BERLIN. Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler rufen bundesweit zur Teilnahme an der Demonstration gegen die ausufernde Überwachung durch Wirtschaft und Staat auf. Am Samstag, den 12. September 2009, werden sie unter dem Motto "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn!" auf die Straße gehen. Die Demonstration ist Teil des internationalen Aktionstages "Freedom Not Fear", zu dem u.a. in London, Amsterdam, Helsinki, Sofia und Stockholm Proteste gegen die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern stattfinden. Erst vor wenigen Wochen musste sich die Deutsche Bahn zu einem weiteren Datenskandal bekennen. Mit der Sammlung von hochsensiblen Gesundheitsdaten hatte der Konzern erneut die Privatsphäre und Grundrechte ihrer Beschäftigten verletzt. Die Demonstration richtet sich auch gegen die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungen. Seit Anfang 2008 ist nachvollziehbar, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Außerdem wird der anhaltende Protest gegen das Gesetz über Internetsperren fortgeführt. Bereits über 120 Organisationen und Gruppen aus unterschiedlichen Spektren unterstützen den Aufruf zur Demonstration "Freiheit statt Angst". Im vergangenen Jahr brachten mehrere zehntausend Menschen ihren Protest gegen die zunehmende Überwachung zum Ausdruck. Doch weiterhin scheint Widerstand unabdingbar. Die bisherigen Reaktionen der Regierung und der Unternehmer können jedenfalls nicht beschwichtigen.
www.vorratsdatenspeicherung.de


Größte Anti-Atom-Demonstration seit 23 Jahren beflügelt Protestbewegung

BERLIN. Nach der größten Anti-Atom-Demonstration in der Bundesrepublik seit dem Tschernobyl-Jahr 1986 geht die Protestbewegung gegen Atomenergie gestärkt in die Auseinandersetzung der nächsten Monate. Die Organisatoren der Demonstration am 5. September 2009 kündigten weitere Proteste direkt nach der Bundestagswahl an, wenn in den Koalitionsverhandlungen die Entscheidung über die Zukunft der Atomenergie fällt. Die Anti-Atom-Bewegung wird in der Zeit der Koalitionsverhandlungen eine "ständige Vertretung" in Berlin einrichten und bei jeder Verhandlungsrunde vor Ort demonstrieren. Zum Start der Koalitionsgespräche ist eine Aktion "Wir laufen uns warm für den Widerstand" geplant, um der künftigen Regierung deutlich zu machen, was ihr blüht, wenn die Atomkraftwerke weiter am Netz bleiben. Außerdem werden Anti-Atom-Initiativen im ganzen Bundesgebiet in den nächsten Wochen große Banner gegen Atomenergie herstellen, die dann in Berlin zusammengenäht werden. "Wir planen das größte Anti-Atom-Banner der Welt und werden die Koalitionäre damit einwickeln", so Stay, Sprecher der bundesweiten Anti-Atom-Organisation ".ausgestrahlt.". In Berlin haben am 5.9.2009 mehr als 50.000 Menschen für die Stilllegung der Atomkraftwerke demonstriert. Beteiligt waren auch 350 Bäuerinnen und Bauern mit ihren Traktoren, vornehmlich aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, wo der Protest gegen die Atomanlagen in Gorleben seit 32 Jahren nicht kleinzukriegen ist. "Wir werden jetzt nicht mehr lockerlassen. Denn wir haben heute feststellen können, dass der Protest gegen Atomenergie durch alle Bevölkerungsschichten geht", so Stay.
www.ausgestrahlt.de


Kurden in Deutschland - Geschichte, Gegenwart und Perspektiven zur Gleichstellung

BERLIN. Am 9. September 2009 findet in Berlin eine Konferenz zur Situation der KurdInnen in Deutschland statt. Träger der Konferenz ist ein Bündnis aus kurdischen Vereinen, Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen. Dazu Yüksel Kok, stellv. Vorsitzender von YEKKOM: "Nach fast 50-jähriger Migration lebt inzwischen etwa eine Million KurdInnen in Deutschland. Sie sind als Arbeitsimmigranten und Akademiker aus der Türkei, dem Iran, Irak und aus Syrien gekommen oder mussten ihre Heimat als Flüchtlinge verlassen. Etwa ein Drittel hat inzwischen die Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland erworben. Die offizielle Politik in Deutschland sortiert die seit Jahrzehnten hier lebenden KurdInnen immer noch nach den Herkunftsstaaten und Farben ihrer Pässe. Die Kurden als zahlenmäßig zweitstärkste Migrantengruppe sind bis heute den anderen in Deutschland lebenden Migrantengruppen nicht gleichgestellt. Die politischen und sozialen Ereignisse in der Bundesrepublik Deutschland werden aufmerksam und mit großem Interesse verfolgt, denn viele der hier lebenden KurdInnen haben Deutschland zu ihrem zweiten Heimatland erklärt. Insbesondere begreifen sich kurdische Jugendliche in erster Linie als Deutsche. Dennoch möchten die KurdInnen ihre eigene Sprache und Kultur bewahren und sich in ihrer jetzigen Umgebung politisch, kulturell und gesellschaftlich artikulieren. Mit weit über 100 Vereinen zählen sie in Deutschland zu den bestorganisierten Migrantengruppen. Der Radius kurdischer Selbsthilfeorganisationen erreicht weit über fünfzigtausend Menschen. Mit dieser Konferenz möchten wir die Situation der kurdischen MigrantInnen thematisieren, ihre Erwartungen erörtern und Perspektiven für die zukünftige Arbeit erarbeiten und darstellen."
www.yekkom.com


Opfer von Landminen fordern Einhaltung des Ottawa-Abkommens

BERLIN. Der bahnbrechende neue Bericht "Voices From the Ground - Die Stimmen der Opfer" zeigt, dass die Regierungen weltweit trotz der Fortschritte in der Vernichtung von Lagerbeständen und in der Minenräumung ihre Versprechen nicht einhalten, die Opfer von Landminen zu versorgen und wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Zehn Jahre, nachdem das Abkommen von Ottawa über ein Verbot von Landminen in Kraft trat, fühlen 67% der Überlebenden, dass ihre Bedürfnisse noch immer nicht von den nationalen Opferhilfeplänen berücksichtigt werden. Der Aufruf an die Staaten, das Abkommen besser umzusetzen, und die Veröffentlichung des Berichts erfolgten zusammen mit dem zweiten Vorbereitungstreffen in Genf am 3. und 4. September, bei dem rund 150 Länder über den weltweiten Aktionsplan für die nächsten fünf Jahre berieten. Der Bericht wurde von Handicap International und anderen Mitgliedern der Internationalen Kampagne für ein Verbot von Landminen weltweit veröffentlicht. Es ist der erste Bericht, der die Meinung der Überlebenden zur Opferhilfe untersucht. Die Studie wurde im Juli 2009 abgeschlossen und beinhaltet Angaben von 1.645 Opfern aus 25 betroffenen Ländern. Eine Zusammenfassung des Berichts auf Deutsch findet sich unter
www.streubomben.de/dieopfer/die-stimmen-der-opfer.html


Schülerwettbewerb "361 Grad Toleranz" auf YouTube gestartet

BERLIN. Web 2.0-Angebote kämpfen oft damit, dass Rechtsextreme sie nutzen. YouTube geht in die Offensive und startet einen Schüler-Videowettbewerb, um gegen Rassismus zu sprechen und Nazis zu signalisieren, dass sie nicht erwünscht sind. "Wir müssen die Internetcommunity stark machen gegen Rechtsextremismus", sagt Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung, "die Nazis sind im Netz äußerst aktiv. Jetzt ist es an uns, ihre Wortergreifung zurückzudrängen." Genau das möchte der Schülerwettbewerb "361 Grad Toleranz", dessen Start am 26. August 2009 in Berlin eingeläutet wurde. Auf einem eigenen YouTube-Channel können Schülerinnen und Schüler ab 13 Jahren bis zum 16. Oktober ihren Spot gegen Ausgrenzung und Diskriminierung hochladen. Hauptgewinn ist ein exklusives Konzert der Band "Silbermond" in der eigenen Schulaula. Daneben gibt es Klassenreisen nach Berlin und Camcorder zu gewinnen.
www.netz-gegen-nazis.de


Prügel für Neonazigegner

DORTMUND. Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in Dortmund gegen eine Kundgebung von etwa 1000 Neofaschisten demonstriert. Proteste gegen Aktionen von Rechtsextremen gab es am gleichen Tag auch im hessischen Gelnhausen und in Berlin. Dortmunds Polizeipräsident Hans Schulze (SPD) hatte den rechten Aufzug anläßlich des Antikriegstages zwar untersagt. Das Bundesverfassungsgericht hob das Verbot jedoch am Freitag auf. Die Neonazis, die europaweit zu Aktionen zum 70. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges mobilisiert hatten, durften jedoch nicht, wie ursprünglich geplant, in der Innenstadt demonstrieren, sondern lediglich eine Kundgebung in der Nordstadt durchführen. An einer Gegendemonstration des Bündnisses Dortmund stellt sich quer! nahmen mehr als 4000 Neonazigegner teil. Das Bündnis, das unter anderem von Antifagruppen, der Friedensbewegung, Politikern und dem Liedermacher Konstantin Wecker unterstützt worden war, hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Aufmarsch zu verhindern und sich zugleich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und völkerrechtswidrige Angriffskriege positioniert. Im gesamten Stadtgebiet fanden zudem Mahnwachen und kleinere Kundgebungen statt. Zu einem von der Stadt Dortmund organisierten Friedensfest unter dem Motto "Für Dortmund gegen Nazis" kamen etwa 5000 Menschen. Auf der Kundgebung des Bündnisses gab es harsche Kritik an der Dortmunder Polizei. Diese ermögliche es den Neonazis seit Jahren, nahezu ungestört Angriffe auf Antifaschisten und Nichtdeutsche zu verüben, hieß es. Tatsächlich gingen einige der etwa 4500 Beamten, die am Samstag in Dortmund eingesetzt waren, brutal mit Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Antifaschisten vor. Dutzende von ihnen, darunter auch Minderjährige und ältere Menschen, wurden von den Polizeikräften zum Teil schwer verletzt. Nach Polizeiangaben wurden am Samstag 286 Antifaschisten und zwölf Neonazis fest- bzw. in Gewahrsam genommen. Zwölf Menschen, darunter zehn Polizisten, sollen verletzt worden sein ­...
www.jungewelt.de


Kandidaten-Befragung: Über zwei Drittel für Volksabstimmungen

BERLIN. Das Ergebnis der vom Verein Mehr Demokratie organisierten Direktkandidatenbefragung zum Thema "Volksentscheid ins Grundgesetz" ist eindeutig: 67 Prozent aller Direktkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien (1005 von 1499) haben sich mit einer persönlichen Stellungnahme auf volksentscheid.de für bundesweite Volksabstimmungen ausgesprochen. Rechnet man diejenigen dazu, die sich nicht persönlich geäußert haben, deren Partei aber für die Einführung bundesweiter Volksabstimmungen eintritt, wollen sogar 80 Prozent der Kandidaten (1.209) mehr Direkte Demokratie. Die "Nein"-Stimmen kommen fast ausschließlich aus den Reihen der Union: 133 CDUler und 3 CSUler haben sich klar gegen bundesweite Volksabstimmungen ausgesprochen. 15 Unions-Kandidaten befürworten zumindest Volksentscheide zu EU-Fragen, wollen den Bürgern aber bei anderen Themen keine Mitsprache gewähren. Die 18 weiteren Volksentscheids-Gegner stammen aus den Reihen der FDP, der SPD und der Grünen. Unter den Linken-Kandidaten sprach sich niemand gegen Volksabstimmungen aus. Um den Bürgern auch auf Bundesebene direktdemokratische Mitsprache zu geben, müsste die Verfassung geändert werden. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag wird seit Jahren von der CDU verhindert. "Mit der Kandidatenbefragung machen wir Volksabstimmungen bei der Bundestagswahl wählbar", erklärt Michael Efler, Vorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie.
www.volksentscheid.de


Raute

Kommunalwahl NRW: Große Parteien verlieren weiter - Die Linke bleibt hinter Erwartungen zurück

Die SPD in NRW jubelte am 30.8. 2009. Zu ihren 13 Oberbürgermeistern konnte sie nach zehn Jahren Köln und Essen zurückgewinnen und ihre Mehrheiten im Ruhrgebiet ausbauen. Betrachtet man die Zahlen nüchtern, stellt man jedoch fest: Die SPD erhielt ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Kommunalwahl in NRW und ist nun auch in ihrem jahrzehntelangen "Stammland" unter 30 % gelandet.

Die CDU verlor mit 4,8 % zwar stärker. Sie blieb jedoch die stärkste politische Kraft in NRW.

Wahlgewinner sind die kleinen Parteien. Immerhin konnte die FDP die CDU-Stimmen nur teilweise auffangen. Die Grünen gewannen 1,7 % und kamen auf 12 %. Die Linke, die erstmals bei einer Kommunalwahl flächendeckend in allen kreisfreien Städten und Landkreisen und in vielen kreisangehörigen Gemeinden antrat, steigerte sich um 3 %. Sie blieb mit 4,4 % jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück und hat nach wie vor vor allem im ländlichen Raum Probleme, Fuß zu fassen.

Die CDU hat es in zehn Jahren als stärkste Partei in NRW nicht geschafft, in den Großstädten an Rhein und Ruhr strukturelle Mehrheiten zu schaffen. Der "Kölner Klüngel" führte zu landesweit beachteten Skandalen, die Ignoranz gegenüber den krassen sozialen Widersprüchen der Großstädte war Anlass für viel Kritik, die häufiger zu Bürgerbegehren führte. Die SPD hat das kaum für sich nutzen können, holte aber offensichtlich einen Teil der verlorenen Stimmen von der Partei Die Linke zurück. Das war vor allem dort der Fall, wo sich die Kommunalwahl auf einen Oberbürgermeisterwechsel zuspitzte, in Köln, Essen und Dortmund.

Für Die Linke sind die Zeiten vorbei, wo sie einfach Proteststimmen sammeln konnte. Bei der Bundestagswahl 2005 erhielt sie landesweit 5,1 %, bei der Europawahl immerhin noch 4,6 %. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse kommunal deutliche Unterschiede. So hatte Die Linke bisher bei allen Wahlen in Gelsenkirchen eins ihrer Spitzenergebnisse. Bei der Kommunalwahl kam der Kreisverband mit 5,4 % knapp ins Mittelfeld der Großstädte. Er bot ein völlig zerstrittenes Bild und schaffte es weder, die linken Kräfte vor Ort zu bündeln, noch inhaltliche Positionen nach außen zu tragen.

