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LICHTBLICK/177: Parteien im Interview - CDU


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 348 - 3/2011

Parteien im Interview
Die CDU (Christlich Demokratische Union), vertreten durch den Abgeordneten und Juristen Sven Rissmann



Verwundert waren die Redakteure des lichtblicks, als die CDU als eine der ersten Parteien auf unsere Interviewanfrage antwortete: Gerne würde man unserer Einladung folgen - der Abgeordnete und rechtspolitische Sprecher der CDU, Sven Rissmann, stünde für ein Gespräch zur Verfügung.

Nicht er selbst jedoch verabredete den Termin, sondern ein Mitarbeiter seines Büros. Typisch, dachten wir: bestimmt wird da ein geschniegelter Bonze in einer Mercedes S-Klasse vorgefahren kommen, um mal in den Knast reinzuschnuppern. Unser bissiger Skeptizismus gründete auf Vorurteilen - aber auch auf Erfahrungen in der Vergangenheit: Die CDU gilt als Partei der Besserverdienenden und würde sich nicht besonders um die Armen und Schwachen scheren - soweit das Vorurteil -, und die CDU betreibt eine Law & Order-Kriminalpolitik, die sich unter anderen durch harte Sanktionen auszeichnet - so die Erfahrung.

Wir wurden - teilweise - eines Bessren belehrt ...

Die CDU hat unsere Redaktion - ganz im Gegensatz beispielsweise zu den Grünen und Linken - noch nie besucht. Gespannt erwarteten wir den Besuch von Sven Rissmann, Abgeordneter und rechtspolitischer Sprecher seiner Partei, der bei seinem Eintreten in unsere murkeligen Redaktionsräume das Klischee erfüllte: gediegenes Auftreten mit Sakko und Schlips.

Die Begrüßung fällt freundlich aus - der erste Eindruck: uns sitzt ein kluger und geradliniger Herr gegenüber, der seinen Beruf - den des Politikers und des Rechtsanwaltes - resolut und kompetent aus- und erfüllt. Zwar fällt uns Sven Rissmann nicht um den Hals und herzt uns, freundlich und sympathisch aber ist er.

Auch die Redaktionsmitglieder stellen sich vor - aus meiner Wahlpräferenz "rot-grün" mache ich keinen Hehl. Sven Rissmann kontert mit der Frage danach, was ich denn mit der CDU verbinden würde? Meine Antwort: Na die Partei, die für Atomkraft, Steuererleichterungen für die Reichen und Kürzungen bei den Sozialausgaben stünde; die Partei, die gut für die Wirtschaft, aber schlecht für den einfachen Bürger auf der Straße sei, die Partei, die Verbrechen härter bestrafen will und Big-Brother-Attitüden habe.

Sven Rissmann differenziert meinen verkürzten Abriss: Die CDU sei als letzte verbliebene traditionelle Volkspartei weit mehr und z. T. genau das Gegenteil dessen. Wahlanalysen zeigten beispielsweise, dass die Parteien für Besserverdienende die Grünen und die FDP seien und die Union dagegen in der Breite der Gesellschaft beheimatet ist. Die CDU würde getragen durch ihre Flügel, dem christlich-sozialen, dem konservativen und dem liberalen, und damit jedem in der Gesellschaft ein Angebot unterbreiten. Gute Wirtschaftspolitik sei gut für die Menschen, weil nur dies Arbeitsplätze und - frei nach Ludwig Erhard - "Wohlstand für alle" schaffen könne.

Die Interviewzeit haben wir auf 60 Minuten festgelegt, deshalb frage ich Sven Rissmann: "Wie steht's um den Berliner Strafvollzug? Macht die rot-rote Regierung einen guten Job? Und: wie würde die CDU den Strafvollzug ausgestalten?"

"Einiges liegt im Argen", eröffnet Sven Rissmann; er erteilt der Berliner Strafvollzugspolitik miserable Noten: Zwar sei die Überbelegung zurückgegangen (was kein Verdienst von Rot-Rot, sondern nur Ergebnis von unabhängigen Gerichtsentscheidungen sei), jahrelang aber wären Gefangene zu zweit - gar zu sechst - eingepfercht worden; die Bausubstanz vieler Berliner Gefängnisse sei marode; der Personalschlüssel sei zu gering - nicht nur des Allgemeinen Vollzugsdienstes, sondern es würden auch zu wenig Sozialarbeiter und Psychologen beschäftigt. Der Strafvollzug war teilweise rechts- und verfassungswidrig, so fasst Sven Rissmann die rot-rote Strafvollzugspolitik zusammen.

Ich unterbreche ihn: oppositionelle Kritik sei ja schön und gut, die benannten Missstände würden auch in Gefangenenkreisen kritisiert, was aber würde er anders - besser - machen?

"Ehrlichkeit und Offenheit! Die derzeitige Berliner Strafvollzugspolitik deckelt, wischt vom Tisch, kehrt unter den Teppich - das verunsichert, schafft Misstrauen und sorgt für Unzufriedenheit. Ich stehe für Ehrlichkeit und Offenheit - nicht nur gegenüber den Mitarbeitern, sondern auch gegenüber den Gefangenen."

Ich hake ein: "Tatsächlich monieren viele Insassen, dass mit Ihnen gespielt würde - sie fühlen sich häufig hingehalten und vertröstet - klare Ansagen fehlen, an Abmachungen wird sich nicht gehalten ..."

"Genau das meine ich!", wirft Sven Rissmann ein.

"Vertrauen schafft man, indem man offen und ehrlich mit den Menschen umgeht - klare Vereinbarungen trifft, und diese verlässlich umsetzt. Das sorgt für ein besseres Klima."

Auf die Frage, wie er die von ihm im Berliner Strafvollzug festgestellten Missstände beheben will, antwortet er: "Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass Gefangene und Justiz keine Lobby haben - das macht es schwierig, notwendige finanzielle Mittel bereitzustellen. Genau das hat Justizsenatorin von der Aue nicht geschafft. Sie hat schlechte Lobbyarbeit geleistet und sich zu wenig engagiert. So hat die CDU beispielsweise 300 zusätzliche Bedienstete gefordert - deren Stellen zu 100% gegenfinanziert waren."

Kritisch merke ich an, dass zusätzliche Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes erstmal keinen besseren Strafvollzug machen und wohl kaum geeignet sind, die Zielvorgaben des Strafvollzugsgesetzes zu erfüllen. Gerade die Überbetonung der Sicherheit zu Lasten der Behandlung ist ein Bärendienst, den man dem Schutz der Bevölkerung angedeihen lässt ...

Sven Rissmann bestätigt: "Der Schutz der Bevölkerung ist der gesetzliche Auftrag -", meinem Einwand, dass das Strafvollzugsgesetz (noch) die Resozialisierung als Ziel benennt, und im Nebensatz - nachrangig - den Schutz der Bevölkerung betont, kommt er zuvor: "Und der Schutz der Bevölkerung wird durch Resozialisierung erreicht."

Was Resozialisierung denn für ihn sei und beinhalte, frage ich.

"Das fängt für mich ganz einfach an: Jeder der will, soll im Gefängnis arbeiten können; jeder der will, soll im Gefängnis eine Ausbildung machen können; und jeder der will, soll im Gefängnis die deutsche Sprache lernen können. Mein Wunsch ist es, dass jeder, der ins Gefängnis kommt, als besserer Mensch wieder rauskommt."

"Und das Rauskommen: Mit einem blauen Müllsack beim TE (Terminende) vor das Tor gestellt?", frage ich provokant. "Wie steht die CDU zum Offenen Vollzug? Als mahnendes Beispiel für eine restaurative - und unseres Erachtens verfehlte! - Kriminalpolitik können die Bundesländer Hamburg und Hessen dienen: in denen wurde unter CDU-Herrschaft der Offene Vollzug eingestampft!"

Sven Rissmann: "Grundsätzlich ist der Offene Vollzug sinnvoll; vor dem Strafende sollten Gefangene - nach Einzelfallprüfung - eine gewisse Zeit im Offenen Vollzug verbingen und dort ihre Entlassung vorbereiten."

Ich spreche Sven Rissmann auf die Berliner Misere der 2/3-Entlassungen an: In Berlin werden mit Abstand die wenigsten Gefangenen vorzeitig entlassen - sind also die Berliner Gefangenen schlechter resozialisiert als in anderen Bundesländern; oder sind sie gefährlicher?

Sven Rissmann zuckt mit den Schultern - das Problem sei ihm bekannt; er verweist auf die richterliche Unabhängigkeit: Die Strafvollstreckungskammern entscheiden über eine vorzeitige Entlassung. Er könne sich aber vorstellen, dass es Behandlungs- und Betreuungsdefizite gebe, die eine vorzeitige Entlassung verhindern würden.

