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MARXISTISCHE BLÄTTER/568: Lateinamerika - linke Regierungen werden von inneren und äußeren Gegnern bedroht


Marxistische Blätter Heft 2-14

Gefahr am Horizont
Die linken Regierungen Lateinamerikas werden von inneren und äußeren Gegnern bedroht

Von André Scheer



Im vergangenen April wäre es fast vorbei gewesen. Nur knapp konnte sich Nicolás Maduro bei der Präsidentschaftswahl in Venezuela, die durch den Tod von Hugo Chávez notwendig geworden war, gegen den Kandidaten der rechten Opposition durchsetzen. 224.000 Stimmen machten den Unterschied - bei insgesamt über 15 Millionen abgegebenen Stimmen.(1) 50,61 gegen 49,12 Prozent waren ein Schock für die siegesgewohnten Sozialisten, zumal im Vorfeld nichts auf einen knappen Ausgang der Wahl hingedeutet hatte. Und tatsächlich bestätigten in den Tagen nach der Wahl die verschiedenen Meinungsforschungsinstitute, dass es in der Woche vor der Abstimmung - während der keine neuen Umfragen veröffentlicht werden durften - zu einem dramatischen Abschmelzen der bis dahin prognostizierten Zustimmungswerte für Maduro gekommen war.

Es lässt sich ahnen, was passiert wäre, wenn tatsächlich der Erzreaktionär Henrique Capriles Radonski die Wahl gewonnen hätte. Es hätte sicherlich einen gewaltsamen Ausbruch der Wut und Enttäuschung bei vielen Anhängern des linken Lagers gegeben. Viel gravierender jedoch wäre wohl gewesen, dass die Ergebnisse von 14 Jahren Bolivarischer Revolution schnell zunichte gemacht worden wären.

Natürlich hätte die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) in diesem Falle auch weiterhin eine klare Mehrheit im Parlament gehabt und die meisten Bundesstaaten regiert. Doch es braucht nicht viel Phantasie, sich auszumalen, was diese rechnerischen Mehrheiten tatsächlich wert gewesen wären. Nicht wenige Funktionäre sind nur in der PSUV, weil sie die regierende Partei ist und Posten verspricht. Sie wurden zu flammenden Sozialisten, als Hugo Chávez Anfang 2005 erstmals davon sprach, den Sozialismus aufbauen zu wollen - doch bis heute können sie nicht erklären, was sie eigentlich unter diesem Begriff verstehen. Wie viele Gouverneure, Parlamentsabgeordnete und andere Amtsinhaber im Falle des Falles zur neuen, rechten Regierung umgeschwenkt wären - eine genaue Zahl zu nennen, wäre reine Spekulation. Naiv aber wäre der Glauben, es wäre niemand gewesen.

Ein vergleichbares Beispiel

Ein jüngeres, sicherlich vergleichbares Beispiel für einen solchen Fall ist die Sozialistische Partei Serbiens (SPS), die unter dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic die führende Kraft einer antiimperialistisch geprägten Regierung war, die im Widerstand gegen die NATO-Aggression 1999 auch das Bündnis mit den kommunistischen Parteien Europas suchte. Nach dem gewaltsamen Sturz des Staatschefs im Jahr 2000 verlor sie jedoch massiv an Mitgliedern und Einfluss und stürzte bei den serbischen Parlamentswahlen 2007 auf 5,6 Prozent der Stimmen ab. Endgültig Abstand von ihren früheren Positionen nahm die Partei nach dem bis heute nicht aufgeklärten Tod ihres Vorsitzenden Slobodan Milosevic 2606 im Gefängnis in Den Haag. Ein Jahr später schloss sie ein Koalitionsabkommen mit den "Demokraten" und betreibt seither den EU-Beitritt des Landes, also die endgültige Unterwerfung unter die Aggressoren.(2) Werner Pirker kommentierte damals: "Wie es aussieht, befindet sich nun auch die SPS auf postkommunistischem Kurs, auf dem Weg der Anpassung an die bestehenden Machtverhältnisse, wie man das von Polens Neo-Sozialdemokraten bis zur deutschen Linkspartei kennt. Zu einem Wesensmerkmal postkommunistischer Formationen gehört es, "proeuropäisch" zu sein. Wer sich so positioniert, hat sich mit dem EU-Imperialismus schon arrangiert. Unter Slobodan Milosevic war das schon aus Gründen der westlichen Konfrontationspolitik nicht vorstellbar"(3)

