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MARXISTISCHE BLÄTTER/403: Interview mit dem Künstler Thomas J. Richter


Marxistische Blätter Heft 4-09

"Wenn Marxisten sich Schund andrehen lassen, haben sie den Klassenkampf schon verloren"
Interview mit Thomas J. Richter(*)

Die Fragen stellte Heike Friauf


HEIKE FRIAUF: Thomas Jakob Richter, du malst nicht den Straßenkampf Ein zentrales Thema für dich, das kann niemand übersehen, ist die Schönheit.

THOMAS JAKOB RICHTER: Ich bestehe darauf, die Zukunft zu malen und nicht die Krise! Ich komme ja aus meinem Leben nicht raus. Ich bin doch kein Wendehals. Ich komme, 1955 geboren und in der DDR aufgewachsen, aus einer Zeit, in der man für etwas gemalt hat. Das Bildermalen ist ein sehr langfristiger Prozess. Entweder bin ich begründet dazu gekommen, mir eine eigene Bildwelt aufzubauen, oder nicht.

HEIKE FRIAUF: Bist du ein sozialistischer Künstler?

THOMAS JAKOB RICHTER: Was ist sozialistische Kunst? Erst mal Kunst im Sozialismus, aus meiner Erfahrung und aus der Erfahrung von vielen, die sich das nicht mehr klarmachen. Was ist nun mit dem sozialistischen Künstler nach der "Konterrevolution"? Lebt seine Sicht auf die Welt, die er im natürlich problembehafteten, aber eben doch praktizierten Sozialismus gewonnen hatte, lebt diese Sicht weiter? Oder gehen alle künstlerischen Erfahrungen verloren wie die erreichten Eigentumsverhältnisse? Die gesammelten Erfahrungen von 40 Jahren: verloren? Im Gegenteil: Die Erfahrungen sind besonders gut in der Kunst aufgehoben.

Die Ansprüche, auch die Ansprüche an das Kunstwerk, waren im sich aufbauenden Sozialismus gewachsen. Sie wurden deutlich formuliert. Menschlich verständliche Irrwege eingeschlossen. Die Formalismus-Debatte, um ein gern zitiertes Beispiel zu nennen, hat vielen Kollegen das Leben und Arbeiten erschwert. Doch nicht unmöglich gemacht. Es gab Wichtigeres. Das wird jetzt, nach dem Einbruch der Marktwirtschaft in das künstlerische Schaffen, deutlicher denn je. Der spätbürgerliche Mythos vom verkannten Künstler war in der DDR irrelevant geworden, er wird jetzt erst wieder rekonstruiert. Heute haben wir obendrein den neuen Mythos vom Künstler als Leistungssportler. Wir lesen in den entsprechenden Hochglanzgazetten vom Mythos des "künstlerischen Durchbruchs". Wir haben das jetzt alles wieder. Das sind Kriterien, die haben mit Kunst nichts zu tun.

HEIKE FRIAUF: Laß uns von künstlerischen Kriterien sprechen. Du verfolgst die kulturpolitischen Diskussionen der marxistischen Linken, hast selbst beim UZ-Pressefest 2008 auf dem Podium gesessen und über "Kunst als Waffe" debattiert und verzweifelst regelmäßig, weil mit künstlerischen Fragen so ungenau umgegangen wird, weil die notwendigen Begriffe falsch verwendet werden oder gar nicht mehr.

THOMAS JAKOB RICHTER: Die künstlerischen Grundfragen werden nicht geklärt. Deshalb folge ich Hans Heinz Holz und freue mich, wenn er fordert, dass wir die für die kulturpolitische Diskussion nötigen Begriffe überhaupt erst wieder erarbeiten müssen. Doch danach verläuft die Diskussion wieder im rein Geistigen, Theoretischen. Dabei bleibt die einfache Frage bestehen: Was ist Malerei?

HEIKE FRIAUF: Etwas konkreter...

