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MARXISTISCHE BLÄTTER/539: Kulturabbau


Marxistische Blätter Heft 6-12

Kulturabbau
Imperialismus und Kultur sind unverträglich

Von Friedrich Kullmann



"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein"

Schon dieses Bibelwort aus Matthäus 4, 1-11 stützt also die Auffassung, dass zu einem Leben, das menschlich genannt werden kann, Handlungsperspektiven und Orientierungsmöglichkeiten gehören.

Karl Marx beschreibt in seinen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 menschliche Produktionstätigkeit als eine auch nach den Gesetzen der Schönheit formierende, d. h. gestaltende, eine Sinne, Emotion und Motivation berührende, bewegende - und das sicher nicht nur einseitig durch das Erregen von Wohlgefallen - und dabei gleichzeitig die Sinne entwickelnde praktische Erkenntnistätigkeit. Das der menschlichen Gattung und 'jeder species" nach Marx anzulegende "inhärente Maß" ist dabei als das allseitige Entwicklungs- und Entfaltungspotential jeder Art zu verstehen.

Der Kulturanthropologe Eckard Neumann nennt dieses Vermögen des Menschen "ästhetische Produktivität". Nach seiner Auffassung ist es ein menschliches Basisvermögen. Seit Anbeginn der Gesellschaftsentwicklung neben der Sprache ein grundlegendes System zur Steuerung gesellschaftlicher Kommunikation, zur Verarbeitung und Kontrolle emotionaler Befindlichkeiten angesichts einer anfangs noch bedrohlich chaotisch-naturhaften Umwelt.

So entsteht nach und nach eine ästhetisch in Symbolformen verdichtete unmittelbare Lebenswirklichkeit, aus der sich in zunehmender Komplexität nur subjekthaft denkbarer sinnlicher Erfahrung und Erkenntnis die ästhetischen Produktionsformen bis hin zu den arbeitsteilig spezialisierten Künsten und ihren sie entwickelnden Persönlichkeiten herausbildeten, mit der Funktion der "Aufbewahrung sozial wesentlicher emotionaler und motivationaler Zugänge zur Wirklichkeit", inbegriffen in der Kumulierung und Tradierung ästhetischer Erfahrung als besonderer Ausprägung eines "kollektiven Gedächtnisses".

Daneben erscheint die Kunst und Leben trennende Vorstellung einer "Kunst um der Kunst willen" (L'art pour L'art) als eine unhistorische Chimäre bürgerlicher Kunstauffassung des 19. Jh..

Die ästhetischen Produktionsformen sind Teil des ideologischen "Überbaus" der Gesellschaften, jedoch mit im Laufe der Geschichte wachsender "Eigendynamik". Denn wie sich die "Künste" auf das Leben beziehen, beziehen sie sich auch immer auf die Geschichte ihrer Formfindungsprozesse. Als offener gesellschaftlicher Informationsspeicher können sie dabei, rückwärtsgewandte Traumwelten verklärend oder in Formalismus erstarrt, zu einer herrschaftssichernden Barriere menschlicher Erkenntnis werden, als auch noch nicht vorhandenes Bewusstsein ästhetisch innovativ inszenieren.

In diesem Sinne könnte man vielleicht sagen, dass Musik, Literatur, Malerei, Tanz Lebensmittel sind. Unverzichtbar wie das tägliche Brot. Vorsorgende Mittel zur Lebensbewältigung, Mittel zur Gestaltung der Wirklichkeit, Mittel zur Organisierung sozialen Zusammenhangs, Mittel zur Erforschung neuer Lebensmöglichkeiten, Mittel zur Intensivierung des Lebensgenusses.

In einer durch den Ausschluss der Mehrheit vom Eigentum an den lebenswichtigen Produktionsmitteln bestimmten Klassengesellschaft, wie sie uns noch immer umgibt, ist auch die Kultur und die eben genannte "ästhetische Produktivität" des Menschen weitgehend durch Klassengegensätze geprägt. Dabei hat die herrschende Klasse das gesamtgesellschaftliche System zur jeweils klassenspezifischen Vergesellschaftung der Individuen zunächst fest in der Hand. Marx, Engels und Lenin sahen in der unterdrückten Klasse, dem Proletariat, aber die Bedürfnisse, Fähigkeiten, Kräfte heranwachsen (Lenins "zweite Kultur"), die diese Klasse in die Lage versetzten, einen geschichtlich völlig neuartigen Typ von Klassenkultur als Gegenkultur zur herrschenden Kultur auszubilden, um am Ende des siegreichen revolutionären Kampfes ein für alle Mal die Fesseln aller "vorgeschichtlichen" (Klassen-)Ordnungen abstreifen zu können. Dazu gehören v. a. die Anstrengungen des Proletariats, in seinen Reihen Spaltung und Konkurrenz zu überwinden.