Ein Einzug der Partei Die Linke in den Landtag ist in NRW nach den Wahlergebnissen unsicher - obwohl auf Landesebene eine Ablösung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nur durch Rot-Grün-Rot möglich ist.

Wolfgang Freye




Datum der
Wahl
Wahlbe-
rechtigte
Wahlbe-
teiligung
Gültige
Stimmen
CDU

CDU

SPD

SPD

GRÜNE

GRÜNE

FDP

FDP

Die Linke
(PDS)
Die Linke
(PDS)


Anzahl
Anzahl
Anzahl
Proz.
Stimmen
Proz.
Stimmen
Proz.
Stimmen
Proz.
Stimmen
Proz.
Stimmen
Kommunalwahl
Kommunalwahl
Landtagswahl
Bundestagswahl
Erststimmen
Zweitstimmen
Europawahl
Kommunalwahl
1999
2004
2005
2005

07.06.2009
30.08.2009
13.718.854
13.976.459
13.230.366
13.257.047

13.308.501
14.132.543
55,0%
54,4%
63,0%
78,3%

41,8%
52,3%
7.424.065
7.437.362
8.244.014
10.234.995

5.504.000
7.258.693
50,3%
43,4%
44,8%
40,7%
34,4%
38,0%
38,6%
3.731.236
3.230.785
3.696.506
4.161.570
3.524.351
2.091.945
2.802.990
33,9%
31,7%
37,1%
45,5%
40,0%
25,6%
29,4%
2.518.300
2.357.022
3.058.988
4.658.692
4.096.112
1.410.141
2.134.063
7,3%
10,3%
6,2%
4,2%
7,6%
12,5%
12,0%
542.919
769.335
509.293
433.372
782.551
688.272
869.811
4,3%
6,8%
6,2%
4,1%
10,0%
12,3%
9,2%
319.666
505.359
508.266
422.724
1.024.924
678.273
666.378
0,8%
1,4%
0,9%
4,2%
5,2%
4,6%
4,4%
61.564
100.714
72.989
425.709
529.967
252.475
316.562

*


Kommentare der Parteien zu den Kommunalwahlen in NRW 2009:

Michael Groschek, Generalsekretär der NRW SPD: "Der erneute starke Stimmenverlust bei der Kommunalwahl versetzt Jürgen Rüttgers in Angst und Schrecken. Gestern monierte er vor der Landtagsfraktion den langweiligen Wahlkampf seiner Partei und forderte seine Parteifreunde auf, endlich aufzuwachen. Den Glauben an eine Weiterführung der schwarz-gelben Regierungskoalition nach der Landtagswahl hat der Ministerpräsident längst verloren. Sein einziger Hoffnungsschimmer scheint eine Jamaika-Koalition zu sein. Diese wird aber von FDP und Grünen vehement abgelehnt. Die Befürchtungen von Jürgen Rüttgers sind durchaus verständlich: Wer sich permanent nur damit beschäftigt, rote Socken zu stricken, kann von den Wählerinnen und Wählern keine Zustimmung erwarten." www.nrwspd.de


Daniela Schneckenburger und Arndt Klocke, Vorsitzende der NRW-Grünen: "Wir haben uns klar als dritte Kraft in Nordrhein-Westfalen behauptet. Wir haben mit 12,0 % ein ausgezeichnetes Ergebnis erzielt und unser bis dahin bestes Kommunalwahlergebnis aus dem Jahr 2004 (10,3 %) noch einmal verbessert. ... Wir haben unsere Position vor allem in den Städten ausgebaut und konnten weiter Stimmen hinzugewinnen - das gilt z. B. für Köln mit fast 5 % Gewinn, aber auch für das Ruhrgebiet oder kleine Städte wie Lohmar (+4,2% auf 29,7%) und Telgte (+13,6% auf 29,2%) ... Mit Umwelt- und Klimaschutz lassen sich neue, zukunftsorientierte Arbeitsplätze schaffen. Die Grünen haben Antworten auf die Herausforderungen durch die Finanzund Wirtschaftskrise. Für uns zeigt der Ausgang der Kommunalwahlen auch: NRW ist nicht fest in der Hand der CDU. Die Wählerinnen und Wähler haben quittiert, dass die CDU auf die Strahlkraft ihres Landesvorsitzenden und auf Rote-Socken-Kampagnen anstatt auf Inhalte setzt. Und auch bei der FDP dürften die Blütenträume, kommunal drittstärkste Kraft im Land zu werden, gestern geplatzt sein. Anders als der FDP-Landesvorsitzende Pinkwart sehen wir im Kommunalwahlergebnis keine Bestätigung für eine Erneuerung NRWs! Wir sind uns sicher: Die Bürgerinnen und Bürger wollen keine neoliberale Ausrichtung des Landes. Gerade in der Zeit der Wirtschaftskrise brauchen wir einen ordnungspolitischen Rahmen für die Wirtschaft - auch um neue Arbeitsplätze zu ermöglichen. Da weisen CDU und FDP aber nichts auf, ganz im Gegenteil: Schwarz-Gelb beweist sich als Verhinderungs- statt als Zukunftsmotor. Die Linke ist vollmundig in den Kommunalwahlkampf gestartet, hat sich aber auch im Ruhrgebiet insgesamt nicht als klare Kraft positionieren können."
www.gruene-nrw.de


NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und Generalsekretär Hendrik Wüst, CDU: Generalsekretär Hendrik Wüst betonte, dass die Hinweise auf die Gefahr von rot-roten Bündnissen an vielen Stellen die CDU-Wähler verstärkt mobilisiert hätten. Die Linkspartei hatte landesweit nur 4,4 Prozent der Stimmen erhalten. Gleichzeitig kritisierte er die Haltung der SPD-Vorsitzenden Hannelore Kraft, die an dem einen Tag sage, man wolle die Linkspartei bekämpfen, am nächsten Tag jedoch davon spreche, für alle Optionen offen zu sein: "Kraft eiert rum." Wüst forderte von der SPD Klarheit: "Frau Kraft muss den Wählerinnen und Wählern endlich reinen Wein einschenken." Jürgen Rüttgers sprach von einem "guten Ergebnis"der CDU bei der Kommunalwahl. Man könne "unterm Strich zufrieden" sein, habe man doch die SPD landesweit um über 9 Prozent klar distanziert. Die SPD habe mit ihrem Ergebnis ein neues historisches Tief bei Kommunalwahlen erreicht ... Nach wie vor stellt die CDU - durch die neu hinzugewonnenen Rathäuser in Hagen, Leverkusen und Aachen - zehn Oberbürgermeister. Die Zahl der Landräte liegt unverändert bei 26 (SPD: 5). Rüttgers: "Die CDU ist die einzige Volkspartei. Sie ist einzige Partei, die überall im Land gewinnen kann, in den großen Städten wie auf dem Land, im Ruhrgebiet genauso wie im Rheinland und in Westfalen." ... Rüttgers äußerte sich auch zu den regionalen Ergebnissen der Kommunalwahl. So zeigte er sich erfreut über die Stabilität im Rheinland mit 39,7 Prozent und in Westfalen (43,3 Prozent). Im Ruhrgebiet liege die SPD zwar vorn (38,7 Prozent zu 30,7 Prozent für die CDU), jedoch könne man bei weitem nicht davon sprechen, dass alte Zustände und Vorherrschaften wiederhergestellt seien.
www.nrw-cdu.de


Andreas Pinkwart, FDP-Landeschef: Die FDP ist bei den Kommunalwahlen am Sonntag dritte Kraft in den Städten, Kreisen und Gemeinden Nordrhein-Westfalens geworden. Sie erreichte mit landesweiten 9,2 Prozent das beste Kommunalwahlergebnis seit 1961. FDP-Landeschef Andreas Pinkwart stellte fest: "Der anhaltend positive Trend, der sich auch in steigenden Mitgliederzahlen ausdrückt, schreibt sich bei dieser Kommunalwahl überzeugend fort." FDP-Generalsekretär Christian Lindner betonte: "Die Bürger haben die FDP zur dritten Kraft in den Kommunen gewählt. Mit 1551 Mandaten liegen wir vor den Grünen mit 1.530 Mandaten." Mit 9,2 Prozent konnten die Liberalen das beste Ergebnis erzielen, welches die FDP in NRW bei einer Kommunalwahl seit den 60er Jahren bekommen hat ...
www.fdp-nrw.de


Katharina Schwabedissen und Wolfgang Zimmermann, Sprecher Die Linke NRW: "... Auch wenn wir die "magische Fünfprozenthürde" nicht übersprungen haben, ist das Ergebnis in NRW ein Erfolg: Die Linke ist das erste Mal in ganz NRW in allen Parlamenten vertreten! Kommunalwahlen haben ihre eigenen Gesetze. Die Ergebnisse zeigen, dass mitentscheidend war, ob wir bereits in den Räten und Vertretungen präsent waren oder nicht. Als Gradmesser für ein Bundestags- und Landtagswahlergebnis können diese Wahlen auch deshalb nicht dienen. Besonders vor dem Hintergrund, dass wir in 33 von 54 Verwaltungsbezirken zum ersten Mal überhaupt bei einer Kommunalwahl angetreten sind, sind die 4,42% ein deutliches Zeichen für ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl. Das Saarland lässt grüßen. Dort lag das Kommunalwahlergebnis 2009 um 10% unter dem jetzigen sensationellen Landtagswahlergebnis. Auch wenn dort mit der Kandidatur von Oskar Lafontaine eigene Bedingungen gelten. Es zeigt, dass es möglich ist, das Kommunalwahlergebnis stark zu verbessern. Insgesamt ist das Ergebnis der Kommunalwahlen für Die Linke. NRW aber eine gute Grundlage für ein erfolgreiches Bestreiten des Bundestagswahlkampfes und für das Erreichen des Wahlziels 6%+x in NRW.

Während Die Linke ihr Ergebnis mehr als verdreifacht hat, rühmt sich die SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft(los), Die Linke unter fünf Prozent gehalten zu haben und jubelt über das SPD-Ergebnis. Die SPD aber ist die eigentliche Verliererin der Wahl. Ihr schlechtes Ergebnis von 2004 hat sie noch einmal um 2,3% verschlechtert auf unter 30% und ist damit nunmehr mit einem der schlechtesten Wahlergebnisse seit 1949 in NRW präsent. Das müssen wir auch im Gespräch mit den Menschen vor Ort deutlich machen. Die SPD Münteferings und Steinmeiers steht weiter - gemeinsam mit den anderen etablierten Parteien - für Massenentlassungen und Hartz IV, für Sozialabbau und Armutslöhne und nicht zuletzt für den Krieg in Afghanistan. Bei neoliberaler Kürzungspolitik und bei Kriegseinsätzen sind sich alle anderen Parteien außer der Linken einig. Dafür müssen sie die Quittung erhalten und das geht nur mit einer Stimme für Die Linke. Jetzt muss es uns um eine Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler zur Bundestagswahl am 27. September gehen
www. dielinke-nrw.de


Raute

"Erdrutsch" in Essen ermöglicht wechselnde Mehrheit

SPD gewinnt Oberbürgermeister zurück - Die Linke legt deutlich zu

Vor allem das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahlen in Essen kommt einem "Erdrutsch" gleich. Mit 46,1 % gewann SPD-Herausforderer Reinhard Paß die Wahl eindeutig gegen den Oberbürgermeisterkandidaten der CDU, Franz-Josef Britz, der 35,5 % erhielt. Die Medien konnten noch wenige Tage vorher keine "Wechselstimmung" erkennen, beide Kandidaten waren wenig kontrovers, auf Paß wurde "blaß" gereimt. Nach ihrer katastrophalen Niederlage von 1999, die eine jahrzehntelange absolute Mehrheit beendete, stellt die SPD damit wieder den Oberbürgermeister der siebtgrößten Stadt der Bundesrepublik.

Die Ergebnisse für den Rat selbst sind jedoch längst nicht so überragend für die SPD und knüpfen nicht an die Verhältnisse vor 1999 an. Abgesehen von einer Großen Koalition ist erstmals im Essener Rat keine Mehrheit von zwei Parteien mehr möglich. Neun Parteien und Wählergemeinschaften sind im Rat. Die SPD wurde mit gerade 37,2 % (31 Mandate) stärkste Fraktion, die CDU erhielt 31,9 % (26 Sitze), die Grünen 11,4 % (9 Sitze), die FDP 6,4 % (5 Sitze) und Die Linke 5,6 % (5 Sitze). In absoluten Stimmen wurde das rechtsradikale Lager schwächer, REP und erstmals die NPD erhielten je 1 Sitz.

CDU-Verluste stärker als landesweit

Die CDU verlor mit über 7 % deutlich stärker als in ganz NRW, sowohl im armen Essener Norden als auch im reichen Süden. Sie hat das bürgerliche Lager schlecht mobilisieren können, nicht nur wegen der "Großwetterlage", sondern auch weil ihr kommunalpolitisch Fehler angelastet wurden. Die CDU-Werbung mit den "drehenden Baukränen" in Essen reichte nicht aus. Viele Einzelhändler sehen im riesigen, neuen Einkaufszentrum am Limbecker Platz eher eine Bedrohung. Der "provinzielle" Konflikt um die Philharmonie-Intendanz kurz vor dem Beginn des Kulturhauptstadtjahres trug seinen Teil zur Demobilisierung bei, ebenso der umstrittene Neubau des Stadions für den Viertligisten Rot-Weiß-Essen und Proteste gegen die Bebauung von Grünflächen mit Einfamilienhäusern.

Im Essener Norden hatte die CDU mit dem Masterplan Sport vor drei Jahren viele Sportvereine gegen sich aufgebracht. Ein Bürgerbegehren scheiterte zwar, erhielt aber 65.000 Ja-Stimmen und erzwang so Korrekturen am Masterplan und vor allem die Kooperation mit den Vereinen. Die geplanten Schließungen des letzten Freibades im Essener Norden und eines Freizeitbades im Westen wurden von der SPD im Wahlkampf geschickt auf ihre Mühlen gelenkt. Sie hat - wie ansonsten nur Die Linke - die auch im Vergleich zu anderen Großstädten starke soziale Spaltung zwischen den Stadtteilen hervorgehoben und thematisiert.

