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IZ3W/178: Editorial zum Themenschwerpunkt von Ausgabe 313 - Ausgedient? Geschlechterrollen im Krieg


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 313 - Juli/August 2009

Editorial zum Themenschwerpunkt - Ausgedient? Geschlechterrollen im Krieg


Gender und Krieg

"Sie zwangen mich zu töten - Afrikas verlorene Kinder" nennt der Droemer Verlag ein Buch über KindersoldatInnen, "Feuerherz" ein weiteres. "Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr - mein Leben als Kindersoldatin" heißt das Pendant bei Ullstein. Bücher über KindersoldatInnen gehören zu den wenigen verkäuflichen Lektüren über die schlimmsten Kriegsregionen. Die Titel packen die LeserInnen mit Bildern über Unschuld und Schuld. Schließlich gelten Kinder als besonders verwundbare Wesen, und tötende KindersoldatInnen wecken ob der Unmenschlichkeit der Verbrechen und des Verlustes ihrer Unschuld offensichtlich mehr Interesse als tötende Militärs.

Gleich nach den Kindern kommen die Frauen. Bei den Verlagsprogrammen sind exotische Geschichten von Heldinnen, meist dunkelhäutigen, zu finden, die nach einem Leben als gedemütigte Opfer beispielsweise zu Models avancierten. Über die mühsame Arbeit derer, die sich dafür einsetzten, dass Vergewaltigungen in Kriegen juristisch als Straftatbestand und Kriegsverbrechen gelten, wurde vergleichsweise wenig geschrieben. Selbst das Friedensgutachten 2009 der fünf leitenden Institute für Friedens- und Konfiktforschung in Deutschland hat es nicht mit den Frauen: Die ersten 33 Seiten Einleitung und Stellungnahme zu Friedensstrategien kommen ohne den Begriff Gender aus, Frauen sind ein einziges Mal als Opfer von Gewalt erwähnt. Nicht nur hier ist sexualisierte Gewalt als Kriegsstrategie der einzige Tatbestand, der mit Blick auf die geschlechterstereotypen Rollen (Frauen sind grundsätzlich Opfer und die Täter immer Männer) mediale Aufmerksamkeit erlangt. Ansonsten ist die Suche nach Erklärungen für die eskalierende Dynamik in Kriegsgesellschaften blind für Geschlechterkategorien.

Die Rollen von Frauen und Männern, von Mädchen und Jungen in Kriegen sind bei weitem nicht so eindeutig wie die Wahrnehmungsmuster, die bei der Beschreibung dieser Rollen zum Tragen kommen. Frauen sind oft die ersten Leidtragenden, aber sie sind auch Täterinnen, Rekrutinnen, Kriegstreiberinnen. Das Geschlechterverhältnis beschränkt sich keineswegs darauf, dass Männer schießen und Frauen Waffen tragen oder Kranke versorgen.

Unser Dossier fragt danach, wie die Geschlechterrollen während, vor und auch nach dem Krieg in Bewegung geraten, wie sie zur Militarisierung einer Gesellschaft beitragen, welche Männlichkeitskonzepte und Frauenbilder bei der immer individuellen Entscheidung, Gewalt auszuüben oder zu unterlassen, wirksam werden.

Geschlechterkonstellationen sind bereits vor dem eigentlichen Beginn eines Krieges wirkungsmächtig. Dabei ist das Geschlechterverhältnis einerseits Kontinuitäten unterworfen: Bestimmte Muster und Rollen sowie individuelle und soziale Verhaltensweisen sind bereits vor den amtsdatierten Kriegsausbrüchen charakteristisch. Andererseits geraten eben diese Rollen in so genannten Nachkriegsgesellschaften vielfach durcheinander - Frauen und Männer übernehmen neue Aufgaben und definieren ihr Verhältnis um.

Gewiss gibt es viele für eine Kriegsgesellschaft prägende Geschlechterphänomene, die man fast überall antreffen kann. Allerdings ist jede Geschlechterdimension nur in der jeweils konkreten Situation wirksam, jede Konstellation immer auch zeit- und kontextgebunden. Aus diesem Grund stellen wir hier - neben einem Schlaglicht auf den Diskurs über die Geschlechterrollen - Einzelbeispiele vor, aus Sierra Leone, Ruanda, Guatemala, Uganda, Irak und Ost-Timor. Sie machen deutlich, dass die Geschlechterkonstellationen in Überschneidung mit anderen Kategorien wie ethnischer Zugehörigkeit, Alters- und Klassenhierarchien, Nationalismus und Traditionalismus zum Tragen kommen.