Die Künste sind Lebensmittel, insofern es ihnen gelingt, die chaotische Unmittelbarkeit emotionaler Erregungen zu überwinden. Damit eröffnen sie dem notwendig gesellschaftsverändernden Verhalten der unterdrückten Klassen neue Freiheitsgrade.

Soziale Gefüge, menschliche Gesellschaften, die Künste funktionieren wesentlich nach Vernunft und Gefühl. Handlungsbereitschaft ist über Beweggründe vermittelt, ist kein unmittelbarer Reflex objektiver Lebensbedingungen, wenn auch diese letztlich bestimmend bleiben. Menschen müssen sich zu diesen Bedingungen eingreifend verändernd verhalten am Maßstab von Erkenntnis, Gefühl und interessegeleiteten Beweggründen.

"Das Ästhetische ist kein schmückendes Beiwerk, kein Luxus gegenüber den Notwendigkeiten und Kämpfen der materiellen Lebenssicherung.

Menschliche Arbeit, Schöpferkraft, Phantasie, Sorge, Motivation, Zielorientierung ist stets auch auf die Erfüllung von optimierenden Lebensvorstellungen, von Utopien jenseits der Besiegung von Not und Mangel und daher auf die Entwicklung, Vervollkommnung und Befriedigung aller sinnlichen Potentiale angelegt (...)

Die Entfaltung der Sinnlichkeit als Genusspotential ist aber ohne eine dementsprechende erlernbare kulturelle Produktivität, als Basis der Subjektentwicklung, undenkbar." (Eckhard Neumann, 1996)

"Gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten ... umfassen all(e) ... Befriedigungs-und Erfüllungsmöglichkeiten ... einschließlich 'geistig', ästhetisch, künstlerisch verdichteter und überhöhter produktiv-sinnlicher Erfahrungsmöglichkeiten. Die Realisierung all solcher Lebensmöglichkeiten auf dem jeweiligen historischen Entwicklungsstand ist für den Menschen im allerengsten Sinne existenznotwendig und jede Einschränkung und Unterdrückung dieser Realisierung im allerengsten Sinne unmenschlich." (K. Holzkamp, 1985)


Am Ende idyllischer Verhältnisse bleibt der "Egoismus" gefühllosen Tauschwerts

Die erste restaurative, die Macht der alten monopolkapitalistischen Eliten wiederherstellende Phase der Geschichte der Bundesrepublik fand kulturpolitisch ihren Ausdruck in einer so genannten Phase der "Kulturpflege", die maßgeblich auch durch den vom CIA finanzierten, von 1950 bis 1969 in Paris ansässigen "Congress for Cultural Freedom" gesteuert und beeinflusst wurde - ihre dominanten ästhetische Maximen: abstrakte Kunst und weißer "Swing".

Die Modernisierungsbedürfnisse des westdeutschen Monopolkapitalismus innerhalb ihrer beginnenden Weltmarktausrichtung, zu gleicher Zeit aber auch unter dem Einfluss der Studentenbewegung standen unter dem sozialreformerischen kulturpolitischen Paradigma der "Kultur für alle". Mit den Handlungsempfehlungen der Kultur-Enquete des Deutschen Bundestages von 2007 wurde kulturpolitisch ein deutlicher Paradigmenwechsel vollzogen hin zu einer "aktivierenden Kulturpolitik", deren Hauptinhalt die schrittweise Beseitigung noch vorhandener Strukturen öffentlicher Kulturförderung und -finanzierung ist, hin zur totalen Kommerzialisierung menschlicher Schöpferkraft, Kunst und Kultur.

Eine ideologische Begleitmusik dazu lieferte das im Frühjahr 2012 erschienene Buch "Der Kulturinfarkt". In der Ankündigung dazu schreibt spiegel-online: "(...) Doch Kunst war, ist und bleibt ein Medium der sozialen Differenzierung, der Abgrenzung und Ausgrenzung. Den inneren Widerspruch eines Programms 'Kultur für alle' kann keine Politik und keine Kulturförderung beseitigen".