"Verschwinden" der zentralen Führungspersönlichkeit

Auch in Serbien/Jugoslawien war es das "Verschwinden" der zentralen Führungspersönlichkeit, die den politischen Bankrott von dessen Partei auslöste. Venezuelas Sozialisten hätten nach dem Tod von Hugo Chávez einen unmittelbar darauf folgenden Machtverlust kaum verkraftet. Dazu ist die PSUV ideologisch einfach zu heterogen und in sich zerrissen.

Im Unterschied zu Jugoslawien hätte es in Venezuela allerdings eine wichtige Kraft gegeben, die dem Roll-Back zweifellos hätte Widerstand leisten können: die Basisbewegungen. Viele Menschen haben sich in den vergangenen Jahren politisiert und auch selbst ganz konkret vom revolutionären bolivarischen Prozess profitiert. Doch fraglich ist, bei wie vielen von ihnen inzwischen das Bewusstsein verankert ist, dass sie selbst die entscheidende Kraft der Veränderungen sind. Chávez hat das Zeit seines Lebens zwar immer wieder betont, zugleich jedoch wurden die sozialen Missionen und Programme, Infrastrukturprojekte und andere Verbesserungen der Lebensqualität der Menschen von der staatlichen Propaganda personalisiert als Gaben von Chávez präsentiert. Nach seinem Tod ist dies durch eine quasi-religiöse Verklärung des "ewigen obersten Comandante" abgelöst worden, auf dessen Willen sich Maduro - der es als geschulter Marxist eigentlich besser wissen müsste - bis heute bei praktisch jeder Entscheidung beruft.

Verklärung des "ewigen obersten Comandante"

Immerhin ist es Maduro gelungen, die bolivarische Regierung nach dem Schock der Präsidentschaftswahl wieder zu stabilisieren. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen im vergangenen Dezember haben dazu entscheidend beigetragen, denn der Patriotische Pol - das Bündnis aus PSUV, Kommunistischer Partei Venezuelas (PCV) und kleineren Kräften - konnte bei niedrigerer Wahlbeteiligung fast 900.000 Stimmen mehr erzielen als die Oppositionsallianz MUD.(4) Damit war klar, dass der Versuch von Capriles, den geschwächten Präsidenten zu stürzen, vorerst gescheitert war. Dagegen sieht sich die MUD selbst einer schweren Krise gegenüber, da es über die nun zu wählende Strategie gegen die Regierung tief greifende Meinungsverschiedenheiten gibt.(5) Während Capriles de facto Nicolás Maduro als Präsident anerkannt hat, als er Anfang Januar an einer Versammlung aller Gouverneure im Regierungspalast Miraflores in Caracas teilnahm,(6) ist María Corina Machado vom rechten Flügel der Opposition weiter auf Straßenkampf ausgerichtet. "Gegen den Versuch, uns zu 'befriedigen', die Antwort des Volkes: REBELLION!" rief sie etwa am 2. Februar 2014. über den Internetdienst Twitter zu Gesetzesverletzungen auf.(7)