Für den Rat hat die SPD mit plus 3 % der Stimmen am meisten zugelegt, dicht gefolgt von der Partei Die Linke mit plus 2,5 % der Stimmen. Die FDP profitierte mit plus 2,4 % der Stimmen nur wenig von der Schwäche der CDU. Die Grünen, die im schwarz-grünen Bündnis waren, legten mit 0,7% deutlich weniger zu, als im Land.

Linkes Potential nicht ausgeschöpft

Trotzdem hat Die Linke. Essen ihr Potential nicht ausgeschöpft. Sie lag prozentual knapp unter dem Europawahlergebnis und absolut mit 11.990 Stimmen fast 10.000 Stimmen unter der Bundestagswahl 2005 (6,4 %). Viele Mitglieder waren deshalb enttäuscht. In der neuen Ratsfraktion zeichnet sich eine schwierige Konstellation ab.

In den letzten zwei Wochen wurde der Wahlkampf massiv durch den Oberbürgermeisterwahlkampf überlagert. Die Linke. Essen bemerkte zu spät, dass es der SPD gelingt, mit dem populistischen Versprechen, die beschlossenen Bäderschließungen zurückzunehmen, zu mobilisieren - auch wenn niemand weiß, wie diese Position in der hochverschuldeten Stadt gegenüber dem Regierungspräsidenten als Kommunalaufsicht durchgesetzt werden soll.

Hinzu kommt, dass Die Linke im Gegensatz zur SPD nicht geschlossen in den Wahlkampf gegangen ist. Obwohl das Kommunalwahlprogramm fast einstimmig verabschiedet wurde, gab es z.B. unterschiedliche Positionen zu der Frage, ob es reicht, auf Protest gegen Hartz IV zu setzen, oder ob es darum gehen muss, konkrete, praktikable Alternativen zu vielen Fragen zu entwickeln. Im Ergebnis hat Die Linke gegenüber der Bundestagswahl zwar auch Wählerinnen und Wählern aus einfachen oder prekären Lebensverhältnissen verloren - diese vermutlich ins Lager der Nichtwähler - vor allem aber wohl eher im Bereich der Linksintellektuellen. Eine Umfrage der Stadt am Wahltag ergab immerhin, dass 22 % der Arbeitslosen Die Linke. Essen gewählt haben.

Deutlich verloren haben dagegen DKP und das MLPD-nahe Wählerbündnis AUF. AUF erhielt 0,7 % und damit knapp ein Mandat. Die DKP erhielt 0,6 % und verlor gegenüber 2004 ein Drittel ihrer Wähler und ihr Mandat. Die beiden bisherigen Ratsmitglieder der Partei Die Linke arbeiteten mit DKP und AUF in einer Fraktion zusammen. Ein gemeinsamer Wahlantritt war jedoch daran gescheitert, dass beide nicht auf einer Offenen Liste Die Linke kandidieren wollten.

Für die nächsten Jahre garantiert das Wahlergebnis Spannung. Die Grünen, die eigentlich Schwarz-Grün fortsetzen wollten, zeigen sich äußerst geschmeidig und verhandeln mit der SPD bereits über eine Minderheitskoalition, der eine Stimme zur Mehrheit fehlt. Die SPD hat formelle Vereinbarungen mit der Partei Die Linke zwar abgelehnt, braucht jedoch je nach Sachfrage einen dritten Partner. Dafür schließt sie Die Linke nicht aus. Das Kommunalwahlprogramm der Linken enthält genug Ansätze und Ideen für linke Projekte, von der Einrichtung einer von Pro Asyl seit Jahren geforderten Härtefallkommission für Abschiebungen über einen Bürgerhaushalt bis zur Rekommunalisierung der 2014 auslaufenden Stromkonzessionsverträge mit dem RWE-Konzern.

Wichtig ist, dass Die Linke erstmals auch in allen neun Bezirksvertretungen in Essen vertreten ist, im Bezirk Essen-West sogar mit zwei Mitgliedern und damit als Fraktion. Die Anzahl der kommunalen Mandatsträger konnte sie so von 7 auf 15 steigern. Das schafft eine gute Ausgangslage.

Wolfgang Freye

Raute

Kommunalwahl in Köln

Jürgen Roters und Rot-Grün gewinnen die Wahl

Jörg Detjen, wiedergewählter Stadtrat der Linken in Köln, hat für den Kreisverband eine erste Wahlanalyse gemacht, die in den Lokalberichten Köln veröffentlicht ist.

Die Kölner Wählerinnen und Wähler haben die CDU hinweggefegt. Nach den CDU-Skandalen um Prof. Bietmann und Bürgermeister Müller und dann dem Archiveinsturz, bei dem OB Schramma keine Verantwortung übernehmen wollte. Auch der christdemokratische KVB-Chef Reinarz blamierte sich bis dahin, dass SPD, Grüne und Linke ihn am liebsten abgewählt hätten. Das rot-grün-rote Lager gewann 25.293 Stimmen dazu. Das schwarz-gelbe Lager verlor dagegen 2.291 Stimmen. Bei dieser Stimmungswahl profitierten vor allem die Grünen. Sie gewannen 22.394 Stimmen dazu. Die Linke war enttäuscht: Sie konnten zwar 7.601 Stimmen dazu gewinnen. Mit 4,84 % liegen sie aber klar unter dem Europawahlergebnis und verpassten den fünften Sitz im Rat. Sah es nach den ersten Hochrechnungen danach aus, dass die Linke klar vor Pro Köln liegt, wendete sich das Blatt im Laufe des Abends. Pro Köln erhielt 5,4 % der Stimmen. Eine Katastrophe für Köln. Damit ist klar: in Köln gibt es 5 % neofaschistische Wählerinnen und Wähler, vor allem in Stadtbezirken, wo arme Menschen leben.

SPD und Grüne haben jetzt die Hälfte der Ratsmandate. Da in vielen Fällen der Oberbürgermeister auch stimmberechtigt ist, haben sie eine knappe Mehrheit. Damit sind die Einflussmöglichkeiten der Linken verglichen mit der letzten Wahlperiode äußerst gering. Es gab noch etwas Besonderes: Die linksökologische Gruppe Deine Freunde erhielt 2.911 Stimmen, 0,8% der Stimmen und einen Sitz im Rat. Das Kölner Bürgerbündnis erhielt nur noch 1,4 % der Stimmen und ebenfalls einen Sitz. In den Stadtbezirken sieht es ähnlich aus. Die CDU wird in keinem Stadtbezirk mehr den Bezirksbürgermeister stellen. Sogar in Rodenkirchen und Lindenthal könnte mit Hilfe der Linken ein SPD bzw. Grüner-Bezirksbürgermeister gewählt werden.

Die Grünen, als die Partei, die gegen den U-Bahnbau schon vor unserer Zeit gekämpft hatte, sind der große Sieger. Auch wenn das Thema im Wahlkampf keine Rolle mehr spielte. In Stuttgart wurden die Grünen bei der Kommunalwahl im Juni sogar stärkste Partei, weil sie gegen "Stuttgart 21" sind. In NRW sind die Grünen in vielen Städten an die 20 % gekommen. In diesen Städten haben wir meistens unterdurchschnittliche Ergebnisse, so auch in Köln. Laut Kölner Wahlanalyse haben wir 500 Wählerinnen und Wähler an die Grünen abgegeben. Die SPD in Köln hat sogar 7.400 Stimmen abgegeben. Von der SPD haben wir nur 900 Stimmen gewonnen, d.h. der Abspaltungsprozess ist weitgehend beendet. Wir müssen unser Wählerklientel über andere Wege ausbauen. Die Kandidatur von ÖkoLi (0,4 %) hat uns vermutlich nicht direkt geschadet, die Leute hätten uns eh nicht gewählt. Dagegen hat uns die Kandidatur der Gruppe Die Freunde (0,8 % 1 Sitz) geschadet. Dies ist auch ein Hinweis, dass wir schwach wirken auf intellektuelles und unkonventionelles Publikum.

Erfreulich hoch ist der Zugewinn von ca. 6.100 Nichtwählerinnen und Nichtwählern die 2004 nicht zur Wahl gegangen sind. Es gilt diese Wähler langfristig zu binden und als Stammwähler zu gewinnen. Eine Aufgabe für die Bundestagswahl. Von den Wählerinnen und Wählern, die SGB II beziehen - ca. 18 % aller Wähler - haben zu 8% die Linke gewählt. Das ist sehr wenig, wenn man bedenkt, dass wir vor etwa zwei Jahren bei der niedersächsischen Landtagswahl bei ca. 24% lagen. Die SPD hält 35%, sogar die Grünen liegen bei 1 %. D.h. wir haben bei diesem Thema nicht einfach ein Alleinstellungsmerkmal. Die sozialen Probleme in einer Großstadt sind viel komplexer als wir meinen. SPD und Grüne haben versucht links zu blinken. Z.B. hat die SPD ein Plakat herausgebracht: Stoppt die GAG-Privatisierung. Hätten wir das gemacht, hätte Rot-Grün behauptet, wir würden die GAG-Mieter verunsichern. Die Aktionen der Partei zur Gesamtschule und die Aktion vor Oppenheim wurden mit viel Sympathie begleitet und waren eine konkrete Umsetzung unseres Schwerpunktwahlkampfes.

Die These, der entscheidende Fehler sei der fehlende OB-Kandidat/in, kann ich nicht teilen. Die Linke in NRW ist in insgesamt 24 von 53 Städten, Kreisen ohne OB-Kandidat bzw. Landratskandidaten angetreten. Es gibt keinen Zusammenhang von Wählerstimmen und aufgestellten bzw. nicht aufgestellten OB-Kandidaten.

Raute

Traurig aber wahr: 5 % rechtsextreme Stammwähler

Extreme Rechte hat sich etabliert

Am Abend des 30. August gab es großes Entsetzen in Köln: Die extrem rechte Bürgerbewegung Pro Köln hatte es nicht nur geschafft, erneut in den Rat der Stadt Köln und in alle Bezirksvertretungen einzuziehen. Sie konnte ihr Ergebnis der Kommunalwahl 2004 um 0,7 Prozentpunkte sogar noch verbessern und gelangte insgesamt auf 5,4 Prozent aller Stimmen. Soziologie-Professor Jürgen Friedrichs von der Uni Köln fand keine Erklärung dafür und vermutete Fehler bei der Stimmauszählung. Jenseits solcher hilflosen Gesten hatten Experten schon lange davor gewarnt, dass sich die extreme Rechte auch im "toleranten und weltoffenen Köln" etablieren könnte.

Die Analyse, dass viele Menschen nicht gewusst hätten, wen sie da wählen - Pro Köln klinge schließlich so, als würde die Partei für Köln eintreten - war schon immer von Wunschdenken bestimmt und muss spätestens jetzt ad acta gelegt werden. Nach den erfolgreichen Protesten gegen die sogenannten Anti-Islamisierungskongresse von Pro Köln und Pro NRW, die zum Stadtgespräch wurden, sowie den zahlreichen Aufklärungsveranstaltungen und Kampagnen musste den meisten klar geworden sein, dass die Pro-Bewegung zum Lager der Rechten zu zählen ist. So muss man davon ausgehen, dass annähernd 20.000 Kölner und Kölnerinnen ganz bewusst ihr Kreuz bei den Rassisten gemacht haben, um so ihrem Unmut gegenüber der Einwanderungsgesellschaft Ausdruck zu verleihen. Obwohl eine fundierte Analyse noch aussteht, lassen sich daraus mehrere Thesen ableiten:

1. Zieht man diverse Studien in Betracht, die rassistische Einstellungen bei rund einem Fünftel der deutschen Bevölkerung aufzeigen, so wird deutlich, dass es ein hohes Potential für rechtspopulistische Parteien gibt. Trotz personeller Schwächen, interner Querelen und Austritten noch kurz vor der Wahl, gelang es Pro Köln dieses abzuschöpfen.

2. Der Pro-Bewegung war es gelungen, mit dem Angst-Thema "Islam" zu punkten. Dabei orientiert sie sich an den Kampagnen europäischer Rechtsaußenparteien, die darin ein Erfolgsrezept für ihre Propaganda sehen. Muslime werden dabei unter Fundamentalismusverdacht gestellt und als potentielle Bedrohung dargestellt. In Köln entzündete sich die Debatte an dem Bau der Moschee in Ehrenfeld. Da in Köln auch die CDU sich dafür ausgesprochen hatte, gelang es Pro Köln, sich als die "einzige Partei gegen die Moschee" in Position zu bringen. Im Bezirk Ehrenfeld konnten die Rechten insgesamt zulegen, allerdings nicht signifikant im Gebiet um das Gebiet der zukünftigen Moschee herum. Nicht die "direkt Betroffenen" wählen also rechts, sondern diejenigen, bei denen Ängste vor Muslimen allgemein wirkungsmächtig werden.

3. Pro Köln hat allgemein in den Stadtvierteln hohe Wahlergebnisse erzielt, die als "sozial schwach" gelten (Chorweiler, Buchforst, Humboldt-Gremberg etc.) - die hohen Ergebnisse im Villenviertel Hahnwald gehen auf einen Fehler bei der Auszählung zurück. Es steht zu vermuten, dass Ängste vor einem sozialen Abstieg auf Migranten projiziert werden bzw. als Erklärung für das gesellschaftliche Aus herangezogen werden. Soziale Fragen gilt es hier stärker zu thematisieren, um der extremen Rechten das Wasser abzugraben. Darüber hinaus muss eine konkrete sozialpolitische Praxis (inkl. Quartiersmanagement, sozialer Wohnungsbau etc.) verstärkt werden.

4. Dabei ist nicht allein der sozio-ökonomische Hintergrund entscheidend. Pro Köln ist ebenfalls dort stark, wo viele Menschen mit Zuwanderungshintergrund leben. So könnte Pro Köln auch von denen gewählt worden sein, die vermeintliche oder tatsächliche negative Erlebnisse mit Migranten verallgemeinern. Bei der Entwicklung von Gegenstrategien dürfen die Probleme in integrationspolitischen Feldern nicht verschwiegen werden. Gleichermaßen muss man rassistischen Pauschalisierungen ("die Ausländer sind krimineller") deutlich entgegentreten und für eine inklusive Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle werben.