THOMAS JAKOB RICHTER: Anders gefragt: Wieso sind sechs Quadratzentimeter Bild von Paul Klee kostbarer als sechs Quadratzentimeter von, beispielsweise, Wolfgang Mattheuer? Dafür gibt es doch künstlerische Gründe! Mattheuer illustriert eine Idee, Klee malt ein Bild. Die Leidenschaft des Künstlers erwächst auch aus seinem Umgang mit dem Material. Sonst bleibt alles Idee. Das Kunstwerk wird durch Idee und Technik allein kein Körper, nichts Menschliches, es bleibt abstrakt. Das gewachsene Verständnis des Umgangs mit dem Material wird seltenst thematisiert. Man muss sich das vorstellen: Aus so etwas Banalem wie Pflanzenöl und Erde werden Farben gemacht und daraus entsteht hohe Malerei. Geisteswissenschaftler bleiben oft in inhaltlichen Fragen stecken, debattieren das Verhältnis von Inhalt und Form und dies und das, und währenddessen öffnet so eine überarbeitete Krankenschwester die müden Augen und erkennt plötzlich das Wunderbare in den Bildern von Margot Sperling [1939 in Lablacken/Ostpreußen geborene Berliner Malerin; H. F.].

Das 20. Jahrhundert der Kriege! Unglaublich viele Maler haben sich mit dem Krieg beschäftigt, es gibt Triptychen, Druckgrafik und und und. Trotzdem ist es so, dass die Antikriegsbilder von Otto Dix und Hans Grundig zu den besten gehören. Warum?

Ein anderes Beispiel. Neo Rauch ist ganz offensichtlich einer der führenden Maler der Postmoderne. Er kann's, er hat's gelernt, er nimmt sich das und das vor und er kann's. Er ist einer der bekannten deutschen Maler, der wirklich schlecht malt, ein mieser Kerl! Er liebt das Leben nicht, die Menschen nicht, die Liebe nicht, das Malen nicht. Ein Geschäftsmann eben, der der Klasse zustrebt, die ihn bezahlt und lobt.

HEIKE FRIAUF: Du stellst das so locker fest. Doch wie soll ein vom politischen Alltagsgeschäft vereinnahmter Mensch erkennen, wer ein schlechter Künstler ist? Und - diese Frage mußt du wirklich ernst nehmen, ich frage das nicht, um dich zu ärgern - warum soll er sich überhaupt mit Kunstfragen herumschlagen?

THOMAS JAKOB RICHTER: Es ist doch klar: Wenn man sich als Marxist nie ein Bild von Corinth genauer angeschaut hat, kann man sich vom Klassenfeind natürlich auch sagen lassen, der Oswald-Spengler-Illustrator-der-Jetztzeit Neo Rauch sei ein großer Maler. Wenn Marxisten sich Schund andrehen lassen, dann haben sie den Klassenkampf in diesem Medienzeitalter schon verloren. Klassenkampf findet täglich über die Augen statt. Wir Marxisten denken, wir haben das nicht nötig. Das Gegenteil ist der Fall. Wer sich nicht selbst immer wieder in die Lage versetzt, das Erbe positiv aufzuheben, der hat verloren. Die objektive Aufgabe der Arbeiterklasse ist, unser progressives Erbe aufzuheben.

Warum auch in der Kunst?! Das ist so offensichtlich, dass ich mir immer an den Kopf fassen muß, wie die Leute das vernachlässigen können! Die Kunst ist der Aufenthaltsort der Ideen, die die Massen ergreifen müssen. Wenn die Massen aber von der Coca-Cola-Reklame ergriffen werden oder von dem Oswald-Spengler-Schund eines beliebigen Modemalers, dann hat deren Idee die Massen ergriffen, dann wird das zur materiellen Gewalt.

HEIKE FRIAUF: Noch einmal: Woran erkenne ich, dass ein Neo Rauch, der es doch kann, wie du eben gesagt hast, ein schlechter Maler ist?

THOMAS JAKOB RICHTER: Wenn ein Maler alles kann, virtuos ist wie Michelangelo, aber kein Herz hat, teilt sich das mit. Die zentrale Kategorie in der Malerei ist das Schöne. Um eine These zu formulieren: Ein Bild von Neo Rauch, den ich hier nur als Synonym für die zeitgenössische Kunstproduktion verwende, ein Bild von Neo Rauch könnte schön sein, wenn er in seinen alltäglichen Wahrnehmungen und Reaktionen humanistisch wäre. Wenn er es ernst meinen würde. Wenn nicht der Hauptgrund seiner Arbeit ein anderer wäre, ein außerkünstlerischer, nämlich sich einzupassen in die Warenwelt, dazuzugehören zur postmodernen Wahnwelt - bei gutem Einkommen selbstverständlich. Selbstverliebt, scheissklug, dumm. Untertänigste neoliberale Reichskanzler-Staatsmalerei ist das. Punkt.

