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POLITISCHE BERICHTE/116: US-Präsidentschaftswahlen, Teil 2


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Nr. 1 am 15. Januar 2009

US-Präsidentschaftswahlen, Teil 2(*)
Bundesstaaten-übergreifende Interessenkoalition mit Schwerpunkt in den metropolitanen Regionen

Von Hunno Hochberger


Dem aktuellen Stand zufolge(1) verteilen sich die insgesamt bei der US-Präsidentschaftswahl am 4. Nov. 2008 abgegebenen 125.225.901 Stimmen wie folgt auf die Demokratische Partei (DP) bzw. Republikanische Partei (RP) sowie deren jeweiligen Kandidaten. DP/Obama: 66.882.230 = 53 %; RP/McCain: 58.343.671 = 46 %. Hier muss festgehalten werden, dass McCain aus einer scheinbar - lt. Prognosen! - weit abgeschlagenen ("aussichtslosen") Position heraus Zug um Zug aufzuholen wusste bzw. schließlich Kontakt zu halten wusste zum führenden Kontrahenten. Fakt ist, dass der Abstand zwischen beiden Abstimmungsergebnissen eher relativ ist - und dass somit die US-Zivilgesellschaft aufgespalten ist in zwei annähernd gleichstarken Lager. Die Frage, die sich hier sofort aufdrängt, ist folgende: Kann die Interessenkoalition, die die DP bzw. Obama jetzt an die Regierungsmacht gebracht hat, auf mittlere bis längere Sicht Zugewinne im anderen Lager erzielen - und damit die vorhandene Spaltung überwinden? Hierzu lassen sich schon jetzt klare Antworten finden - im politischen Alltag dieser Zivilgesellschaft, Stichwort: Direkte Demokratie (siehe dazu bereits in PB 11/2008, S. 8 - "USA: Über 150 Volksabstimmungen am Tag der Präsidentschaftswahl"). Das soll im Folgenden Schritt für Schritt - entlang der zentralen Interessen bzw. Themen, die ganz oben stehen auf der Agenda der Koalition - entwickelt werden.

Die DP erhielt ihre Stimmen im Wesentlichen im Nordosten bzw. Südosten sowie im Westen der USA. Das betrifft etwa zwei Drittel der bevölkerungsreichsten Gebiete der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese sind stark bis sehr stark geprägt durch größere bis sehr große Städte (wo die DP die meisten Stimmen erhielt) bzw. durch Vorstädte sowie deren direkt anschließendes Umland. Die RP erhielt demgegenüber ihre Stimmen hauptsächlich im mittleren Westen bzw. in den Vorstädten sowie in den eher ländlichen Gebieten der USA, in denen beide Parteien mit jeweils 49 % Stimmenanteil gleichauf liegen. Dort hat somit die oben angesprochene Aufteilung in zwei annähernd gleichstarke politische Lager ihren Schwerpunkt - und insbesondere hier müssten daher die Bemühungen der Koalition um Zugewinne ansetzen. Die vorliegenden Wahlanalysen(2) machen deutlich, dass 45 % der "weißen" wahlberechtigten US-Bürger am 4. November 2008 für die Demokratische Partei bzw. für deren Präsidentschaftskandidaten gestimmt hat - im Unterschied zu 53% derselben Wählergruppe, die für die Republikanische Partei bzw. deren Kandidaten votierte. Sie machen desweiteren deutlich, dass diese Zustimmung für die DP sich innerhalb der '"nicht-weißen" Wählerschaft wie folgt verteilt: Afroamerikaner = 93%, Latinos = 68%, Asienstämmige = 63%, Andere = 70%. Diese Wahlanalysen lassen außerdem erkennen, dass innerhalb jener insgesamt 45% "weißer" Stimmen (für die DP und ihren Kandidaten) eine Altersgruppe mit einem höheren Stimmenanteil ausgewiesen ist: das betrifft die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen, die hier mit 51% vertreten sind.


