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MARXISTISCHE BLÄTTER/391: Die Welt in der Krise


Marxistische Blätter Heft 2-09

Die Welt in der Krise

Von Klaus Wagener


Wieder nüchtern

Die Ära Bush endete, wie sie begann: Mit Krieg. Die herrschende Klasse Israels nutzte das sich "schließende Zeitfenster" um einen erbarmungslosen Terrorkrieg gegen die Bevölkerung eines, von ihr errichteten und hermetisch abgeriegelten Ghettos mit dem Namen Gaza zu führen. Dieser exzessive High-Tech-Staatsterror gegen wehrlose, hungernde, eingesperrte Menschen wurde von der Bush-Administration wie auch der Merkel-Regierung gedeckt. Dieser Zynismus konnte, bei einigen Differenzen, auch in der EU durchgesetzt werden. Die Tötungs- und Zerstörungsorgie der IDF endete zwar demonstrativ vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten. Ein wirklicher Kursschwenk der Obama-Administration in der Nahost-Politik kann sich daraus aber noch nicht ableiten lassen. Eher ging es um Imageaufbau und -pflege. Der neue US-Präsident steht vor einer massiven wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Herausforderung. Sein Markenzeichen als der undogmatisch-zupackende Hoffnungsträger des "anderen Amerika" sollte nicht frühzeitig mit der Verwicklung in ein verbrecherisches Gemetzel beschädigt werden. Ob das Gaza-Massaker für das Ende einer Periode steht, oder für den Beginn einer neuen, ist noch nicht ausgemacht.


Der Gläubiger der Welt

Die verbreitete Prognose, dass die kapitalistische Wirtschaft nach dem II. Weltkrieg in eine Nachkriegsdepression abgleiten könnte, hatte sich nicht bestätigt. Vor allem Frankreich (4,0 Prozent) und die BRD (5,0 Prozent) verzeichneten nach der unmittelbaren Nachkriegsphase 1950 - 73 hohe durchschnittliche Zuwachsraten. Auch die USA hatte ihren hohe gesamtgesellschaftlichen Schuldenstand aus der Großen Depression von 260 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) durch den New Deal und die Kriegswirtschaft auf 130 Prozent drucken können.

Die US-Wirtschaft produzierte Mehr als die Hälfte des Welt-BIP. Dazu ermöglicht die in Bretton-Woods festgelegte Funktion des US-Dollar als Reservewährung, eine privilegierte währungspolitische Vormachtstellung. Die im Ersten Weltkrieg. erreichte Position als weltgrößter Gläubiger war durch den II. Weltkrieg (Land-Lease-Act 50 Mrd. Dollar, Marshall-Plan 13 Mrd. Dollar) gestärkt worden. Die überlegene ökonomische und strategische Position des US-Imperialismus ermöglichte ihm eine Sammlung und Koordinierung der kapitalistischen Staaten im Kalten Krieg zu erreichen und dabei seine privilegierte Position als unumstrittene Hegemonialmacht zu verstärken. So konnte die enorme Aufrüstung in der Roll-Back-Phase und im Koreakrieg (14 Prozent BIP) finanziert werden.


Das Ende der "Golden Ages" - Ende des Roll Back

Mitte der 60er Jahre ging die Nachkriegsboom (Golden Ages) in den entwickelten kapitalistischen Staaten mit der ersten großen Nachkriegskrise zu Ende. Danach konnten die Wachstumsraten von 5-7 Prozent nicht mehr erreicht werden. Die nun latent schwelende Verwertungskrise des Bretton Woods-Systems mündete 1974/75 in eine Große Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft. Dazu kamen die wenig erfreulichen Erfahrungen der Kubakrise. Und noch mehr die verfahrene Lage in Vietnam erzwangen beim Kampf um die Köpfe einen Strategiewechsel.

