Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


IZ3W/381: Editorial zum Themenschwerpunkt von Ausgabe 366 - Arbeitsrechte


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 366 - Mai/Juni 2018

Arbeitsrechte - ein permanenter Kampf
Editorial zum Themenschwerpunkt


Im Kapitalismus prägt die Lohnarbeit das Leben. Damit ist sie ein wesentliches Terrain für die Verbesserung der menschlichen Existenz. Solange die Lohnarbeit die Welt regiert, müssen Arbeitsrechte jeder und jedem zugänglich sein, so wie andere Menschenrechte auch. Jeder Mensch sollte von seiner Arbeit wenigstens leben können. Es braucht also Lohnuntergrenzen und soziale Absicherung - auch wenn diese de facto nur das Recht auf geregelte Ausbeutung und Entfremdung darstellen.

Arbeitsrechte resultieren nicht automatisch aus guten Gewinnen der UnternehmerInnen. Vielmehr müssen sie dem Kapital und dem Staat in mühsamen Auseinandersetzungen abgetrotzt werden. Ein Beispiel dazu aus dem Iran, bei dem es um ein ganz elementares Arbeitsrecht geht, die Bezahlung des Lohns: ZuckerarbeiterInnen des Unternehmens Haft Tappeh kämpfen seit August 2017 für die Ausbezahlung ihrer Löhne. Seit der Privatisierung des Unternehmens im Frühjahr 2016 kam es immer wieder zu Lohnausfällen. Dem daraus folgenden Widerstand der 2008 gegründeten unabhängigen Betriebsgewerkschaft begegnete die Unternehmensleitung mit Repressionsmaßnahmen. Die Forderungen der Arbeitenden erstreckten sich außerdem auf die Rücknahme der Privatisierung und die Anerkennung der selbstorganisierten Gewerkschaft. Ende Februar 2018 kam eine rückwirkende Entlohnung.

Die Meldung aus dem Iran stammt von Labournet.de, einer unabhängigen, internetbasierten Plattform für Arbeitsrechte. Verstreut in diesem Themenschwerpunkt stehen weitere Nachrichten dieser Webseite über internationale Arbeitskämpfe, und wir verdanken der Initiative auch den Einleitungsartikel. Bei Labournet.de erfährt man, wie hoch riskant es im Iran und in vielen anderen Ländern ist, für Arbeitsrechte einzutreten. So sitzt etwa der gewerkschaftlich aktive Busfahrer Reza Shahabi im Iran eine sechsjährige Haftstrafe unter katastrophalen Bedingungen ab.

Die Kosten, die ArbeiterInnen weltweit für ihren Einsatz zugunsten von mehr Gerechtigkeit bezahlen, sind hoch. Rechte wie ArbeitnehmerInnenschutz, Arbeitsrechtgesetze sowie das Recht, einen Betriebsrat zu wählen und Gewerkschaften zu bilden, fallen nicht vom Himmel. Im Artikel über die Situation in Argentinien sagt ein Aktivist: »Alles, was wir haben, haben wir uns erkämpfen müssen.«

Es sind vor allem die reichen Länder dieser Welt, bei denen der Internationale Gewerkschaftsbund die Anerkennung wenigstens der basalen Arbeitsrechte konstatiert. Letztere weltweit durchzusetzen, bedarf noch allergrößter Anstrengungen. Unglaublich schwierig umzusetzen sind Arbeitsrechte insbesondere im übergroßen informellen Sektor der Länder des Globalen Südens. Im Beitrag über Algerien steht dazu der lakonische Satz: »In ihm ist gewerkschaftliche Organisierung undenkbar.«

Die Abgehängten der allerärmsten Länder haben derweil noch nicht einmal das Recht, ausgebeutet zu werden, von Arbeitsrechten ganz zu schweigen. Die Existenz der Hungernden ist eine Mahnung an die ArbeiterInnenschaft im informellen Sektor, aus ihrem Hamsterrad bloß nicht abzuspringen.

Arbeitsrechte sind überall umkämpft, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Es gibt aber einen länderübergreifenden Trend: Die Auseinandersetzungen im Zuge des gegenwärtigen 'Klassenkampfes von oben' werden immer härter. Der Globale Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes warnte zuletzt, dass sich die Zahl der Länder, in denen die ArbeiterInnen körperlicher Gewalt und Drohungen ausgesetzt sind, im letzten Jahr um zehn Prozent erhöhte. In 59 Ländern wurden Angriffe auf Gewerkschaftsmitglieder dokumentiert. In 84 untersuchten Ländern sind Beschäftigte vom Arbeitsrecht ausgeschlossen. In mehr als drei Viertel der Länder wird einigen oder allen Beschäftigten das Streikrecht verweigert. In ebenso vielen Ländern werden einigen oder allen Beschäftigten Tarifverhandlungen verweigert. Und in mindestens elf Ländern wurden GewerkschafterInnen ermordet: in Bangladesch, Brasilien, Kolumbien, Guatemala, Honduras, Italien, Mauretanien, Mexiko, Peru, den Philippinen und Venezuela.

Arbeitsrechte sind 'harte', da existenzielle Rechte: Wenn sie fehlen, geht es an die Substanz. Deshalb ist erstaunlich, welch geringen Stellenwert Arbeitsrechte beispielsweise bei der Entwicklungszusammenarbeit haben. Menschenrechte werden von ihr nur gefordert, wenn sie der Unternehmerseite nichts kosten.