5. Pro Köln ist dort nicht gewählt worden, wo die Bevölkerung einen tendenziell höheren Bildungshintergrund hat.

Das bedeutet, dass es neue Aufklärungsformate - jenseits von Artikeln, Flugblättern und Infoständen - zu entwickeln gilt, um bildungsferne Menschen besser zu erreichen. Dabei muss noch stärker auf Problemlagen eingegangen werden. Allein darauf zu verweisen, dass es sich bei Pro Köln um "Nazis" handeln würde - diese Strategie ist mit der Kommunalwahl 2009 endgültig gescheitert.

(Aus Lokalberichte Köln, Klaus Weiß)

Raute

Bremen

Bildungssenatorin leitet Disziplinarverfahren gegen 756 Lehrer ein

Bildungssenatorin Jürgens-Pieper hat Anfang August gegen 756 beamtete Lehrer, die sich an gewerkschaftlichen Streikmaßnahmen am 13. und 25.2.2009 im Rahmen der laufenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst beteiligt hatten, Disziplinarverfahren einleiten lassen. Gegen sie lägen "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen" würden. Damit schlug sie gegenüber beamteten Lehrern, die sich an gewerkschaftlichen Warnstreiks beteiligen, gegenüber ihren Vorgängern einen wesentlich verschärften Kurs an. In dem Schreiben des ihr untergebenen Staatsrats an die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer heißt es weiter u.a.:

"Nach § 55 Satz 1 BremBG sind Sie verpflichtet, sich mit voller Hingabe Ihrem Beruf zu widmen. Dazu gehört u.a., sich keinem Arbeitskampf in Form eines Streiks anzuschließen . Es besteht der Verdacht, dass Sie die Verpflichtung zur vollen Hingabe an Ihren Beruf aus § 55 Satz 1 BremBG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 4 und 5 GG verletzt haben, indem Sie keinen Unterricht erteilt haben, um eine Erhöhung der Bezüge für Lehrer im Schuldienst des Landes Bremen durchzusetzen. Rechtfertigungsgründe für Ihr Verhalten mag ich nicht zu erkennen. Als Beamter/Beamtin hätte Ihnen bewußt sein müssen, dass Sie gegenüber dem Dienstherrn eine Treuepflicht trifft, die als Kernpflicht eines Beamtenverhältnisses auch die volle Dienstleistungsverpflichtung beinhaltet ..."

Die GEW sieht dieses Streikverbot im Widerspruch zum Recht auf Koalitionsfreiheit. Sie geht davon aus, dass zwischen Einstellung des Verfahrens und Verweis eventuell mit Geldbuße alle Möglichkeiten der Disziplinarstrafen denkbar sind. Widerspruch und Klage werden von der GEW unterstützt.

Weiter schätzt die Gewerkschaft die Sachlage so ein, dass bei einem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages die Europäische Menschenrechtskonvention für alle EU-Länder gilt und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte maßgeblich würde. Insoweit wäre eine erfolgreiche Klage möglich.

In einem weiteren Punkt musste Frau Jürgens-Pieper allerdings schon einen Rückzieher machen: Sie hatte versucht, die Landesvorsitzende der GEW, die zum Streik aufgerufen hatte und auch Beamtin ist, quasi als Rädelsführerin herauszugreifen und in einem besonderen Disziplinarverfahren mit Strafe zu bedrohen, da sie ihre "Dienstpflichten in besonderem Maße verletzt" habe. Nach Protesten aus Gewerkschaften, Schulen und Betrieben wegen dieses Angriffs auf die Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung wurde Ende August auf Beschluss des rot-grünen Senats dieser Punkt fallen gelassen.

wjo

Raute

Bundesarbeitsgericht lässt Revisionsantrag zu

Barbara E. ./. Kaiser Tengelmann

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Unilever Pakistan

Aktivisten für Gewerkschaftsrechte bestraft

"Kein Arbeitnehmer wird schikaniert, körperlich oder geistig bestraft oder in anderer Weise geschädigt"
"Respecting Rights" unter www.unilever.com

­... Es sei denn, die Arbeitnehmer organisieren sich, um für ihre Rechte zu kämpfen. - Seit die Arbeitnehmer von Lipton Khanewal ihren Aktionsausschuss gründeten, um für ihre Rechte zu kämpfen, wird der Versuch gemacht, ihren Widerstand zu brechen, indem man ihnen die Beschäftigung verweigert, sie herabstuft und noch tiefer in die Armut treibt. Gleichzeitig wurden rund 100 neue Vertragsarbeiter - ohne Erfahrungen, Qualifikationen oder Berufspraxis (mehr als 20% der Belegschaft) - eingestellt, und das mitten in einem vom Unternehmen behaupteten Produktionseinbruch ... wobei es sich um eine Machtdemonstration handelt, um den Aktionsausschus und die IUL zu schwächen.

Muhammad Zahid, ein seit 17 Jahren in Khanewal beschäftigten Facharbeiter: "Ich arbeite seit 17 Jahren in der Unilever-Fabrik Khanewal. Ich bin Monteur und erhielt bisher den Mindestlohn für einen Facharbeiter. Nachdem ich mich dem Kampf für das Recht auf Dauerarbeitsplätze bei Unilever angeschossen hatte, wurde mein Lohn gekürzt. Ich erhalte 232 Rupien am Tag, das entspricht dem Mindestlohn für einen ungelernten Arbeiter. Ich protestierte bei der Unilever-Betriebsleitung, und nach zähem Kampf wurde der Lohn geringfügig auf 243 Rupien angehoben. Ein anderer Monteur jedoch, ein Vertragsarbeiter wie ich selbst, aber erst seit sechs Jahren an seinem Arbeitsplatz, erhält 299 Rupien am Tag. Warum? Weil er nicht wie ich Mitglied des Aktionsausschusses ist".

Muhammad Sidiq ist seit 24 Jahren für einen Hungerlohn als ausgelagerter Gelegenheitsarbeiter in Khanewal tätig. Sein Lohn wurde gekürzt, weil er dem Aktionsausschuss der Gewerkschaft beitrat: "Ich habe in der Unilever-Fabrik Khanewal 1985 angefangen. Ich arbeite hier seit 24 Jahren und erhalte gerade mal 260 Rupien (etwas mehr als 3 US-Dollar). In letzter Zeit werden jüngere Arbeitnehmer befördert und erhalten höhere Löhne, weil sie nicht dem Aktionsausschuss beigetreten sind. Ein junger Kollege, der gerade mal vier Jahre im Betrieb ist, erhält 280 Rupien, obwohl er genau dasselbe tut wie ich".

Stoppt die Diskriminierung und Schikanierung der Arbeitnehmer im Aktionsausschuss Khanwal!

Quelle: www.iuf.org 30.07./19.08.09/

Raute

Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende aussetzen!

Aufruf für ein Sanktionsmoratorium


Langfassung dieses Aufrufs und weitere Infos unter: www.sanktionsmoratorium.de

Jeden Monat wird in diesem Land zigtausenden Erwerbslosen mit Sanktionen das Existenzminimum gekürzt oder sogar gestrichen, weil sie Forderungen der JobCenter nicht erfüllt haben oder weil ihnen dies unterstellt wird. Im Jahr 2008 wurden über 780.000 derartige Sanktionen verhängt. Ist schon der rigide Hartz-IV-Sanktionsparagraf mehr als problematisch, so führt die katastrophale Personalsituation in den JobCentern zu einer Praxis, die für die Betroffenen unzumutbar ist. Von den 2008 eingelegten Widersprüchen gegen Sanktionen waren 41% ganz oder teilweise erfolgreich, von den eingereichten Klagen 65%. Die Auswirkungen von Sanktionen werden dadurch verschärft, dass Widersprüche keine aufschiebende Wirkung haben, d.h. die Menschen müssen, auch wenn sie letztlich nach gerichtlicher Kontrolle Recht bekommen, unter den Sanktionen leiden.


Das Existenzminimum darf nicht angetastet werden!

Um es klarzustellen: Es geht hier nicht um Leistungsmissbrauch, sondern um Menschen, die auf die niedrigen Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind und denen man irgendein Fehlverhalten vorwirft. In den wenigsten Fällen ist dies die Ablehnung einer als zumutbar geltenden Arbeit. Die meisten Sanktionen werden verhängt wegen Konflikten um Meldetermine, um die Anzahl von Bewerbungen, um Ein-Euro-Jobs und andere Maßnahmen wie z.B. Bewerbungstrainings und Praktika. Sanktioniert werden auch nachvollziehbare Handlungen, die bei korrekter Rechtsanwendung nicht sanktioniert werden dürften, z.B. der Abbruch einer unsinnigen Maßnahme oder die Ablehnung einer sittenwidrigen Arbeit. Unter 25jährige werden besonders hart und unverhältnismäßig bestraft. Ihnen muss schon beim ersten Pflichtverstoß - von Meldeversäumnissen abgesehen - der gesamte Regelsatz für drei Monate gestrichen werden.


Arbeitslose sind nicht an der Arbeitslosigkeit schuld!

Es fehlen existenzsichernde Arbeitsplätze. Dieses Grundproblem, das durch die Wirtschaftskrise verschärft wird, kann mit Sanktionen nicht gelöst werden. Mit dem Sanktionsregime wird jedoch so getan, als hätten die Erwerbslosen ihre Lage verursacht und müssten zur Arbeit getrieben werden. Dabei zwingt das Sanktionsregime nicht nur Alg-II-Beziehende, Arbeit um jeden Preis und zu jedem Preis anzunehmen, es wirkt auch als Drohkulisse für die Noch-Erwerbstätigen und ihre Interessenvertretungen.


Sanktionen als Mittel, um Sparvorgaben zu erfüllen?

Die Sanktionen werden auch vor dem Hintergrund von Sparvorgaben verhängt, welche das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über die Bundesagentur für Arbeit den JobCentern auferlegt. Für das Abschwungjahr 2009 wurde das "ehrgeizige" Ziel gesetzt, die existenzsichernden Leistungen um 3 % zu senken und die Vermittlungsquote in den erwartbar enger werdenden Arbeitsmarkt zu erhöhen. Vielfach sehen Mitarbeiter nur durch verstärkte Sanktionen die Möglichkeit, diese Zielvorgaben zu erreichen. Die Vermittlungsquote kann ohnehin nur durch den Zwang, ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse anzunehmen, erreicht werden. Der Druck, bei der Bundestagswahl gute Zahlen zu präsentieren, kann diese Entwicklung kurzfristig noch verschärfen.


Ein Moratorium ist nötig!

In der Frage, ob die Hartz-IV-Sanktionen grundsätzlich gegen Grundrechte verstoßen, haben wir, die Erstunterzeichner, unterschiedliche Auffassungen. Wir sind uns aber darin einig, dass angesichts der gegenwärtigen Zustände in den JobCentern der Vollzug von Sanktionen sofort gestoppt werden muss. Es ist dringend notwendig, die Mißstände in den JobCentern, die bislang in ihrem Ausmaß zu wenig bekannt sind, offen zu legen, für deren Beseitigung zu sorgen und den gegenwärtigen Sanktionsparagrafen grundlegend zu überdenken. Während dessen dürfen Erwerbslose nicht den derzeit verbreiteten Sanktionspraktiken ausgesetzt werden. Ein sofortiges Moratorium, ein Aussetzen des Sanktionsparagrafen, ist deshalb notwendig.


Initiator/innen dieses Aufrufs sind:
Tacheles e.V. (Wuppertal) / Prof. Dr. jur. Helga Spindler (Universität Duisburg-Essen) / Prof. Dr. Franz Segbers (Universität Marburg) / Prof. Dr. Claus Offe (Hertie School of Governance) / Prof. Dr. Stephan Lessenich (Friedrich-Schiller-Universität Jena) / Markus Kurth MdB (Bündnis 90/Die Grünen) / Katja Kipping MdB (Die Linke) / Jürgen Habich (BAG Prekäre Lebenslagen) / Franziska Drohsel (Bundesvorsitzende der Jusos) / Prof. Dr. Klaus Dörre (Friedrich-Schiller-Universität Jena) / AG Sanktionen der Berliner Kampagne gegen Hartz IV

Raute

WIRTSCHAFTSPRESSE

Arbeitgeberverband betont Vorbehalte gegen Mindestlohngesetze. FAZ, Mo. 31.8.09. Fünf Anträge auf allgemeinverbindliche Lohnuntergrenzen liegen dem Tarifausschuss vor: für das Wach- und Sicherheitsgewerbe, Bergbau-Spezialarbeiten, Abfallwirtschaft, Großwäschereien und Weiterbildungseinrichtungen der Gewerkschaften. Wird im Ausschuss gegen die Anträge gestimmt, kann der Minister (Scholz) das Verfahren dennoch weiterführen und die Bundesregierung eine Verordnung erlassen. BDA-Präsident D. Hundt erklärt die Mindestlohntarifverträge "aus unserer Sicht mit einer Ausnahme (gewerkschaftliche Bildung) akzeptabel." Die Vorbehalte der Arbeitgeber gegen Mindestlöhne seien jedoch nicht ausgeräumt: Tarifverträge könnten durch staatliche Lohnfestsetzung abgeschafft werden. "Wir werden darauf drängen, diese Gesetze zu korrigieren und den Tarifvorrang wieder herzustellen", so Hundt.


BDI ist irritiert über Landtagswahlergebnisse. FAZ, Die. 1.9.09. Irritiert hat sich der Bundesverband der Deutschen Industrie über die Möglichkeit von rot-rot-grünen Bündnissen im Saarland und in Thüringen geäußert. Präsident H.-P. Keitel rief die SPD auf, mit der CDU zu koalieren und nicht mit der Linken: "In allen drei Ländern besteht die Möglichkeit der Zusammenarbeit der Parteien, die sich eindeutig zu sozialen Marktwirtschaft bekennen. Diese Chance sollte genutzt werden."


Deutsche Wirtschaft sieht in Brasilien riesiges Potenzial. FAZ, Do. 3.9.09. "Riesengroße Chancen" sieht in Brasilien der BDI-Präsident. Allein für die Vorbereitungen auf die Fußball-WM 2014 seien Investitionen von 30 Mrd. Euro in den Ausbau der Stadien sowie Transport- und Sicherheitssysteme erforderlich. Deutsche Unternehmen rechneten sich dabei angesichts ihrer Erfahrung mit derartigen Großereignissen gute Chancen aus.