1961 hatte die Sowjetunion die "Zar-Bombe" gezündet. Es war mit 60 Megatonnen (TNT) die mit Abstand größte jemals von Menschen herbeigeführte Explosion. Der Feuerball reichte bis in eine Höhe von 65 km. Die seismischen Wellen konnten noch nach der dritten Erdumrundung gemessen werden. Mit der UR-500 stand zudem ein geeigneter Träger bereit. Damit war klar, dass sich die frontale Nachkriegsstrategie in einer Sackgasse befand. Die weiterhin bestehende Zielstellung, der Beseitigung des sozialistischen Herausforderers, erforderte ein neues differenzierteres Konzept. Aus der "Vorward Strategy" (Vorwärtsstrategie", 1950) und der "Massive Retaliation" (massive Vergeltung, 1952), wurde 1967 die "Flexible Response". In ihren weiter ungebrochen hart geführten Kampf um die Verstärkung der strategischen Überlegenheit hatten die imperialistischen Strategen die nun notgedrungen akzeptierten Rüstungsbegrenzungsverhandlungen als neuer Kampfplatz einzubeziehen. (Beschränkung der Nuklearwaffentest 1963, Atomwaffensperrvertrag 1968, Salt I. 1972). Protagonist dieser "Entspannungspolitik" waren vor allem die SPD/FDP Koalition sowie die Kennedy und Carter-Administration.


Reagan, der neoliberale Ausbruch - Totrüsten

Die wirtschaftliche Erfolglosigkeit der Nachlassverwalter des (sozial)demokratischen Aufbruchs Ende der 70er Jahre, sowie die Ambivalenz der von den Falken ohnehin verachteten Abrüstungsdebatte, bereitete den Boden für den rechtskonservativ-neoliberalen Backlash. Am 20 Januar 1981 wurde Ronald Reagan 40. Präsident der USA. Der unter Nixon begonnene Ausbruch aus dem Klassenkompromiss des Nachkriegskapitalismus wurde nun Programm. Die neoliberalen Dreifaltigkeit: Liberalisierung, Privatisierung und Steuersenkung wurde nach und nach offizielle Regierungspolitik in den wichtigen kapitalistischen Zentren.

Gleichzeitig begann eine massive Rüstungskampagne. Die neue Strategie - bei formaler Weiterführung der Abrüstungsverhandlungen - suchte nach einem (technologischen) Weg den Atomkrieg gegen die Sowjetunion, trotz deren massiver Gegenschlagskapazität wieder führbar zu machen. ("Victory is possible". Colin S. Gray, Keith Payne. Foreign Policy. 1980). Die hierzu aufgewendeten gigantischen Mittel führten in 8 Jahren zu einer nahezu Verdreifachung der Staatsverschuldung von 930 Mrd. in 1980 auf 2.600 Mrd. in 1988. Mit dem schuldenfinanzierten Totrüsten der Sowjetunion etabliert sich mehr und mehr ein von den Interessen des entgrenzten Finanzmarktes dominiertes Verwertungsmodell, dass nach 1989 als Globalisierung gefeiert wird. Aber im Gegensatz zu den Versprechen seiner Propagandisten wird es nicht zu einer globalen Nivellierung in Wohlstand und Frieden führen, sondern die unterschiedlichen Positionierungen der kapitalistischen Staaten, die ohnehin vorhandenen sozial-ökonomischen Ungleichgewichte, sowie die Kriegsbedrohung extrem verstärken. Es wird im Sommer 2007 in eine offene Krise geraten.


Die einzige Weltmacht

Nach dem, mit Hilfe von Gorbatschow für die imperialistischen Strategen überraschend schnellen Ende der auch militärisch gestützten Systemherausforderung, beginnt die strategische Neuausrichtung der imperialistischen Mächte. Globalstrategische Konzepte wie sie von Brzezinski, Huntington, und Kissinger vorgelegt werden bestimmen die Diskussion. Es geht um Raumordnung, Ressourcenkontrolle, Aufstandsbekämpfung, strategische und taktische Vasallenverhältnisse, um die Gestaltung der ideologischen Legitimationsstrukturen. Wie schon den britische Globalsstrategen ein Jahrhundert zuvor gilt die Beherrschung des Eurasischen Raumes, die Kontrolle der entscheidenden Rohstoffressourcen als entscheidende Voraussetzung zur Weltherrschaft. Vor allem die US-amerikanischen Strategen sind bemüht, die nach dem Ende des Kalten Krieges entstandene, einzigartige Supermachtposition des US-Imperialismus auf diese Weise abzusichern. Ihre strategische Forderung, keinen Konkurrenten oder konkurrierende Machtblöcke zuzulassen, "No Rivals", erhebt das Pentagon, dann auch 1992 zu einer offiziellen Doktrin. Ihr sind alle Teilstrategien untergeordnet.

