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LICHTBLICK/218: Der Vollzugshelfer - mehr als nur ein Bindeglied?


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 371 - 2/2017

Der Vollzugshelfer - mehr als nur ein Bindeglied?


Ein wichtiges Ehrenamt im Strafvollzug, das viele Inhaftierte nicht missen möchten und einigen noch gar nicht bekannt ist. Ehrenamtliche Mitarbeit in der Justiz ist ein sichtbares Zeichen eines funktionierenden Gemeinwesens.


Wenn ich als Insasse aus dem Fenster meines Haftraumes schaue, dann entdecke ich manchmal Menschen in Zivilkleidung und in Begleitung eines Beamten. Zielstrebig gehen sie auf ein Gebäude innerhalb des Gefängnisses zu. Es könnte sich auch um einen Anwalt handeln. Nicht selten ist es jedoch ein Vollzugshelfer. Viele Gefangene kennen nicht die Aufgaben eines Vollzugshelfers oder wissen gar nicht, dass es so eine Funktion überhaupt gibt und haben demzufolge auch keinen Vollzugshelfer. die Wiedereingliederung von Gefangenen ist nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft.

Die Möglichkeiten hilfreicher Verbindungen von "drinnen" und "draußen" und damit Brücken in den Sozialraum zu suchen, sind vielfältig (z.B. Gefängnistheater). Dabei könnte jeder Inhaftierte einen Vollzugshelfer haben, vorausgesetzt der Gruppenleiter hat keine Einwände und es ist ein Vollzugshelfer bereit, den jeweiligen Gefangenen ehrenamtlich zu besuchen und zu betreuen. Die ehrenamtlichen Betreuer sind gefragte Helfer in den Vollzugsanstalten. Im Vergleich zur Anzahl der Inhaftierten, die gerne einen Vollzugshelfer hätten, gibt es viel zu wenig ehrenamtliche Helfer, die für eine derartige Tätigkeit bereit stehen. Für interessierte Gefangene entstehen daher oft lange Wartezeiten, bis ein fruchtbarer Kontakt zustande kommt.

Ein Vollzugshelfer besucht den ihm zugeordneten Inhaftierten regelmäßig im Gefängnis, schreibt ihm und begleitet ihn auf dem Weg zurück in die Freiheit. Das kann mitunter ein sehr zeitraubender Weg sein. Die normalen Besuchszeiten durch Freunde und Angehörige sind dadurch nicht beeinträchtigt. Die Treffen finden auch nicht im Besuchszentrum statt (Ausnahme: Die ersten Treffen), sondern unter vier Augen, in den Anwaltszimmern der jeweiligen Teilanstalt, in der der Gefangene untergebracht ist. Vollzugshelfer haben hierbei die Zeit, sich mit dem Inhaftierten ausführlich zu unterhalten. Dabei können Begebenheiten, Erfahrungen und Veränderungen im Alltag besprochen werden. Jedes Thema ist denkbar, öffnet gegenseitig die Perspektiven und bringt so einen Zugewinn.

Von großem Vorteil ist es, wenn der Vollzugshelfer selbst über eine gehörige Portion Lebens- und Berufserfahrung verfügt. Nur so hat er Chancen, als Ratgeber und kompetenter Ansprechpartner vom Inhaftierten akzeptiert zu werden. Außerdem sollte der Vollzugshelfer eine gewisse Beharrlichkeit und Regelmäßigkeit mitbringen, die bei den Gefangenen gut ankommt und dringend nötig ist. Mit Hilfe von Fortbildungsmaßnahmen, Kursen und Vollzugshelfer-Treffen kann sich der Vollzugshelfer umfangreiches Wissen und besondere Fähigkeiten für dieses Ehrenamt aneignen, immer mit dem Ziel, den Inhaftierten auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorzubereiten. Die Vollzugshelfer möchten dem Inhaftierten einen Kontakt zur Außenwelt bieten und die Wiedereingliederung möglichst erleichtern. Sie wollen, dass der Gefangene nicht wieder rückfällig wird. Sie wollen helfen und einfach nur etwas Gutes tun. Vielleicht weil sie auch wissen, dass die Gefangenen sonst keine Lobby haben und es eine der wenigen Möglichkeiten ist, aktiv helfend einzugreifen.