Der Zugang zu dieser ästhetischen Sphäre ist kein Luxus, sondern elementares notwendiges Menschenrecht und konnte nur in langwierigen sozialen Klassenauseinandersetzungen mit Adel und Bürgertum, die immer Kunst und Kultur als ihr exklusives Privileg erachteten, erkämpft werden, so dass für eine historisch begrenzte Phase politischer Hegemonie der Arbeiterklasse mit kultur- und bildungspolitischen Auswirkungen auf beide deutsche Staaten, ein freierer Zugang und eine freiere Erziehung zu Kunst und Kultur für alle unverzichtbarer Teil öffentlicher Daseinsvorsorge wurden.

In der Bundesrepublik werden diese Aufgaben getragen und finanziert v. a. von Ländern und Gemeinden,(1) im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen. Allerdings ist dieses Recht in der Bundesrepublik im Gegensatz zur DDR(2) über den Status einer "freiwilligen Leistung" nie hinausgelangt.


Zugestandene "freiwillige Leistungen" werden kassiert

Die Kommunen liegen inzwischen am Boden, verursacht durch eine seit 1992 sowohl von Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb vorangetriebene sozialreaktionäre Umverteilungspolitik.

Der aktuelle Entwurf zum 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt diese in aller Deutlichkeit: Das Nettovermögen des deutschen Staates ist im Zeitraum von 1992 bis 2012 um 800 Mrd. Euro geschrumpft, während sich das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4,6 Bill. Euro auf rund 10 Bill. Euro und mehr mehr als verdoppelt hat.

Im Zuge dieser Umverteilungspolitik wurden die Kommunen systematisch in die Verschuldung getrieben, mit gravierenden Konsequenzen für die sozialen und kulturellen Dimensionen einer "kommunalen Selbstverwaltung", von der eigentlich kaum mehr zu sprechen ist.

Auch der von ver.di beauftragte Kommunalfinanzbericht 2012 lässt hier keine anderen Schlüsse zu. Die Autoren Truger und Eicker-Wolf nennen als Hauptursachen für die Finanzmisere der Kommunen vor allem großzügige Steuerentlastungsprogramme für reiche Haushalte, Vermögende und Unternehmen, begonnen mit den rot-grünen Steuerreformen von 2000.

Addiert man alle Steuervergünstigungen für Reiche und Unternehmen der letzten Jahre zusammen, inklusive dem schwarz-gelben Wachstumsbeschleunigungsgesetz von 2008, dann verliert der Fiskus durch die Steuerreformen jährlich 50 Mrd. Euro an Steuereinnahmen.

Dazu wurden den Kommunen von Seiten des Bundes immer umfangreichere Sozialaufgaben überantwortet, ohne dass dafür die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt wurden. (Verletzung des Konnexitätsprinzips). Truger und Eicker-Wolf sehen die Verantwortung für die explosionsartige Vermehrung der kommunalen Schulden zu 80 Prozent in der staatlichen Umverteilungspolitik.

Die Gesamtschulden aller Kommunen in der Bundesrepublik liegen inzwischen bei 117 Mrd. Euro. Allein in NRW zahlen die Kommunen an Zinsen für die kurzfristigen Kassenkredite 1,6 Mrd. Euro - das ist fast die Hälfte der Kulturausgaben aller bundesdeutschen Kommunen.

Diese Entwicklung ist gewollt! Im ideologischen Horizont des Neoliberalismus (Senkung der Staatsquote, d. h. der bürgerliche Staat als ausschließlicher Dienstleister für Banken und Großkonzerne) ist perspektivisch keine öffentliche Kulturförderung mehr vorgesehen.

Hierin zeichnet sich für uns ein enger Zusammenhang kommunistischer Kommunal- und Kulturpolitik ab.

"Ein Skandal ist die Tatsache", schreibt Werner Seppmann, "dass die Bevölkerungsgruppen wachsen, die selbst von elementaren kulturellen Partizipationschancen abgeschnitten sind: Stadtteilbibliotheken und wohngebietsnahe Schwimmbäder schließen, Schulgebäude verfallen und für Migrantenkinder stehen keine qualifizierten Sprachlehrer mehr zur Verfügung."

