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KAZ/317: IG Metall-Gewerkschaftstag - So sollen unsere Forderungen begraben werden


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

IG Metall-Gewerkschaftstag
So sollen unsere Forderungen begraben werden

von Ludwig Jost


Arbeitszeit

Wir haben bereits in der KAZ 368 berichtet, dass die IGM-Führung nach vier Jahren Arbeitszeitdiskussion von 2015 bis 2019 gleich die nächsten 4 Jahre als Schwerpunkt-Diskussion angehängt hat. Das wurde jetzt beschlossen (Leitantrag 4). Dazu lagen knapp 50 Anträge vor. Darunter 10 Anträge mit der Forderung nach kampfweiser Durchsetzung der 30- bzw. 28-Std.-Woche bei vollem Lohnausgleich. Außerdem die Forderungen nach Kampagnen der ganzen IGM zur Durchsetzung der 35 Stunden im Osten. Alle Anträge wurden soweit sie nicht abgelehnt wurden, mehr oder weniger eingesammelt und als Material zum Leitantrag oder an den Vorstand angenommen. In der November metallzeitung 2019 wird dazu festgestellt: "Um Beschäftigte im digitalen Wandel zu schützen, beschlossen die Delegierten des Gewerkschaftstages, dass die Arbeitszeit ein Schwerpunkt bleibt: kürzere Arbeitszeiten statt Entlassungen. Gesunde Arbeitszeitregelungen, die vor Stress, zu viel Arbeit und ständiger Verfügbarkeit für den Arbeitgeber schützen. Wichtig ist noch mehr Selbstbestimmung für Beschäftigte bei ihrer Arbeitszeit, etwa durch eine Ausweitung der Möglichkeit, statt zusätzliches Geld freie Tage zu nehmen. Außerdem soll Schluss sein mit längeren Arbeitszeiten im Osten."

Das ist ein Paket von Absichtserklärungen, die in der Regel von Gewerkschaftstag zu Gewerkschaftstag - jetzt voraussichtlich bis 2023 - mitgeschleppt werden. Eine konkrete Forderung nach kollektiver Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich wurde nicht beschlossen. Die Entscheidung darüber hat das höchste beschlussfassende Gremium der IGM, der Gewerkschaftstag, mit knapp 500 Delegierten, damit in die Hände des IGM-Vorstands gelegt. Der kann sich dabei aussuchen, was er aus Leitantrag und dem Packen zugehöriger Anträge zu welchem Zeitpunkt auf die Tagesordnung setzt oder im Papierkorb als erledigt verschwinden lässt. Für den "Schluss mit längeren Arbeitszeiten im Osten", heißt es hierbei für Berlin-Brandenburg und Sachsen: "Häuserkampf". Die IGM-Führung will - abhängig vom Organisationsgrad in den Betrieben - die 35-Stunden-Woche von Betrieb zu Betrieb durchsetzen. Das ist eine Absage an die Ost-IGM-Geschäftsstellen und ihre Delegierten, die in ihren Anträgen und Redebeiträgen gefordert haben: Kurzfristige Durchsetzung der 35-Stunden-Woche sowie Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse an Westniveau. Dafür war der Gewerkschaftstag die Gelegenheit ein Zeichen zu setzen. Z.B. ein Warnstreik, vielleicht mal 2 Stunden, mehr oder weniger, Absetzung aller Überstunden und evtl. Sonderschichten in den Betrieben. Die IGM-Führung spricht bei Tarifverhandlungen immer davon, dass für rd. 3,8 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter Tarifverträge abgeschlossen werden. Und da sollen keine Aktionen von Millionen möglich sein? Hinzu kommt, dass ein Teil der Betriebsratsvorsitzenden von Großbetrieben, wie z.B. Osterloh von VW, dem ehrenamtlichen Teil der IGM Vorstandsmitglieder angehört. Das auch mit ihnen zu organisieren mag nicht leicht sein, aber es ist keine Frage des Könnens, sondern des politischen Wollens. Jetzt beruft sich die IGM-Führung mal wieder auf mangelnden Organisationsgrad im Osten. Der liegt lt. IGM-Bezirksleitung insgesamt bei 30 Prozent und wird als Rechtfertigung für den geplanten "Häuserkampf" ins Feld geführt. Wie soll denn dieser Organisationsgrad steigen und die 35 z.B. als Flächentarifvertrag durchgesetzt werden, wenn die Gewerkschaftsführung sich auf Friedenspflicht usw. beruft und es unterlässt, die gesamte IGM dafür zu mobilisieren. Das wäre das Mittel, um durch gewerkschaftlichen Kampf auch die Unorganisierten von der Notwendigkeit der Organisierung zu überzeugen und dadurch auch den Kolleginnen und Kollegen in den kleineren Betrieben Mut zu machen und sie einzubeziehen. Was die IGM-Führung nicht macht, muss über Kontaktaufnahme von den Belegschaften in den Ost- und Westbetrieben organisiert werden. Dazu könnten Anträge aus West-Geschäftsstellen genutzt werden, die die Aufhebung der Spaltung in Ost und West durch gewerkschaftlichen Kampf gefordert haben.