Themen Gesundheitsfürsorge, Wohnen

Die Befragungen haben insbesondere ergeben, dass für die Wähler der DP (d.h. auch für die vorgenannte Gruppe!) das Generalthema "Wirtschaft" oberste Priorität hatte - konkretisiert in mehreren Einzelthemen, die im Folgenden verdeutlicht werden. Hier ist jetzt hinsichtlich der beiden Lager interessant, wie weit die diesbezüglichen Befunde auseinanderdriften. Während die Wähler der DP auf die Frage: "Machen Sie sich Sorgen, dass die wirtschaftliche Krise Ihrer Familie Schaden zufügt?" in der Mehrheit mit "Sehr besorgt" bzw. "Einigermaßen besorgt" geantwortet haben, ergaben sich bei den Wählern der RP zu dieser Frage exakt gegenteilige Meinungen: Hier lauteten die Antworten "Nicht sehr besorgt" bzw. "Überhaupt nicht besorgt". In diesen Befragungen wurde lediglich ein konkretes Thema zur Situation der Haushaltsnettoeinkommen der Familien angesprochen - das betraf die Kosten für die (eigene) Gesundheitsfürsorge. Auch hier kann das gleiche Auseinanderdriften der jeweiligen Befunde aus beiden Lagern festgestellt werden. Auf die Frage: "Sind Sie besorgt über die Kosten der Gesundheitsfürsorge?" antworteten 62% der DP-Wähler mit "Ja" und 58% der RP-Wähler mit "Nein". Offenkundig sind die Lebensumstände der beiden befragten Wählergruppen durch erhebliche Unterschiede geprägt - Unterschiede die sich deutlich niederschlagen bei den Ausgabenpositionen in den jeweiligen Familien- bzw. Haushaltsbudgets.

In einer neueren Untersuchung zur Frage eines angemessenen Lebensstandards für arbeitende Familien - veröffentlicht vom überparteilichen Urban Institute (Washington DC) - wird folgendes mit Blick auf die metropolitanen US-Regionen festgestellt: "Die Hälfte aller Arbeitnehmer-Haushalte mit [Jahresnetto-]Einkommen zwischen $19.000 [= 14.123,27 Euro] und $37.000 [= 27.874,87 Euro] geben mehr als 30 Prozent ihres Monatseinkommens für [den Posten] Wohnen aus; und 15 Prozent [dieser Haushalte] geben dafür mehr als 50 Prozent aus. Wenn der Ausgabenposten Wohnen einen solch großen Anteil am monatlichen Einkommen der Familien verbraucht, bleibt ihnen wenig übrig für andere wesentliche Bedarfsposten wie Lebensmittel, Gesundheitsfürsorge und Kinderversorgung. Und sie riskieren Zwangsräumung und mögliche Obdachlosigkeit, wenn sie versäumen die Miete zu zahlen oder die Rate für die aufgenommene Hypothek. Aber die Kosten fürs Wohnen variieren breit an den betreffenden Märkten. Das Ungleichgewicht zwischen den Löhnen/Gehältern und den Wohnkosten ist am größten in den am meisten prosperierenden metropolitanen Räumen - wo der Zuwachs an Wohnangeboten nicht Schritt hält mit dem Zuwachs an Arbeitsplätzen und Bevölkerung."(3)


Thema Transportwesen

Innerhalb der Interessenkoalition spielen (neben den beiden Ausgabenpositionen für Gesundheitsfürsorge und Wohnen) vor allem auch die Ausgaben für die eigene Mobilität eine entscheidende Rolle: Die Diskussion ist bestimmt von dem Faktum, dass einerseits die in den letzten Jahren ständig angestiegenen Spritkosten zum Verzicht auf Nutzung bzw. zum Verzicht auf Neuanschaffung eines eigenen Pkw geführt haben. Und dass andererseits der massenhafte Wechsel auf das billigere bzw. erschwinglichere öffentliche Transitnetz alle Unzulänglichkeiten dieses bislang vernachlässigten Sektors drastisch offengelegt hat. Das betrifft vor allem die Transportkapazität und die Netzreichweite für den Pendlerverkehr. Weil aber der Umstieg vom Individualverkehr auf den öffentlichen Nahverkehr hinsichtlich des zur Verfügung stehenden monatlichen Hauhaltsnettoeinkommens auf jeden Fall enorm kostensenkend wirkt, genießt seine Sanierung und sein Ausbau große Popularität innerhalb der Interessenkoalition.

Zwei Berichte (2006, 2007) zu den Ergebnissen entsprechender Studien im Nachrichtenorgan der US-Initiative Light Rail Now lassen erkennen wie die Diskussion innerhalb der Interessenkoalition ihre Hauptthemen - und hierzu zählt selbstredend auch das Thema Arbeitsplatz! - längst miteinander zu verknüpfen weiß: "Eine transitorientierte Raumplanung/-entwicklung kann den Bedürfnissen der arbeitenden Familien durch die dadurch mögliche Beschaffung von erschwinglichem Wohnraum und/oder den dadurch möglichen besseren Zugriff auf Arbeitsplätze Rechnung tragen. (...) [Zitat aus der ersten Studie:] ,Wir sind der Meinung, dass Firmen, die in urbanen Räumen mit Transitsystemen angesiedelt sind, solange keiner Subventionen würdig sind bis die Arbeitsplätze über den öffentlichen Transit erreichbar sind und diese in einer für Pendler kostengünstigen Entfernung von erschwinglichem Wohnraum liegen' (...) Einer zweiten Studie ... zufolge geben amerikanische Haushalte, die sich in der Nähe von 'gutem Transitzugriff' befinden, gerade mal 9% ihres Nettoeinkommens für den Ausgabenposten Transport aus - verglichen mit 19%, die der Durchschnittshaushalt ansonsten dafür ausgeben muss."(4)