Nachdem Saddam Hussein in die Kuwaitische Falle getappt war, begann die Bush I.-Administration mit der Umsetzung dieser zentralen Aufgabe. Schon mit dem zweiten Golfkrieg 1991 setzte sich die USA dauerhaft in der Region des Mittleren Ostens fest. Die Kosten des Krieges wurde vom US-Senat mit geradezu preiswerten 61 Mrd. Dollar beziffert. Deutschland zahlte mit Japan 16 Mrd., die arabischen Staaten 36 Mrd..

Die Clinton-Administration, getragen vom Boom der "Goldenen 90er Jahre", versuchte gegenüber den exzessiven Schuldenmachen ihrer Vorgänger eine gewisse ökonomische Konsolidierung zu erreichen. Es gelang durchaus ein Schuldenabbau der öffentlichen Hand, durch Senkung der Militär- aber vor allem nach 1996 der Sozialausgaben. Diese vom Überschwang der Dotcom-Blase befeuerte, eher ökonomisch basierte, weniger arrogante Variante der Hegemonial-Politik fand ihre Ergänzung in der Phantasie des globalen Weltdorfs und des Multilateralismus und der UNO-Milleniumsziele.

Die von der US-amerikanischen militärischen Machtfülle berauschten religiös-fundamentalistische Neokonservativen beherrschten die erste Amtszeit von Georg W. Bush. Nach den von ihnen als Generalermächtigung verstandenen Attentaten vom 11. September erklärt der Nationale Sicherheitsrat 2002 in einem nationalem Strategiepapier den Wechsel zur preemtiven Kriegsführung, zu Unilateralismus ohne Uno-Mandat und zum gewaltsam herbei geführten Regimewechsel. Dieser freiwillige Verzicht auf den völkerrechtlich-legalistischen Legitimationsapparat (der Übergang zur "dummen Supermacht", Brzezinski) offenbarte eine arrogant-egoistische Hybris, welche im Bewusstsein der eigenen Unverwundbarkeit, nicht nur den Bewusstseinsfaktor, sondern auch die Interessen wichtiger Vasallen zu ignorieren bereit ist. Ersten Risse in der imperialistischen Phalanx werden erkennbar.

Nachdem die Militärausgaben der USA von 1988 bis 1999 sowohl absolut wie auch inflationsbereinigt gefallen waren, steigen sie in den Folgejahren steil an und haben heute 2009 mit 612 Mrd. Dollar einen Wert erreicht, der auch inflationsbereinigt deutlich über den der Reaganära liegt. Stiglitz und Bilmer (The Three Trillion Dollar War, 2007) zeigen allerdings, dass die wahren Kriegskosten noch deutlich darüber anzusiedeln sind.

Der Versuch der USA, die zentrale Region Eurasiens militärisch zu beherrschen, ist vor allem mit (asiatischem) Kredit finanziert. Die Globalisierung der Kapitalistischen Weltwirtschaft hat natürlich nicht zu jener Gleichgewichtssituation geführt, mit der die neoliberalen Glasperlenspieler ihr gläubiges Publikum faszinierten. Im Gegenteil, die globalen Ungleichgewichte, Außenhandelsbilanzdefizite und -gewinne, Schulden und Kredite, Haushaltsdefizite und Vermögensexplosionen, obszöner Reichtum und bitterste Armut sind geradezu explodiert. Eine internationale "Arbeitsteilung" hat sich verfestigt. Sie lautet grob formuliert: Die "klassischen Exportstaaten" Deutschland, Japan, China, Indien und auch die Rohstoff und Schwellenländer wurden immer mehr zur den "Produzenten der Welt", während viele andere Staaten diesen Produktionsüberschuss konsumierten. Deutschland hatte neben seiner exportlastigen Konsumproduktion auch die Sonderrolle des Investitionsgüterproduzenten. Damit das auch funktioniert finanzierten die Exportstaaten den Konsum der Importstaaten mit Krediten. Im Zentrum dieses Systems befand sich als "consumer of the last resort" die USA. Deren Leistungsbilanzdefizit war in 2006 auf 811 Mrd. Dollar angeschwollen. Allerdings lässt sich der kapitalistische Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, der in einem Auseinanderfallen von Produktion und Konsumption in Erscheinung tritt, nicht austricksen. Durch die Verlagerung auf die Ebene des Weltmarktes und durch das Ausweichen auf massive Kreditschöpfung wird die Krise zwar hinausgezögert, aber dadurch entwickelt sie nur ein um so größeren Potential, wenn die notwendig immer riskanteren Konstruktionen zusammenstürzen. Im Sommer 2007 war genau das der Fall. Die Blase platzte.