Streikrecht

Dem Gewerkschaftstag lagen aus 3 IGM-Geschäftsstellen Anträge zur Ausweitung des Streikrechts vor. Nachstehend dokumentieren wir am Beispiel des Antrags E2.125 der IGM-Geschäftsstelle Ingolstadt, welche Argumente sich IGM-Vorstand und ABK haben einfallen lassen, um ihn abzulehnen.

Die ABK erklärt: "(...) Wir empfehlen, den Antrag abzulehnen. Hintergrund unserer Empfehlung ist, dass sich das Streikrecht in Deutschland aus Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes ergibt und über die Jahre durch das Richterrecht (...) geprägt wurde. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns auch weiterhin für eine richterliche Anerkennung des umfassenden Streikrechts gemäß Artikel 6 der EU-Sozialcharta und der ILO-Übereinkommen von 1987 und 1998 ein. Eine gesetzliche Verankerung des Streikrechts hat die IG Metall bislang aufgrund der historischen Erfahrungen in Deutschland insbesondere deshalb abgelehnt, um nicht von wechselnden politischen Mehrheiten abhängig zu sein. Sobald das Streikrecht in Verfassung oder Gesetz geregelt wird, ermöglicht das dem Gesetzgeber grundsätzlich die weitere Ausgestaltung und somit auch - wenn er das möchte - die Einschränkung. Ein schrankenloses Grundrecht kennt das Grundgesetz nicht. Auch ein verfassungsrechtlich garantiertes politisches Streikrecht stünde stets der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber offen.

Kolleginnen und Kollegen, wir erinnern uns alle noch an die mehrwöchigen Streiks der GDL vor zwei oder drei Jahren. Damals wurde von vielen Politikern ganz offen die Einschränkung des Streikrechts gefordert. Vor diesem Hintergrund besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dass bei entsprechenden politischen Mehrheiten der Gesetzgeber dem Streikrecht Grenzen zieht. Dies könnte sich in der Folge dann auch negativ auf Streiks für einen Tarifvertrag auswirken. Damit wäre aus unserer Sicht genau das Gegenteil des Antragsbegehrens erreicht. (...)"

Das ist fürchterlicher Blödsinn. Geht es danach, können wir keine uns nützliche gesetzliche Regelung mehr fordern und durchsetzen - z.B. gesetzliche 35-Std.-Woche, Lohnfortzahlung, Urlaub usw. Die Regierung versucht ständig, aufgefordert von den Kapitalisten, uns erkämpfte Rechte wieder zu streichen. Das gilt dann ebenso für das "Streikrecht auf einen Tarifvertrag". Hierbei geht das Kapital ständig auch gegen teilweise lächerliche Warnstreikaktionen massiv vor, setzt Betriebsräte, Belegschaften und Gewerkschaften unter Druck. Mitte des Jahres hat Kapitalisten-Präsident Dulger von Gesamtmetall gefordert, gesetzlich zu verankern, dass 24-Std.-Streiks erst nach einem vorherigen Schlichtungsverfahren erlaubt sind. Das ist nicht das Ergebnis zu vieler, sondern zu weniger Streiks. Worauf es hierbei ankommt, ist das Kräfteverhältnis zwischen den kämpfenden Parteien. Wer dabei die Delegierten auf eine richterliche Anerkennung des Streikrechts verweist und sich gegen politische Streiks stellt, erzieht die Lohnabhängigen zum Legalismus und begeht Streikbruch. Die gesetzliche Durchsetzung eines Streikrechts ist nur durch den Kampf der Arbeiterklasse, durch politischen Streik und nicht durch Warten auf ein Urteil der Klassenjustiz oder Bittschriften an Regierung und Kapital zu erreichen. Das gilt ebenso für Nutzung des Streikrechts nach Artikel 6 Abs. 4 der dafür häufig zitierten ESC. Die dagegen stehenden Urteile des BAG sind rechtsungültig. Aber auch sie sind nur durch Streik der Arbeiterklasse zu ändern bzw. ganz aus der Welt zu schaffen. Das wäre die notwendige Solidarität mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den europäischen Ländern, wie Frankreich, Belgien, Italien usw., die mit ihren Massen- und Generalstreiks das ESC-Streikrecht vor Streichung durch die Kapitalisten schützen und verteidigen.