Begleitend ist ein wachsender Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst zu konstatieren, der sich auch auf die Kulturberufe erstreckt. Wenn Kulturschaffende im öffentlichen Dienst noch Beschäftigung finden, dann nur im Rahmen einer sich auch hier ausweitenden prekären Beschäftigung. Die meisten Künstler sind arm, haben nach Angaben der Künstlersozialkasse ein durchschnittliches Jahreseinkommen von knapp 14.000 Euro, wobei Frauen knapp 25 Prozent weniger verdienen als ihr männlichen Kollegen.


Verwüstende Folgen "aktivierender" Kulturpolitik

Die rot-grüne Landesregierung in NRW hatte noch zu Beginn ihrer Amtszeit eine Umkehr in der Steuerpolitik zugunsten der Kommunen und der Kultur(3) versprochen, ist mit dem Gesetz zum "Stärkungspakt Stadtfinanzen" vom Dezember 2011 aber geradezu in die entgegengesetzte Richtung abgebogen. Für jeden Euro Landeshilfe verpflichten sich die in den Pakt gepressten Kommunen unter streng strafbewehrten Auflagen, bei jährlicher Überprüfung und unter der Drohung der Entsendung eines "Sparkommissars" bei Nichterreichen der Sparvorgaben, das Drei- bis Vierfache im Bereich "freiwilliger" Leistungen einzusparen.

Zu spüren bekamen die kulturpolitischen Folgen dieses finanzpolitischen Manövers von Rot-Grün in NRW in diesem Frühjahr zwingend und sehr schnell die Duisburger Symphoniker, die Oper in Köln, die Bergische Philharmonie in Remscheid, die Nordwestdeutsche Philharmonie in Herford, erneut das Theater in Wuppertal und die "Wittener Tage für neue Kammermusik". Bis auf Köln Kultureinrichtungen von Städten, die in die erste Stufe des Stärkungspaktes hinein zwangsverpflichtet wurden.

Nur durch massiven Protest einer schnell mobilisierten Öffentlichkeit ist es den oben genannten Einrichtungen gelungen, fürs erste und auf absehbare Zeit ihren Betrieb fortzusetzen - wenngleich unter der erdrückenden Last drastischer Kürzungen, die das Zerstörungswerk nun abseits der Öffentlichkeit durch die Hintertür zu vollenden drohen.

Gerade die "Wittener Tage für neue Kammermusik" sind von weltweiter Bedeutung, tonangebend für das Neue in der Kammermusik. Aufgrund entfallener Fördergelder von Stadt und Land mussten sie in diesem Jahr in letzter Minute noch vom WDR gerettet werden, um zum 44. Mal stattfinden zu können - mit äußerst ungewisser Zukunft. Umso wichtiger ist ihr Erhalt, als sie in "Zeiten, in denen als 'bestes' Kunstwerk in der Regel das gilt, welches den höchsten Preis erzielt, sich mit ihren künstlerischen Mitteln der Vereinnahmung durch die Allgegenwart der Märkte verweigern und der totalen Kommerzialisierung noch der intimsten Lebensbereiche in ihrem Beharren auf die Entwicklung der ihr eigenen musikalischen Formsprache Widerstand entgegen bringen". (Th. Metscher)

Alle sozialen und kulturellen Errungenschaften, über die die Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld wenigstens dem Gesetzestext nach als "freiwillige Leistungen" noch selbst befinden und verfügen können, stehen jetzt zur endgültigen Disposition. Von den 396 Gemeinden in NRW konnten Ende 2011 nur noch elf einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. 26 legten ein genehmigtes Haushaltssicherungskonzept vor, 144 sind in einem ungenehmigten Haushaltssicherungskonzept, also im Nothaushalt.

Die finanzpolitischen rot-grünen "Rettungs"-maßnahmen erweisen sich dabei als Brandbeschleuniger einer kommenden Katastrophe, wie der inzwischen vom Bundesverfassungsgericht abgesegnete ESM und der europäische Fiskalpakt, mit seinen unumkehrbar in die Verfassungen der europäischen Länder eingeschriebenen Schuldenbremsen. In einem solchem Umfang noch nicht gekannte weitere Kürzungsrunden zu Lasten der öffentlichen Einrichtungen in Begleitung negativer Konjunkturerwartungen werden ihr Übriges zu ihrer Zerstörung beitragen.