Zusammenstellung: rst

Raute

Merkels Danziger Rede am 1. September

In ihrer Rede anlässlich des Jahrestags des deutschen Überfalls auf Polen hielt Bundeskanzlerin Merkel eine Rede, die weithin als Geste der Versöhnung aufgefasst wurde. Dabei zeigt der Text lediglich, dass die Bundeskanzlerin ein allgemeines Schuldeingeständnis vorbrachte, aber mit keinem Wort auf die Konflikte einging, die unter den Stichworten "Vertriebenenverbände" und "Unrecht der Vertreibung" fortdauern. Um dies zu belegen, müssen wir den vollständigen Text dokumentieren, wenn auch in kleinerer Schrift.


Rede Bundeskanzlerin Merkel bei der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs in Danzig Di, 01.09.2009

­... heute vor 70 Jahren begann mit dem deutschen Überfall auf Polen das tragischste Kapitel in der Geschichte Europas. Der von Deutschland entfesselte Krieg brachte unermessliches Leid über viele Völker - Jahre der Entrechtung, der Erniedrigung und der Zerstörung.

Kein Land hat so lange in seiner Geschichte unter deutscher Besatzung gelitten wie Polen. Gerade in dieser dunklen Zeit, über die wir heute sprechen, wurde das Land verwüstet. Städte und Dörfer wurden zerstört. In der Hauptstadt wurde nach der Niederschlagung des Aufstands 1944 kaum ein Stein auf dem anderen gelassen. Willkür und Gewalt durchzogen den Alltag. Kaum eine polnische Familie blieb davon verschont. Hier auf der Westerplatte gedenke ich als deutsche Bundeskanzlerin aller Polen, denen unter den Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht unsägliches Leid zugefügt wurde.

Die Schrecken des 20. Jahrhunderts gipfelten im Holocaust, der systematischen Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden.

Ich gedenke der sechs Millionen Juden und aller anderen, die in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern einen grausamen Tod erlitten.

Ich gedenke der vielen Millionen Menschen, die ihr Leben im Kampf und im Widerstand gegen Deutschland lassen mussten.

Ich gedenke aller, die unschuldig durch Hunger, Kälte und Krankheit, durch die Gewalt des Krieges und seine Folgen sterben mussten.

Ich gedenke der 60 Millionen Menschen, die durch diesen von Deutschland entfesselten Krieg ihr Leben verloren haben.

Es gibt keine Worte, die das Leid dieses Krieges und des Holocaust auch nur annähernd beschreiben könnten. Ich verneige mich vor den Opfern.

Wir wissen: Die Gräuel des Zweiten Weltkriegs können wir nicht ungeschehen machen. Die Narben werden weiterhin sichtbar bleiben. Aber die Zukunft im Bewusstsein unserer immer währenden Verantwortung gestalten - das ist unser Auftrag.

In diesem Geist hat sich Europa aus einem Kontinent des Schreckens und der Gewalt in einen Kontinent der Freiheit und des Friedens verwandelt. Dass das möglich geworden ist, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wunder.

Wir Deutschen haben dabei nie vergessen: Deutschlands Partner in Ost und in West haben diesen Weg durch Versöhnungsbereitschaft geebnet. Sie haben uns Deutschen die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Wir haben sie voller Dankbarkeit ergriffen.

Ja, es ist ein Wunder, dass wir in diesem Jahr nicht nur an die Abgründe europäischer Geschichte vor 70 Jahren denken müssen. Es ist ein Wunder, dass wir auch an die glücklichen Tage denken können, die vor 20 Jahren zum Fall der Berliner Mauer, zur Wiedervereinigung Deutschlands und zur Einheit Europas geführt haben. Denn vollendet wurde der Weg Europas zur Freiheit erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs.

In der Tradition der Solidarnosc in Polen haben die Menschen damals überall das Tor zur Freiheit mutig aufgestoßen. Wir Deutschen werden das nie vergessen - nicht die Rolle unserer Freunde in Polen, Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei; nicht die Rolle Michail Gorbatschows und unserer westlichen Partner und Verbündeten; und nicht die Rolle der moralischen Kraft der Wahrheit, die keiner so überzeugend und glaubwürdig verkörperte wie Papst Johannes Paul II. Es lag auch deshalb in der besonderen deutschen Verantwortung, Polen und den anderen Staaten Mittel- und Osteuropas den Weg in die Europäische Union und die NATO zu ebnen und ihnen zur Seite zu stehen.

Ja, es ist ein Wunder, eine Gnade, dass wir Europäer heute in Freiheit und Frieden leben können. Kaum etwas könnte den Unterschied zu 1939 besser versinnbildlichen als die enge, die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen und die vielfältigen freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

Die Einigung Europas und die Freundschaft Deutschlands mit seinen Nachbarn finden ihre Stärke darin, dass wir uns unserer Geschichte stellen. Dies bringen die Vorsitzenden der deutschen und polnischen Bischofskonferenzen in ihrer jüngst veröffentlichten Erklärung zum heutigen Jahrestag folgendermaßen auf den Punkt - ich zitiere:

"Gemeinsam müssen wir in die Zukunft blicken, auf die wir zugehen möchten, ohne die geschichtliche Wahrheit in all ihren Aspekten zu vergessen noch zu gering zu achten."

Wenn wir in meinem Land bis heute auch an das Schicksal der Deutschen denken, die in Folge des Krieges ihre Heimat verloren haben, dann tun wir das stets genau in dem von den Bischöfen beschriebenen Sinne. Dann tun wir das in dem Bewusstsein der Verantwortung Deutschlands, die am Anfang von allem stand. Dann tun wir das, ohne irgendetwas an der immer währenden geschichtlichen Verantwortung Deutschlands umschreiben zu wollen. Das wird niemals geschehen.

Und in genau diesem Bewusstsein bin ich heute - 70 Jahre später - hierher nach Danzig gekommen. In diese einst leidgeprüfte, nun aber glanzvoll restaurierte Stadt.

Sehr geehrter Herr Staatspräsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, dass Sie mich als deutsche Bundeskanzlerin zum heutigen Gedenktag eingeladen haben, berührt mich sehr.

Ich verstehe dies als ein Zeichen unserer vertrauensvollen Nachbarschaft, unserer engen Partnerschaft und unserer wirklichen Freundschaft zwischen unseren Ländern, zwischen den Menschen in Deutschland und Polen. Ich möchte Ihnen ausdrücklich dafür danken!

Raute

Wirtschaftskrise und Zukunft öffentlicher Bildung

Am 27.6.2009 fand in Berlin eine gemeinsame Veranstaltung der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) statt. Ergebnis der Tagung war die Befürchtung, dass es in Anbetracht der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nach der Bundestagswahl Ende September zu einem großen "Kassensturz" kommen wird. Die Veranstalter verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung:

Die gegenwärtige tiefgreifende Wirtschafts- und Gesellschaftskrise ist auch ein Ausdruck eines defizitären Bildungs- und Wissenschaftssystems. Damit ist nicht nur die seit Jahrzehnten anhaltende strukturelle Unterfinanzierung in allen Bereichen öffentlicher Bildung gemeint; es handelt sich auch um eine Krise der Politik, d.h. es fehlt an einer koordinierten gesamtgesellschaftlichen politischen Regulierung und Bildungsplanung, welche die Lösung der eng miteinander verzahnten Probleme in Angriff nimmt. Stattdessen wird die politische Verantwortung vernebelt, zwischen verschiedenen Entscheidungsebenen ständig hin und her geschoben. Schließlich führt eine ruinöse "wettbewerbsföderalistische" Konkurrenz der einzelnen Bundesländer dazu, dass diese sich noch gegenseitig knappe Ressourcen und Fachkräfte (Lehrerinnen und Lehrer) abwerben, um eigene finanzielle Anstrengungen in Grenzen halten zu können.

In der Verwahrlosung des deutschen Bildungssystems kommt vor allem die Vernachlässigung von Investitionen in die öffentliche Infrastruktur während der letzten zehn bis fünfzehn Jahre zum Ausdruck.

Dieses Versäumnis ist die logische Kehrseite einer shareholder-value-orientierten wettbewerbsstaatlichen Politik, die kurzfristige Konkurrenzvorteile etwa auf dem Exportmarkt vor allem durch eine umfassende Kostensenkungsstrategie erkaufen wollte: im Hinblick auf Löhne, soziale bzw. staatliche Ausgaben, auf öffentliche Aufgaben generell, die stattdessen zunehmend für Privatisierungsstrategien geöffnet wurden, welche die bestehende Chancenungleichheit verstärken.

Die aktuelle Krise muss der Anlass sein, eine grundsätzliche Wende in der Bildungspolitik und -finanzierung zu erzwingen. Das ergibt sich schon daraus, dass, je länger mit einer überfälligen Sanierung gezögert wird, umso höher die Kosten sind, um später ein bestimmtes Niveau zu erreichen.

Die strukturelle Unterfinanzierung von Bildung und Wissenschaft führt nicht nur dazu, dass ein bestimmtes, im internationalen Vergleich niedriges, durchschnittliches gesellschaftliches Leistungsniveau festgeschrieben wird; viel schlimmer: die Kernprobleme eines der ohnehin sozial selektivsten Bildungssysteme werden verschärft. Einkommensstarke Familien können nicht nur auf private Bildungseinrichtungen ausweichen, sie können auch die Defizite des öffentlichen Systems finanziell kompensieren (private Nachhilfe). Alle Erfahrungen der Bildungsforschung belegen, dass jemand, der einmal im Bildungssystem einen Startvorteil erworben bzw. durch soziale Herkunft mitbekommen hat, diesen während seiner gesamten Bildungslaufbahn immer weiter ausbaut. Die Konzentration finanzieller Zuwächse auf die Förderung von "Exzellenz" und "Elite" im Bereich der höheren Bildung verstärkt diesen "Matthäus-Effekt" noch einmal.

Solange etwa unterfinanzierte Hochschulen materielle Zuwächse nur in der so genannten Spitzenforschung erwirtschaften können, führt dies in der Tendenz dazu, dass Mittel, die für das grundständige Studium verfügbar sein müssten, zur Verbesserung der Forschungsinfrastruktur "umverteilt" werden.

Der Anteil öffentlicher Bildungsausgaben am BIP stagniert in Deutschland seit langem um 4,5 Prozent, während allein der OECD-Durchschnitt bei 5,4 Prozent liegt (Schweden und Norwegen: jeweils 7 Prozent). Um allein den OECD-Mittelwert zu erreichen, wären pro Jahr 22 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln mehr erforderlich. Um darüber hinaus grundlegende Defizite zu beseitigen und politisch anerkannte Aufgaben, wie etwa die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen, zu realisieren und ein zukunftsfähiges Bildungssystem zu schaffen, müsste das vom Bildungsgipfel im Herbst 2008 gesetzte Ziel von Bildungsausgaben in Höhe von sieben Prozent des BIP schnellstmöglich umgesetzt werden. Im Vergleich zu diesen zusätzlich notwendigen jährlich 45 Milliarden Euro sind die im Konjunkturpaket II zu Verfügung gestellten Mittel von 8,7 Milliarden Euro (verteilt auf zwei Jahre) geradezu lächerlich.

Der Problembefund ergibt außerdem, dass eine überfällige Zuwachsfinanzierung in einer solchen Höhe unmittelbar mit einer Veränderung der politischen Prioritäten und Regulierungsansätze in der Bildungsökonomie verbunden werden muss. Strategisches Ziel einer neuen Bildungspolitik muss es sein, einer größtmöglichen Zahl von Menschen ein höchstmögliches Bildungsniveau zu ermöglichen. Dabei geben die folgenden Grundsätze den Ausschlag:

Massenqualifikation statt "Elitenförderung": Statt mediale Events um "Exzellenz" und "Elite" zu inszenieren, d.h. knappe Zusatzmittel auf wenige Bereiche zu konzentrieren, muss der Ausbau des Bildungssystems in der Fläche aller grundständigen Einrichtungen unbedingten Vorrang haben. Ein hohes Bildungsniveau in der Breite ist die Voraussetzung für gesellschaftlich relevante Spitzenleistungen in Bildung, Wissenschaft und Forschung. Das beginnt bei einer Stärkung frühkindlicher Bildungseinrichtungen mit Ganztagskindergärten in kleinen Gruppen, geht über eine flächendeckende Versorgung mit Ganztagsschulen, die auch eine pädagogische Ganztagsbetreuung gewährleisten, und mündet in den Ausbau der Hochschulen durch eine drastische Vermehrung vollfinanzierter Studienplätze.

Soziale Ausgrenzung verhindern: Im internationalen Vergleich der OECD-Staaten wird ein Studium zunehmend zum Regelberufsabschluss (OECD-Durchschnitt: 55 Prozent eines Altersjahrganges; skandinavische Länder: 70 Prozent). Dem steht vor allem die traditionelle, im Wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert stammende berufsständische Gliederung des deutschen Bildungssystems, die soziale Selektion auf bleibend hohem Niveau stabilisiert, entgegen. Vorrang hat daher der Aufbau eines inklusiven Schulsystems in Verbindung mit gezielten Fördermaßnahmen des Bildungsaufstiegs. Dazu müssen beispielsweise Erfahrungen der beruflichen Praxis und Abschlüsse des dualen Systems als Hochschulzugangsberechtigung anerkannt werden. Erforderlich ist die Wiedereinführung des SchülerInnen-BaföGs und die deutliche Ausweitung des Studierenden-BAföG. Alle privaten Gebühren für die reguläre Beteiligung in öffentlichen Bildungseinrichtungen müssen abgeschafft werden. Kinder mit Migrationshintergrund brauchen unabhängig von Aufenthaltsdauer und Status eine spezifische institutionelle Unterstützung sowie den freien Zugang zu frühkindlicher und schulischer Bildung. Schließlich ist die stärkere politische Regulierung des Weiterbildungsbereiches durch ein Bundesgesetz erforderlich, welches Rechtsansprüche auf Teilhabe, rechtlich garantierte Lernzeiten und zusätzliche öffentliche Finanzierung regelt.