Leiharbeit

Was bei den Transformations-Gestaltungs-Diskussionen für die Leiharbeit rausgekommen ist, darüber schreibt die November metallzeitung: "Wir stemmen uns gegen die verfestigte soziale Ungleichheit - gemeinsam und mit aller Kraft: (...) Sogenannte atypische Beschäftigung, zum Beispiel Leiharbeit, wollen die Delegierten konsequent regulieren. Dauerhafte Arbeitsplätze immer wieder mit Leiharbeitern zu besetzen, soll verboten werden. Leiharbeit soll auf die Abfederung von Auftragsspitzen beschränkt werden."

Das ist nichts anderes als das, was Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter seit Jahren von der IGM-Führung hören. Den "Missbrauch" der Leiharbeit durch die Kapitalisten einschränken und sie statt zu verbieten - "regulieren" und "fair gestalten". Dabei können sich die von Leiharbeit Betroffenen den angeblichen Kampf gegen "soziale Ungleichheit" als Phrasendrescherei in die Haare schmieren. Die ABK hat sich "mit aller Kraft" gegen ein Verbot der Leiharbeit "gestemmt" und zur entsprechenden Forderung (E3.090) der IGM-Geschäftsstelle Schwäbisch Hall festgestellt: "(...) Die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot atypischer Arbeitsverhältnisse ist teilweise nicht realisierbar und damit abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Verbot von Leiharbeit für unzulässig erklärt, teilweise durch Praxis erledigt, etwa die Forderung, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen.

Einen Tarifvertrag über Equal Pay zu vereinbaren und dafür die Allgemeinverbindlichkeit zu beantragen, widerspricht unserer Strategie der letzten Jahre, Tarifverträge über Branchenzuschläge abzuschließen und Equal Pay über einen pauschalen Zuschlag zu erreichen. Die Tarifkommissionen haben sich nach entsprechenden Debatten entschieden, diesen Weg weiter zu gehen.

(...) Diese kategorische Ablehnung, dass eben Leiharbeit gesetzlich verboten werden soll, den Weg können wir nicht mitgehen.

In Summe empfehlen wir den Antrag daher - trotz teils unterstützenswerter Forderungen - zur Ablehnung (...)."

Wer diesen Weg nicht mitgehen kann, geht allerdings den Weg des Kapitals mit. Spaltung der Arbeiterklasse, der Belegschaften, Dumpinglöhne, usw. für einen Teil der eigenen Klasse, der in der Regel von den Kapitalisten auf die Straße gesetzt wurde.

Die IGM-Delegierten haben die Forderung nach einem Verbot der Leiharbeit bei wenigen Gegenstimmen abgelehnt. Damit haben sie den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern "die Strategie der letzten Jahre" auch für die nächste Zukunft verordnet. Das sind die Verhandlungen mit den Verbänden der Arbeitskraft-Dealer. Die Spielwiese der Tarifkommissionen von IGM und der anderen DGB-Gewerkschaften. Lt. Bericht in der November metallzeitung verhandeln die gerade mit dem "Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister" e. v. (BAP) und dem "Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen" (iGZ). Egal, was bei diesen Verhandlungen herauskommt, um wieviel Prozent die Löhne hierbei steigen. Dadurch wird, wie oben bereits angemerkt, die Spaltung der Klasse, der Belegschaften in Stamm-, Leih- und Werkvertragsarbeiter usw., die damit verbundene Entrechtung, die Willkür und Unsicherheit, ständig wechselnde Arbeitsplätze, zeitliche Befristung nicht aus der Welt geschafft. Die Möglichkeit des Heuern und Feuerns, des einfachen Abmeldens durch den Entleiher, das mögliche Kuschen, Maulhalten, um übernommen zu werden, wird damit nicht verhindert. Da mögen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer und die sogenannten Tarifvertrags-Experten noch so viel von Lohnerhöhungen, Erhöhung der Mindestlöhne, von Branchenzuschlägen und anderen Erfolgen schwärmen: Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), die Leiharbeit bzw. der Sklavenhandel, wie es in den Betrieben immer noch heißt, ist und bleibt ein gegen die Arbeiterklasse gerichtetes Kampfinstrument des Kapitals. Es schwächt unsere Kampfkraft und muss verboten werden. Der Kampf dagegen ist trotz aller Gewerkschaftstagsbeschlüsse der IGM "gemeinsam und mit aller Kraft" in der IGM, wie ebenso in den anderen DGB-Gewerkschaften weiter zu führen.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019, S. 40-42
Herausgeber und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2020

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