Schleichend und scheibchenweise verschwindet die öffentliche Kultur aus unseren Städten und Gemeinden unter dem offenen oder verdeckten Motto fast aller Parteien "Privat vor Staat". So ist in den vergangenen Jahren der private Anteil an der öffentlichen Kulturförderung in Höhe von jährlich nun 10 Mrd. Euro von 7 % auf 12,5 % angewachsen. Mäzene und Spender, Sponsoren und Stifter bestimmen zunehmend die "aktivierende" Kulturpolitik des Staates. Public-Private-Partnership (PPP) ist auch hier das "Zauberwort", mit dem der Öffentlichkeit der Fortbestand kulturpolitischer Handlungsfähigkeit arm gemachter Kommunen vorgegaukelt wird:

Innerhalb der politischen Zielvorgaben einer exklusiven "Bürgergesellschaft" werden Kunst und Kultur wie im 19. Jh. wieder zum Luxusgut einiger Privilegierter.

Im Verschwinden öffentlicher Kultur formiert und breitet sich die privatwirtschaftlich organisierte Kultur aus: die Kultur- und Kreativwirtschaft.(4) Ihre "kulturellen" Kerngebiete sind: Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt.

Die "kreativen", kulturelle Mittel benutzenden Bereiche sind Werbemarkt sowie die Software/Games-Industrie.

Angehörigen der "creative class" sind in der Definition des amerikanischen Soziologen R. Florida die mit "kreativen" Lösungen der Probleme des Geldverdienens befassten Musiker, Wissenschaftler, Künstler, Professoren, Lehrenden, Designer und Unternehmer, die als so genannte "Klasse" nahezu eine Million Personen umfasst.

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags "Kultur in Deutschland" hat sich 2007 in ihren Handlungsempfehlungen zu diesem Thema geäußert. Eine kulturpolitische Wertschätzung der Kultur- und Kreativwirtschaft ergibt sich dabei "naturgemäß" schon aus deren Bruttowertschöpfung, die inzwischen mit 64 Mrd. Euro nahe an die Bruttowertschöpfung der Automobilindustrie heranreicht. Die Branche ist aber sehr kleinteilig organisiert. Knapp 90 Prozent der Unternehmen zählen zu den Klein- bzw. Kleinstbetrieben mit max. 10 Beschäftigten. Als wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft identifiziert die Kommission das öffentliche Kulturangebot. Dies sei nicht nur ein "weicher" Standortfaktor hinsichtlich der Ansiedlung von Unternehmen der Wirtschaft, sondern insbesondere auch der Kultur- und Kreativwirtschaft. Mit anderen Worten: die Enquete-Kommission empfiehlt der öffentlichen Kultur deren selbsttätige mittelfristige Abschaffung.


Kommune und Kultur

"Eine Stadt ohne Kultur verliert ihre Seele", so hatte vor kurzem noch der Kämmerer und Kulturdezernent der Stadt Oberhausen, Apostolos Tsalastras, das sich für die nordrhein-westfälischen Kommunen abzeichnende Horrorszenario auf den Punkt gebracht.

Eine Stadt besteht aus den Menschen; Menschen verlieren ihre Seele ohne Zugänge zu ihrer Kultur. Menschliche Wesen ohne Seele aber sind Zombies: Untote, willenlose, als Arbeitssklaven missbrauchte Wesen.

Der erste Schritt zu einer kulturpolitischen Veränderung muss auch hier die Wiederbesteuerung großer Vermögen und hoher Einkommen sein. Dringend geboten sind Entschuldungsprogramme bis zum "Haircut" der kommunalen Schulden.

Für eine kommunistische Kulturpolitik ist der Widerstand gegen die kulturelle Zerstörung und der Kampf um den öffentlichen Raum, um öffentlich finanzierte und geförderte Kultur unabdingbar. Dabei können wir an die bisher viel zu wenig beachtete Forderung des Deutschen Kulturrats von 2004 anknüpfen, dass sich die öffentlichen Kultureinrichtungen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit in einem Eigeninteresse in einem viel größerem Umfang als bisher in den kulturellen Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung verankern: "Kulturelle Daseinsvorsorge darf sich daher nicht darin erschöpfen, ein Angebot bloß bereitzuhalten. Es kommt auch darauf an, die Bevölkerung mit diesem Angebot zu erreichen." Dazu gehört auch die Forderung nach der Senkung der stetig steigenden Gebühren für die öffentlichen Kultureinrichtungen.