Veränderungen auf dem Kontinent bislang nicht stabil

Doch die Lehre, die Venezuelas und Lateinamerikas Linke aus den Ereignissen des vergangenen Jahres ziehen müssen, ist, dass die als revolutionär bezeichneten Veränderungen auf dem Kontinent bislang nicht so stabil sind, wie es den Anschein hat. Aus den linken Regierungen sind bislang noch nirgendwo - außer in Kuba selbstverständlich - tatsächlich tief greifende Systemveränderungen hervorgegangen. Selbst für Venezuela, das sich in der Bolivarischen Revolution sicherlich am meisten verändert hat, musste Hugo Chávez in seinem Wahlprogramm 2012 einräumen: "Täuschen wir uns nicht - die sozioökonomische Formation, die in Venezuela noch vorherrscht, ist rentenkapitalistischen Charakters!"(8) So stehen die fortschrittlichen Prozesse in Venezuela, Ecuador, Bolivien, Nicaragua, aber auch - weniger weitgehend - in Argentinien oder Brasilien nach wie vor unter dem Vorbehalt bürgerlicher Wahlen." Eine einzige Niederlage bei der Präsidentschaftswahl würde in all diesen Ländern ausreichen, um die Bewegung kopflos zu machen und abzuwürgen. Es ist derzeit kaum vorstellbar, dass Ecuador ohne Rafael Correa oder Bolivien ohne Evo Morales so auf Kurs bleiben würden, wie es heute der Fall ist.

Bislang können sich die fortschrittlichen Regierungen Lateinamerikas auf Mehrheiten in ihren Ländern verlassen. Doch wie brüchig Mehrheiten sein können, haben die Ereignisse in Venezuela gezeigt. Und auch, wenn die mehr oder weniger linken Staatschefs nicht abgewählt werden können, hat die Rechte nach wie vor andere Möglichkeiten zu ihrem Sturz - das haben die Ereignisse in Honduras 2009 (und die offensichtliche Manipulation der Präsidentschaftswahlen 2013) sowie in Paraguay 2012 deutlich gemacht, als mit Hilfe rechter Parlamentsmehrheiten die fortschrittlich orientierten Staatschefs gestürzt wurden.

Putschversuche der Rechten

In anderen Ländern blieben die Putschversuche der Rechten zunächst erfolglos, so 2002 in Venezuela oder 2010 in Ecuador. Doch auch diese Erhebungen, in denen die USA offenkundig direkt oder indirekt verwickelt waren, demonstrieren die Fragilität der revolutionären Prozesse. Das ist auch den Regierenden dieser Länder bewusst. So analysierte die ecuadorianische staatlichen Nachrichtenagentur ANDES im März 2013 in einem ausführlichen Artikel, wie in diesem Land versucht wird, die Bedingungen für einen Putsch zu schaffen. Einleitend heißt es in dem Beitrag:

"Nach dem Fall der Mauer von Berlin gab es zwei Jahrzehnte lang eine offenkundig unipolare Welt, in der der Kapitalismus die hegemoniale Dominanz hatte. In Lateinamerika entstanden Projekte wie die 'Modernisierung', die die armselige Institutionalität der Staaten in private Hände verteilte. Dies verschloss den Militärputschen die Tür, denn sie wurden unnötig.

Aber in der Region entstanden strukturelle Veränderungsprozesse wie in Ecuador, Argentinien, Bolivien und Venezuela. Diese wurden zu einer Bedrohung für die geopolitischen Interessen der USA und ihrer transnationalen Konzerne. So wurde die Überwachung eine Realität, die die lateinamerikanischen Demokratien behindert. Die Möglichkeit von Interventionen im Bündnis mit Macht- oder Oppositionsgruppen des Kontinents sollen Mechanismen sein, um ihre Ziele zu erreichen."(9)

Konzept eines "weichen Putsches"