Nun ist die Fallhöhe beträchtlich. Die gesamtgesellschaftliche Verschuldung der USA liegt bei 380 Prozent BIP, jenseits der 50 Bio. Dollar. Allein die Staatskasse liegt mit 12 Bio. in den Miesen. In diesem Jahr werden vermutlich mehr als 2 Bio. hinzukommen. Mehr als 250 US-Banken sind laut Einlagensicherungsfond FDIC (Ferderal Deposite Insurance Corporation) akut gefährdet. Real dürfte das US Bankensystem praktisch insolvent sein. Die FDIC beziffert die Höhe aller Finanzderivate mit 201 Bio. Dollar. Auch hier steckt einiges Potential, dass mit der Entwicklung der realwirtschaftlichen Krise kritischer werden dürfte. Der Case/Shiller-Hauspreisindex liegt bei etwa 140 Punkten. Er war von 70 Punkten, am Ende der Reagan Jahre, auf 190 Punkte in 2006, auf dem Höhepunkt der Spekulation, hochgeschossen. Nun liegt er bei 140 Punkte, was einen Wertverlust von mehr als 6 Bio. Dollar bedeutet und 2,3 Mio. Zwangsvollstreckungsverfahren allein im letzten Jahr generierte. Der frühere Fed-Chef Allan Greenspan bezifferte den Wertverlust der Vermögenswerte weltweit im bisherigen Krisenverlauf auf 40 Bio, Dollar.


In der Schuldenfalle - Obama

Angesichts dieser Lage hat die Finanzindustrie einen neuen Hoffnungsträger ins Rennen geschickt. Wie immer wenn sich der verbissen-arrogante, republikanische Hau-drauf-Kurs in einer Sackgasse festgerannt hat. Roosevelt, Kennedy, Carter, Clinton - und nun Obama. Das Erbe der Bush-Jahre ist so verheerend, dass sich nur der Vergleich mit den 1930er Jahren anbietet. Die zentralen Aufgaben sind den Absturz der Realwirtschaft (BIP, 4. Quartal, annualisiert -6,2 Prozent) möglichst schnell abzufangen. Das insolvente Bankensystem zu sanieren, das Wert- und prestigevernichtende Großprojekt Mittlerer Osten auf stabile Füsse zu stellen und die Beziehungen zu den Vasallenstaaten neu zu justieren.