Die Fähigkeit zur kulturellen Hegemonie können wir Kommunisten nur im engen Bündnis mit den im öffentlichen Raum tätigen Kulturschaffenden erlangen. Wo anders als dort kommen wir ins Gespräch mit professionellen Künstlern(5) und Kunst-/Musikerziehern, die sich noch nicht unmittelbar unter direktem kapitalistischen Verwertungszwang befinden.(6) Im Kampf um den öffentlichen Kultursektor werden auch die Künstler mit der Notwendigkeit des Bruchs mit der kapitalistischen Eigentumsordnung konfrontiert.


Wir können auch anders!

Unsere von uns Menschen gemachte Welt - unsere Kultur - ist auf allen historischen Niveaus wesentlich eine nach ästhetischen Maßstäben gestaltete, gleichzeitig unsere Sinne und Wahrnehmung bildende. Sie umfasst die Einstellung zu unseren Körpern, Ernährung, Kleidung, Wohnformen, soziale Kennzeichnungen, Kommunikationssysteme, Welterfahrungs- und Orientierungssysteme und mehr.

In imperialistischen Gesellschaften ist es eine in einem fortwährenden marktförmig organisierten Innovationsprozess befindliche, medialwarenästhetisch geprägte Welt, deren unterschwellige aber allgegenwärtig einzige Botschafft "Kauf mich!" alle existentiellen menschlichen Bedürfnisse an den Rand drückt, so wie sie deren unauslöschlichen Drang nach Erfüllung durch Sucht erzeugende organisierte Ersatzbefriedigungen zu beschwichtigen versucht. "Schöne Waren verkaufen sich besser" (C. Kindermann), das gilt auch für die menschliche Arbeitskraft und ihren menschlichen "Träger".

In einem Übermaß immer neuer Sensationen und (An-)Reize bringt diese kulturindustrielle Profitmaschine im gleichen Atemzug einen wachsenden moralischen Verschleiß ihrer Gestaltungen bis hin zum Überdruss hervor, eine die menschlichen Wahrnehmungssysteme mit ihren Reizen überflutende Überproduktion kultureller Waren, die zu einem Symptom um sich greifender Entsinnlichung des Lebens wird - Stumpf-, Schwach- und Blödsinn!

"Ohne 'schmerzende Einstiche' sind keine nennenswerten Empfindungen mehr zu erregen", (C. Türcke)

Widerstand in notwendigen Umfang ist bisher ausgeblieben, zu viele scheinen sich in den letzten 15 Jahren, in denen die mit "neoliberalem" Dampf betriebene Walze über unser Land gerollt ist, an die "Normalität" der Zerstörung unserer sozialen und kulturellen Einrichtungen gewöhnt zu haben. Erstarrt vor der Angst vor den zunehmend bedrohlicher werdenden Krisenerscheinungen in Wirtschaft und Politik, vor Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor dem sozialen Abstieg. Widerstand scheint aussichtslos, die Menschen scheinen nur noch mit dem eigenen Überleben beschäftigt zu sein. Noch fehlt die bewegende Energie, sich mit anderen für eine Überwindung dieser in einem umfassenden Sinn Kultur zerstörenden Lebensbedingungen zu interessieren.

Aber wie ich eingangs schon sagte: Wir Menschen reagieren nicht einfach nur auf die Bedingungen unseres Lebens, sondern es macht uns erst zu erst zu diesem natürlichen Gesellschaftswesen, dass wir uns zu diesen Bedingungen praktischverändernd verhalten am Maßstab von Erkenntnis, Gefühl und interessegeleiteten Beweggründen. Wir können also immer auch anders. Wenn wir nicht im Stumpfsinn einer total kommerzialisierten Welt verfaulen wollen, bleibt jedem einzelnen von uns nur, gemeinsam mit nachdrücklicher Klugheit den entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erkämpfen. Anpassung rettet nichts und niemanden mehr. Aber die Möglichkeit einer anderen Welt, eines neuen Anlaufs zum Sozialismus, muss als realistische Alternative, für die es sich zu kämpfen lohnt, vorwegnehmbar sein, in einer wirksamen überzeugenden Gestalt.