Quelle: www.memo.uni-bremen.de - Arbeitsgruppe Alternativer Wirtschaftspolitik

Raute

Gauweiler und Lafontaine zeigen:

Kontroverse ohne Kontroversen

München. (mlb Nr. 19) Bundesweite Beachtung fand ein Gespräch, zu dem Peter Gauweiler, Direktkandidat der CSU für den Münchner Süden, den Spitzenkandidaten der Partei Die Linke für die Landtagswahl im Saarland, Oskar Lafontaine, auf den Nockherberg eingeladen hatte. Inzwischen liegt das Wahlergebnis im Saarland vor. Die CDU hat schwer verloren. Untersuchungen belegen eine erhebliche Wählerwanderung von der Union hin zur Linken. Ob - wie zu befürchten ist - auch Gauweilers Absicht aufgeht, die CSU und vor allem seine eigene Person für links und liberal eingestellte Münchner Wählerinnen und Wähler interessant zu machen, wird sich demnächst herausstellen. Im Folgenden eine ausführliche Darstellung des inhaltlichen Verlaufs der Begegnung.

Der große Festsaal des "Paulaner" am Nockherberg war schon eine gute Stunde vor dem angekündigten Beginn der gemeinsamen Veranstaltung von Oskar Lafontaine und Peter Gauweiler gut gefüllt. Als die beiden mit erheblicher Verspätung unter bayerischer Marschmusik den Saal betraten mussten eine Menge Interessierter stehen.

Gauweiler zur Einleitung

Kurz zuvor wurde deutlich, was jedenfalls aus vorangegangenen Aufrufen aus der Partei Die Linke in der Deutlichkeit nicht hervorging: Mittels zweier hinter den Rednern aufgehängter Fahnen wurde klargestellt, dass es sich um eine Veranstaltung der CSU handelt. Eine "Wahlkampfdiskussion der anderen Art" solle es werden, betonte Gauweiler, dem es oblag, die Einführung zu sprechen. Mit betont schnoddrigen Worten kritisierte er diejenigen Politiker, denen es, wie er meinte, nur darum gehe, bei Diskussionen auch genug Redezeit zu bekommen. Da sie das nicht nötig hätten, hätte sich er, Gauweiler, mit Lafontaine darauf verständigt, die Debatte ohne Redeleitung zu führen.

Gauweiler begründete die Art der Veranstaltung damit, dass man "politisch anderer Meinung sein und sich trotzdem menschlich respektieren und anerkennen könne". Er habe Lafontaine persönlich kennengelernt, nachdem dieser aus allen Ämtern geschieden sei und sich jeden Gesprächswünschen aus den Medien verweigert habe. Hierauf sei in seinem Büro die Idee einer abwechselnden Kolumne in der Bildzeitung entstanden. Die Beiträge Lafontaines erschienen unter der Überschrift "Mein Herz schlägt links", worauf Gauweiler mit "Mein Herz schlägt auf dem rechten Fleck" antwortete. Wenn man nun jede Woche ein Thema beleuchte, sei es unvermeidlich, dass sich verblüffende Übereinstimmungen erkennen ließen. Besonders hob Gauweiler dabei eine Huldigung Lafontaines auf die englische Königinmutter hervor.

Ziel der Veranstaltung sei es, herauszufinden, wo man Einvernehmen erziele und wo Trennendes zu finden sei. Man habe sich bei der Vorbereitung auf drei große Themenkomplexe geeinigt: die Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaft und Finanzen, sowie allgemeine Gesellschaftspolitik. Letzteres kennzeichnete Gauweiler jedenfalls in der Einführung näher mit der Frage "Wie halt ma's mit dem Staat?".

Lafontaine zur Außen- und Sicherheitspolitik

Den inhaltlichen Beginn markierte dann Oskar Lafontaine, der betonte, dass es gerade die Außen- und Sicherheitspolitik gewesen sei, die beide zusammengeführt habe. Er habe es bewundert, dass ein CSU-Abgeordneter gegen die Kriege im Irak und Afghanistan stimmte. Im Folgenden führte Lafontaine seine Kritik an diesen Kriegen aus, die er einzig an dem Begriff der humanitären Intervention fest machte. Man müsse feststellen, dass Sprache oftmals mehr verschleiere als enthülle. Dies gelte insbesondere im Krieg. Hierbei nahm er kritisch auf Winston Churchill Bezug, der gesagt habe, dass "die Wahrheit im Krieg so kostbar sei, dass man sie mit einer Leibgarde von Lügen umstellen" müsse. Der Begriff der humanitären Intervention sei in diesen Zusammenhang zu stellen, da die Weltgemeinschaft gegen die zwei tatsächlichen humanitären Katastrophen auf der Welt, Hunger und Krankheit, nichts tue, obwohl sie der Krieg viel teurer käme. Solange man Hunger und Seuchen nicht wirkungsvoll bekämpfe, gäbe es keine rationale Begründung für humanitäre Interventionen. Zur Frage, warum Kriege geführt werden, verwies Lafontaine auf Äußerungen aus Kreisen konservativer US-Politiker, welche eindeutig belegen würden, dass es ausschließlich um die Durchsetzung eigener Interessen, insbesondere die Sicherung von Rohstoffzufuhr ginge.

Hinsichtlich der deutschen Geschichte stellte Lafontaine fest, dass es Deutschland war, das zwei Weltkriege begonnen habe. Daraus ergebe sich eine Verpflichtung zum Frieden und Dialog. Diese sei in der besten Tradition der deutschen Außenpolitik durch die BRD bis in die Mitte der neunziger Jahre verwirklicht worden.

Es gelte auch Europa für diese Ideen wieder zu gewinnen. Er selbst sei durchaus ein Anhänger der EU, allerdings einer friedlichen und demokratischen. Deshalb habe er es begrüßt, dass Gauweiler in Karlsruhe geklagt habe.

Es sei dessen Verdienst, dass das Bundesverfassungsgericht wesentliche Fehlentwicklungen korrigiert habe. Gemeinsam mit der Union könne man sich dafür einsetzen, dass Richtungsentscheidungen in Europa durch Volksabstimmungen geklärt werden.

Gauweiler zur selbigen

Gauweiler leitete seinen Beitrag zum selben Themenkomplex mit einer Erinnerung an den erst kurz zuvor begangenen Schweizer Nationalfeiertag ein und zitierte eine Zeitung mit den Worten: "Unsere Heimat ist die Schweiz, die Heimat der Schweiz ist Europa". Ebenso könne man sagen, "Unsere Heimat ist Bayern, die Heimat Bayerns ist Europa, Deutschland und letztlich die ganze Welt". Man sei nicht in dem einen, um das andere aufzugeben. Vielmehr "wollen wir Deutsche bleiben". Die Tatsache, dass die CSU bei den Europawahlen besser abgeschnitten hat, als bei der "Schlappe" bei der Landtagswahl führte Gauweiler darauf zurück, dass Seehofer mittlerweile verbindliche Forderungen hinsichtlich der deutschen Europapolitik formuliert habe. Bereits zuvor habe die CSU zwar dem Lissabonvertrag zugestimmt, aber auf die Klärung verfassungsrechtlicher Ungereimtheiten gedrängt. Kein Mensch begreife, dass man in Österreich und den Niederlanden abstimmen dürfe, und in Rosenheim nicht.

Hinsichtlich der Kriegsfrage betonte Gauweiler, dass es die CSU gewesen sei, die ohne Trara die Forderung nach einem Ausstiegsplan für Afghanistan erhoben habe. 80 bis 85% der Wähler der Union seien gegen eine Intervention im Irak gewesen. Vor die Alternative zwischen Bush und dem Papst gestellt, halte Gauweiler es lieber mit dem Papst. Allerdings sehe er anders als Lafontaine den Begriff der humanitären Intervention noch nicht für vollständig diskreditiert an. Beispielsweise sei der Einsatz der GSG 9 in Mogadischu nicht falsch, sondern notwendig gewesen. Bei der Entführung von Schiffen in Somalia müsse Deutschland selbstständig in der Lage sein, deutsche Schiffe frei zu kriegen. Selbst wenn man wirtschaftliche Gründe als Ursache für die Piraterie annehmen könne, sei dies einem Scheinexekutionen ausgesetzten Besatzungsmitglied in diesem Moment egal.

Es sei klar, wenn man eine Umfrage mache, ob man für amerikanische Interventionen sei, eine Mehrheit mit Nein antworten würde. Aber, obwohl er, wie er unter Gelächter des Saales anmerkte, kein so guter Antifaschist sei wie einige Anwesende, habe er aus der deutschen Geschichte doch gelernt. Wie der mit Lafontaine gemeinsame Freund Peter Scholl-Latour schon feststellte, könne Deutschland dankbar sein, dass es von den USA und nicht der Roten Armee besetzt wurde.

In seiner Erwiderung betonte Lafontaine, dass die Gegnerschaft zu Amerika nicht Position der Linken sei. Vielmehr bestehe Amerika aus Nord- und Südamerika. Die Linke sei nicht Gegner der USA, sondern der Politik Bushs. Hinsichtlich des Beispiels der gekaperten Schiffe müsse zwischen militärischen und polizeilichen Maßnahmen unterschieden werden. Beide Bereiche dürften nicht vermengt werden, sondern man müsse die Polizei entsprechend gut ausbilden. Seine Argumentation sei nicht gegen humanitäre Interventionen an sich gerichtet gewesen, sondern ein Appell genau hinzuschauen.

Diverses über Manager

Den Komplex Wirtschaft und Finanzen begann nunmehr Peter Gauweiler. Er kritisierte eine Stimmung, die sich freue, dass nun endlich die Krise des Kapitalismus da sei. Er wolle erklären, warum er trotz aller Fehlentwicklungen froh sei, in einem marktwirtschaftlichen System zu leben. Dabei betonte er zunächst, dass die Zulassung von Hedgefonds, nicht auf das Konto der CSU, sondern der rot-grünen Koalition gingen. Zudem sei es seine Kanzlei gewesen, die von der Deutschen Bank ausspioniert wurde. Man müsse sich fragen, warum von Verdi kein Wort zum Bespitzelungsskandal bei der Deutschen Bank zu hören ist. Hinsichtlich der Kritik an den Großbanken dürfe auch nicht vergessen werden, dass die Gewerkschaften in den Aussichtsräten säßen.

Bei aller Kritik an der großen Koalition sei festzustellen, dass die von Merkel und Steinbrück innerhalb kurzer Zeit erklärte Garantie für Sparguthaben einen durchaus möglichen "Tsunami", der geeignet gewesen wäre das "parlamentarische Auf und Ab" zu erschüttern, verhindert habe. Eine Ursache für die Probleme seien die Bilanzierungsregeln der "EU-Freunde", die es erlauben, Nullbilanzen aufzublähen und so den Sinn einer Bilanz, die Aufklärung, ad absurdum führe. Dennoch: wer bei der Alternative zwischen Kapitalismus und Sozialismus den Wettbewerb verleugne, "entzaubere den Menschen". Vielmehr bestünde der Fehler darin, dass in den siebziger Jahren die Politik im Einklang mit den Gewerkschaften nicht auf Familienunternehmen, sondern auf ein Managersystem gesetzt hätte. Er erinnerte an den Selbstmord des Firmenchefs Merckle. Wäre das Unternehmen von einem Manager geleitet worden, wäre dieser nicht vor den Zug gesprungen, sondern hätte ein Jahr Urlaub auf Hawaii gemacht. Unter seltenen Buhrufen aus dem Saal, erhob er die Forderung, die Steuerpolitik zu korrigieren, um Leistungsträgern mehr Luft zu verschaffen. Er befürworte ein System des Verantwortungseigentums.

Lafontaine wiederholte in diesem Block häufig gehörte Formulierungen. Noch nie sei der Spruch "Geld regiert die Welt", so wahr gewesen, wie heute. Man müsse sich fragen, warum die Banken weiter machen könnten wie bisher. Dies hänge damit zusammen, dass nicht die Politiker, sondern die Banken selbst die Gesetze machen. Die jetzige Regierung behaupte zwar, die Finanzmärkte zu regulieren. Es geschieht jedoch gar nichts. Dies lasse sich auch nicht unter Hinweis auf eine notwendige internationale Regulierung entschuldigen. In Deutschland habe es in den letzten Jahren 20 Gesetze zur Liberalisierung der Finanzmärkte gegeben. Heute würde ein einziges auf nationaler Ebene erlassenes Gesetz genügen, dies wieder rückgängig zu machen, um in der BRD Ordnung zu schaffen. Hinsichtlich der Eigentumsfrage stellte Lafontaine fest, wenn er heute einem Parteitag der Linken, das Freiburger Programm der FDP vorlegen würde, dieses verabschiedet würde.

Eine Differenz zu Gauweiler sehe er jedoch in der Steuerpolitik. Weitere Steuersenkungen wären völlig verantwortungslos. Die Linke lehne jedoch Steuersenkungen nicht rundweg ab. Vielmehr müssten der Mittelstandsbauch und die kalte Progression abgeschafft werden. Im Übrigen zitierte Lafontaine Brechts Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters", verlangte eine stärkere Besteuerung leistungsloser Einkommen und erneuerte Oswald Spenglers Theorie von den gekauften Parteien.

Gauweiler als Verfechter innerparteilicher Demokratie

An letztem Punkt widersprach Gauweiler. Nach einem kurzen Seitenhieb wegen der angeblichen SED-Millionen kritisierte er, dass die Parteien, wenn sie Geld brauchen, einfach die Wahlkampfpauschale erhöhen. Dies fördere die Entwicklung von Parteiapparaten, in denen das einzelne Mitglied längst nichts mehr zu sagen habe. Es sei letztlich egal, ob man ein Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht habe. Wichtig sei jedoch, dem Wähler die Möglichkeit zu geben, einzelne Kandidaten zu wählen. Dabei sei zu erinnern, dass bei den US-amerikanischen Primaries 60 Millionen Menschen sich an den internen Kandidatenaufstellungen beteiligt hätten. Steinmeier sei demgegenüber nur von sieben Personen zum Spitzenkandidaten ernannt worden. Bei dem Frühstück in Wolfratshausen waren es nur zwei. Man müsse für eine innere Befreiung sorgen. Am heutigen Abend seien deshalb so viele Menschen da, weil sie wüssten, dass etwas los ist und hier frei ausgesprochen wird, was Sache ist. Man brauche heute die Kraft des Einzelnen und mehr frische Luft zum Atmen.

