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LICHTBLICK/221: Ex-Anstaltsleiter Thomas Galli hat ein zweites Buch herausgebracht


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 372 - 3/2017

Thomas Galli der Ex-Anstaltsleiter hat sein zweites Buch herausgebracht und wir waren gespannt


Galli stellt die Frage nach dem Begriff der Gefahr oder der Gefährlichkeit des Täters. Er entwirft anhand authentischer Fälle einen kritischen Blick auf Grenzen und Möglichkeiten des Strafvollzugssystems und zeigt die ungerechte gesellschaftliche Verteilung.


Galli geht es weiterhin um die übergeordnete Frage nach Sinn und Unsinn von Freiheitsstrafen und welchen Wert tatsächlich der Strafvollzug hat. (siehe Lichtblick-Ausgabe 02/2016, Interview und Buchvorstellung "Die schwere der Schuld").

Seine Knastgeschichten sind deftig, aus seinem großen Erfahrungsschatz gemischt und nichts für schwache Gemüter. Der Autor richtet sein Augenmerk gleichermaßen auf die Lebensläufe der Inhaftierten sowie auf die Hintergründe ihrer Straftaten und deren Gefängnisalltag.

Hierbei wird der Mikrokosmos im Gefängnis präzise beschrieben und ist für unbedarfte Normalbürger sehr plastisch beschrieben. Wie sich in diesem Gefüge Strafe und Resozialisierungsmaßnahmen vollziehen, welche Möglichkeiten und welche Grenzen unter Umständen das "System Gefängnis" bietet und mit welchen komplizierten Herausforderungen die Justizbeamten dabei konfrontiert werden, wird in der Geschichte "Der Staatsdiener" hervorragend und sehr detailliert dargelegt.

Wenn der aufmerksame Leser zwischen den Zeilen liest, wird er den oftmals sinnfreien Strafvollzug zwar nicht besser verstehen, aber zumindest Anhaltspunkte und Belege dafür finden, dass vieles verstaubt ist. Es kommt klar zum Ausdruck, dass der Begriff Resozialisierung genauso großer Murks ist wie der Begriff der Gefährlichkeit und erschöpft sich dementsprechend nur in einer kostenintensiven Symbolik, die mit jedem Jahr des Freiheitsentzuges weniger Menschenwürde und kaum Persönlichkeit übrig lässt. Die Entscheidung der "Gefährlichkeit der Täters" vollzieht sich zwischen den hohen Leitplanken der Gesellschaft und ist darüber hinaus eine pemanente Gratwanderung, die viele Vollzugsprognostiker an ihre Grenzen führt.

Das scheinbar hochgeschätzte verhaltenswissenschaftliche Handwerkszeug (Tests, Fragebögen, Prognose-Tafeln etc.) ist ebenso unüberschaubar wie unzureichend. Und die Interessen der Auftraggeber (Richter, Staatsanwälte, Justizverwaltungen) unterscheiden sich doch gewaltig von den Interessen der Beurteilten. Galli schafft es auch diesmal das "System Strafvollzug" auf den Prüfstand zu stellen und zeigt ebenso griffige Alternativen auf.

Die These mehr in Richtung soziale Arbeit zu verurteilen ist nicht neu, aber es ist eine Möglichkeit die Kosten zu minimieren und dürfte auch Anklang finden. Die neun Geschichten des Autors thematisieren den Problemkreis von Schuld, Strafe und Rehabilitation. Hinter jeder erzählten Episode stehen menschliche Schicksale, die reale Begegnungen im Knast darstellen. Galli gewährt einmal mehr offene Einblicke in die Gefängniswelt und deren Insassen.

Dass sich aus dem erzwungenen dauerhaften Zusammenleben der unterschiedlichsten Personen in den Anstalten eine nachhaltige Auswirkung der Inhaftierung ergibt, belegt er eindrücklich. Der promovierte Rechtswissenschaftler zeichnet oftmals eine nüchterne Bestandsaufnahme, was vermutlich seiner Biografie geschuldet ist und vom jahrelangem öden Herumdoktern in unzähligen Vollzugsakten geprägt ist.

Die Feinjustierungen bezüglich der Gefährlichkeit des Täters sind unserer Meinung nach nicht überall angekommen. Vieles ist noch verbesserungswürdig und der Mangel an Zukunftsperspektiven wird deutlich. Das Buch ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und ein weiterer Beweis dafür wie wertvoll seine Grundideen sind. Andererseits blitzt aber erfrischender Realitätssinn durch, indem er schrittweise die bürokratischen Hürden eliminieren möchte, soziale und seelische Verluste bei längeren Haftverläufen aufzeigt, weil er die desolaten Zustände bestens kennt und auch benennt. Wann gilt ein Mensch als "höchst gefährlich"? Die Frage, wie sich Gefahren für die Allgemeinheit abwenden lassen, stellt sich nach wie vor und wird ewig aktuell sein so lange sich der Strafvollzug nicht verbessert.

Worauf gründen Justiz, Gefängnisverwaltungen und Psychologen ihr Urteil über die Gefährlichkeit? Die Frage, wie sich Gefahren für die Allgemeinheit abwenden lassen, ist aktueller denn je. Wir können nur hoffen, dass die Diskussion über Sinn und Unsinn der meisten Freiheitsstrafen mit diesem Buch erneut im Fokus stehen und die gesellschaftlichen Barrieren nicht für weitere Schäden sorgen.

N. K.


Thomas Galli
Die Gefährlichkeit des Täters
Verlag Das neue Berlin 2017, www.eulenspiegel.com
ISBN 978-3-360-01318-7, 12,99 Euro

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Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 372 - 3/2017, Seite 10-11
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2018

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