Anmerkungen

(1) Wie in den Jahren zuvor werden die Kulturausgaben 2007 überwiegend von Ländern und Gemeinden bestritten (43,0 % bzw. 44,4 %). Die Länder (einschl. Stadtstaaten) stellten ein Budget von 3,6 Milliarden Euro und die Gemeinden von 3,8 Milliarden Euro zur Verfügung. In geringerem Maße beteiligte sich der Bund an der Kulturfinanzierung; er stellte weitere 1,1 Milliarden Euro (12,6%) für Kulturausgaben bereit.

(2) In der DDR gab es zuletzt 18.118 Bibliotheken, 2924 Theater, 719 Museen, 190 Musikschulen, 848 Klubhäuser, 594 FDJ-Jugendklubs, 56.000 ehrenamtliche geleitete Klubs, Jugendklubs und Klubs der Werktätigen.

(3) In einem Interview mit der Rheinischen Post (RP ONLINE) vom 6.8.2010 hatte sich die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Ute Schäfer, dahingehend geäußert, dass sie nicht die Absicht habe, "die Städte und Gemeinden von ihrem kulturellen Bildungsauftrag (zu) entbinden".
"Wenn die kulturelle Grundversorgung durch kommunalpolitische Beschlüsse nicht mehr garantiert werden kann", hieß es im Koalitionsvertrag 2010 der rot-grünen Landesregierung, ist die Aufgabe des Freiwilligkeitscharakters bisheriger kultureller kommunaler Aufgabenstellungen vorgesehen".
Ein von der Landesregierung in NRW versprochenes Kulturfördergesetz ist bis auf weiteres unter "Finanzierungsvorbehalt" gestellt.

(4) Zahlen Kreativwirtschaft aus 2010:
Zahl der Unternehmen: Freiberufler und gewerbliche Unternehmer): 239.534 (Anteil an der Gesamtwirtschaft 7,6 Prozent)
Gesamtumsatz: 137,3 Mrd. Euro Umsatz (Anteil an der Gesamtwirtschaft 2,6 Prozent
Erwerbstätige insgesamt: (selbständige und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ohne Minijobs): 959.936 (Anteil an der Gesamtwirtschaft 3,1 Prozent), davon 720.402 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Anteil an der Gesamtwirtschaft 2,6 Prozent)
Bruttowertschöpfung: 63,7 Mrd. Euro (Anteil an der Gesamtwirtschaft 2,6 Prozent)
Anteil der Kleinstunternehmer/Freiberufler (Umsatz unter 2 Mill. Euro): 97 Prozent (Anteil am Gesamtumsatz rund 15 Prozent.

(5) von den insgesamt 797.000 Erwerbstätigen, die zur Gruppe der Kulturberufe (definiert als Musiker, Sänger, Schauspieler, bildende Künstler, Film-/Fernseh-/Hörfunkkünstler, Designer, Architekten einschließlich sonstiger Kulturberufe) gezählt werden, arbeiten rund
- 213.000 Personen in der beruflichen Sparte Design und bildende Kunst,
- 202.000 Personen in der Sparte Musik und darstellende Kunst,
- 175.000 Personen in der Sparte Literatur/Publizistik,
- 113.000 Personen als Architekten,
- 66.000 Personen als Bibliothekare und Museumsfachleute,
- 28.000 Personen als kulturspezifischen Geisteswissenschaftlern.

Charakteristisch für viele Kulturberufe ist der hohe Anteil Selbstständiger. Insgesamt waren im Jahre 2003 rund 25 % aller Erwerbstätigen in den Kulturberufen als Selbstständige beruflich aktiv.
- Die Gruppe der bildenden Künstler (freie Kunst) verfügt mit 94 % über den höchsten prozentualen Anteil von Selbstständigen.
- Während die Dolmetscher/Übersetzer in der Mehrheit als Selbstständige (58 %) arbeiten, erreichen die meisten anderen Kulturberufsgruppen immerhin noch Selbstständigenanteile von 48 % bei den Musikern und bis zu 27 % bei den künstlerisch-technischen Berufen
Der allgemeine Selbstständigen-Anteil in der gesamten Erwerbstätigkeit liegt im Vergleich dazu lediglich bei durchschnittlich zehn Prozent.
Die Gruppen der Bibliothekare, Archivare und Museumsfachleute sowie die der Geisteswissenschaftler weisen die niedrigsten bzw. keine prozentualen Anteile in der Gruppe der Selbstständigen auf.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 6-12, 50. Jahrgang, S. 105-111
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2013