iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 341 - März/April 2014
Hefteditorial
Neues aus dem Ministerium
Der neue deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat, ähnlich wie seinerzeit sein Amtsvorgänger Dirk Niebel (FDP), keinen fachlichen Ruf, der ihm schon weit vorausgeeilt wäre. Seine erste Amtshandlung war vielmehr, die Verwandtschaft zu einem bekannten Namensvetter zu dementieren: Nein, nein, mit dem legendären Mittelstürmer des FC Bayern München habe er nichts zu tun.
Aber mit Entwicklungspolitik, doch, ja... Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gibt CSU-Müller an, dass er »sich schon in der Jugend für Entwicklungspolitik interessiert« habe. Wer jung ist, hat halt Ideale. Als Vorsitzender der Jungen Union Bayern forderte Müller 1987 die Todesstrafe für Drogendealer und erlangte dadurch zeitweise einen größeren Bekanntheitsgrad. Heute will er von der Todesstrafe nichts mehr wissen. Die Entwicklungspolitik hat absoluten Vorrang.
Warum aber ausgerechnet Entwicklungspolitik? Der legendäre CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß hatte 1983 noch eine klare Antwort: »Für unser Geld wollen wir auch Aufträge haben.« So kann man das den WählerInnen heutzutage allerdings nicht mehr verkaufen. Das heutige Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, so Gerd Müller, »beschäftigt sich mit den Überlebensfragen der Menschheit«.
Zuletzt war Müller Agrarpolitiker, was keine schlechte Voraussetzung für Entwicklungspolitik ist. »Bereits heute erlöst die deutsche Ernährungswirtschaft auf den Auslandsmärkten nahezu jeden dritten Euro«, sagt Müller zutreffend über die internationale Dimension der Branche. Weil die subventionierten deutschen Lebensmittel im Preiskampf auf dem afrikanischen Kontinent die Existenzen von Kleinbäuerinnen und -bauern ruinieren, ist es richtig, wenn Müller die Abschaffung der Exporterstattung für europäische LandwirtInnen befürwortet. Er macht sogar einen Schwenk weg von der neoliberalen Politik seines Vorgängers Niebel und verlangt im Hinblick auf den Welthandel explizit, »dass der Markt und die Macht weltweit Grenzen benötigen - soziale und ökologische«. So müssten etwa in der Welthandelsorganisation Menschenrechte und ökologische Standards eingehalten werden.
Wer wollte da widersprechen? Kommt nun unter Müller eine Entwicklungspolitik, die weder neoliberal noch standortnational orientiert ist (Franz-Josef Strauß: »Ich bin Deutschnationaler und fordere unbedingten Gehorsam«)?
Diese Hoffnung dementiert die CSU zur Jahreswende ohne Wenn und Aber. Unter der Parole »Wer betrügt, der fliegt« spricht die Partei anlässlich der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Januar für Rumänien und Bulgarien von fortgesetztem »Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung«, was »nicht nur die Akzeptanz der Freizügigkeit bei den Bürgern« gefährde. Damit bedient die CSU die Ressentiments am rechten Rand mit Blick auf die Europawahl im Mai. Zum Sündenbock wird die Romabevölkerung Südosteuropas gemacht. Die wird zwar nicht ausdrücklich benannt, aber das ist auch gar nicht nötig. Wenn einige Roma sich erdreisten, nach Westeuropa zu kommen, erwarten sie dort Ämterschikanen, keine Sozialhilfe. Nichtsdestotrotz bauen die Rechten den Popanz »Sozialtourismus« auf.
Hat Müllers menschheitsrettende Entwicklungspolitik etwas mit dieser rassistischen und antiziganistischen Kampagne zu tun? Nun, er widerspricht ihr mit keinem Wort. Mehr noch: Wenige Tage nach ihrem Auftakt steuert er sein Scherflein aus entwicklungspolitischer Sicht bei. Er weiß: Entwicklungspolitik erfreut sich immer dann großer Beliebtheit, wenn »Armutsflüchtlinge« in sichtbare Nähe rücken, wie bei der Debatte nach den 400 Toten vor Lampedusa. Dann wird die Hilfe »in den Ländern« überaus populär. Damit die Flüchtlinge dort bleiben.
Den Regierungen von Rumänien und Bulgarien wirft Gerd Müller in diesem Zusammenhang vor, sie hätten »relativ klar versagt«, indem sie die EU-Gelder zur Unterstützung der dortigen (Roma-)Armutsbevölkerung nicht vollständig abgerufen hätten. 15 Millionen Euro seien liegen geblieben - was sich (wieder unausgesprochen) in Armutsmigration nach Deutschland niederschlägt. Warum die verarmten Länder diese Beträge nicht anfordern, dazu schweigt Müller. In der Regel müssen die Gelder aus den EU-Fonds mit Mitteln aus den Empfängerländern aufgestockt werden. Und gerade die armen EU-Staaten werden besonders von Deutschland für jeden Euro zusätzlicher Sozialausgaben kritisiert. Hinzu kommt, dass Roma auch in Rumänien und Bulgarien mit antiziganistisch motiviertem Ausschluss von Sozialleistungen konfrontiert sind, nicht nur in Deutschland.