Vollzugshelfer sind kein Familienersatz und erst recht nicht auf der Suche nach Lebenspartnern. Ihre Funktion ist, wie das Wort schon deutlich macht, Helfer und Berater, was sicherlich auch eine freundschaftliche Beziehung zum Gefangenen nicht ausschließt. Kein Vollzugshelfer muss irgendjemandem Auskunft geben, worüber er sich mit seinem "Schützling" unterhalten hat. Die Gespräche sind absolut vertraulich. Es hat sich auch als sinnvoll und nützlich erwiesen, den Vollzugshelfer an der Vollzugsplankonferenz teilnehmen zu lassen. Dadurch entsteht eine enge Bindung und der Vollzugshelfer lernt auch die Sichtweisen der Anstalt, die oftmals nicht so wohlwollend sind, hautnah kennen.

Obwohl die meisten Vollzugshelfer ihre Tätigkeiten in diesem Rahmen sehen, so müssen sie doch allzu oft als Interessenvertreter gegenüber Dritten für den Gefangenen eintreten. Dies kann dann schon mal mit Arbeit und etwas mehr Engagement verbunden sein. Im Endeffekt kann aber jeder Vollzugshelfer selbst entscheiden, wie weit er dem Inhaftierten hilft und sich für diesen einsetzt. Fast jeder dritte Bürger ist in irgendeiner Form in einem öffentlichen Bereich wie Sport, Kirche, Schule, Umweltschutz oder Kindergarten ehrenamtlich tätig. Die Zahl der Freiwilligen stieg in den vergangenen 15 Jahren um rund zehn Prozent. Im Justizbereich betätigen sich jedoch nur etwa 1% der Ehrenamtlichen. Zu dieser Gruppe gehören auch die Vollzugshelfer. Bei einer Umfrage unter Gefangenen, die von einem Vollzugshelfer betreut werden, hörten wir nur positive Äußerungen zu deren Aktivitäten. Durchweg wird die Möglichkeit, sich von einem Vollzugshelfer Unterstützung zu holen, von den Inhaftierten sehr begrüßt. Da sich ein Gefangener seinen Vollzugshelfer nicht aussuchen kann, kommt es auch mal zu ungewollten Konstellationen, bei denen Helfer und Inhaftierter nicht harmonieren. Dann sollte man einfach weiter suchen bis die richtige Person gefunden wird.

Inhaftierte, die einen Vollzugshelfer hätten, sollten sich zuerst an ihren Gruppenleiter wenden, ob irgendwelche Einwände bestehen. Wenn seitens der Anstalt keine Bedenken vorhanden sind, dann kann sich der Inhaftierte z.B. an die Freie Hilfe Berlin wenden. Gefangene, die HIV-positiv sind, bietet unter anderem die Berliner Aids Hilfe e.V besonders geeignete Vollzugshelfer an, die für die speziellen Probleme und Lebensumstände der Hilfesuchenden qualifiziert sind.

An dieser Stelle möchten wir nicht versäumen, unsere Leser aufzurufen, bei Überlegungen, ob und welche ehrenamtliche Tätigkeit sie übernehmen könnten, auch das Amt eines Vollzugshelfers in die engere Wahl zu ziehen. Dabei sollte keine Zeit vertrödelt werden, dass heißt der Inhaftierte kann durchaus schon in der U-Haft damit anfangen. Das hat den Vorteil, dass der Gefangene bei der Verlegung in den Strafvollzug schon eine feste Stütze hat und er die Person bereits kennt. Durchhaltevermögen ist hierbei von größter Bedeutung.

Es darf sicherlich keine Diskussion geben, ob ehrenamtliche Tätigkeit im Umweltschutz oder im Tierschutz der Betreuung eines Gefangenen vorgehen kann, aber ganz hinten anstellen sollte man die Hilfe für Inhaftierte vielleicht auch nicht. Die Vollzugshelfer geben dank ihrer Arbeit den Menschen, die in Haft sind, die Hoffnung, nicht vergessen zu sein, besonders wenn es nur noch wenige soziale Bindungen gibt. Ein Gemeinwesen kann nur weiter wachsen, wenn der einzelne Bürger in seinem eigenen Umfeld Verantwortung für sich und für andere übernimmt. Wer gerne Vollzugshelfer werden möchte, kann sich von einer der beiden vorgenannten Institutionen beraten lassen (oder sich anders organisieren, weil Mitgefangene im Laufe der Zeit Kapazitäten frei haben) und sich Informationsmaterial zuschicken lassen, damit die Wiedereingliederung auf einen guten Weg gebracht werden kann. Vielleicht kann aber die Anstalt eine Planung ehrenamtlicher Angebote (z.B. Sprachkurse, Begleitung bei Freizeitangeboten oder Arbeitsplatzsuche) bündeln und die Perspektiven der Gefangenen dahingehend mit aufnehmen.

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 371 - 2/2017, Seite 16-17
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2017

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