Die Verfasser dieser nicht namentlich gezeichneten Analyse verweisen auf ein von der US-amerikanischem "Albert Einstein Institution" und deren Gründer Gene Sharp entwickelte Konzept eines "weichen Putsches" (Soft Coup). Sharp selbst lehnte diesen Begriff allerdings ab. In einer offenen Antwort auf einen 2005 erschienen Artikel von Thierry Meyssan im Voltaire Network(10) schrieb Sharp: "Der Begriff 'soft coups' ist falsch und verfälschend. Korrekter sind die Begriffe 'gewaltfreie Aktion, 'gewaltfreier Kampf' oder 'Volksmacht'. 'Soft coup' verknüpft diese Art von Aktionen mit den sehr anderen antidemokratischen Staatsstreichen durch militärische, politische oder Geheimdienstgruppen. Putsche sind einer der Hauptwege, auf denen Diktaturen errichtet werden."(11) Doch tatsächlich geht es Sharp darum, Anleitungen zum Sturz unliebsamer Regierungen zu liefern(12) - und er brüstet sich damit, dass seine Ratschläge etwa von der antikommunistischen Gruppierung "Hermanos al Rescate" angewandt wurden, die in den 90er Jahren immer wieder mit Flugzeugen den kubanischen Luftraum verletzten und Flugblätter über Havanna abwarfen.(13) Wie "gewaltfrei" ist ein Widerstand, der Hand in Hand mit Terroranschlägen einhergeht, wie sie von den USA aus seit Jahrzehnten gegen Kuba betrieben werden?

Handbuch des "weichen Putsches"

ANDES analysiert am Beispiel Ecuadors, wie mit Hilfe der privaten Medien und der rechten Opposition das Handbuch des "weichen Putsches" umgesetzt wird. Allerdings lässt sich dieses Vorgehen auch auf die anderen Länder des Kontinents, etwa in Venezuela, Bolivien oder Argentinien, übertragen.

Zunächst soll die Regierung de-legitimiert und geschwächt werden, etwa indem ihr Unsicherheit oder wirtschaftliche Probleme zur Last gelegt werden. In Venezuela wurden dazu zum Beispiel Gerüchte aufgewärmt, Nicolás Maduro sei nicht in Caracas, sondern in Kolumbien geboren worden - was ihm nach den Bestimmungen der venezolanischen Verfassung die Übernahme des Präsidentenamtes versagen würde. In einem nächsten Schritt wird dann für Unruhe auf den Straßen gesorgt. Die Protestaktionen gegen die Regierung - seien sie berechtigt oder unberechtigt - werden von den privaten Medien national und international groß aufgegriffen, selbst wenn nur wenige Hundert oder - wie in Kuba - nur ein halbes Dutzend Menschen sich an ihnen beteiligen. So wird der Eindruck wachsender Unruhe verbreitet, der wiederum der Mobilisierung für weitere Proteste dienen soll. Demonstrationen und Kundgebungen hingegen, die der Unterstützung der fortschrittlichen Regierungen dienen, werden verschwiegen oder als "staatlich organisiert" denunziert. Parallel dazu werden real vorhandene wirtschaftliche Schwierigkeiten übertrieben oder gar selbst provoziert. So werden in Venezuela bestehende Lieferschwierigkeiten seit Monaten dadurch verschärft, dass bestimmte Waren von den Händlern zurückgehalten werden. Immer wieder werden die Behörden fündig und entdecken Lagerhallen voll Waren des täglichen Bedarfs.

Bedeutung der "linken Opposition" maßlos übertrieben

Die durch eine derartige Destabilisierung geschaffene Stimmung soll dann genutzt werden, um Risse im Regierungslager zu schaffen, durch die die Institutionen geschwächt und schließlich ein Rücktritt oder Sturz der Regierung erzwungen wird. Dabei können die Hintermänner dieser "weichen Putsche" auch durchaus auf Kräfte zurückgreifen, die derartige Absichten weit von sich Weisen würden. So wurde in Ecuador und weltweit im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahlen im Februar 2013 die Bedeutung der "linken Opposition" um Alberto Acosta maßlos übertrieben. Ihren Beitrag dazu leisteten auch die deutsche Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und Attac, die Acosta als Stargast der Attac-Konferenz 2011 "Jenseits des Wachstums" präsentierten.(14) Diese Nähe ist kein Zufall, denn eine "Sozialismus-Konzeption", wie sie Acosta vertritt, ist nicht weit entfernt von den Vorstellungen des dominanten Flügels der deutschen Linkspartei: "Der Sozialismus ist ein permanenter und endloser Prozess der Demokratisierung - und zwar in allen Bereichen: in der Politik, der Ökonomie, der Gesellschaft, der Familie."(15)