Ergänzend zu den Angaben in der anschließend wiedergegebenen Übersicht des Progressive States Network lassen sich folgende Resultate von zehn Volksabstimmungsinitiativen am 4. November 2008 betreffend das Thema Transit/Transportwesen aus einer aktuellen Liste von Light Rail Now! entnehmen: acht Initiativen (in Honolulu, Sacramento, Sonoma-Marin Counties, Kalifornien, Seattle, Los Angeles, San Jose und Albuquerque) waren erfolgreich; zwei Initiativen (Kansas City, St. Louis) konnten keine Mehrheit erzielen. Wie die unten wiedergegebene Übersicht sehr anschaulich verdeutlicht, birgt die US-Gesellschaft auf ihren bundesstaatlichen Ebenen sowie insbesondere auf ihren lokalen Ebenen (in den eher ländlichen Gebieten) Elemente der direkten Demokratie, die die dortigen Bürger sowohl mit projektbezogener Finanzhoheit ausstattet wie auch mit dem Recht der diesbezüglichen Mandatserteilung an die betreffenden gesetzgebenden Körperschaften. Wie allein schon das u.a. Beispiel der überwältigenden Zustimmung (74% aller abgegeben Stimmen!) zu den 22 kommunalen Volksabstimmungs-Initiativen in Wisconsin betreffend die Einrichtung eines garantierten und erschwinglichen Gesundheitswesens beweist, kann die Interessenkoalition auf diesem Wege und über solche Themen Zugewinne im republikanischen Lager erzielen und dergestalt jene eingangs angesprochene gegenwärtige politische Spaltung der US-Zivilgesellschaft auf mittlere bis längere Sicht überwinden.


Anmerkungen:

(*) Teil 1 war in der Ausgabe Nr. 12/2008 [im Schattenblick unter www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse: POLITISCHE BERICHTE/115: Zeitschrift für linke Politik 12/2008] veröffentlicht worden und umfasste die folgenden Teile: "Bekräftigung sowohl der Vielfalt wie auch des noch nie dagewesenen Ausmaßes der Bürgerbeteiligung" - Wahlanalyse von Lara Carlsen - The Huffington Post, 11. November 2008, Obama und die Minderheiten-Mehrheit - Stellungnahme in 'Columbia's free weekly', 11.11.2008, Städte: Bürgermeister Bob Coble, Hoffnung für die Wirtschaft - 7. November 2008, Stellungnahme zur Wahl Barack Obamas Netzwerk "Vereinigt für Frieden und Gerechtigkeit" - Dachverband der US-Gewerkschaften AFL-CIO, Präsident John J. Sweeney, "Bleibt jetzt nicht stehen"

Teil 3 wird in PB-2/2009 veröffentlicht werden: Bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar 2009 wird das bereits jetzt in groben Zügen erkennbare Regierungsprogramm des neugewählten US-Präsidenten ganz konkret vorliegen. Es soll daher dann der Frage nachgegangen werden, inwieweit es den Netzwerken und basisdemokratischen Kräften, die Obama unterstützt haben, gelungen ist, sich mit ihren jeweiligen Zielsetzungen und Forderungen dort einzubringen. Hier wird u. a. von großer Bedeutung sein, ob der 'Employee Free Choice Act' in der von den US-Gewerkschaften geforderten Fassung alsbaldige Gesetzeskraft erlangt.


Quellen:

(1) CNN Election Center 2008 - Results, President

(2) CNN Election Center 2008 - President Exit Polls; U.S. House - National Exit Poll (Übersetzung Hunno Hochberger)

(3) The Urban Institute. Gregory Acs, Margery Austin Turner/Making Work Pay Enough - A decent Standard of Living for Working Families. New Safety Net Paper 1, July 2008; S. 2 (Übersetzung Hunno Hochberger)

(4) Light Rail Now! NewsLog - 05.04 2006 und 06.07.2007 (Übersetzung Hunno Hochberger)


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 1, 15. Januar 2009, Seite 4-5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2009