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OSSIETZKY/664: Euro-Gewinner und -Verlierer


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 14 vom 9. Juli 2011

Euro-Gewinner und -Verlierer

Von Gerd Bedszent


Seit Monaten überschlagen sich die Konzernmedien mit Schreckensbildern, wieviel der Zusammenbruch der Volkswirtschaft Griechenlands den deutschen Steuerzahler kosten könne. Meldungen über massive Proteste großer Teile der griechischen Bevölkerung, die sich der neoliberalen Logik verweigern und ihrer Regierung die Legitimation aufkündigen, werden regelmäßig ergänzt durch Berichte über die angebliche Mißwirtschaft der griechischen Staatsbürokratie, welche für den angehäuften Schuldenberg verantwortlich sei.

Die deutsche Linke beschränkte sich bisher weitgehend darauf, das von der griechischen Regierung angestrebte und verabschiedete Programm des nationalen Ausverkaufs und der sozialen Grausamkeiten abzulehnen und eine ersatzlose Schuldenstreichung zu verlangen. Tatsächlich haben die Zinsforderungen von Banken nicht unwesentlich zur finanziell prekären Situation des griechischen Staatshaushaltes beigetragen. Die eigentliche Ursache aber liegt tiefer: Bevor ein Staat Zinsforderungen zu begleichen hat, muß seine Regierung überhaupt erst einmal gezwungen sein, massiv Kredite aufzunehmen. Und eine angebliche Mißwirtschaft der Griechen erklärt nicht, wieso sich eine ähnliche Entwicklung auch in anderen wirtschaftlich schwachen Staaten des Europäischen Währungsverbundes andeutet.

Kapitalistisches Wirtschaften ist dem Grunde nach immer ungleichförmig: Als Folge der Marktkonkurrenz gibt es Gewinner- und Verliererregionen. Eine der Aufgaben des klassischen bürgerlichen Nationalstaats ist daher die Wechselkursanpassung seiner Währung zum Schutze der eigenen Volkswirtschaft. Mit der Einführung der Einheitswährung Euro im Jahre 1999 ist dieser gegenseitige Schutz der beteiligten Staaten ersatzlos entfallen.

Das damals von Befürwortern der Europäischen Währungsunion (EWU) behauptete "organische Zusammenwachsen Europas" war von Anfang an nur ein propagandistisches Schlagwort. Tatsächlich war die EWU wegen der mit ihr verbundenen Öffnung der Kapital- und Arbeitsmärkte ein ausschließlich neoliberales Projekt. Sozial-, Öko- und Steuerdumping der letzten zehn Jahre führten zur sozialen Zerklüftung der Euroregionen. Aus den Produktivitätsrückständen der Randgebiete, die trotz Niedriglöhnen mit den wirtschaftlich starken Kernländern nicht Schritt halten konnten, resultierte ein permanenter ökonomischer Niedergang: Schließung und Verlagerung von Produktionsstandorten, massenhafter Anstieg der Arbeitslosigkeit, Mindereinnahmen für die Staatshaushalte, und diese Mindereinnahmen führten zu Haushaltslöchern, die kreditiert werden mußten. Griechenland gelangte so bis an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Gewinner in diesem Differenzierungsprozeß der europäischen Regionen war hauptsächlich der langjährige Exportweltmeister Deutschland - aber auch hier kam und kommt es zu einer weiteren sozialen Polarisierung der Bevölkerung in "Gewinner" und "Verlierer".

Die Währungshüter der Europäischen Zentralbank befinden sich angesichts der bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands in einem unlösbaren Dilemma: Die nach elementarer volkswirtschaftlicher Logik erforderlichen permanenten Transferzahlungen von Gewinner- in Verliererregionen stoßen auf entschiedenen Widerstand der wirtschaftlich starken "Gewinnerstaaten", sind also nicht durchsetzbar. Ein Ausschluß der "Verliererstaaten" aus dem Währungsverbund würde den Euro als Währung insgesamt schwächen. Die von neoliberalen Hardlinern als Ausweg geforderten und schließlich durchgesetzten Streichungen bei Staatsausgaben zwecks Stabilisierung der Schuldenberge können an der Situation langfristig nichts ändern - im Gegenteil: Der damit eintretende massive Kaufkraftverlust der Bevölkerung wird die griechische Wirtschaft zusätzlich massiv schädigen. Egal, wie die Währungshüter künftig von Fall zu Fall entscheiden - weitere soziale Verwerfungen sind in jedem Fall vorprogrammiert.

Die Folgen des neoliberalen Projektes EWU bergen die reale Gefahr in sich, daß nationalistische Demagogen von Zorn und Ängsten der Bevölkerung profitieren, indem sie jeweils die anderen Nationen für die wirtschaftliche Misere verantwortlich machen. Die Kampagne deutscher Medien gegen die "griechische Mißwirtschaft" geht schon weit in diese Richtung. Die Linke hatte bisher dieser Demagogie nicht viel entgegenzusetzen. Einziger sozial vertretbarer Ausweg aus der "Griechenlandkrise" ist, das neoliberale Projekt der Eurozone insgesamt in Frage zu stellen. Um es zu Fall zu bringen, wäre der koordinierte Widerstand der Betroffenen aller beteiligten Staaten erforderlich. Ein Überschwappen der bisher vor allem von der griechischen und spanischen Bevölkerung getragenen Proteste über die Landesgrenzen hinweg in die Kerngebiete der Eurozone ist zwar bisher schon in Frankreich, in Deutschland hingegen kaum zu spüren.

Eine detaillierte Kritik des Europäischen Währungsverbundes, in der die nun eingetretene Situation genau vorausgesagt wurde, war Gegenstand einer schon Anfang 1997 vorgelegten Studie "Perspektiven und Konsequenzen der Europäischen Währungsunion" von Ernst Lohoff und Norbert Trenkle (Institut für kritische Gesellschaftstheorie). Auftraggeber war die damalige Bundestagsgruppe der PDS. Sie hätte von der Studie Gebrauch machen sollen.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Dreizehnter Jahrgang, Nr. 14 vom 9. Juli 2011, Seite 524 bis 525
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Dr. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2011