Zbigniew Brzezinski preist Barack Obama fast schon wie den neuen Messias: Barack Hussein Obama wird akzeptiert, mehr noch er wird verehrt, weil er die Vielfältigkeit Amerikas verkörpert. (...) Damit könnte Amerika zum Prototyp einer neuen Gesellschaft werden." Nur der Glaube an den neuen Messias nicht alles. Er müsste schon, um im Bild zu bleiben, über's Wasser laufen können. Denn bislang ist auch nicht ansatzweise ein Ausweg aus der Krise erkennbar. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen von Fed und Finanzministerium summieren sich laut Bloomberg auf 11,2 Bio. Dollar. Mit dem "Erfolg" permanenter Verlustrekorde. Eine einfache Rückkehr zu den frühen Clinton-Jahren, wie sie offenbar nicht nur Brzezinski vorschwebt, dürfte schlicht an der Ökonomie scheitern. Natürlich kennt niemand den genauen Krisenverlauf, aber eine neue Boomphase, die ja wiederum kreditfinanziert sein muss, ist schwer vorstellbar, bevor nicht die privaten Bilanzen (Unternehmen und Privathaushalte) zumindest halberleiwegs saniert worden sind. Das kann beim gegenwärtigen Schuldenstand, ohne gezielte Inflation oder Währungsschnitt, ziemlich lange dauern. Und ob die Millionen Immobilien- und Wertpapierbesitzer, die ihr Vermögen in dieser Krise verloren haben und noch verlieren werden, so bald bereit sein werden, das, was sie an mühsam Erspartem aus dem Desaster haben retten können, wenn sie den überhaupt etwas retten konnten, dem nächsten Kredithai in den Rachen zu werfen, darf ebenfalls bezweifelt werden. In der Regel muss die Generation, die so etwas erlebt hat, erst abgetreten sein, bevor die nächste auf die gleichen Märchen hereinfällt. Das mag im Zeitalter der überwabernden Bewusstseinindustrie etwas schneller gehen, doch auch hier wachsen die Bäume nicht in den Himmel.

Ungeklärt ist auch, wie sich die internationale Arbeitsteilung neu justieren wird. Klar dürfte sein, dass durch die Krise die Ungleichgewichte zurückgefahren werden. Der Baltic Dry Index (BDI), ist ein Preisindex für das weltweite Verschiffen von Frachtgütern, hauptsächlich Massengütern. Da er das Handelsvolumen von industriellen Vorprodukten abbildet, gilt er als wichtiger Konjunkturindikator. Am 20. Mai 2008 hatte der BDI sein Allzeithoch von 11.793 Punkten erreicht. Am 5. Dezember 2008 schloss er auf 663 Punkte. Ein beispielloser Absturz in einem halben Jahr um 94,4 Prozent. Die Finanzkrise hat auch zu einem Zusammenbruch der Handelsfinanzierung (Volumen 2007: 14 Bio. Dollar) geführt. Auch die anderen Frachtratenindizes sanken um 65 bis 75 Prozent. Die Frachtrate in der Capesize-Klasse (Massengutfrachter, zu groß für Suez- und Panama-Kanal) sank von 233.000 Dollar/Tag um 99 Prozent auf 2.300. Ein Achtel der Tagesgesamtkosten von 19.000 Dollar. Wenn so etwas akzeptiert wird, muss es schon knüppeldick kommen.

Ebenso wie die Frachtraten brechen auch die Aufträge dramatisch weg. Neben der Automobilindustrie ist vor allem die Investitionsgüterindustrie mit Einbrüchen von mehr als 25 Prozent betroffen. Die brachiale Anpassung der Produktion an die drastisch sinkende Konsumfähigkeit tritt zunächst als Reduktion der Handelsströme und Neuinvestitionen in Erscheinung. In der Automobilindustrie wird er vermutlich schon bald die ersten prominenten Opfer fordern. Dieser Trend wird durch die Zirkulationsprozesse die gesamte Wirtschaft erfassen.