Lafontaine widersprach vor allem am Punkt der Parteienfinanzierung. Dabei wies er daraufhin, dass das Vorurteil hinsichtlich des Vermögens der SED falsch sei. Im Einigungsvertrag gäbe es massive Sanktionen, wenn bei der PDS noch irgendetwas aufgetaucht wäre. Im Übrigen könne er diese nicht großartig verteidigen, da er nicht dabei gewesen sei. Jedoch müsse beim Blick auf das amerikanische Wahlsystem darauf hingewiesen werden, dass erhebliche Millionen an Spenden notwendig seien, um sich überhaupt am Wahlkampf beteiligen zu können. Das System staatlicher Parteienfinanzierung sei ebenso wie die Diäten die demokratische Antwort, auch Einkommenslosen die Kandidatur zu ermöglichen. Ohne die Diäten hätte man nur Agenten der Betriebe in den Parlamenten.

Umwelt, Religion, Querfront usw. ...

Beim Punkt der allgemeinen Gesellschaftspolitik betonte Lafontaine die Bedeutung der Umweltpolitik. Alle Parteien müssten die etwas provokante Frage diskutieren, ob man im Moment nicht genug Wohlstand produziere und man statt über weiteres Wachstum, nicht über die Verteilung des Wohlstandes nachdenken müsse.

Zu Unmutsäußerungen kam es, als Gauweiler in seiner Replik zwar erklärte, dass die Kernenergie kein dauerhaft haltbarer Zustand sei, der Atomausstieg innerhalb der nächsten hundert Jahre aber verantwortungslos, u.a. weil sich Deutschland dadurch in die Abhängigkeit ukrainischer Gaslieferungen begäbe. Man brauche Taten statt Worte in der Umweltpolitik. Er habe sich als Umweltminister Bayerns zwar nicht an Sitzblockaden beteiligt, aber dafür gesorgt, dass Bayern eine Vorreiterrolle im Umweltschutz übernehme.

Als letzten Punkt wolle er darauf hinweisen, dass man der Linken zugestehe könne, dass Frömmelei zu Heuchelei führe. Dennoch sei die Parole von der Religion als Opium für das Volk falsch. Abseits davon müsse man heute anerkennen, dass die Schlagworte von rechts und links die Schlachten von gestern seien. Die Lehre des 20. Jahrhundertes sei es, dass kein Mensch ganz rechts oder ganz links sein könne. Jeder habe zwei Herz-, und Hirnhälften. Er sei im Kampf der Ideologien groß geworden, in einer Zeit des Totalitarismus von rechts und links.

Der Unterschied zum Faschismus sei, dass dieser keinen Gorbatschow gehabt habe und keinen Schabowski, der die Mauer trotz des noch vorhandenen Arsenals an Waffen geöffnet habe.

Die heutige Situation sei weniger mit der Reichseinigung Bismarcks 1871, als mit der Entdeckung Amerikas 1492 zu vergleichen, da alle etwas Neues beginnen wollten. Er schloss unter Bezugnahme auf Sebastian Haffner, wonach Linke und Rechte sich nicht als Feinde betrachten sollten, sondern erkennen, dass beide Hälften etwas mit Ergänzung zu tun haben.

Lafontaine wich diesem Punkt in seinem Schlusswort aus. Er betonte die Relativität religiöser Aussagen, da die eigene religiöse Überzeugung immer von der Herkunft geprägt sei. Der Sozialismus nach Marx sei ohne das Juden-, und Christentum nicht denkbar, da auch der Sozialismus letztlich eine eschatologische Erwartung beinhalte. Insofern sei er eine säkularisierte Religion. Der Abend habe klar gemacht, dass trotz unterschiedlicher Standpunkte es auch immer wieder Berührungspunkte gäbe. Insofern haben alle Parteien eine gemeinsame Verantwortung an den Entwürfen für die Gesellschaft der Zukunft, den Utopien, zu arbeiten.

Die Linke und die Reaktion - Seit' an Seit'?

Die Veranstaltung, zu der als "Kontroverse um Deutschlands Zukunft" eingeladen worden war, beinhaltete wenig Kontroversen und hat, soweit ersichtlich, auch keine ausgelöst. Dies war wohl auch de facto nicht Zweck der Geschichte. In den Medien, (AZ und SZ - Artikel u.a. auf der Homepage der Linken München abrufbar) wurde übereinstimmend ein harmonisches Bild der beiden Redner gezeichnet. Tatsächlich sollte das Bild vermeintlich überraschender Übereinkunft vermittelt werden.

Gauweiler konnte es so gelingen, und diese Absicht wurde in mehreren Äußerungen während der Veranstaltung offenbar, sich das Image eines freigeistigen Querdenkers zu verschaffen.

Mit keinem Wort relativierte er jedoch seine Rolle als Rechtsaußenscharfmacher der CSU. Gauweiler ist zu bundesweiter Bekanntheit gelangt durch höchst umstrittene, repressive bis diskriminierende Vorschläge zur Eindämmung des damals neuen Aids-Virus. Als Münchner Kreisverwaltungsreferent festigte Gauweiler seinen Ruf als Law-and-order-Fanatiker, dem alternativen Lebensweisen ebenso wie kritischer Widerstand zutiefst suspekt sind. Nur ausgesprochen knapp gelang es in den neunziger Jahren unter dem Motto der solidarischen Stadtgemeinschaft, Gauweilers von massiv migrationsfeindlichen Tönen begleitete Wahlbewerbung um das Amt des Münchner Oberbürgermeisters abzuwehren. Dass es Gauweiler gelungen ist, in dieser Veranstaltung ein gänzlich anderes Bild von sich zu zeichnen, lebt davon, dass zentrale Streitpunkte zugunsten nebensächlicher Pseudokonflikte ausgespart wurden.

Die Fragen der interkulturellen Solidarität, des Umgangs mit gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und der Begrenzung staatlicher Macht sind zentrale Punkte der Programmatik der Partei Die Linke. Es stellt sich die Frage, ob es mit dieser Programmatik vereinbar ist zugunsten eines unklaren Effekts diese Konfliktlinien mit der Reaktion in der Auseinandersetzung mit jemandem wie Gauweiler höflich zu verschweigen.

Es geht dabei nicht darum, einen Dialog mit konservativen Kräften und Strömungen auszuschließen. Ein solcher wäre eher wünschenswert. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob ausgerechnet Peter Gauweiler hier der richtige Ansprechpartner ist.

Aus der Partei Die Linke waren bislang allenfalls positive Bewertungen der Veranstaltung zu hören. Es spricht nicht für die programmatische Zuverlässigkeit der Partei die genannten schwerwiegenden Differenzen mit Gauweilers politischem Ansatz unausgesprochen zu lassen.

Dabei wäre schon der Ort und die bierselige Atmosphäre Grund genug, Vorsicht walten zu lassen. Es spricht ferner nicht für die Partei, wenn einer ihrer Vorsitzenden ausgerechnet an den Punkten, an denen bei oberflächlicher Betrachtung Schnittmengen bis hin zu zur äußersten Rechten zu befürchten sind (denn gegen die Kriege in Irak und Afghanistan, den Lissabonvertrag und geldgierige Manager ist die NPD nun mal auch), sich nicht bemüht, die Differenzen klar zu stellen, sondern sich im Glanz einer vermeintlichen Mehrheitsmeinung sonnt. Ermöglicht wird dies wiederum, indem statt mit Kritik und konkreten politischen Ansätze, mit Stereotypen und Phrasen hantiert wird. Die beschriebene Veranstaltung wird der Partei Die Linke bei ihrer notwendigen Arbeit an der eigenen Entwicklung wenig geholfen haben.

Johannes Kakoures

Raute

IN & BEI DER LINKEN

Schleswig-Holstein

Ein zerrütteter Landesverband der Linken

Kurz vor den Wahlen ist der Landesverband Schleswig-Holstein der Partei Die Linke zerrüttet wie nie zuvor. Dennoch, glaubt man den offiziellen Prognosen, wird die Linke in Schleswig-Holstein durch den Bundestrend der Partei am 27. September 2009 in den Landtag gespült werden.


KIEL. Seit "Spiegel-Online" in einem Artikel im Jahre 2005 enthüllte, dass der erste schleswig-holsteinische Linke-Bundestagsabgeordnete Lutz Heilmann als Achtzehnjähriger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Personenschutz war, was er bei seiner Kandidatur aber nicht öffentlich angegeben hatte, war der Landesverband in Schleswig-Holstein zerstritten. Die Parteibildung aus WASG und PDS wurde dadurch zusätzlich belastet, obwohl die Kontroverse quer durch die beiden bisherigen Strukturen ging. Sie bildete im Laufe der Zeit immer eine willkommene Plattform für Angriffe und Intrigen, um im Kampf um persönliche Interessen an Pöstchen und Einfluss in der Partei zu gewinnen.

Die Hoffnung, daß mit den Kommunalwahlen im Mai 2008 und mit dem überraschend guten Ergebnis von 6,9% und 81 Mandaten in kommunalen Parlamenten landesweit eine Beruhigung durch "Versorgung" mit Mandaten und Ämtern einträte, täuschte. Einerseits traten frisch gewählte Abgeordnete aus nichtigen Gründen postwendend nach der Wahl aus und bildeten "Alternativen", andererseits verselbständigten sich politisch viele Fraktionen in der Form, daß inhaltliche Parteiarbeit, die den Willen und die Kraft hat, das Agieren in den Kommunalparlamenten zu bestimmen oder gar eigene Themen zu setzen, kaum mehr stattfand. Einflussnahme durch gemeinsame Beratung war nicht gefragt; vielmehr agierten Kreisvorstände, Ortsverbände und Fraktionen oft gegeneinander. Dieser Umgang innerhalb der Partei, der vor allem darin bestand, die Genossinnen und Genossen zu instrumentalisieren, spiegelt sich wider in einer zunehmende Verweigerungshaltung, Obstruktion und E-Mail-Pöbeleien auf möglichst niedrigem Niveau.

Ab Sommer 2008 fand sich ein "Neumünsteraner Kreis" zusammen, der landesweit Unzufriedene aller Schattierungen zu einer monatlichen Diskussionsrunde versammelte. Anders, als es so manchen Genossinnen und Genossen in Orts- und Kreissitzungen erging, wo sie sich ausgebremst und weggemobbt fühlten, konnten sie hier tatsächlich entkrampft und ohne gleich abgekanzelt zu werden, diskutieren. Für nicht wenige war dieses Treffen, anfangs mit bis zu 60, dann immer noch mit etwa 20 bis 30 regelmäßigen TeilnehmerInnen, ein Grund, in der Partei aktiv zu bleiben und nicht auszutreten.

Bei der Wahl des Landesvorstandes im September 2008 gab es bei der Aufstellung der beiden Kandidaten Björn Radke und Gösta Beutin noch wahrnehmbar unterschiedliche politische Positionen - linke Sozialdemokratie gegen antikapitalistische Linke (AKL). Mit nur zwei Stimmen Mehrheit konnte sich Radke durchsetzen. Diese Wahl des Landesvorstandes musste auf Beschluss der Bundesschiedskommission im Januar 2009 fast vollständig wiederholt werden. Die Kreise Kiel und Lübeck waren wegen Manipulationen bei der Aufstellung der Delegierten angezeigt worden. Einerseits entspannte sich die Lage dadurch, daß der Vertreter des AKL nicht mehr kandidierte. Da jedoch Cornelia Möhring, die Sprecherin des Landesvorstandes, in der Eröffnungsansprache pauschal ihre Kritiker aufforderte, nicht länger zu "stören" und "von außen die Türe zuzumachen", verschärften sich die Widersprüche zwischen den Gruppierungen erneut. Kein Nachdenken, kein Wort über Widersprüche und deren mögliche Ursachen im Landesverband, keine Geste, aufeinander zugehen zu wollen! Ohne Gespür für Probleme sagt sie dann immer noch im August im "Neuen Deutschland": "Das Bild der Zerstrittenheit gehört längst nicht mehr zur gelebten Realität unserer Landespartei. Seit dem Herbst hat sich mehr und mehr ein breiter Konsens entwickelt." Rückenwind erhielt solch ein Haltung nicht zuletzt von einem - ebenfalls bei "Spiegel-Online" kolportierten - Zitat von Gregor Gysi, auch bei der Linken gäbe es "10 Prozent Spinner", auf die man gerne verzichten könne. Natürlich: Die "Spinner", das waren immer die Anderen.

Endgültig brachen die Widersprüche mit der Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten zur Bundestagswahl im Mai dieses Jahres auf. Eine frisch eingetretene, sehr couragierte Genossin aus Neumünster, Esther Hartmann, machte sich zusammen mit ihren politischen Freunden ernsthaft Hoffnungen, auf Platz 1 der Landesliste zum Bundestag gewählt zu werden. Gelandet ist sie auf einem respektablen Platz drei, der allerdings erst bei einem schleswig-holstein-weiten Ergebnis bei den Bundestagswahlen von über 15% das sichere Ticket nach Berlin bedeuten würde. Gewonnen hat den Platz eins die Sprecherin des Landesvorstandes Cornelia Möhring. Von Beruf Betriebsräteberaterin, füllt sie recht professionell diese Funktion aus. Von der Genossin aus Neumünster und vor allem ihrem Unterstützerkreis wurde dieser dritte Platz als demütigende Niederlage empfunden.

Als im August die Landesliste für die vorgezogene Landtagswahl aufgestellt wurde, kam wieder keiner der sich ausgegrenzt fühlenden Genossinnen und Genossen auf einen der ersten vier aussichtsreichen Plätze. Der Frust war vollkommen. Ein politisch schräger Artikel zur kürzlich im Bundestag verabschiedeten Verschärfung des Spätabtreibungsgesetzes aus dem Umfeld des amtierenden Landesvorstandes, in dem Embryos mit Kaulquappen verglichen wurden, war dann Anlass genug, für die Neumünsteraner Genossin Esther Hartmann, die gerne betonte, daß sie Mutter von neun Kindern sei, ihre Kandidatur für den Bundestag niederzulegen und aus der Partei auszutreten.

Andere wiederum, so die gesamte Fraktion der Linken im Plöner Kreisparlament, erklärten, "aus Gewissensgründen" die "Unterstützung des Wahlkampfes der Linken einstellen" zu müssen. Und für eine nicht geringe Zahl von Mitgliedern wurde dies zum Grund, "scheibchenweise", wie das "Neue Deutschland" am 28.8.09 schrieb, die Partei zu verlassen. Es gibt konkrete Überlegungen, einen eigenen politischen Verein, mit welchem Programm auch immer, zu gründen; selbst Vorschläge für eine Parteineugründung kursieren.