Zu erkennen ist das an sechs Quadratzentimetern. Dafür muss man sich mit Form, Material, mit Kunst beschäftigen, regelmäßig und selbstverständlich. Doch dadurch, dass der Mensch nur noch als Konsument definiert wird, wird das Kunstwerk nur noch in seinem Warenwert gesehen. In unserer Welt ist das Empfinden für das Schöne zerstört, die Bewunderung für die Kunst verlorengegangen. Und damit geht auch das Wissen verloren. Heute weiß nur noch jeder 32. Keramiker, was ein guter Topf ist. Womöglich müssen wieder Jahrhunderte vergehen, bis wir an Wissen und Empfinden zurückgewinnen, was in den letzten Jahrzehnten verlorenging. Was in der Barbarei des späten Kapitalismus mutwillig zerstört wurde.

HEIKE FRIAUF: Siehst Du Deine Arbeit als Kulturschaffender wirklich so pessimistisch?

THOMAS JAKOB RICHTER: Bis auf einige wenige Zufälle muss sich der, der zufälligerweise noch in der Lage ist, gute Töpfe zu machen, damit abfinden, dass die Designertöppe seiner 31 Kollegen genauso gern genommen werden, wenn nicht sogar lieber. Und der, der Bilder malt, muss nicht glauben, dass künstlerische Qualität in der Gesellschaft noch irgendeine Rolle spielt.

Was ist in der Sixtinischen Kapelle passiert? In langwierigen technischen Untersuchungen haben sie genau die Farbzusammensetzungen herausgefunden, die die Farben von Michelangelo hatten. Und doch wird bei den Restaurierungen das Ergebnis ein vollkommen anderes. Die Fachleute kreieren etwas vollkommen anderes, obwohl sie genau das Original wiederherstellen wollen. Was aber ist große Malerei? Wir können hier der bürgerlichen Fortschrittsgläubigkeit zuschauen, die auch die Hirnforschung zu schönster Blüte treibt, statt höchste Authentizität zu erreichen, was sie ja eigentlich will. Etwas Neues, Technikgeborenes, vernichtet den Geist Michelangelos. Indem es am Ende aussieht wie etwas, hat es die ursprüngliche Idee vernichtet. Hier geht es um Menschheitsfragen, doch die Linke überläßt diese Themen der bürgerlichen Presse. Oder etwa nicht?

HEIKE FRIAUF: Um auf die Diskussion innerhalb der kritischen Linken zurückzukommen...

THOMAS JAKOB RICHTER: Der Anspruch in der Diskussion ist hoch. Doch immer verwechseln die Teilnehmer Malerei mit Illustrationen. Immer fragen sie das Kunstwerk nach einer gesellschaftlichen Idee ab und beschreiben nicht einmal ansatzweise, wo die vom Künstler verinnerlichte Welthaltung und sein gesellschaftlicher Auftrag zum Kunstwerk werden. Regelmäßig werden gesellschaftliche, philosophische Antworten gesucht, nie Antworten im Schaffensprozess selbst.

HEIKE FRIAUF: Als wäre der Künstler nur ein Medium, nicht der Schöpfer. Doch ohne den Künstler als "Kind seiner Zeit" anzusehen, ohne kunsthistorische und gesellschaftliche Einordnung geht es auch nicht.

THOMAS JAKOB RICHTER: Medium hin, Schöpfer her, was soll's. Natürlich ist selbst ein Begriff wie der der Schönheit gewissen Wandlungen unterworfen, und der Künstler ist nicht denkbar ohne sein jeweiliges Umfeld, doch das schließt nicht aus, dass in der künstlerischen Arbeit etwas mittransportiert wird, das die Jahrhunderte überdauert, das sozusagen menschheitsimmanent ist und für künstlerisches Schaffen substantiell. Der Mensch staunt über sich selbst, indem er sich selbst erkennt. In der Kunst formuliert er dieses Staunen, diesen Erkenntniswillen.