Noch Anfang 2013, kurz vor der Präsidentschaftswahl in Ecuador, hieß es in der von der RLS herausgegebenen Schrift "Standpunkte international" über Rafael Correa: "Erst kurz vor seiner Präsidentschaftskandidatur im Jahre 2006 näherte er sich linksgerichteten und mit diesen sympathisierenden Organisationen an und gewann deren Unterstützung für den Wahlkampf. Correa übernahm ihre Programme, die militante Linke wurde zu seiner wichtigsten unterstützenden Kraft. Jetzt, nach sechs Jahren an der Regierung, hat sich Correa von vielen seiner Verbündeten der ersten Stunde getrennt, auch sein politisches Auftreten hat sich stark verändern."(16)

Durch solche Analysen sollte der Eindruck erweckt werden, dass Correa seine bisherigen Bündnispartner abhanden gekommen seien - das weite Teile der ecuadorianischen Linken, etwa die Kommunistische Partei PCE, die Regierung weiterhin unterstützten, wurde ausgeblendet. Stattdessen wurde das heterogene Bündnis "Plurinationale Einheit der linken" hochgeschrieben: "Das Bündnis 'Unidad Plurinacional' umfasst die MPD ("Movimento Popular Democrático" - demokratische Volksbewegung), die den indigen Organisationen nahe stehende "Plurinationale Einheitsbewegung Pachakutik" ("Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik") und die "Montecristi-Bewegung". Diese kämpft zusammen mit Präsidentschaftskandidat Alberto Acosta vor allem für die Achtung der von den sozialen Organisationen erarbeiteten und in die neue Verfassung eingeflossenen Grundsätze und Vorschläge, die Correa nun nicht respektiere. Darüber hinaus sind der "Unidad Plurinacional" auch linksgerichtete Einzelpersonen angeschlossen, die keiner politischen Organisation angehören."(17) Dass die MPD der parlamentarische Arm der maoistisch orientierten Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei Ecuadors (PCMLE) ist, verschwieg der Autor den Lesern. Letztlich kam Acosta nur auf 3,26 Prozent der Stimmen, während Correa mit 57,17 Prozent im Amt bestätigt wurde.

Die Rolle der RLS

Die Rolle der RLS und vieler ihrer Vertreter in Lateinamerika war in den vergangenen Jahren immer wieder, zu radikale Entwicklungen als zu wenig demokratisch zu denunzieren. Zugleich fügte sie sich widerspruchslos in die etablierte Arbeitsteilung mit den anderen deutschen Parteistiftungen ein. Von der RLS war so etwa kaum Kritik zur Rolle der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zu hören, die besonders offen in Honduras und etwas dezenter in Paraguay die aus liberalen Parteien stammenden Putschisten unterstützte.

Stärker noch als das der deutschen Stiftungen ist das Wirken nordamerikanischer Organisationen bei der Destabilisierung Lateinamerikas spürbar. Dabei spielen direkt oder indirekt aus dem US-Staatshaushalt finanzierte Stiftungen wie die USAID oder die NED sowie die Institute der Republikaner und Demokraten die zentrale Rolle. Doch nicht immer sind die Hintermänner so leicht zu erkennen. Im Dezember 2013 ordnete Boliviens Präsident Evo Morales etwa die Ausweisung der dänischen Nichtregierungsorganisation IBIS aus dem Andenstaat an, weil diese sich in die Politik eingemischt und Indigenaorganisationen unterwandert habe - "aus den selben Gründen also, aus denen wir auch die USAID ausgewiesen haben", wie Regierungsminister Juan Ramón Quintana erklärte.(18) Die United States Agency for International Development war im Mai 2013 aus Bolivien ausgewiesen worden. Im Dezember kündigte die USAID dann ihren "freiwilligen" Rückzug aus Ecuador an, weil die dortigen Behörden nicht bereit seien, 2007 initiierte und nun auslaufende Projekte zu verlängern und auszuweiten. Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño zeigte sich davon wenig beeindruckt: "Wenn die USAID sich entschieden hat, zu gehen, werden wir sie nicht um eine Rückkehr bitten." Das Gebaren dieser Organisation sei "wenig transparent".(19)