Ein ganzes Dutzend von GenossInnen aus dem Umfeld des Kreisesvorstandes Ost-Holstein ist inzwischen in die DKP eingetreten.

Esther Hartmann erklärte ihren Rück- und Austritt so: "Als ich in die Linke eintrat, glaubte ich an eine ehrliche, soziale linke Alternative. Ich wurde enttäuscht und eines besseren belehrt. In einer Partei, in der offenbar die Grenze des Anstands verloren geht, will ich nicht mehr bleiben ... Aber die Linke ist mir fremd geworden. Wenn ich mir die Form der Auseinandersetzungen im Landesverband Schleswig-Holstein ansehe, muss ich feststellen, im Landesverband Schleswig-Holstein gibt es keine Basisdemokratie, keine Streitkultur, sondern Unterstellungen, fragwürdiger Motive, Missgunst, Misstrauen, Ellenbogenreaktionen auf vermeintliche oder wirkliche innerparteiliche Gegner, üble Nachreden, Verschwörungstheorien, Anfeindungen nach außen, Dutzende von E-Mail-Schlachten, Anzeigedrohungen, Nachtretereien, Lügen, das Unterstellen von Lügen, persönliche Verantwortungslosigkeit, Unzuverlässigkeiten und Beschimpfungen ..."

Aber auch die blockartig und vermeintlich so siegreich auftretenden Genossinnen und Genossen des derzeitigen Landesvorstandes gerieten sich im Dschungel der Konkurrenz in die Wolle. Björn Radke fiel durch, als er für einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste zur Landtagswahl kandidierte. Er habe sich mit seiner Vorstellung nicht durchsetzen können, Landesvorstand und Landtagsfraktion in seiner Person "zu verzahnen": Sofort schmiss er hin. Und lässt sein Amt von nun an ruhen.

Findet sich in dieser Mischung aus Sumpf und Haifischbecken eine nachvollziehbare politische Konfliktlinie, mag verzweifelt die geneigte LeserIn sich fragen? Ja und Nein!

Grundthemen wie "Raus aus Afghanistan!" "Hartz IV muss weg!" sind bei allen völlig unstreitig. Betrachtet man aber die soziale und politische Herkunft der hier Handelnden, gleich, ob sie aus der WASG oder PDS kommen, zeigt sich, wie unterschiedlich die persönlichen Ansätze sind, die die GenossInnen jeweils bewogen haben, in der Linken Politik zu machen. Da sind einmal die "alten Hasen" aus Gewerkschaft, SPD, Grüne oder kommunistischen Gruppen, die ein gewisses politisches Handwerkszeug mitbringen. Sie wissen, wie man das macht: Anträge formulieren, hartnäckig verhandeln, sich mit GenossInnen an der Basis verbinden. Zwar gibt es inhaltlich unter ihnen viele Differenzen, aber sie sind sich einig darin, dass sie erstmal die wichtigsten Posten sichern müssen.

Daneben gibt es Leute, für die die Partei ihre "neue Familie" ist, wo sie an alles und jeden höchste moralische Maßstäbe anlegen, natürlich die eigenen. Für die ist nichts schrecklicher, als gestützt auf wissenschaftliche Untersuchungen zu diskutieren. Politische Meinungsverschiedenheiten werden von ihnen als persönliche und feindschaftliche Konflikte empfunden. Einen Fötus in einem bestimmten Stadium mit einer Kaulquappe zu vergleichen, empört sie z.B. über alle Maßen. Es kommt ihrem Empfinden besser entgegen, einen Embryo nach gut christlicher Tradition sofort als fertigen Menschen zu betrachten. Auch wurde immer wieder ein ständiger Kleinkrieg darüber geführt, ob der Kreisvorsitzende von Lübeck, Ragnar Lüttke, der 2004 eine sogenannte Stalinparty ausrichtete, mit Parteiausschluss bestraft werden sollte. Landes- und Bundesschiedskommissionen sprachen ihn zur großen Empörung seiner Gegner aus statuarischen Gründen frei.

Wie schnell kippt das familiäre Feeling um in maßlose Enttäuschung über Menschen, mit denen sie sich eben noch so eins meinten. Sie wollten gerne im Laufschritt in der Linken die Welt verändern. Dabei strebten aber auch sie sofort höchste Ämter und Funktionen in ihrer Organisation an - sind aber genau daran gescheitert. So sehr die Gruppierungen stets den Pluralismus in der Partei einfordern, sind sie doch beide rigide in ihren eigenen Auffassungen. Sie können sich eigentlich nur eine Partei vorstellen, in der alle so denken wie sie und alle Positionen mit ihres Geistes Genossen besetzt sind.

Kommunalwahl, Europawahl, Bundestagswahl, Landtagswahl: Ein Landesverband wie in Schleswig-Holstein, der gezwungener Maßen ungefestigt von Wahl zu Wahl taumelt, man kann ihm wünschen, daß nach dem 27. September 2009 und einem geglückten Einzug in den Kieler Landtag ein neuer Anlauf gelingt: Um endlich nicht mehr nur machtorientiert oder moralisch-politisch innerhalb der Partei miteinander umzugehen. Vielmehr, daß es ihm gelingt, sich mit den Problemen des Landes Schleswig-Holstein zu befassen, diese zu verstehen und Lösungen für eigenes politisches Handeln erarbeiten zu können.

Edda und Karl-Helmut Lechner


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Bei der Linken.Schleswig-Holstein: Wahlen über Wahlen, Hunderte von neuen Ämtern und Kandidaturen und viel Streit um politische Einflussnahme

Raute

VORGESTELLT

Neue Zeitschrift: "Luxemburg" - Gesellschaftsanalyse und linke Praxis

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung gibt seit dem 27.8.2009 eine neue Zeitschrift mit dem Titel "Luxemburg - Gesellschaftsanalyse und linke Praxis" heraus. Als Nachfolgerin von UTOPIE kreativ wird Luxemburg vierteljährlich beim VSA Verlag erscheinen. Luxemburg will eine Zeit-Schrift der Linken sein: ihre Diskussion und Analysen mit freundlicher Schärfe zusammenbringen und fruchtbar machen - jenseits der üblichen Trennungen in Richtungen, Strömungen und Schulen. Zur Redaktion gehören u.a. Christina Kaindl, Rainer Rilling, Bernd Hüttner, Corinna Genschel, Catharina Schmalstieg, Cornelia Hildebrandt, Peter Porsch, Mario Candeias und Karin Gabbert. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe fragt nach den Folgen der "Krise". Welche Verschiebungen in den Kräfteverhältnissen ergeben sich aus ihr, welche neuen Herausforderungen und Chancen für die Linke? Hierzu werden sich u.a. äußern: Walden Bello, Nicola Bullard, Ana Ester Ceceña, Bill Domhoff, Susan George, George Fülberth, Gregor Gysi, David Harvey, Chantal Mouffe, Wolfgang Sachs, Marlene Streeruwitz, Yash Tandon und Hillary Wainwright.

Luxemburg kostet als Einzelheft 10 Euro und im Jahresabonnement 30 Euro (ermäßigt 20 Euro). Ausgewählte Texte und weitere Informationen findet sich unter: http://www.zeitschrift-luxemburg.de/


Editorial von Heft 1/2009

Luxemburg ist neu. Von Rosa Luxemburg nimmt die Zeitschrift nicht nur den Namen. Sie orientiert sich an ihrer Haltung, dass optimistischer Wille sich mit intellektueller Skepsis verbinden muss. Sie bringt Gesellschaftsanalysen und linke Praxis zusammen und unternimmt die Analysen von einem engagierten Standpunkt aus, in dem das eigene Handeln, die Politik der Linken, immer schon Teil dessen ist, was zu analysieren ist. Und sie orientiert sich an dem Wissen, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen und Kämpfe um konkrete Verbesserungen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Sie müssen zusammen gedacht und erkämpft werden.

Die Zeitschrift nimmt ihre Arbeit in der Krise auf. Krisen erschüttern, überschreiten Grenzen, machen Angst - und lassen hoffen. Neue Zusammenhänge müssen begriffen werden, Vertrautheiten zerfallen. Krisen erzwingen Entscheidungen. Handlungen, Ideen und Visionen werden plötzlich dringend danach beurteilt, welche Zukunftsfähigkeit sie besitzen: Führen sie aus der Krise? Welche Sicherung vor Krisen bieten sie? Welche Welt wird dann sein? Welche Pfade sollen wir einschlagen? Beim Aufgreifen und Beantworten dieser Fragen geht es um strategische Politik.

Die Krise zeigt Grenzen und Endlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft. Aber die Akkumulation des Kapitals läuft nicht einfach aus. Sie ist verbunden mit Macht- und Herrschaftsprojekten. Neue Akteure kommen hinzu, Öffnungen der Politik werden erzwungen. Bislang aber sind die Lösungsvorschläge und Praktiken zu ihrer Umsetzung, die Zielsetzungen und Verfahren von der alten Macht geprägt. Es scheint also weiter die Zeit der Herrschenden, nicht der Beherrschten. Die Momente des Zerfalls sind Anlass für und Begleiterscheinungen von Neuordnungen und Machtstabilisierungen. Der ganze politische Raum ändert sich. Die Herrschenden suchen nach neuen Politiken, Eingespieltes verliert seine Selbstverständlichkeit, alte Verhältnisse werden umgewälzt. Die kapitalistische Produktionsweise wird neu organisiert.

Auch die gesellschaftliche Linke muss sich verändern, sich neu zusammensetzen. Sie muss strategisch denken und handeln: Wie jetzt auf die Krise reagiert wird, legt langfristig fest, wie und wohin es weitergeht. Eine tiefe Krise erfordert radikale Reaktionen - die alte neoliberale Macht führt es vor. Kein "Weiter so", keine Bescheidenheit, keine betulichen Konzepte werden in der Krise weiterhelfen; ebenso wenig die aufgeregte Verkündigung, dass nun alles ganz anders ist. Die Linke muss zugleich die aktuelle Krise, ihre neoliberalen Ursachen, ihre langfristigen historischen Fundamente (Fossilismus, Konsumismus, Imperialismus und Militarismus) und ihre kapitalistische Natur ins Blickfeld nehmen. Sie benötigt kritische Gesellschaftsanalysen ebenso wie die Kunst der Strategie, Projekte der Verbindung von alltäglichen Kämpfen und gesellschaftlichen Alternativen. Sie muss neu sprechen und kämpfen lernen, sich mit gesellschaftlichen Akteuren verbinden und für ihre großen, traditionellen Visionen neue Anknüpfungspunkte finden, der Zukunft einen Ort im Hier und Jetzt einräumend.

Das Heft will Zeit-Schrift sein. Es will Diskussionen und Analysen der linken Debatten zusammenbringen und fruchtbar machen. Der Blick soll nicht eingeengt werden durch die üblichen Trennungen in Richtungen, Strömungen und Schulen, Theorie und Praxis, Analyse und Politik, Ökonomie und Kultur, das alltägliche Leben und die Logik der Systeme. Im Mittelpunkt stehen Diskussionen, Strategien und Kämpfe von unten, der sozialen Bewegungen, der Gewerkschaften, der Intellektuellen, der globalen Linken.

Die Redaktion

Raute

Vorschau auf Wahlen
Jahr
Monat
Wo?
Was?
Termin
Wahlperiode
2009


Sept.
Sept.
Sept.
Brandenburg
Bundesrepublik
Schlesw.-Holstein
Landtag
Bundestag
Landtag
27.9.
27.9.
27.9.
5 Jahre
4 Jahre
5 Jahre
2010
Frühj.
NRW
Landtag
9.5.
5 Jahre
2011







Frühj.
Frühj.
Frühj.
Frühj.
Frühj.
Herbst
Herbst
Herbst
Baden-Württemb.
Rheinland-Pfalz
Sachsen-Anhalt
Hessen
Bremen
Niedersachsen
Berlin
Mecklenb.-Vorp.
Landtag
Landtag
Landtag
Kommunal
Landtag/K
Kommunal
Landtag/K
Landtag








5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
4 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
5 Jahre
2012
Frühj.
Hamburg
Landtag/K

4 Jahre

Quelle: www.wahlrecht.de/termine.htm

Raute

IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

Herausgegeben vom: Verein politische
Bildung, linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825 Köln
Herausgeber: Barbara Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruska, Claus-Udo Monica,
Brigitte Wolf.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
Auslandsberichterstattung:
Christiane Schneider, (verantwortlich),
GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg,
Tel. 040/43 18 88 20, Fax: 040/43 18 88 21.
E-mail: gnn-hamburg@freenet.de - Alfred Küstler,
GNN-Verlag, Postfach 60 02 30, 70302 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32.
E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com

Regionales / Gewerkschaftliches: Martin Fochler,
GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32,
E-mail: pb@gnn-verlage.de

Diskussion / Dokumentation: Rüdiger Lötzer,
Postfach 210 112, 10501 Berlin,
E-mail: gnn-berlin@onlinehome.de

In & bei der Linken: Jörg Detjen,
GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
50825 Köln, Venloer Str. 440, Tel. 0221/21 16 58,
Fax: 0221/21 53 73. E-mail: gnn-koeln@netcologne.de

Termine: Alfred Küstler, Anschrift s. Aktuelles.

Die Mitteilungen der "Bundesarbeitsgemeinschaft
der Partei die Linke Konkrete Demokratie - Soziale
Befreiung" werden in den Politischen Berichten
veröffentlicht. Adresse GNN Hamburg

Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische
Berichte mbH, 50825 Köln, Venloer Str. 440
und GNN Verlag Süd GmbH, Stubaier Str. 2,
70327 Stuttgart, Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32
E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com

Bezugsbedingungen: Einzelpreis 4,00 Euro. Ein
Halbjahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo
42,90 Euro), ein Jahresabonnement kostet 59,80 Euro
(Förderabo 85,80 Euro). Ein Jahresabo für Bezieher
aus den neuen Bundesländern: 54,60 Euro,
Sozialabo: 46,80 Euro. Ausland: + 6,50 Euro
Porto. Buchläden und andere Weiterverkäufer erhalten
30 % Rabatt.

Druck: GNN Verlag Süd GmbH Stuttgart

Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


*


Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 9, 10. September 2009
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung, linke Kritik und
Kommunikation
Venloer Str. 440, 50825 Köln
E-Mail: gnn-koeln@netcologne.de
Internet: www.gnn-verlage.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2009