die redaktion


Das Dossier ist mit Zeichnungen bebildert, die Jochen Ehmann für den Dokumentarfilm "Woman see lot of things" angefertigt hat. Sie zeigen Erinnerungen der drei Protagonistinnen des Films an die Gewalt, die sie erlitten und begangen haben. Mehr zum Film von Meira Asher unter www.womanseelotofthings.com und in der iz3w 302, Seite 27. Den Film gibt es zum Download bei
https://docalliancefilms.com/films/7219/


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 313 - Juli/August 2009


Ausgedient? - Geschlechterrollen im Krieg

Dossier

Das Dossier fragt danach, wie die Geschlechterrollen während, vor und auch nach dem Krieg in Bewegung geraten, wie sie zur Militarisierung einer Gesellschaft beitragen, welche Männlichkeitskonzepte und Frauenbilder bei der immer individuellen Entscheidung, Gewalt auszuüben oder zu unterlassen, wirksam werden.

Geschlechterkonstellationen sind bereits vor dem eigentlichen Beginn eines Krieges wirkungsmächtig. Dabei ist das Geschlechterverhältnis einerseits Kontinuitäten unterworfen: Bestimmte Muster und Rollen sowie individuelle und soziale Verhaltensweisen sind bereits vor den amtsdatierten Kriegsausbrüchen charakteristisch. Andererseits geraten eben diese Rollen in so genannten Nachkriegsgesellschaften vielfach durcheinander - Frauen und Männer übernehmen neue Aufgaben und definieren ihr Verhältnis um.

Hier stellen wir - neben einem Schlaglicht auf den Diskurs über die Geschlechterrollen - Einzelbeispiele vor, aus Sierra Leone, Ruanda, Guatemala, Uganda, Irak und Ost-Timor. Sie machen deutlich, dass die Geschlechterkonstellationen in Überschneidung mit anderen Kategorien wie ethnischer Zugehörigkeit, Alters- und Klassenhierarchien, Nationalismus und Traditionalismus zum Tragen kommen.


Politik und Ökonomie

Editorial des Dossiers: Morgenlicht

Südafrika: "Die Proteste werden zunehmen"
Interview mit Justin Sylvester über Südafrikas Zukunft

Somalia: Unerzählte Piratengeschichten
Nicht alle Somalis sympathisieren mit den Seeräubern
von John Bwakali

Nicaragua: Et tu, Daniel?
Ortegas Verrat an der sandinistischen Revolution
von Roger Burbach

Kolonialismus I: Kokospalme mit Hakenkreuz
Die Kolonialbewegung in Freiburg während des Nationalsozialismus
von Heiko Wegmann

Kolonialismus II: "Apartheid auf deutsch"
Interview mit dem Historiker Karsten Linne über den kolonialen NS-Staat

Brasilien: Im Namen des Umweltschutzes
In Rio de Janeiro sollen die Favelas durch Mauern eingedämmt werden
von Sarah Lempp

Bolivien: Vom guten Leben träumen
Der Verfassungsprozess ist ein wichtiges gesellschaftliches Projekt
von Alicia Allgäuer und Isabella Radhuber


Schwerpunkt: Ausgedient? Geschlechterrollen im Krieg

Editorial zum Themenschwerpunkt

»Verkannt und vergessen«
Geschlechterrollen und Kriegserklärungen
von Rita Schäfer

Neue Kriegerinnen
Warum Soldatinnen männliche Kampfbereitschaft legitimieren
von Cilja Haders

"Wir hatten nicht die Wahl..."
Rollen und Rechte von Frauen in Ruanda
von Ursula Reich

Die Gewaltprobe
Osttimors Jugendgangs und der Traum vom modernen Mann
von Ruth Streicher

Zornige junge Männer
Maskulinität und Bürgerkrieg in Sierra Leone
von Rita Schäfer

»Fluch der Erniedrigung«
Scheiternde Männlichkeit und schwache Staaten
von Chris Dolan

»Traditionell gegen den Machismo?«
Adoleszenz, Männlichkeit und Modernisierung im Kontext des guatemaltekischen Bürgerkriegs
von Christoph Heiner Schwarz

»Aus dem Krieg ausbrechen«
Projekttag der AG Bildung im iz3w


Kultur und Debatte

Replik: Auf der Suche nach dem Skandal
Eine Reaktion auf den Themenschwerpunkt "Nazikollaborateure in der Dritten Welt"
von René Wildangel
Leserbriefe zu Karl Rössel

Film: Wenn Freiheit nicht grenzenlos ist
Ein Rückblick auf das Internationale Frauenfilmfestival
von Ulrike Mattern

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 313 - Juli/August 2009, Seite II
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2009