Weitere Gefahr durch die bürgerlichen Medien

Weitere Gefahr droht der Stabilität der Länder Lateinamerikas durch die bürgerlichen Medien. Das haben die fortschrittlichen Regierungen Lateinamerikas seit dem Putsch 2002 in Venezuela erkannt, als die kommerziellen Fernsehsender durch manipulierte Berichte die Rechtfertigung für den Staatsstreich lieferten. Seither wird versucht, durch den Aufbau neuer staatlicher Medien die Dominanz der Privatsender zurückzudrängen. Eine Schließung der gegnerischen Sender wurde hingegen weitgehend vermieden (die wohl einzige relevante Ausnahme war 2007 die Nichtverlängerung der terrestrischen Sendelizenz von RCTV in Venezuela).

Wirtschaftliche Destabilisierung

Weniger ist den Regierungen jedoch bislang gegen die wirtschaftliche Destabilisierung eingefallen. Einen grundsätzlichen Bruch mit den kapitalistischen Mechanismen der Wirtschaftssysteme hat es bislang nirgendwo gegeben, auch nicht in Venezuela, wo viele Unternehmen bei Bedarf verstaatlicht wurden. Experimente mit Arbeiterselbstverwaltung oder -mitbestimmung blieben bislang vereinzelt, so dass sich die neuen Staatsunternehmen in ihrem Verhalten häufig kaum von ihren privaten Konkurrenten unterscheiden. Dadurch provozieren die Manager dieser Firmen jedoch Proteste der Gewerkschaften und Beschäftigten gegen die Führung - die sich damit letztlich auch gegen den Staat richten. Dann ist es für die revolutionären Kräfte wichtig, die Hintergründe des jeweiligen Konflikts zu analysieren und ggf. auch Partei für die streikenden Arbeiter und damit gegen den Staatsapparat zu ergreifen. So agiert etwa die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), deren Unterstützung für den bolivarischen Prozess zugleich nicht in Frage steht und die damit versuchen, die Arbeiterproteste gegen die Bolivarische Revolution insgesamt zu instrumentalisieren, die Grundlage entzieht. Ganz anders agiert demgegenüber die trotzkistische PSL, deren Chef Orlando Chirino etwa bei der Präsidentschaftswahl 2012 gegen Hugo Chávez antrat - und mit 0,02 Prozent das schwächste Ergebnis aller Kandidaten einfuhr. Indem sie Fehler und Unklarheiten der Administration ausnutzt, unterstellt die PSL bis heute der venezolanischen Regierung, im Bündnis mit der rechten Opposition zu versuchen, "dass das Volk die Krise bezahlt".(20)

Hauptfeind der revolutionären Prozesse

Solche ultralinken Strömungen können Verwirrung in die fortschrittliche Bewegung hineintragen und so für eine Schwächung des Kampfes gegen den eigentlichen Gegner sorgen. Doch der Hauptfeind der revolutionären Prozesse ist derzeit der Reformismus. Darauf wies der Generalsekretär der venezolanischen KP, Oscar Figuera, am 5. Februar im Gespräch mit der Tageszeitung "Ultimas Noticias" hin: "Es geht darum, diese Strömung, die viel Macht im Schoß der Kräfte des Prozesses hat, zu erkennen und zu beseitigen. Man muss diese Bedrohung erkennen. Es gibt Leute, die einen revolutionären und sogar sozialistischen Diskurs pflegen, aber versuchen, den politischen und sozialen Prozess zu sprengen."(21)

André Scheer, Berlin/Augsburg, Journalist Redaktion Junge Welt



Anmerkungen

(1) http://www.cne.gob.ve/resultado_presidencial_2013/r/1/reg_000000.html; abgerufen am 4. Februar 2014