Die 1968er sagten: »Die Demokratie hört am Werktor auf.« Damit kritisierten sie letztlich die autoritäre Trutzburg der Lohnarbeit, die Arbeitsstätten als Hort der Willkür des Kapitals. Reicht es, da einfach einige Rechte hinein zu montieren? So notwendig dies ist, so unzureichend ist es im Hinblick auf eine umfassende Befreiung der Gesellschaften.


die redaktion

Der Themenschwerpunkt Arbeitsrechte wurde gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung

*

Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 366 - Mai/Juni 2018

Arbeitsrechte
- ein permanenter Kampf

Arbeitsrechte sind "harte", da existenzielle Rechte: Wenn sie fehlen, geht es an die Substanz. Sie resultieren nicht automatisch aus guten Gewinnen der UnternehmerInnen. Vielmehr müssen Arbeitsrechte dem Kapital und dem Staat in mühsamen Auseinandersetzungen abgetrotzt werden.

Es sind vor allem die reichen Länder dieser Welt, bei denen der Internationale Gewerkschaftsbund die Anerkennung wenigstens der grundlegenden Arbeitsrechte konstatiert. Deutlich schwieriger umzusetzen sind sie hingegen in vielen Ländern des Globalen Südens.

Unser Themenschwerpunkt fokussiert die Situation in Ländern wie Argentinien, Mexiko, Russland, Indien und Algerien und schildert die tagtäglichen Kämpfe der ArbeiterInnen. Wie steht es um vermeintlich basale Rechte wie das Streikrecht? In welchem Verhältnis steht der Staat zu unabhängigen Gewerkschaften? Und wer vertritt eigentlich die Anliegen der Menschen, die in keinem regulären Beschäftigungsverhältnis stehen, sprich im informellen Sektor arbeiten?

*


INHALTSÜBERSICHT

Auf einen Kaffee in Homs
Hefteditorial
Themenschwerpunkt: Arbeitsrechte

Arbeitsrechte - ein permanenter Kampf
Editorial zum Themenschwerpunkt

Haben oder nicht haben
Bei Arbeitsrechten gibt es ein weltweites Rollback
von Helmut Weiss und Mag Wompel

Der Staat gibt, der Staat nimmt?
Arbeitsrechte und Arbeitskämpfe am Beispiel Argentinien
von Daniel Kulla

»Hier gibt es absolute Gewinngarantie«
In Ciudad Juárez herrscht rücksichtslose Ausbeutung
von Kathrin Zeiske

»...keinerlei Probleme mit Gewerkschaften...«
Interview mit der Anwältin Susana Prieto in Ciudad Juárez

Erstickende Einheit
Unabhängige Gewerkschaften sind in Algerien unerwünscht
von Bernard Schmid

Unterm Existenzminimum
Arbeiten in Russland ist eine prekäre Angelegenheit
von Ute Weinmann

Feudal und neoliberal
In Indien kämpfen Hausangestellte für Arbeitsrechte
von Christa Wichterich

Streiks und Polizeigewalt
In Indien versinken Arbeitsrechte in der Informalität
von Hanns Wienold


POLITIK UND ÖKONOMIE

Türkei: Kein Tourismus in die Türkei!
Plädoyer für Wirtschaftssanktionen von unten
von Christian Stock

Außenpolitik: Krieg mit deutschen Waffen
Die Große Koalition setzt ihre Politik der Rüstungsexporte fort
von Markus Bickel

Costa Rica: Politischer Evangelikalismus
Die christliche Rechte verliert die Wahl in Costa Rica nur knapp
von Nikolas Grimm

China: Alles nur Propaganda?
Menschenrechtsdiskurse in China
von Albert Scherr

Entwicklungspolitik: Fehler im System
Sexueller Missbrauch im Hilfsbusiness
von Theresa Weck

Sklaverei: Gewandelt und nicht abgeschafft
Die Moderne Sklaverei ist weiterhin verbreitet
von Oliver Schulten

Ungarn: Wir und die Anderen
Antiziganismus und Populismus
von Benjamin Horvath


KULTUR UND DEBATTE

1968 I: »Täter beim Namen nennen«
Interview mit Jorge Gálvez über Repression in Mexiko nach 1968

1968 II: »Zu kämpfen ist es immer wert«
Interview mit der Zeitzeugin Edith Gonzalez über das Massaker in Tlatelolco

Film: Beharrliche Träume
Die Berlinale zeigte »Heldinnen«-Filme aus Kenia und Palästina
von Isabel Rodde

Postkolonialismus: Eine koloniale Schatzkammer
Das Humboldt Forum in Berlin steckt in der Krise
von Joachim Zeller

nicht im Heft:
Nachruf auf Elmar Altvater
von Georg Lutz

Rezensionen

Bastian Bretthauer/Susanne Lenz/Jutta Werdes (Hg.):
Kambodscha

Andrea Böhm:
Das Ende der westlichen Weltordnung

Larissa Borkowski:
Castros Erbe

*

Quelle:
iz3w Nr. 366 - Mai/Juni 2018
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
Postfach 5328, Kronenstr. 16a (Hinterhaus)
79020 Freiburg i. Br.
Telefon: 0761/740 03, Fax: 0761/70 98 66
E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org
 
iz3w erscheint sechs Mal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 5,30 Euro plus Porto.
Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und Zivildienstleistende 25,80 Euro
Förderabonnement ab 52,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang