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LICHTBLICK/174: Bildung im Knast


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 344 - 3/2010

Bild dich!



Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig straffrei zu leben. Bei Erreichung dieses im Strafvollzugsgesetz festgeschriebenen Zieles spielt der Bereich "Arbeit" eine wichtige Rolle; der Arbeit ist de jure und de facto die Bildung vorzuziehen.


Bildung im Knast, der Schule des Verbrechens, wie heißen dort die Fächer: Das 1x1 des Raubes, Betrug in Wort und Schrift, Einbruch in 10 Schritten 5!? Die Lehrer sind Zuhälter Carlos, Eddie die Katze und der bebrillte "The Brain"!? Und die Noten lauten: 1 Jahr und 10 Monate, 3 Jahre, 40 Tagessätze á 25,- EUR oder, als "sehr gut", der Freispruch beziehungsweise das beim nächsten gedrehten Ding Nicht-Erwischt-Werden!?

Nicht zu leugnen ist, dass es in Gefängnissen schädliche Einflüsse vielfältiger Natur gibt, die der Resozialisierung zuwiderlaufen. Es wird gar konstatiert, dass in der lebensfeindlichen und lebensfremden Welt des halbmilitärisch geordneten Verwahrvollzuges geschlossener Justizvollzugsanstalten Menschen mit Defiziten weiter beschädigt werden, so der ehemalige Anstaltsleiter Gerhard Rehn aus Hamburg. Die Wissenschaft bezeichnet diese bewiesenen Aspekte der Realitäten im Gefängnis als Subkultur, in der die Insassen Mitglied sind; und der Prozess des Mitglied-Werdens wird Prisonisierung genannt.

Chance Bildung

Falsch jedoch wäre es, das Gefängnis nur auf diese die Zielerreichung behindernden Faktoren zu reduzieren. Auch entbinden diese schädlichen Seiten der Inhaftierung den einzelnen Insassen nicht von seiner Verantwortung für sich selbst und sein straffreies Leben. Eine positive Möglichkeit, die sich Gefangenen in bundesdeutschen Justizvollzugsanstalten bietet, um das Vollzugsziel zu erreichen, ist die der Bildung. Ebenso komplex wie die Bedeutung des uneinheitlich definierten Begriffes "Bildung" ist, ist auch das, was sich hinter der CHANCE BILDUNG im Gefängnis verbirgt:

- Haupt- und Realschulabschluss
- Abitur
- Studium
- Berufsaus- und Weiterbildung
- Lehrgang
- Kursus

Den Justizvollzugsanstalten legt das Strafvollzugsgesetz die Bildung der ihr anvertrauten Straftäter ans Herz, erhebt Bildung gar zur Pflicht: Geeignete Gefangene sind zu bilden. Zwar ist nur der Hauptschulabschluss als verbindliches schulisches Bildungsziel im Gesetz namentlich benannt, die Intention des Gesetzgebers jedoch ist eine individuelle, an den Fähigkeiten, Fertigkeiten, Neigungen und Schwächen des einzelnen Gefangenen orientierte Bildungsförderung.

So reicht das Angebot in vielen in die Gefängnisse integrierten Schulen über den Hauptschulabschluss hinaus: Realschulabschluss, Computerkurse, Abitur und Fernstudium werden angeboten beziehungsweise unterstützt.

Neben Schulabschlüssen soll die berufliche Aus- und Weiterbildung angeboten und gefördert werden. In der Justizvollzugsanstalt Tegel beispielsweise werden sechs verschiedene Berufsausbildungen - vom Bäcker bis zum Offsetdrucker - offeriert; in Kooperation mit einer regionalen gemeinnützigen Stiftung werden vier weitere berufsqualifizierende Ausbildungen angeboten.

Peters Weg

Peter S. (28) absolviert die Ausbildung "Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik". Er ist im zweiten und letzten Lehrjahr und bereitet sich auf die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer vor, die im Herbst stattfindet: "Ich hab' Realschule gemacht und dann 'ne Ausbildung zum Bürokaufmann begonnen - und abgebrochen. Mir waren Partys und das schnelle Geld wichtiger. Lernen und Schuften für die paar Kröten hatte ich null Bock.", sagt Peter S. Nach seiner Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Einbruchsdiebstahl und Drogenhandels wurde er in die JVA Berlin-Tegel eingewiesen. Nachdem er im ersten Jahr als Kalfaktor Hilfsarbeiten verrichtete, schlug ihm seine Sozialarbeiterin den Beginn einer Ausbildung vor. "Schnell hatte ich mir die Ausbildung zum Elektroniker ausgeguckt. Counterstrike hatte ich nächtelang mit Kumpels gedaddelt und Netzwerke für meine Freunde eingerichtet - Computer und Elektronik sind mein Ding.", erzählt Peter weiter.

Auf die Frage, wie denn das Lernen im Knast sei, antwortet er: "Zwar hab' ich nicht immer Bock, für die Tests und Prüfungen zu büffeln und die Lernumgebung ist nicht wirklich toll, aber grundsätzlich macht mir die Ausbildung Spaß und ich bin froh, sie begonnen zu haben. Sobald ich rauskomme, will ich auch als Elektriker arbeiten, mich vielleicht sogar selbstständig machen." Das Abschlusszeugnis, dass Peter erhalten wird, wird keinerlei Hinweise auf die Absolvierung seiner Ausbildung hinter Gittern beinhalten - so schreibt es das Gesetz vor.

Auch die Lehrer berichten überwiegend positiv: Die Stimmung im Unterricht sei meistens locker und entspannt - wie normale Azubis bekommen die "Knackis" 10 Wochenstunden Theorieunterricht -, Ausraster seien selten und Muffköpfe gäbe es dort wie überall, "aber das Leben im Knast ist ja kein Zuckerschlecken". Auf die Frage nach dem Erfolg und Sinn, und ob der Aufwand und die Kosten nicht zu hoch seien, antwortet ein Lehrer: "Nein, ein Knackitag ist für uns Steuerzahler sehr teuer, und wenn wir es schaffen, und das gelingt uns auch oft, unsere Zöglinge mit Berufsabschluss und manchmal auch dadurch bei entsprechenden schulischen Leistungen mit automatischem Schulabschluss in die Freiheit zu entlassen, dann hat es sich gelohnt! Viele werden wegen guter Führung und erfolgreicher Ausbildung vor der eigentlichen Endhaftzeit entlassen bzw. kommen in den offenen Vollzug."

In den Jahren 2008 bis 2010 haben mehr als 80 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Tegel eine Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen. Entgegen der in der Fachliteratur zum Strafvollzug verbreiteten Meinung, dass die Nicht-Bestehens-Quote hoch sei, liegt sie bei nur etwa 10 %; und ist damit deutlich niedriger, als das gute Drittel Durchfaller in der Gesellenprüfung "draußen". Vorzeitige Ausbildungsabbrüche geschehen meist im ersten Lehrjahr: "Schnell zeigt sich für den Insassen und für uns, ob es passt. Das ist im Knast auch nicht anders, als in Freiheit.", so der Lehrer Helmut Keller, der stolz auf seine Schüler ist und sich freut, sie auszubilden und die schwere Zeit der Inhaftierung mit Ihnen sinnvoll zu gestalten. "Mehrere meiner ehemaligen Auszubildenden haben sich sogar zum Meister weitergebildet und haben sich erfolgreich selbstständig gemacht.", sagt Helmut Keller, dessen Auszubildende in der JVA Tegel in diesem Jahr einen überdurchschnittlich guten Abschluss geschafft haben.

Förderung notwendig!

Gefangene, die die Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren, erhalten ebenso wie die arbeitenden Insassen eine Vergütung. Diese Gleichstellung beim Entgelt soll die in Bildung befindlichen Gefangenen nicht benachteiligen. Insassen sind jedoch häufig sozial diskriminiert und haben Schwächen in den Gebieten der beruflichen und schulischen Ausbildung, sodass eine Gleichstellung zu wenig ist, Anregung und Förderung die Devise lauten muss. Statistiken weisen nur etwa 10 % aller Gefangenen in Bildungsmaßnahmen nach - das ist deutlich zu wenig! Gründe für die geringe Quote gibt es zuhauf: Fast immer sind Mindestreststrafen von 2 bis 4 Jahren zwingend; und selbst Insassen, die ein paar Jahre länger haben, scheuen vor der Aufnahme einer langfristigen Bildungsmaßnahme zurück, weil diese sie an die Anstalt für die gesamte Dauer der Ausbildung binden würde, eine Verlegung - beispielsweise in den Offenen Vollzug - für sie während dieser Zeit nicht möglich wäre. Das Fehlen von Berufsinformationsveranstaltungen und Bildungsberatungen ist ein weiterer Grund. Die Abteilungsleiter / Sozialarbeiter, die die Insassen betreuen, sind keine geschulten Arbeitsberater und kennen häufig die Werkbetriebe nicht, geschweige denn Ausbildungsinhalte und Berufschancen. Der notwendige Anreiz - überhaupt die Idee für eine Ausbildung - fehlen folglich.

Fachkräfte werden gebraucht

Die Breite des Angebotes an Ausbildungen in der JVA Berlin-Tegel darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass in den meisten (kleineren) Knästen Deutschlands eine wesentlich geringere Auswahl an Bildungsmöglichkeiten besteht (ausbildungsbedingten Verlegungswünschen von Gefangenen kommen die Länder, obschon bestehender Abkommen, in der Praxis nur widerwillig nach). Zudem handelt es sich fast ausschließlich um handwerkliche Berufsausbildungen, solche in den Sektoren Industrie, Handel und Wirtschaft gibt es kaum. Zwar schließt die Institution Gefängnis mit ihrer Verschlossenheit und Eingeschränktheit Berufe wie Pilot, Automobilverkäufer oder Tauchlehrer aus, weil man die Bedeutung von Erwerbstätigkeit für ein straffreies Leben jedoch gar nicht überschätzen kann, wäre eine Ausweitung des Angebotes vorteilhaft, geradezu notwendig. So kennt die Agentur für Arbeit etliche Hundert Ausbildungsberufe, Fort- und Weiterbildungsangebote gehen gar in die Tausende.

Fachleute prognostizieren, dass spätestens ab dem Jahr 2020 ein gravierender Arbeitskräftemangel, bedingt durch eine Pensionierungswelle, den deutschen Arbeitsmarkt verändern wird und eine starke Nachfrage nach ausgebildeten Fachkräften eintreten wird. An Hilfskräften wird es jedoch, so die Wirtschaftsweisen, einen Überschuss geben.

Aus der Ferne

Ergänzt wird das innervollzugliche Bildungsangebot durch externe Einrichtungen, die aus der Ferne lehren. Diese Fernlehrgänge haben in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren - immer mehr Menschen bilden sich in Voll- und Teilzeit, auch berufsbegleitend, weiter. Die heutige Wissensgesellschaft hat Themen wie Weiterbildung und "lebenslanges Lernen" nicht nur zur Prämisse erhoben, sondern verlangt es: Gewandelte Arbeitsverhältnisse erfordern einen anderen Arbeiter als früher. Beispielsweise beginnt heute fast niemand mehr seine Berufstätigkeit als junger Erwachsener in einem Unternehmen und geht bei diesem 40 Jahre später in Rente.

Fernlehrgänge bieten die Möglichkeit, sich berufsbegleitend den stetig ändernden Erfordernissen des Arbeitsmarktes anzupassen. Zudem erlauben sie es, zeit- und ortsunabhängig auch in Vollzeit eine Vielzahl an Weiterbildungen zu absolvieren. Diese Chance steht auch Inhaftierten offen. Zwar setzen Fernlehrgänge verstärkt auf einen Medienmix - üblicherweise heißt Fernlehrgang, dass den Lernenden Studienunterlagen in Pad pierform übermittelt werden und er Prüfungen und Einsendearbeiten ebenso schriftlich ableistet -, und nutzen das Internet für Online-Studienangebote, zwingend ist ein Computer jedoch nur für wenige Lehrgänge. Zudem scheinen auch in den Justizvollzugsanstalten - immens verzögert! - "neue" Technologien Einzug zu halten und PCs sind in vielen Anstalten (unter bestimmten Voraussetzungen und mit Einschränkungen) genehmigungsfähig.

Ein großes Manko der Fernlehrgänge privater Fernschulen ist jedoch, dass das Angebot kostenpflichtig ist: Etwa 100,- bis 150,- EUR pro Monat betragen die Studiengebühren. Auch dass die Insassen ihre Bildungsbemühungen vergütet bekommen, hilft dabei nur wenig: Oft sind bei den Insassen Pfändungen notiert und ihr Eigengeld dient der Schuldenregulierung; Hausgeld wird üblicherweise für den Einkauf verwendet und sollte dem Gefangenen für den Erwerb von Nahrungs-, Genuss- und Pflegemitteln zur Verfügung stehen. Angespartes Überbrückungsgeld kann jedoch für eine Bildungsmaßnahme verwendet werden.

Wünschenswert ist es, dass der Strafvollzug zumindest ausgewählte Fernlehrgänge bezahlt - schließlich verursachen die Maßnahmen der schulischen Bildung und die in Werkbetrieben durchgeführten Berufsausbildungen ebenso Kosten.

Besonders empfehlenswert sind Fernlehrgänge, die zu einem staatlich anerkannten Abschluss führen.

Auf der Basis von Fernunterricht werden auch universitäre Studiengänge von privaten und öffentlichen Fachhochschulen und Universitäten angeboten. Zugangsberechtigung für ein Studium ist jedoch immer die Hochschulzugangsberechtigung, das (Fach-)Abitur. Private Hochschulen verlangen für das Fernstudium Beträge von über 10.000,- EUR; das Studieren an öffentlichen Universitäten, wie beispielsweise der Fern-Universität in Hagen, ist dagegen preiswert.

Schwierig bei allen Fernlehrgängen und -Studien ist, dass der Tutor nur per Post erreichbar ist und die Wissensvermittlung ausschließlich schriftlich geschieht. Es ist eine einsame Bildung hinter hohen Mauern und in verriegelter Zelle. Zudem müssen neben den Lehrgangsgebühren oft noch zusätzliche Mittel für Bücher und Arbeitsmaterialien aufgebracht werden.

Kontaktadressen für Fernlehrgänge und -studien

Institut für Lernsystem GmbH
Doberaner Weg 18-22
22143 Hamburg
gebührenfreie Telefonnummer: 0800 1234477
Tipp: umfangreiche Prospekte werden gerne übersandt

Studiengemeinschaft Darmstadt
Postfach 10 01 64
64201 Darmstadt
gebührenfreie Telefonnummer: 0800 8066000
Tipp: umfangreiche Prospekte werden gerne übersandt

AKAD Hochschulen
Maybachstraße 18-20
70469 Stuttgart
gebührenfreie Telefonnummer: 0800 2255888
Tipp: umfangreiche Prospekte werden gerne übersandt

FernUniversität in Hagen
Service Center
58084 Hagen
Telefonnummer 02331 987 2444
Tipp: Heft 1 und das Kurs- und Vorlesungsverzeichnis anfordern,
und das Heft des favorisierten Fachbereichs


BILD Dich!

Die Zeit der Inhaftierung für sich selbst sinnvoll zu nutzen mit dem Ziel, zukünftig straffrei zu leben und die besten Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist oft nicht leicht. Diese bittere Realität, die nicht im Einklang mit Gesetz und Verfassung steht, zu mildern, ist Aufgabe eines modernen und leistungsfähigen Strafvollzugs. Und von uns Gefangenen selbst! Ein vortreffliches Mittel bietet der Bereich der Bildung. Bildungsmaßnahmen vermögen es nicht nur, die Haftzeit weniger schädlich zu gestalten, sondern sind eine Investition in die Zukunft: Für das Leben "danach"; und eine erfolgreich abgeschlossene Bildungsmaßnahme ist ein positiver Aspekt, der bei Lockerungen und vorzeitiger Entlassung entsprechend gewürdigt wird.

Die Justizvollzugsanstalten sind aufgefordert, ihren Pflichten im Bereich Bildung noch wesentlich intensiver nachzukommen - und auch der Gesetzgeber täte im Zuge der der Föderalismusreform geschuldeten Schaffung länderspezifischer Strafvollzugsgesetze gut daran, einen der wichtigsten Aspekte der im Verfassungsrang stehenden Resozialisierung, nämlich die Arbeit und besonders die Bildung, im Gesetz konkreter und deutlicher festzuschreiben.

§ Rechtlicher Kommentar in Zusammenarbeit mit Rechtsanwalt Jan Oelbermann §

Das Strafvollzugsgesetz spricht in § 37 Abs. 3 davon, dass geeigneten Gefangenen der Zugang zu Bildungsmaßnahmen zu gewähren ist. Das Gesetz stellt Bildungsmaßnahmen der Arbeit gleich. Der Gefangene erhält für Bildungsmaßnahmen in der Regel eine Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG. Wer sich weiterbildet, soll nach dem Gesetz von der sonst im Strafvollzug herrschenden Arbeitspflicht befreit werden, vgl. § 41 StVollzG. Grundsätzlich wird angenommen, dass Bildungsmaßnahmen die Resozialisierung fördern.

Zwar gibt es das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG), welches nach der Theorie auch Strafgefangenen zusteht. Die Insassen haben jedoch in der Praxis keinen Rechtsanspruch auf Aus- und Weiterbildung, vielmehr ist ihre "persönliche und vollzugliche Eignung" für die jeweilige Maßnahme zu prüfen - eine Ermessensentscheidung der JVA. Bei dieser Entscheidung ist die JVA aber gewissen Regeln unterworfen, die gerichtlich nachprüfbar sind. So darf sie nicht die Ungeeignetheit feststellen, wenn eine andere Behörde die Eignung im Vorfeld bereits bejaht hat (vgl. Däubler/Spaniol, in: AK-StVollzG § 37. Rn. 3 f.) und muss ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen. Selbstredend ist, dass auch Bildungsmaßnahmen als resozialisierungsfeindlich abgelehnt werden können. So sollte ein Panzerknacker keine Ausbildung als Schweißer erhalten.

Hat die Vollzugsbehörde die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme bewilligt, so muss sie auch die notwendigen organisatorischen Folgemaßnahmen treffen (bspw. Benutzung eines Computers, notwenige Lockerungen für einen Bibliotheksbesuch). Wenn sie diese tatsächlich für einen erfolgreichen Studienabschluss erforderlichen Maßnahmen versagt, stellt dies einen Widerruf der Bewilligung dar, der nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist (vgl. Däubler/ Spaniol, in: AK-StVollzG § 37. Rn. 6).

Justizsenatorin von der Aue:
"Der Strafvollzug hat in erster Linie den Auftrag der Resozialisierung und dem kommt man am besten nach, wenn man in den Justizvollzugsanstalten so viel wie möglich für die Bildung und Ausbildung der Inhaftierten tut. Man muss auch bereit sein, in diesem Bereich neue Wege zu gehen, wie wir es beim Bau der JVA Heidering planen."

Wir danken Justizsenatorin von der Aue für ihr Statement zu unserem Bildungsartikel.

*

Interview

mit Herrn Jörg Bors, dem Leiter der Schule der Justizvollzugsanstalt Tegel, der seit 16 Jahren hinter Gittern lehrt und (mehr) Bildung in den Knast bringt:

lichtblick: Ihr Arbeitsplatz als Lehrer hinter hohen Mauern ist ja kein alltäglicher - was hat sie in den Knast gebracht?

J. Bors: Mein Berufswunsch nach meinem Studium war eine Tätigkeit in der Erwachsenenbildung. Während meines Referendariats habe ich einmal die JVA Plötzensee besucht und fand die Einrichtung "Schule im Knast" interessant und wichtig und habe einige Zeit später in der JVA Tegel begonnen und bin nun seit 16 Jahren hier und leite seit einigen Jahren die Schule.

lichtblick: Wie viele Schüler lernen in der Schule der JVA Tegel?

J. Bors: Wir betreuen etwa 100 Schüler, in unterschiedlichen Klassen, Kursen und Lehrgängen.

lichtblick: Welche Abschlüsse bieten Sie an?

J. Bors: Den einfachen Hauptschulabschluss, den erweiterten Hauptschulabschluss und den mittleren Schulabschluss (früher: Realschulabschluss). Alle drei dauern üblicherweise 18 Monate.

lichtblick: Wie hoch ist die Quote der vorzeitigen Abbrecher und der erfolgreichen Absolventen?

J. Bors: Jede Schulklasse, die mit etwa 20 Schülern startet, endet mit nur noch ca. 12. Die Gründe für den Abbruch sind ganz unterschiedlich. Wir bemühen uns, jeden Schüler individuell zu fördern und ihm den Abschluss zu ermöglichen. Einen weiteren Aspekt neben der guten Betreuung gibt das Gefängnis vor, denn wenig Ablenkung begünstigt das Lernen. So bestehen meist 90 - 100 % aller Prüflinge die Prüfungen!

lichtblick: Wie hoch ist der Verdienst eines Schülers?

J. Bors: Etwa 10,- EUR erhalten die Insassen pro Tag, das ist die Lohngruppe III.

lichtblick: Welche weiteren Angebote hält die Schule bereit?

J. Bors: Das Fernabitur (über den Anbieter ILS) und das Fernstudium an der FernUniversität Hagen unterstützen wir besonders und betreuen die Fernschüler - sie können unseren PC-Raum ebenso nutzen wie die Bibliothek und wir stehen mit Rat und Tat zur Seite. Außerdem haben wir den Kurs "Deutsch als Fremdsprache", der sich an ausländische Inhaftierte wendet, 16 Wochen dauert und ganzjährig angeboten wird; zusätzlich bieten wir nachmittags einen weiteren Deutschkurs an. Aktuell haben wir für Schüler einen ergänzenden Lehrgang offeriert: Den "Europäischen Computerführerschein".

lichtblick: Wie ist der Tagesablauf der Schüler?

J. Bors: Die Kernunterrichtszeit ist von Montag bis Freitag von 08.00 bis 14.00 Uhr, verteilt auf drei Unterrichtsblöcke. Nachmittags erledigen die Schüler in den Häusern auf ihren Hafträumen dann die Hausaufgaben.

lichtblick: Welchen Stellenwert nimmt ihres Erachtens die schulische Ausbildung eines Insassen ein?

J. Bors: Das Bildung gut und wichtig ist, kann man nicht oft und deutlich genug sagen. Und auch unsere Schüler sehen das so: Sie haben Freude an der Schule, gewinnen Selbstvertrauen, entdecken weiteres Interesse an Bildung und auch ihre sozialen Kompetenzen verbessern sich. Die Resonanz seitens der Schüler ist gut - und das ist für uns Lehrer die schönste Bestätigung unserer Arbeit!

lichtblick: Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!

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Quelle:
der lichtblick, 42. Jahrgang, Heft Nr. 344, 3/2010, Seite 4-9
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2010