Sven Rissmann buhlt nicht um Zuneigung - er vertritt seinen Standpunkt offen und ehrlich: Er verspricht niemandem eine vorzeitige Entlassung, mit ihm sei kein Kuschelvollzug zu haben, und bei weitem seien nicht alle Gefangene für den Offenen Vollzug geeignet. Besonders würde ihm diese Bigotterie, die vollmundig Gesetze erlässt, die hehre Ziele postulieren, deren Umsetzungen dann jedoch nicht stattfinden und weit hinter den Versprechen zurückbleiben, gegen den Strich gehen.

Angesprochen darauf, wie denn mit Schwarzfahrern zu verfahren sei, ob Ersatzfreiheitsstrafer tatsächlich hinter schwedische Gardinen gehören, antwortet er: "Gefängnisstrafe ist Ultima Ratio - Schwarzfahrer gehören nicht in das Gefängnis. Trotzdem muss gesetzeswidriges Verhalten Konsequenzen haben - der Rechtsstaat muss handeln, wenn auch mit unbefriedigendem Gefühl. Bis aber ein Schwarzfahrer ins Gefängnis geworfen wird, müssen schon alle zuvor erfolgten Maßnahmen fruchtlos geblieben sein."

"In den letzten Monaten haben besonders zwei Maßnahmen im Berliner Strafvollzug für Diskussionen gesorgt: Der erfolgte Baubeginn der JVA Heidering und das Neue Rahmenkonzept - wie stehen Sie dazu?", frage ich Sven Rissmann.

"Wir wollen die JVA Heidering - sie bietet bessere bauliche Voraussetzungen und ermöglicht einen moderneren Strafvollzug. Die unter der derzeitigen Regierung entstandene Kostenexplosion ist jedoch ein Armutszeugnis. Ebenso wie das Rahmenkonzept: es ist unausgegoren, reiner politischer Aktionismus - es behebt natürlich nicht die Probleme des Berliner Strafvollzugs, sondern sorgt nur für weiteren Verdruss bei Mitarbeitern und Inhaftierten."

Die Zeit ist rum, Sven Rissmann muss weiter - wir verabschieden uns freundlich, sein Händedruck ist fest, gradlinig schaut er mir in die Augen und wir verabreden, miteinander in Kontakt zu bleiben.

Mein persönliches Fazit:

Werde ich bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus die CDU wählen? Nein. Schätze ich Sven Rissmann als kompetenten und aufrichtigen Gesprächspartner? Ja!

Die CDU proklamiert und will härtere Strafen, mehr Überwachung und eingeschränkte Bürgerrechte - ich bin vom Gegenteil überzeugt, von den Vorteilen des Gegenteils nicht nur für mich als verurteilten Straftäter, sondern auch für die Bevölkerung, für unsere Gesellschaft.

Dass Ehrlichkeit und Offenheit wertvolle Tugenden sind - hier erhält Sven Rissmann meine volle Zustimmung. Auch ich wünsche mir vom Vollzug mehr Klarheit, Transparenz und Verlässlichkeit, die über einen vorherbestimmten Endstrafenzeitpunkt hinausgeht.

Berlin hat deutschlandweit die höchste Quote von im Offenen Vollzug untergebrachten Straftätern - prima! Zu leicht macht man es sich jedoch, den Schwarzen Peter der mickrigen Zahl der vorzeitig Entlassenen den Strafvollstreckungskammern zuzuschieben - hier muss die Strafvollzugspolitik ran. Dass sie es schwer hat - Straftäter haben keine Lobby - ist uns schmerzlich bewusst: uns mag niemand, und auch wir selbst gucken sicher manchmal, an stillen, einsamen Abenden im verriegelten Kämmerlein, mit einer Träne im Auge in den Spiegel.

Erfolgreicher Strafvollzug - der das Vollzugsziel erreicht - kostet erstmal Geld; die Politik muss dem Vollzug Geld zuweisen, damit dieser seine Arbeit leisten kann. Dieses Geld ist aber gut investiert: Ein Entlassener, der nicht rückfällig wird, erhöht die Sicherheit und stärkt das Gemeinwohl.

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Quelle:
der lichtblick, 43. Jahrgang, Heft Nr. 348, 3/2011, Seite 6-8
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2011