(2) Vgl. Cathrin Schütz: Sozialisten auf Westkurs; in: junge Welt, 25.6.2008;
http://www.jungewelt.de/2008/06-25/014.php; abgerufen am 4. Februar 2014

(3) Werner Pirker: Verkaufen sich Serbiens Sozialisten?; in: junge Welt, 11.6.2008;
http://www.jungewelt.de/2008/06-11/040.php; abgerufen am 4. Februar 2014

(4) Vgl. http://www.cne.gob.ve/resultado_municipal_2013/r/1/reg_000000.html; abgerufen am 4. Februar 2014

(5) Vgl. Capriles a Maria Corina Machado y Leopoldo Lopez: "No voy a acompañar atajos"; in: Panorama, 30. Januar 2014;
http://panorama.com.ve/portal/app/push/noticia97565.php; abgerufen am 4. Februar 2014

(6) Vgl. Diario El Progreso, 8. Januar 2014;
http://www.diarioelprogreso.net/noticias-de-venezuela/2812-capriles-acude-a-reuni%C3%B3n-sobre-seguridad-en-miraflores.html; abgerufen am 4. Februar 2014

(7) http://twitter.com/MariaCorinaYA/statuses/430075646459404288; abgerufen am 4. Februar 2014

(8) Hugo Chávez: Programa de la Patria 2013-2019;
http://blog.chavez.org.ve/programa-patria-venezuela-2013-2019/presentacion/#.UvFSmfu_iWc; abgerufen am 4. Februar 2014

(9) ANDES, 12.3.2013: En Ecuador se gestan las condiciones para un golpe de Estado, sostienen analistas;
http://www.andes.info.ec/es/revoluci%C3%B3n-alfarista/ecuador-gestan-condiciones-golpe-estado-sostienen-analistas.html; abgerufen am 9. Februar 2014

(10) Thierry Meyssan: The Albert Einstein Institution: non-violence according to the CIA;
http://www.voltairenet.org/article30032.html; abgerufen am 9. Februar 2014

(11) The Albert Einstein Institution: CORRECTIONS. An open letter from Gene Sharp;
http://www.voltairenet.org/IMG/pdf/CORRECTIONS-2.pdf; abgerufen am 9. Februar 2014l

(12) Vgl. Gene Sharp: Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung. München 2008

(13) Vgl. Gene Sharp: How nonviolent struggle works, East Boston 2013, S. XI

(14) http://www.rosalux.de/?id=22500; abgerufen am 12. Februar 2014

(15) Alberto Acosta: "Ohne Demokratie keine Revolution";
http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/Ausland/Lateinamerika/Interview_Acosta_deutsche_Uebersetzung.pdf; abgerufen am 12. Februar 2014

(16) Jorge León Trujillo: Wahlen in Ecuador: Perspektiven des Correa-Systems. Standpunkte international 01/2013;
http://www.rosalux.de/fileadmin/ris_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_international/Standpunkte_int_01-2013.pdf; abgerufen am 12. Februar 2014

(17) ebenda

(18) http://www.presidencia.gob.bo/fuente/noticia.php?cod=1568; abgerufen am 12. Februar 2014

(19) Juan Manuel Karg: USAID y ONG's: La injerencia silenciosa en América Latina. Rebelión, 28. Dezember 2013;
http://www.rebelion.org/noticia.php?id=178745; abgerufen am 12. Februar 2014

(20) Maduro y la MUD: un acuerdo para descargar la crisis sobre el pueblo;
http://laclase.info/nacionales/maduro-y-la-mud-un-acuerdo-para-descargar-la-crisis-sobre-el-pueblo; abgerufen am 9. Februar 2014

(21) Ultimas Noticias, 5. Februar 2014;
http://www.ultimasnoticias.com.ve/noticias/actualidad/politica/video-figuera-pide-defender-legado-de-chavez.aspx; abgerufen am 9. Februar 2014

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-14, 52. Jahrgang, S. 68-75
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2014