Entweder weiß Müller das alles nicht oder es ist ihm egal, wenn er gleichzeitig dröhnt: »Es ist nicht nachvollziehbar, dass Milliarden aus dem EU-Haushalt nicht eingesetzt werden.« CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl souffliert ihm: »Das Entwicklungshilfeministerium steht Gewehr bei Fuß. Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit könnte mit Experten helfen.« So bleibt die deutsche Entwicklungspolitik in ihrer vertrauten Position als Erfüllungsgehilfe deutscher Interessen. Derzeit vielleicht etwas weniger wirtschaftsliberal, dafür wieder mehr deutschnational.
Gerd Müller, der »Bomber der Nation«, war seinerzeit für seine Kunst berühmt, den Ball mit dem Allerwertesten ins gegnerische Tor zu befördern. Dass sein Namensvetter diese Geschichte in EU-Wahlkampfzeiten als Farce wiederholt, ist nicht auszuschließen, befürchtet
die redaktion
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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 341 - März/April 2014
Asyl & Politik
Road to Nowhere
Die vor Lampedusa unter Aufsicht der EU ertrunkenen Bootsflüchtlinge führen es vor Augen: Heutige Asylpolitik ist de facto eine proaktive Asylverhinderungspolitik. Es geht um die Abwehr und Abschreckung von Asylsuchenden, ungeachtet der konkreten Gründe ihrer Flucht. Unzählige Beispiele zeugen von Rassismus gegenüber Geflüchteten - weltweit. Dabei ist das Recht auf Asyl eines der fundamentalen Menschenrechte, die nach 1945 im Rahmen der UN näher bestimmt wurden. Doch nicht nur in Europa wird Flüchtlingen durch Gesetzesänderungen und Verwaltungsvorschriften systematisch die Möglichkeit genommen, Asyl in Anspruch zu nehmen.
Unser Themenschwerpunkt will diese Entwicklung genauer in den Blick nehmen. Die Geflüchteten werden dabei nicht auf einen Opferstatus reduziert. Die kämpferischen Bewegungen der Refugees zeigen, dass Geflüchtete sich als handelnde Subjekte verstehen.
Der Themenschwerpunkt entstand in enger Zusammenarbeit der Redaktionen von Hinterland und iz3w, die ansonsten unabhängig voneinander arbeiten, jedoch die Empörung über die europäische Asylpolitik teilen.
BEITRÄGE IM THEMENSCHWERPUNKT:
Asyl. Editorial zum Themenschwerpunkt
Mehr als nur humanitär.
Das Recht auf Asyl ist der Kern von Recht und Rechtssicherheit.
von Micha Brumlik
Kontinuierliche Verweigerung.
Die Geschichte des Asyls während des Nationalsozialismus.
von Andreas Marquet
Koste es, was es wolle.
Das europäische Grenzregime dient der Abwehr von Flüchtlingen.
von Bernd Kasparek
Aufnahme statt Geheimhaltung.
Die Asylrechtspraxis bedeutet für verfolgte Homosexuelle Unsicherheit.
von Klaus Jetz
»Gesetze sind veränderbar«
Interview mit Günter Burkhardt über die Arbeit von Pro Asyl
Freie Radikale.
Das Konzept »Non-Citizens« führte zu Kontroversen.
von Christian Jakob
Scheitern auf höherem Niveau.
Lehren aus dem Protest der Refugees in Österreich.
von Ilker Ataç und Monika Mokre
Böse Bosse.
Wie mit dem Schleppereivorwurf Refugees kriminalisiert werden.
von Katharina Menschick
Bewegungen am Bosporus.
Die Türkei wird zur EU-Außengrenze aufgerüstet.
von Brigitte Suter
Australien macht Druck.
In Indonesien verschlechtern sich die Bedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge.
von Antje Missbach
»Der Flüchtlingspass nützt hier nichts«
Kolumbianische Flüchtlinge in Ecuador.
von Sebastian Muy
WEITERE THEMEN IM HEFT:
Neues aus dem Ministerium. Hefteditorial
Politik und Ökonomie:
Afrika: Frankreich interveniert, die EU folgt.
Europäische Battle Groups in der Zentralafrikanischen Republik.
von Bernhard Schmid
Westsahara: Von was träumt die Jugend?
Schlaglichter auf das sahrauische Flüchtlingslager Smara.
von Annette Mokler
Südafrika I: Gleichberechtigt nach dem Gesetz.
Der Kampf um Anerkennung wird auf dem Körper von Frauen ausgetragen.
von Rita Schäfer
Südafrika II: Nichts Neues unter der Sonne.
Südafrika setzt bei seiner Energiepolitik auf Kohle- und Atomkraft.
von Sören Scholvin
Bhutan: Kein Königsweg zur Aussöhnung.
In Bhutan herrscht alles andere als ein »Bruttonationalglück«.
von E.C. Wolf
Erster Weltkrieg: »Es gibt nichts Schlimmeres«
Im Ersten Weltkrieg wurden Millionen Kolonialsoldaten eingesetzt (Teil 2).
von Karl Rössel
KULTUR UND DEBATTE:
Debatte: Polemik statt Debatte.
Die Flugschrift »Vorsicht, die Helfer kommen« diskreditiert die Arbeit von NGOs in Palästina.
von René Wildangel
Auf der Homepage des IZ3W ist hier der Link zur Flugschrift der ADW Saar
Film: Weil es sagbar ist.
»Something Necessary« klagt das Schweigen in Kenia an.
von Martina Backes
Rezensionen
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Quelle:
iz3w Nr. 341 - März/April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2014