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LICHTBLICK/227: Frauen in Haft - Spezielle Belastungen und Lösungswege


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 373 - 4/2017

Frauen in Haft

Spezielle Belastungen und Lösungswege


Wir sind auf das nebenstehende Buch gestoßen und wollen damit ein wenig das Interesse für den Frauenvollzug in der Öffentlichkeit wecken.


Der Anteil der inhaftierten Frauen macht nur 6 % aller Gefangenen in Deutschland aus und ist auch ein Grund, weshalb die Frauen als Insassen, oder als eigenständige Zielgruppe im Vollzug, nicht wahrgenommen werden.

Die Autoren Lydia Halbhuber-Gassner und Gabriele Grote-Kux beleuchten aus verschiedenen Blickwinkeln die speziellen und immensen Belastungen inhaftierter Frauen. Es handelt sich um sexuelle Gewalterfahrungen, nicht erkannte psychische Störungen und oftmals Suchtmittelmissbrauch.

Der dringend notwendige Reformbedarf und neue Behandlungsmöglichkeiten werden von den Verfasserinnen vorgestellt. Die Autorinnen machen deutlich, dass Inhaftierung zu Traumatisierungserfahrungen der betroffenen Frauen führen kann, die aber bei entsprechenden Hilfe- und Unterstützungsangeboten auch eine Chance für die künftige Lebensbewältigung sein kann.

Über die Auswirkungen eines Elternteils in Haft für die Familien, insbesondere für die betroffenen Kinder wurde schon viel geschrieben. Auch in diesem Buch wird darauf eingegangen, dass durch die Haft der Mutter sich das Leben der zurückgebliebenen Angehörigen verändert. Es kommt häufig zu schwierigen Lebenssituationen, wie finanzielle und gesundheitliche Probleme, Einsamkeit oder Entfremdung in der Beziehung, Diskriminierung durch Angehörige, Spannungen in der Kindererziehung, die charakterisierend für die Inhaftierung sind. Bislang bedeutete die Familie idealerweise einen gewissen Schutz, der nun durch die große Veränderung fast aufgehoben ist. Die Kinder reagieren mit Wut, Rückzug oder Enttäuschung. Die Mutter spielt plötzlich keine konstante Rolle mehr im Alltag des Kindes. Die emotionale Belastungen sehr hoch und das kindliche Vertrauen ist verloren gegangen. Es droht ein Auseinanderbrechen der gesamten Familie.

Diese Probleme haben selbstverständlich tiefgreifende und dauerhafte Auswirkung auf den Gesundheitszustand von sehr vielen Inhaftierten, für die das kritische Lebensereignis dieser Grenzerfahrung erst noch verarbeitet werden muss.

Das Kapitel "Mütter die töten" ist sehr berührend und wird ausführlich dargelegt. Man merkt dem Inhalt des Buches an, dass hier sehr viel Erfahrung und Wissen steckt, dass auch bei den Abschnitten "Depression und Gefangenschaft" und "familienorientierte Vollzugsgestaltung in Sachsen" anschaulich transportiert wird. Es wird die Frage gestellt, warum die Depression in Gefangenschaft so besonders häufig vorkommt.

Sabine Hüdepohl hat als Gastautorin dazu geschrieben, dass der Mensch mit seiner Inhaftierung aus seinen kompletten Lebenszusammenhängen herausgerissen wird. Er wird von Menschen, Haustieren, der Wohnung und der Arbeit getrennt. Verloren geht auch die Freiheit, über das eigene Leben zu bestimmen. Das Selbstwertempfinden gerät in höchste Gefahr und kann auch mit dem Abschied der Selbstwahrnehmung einhergehen.

Es gibt keine Entscheidungs -und Handlungsfähigkeit mehr, weil es in einem kleinen, verschlossenen und vergitterten Haftraum kaum noch Möglichkeiten gibt, das eigene Leben zu gestalten. Die Bedürfnisse werden stark beschränkt, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, und somit ist das Gefühl für die eigene Individualität extrem bedroht.

Die Ängste lassen die Zukunft bedrohlich erscheinen. Die Gefangene wird auf sich selbst zurückgeworfen und muss alle Gedanken und Gefühle in und mit sich alleine aushalten.

Als Lösungswege werden z. B. die spezifischen Angebote bei der praktischen Arbeit in der JVA für Frauen in Vechta vorgestellt. Dort sind unter anderem seit 23 Jahren regelmäßige Kunstausstellungen ein fester Bestandteil des Anstaltsleben. Dabei zeigt gerade der niedersächsische Frauenvollzug, dass Gefängnis und Kunst keinen Gegensatz darstellen muss. Kreativität fördert und trägt so zu einer sinnvollen Lebensgestaltung der Frauen bei. In der Enge des Gefängnisses kann Kunst den Geist weiter machen. Ein Erfahrungsschatz, der sich als Gewinn mitnehmen lässt.

Die Künstler begleiten die Teilnehmerinnen und schaffen damit eine offene, positive Atmosphäre. Außerdem werden mit Gemeinschaftsaufgaben der Gruppe andere Herangehensweisen und auch individuelle Gefühle vermittelt, d. h. weitere soziale Kompetenzen werden aktiviert und gestärkt. Ebenso wird eine neue, nie gekannte Wertschätzung damit erarbeitet und die Inhaftierung kann mit entsprechenden Hilfe- und Unterstützungsangeboten eine Chance für die Betroffenen sein.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die beiden Autorinnen mit dem Buch einen Handlungsbedarf signalisieren und dabei differenzierte Gedanken aufgreifen und neue Möglichkeiten der vollzuglichen Arbeit ansprechen. Die Beiträge in diesem Buch stellen die Situation der betroffenen Frauen im Vollzug eindrucksvoll dar.

Anmerkung:
Der Lambertus-Verlag bietet noch weitere interessante Bücher bezüglich des Strafvollzuges an. "Gemeinnützige Arbeit statt Strafe" und "Straffälligenhilfe und demografischen Wandel" sind nur zwei Beispiele, die Wissen im Strafvollzug vermitteln und auch soziale Perspektiven aufzeigen. Vieles basiert auf den gemachten Erfahrungen und geben deren Stand der Reflexion wieder. Die Diskussion über Straffällige sollen damit verbreitet und vertieft werden, um das notwendige Wissen zur Verfügung zu stellen.



Lydia Halbhuber-Gassner, Gabriele Grote-Kux
Frauen in Haft - spezielle Belastungen und Lösungswege.
Lambertus-Verlag,
ISBN Nr: 987-37841-2953-2
20 Euro

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 373 - 4/2017, Seite 36-37
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2018

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