HEIKE FRIAUF: Ein schlichtes Staunen hast du 2003 in Havanna erlebt, als die Besucher der Buchmesse dir dort zusehen konnten, wie du ein lebensgroßes Liebespaar malst. Ich habe das Bild nicht im Original gesehen, aber Fotos deiner, Verzeihung, Aktion zeigen, dass du keine anatomischen Details ausgelassen hast. Da kamen Eltern mit ihren Kindern und freuten sich und erklärten ihren Kindern, was die beiden da machen. Dort hat anscheinend niemand gefragt, ob deine Arbeiten pornographisch sind. Das aber wäre angesichts deiner Liebespaare meine nächste Frage, nach der Grenze zwischen Kunst und Pornographie.

THOMAS JAKOB RICHTER: Wenn das, was ich aufmale, pornographisch ist, dann ist im wesentlichen menschliches Tun und Streben pornographisch. Und ein Großteil der päpstlichen Kunstsammlung sowieso. Durch die gesamte Kunst- und Kulturgeschichte hindurch geht es um körperliche und Liebesbeziehungen und um das Streben nach Schönheit. Nur weil heute der Protestantismus das vorherrschende Ideologieprinzip des Kapitalismus ist, soll ich meine Arbeit sein lassen? Es ist doch nicht zu übersehen: Die effektivsten kapitalistischen Staaten sind protestantisch. Wenn wir uns aber der protestantischen Sinnenfeindlichkeit unterwerfen, kommen wir nie zum Klassenkampf.

HEIKE FRIAUF: Dein zentrales Motiv ist die sinnliche Beziehung zwischen Mann und Frau?

THOMAS JAKOB RICHTER: Mein Thema ist der schöne Mensch, wie Marx ihn beschrieben hat. Damit sind auch gemeint: Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann. Nur der Mensch handelt nach dem Maß der Schönheit. Zur Natur des Menschen gehört, dass er seine natürlichen Sinne einsetzt, dass sie nicht von Marktgesetzen verbogen werden. dass er sich Kunst, Literatur, Musik und vor allem seinen Liebsten zuwendet. Der Klassenstandpunkt schließt das erotische Verhältnis zur Welt ein.

HEIKE FRIAUF: Mitunter fühlen sich Betrachter erschreckt von der direkten Nacktheit auf zahlreichen deiner Bilder. Ich stelle mir vor, Männer können geradezu Beklemmungen bekommen angesichts der munter gezeigten Männlichkeit.

THOMAS JAKOB RICHTER: Aus meiner Erfahrung haben gerade ältere Männer einen viel leichteren Zugang zu meinen Bildern. Sie verfügen über wesentlich mehr Wissen über die Weltkultur als die jungen Leute mit ihrem verinnerlichten Bild von Modelkörpern. Die Jungen sind viel verklemmter. Und dann unterwerfen sie sich den Marktgesetzen, die permanente Fitness und Leistungsbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit und weiß ich nicht was fordern. Denen kann man nur sagen: Ein Leistungsverhältnis zur Welt schließt Erotik aus.

HEIKE FRIAUF: Warum malst du den Menschen so deutlich, so nackt, so aktiv? Mir scheint, du rührst gerade beim männlichen Akt an ein Tabu. Dabei gibt es einen großen Fundus an Andeutungen, symbolischen Darstellungen des Geschlechtsakts, die auch verstanden werden.

THOMAS JAKOB RICHTER: Jetzt ist Schluß mit Andeutungen und symbolischen Darstellungen! Ich male so, weil es mir Spaß macht und ich denen, die mir wichtig sind, eine Freude machen will.

HEIKE FRIAUF: Viele Betrachter meinen, du malst Traumgebilde, Phantasielandschaften, Idealisierungen. Ich halte dich für einen eminent realistischen Maler. Und zwar in dem Sinne, in dem Hans Heinz Holz die Kunst "realistisch" genannt hat, die die Welterfahrung ihrer Zeitgenossen und Nachfahren erweitert. Statt sie beispielsweise durch platte Reproduktion von Wirklichkeit zu verharmlosen. Das naturalistische Nachbilden eines Einkaufswagens führt gerade mal zum Aha-Effekt, aber nicht zu ernsthafter Reflexion geschweige denn zu einem echten Verständnis der Wirklichkeit. Eine bessere Welt ist möglich, diese realistische Grundannahme lese ich aus deinen Bildern.

THOMAS JAKOB RICHTER: Jawohl die Dame und Amen.