Die bislang gültige globale "Arbeitsverteilung" wird nach der Krise schon wegen der Verschuldung der Konsumentenstaaten kaum in ihrer alten Form auferstehen können. Krisenverstärkend kommt hinzu dass die erklärte Zielstellung der jeweiligen Zentren als (relativer) Sieger aus der Krise hervorzugehen, ein kooperatives Vorgehen untergräbt. Das Ausagieren der Partikularinteressen kann erkennbar nicht von einer dominanten Supermacht im Zaum des gesamtimperialistischen Interesses gehalten werden. Dieses Beggar-Thy-Neighbour-Politik wird beispielsweise durch die Bundesregierung gegenüber den Mitgliedern der Euro-Zone verfolgt. Bei gleichzeitiger Propagierung des Gegenteils. Die Wette dabei ist, dass der Preis des Ausstiegs höher ist als die Verluste durch die währungspolitische Wehrlosigkeit. Bislang geht sie auf. Eine Bank für alle Zeiten ist das nicht. Die MOE-Staaten (Mittel- und Osteuropäische Staaten) haben schon im russisch-ukrainischen Gaskonflikt demonstriert bekommen, dass die Bereitschaft der zentralen EU-Staaten sich für ihre Manöver einspannen zu lassen, durchaus Grenzen hat. Nun, da es in der Krise für sie ans Eingemachte geht, scheint außer einem warmen Händedruck aus Berlin, Paris und London nicht viel zu erwarten sein. Dabei stehen Lettland und Ungarn vor dem Staatsbankrott, in der Ukraine brach das BIP um minus 20 Prozent zusammen, die Industrieproduktion um - 34 Prozent, Inflation liegt bei 25 Prozent, der Wertverlust der Griwna bei 46 Prozent. Der IWF stellte einen Notkredit für Osteuropa von 25,1 Mrd. Dollar bereit. Ukraine verhandelt schon mit dem Erzfeind Moskau um einen Kredit von 5 Mrd. Dollar. "Es ist Zeit für Europa zusammenzukommen, um sicher zu stellen, dass die Errungenschaften der letzten 20 Jahre nicht verloren gehen, weil eine Wirtschaftskrise sich rapide in eine menschliche Krise verwandelt", warnt der neokonservative Hardliner und Chef der Weltbank, Robert Zoellick.

Mit der üblichen Verzögerung wird die Krise auch auf die Beschäftigung durchschlagen. Das Heer der neuen Arbeitslosen wird auf die in der neoliberalen Phase zynisch ausgedünnten sozialen Netze treffen. In Deutschland verlässt sich die politische Personal noch relativ erfolgreich auf die omnipräsente neoliberale Propaganda der Massenmedien und ihre 50jährige soziale Korrumpierung der Arbeiterklasse mit Hilfe der Sozialdemokratie. Das gilt nicht überall. Und selbst hier ist fraglich, ob die Zustimmung zu Merkel und Steinbrück so bleibt, wenn statt der Abwrackprämie Hartz IV kassiert werden darf. Der Außenanteil der deutschen Wirtschaft liegt bei fast 50 Prozent. Konzepte wie das Wegbrechen eines derartig elementaren Sektors kompensiert werden kann, sind nicht erkennbar. Die anderen Exportnationen stehen vor ähnlichen Strukturproblemen. Selbst bei der geradezu masochistisch leidensfähigen bundesrepublikanischen Arbeiterklasse ist ein geräuschloses Abwickeln dieses Prozesses schwer vorstellbar.


Vor der Konsolidierung

Selbst einen relativ günstigen Ausweg aus der Krise vorausgesetzt werden sich die wirtschaftlichen und politischen Spielräume des US-Imperialismus erheblich einschränken. Zwar wird es auch noch geraume Zeit gelingen, die waffentechnologisch gestützte absolute Dominanzposition des US-Militärs zu erhalten, doch die Bedingungen seiner Einsatzfähigkeit werden sich verändern. Schon Vietnam hat gezeigt, dass die waffentechnologische Überlegenheit zwar Schlachten, aber nicht unbedingt Kriege gewinnt. Für Irak und Afghanistan gilt diese Lehre nun ebenso, obwohl die Überlegenheit in jeder Hinsicht mehr als erdrückend ist. Die simple Ausspielen der militärisch-ökonomischen Macht war weder im Kalten Krieg, noch im Kampf um die Weltmacht eine zielführende Strategie. Und erst recht nicht, wenn die wegbrechenden Ressourcen die Fadenscheinigkeit der eigenen Grußspurigkeit deutlich erkennbar machten.

Hier ist umdenken angesagt. Selbstverständlich ist das Strategische Ziel des "No Rivals!" nicht aufgegeben. Und selbst bei ungünstigem Krisenverlauf ist ein solcher bislang nicht erkennbar. Alle potentiellen Kandidaten haben, zwar in unterschiedlicher Form, aber doch ähnlich gravierend mit der Krise zu kämpfen. Was von der Obama-Administration aufgegeben werden wird, ist der arrogant-konfrontative Modus seiner Umsetzung durch die religiös-fundamentalischen Neocons. Die Obama-Administration wird versuchen, das alte Großziel Hegemonieabsicherung, so gut es geht, auf einem weniger kostenintensiven und hemdsärmeligen Weg zu restaurieren. Dazu gehören zum einen ein multilateraler, legalistischer Ansatz. Die Erweiterung der G7 auf die G20. Die Formulierung eines gemeinsamen Interesses. Das abgestimmte und durch UN-Mandat legitimierte Handeln. Die Positionierung der USA als eine Art "primus inter pares". Der Versuch zweitrangige Konflikte zu vermeiden oder zu moderieren.

Zum zweiten wird bei der "Befriedung" umkämpfter Regionen mehr noch als bisher das Scheckbuch das Mittel der Wahl, die Privilegierung sowie die militärischen Aufrüstung von ethnischen oder religiösen Minderheiten. Die "Vietnamisierung" des Vietnam-Krieges wird seine Entsprechung in der Irakisierung des Irak-Krieges und der Afghanistanisierung des Afghanistan-Krieges finden. Die Ansätze dazu sind längst gelegt. Auch wenn die Obama-Administration die US-Truppen in Afghanistan um 40 Prozent auf 55.000 Mann aufstockt, wird das im Kern nur der Verbesserung der Geschäftsgrundlage für den notwendigen Deal mit den Regionalfürsten dienen. Ähnliches ist ja schon in Irak gelaufen. Der angekündigte Abzug der Kampfbrigaden bis zum 31. August 2010 geht von dieser Voraussetzung aus.

Die dritte Tendenz liegt in der zunehmenden Technisierung und Privatisierung der "asymetrischen Kriege". Also dem Einsatz von Kampfrobotern, Kampf- und Überwachungsdrohnen und die zunehmende Beschäftigung von Söldnerfirmen. Im Irak sind mehr Söldner "beschäftigt" als Koalitionstruppen der USA. Sie werden bleiben auch nach dem 31. August 2010.

Politisch wird der Versuch zu beobachten sein, einige kontraproduktive Großkonflikte zu entschärfen. Israel/Palästina oder auch Iran kommen da in Frage. Selbst bei Venezuela und Kuba scheint ein Kursschwenk möglich. Insofern haben die Menschen in Gaza und der Westbank, Außenministerin Clinton hat das signalisiert, eine, wenn auch begrenzte, neue Chance.

Das Problem auch dieses Kommerzialisierungskonzeptes ist: Es bleibt teuer. Schon jetzt hat die Debatte um teure Rüstungsprojekte und atomare Abrüstung begonnen. Doch auch die Treue der diversen Vasallen und Untervasallen, Söldner und Blutsäufer hängt am Geld. An dem, das unmittelbar fließt, oder dem, das sich aus dem gemeinsamen Ausplündern von Dritten herausschlagen läßt. Ohne die finanzielle und militärische Unterstützung durch die USA sähe es mit den moderaten (also korrupten) Regimen des Nahen und Mittleren Ostens anders aus. Einen Husni Mubarak gäbe es dann nicht mehr. Und andere ebenso wenig. Aber selbst dort, wo es ein vitales Interesse der USA gibt, wie in Pakistan, reicht der Arm des Pentagon offenbar nicht so weit, stabile Verhältnisse herzustellen.

Die Gretchenfrage an den US-Imperialismus heißt also, ob sein globales Hegemoniekonzept für alle systemrelevanten Faktoren eine befriedigende Perspektive bieten kann. Am Ende der Bush-Administration hatte sich diese Perspektive sowohl faktisch als auch in der politisch-kulturell-emotionalen Reflexion erheblich verdüstert. Nun, mit Obama, unternimmt der US-Imperialismus den Versuch eine Konsolidierungsphase einzuleiten. Ob das gelingt, und wie lange das reicht hängt von der Entwicklung der Widersprüche ab. Scheitert das Projekt, könnte, wie so häufig in der Abstiegsphase imperialer Mächte, der Zusammenbruch ihrer Hegemonie durch ein umso brutaleres Vorgehen des Militärs beantwortet werden. Dann könnte der Gazakrieg nicht das Ende einer alten, sondern den Beginn einer neuen Epoche markieren.


Klaus Wagener, Dortmund, MB-Redaktion


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-09, 47. Jahrgang, S. 41-47
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2009