HEIKE FRIAUF: Du sparst dir das Schaulaufen auf den Galerielaufstegen, auch in die Nische "verkannter Künstler" setzt du dich nicht. Es scheint, die Realität des kapitalistischen Kulturbetriebs läßt dich kalt.

THOMAS JAKOB RICHTER: Nein. Mich kann das nicht kaltlassen, wenn ich sehe, wie Kunst verhandelt wird. Aber ich kann mir die Teilnahme sparen, der Zug ist für mich abgefahren. Der neue Zug, an dem wir arbeiten müssen, ist noch ein Lökchen, noch keine Lokomotive der Weltgeschichte. Noch.

HEIKE FRIAUF: Wo siehst du deine Position, deine Aufgabe im gegenwärtigen Kulturgeschehen?

THOMAS JAKOB RICHTER: Irgendwie wird mir als Künstler immer das Etikett "engagiert" vorgehalten: Du bist doch ein politischer Mensch, da mußt du doch auch engagierte Kunst machen. Um mal ein Beispiel aus dem Westen zu nennen: das großartige Werk von HAP Grieshaber. Auch im Kapitalismus kann ein Künstler zu einer höheren Form finden, die über das rein Anklägerische hinausgelangt. Das Verharren im Anklägerischen ist im welthistorischen Zusammenhang gesehen unbefriedigend. Ein Subjekt muss ein Ziel haben. Wie soll man die Arbeiterklasse als Subjekt begreifen, wenn sie keine anderen als die vorhandenen Vorstellungen, wenn sie keine Zielvorstellung hat? Wer nur antikapitalistisch reagiert, reagiert bloß. Ein Subjekt aber agiert.

HEIKE FRIAUF: Ich will dich nicht ärgern mit dem Begriff der engagierten Kunst, muss aber doch einmal nachhaken. Kommt für die die Losung "Kunst als Waffe" gar nicht in Frage?

THOMAS JAKOB RICHTER: Ich bin für gute Plakate und gute Bilder. Beides. Und nicht Bilder als Plakate. Wenn man Kunst als Bestandteil, als einen Bestandteil des Instrumentariums im Klassenkampf ansieht, kann ich mich auch wieder an den Ausdruck "Kunst als Waffe" gewöhnen.

HEIKE FRIAUF: Du hast dich darum gekümmert, dass die Tageszeitung junge Welt kommunistisch profilierte Künstler wie Christian Geissler und Alfred Hrdlicka zur Rosa-Luxemburg-Konferenz einlädt. Du hast mit der jungen Welt den Bildhauer Gerd Schumann und seine überlebensgroßen Holzplastiken zu Abu Ghraib und Bad Kleinen für wenige Tage nach Berlin geholt und letztes Jahr die Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch mit der jungen Welt zusammengebracht. Können Künstler tatsächlich zur politischen Arbeit der Linken beitragen? Ich meine: substantiell? Ich frage mich manchmal, ob ihr Beitrag nicht hauptsächlich dekorativen Charakter hat. Nicht in meiner Wahrnehmung, aber in der Wahrnehmung der politisch Aktiven.

THOMAS JAKOB RICHTER: Ob das nun so wahrgenommen wird oder nicht, es steht fest: Der Beitrag der von dir genannten und anderer Künstler, beispielsweise zur Rosa-Luxemburg-Konferenz, führt zu einer Steigerung der politischen Arbeit. Die Künstler haben immer zur konzentrierten Atmosphäre der Konferenz beigetragen und damit die politische Arbeit auf eine besondere Höhe gebracht. Auch wenn das schwer messbar ist und in der alltäglichen Arbeit wieder vergessen wird.

HEIKE FRIAUF: Seit 2007 gibt es die Ladengalerie der jungen Welt, für die du Ausstellungen organisierst. Zur Eröffnung hast du Grafiken von Joachim John gezeigt. Warum John?

THOMAS JAKOB RICHTER: Die Gesamtfrage will ich an Einzelbeispielen erklären. John ist einer, der sich als Aufklärer versteht. Der immer Fragen stellt. Einer der wenigen bekannten, zu hoher Achtung gekommenen Künstler, der nicht abgelassen hat. John ist in stiller poetischer Selbstbefragung ein beständig produzierender. Und er steht für mich exemplarisch dafür, dass neben dem in Ost wie West propagierten Sozialistischen Realismus eine Handvoll Künstler einfach ihre Arbeit tat. Die DDR war eine reiche Kunstlandschaft, die nicht nur aus Womacka, Sitte, Mattheuer, Heisig bestand, die sich durch Vielfalt und Poesie auszeichnete. Eine dem Menschen nahe, die nicht der großen agitatorischen Auftragswerke bedurfte. Der westliche Kunstagitator, wie der östliche übrigens auch, braucht immer diese großen Zampanobeispiele. John ist ohne Zweifel einer der besten lebenden Zeichner. Das weiß im Westen keiner, abgesehen von ein paar Spezialisten im Sprengel-Museum in Hannover.

HEIKE FRIAUF: Seit der Ausstellung in der Ladengalerie wissen es vielleicht einige mehr.

THOMAS JAKOB RICHTER: Um es mal höflich zu formulieren: Mit den dort zur Verfügung stehenden geringen räumlichen und finanziellen Möglichkeiten kann ich versuchen, die Existenz von etwas anzudeuten. Als Künstler heutzutage muss man sich damit abfinden, dass man nicht vom Wert seiner Arbeit, sondern von Almosen lebt. Größere Projekte sind schon dadurch behindert, dass man nicht den reichen Arm der Bourgeoisie sucht oder bekommt. Gleichzeitig muss ich gewärtig sein, dem geballten Desinteresse der meisten Genossen begegnen zu dürfen. Das ist schon frustrierend. Vielleicht, wahrscheinlich ist es das gleiche Desinteresse, das Kunst generell zu erwarten hat, wenn sie ohne Eventcharakter stattfindet.

HEIKE FRIAUF: Das eine Dilemma deiner Arbeit ist, dass die Mittel für größere Dinge, größere Projekte fehlen. Das andere, sicher wichtigere, ist, dass die Beziehung zum Betrachter fehlt, zu demjenigen, der deine Arbeit wahrnimmt.

THOMAS JAKOB RICHTER: Es ist mir tatsächlich nicht ganz egal, ob die Leute gucken und wie sie gucken. Wie wirken meine Bilder auf andere? In welche Gesellschaft hinein kommen sie? Kaum jemand nimmt sich die Zeit, über diese Dinge nachzudenken. Zu DDR-Zeiten habe ich mich an allen ausgeschriebenen Ausstellungen beteiligt, jetzt versuche ich das gar nicht mehr. Das sagt etwas über mein Einverständnis mit der anderen Gesellschaft, mit der Post-1989-Gesellschaft.

HEIKE FRIAUF: Deine politischen Weggefährten wissen von deinem künstlerischen Werk oft nichts, selbst wenn sie dich seit Jahren kennen. Ich kann mich an die verblüfften Gesichter erinnern, als einige von ihnen 2005 durch die Säle deiner großen Ausstellung in Berlin-Adlershof gingen. Auf einem anderen Planeten befinden sich deine Künstlerkolleginnen und -kollegen, die den Maler Richter kennen und achten, deine politischen Aktivitäten jedoch mit Argwohn betrachten. Du warst ein geachteter Künstler in der an Künstlertalenten nicht gerade armen DDR. Mußtest du politisch so aktiv werden?

THOMAS JAKOB RICHTER: Die Frage meinst du doch jetzt nicht ernst?

HEIKE FRIAUF: Dann zitiere ich dich selbst: Du hast in Bezug auf deine Arbeit vom "Post-DDR-Sisyphos-Schicksal" gesprochen.

THOMAS JAKOB RICHTER: Das heißt, dass ich jetzt meine Vorstellung von Kunst dahin trage, wo man Erfolge meiner Arbeit mit der Lupe suchen muss. Dass ich ausgerechnet da, wo ich nun gar nichts von dem erwarten kann, wonach der Künstler giert, Ruhm, Anerkennung, Ausstellungen, Hochglanzkataloge, da meine Arbeit hintrage, das ist doch zumindest lustig.


Heike Friauf Berlin, Lektorin, Publizistin


(*) Thomas Richter ist Autor der in den Marxistischen Blättern 4-09 abgebildeten Grafiken. Er wurde 1955 in Berlin geboren. Nach Studium der Geschichte und Kunsterziehung, sowie Malerei und Grafik lebt er heute in Berlin-Friedrichshagen. Thomas Richter ist künstlerischer Mitarbeiter der Tageszeitung junge Welt.


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 4-09, 47. Jahrgang, S. 24-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2009